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Full text of "Benediktinische Monatschrift zur Pflege religiösen und geistigen Lebens"

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Benediktinifche 
Monatſchrift 


zur Pflege religiöfen und geiſtigen Lebens 


herausgegeben von der 


Erzabtei Beuron 


6. Band 


1924 


Verlag der Beuroner Hunſtſchule, Beuron (Hohenzollern). 


10A STAC 


Druck des Kunſtverlages Beuron. 


E 7 
a * 
Inhalt 
Aufſãtze 
chriſtozentriſche Rirhenmufik (P. Fidelis Böſer ))) . 
Sacramentum magnum. Epiphanie und Ehe (P. Sufo Mauer-, 


Die Predigt vom himmelreich nach dem Evang. des hl. Matth. (P. Bernh. Seiller) 
Slaube und kirche (P. Alois Nager; 
Chriftus im Gleichnis der Sonne (B. Anfelm Manſer )))) 
Freuet euch! (P. Willibrord DerkRa be ·-ᷣ/⸗ʒůhõ - 2222er. 
Symboliſche Srablegung bei der Ordensprofeß (Abt Raphael Molitor 
Germania sacra (P. quſtinus Uttenweileererr rr 


Die Familie als Grundlage benediktiniſchen Mönchtums (P. Sigisbert Mitterer) . 


Prieſter und Mönch (P. Emmanuel Heufeld err 
Dom Sinn des Mönchtums (P. Hotker Würmſeerrrrurur 22... 
filöſterlicher ommunismus (B. Maurus Xa. Deindl 77 
Der Anteil der Benediktiner an der Beftaltung des bandſchafsbildes (P. M. Barthel) 
Schäftlarn (P. Sigisbert Mittererrrr 2 2220er. 


Der Einheitsgedanke im kirchl. Leben der Faften- u. Oſterzeit (P. E. ee 
Der Weg zur Kirche (P. Hotker Würmſeerr dd 
Abt Sigisbert Giebert von Schäftlarn (Die Schriftleitunnn d 
Abtbiſchof Waldo, der Begründer des Goldenen Zeitalters der Reichenau (P. Em- 

manuel mundinghg;)))))))⸗ „ 153, 
O beata Trinitas. Dom Sinn und Werden des Dreifaltigkeitsfeftes (P. St. Hegel) 
Glaubens leben und ſittliches Derhalten (P. Alois magerrꝰ)hh 


Dom 3. Pothier u. feine Bedeutung für den gregor. Choral (PB. Dominikus Johner) 
Eine Romfahrt vor bald 25 Jahren (Abt Plazidus Slogg er)) 
Eine Schule des geiſtlichen Lebens (P. Benedikt Bautr dd 
Mariens Lebensabend und ihr feliger Tod (B. Willibrord Derkade yy 
Kultur ſchaffen und Chriſtentum (P. Alois mager̃r 222.0. 
Die Bedeutung des humanismus für die kath. Erziehung (P. Adefons Widönmann) 
Himmliſche Buchführung (P. Bernhard Seillerrꝛꝛ 22220. 
Miſſionspflicht, Miffionswefen und »Giteratur (P. Hieronymus tiene) . . 265, 
dur Entzifferung der leumen (P. Dominikus Johner ) 
Die literariſche Bekämpfung des Chriftentums in der Antike (B. Fr. Anwander) 
Die Perle als religiöfes Symbol (P. 080 Caſelu j 
Der Wandel in der Gegenwart Gottes und die hl. Therefia (B. Alois Mager) 
Die heiligen im Bewußtfein des Mittelalters und der Neuzeit (P. Sigisb. Mitterer) 
Die hl. Erentrudis. Erfte Äbtiffin der Frauenabtei Honnberg zu Salzburg (D. 

m. Raphaela Schlichtn ern 
Zur Pſuchologie der Orden (P. Alois Mager 
Befunde Frömmigkeit (P. Wolfgang v. Czernin-ꝛꝛꝛꝛꝛꝛ 


IV 


. Seite 

Die liturgiſche Weltſprache (P. Fidelis Böſ er 390 
dur Geſchichte des Klofterfeminars in Scheyern vor dem Jahre 1803 (Ober- 

ſtudiendirektor a. D. m. Rottmanneer rr 398 

Dom alten „Snadenhaus Mariä zu Grüſſau“ (B. Nikolaus v. Dutterotti) .. 414 


Wie der gottſel. Thomas von iempen mit dem Kirchenjahr lebte (P. St. Begel) 420 


Kleine Beiträge und Binweife 


budwig von Paſtor zum 70. Geburtstag (B. Sturmius liegel ) 69 
dur 6. Jahrhundertfeier des hl. Thomas von Aquin (B. Adalbert v. ee 70 
Herders Jeitlexikon (P. Hieronumus Hieneeaaagggg-ͤg--¶“9 71 
Die Sonntagsepifteln in der Predigt (P. Oaurentius Rupp )) 143 
Aus der liturgiſchen Bewegung in Öfterreih (Fr. Athanaſtus Winterſig ) . 144 
biturgiſche „Neuerungen“ am Rhein (P. Joannes Vollmar) 145 
Mittelalterliche Buchmalerei (P. Adalbert Schipperaga -)) 212 
Almanach catholique francais pour 1924 (P. Sturmius Regel) ........ 213 
biturgiſcher Kongreß in Mecheln 4.— 7. Huguft......... 22222000. 224 
Nikolaus Sihr (P. Fidelis Böſe rr 288 
Die Muſtik des hl. Bernhard von Clairvau (B. hugo Lang)... :...... 354 
Dom 27. Euchariſtiſchen Rongreß zu Amfterdam ......... 2.2.2022... 357 
Liturgie und Dolksfeelforge (P. Fidelis Böfer) ........ 2.222202. . 431 
Don den iriſchen Slaubensboten (C. Stigler) .....-. 22222222 enn 434 


Überfegungen » Verſuche · Gefefrüdhte 


Feierlied auf die heilige Kirche. Aus der alten ſuriſchen Kirchweihliturgie (Über- 
ſetzt von P. Pius Jinger le- 


Bin zu Chriſtus! (Biſchof Sigmund Waitz-;)ů: : 29 
Wurzel des Lebens (B. Sturmius fiegel .. 38 
Heilige Seelenluſt (Ruusbroeck; überſetzt von B. Willibrord Derkade)....... 53 
Karfreitag (P. Emmanuel Heufel der 106 
Semeinſchaft (B. Notker Würmfeer) . en nee ae iaee 112 
Seelenfrühling (derſelbee-“ů))))ʒy 123 
Weißer Frühlingskrokus (Seöicht von demſelbenrnr dg. 131 
Andern hat er geholfen (P. Emmanuel Heu felder 136 
Seliges Sterben (Sedicht von P. Notker Würmſeer 2... 141 
Anrufung der heiligſten Dreifaltigkeit (Aus dem römiſchen Brevier)...... 188 
Wege zum Choral (Nach Abt Benedikt Sauteerr·-⸗;;y hh 196 
Paulusleſung (Aus dem hl. Chruſoſtomu)))ö õ 208 
Blühende Kakteen (P. Sturmius Regel 22220 eneenn 228 
edelmenſch und heiliger (A. Rademacheeerss een 238 
Alſo hat Gott die Welt geliebt (J. Wittig)... 9) 247 
Die dunkle Uacht der Seele (Gedicht des hl. Johannes vom Areuz; überſetzt von 
Melchior von Diepenbrochchch / 264 
Sonnenuntergang und Sonnenaufgang (Nach C. Ferrinii “d 320 
Aufftiege zu Bott (nach demſelberdrnrr-an⸗nʒ 222er eerernene 342 


Adspiciam a longe (Rövents-Refponforium; überſetzt von R. Guardini). 389 


Beſprochene Bücher 


g Selte 

Abele, E., Der Dom zu Freiſteiiaů ng 358 
“van Aken, J., Chriſtozentriſche Rirchenkunſſßt . 1, 77 
“Almanach catholique francais pour 194A 213 
Arnold, B., Das Leben des hl. Horbiniaa gg 358 
S. Augustini Confessiones, Auswahl v. Wolfſchläger u. Roch 218 
Auguſtins Confessiones, Auswahl v. urfe ::. 218 
Bierbaum, M., Papſt Pius ¶J ie 218 
Böckl, C., Die Euchariſtielehre der ie Wyftiker des Mittelalters. 420 
Brauer, ch., Adolf Rolpinndnda¶d¶gagdgdgdgdgdgsgsgssss 361 
Chrift, J., Der Laienapoftel (I. Des Mannes Rredohʒ⁸rthre?ee 293 
6. de Cisneros -Schlichtner, Eine Schule dgs geiſtlichen Debennss 209 
Cumont, F., Die Myfterien des Mithtrtrr aqa. 146 
Donat, 9. Logica — Ontologia — Psychologia .......... . 216 
Döring, C., Dom Juden zum Ordensſtifter SERIE EC Bee 216 
v. Dunin-Borkowski, St., Gebete und Gedanken 150 
— Schoöpferiſche Viebtev hh 149 
Felder, 9. Zefüs Chriss 146 
Ferrini-Pellegrini-Mut, Gedanken und Gebeee 320 
Feſtgabe, Wiſſenſchaftl., zum 1200-jähr. Jubiläum des hl. Korbinian (Schlecht) 358 
Feu. AL, Advents- und Weihnachtsbetrachtungeasas 75 
»Fleiſcher, O. Die germaniſchen Nleumen eg 280 
Forbes, F. N., Papft Pius “i iii 218 
»Franſes, D., Die Werke der hl. Quodvultdeunas 0.. 58 
Frenken, G., Quellen zum Leben Karls d. G&G —m 222-2220 218 
Bebete, hit 147 
»Sihr, IL, Das heilige Meßopfer; u. eꝶ al...... 288 
van Binneken-Winkel, Der ganze Chriſtzaun sss 147 
Bottesdienft, Der, an unſeren Hochfeſten im Benediktinerorden (l 73 
*Gougaud L., Gaelic Pioneers of Christianiyuyhh ... 434 
Srabmann, M., Das Seelenleben des hl. Thomas von Rquj n 291 
»Sröber, K. nnd Merk, N., Das St. Honraòsjubiläum 1923. 80 
Sröhl, R., Die Aöventiſten und ihre D ehren 146 
Groſſe, E., Die oſtaſtatiſche Tuſchmal eri 77 
Suar dini, R., Der ſtreuzweg unſeres herrn und Beilandes . „ 148 
»St. Heinrichs literatur 19zͥ“yXcDJ000ͥh 0 366 
von Hirſcher⸗Wibbelt, Betrachtungen über die ſonntäglichen Evangelien... 294 
houtryve, J., La Vie dans la Pack. 360 
Jaco bi, Ft., Die deutſche Buchmalerei in ihren ſtiliſtiſchen entwicklungsphaſen 212 
Johannes vom kreuz, Des hl., Gedichte. 264 
*Aeftenberg, D., Muſtkerziehung und Muſtkpfl egg 15 
Kirchliches handbuch für das katholiſche Deutſchland (roſe )) 150 
Klaſſi ker Rkatholiſcher Sozialphilofophie, ſtehe Brauer u. Schwer . 361 
Klug, J., Der Heiland der Welt 215 
Au or, 9. B., Das Paienapoſtolaall² kk 294 
— Pauliniſche 8entenzzenmnng”ddd 215 
er ]ð⅛ A 215 
=: Therelia; Die BL: .. 8 217 
könig, W., Zurück zu Thomas von Nquj unn 291 


* Bücher mit vorgeſetztem Stern find in Nuſſätzen oder kleinen Beiträgen behandelt. 


VI 


Seite 

Rorbinianslegende, herausgegeben von J. Schlechte. 358 
Krebs E., Die Kirche und das neue Curoer enen 360 
— Dogma und PDebe nnd 32 . 2360 
— Was Rein Auge geſeherreddddddd‚ 362 
Krick, b., Die ehemaligen ſtabilen Klöſter des Bistums Paſſaavuu 219 
Rugler, F., Don Mofes bis Paulddssdʒzddʒddʒdd. 72 
bange, E., Wladimir Solow ioo. 148 
»Pinhardt, R., Die Muſtik des hl. Bernhard von Clairvaun kn 354 
Lippert, B., Das Weſen des Ratholiſchen Nenſcheeeeeee aa 74 
— Der hl. Roſenkran zzz VCC 148 
— Don Seele zu SeelmedadÖ’ . 75, 362 
— Fur Pfyhologie des Jeſuitenorde nnn. 369 
Manfer. H., Der heilige Kreuzweg 148 
"Maria baach, Abtei, Die betende Rircghhiiie hh 431 
— biturgiſche Volksbüchleignggggssss 431 
»Martin, Fr., Berchtesgadeeenrnnnnnn 68 
maunage- Hoffmann, Die Religion des Spiritism uuns 293 
Mengwaffer, 8., Commentarii in hymnos Breviarriii 74 
»miſſionsliteratur, Die gefamte des Xaveriusverlages Nachen . . 265, 404 
Dewman, g., Der Maimone e 148 
— Gott und die Seele 148 
— Karfreitagsbetrachtungereeee nd 148 
*Dapft Pius XI., Runöfchreiben zur 6. Jahrhundertfeier des hl. Thomas v. . 70 
— Zum 300. jährigen Todestag des hl. Joſap hae 360 
Parſch, P., Aus Brevier und meßbuch (- Vv“hh))))2)n)0! 73 
*Baftor, b. v., Charakterbilder Rath. Reformatoren des XVI. Jahrhunderts . 69 
— Geſchichte der Päpſte. IX. Bann „„ 69 
»Pfeilſchifter, 8., Die St. Blaſtaniſche Germania Sacra 59 
»Pfiſter, K., Die mittelalterliche Buchmalerei des Abendlandes 212 
Poſchmann, B., ftirchenbuße und correptio secreta bei Auguftinus .... 216 
Rainer» Kogler, Der hl. Franz 8oklas n 217 
Scheurlen, P., Die Sekten der Gegenwart. Pur 361 
Schlecht, J., Rebe Feſtgabe und Rorbinianslegende .....-.......... 358 
Schlund, E., Neugermaniſches Beidentum .........-.-enrrnen. 219 
Schlund Schmoll, Der moderne Menſch und feine religiöfen Probleme 361 
» Schmidt, W., Das feierliche Hochauiuek!!ku 144 
Schöpfer, K., Seſchichte des Alten Teſtamentss gz. 214 
Schwer, W., Papſt bes LIůů“⏑“/„“„ 361 
Solowjeff-Peftalozza, Drei Redeꝛenmwwd 148 
Spalding, g., Srundfäge chriſtlicher Lebensführung und Erziehung 148 
Stufler, J., Divi Thomae Aquinatis doctrina de Deo operante...... 290 
Tillmann, Fr., Die ſonntäglichen Epiſtee nnn. 143 
Tiſchgebet, Das liturgiſ cette. 74 
Tüshaus, K., Vater BenedikRtuunn n 76 
»Wagner, P., Einführung in die katholiſche Kirchenmuſt k 15 
Waſſerzieher, E., Sprachgeſchichtliche Plaudereiiengnss 76 
Weigert, J., Das Dorf entlaæaaeggzgaeagasas nnn. 151 
— Die Volksbildung auf dem Dandene 151 
»Wölflin, 8., Die Bamberger Npokalupſ a re 212 


“Aeitlerikon. Herdee sed aka 71 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Seite 
Trauer und Freude in Einſte deln 78 
Aus der ungariſchen Rongregatindddddddddddddzddz 78 
Dom St. Ulrichs - und St. Konraòsjubilauvguuuu 79 
Um die Salzburger Univerſttll·lͥz⁴iuſ 220 
Abtei vom hl. Kreuz zu Berftelle a. d. Weſee egg 221 
P. Maurus Rinter zum 60jährigen Profeßjubil .......... 2.0... 223 
Schreiben Sr. Heiligkeit Papſt Pius XI. an den Abt⸗ Primas des Ordens. 295 
Brief aus Ungam ... 2.2.2222: nennen. ur r 296 
ein letzter Gruß dem + P. Felix Hintemeyer, Prior u. Generalvikar von Belmont 363 
Abtbiſchof Leo Haid von Belmoert᷑rrrttt eeennn 363 
Abtei Grũſſau in Schleſ iin 364 
St. Erentrud zu Kellenried in Oberſchwaben 7d 365 
Dom heiligen Aaifer Heinrich und feiner Jahrhundertfeier 19221ùuu . 366 

Bilderklärungen 
Zu den Exlibris von Schäftlarn (P. Auguſtin Ulrih) .....-........ 152 
St. Pirmin fäubert die Reichenaii ee 224 
St. erentrudſtatuen vom Honn berge 368 
gohannes der Täufer und Martinnlnn¶ ns 440 
ſtunſtbeilagen 
B. Defiderius Lenz, Heilige Familie (Relieff̃ꝛꝛꝛꝛꝛꝛ . 1 
0. Hupp. St. Dionus und Juliana (Exlibris); 81 
A. Pacher, St. Dionus (exlibrissasçh ;;); 96 
Beuroner Schule, St. Pirmin ſäubert die Reichenau (Fresko) .......... 153 
Orcagna, Mariä Heimgang (Relief) ......-.-...- 2222 ernennen 225 
Stift Honnberg zu Salzbunnnnnn nns 297 
St. Erentrud (Statue, altgotilh).---- --- - >> - 2-20 nn. 312 
St. Rupert und Erentrud (Statuen vom Portal der Stiftskirche TIonnberg) .. 313 
Beuroner Schule, Johannes und Martinus (Relief)........ ee 369 
Textbilder 

Exlibris des Abtes Sigisbert von Schäftlarn (O. Hhup⸗ofhhhh))ʒß 124 


Wappen der Abtei vom hl. Kreuz zu Herſtelle a. d. Weſerr 223 


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P. Defiderius Denz: Heilige Familie 


(münchen 1858) 


Chriſtozentriſche Kirchenmuſik. 
von P. Fidelis Böſer (Beuron). | 


in neues Jahr hebt an. Darf heilige kunft den Reigen eröffnen? 

Warum follte fie es nicht dürfen? Sie präludiert und intoniert 
ja auch im Beiligtume, an der geweihten Pflegeftätte höchſten reli⸗ 
giöfen und geiſtigen Lebens. 

Im letzten Jahrgang dieſer Zeitſchrift hat das Werk van Ackens, 
„Chriſtozentriſche kKirchenkunſt“! eine Würdigung erfahren, ſoweit die 
bildende Kunſt in Betracht kommt. Die anregenden Unterſuchungen 
van Ackens erſtrecken ſich aber auch auf die tönende Aunft. Er 
ſchreibt in feinem Eingang: „In lebensinnigerer Verbindung mit dem 
heiligen Opfer am Altare als der Kirchenraum und Kirchenſchmuck ſteht 
der liturgiſche Seſang, die geſamte liturgiſche Muſik. Wir fragen 
daher in einem weiteren Teile dieſer Abhandlung, ob die nämlichen 
geiſtigen Elemente der Liturgie, welche den Kirchenbau und feine 
Ausftattung heute folgerichtiger als je beeinfluſſen möchten, auch die 
Grundſätze bilden können für eine Erneuerung und Veredelung 
der muſikaliſchen Meßopferkunſt . .. und ob die kirchliche Muſik 
auch ihrerſeits heute mehr als bisher zum großen und erhabenen 
Geſamtkunſtwerk im liturgiſchen Einheitsraum beitragen kann.“ Das 
Problem iſt von ſolch aktueller Bedeutung und die Art und Weile, 
wie es durchgeſprochen und der Löfung entgegengeführt wird, fo vor⸗ 
trefflich, daß nur zu wünſchen bleibt, es möchten alle Vertreter der 
Kirchenmuſik und in erſter Linie alle Prieſter nach den hier aufgeſtellten 
Grundſätzen ihre Mitwirkung beim Zuſtandekommen des liturgiſchen 
&unftwerkes einrichten. Die folgenden Ausführungen ſuchen van 
Ackens Gedanken weiterzudenken. In wenigen Einzelheiten muß ich 
einer abweichenden Auffaffung Ausdruck geben. Im Großen und 
Ganzen ſind mir aber van Ackens Worte aus der Seele geſprochen. 

If denn die Liturgie und mit ihr die liturgiſche Kunſt 
chriſtozentriſch? Suardini verneint dieſe Frage’. Dan Acken be- 
jaht fie und baut auf dieſem Ja alle feine Aufftellungen auf. Beide 
haben recht. Chriftus iſt nicht Mittelpunkt der Liturgie, inſofern als 
faft alle liturgiſchen Bebete und Handlungen den Dater zum Ziel ſich 
ſetzen und den Heiland nur als Weg und Mittler betrachten. Trotz⸗ 
dem kann man ſagen, die Liturgie ſei chriſtozentriſch. Sie iſt ja im 


Chriſtozentriſche Rirhenkunft. Ein Entwurf zum liturgiſchen Seſamtkunſtwerk 
von J. van Acken. Gladbeck i. W. 1922, Theben (ſ. Ihg. 1923, h. 9/10 8. 319-327). 
? Giterar. hand weiſer. Oktober 1923. 8. 595. 


Benebdiktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 1—2 1 


2 


Grunde nichts anderes als das Hoheprieftertum Chrifti, infofern es 
ſich ſichtbar und hörbar kundgibt in der betenden, opfernden und 
ſegnenden kirche. St. Benedikt ſagt faſt gleichlautend: nihil operi 
Dei praeponatur und Christo omnino nihil praeponatur. Das 
redende und handelnde Subjekt der Liturgie iſt nicht der einzelne 
menſch und nicht die einzelne Pfarrgemeinde, ſondern das corpus 
Christi mysticum, die Glieder mit dem haupte. Die erhabene Ge- 
ſtalt des ewigen hohenprieſters ſteht betend und opfernd und 
ſegenſpendend im Mittelpunkt alles liturgiſchen Geſchehens. 
Don einer richtigen Auffaffung des Chriſtusgedankens aus iſt allein 
eine verſtändnisvolle und fruchtbare Mittätigkeit bei der Liturgie 
möglich, und nur von dem lebensvoll und begeiſtert erfaßten Chriſtus⸗ 
gedanken aus iſt auch eine Erneuerung der liturgiſchen Tonkunſt zu 
erzielen. 


Die &kunft im heiligtum der Liturgie iſt Ausdruck der Ehr⸗ 


furcht und Liebe. Vor Perſonen, denen wir hohe Achtung und 
Verehrung zollen, geben wir unferem Auftreten und Reden das 
Feſtgewand der Form. Dor dem Allerhöchſten iſt es das Feierkleid 
tiefſten und beſten Könnens, die prieſterliche Hunſt und das künſtle⸗ 
riſche Prieſtertum der in Chriſto geadelten und mit dem Hohenprieſter 
vor dem Vater in tiefſter Ehrfurcht ſich beugenden Menſchheit. Noch 
mehr als die Ehrfurcht hat ſich von jeher die Liebe in künſtleriſcher 
Form geoffenbart. Wenn die Liebe das herz bewegt, dann wird das 
Wort zum Gedicht und das Gebet zum Pſalm und die Sprache zum 
melodiſchen Sang. Das gilt auch, wenn jene Liebe redet, von der 
Chriftus in feierlicher Stunde zum Dater fleht: „Caß die Liebe, mit 
der du mich liebteſt, in ihnen fein” (Joh. 17, 26). Dieſe gottentſproſ⸗ 
ſene Viebe ſpricht ſich in der Liturgie aus. hier wird der wunderbare 
biebesverkehr zwiſchen Sohn und Vater im Schoße der heiligſten 
Dreifaltigkeit hörbar auf Menſchenlippen, vernehmbar für menſchliche 
Ohren, und ſtaunend lauſcht die Erde dem Hohenlied übernatürlicher 
Liebe, klingend aus den Saiten menſchlicher Muſik, die aber eine 
prieſterliche Aunft geworden iſt durch die Berührung mit Chriſtus, 
dem ewigen Bohenpriefter. | 

Alle liturgiſche Aunft iſt chriſtozentriſch und ſoll es fein. Aber am 
meiſten muß es die Tonkunſt ſein. Denn ſie tritt näher an das 
Allerheiligſte heran als jede andere Aunft.: Die Architektur baut das 
Heiligtum für die Liturgie. Die Skulptur und die Malerei ſchmücken 
es aus. Aber die Tonkunſt hilft die Liturgie ſelbſt vollziehen. Sie 
iſt ein Teil der Liturgie, ein Stück der liturgiſchen Opfergabe. Sie 


3 


kommt näher an Chriftus heran, fie tritt enger hinzu in den gehei⸗ 
ligten Bannkreis ſeiner erhabenen Perſönlichkeit. Sie berührt nicht 
bloß den Saum feines Gewandes, fie vergoldet nicht bloß den Kelch 
in ſeiner prieſterlichen hand. Sie iſt der hauch ſeines Mundes, der 
fitem feines herzens. Der Puls feines koſtbaren Blutes wird zum 
Rhuthmus ihres Sanges. 


hier iſt ein Punkt, bei dem ich glaube, die Ausführungen van Ackens ergänzen 
zu müſſen. Der chriſtozentriſche Charakter der liturgiſchen Mufik liegt nicht bloß 
darin, daß fie „den Herrn feiert in den humnen des Ordinariums der Meſſe“ und 
ihm folgt durch das Kirchenjahr“, auch nicht bloß darin, „daß fie an dem auf 
Chriftus gerichteten Einheitscharakter des Opfers auch in einer weſentlich einheitlichen 
Form teilnehmen muß“ und „ſich ſogar für berufen halten wird, die innerliche Ent⸗ 
wicklung der Opferteilnehmer zur Derklärung durch ihren eigenen Aufbau darzu- 
ſtellen“. Noch weniger möchte ich mir den Satz zu eigen machen: „Vor allem liegt 
der chriſtozentriſche Charakter der Meßopfergeſänge darin, daß hier die Mufik ver⸗ 
möge ihrer beſonderen Eindruckskraft auf das menſchliche Herz in hervorragendem 
Maße berufen iſt, die Seelen der Opferteilnehmer von den Banden der Umwelt zu 
befreien und fie ſinnefeſſelnd zu ſammeln für die lebendige Mitfeier des Geheimniſſes.“ 
Das alles find äußere Beziehungen, Folgerungen aus der inneren Weihe und heilig ⸗ 
keit der Meßgefänge. Chriſtozentriſch iſt die liturgiſche Tonkunſt, weil fie das Feier- 
kleid der heiligen liturgiſchen Worte ift. Dieſe heiligen Worte find im Grunde Worte 
Chrifti, Worte des betenden Leibes Chriſti und darum auch Worte des Hauptes, 
des betenden Hohenprieſteis, Worte des Wortes Gottes. Die liturgiſche Mufik 
it das Sewand des Wortes Gottes, und weil im Singen Wort und Weile 
einen ganz einzigartigen Bund eingehen, eine wunderbare Vermählung feiern, ſo 
wird die liturgiſche Tonkunſt wirklich eine hoheprieſterliche, gottmenſchliche Kunſt. 
Der Derklärungsglanz des verherrlichten Beilandes ruht auf ihr und ſtrahlt aus 
ihrem Singen und Klingen, der Pulsſchlag ſeines heiligſten Herzens wird fühlbar 
in ihren Rhythmen, der Reichtum feiner gottmenſchlichen Innerlichkeit wird hörbar 
in ihren Melodien. Es iſt nicht übertrieben, wenn einer unſerer Modernen ſchreibt: 
„Diefer Seſang iſt Kult, ſtinnliche Gegenwart des Göttlichen, heiliger Beift als klang.“ 

erich Wolff redet an der angeführten Stelle vom gregorianiſchen Choral und 
es ift kein Wunder, wenn man gerade von dieſen Gedanken aus zu einer anderen 
Bewertung des frühchriſtlichen Befanges und ſeinem Verhältnis zu ſpäteren Stilarten 
als van Acken gelangt. Nicht als ob ich die wahren und ſchönen, von wirklicher 
hochſchätzung für die am meiſten chriſtozentriſche Mufikgattung zeugenden Ausfüh- 
tungen des Derfaffers der „chriſtozentriſchen Kirchenkunſt“ (8. 72 f. und 8. 81 f.) in 
ihrer Aufrichtigkeit anzweifeln wollte. Aber er glaubt fein Lob wieder einſchränken 
zu müſſen, wenn er ſchreibt, die neuere Tonkunſt fei „den Gegenwartsmenſchen ver- 
ſtändlicher und vermöge fie unmittelbarer zu ergreifen“ und darum könnten wir 
‚auf das machtvolle Mittel neuerer Tonkunft, mit einigen loten den Menſchen der 
Segenwart in eine gewollte Stimmung zu verſetzen, für die Einführung in das er- 
habenfte Religionsgeheimnis nicht verzichten. Dieſe Mufik ſoll über die Fähigkeit, 
den Text tiefer als bisher zu deuten, hinaus zugleich das Unausſprechliche litur⸗ 
gischen Chriſtuslebens uns näher zu bringen ſuchen als zuvor“. 

Das trifft doch wohl nur dann zu, wenn wir den Begriff „Gegenwartsmenſch“ 
ſtark negativ nehmen für Menfchen, die derart von der materiellen Gegenwart be- 
laſtet find, daß fie weder für die geiftigen, kulturellen Werte der Aunft, noch für 


1 wel Deieefen, Das Schickſal der Muſtk von der Antike zur Gegenwart. Breslau 1923, Ferdinand 
. 43 f. 


* 


1° 


4 


die religiös-myftifhen Werte der Liturgie viel Sinn übrig haben. Wenn aber die 
pſuchologiſchen Vorbedingungen für ein tieferes Derftändnis des Ratholiſchen Gottes- 
dienſtes und der kirchlichen Mufiik gegeben find, wenn jemand das Wefentlihe in 
der Tonkunft von unweſentlichen Effektmitteln zu unterfcheiden vermag und imſtande 
iſt, das chriſtozentriſche muſtiſche Weſen unſeres Aultlebens in feiner ganzen Tiefe 
zu erfaſſen, dann wird er mit Pius X. „überzeugt fein, daß auch der feſtliche 
Gottesdienſt nichts an Feierlichkeit verliert, wenn er auch nur von 
gregorianiſcher Mufik begleitet iſt“!. 

Oftern ift das höchſte Freudenfeſt des Kirchenjahres und der Introitus von Oftern 
gehört zu jenen Befängen, die in der gregorianiſchen Faſſung wirklich dem Der- 
ſtändnis Schwierigkeit bereiten. Aber wenn wir den chriſtozentriſchen Charakter 
der Liturgie verſtehen und, von der ganzen Tiefe dieſes Gedankens erfüllt, uns in 
die Seele des Auferftandenen einfühlen und mit ihm das innige Gebet zum Dater 
ſprechen: Resurrexi et adhuc tecum sum... „Erftanden bin ich und mit dir ver- 
eint... — wer von uns möchte eine andere Weiſe wünſchen als die einſtimmige, 
diatoniſche, freirhuthmiſche, hupophrugiſche der alten Kirche mit ihrem ſtill verhaltenen 
ſeligen Jubel und ihrer ganzen heimlichen Innerlidkeit und Innigkeit? Wer hier 
die Mehrſtimmigkeit und die Chromatik und den Taktrhuthmus und das Dur oder 
moll und die orcheſtrale Farbenpracht der modernen Tonkunſt ſchmerzlich vermißt, 
darf es nicht übel nehmen, wenn man die Tiefe Jeines Derftändniffes für die chriſto⸗ 
zentriſche Liturgie in Zweifel zu ziehen wagt. 

Wenn Richard Wagner im Parfifal das Wort des Herrn von der Einfegung 
des heiligen Abendmahls vertont, wird er einſtimmig und freirhuthmiſch und dia⸗ 
toniſch — letzteres wenigſtens im erſten Satze. Die begleitenden Celli und Bäſſe 
wagen nur zitternd in der Tiefe die harmonie mehr anzudeuten als klingen zu 
laſſen aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit des herrenwortes. So verfährt der Meifter 
von Bayreuth nur aus künftlerifhen Rückſichten. Wenn er aber beffer mit dem 
gregorianiſchen Choral vertraut geweſen wäre, und wenn er das Glück gehabt hätte, 
katholiſch und mit den großen und tiefen Gedanken unferer heiligen Liturgie er- 
füllt zu fein und die ganze großartige Myftik des chriſtozentriſch kirchlichen Gebets- 
und Opferlebens erfaſſen zu können — gewiß wäre er unſeren ehrwürdigen litur⸗ 
giſchen Weiſen noch näher gekommen. 

Ohne Zweifel gibt es genug Katholiken, die trotz ihrer Bekanntſchaft mit unſerem 
herrlichen Gottesdienſt und trotz ihrer künſtleriſchen Feinfühligkeit — ja vielleicht 
gerade wegen dieſer Rünſtleriſchen Feinfühligkeit noch kein inneres Verhältnis zum 
gregorianiſchen Seſang gefunden haben. Die Orte ſind eben zu zählen, an denen 
ein muſtergültiger Choral zu hören iſt. Wenn aber einmal unſere Kirchenchöre an⸗ 
fangen, mit derſelben Liebe und mit demſelben Zeitaufwand die früh- 
chriſtlichen heiligen bieder zu üben und zu pflegen wie ſeither die ſpäteren 
Stilarten, dann wird ſich bald im Volke das Urteil zugunſten dieſer herrlichen ehr⸗ 
würdigen Aunft ändern. 

Damit ſoll keineswegs einer Verdrängung der neueren Mufik aus dem litur« 
giſchen Kottesdienft das Wort geredet werden. Aber es gilt dem gregorianiſchen 
Choral ſein Anſehen und ſeinen Rang und eine ſeinem Rang entſprechende Pflege 
zu ſichern. Auch darf nicht die Meinung aufkommen, als ſeien etwaige Mängel 
der altchriſtlichen Aunft, oder ihr Ungenügen gegenüber berechtigten Anſprüchen 
einer neuen Zeit, oder die Unmöglichkeit eines Verzichtes auf die Reize der neueren 
muſik die Urſache, warum von der Kirche für den liturgiſchen Gottesdienſt auch 
der Paleſtrinaſtil empfohlen und die moderne Tonkunſt zugelaſſen iſt. Die klaſſiſche 
Dokalpolyphonie findet die Anerkennung der höchſten kirchlichen Autorität, weil fie 
in hohem Maße den von Pius X. aufgeſtellten Vorbedingungen würdiger Kirchen. 


„ Motu proprio vom 22. November 1903. Nr. 3. 


5 


muſik erfüllt. Ift in ihr auch nicht die ideale höhe der altkirchlichen Kunſt erreicht, 
fo „ſchließt fie ſich doch aufs innigſte an das oberſte Vorbild und Muſter, den gre⸗ 
gorianiſchen Seſang an““. Die neuere Mufik endlich iſt in der Giturgie „zugelaſſen“. 
„Die Kirche hat den Fortſchritt der Künſte immer anerkannt, ja denſelben gefördert. 
Alles, was der Beift im Laufe der Zeiten Schönes und Gutes ſchuf, zog ſie — freilich 
nach Maßgabe der liturgiſchen Befege — in ihren Dienſt. Unter dieſem Geſichts⸗ 
punkte iſt auch die neuere Tonkunſt im Gotteshauſe zuläffig. hat fie ja 
doch auch Werke aufzuweiſen, die an Büte, Ernft und Würde nichts zu wünſchen 
übrig laſſen und in keinem Stücke gegen den liturgiſchen Geift verſtoßen. Weil 
jedoch die moderne Mufik aus profanen Schöpfungen hervorgegangen ift, muß man 
bei ihrer Derwendung Vorſicht gebrauchen. Es ſoll daher nur ſolchen Rom⸗ 
pofitionen neueren Stils die Pforte des Gotteshauſes offen ſtehen, die nichts Welt- 
liches enthalten, nicht an das Theater erinnern und auch in ihrer Form nichts mit 
den profanen Werken gemein haben““. 

Das klingt doch anders als van Ackens oben angeführte Sätze. Die Kirche hat 
ſich in ihrem Verhältnis zur nachgregorianiſchen Tonkunſt immer auf dieſen mütter⸗ 
lich liebenden und duldenden Standpunkt geſtellt. Wenn ſie auch die frühchriſtliche 
Sangesweife mit ihren dienend ſich der Liturgie einorönenden, betend das heilige 
Texteswort tragenden und ehrfurchtsvoll dasſelbe ſchmückenden Melodien als die 
eigentliche liturgiſche tonkünſtleriſche Mutterſprache betrachtete und als koſtbaren 
Schatz hütete und für alle Bedürfniſſe als ausreichend erklärte, ſo wurden doch die 
Rünftler aller Zeiten mit mütterlicher Liebe aufgenommen und eingeladen, in heiligem 
Wettſtreit zu zeigen, inwieweit die fortſchreitenden künſtleriſchen Mittel das erreichen, 
was gregorianiſche Einfachheit und Größe fo unübertrefflich geleiſtet hatte. Das 
Ideal war vorhanden. Wie ein leuchtender Edelftein funkelte der koſtbare Schatz 
der altchriſtlichen 8eſänge. Liebend hält ihn die treue Hüterin der herandrängen- 
den Bünftlerfhar entgegen und ruft ihnen zu: „Rommet und ſehet und bemüht 
euch, mit euren kontrapunktifhen Künſten und eurer harmoniſchen Farbenpracht, 
mit eurer Chromatik und Polurhuthmik, mit euren Streichern und Bläſern fo chriſto⸗ 
zentriſch ſingend zu beten und betend zu ſingen, wie eine untergegangene helden⸗ 
zeit es vermochte!“ 

Es war eine ſchöne und erhabene Hufgabe, die die Kirche ſtellte. Wie großartig 
hat fie durch die Jahrhunderte mit dieſer Aufgabe die Tonkunſt gefördert! Hunderte 
und Taufende der beſten Romponiften haben ſich immer wieder an die Arbeit gemacht. 
Freudig und dankbar hat die Mutter die Gaben ihrer Kinder aufgenommen. Sie 
war nie kleinlich und engherzig. Uur wenn Unheiliges und Lafzives ſich ein- 
ſchleichen wollte, hat ſte abgewehrt. Unvergängliches iſt in allen Stilarten geleiſtet 
worden. Aber unerreicht in ſeiner einzigartigen Einfachheit und Größe ſteht immer 
noch der gregorianiſche Choral am erſten Platz im Beiligtum der Liturgie. 


Ob die Tonkunſt von heute und von morgen der von der 
Kirche geftellten Aufgabe beſſer gerecht werden kann als in den ſieben 
letzten Jahrhunderten? Dan Acken bejaht die Frage vertrauensvoll 
und hoffnungsſelig. Er meint ſogar fie könne den Princeps mu- 
sicae überflügeln: „Schon weil die neue liturgiſche Mufik im Gegen⸗ 
ſatz zur ſtrengen ktontrapunktik (Paleftrinas) die Schärfe der Rhuthmik 
zu mildern und vor allem den Textworten wahrhaft gerecht zu werden 
vermag, kann fie ein viel innigeres Verhältnis zur Liturgie und auch 
zum frühchriſtlichen, freirhuthmiſchen und terthebenden Choral ein⸗ 


Motu proprio Pius’ X. n. 4. 2 Ebd. n. 4. 


6 


gehen als jene. Eine neue, tief liturgiſch gedachte Tonkunft wird fo 
im Verein mit dem älteften Choral wieder zur ftrafferen, wenn auch 
nicht abſoluten Einheit von Inhalt und Form in der Meßopfermufik 
führen. Das ift ein großer Gewinn der Zeitgleichung, Frühchriſten⸗ 
tum und Gegenwart“. 

Pius X. ſtellt den Paläſtrinaſtil höher als alle andere nachgre⸗ 
gorianiſche Muſik. Doch iſt das nur ein ſcheinbarer Widerſpruch zu 
van Acken. Derſchiedene Anzeichen deuten darauf hin, daß wirklich 
die neueſte Tonkunft wieder mehr vom gregorianiſchen Choral lernen 
will, alſo vielleicht mit dem Altargeſang des Prieſters ſich ſtilvoller 
verbinden kann als felbft die klaſſiſche Dokalpolyphonie und um ſo 
mehr als die ſpätere Kirchenmuſik. Möge ſich dieſes Lernen vom 
Choral nicht bloß auf formale Eigentümlichkeiten erftrecken. Die 
Seele des frühchriſtlichen Befanges ift feine chriſtozentriſche Innerlich⸗ 
keit, fein Beten mit Chriftus zum Dater, fein von allem Spekulieren 
auf die Sinnlichkeit, von aller eiteln Selbſtbeſpiegelung und von allem 
Buhlen um den Beifall der Maſſen reines, ſelbſtloſes Eingehen auf 
das Wollen der Liturgie. 

Die Mufik war von jeher ein getreuer Spiegel ihrer Zeit. 
Seit dem ausgehenden Mittelalter entzieht ſich die chriſtliche Gefell- 
ſchaft mehr und mehr dem Einfluß des Chriſtusgedankens und damit 
auch ſeiner einigenden und gemeinſchaftbildenden Macht. Die Welt⸗ 
anſchauung und mit ihr die Tonkunft wird anthropozentriſch und 
egozentriſch, fie kreiſt um den Menſchen und das Ich. Die Cofung 
der altchriſtlichen Mufik war: Te decet laus, te decet hymnus, tibi 
Gloria, Deo Patri et Filio cum Sancto Spiritu, „Dir gebührt Cob, 
Dir Preisgefang, Dir Verherrlichung, Dir dem Dater und dem Sohne 
mit dem hl. Geiſte“!. Sie dachte und fühlte und fang theozentriſch 
und chriſtozentriſch. Der neuzeitliche Tonkünftler fragt: Wie be⸗ 
friedige ich mein religiöfes Bedürfnis? Wie ſpreche ich mein eigenes 
perſönliches Empfinden aus? Das iſt der egozentriſche Individualismus 
und Subjektivismus der neuen Zeit. Er klang auch aus den Befängen 
an gottgeweihter Stätte. Kein Wunder, wenn dieſe mit Citurgie und 
gregorianiſcher Kunſt eine befriedigende Einheit nicht bilden konnten. 

Die Liturgie iſt theozentriſch wie das wahre Chriſtentum 
überhaupt. Sie iſt die Offenbarung einer vom Ich unabhängigen, 
übernatürlichen Wirklichkeit. Der hl. Johannes ſieht auf Patmos, 
wie fie ſich herabneigt: Vidi civitatem sanctam Jerusalem novam 


Alte chriſtliche Doxologie der Apoſt. ftonſtitutionen nach dem Benediktinerbrevier 
(vgl. Regel des hl. Benedikt Rap. 11). ö 


7 


descendentem de coelo a Deo. „Ich ſah die heilige Stadt, das neue 
geruſalem aus dem Himmel von Gott herabkommen.“ Die Kirche 
ſingt dieſe Worte und wendet ſie an auf den liturgiſch geweihten 
Raum. Die Liturgie iſt nicht eine konſtruktion des Ich. Sie gehört 
zu jenen iustificationes Dei, zu jenen Rechtsanſprüchen und Rechts⸗ 
offenbarungen Gottes, von denen der längſte der Pſalmen nicht müde 
wird zu fingen. Da heißt es eben auch für die Jünger der neueren 
Tonkunft, die der ktirchenmuſik ſich widmen wollen wie im Evangelium: 
ue ere, „denkt um!“ Fragt nicht beim Komponieren der litur⸗ 
giſchen Texte: Wie befriedige ich mein religiöfes Bedürfnis? auch 
nicht: Wie kann ich hier mein perſönliches Ich und mein Innenleben 
offenbaren? Auch nicht: Wie ernte ich eine günſtige kritik und reichen 
Beifall? ga nicht einmal: Wie werde ich die Leute in eine fromme 
Stimmung verſetzen? Sondern vielmehr: Wie betet Chriſtus der ewige 
hoheprieſter dieſe Worte? Wie verherrlicht Chriſtus und mit ihm 
das corpus Christi mysticum in dieſen Worten den Allerhöchſten? 
Wie faßt der gregorianiſche Choral dieſen Text auf? Welche Aufgabe, 
welche Stelle hat dieſer Befang im Rahmen des liturgiſchen Dramas? 
Die verträgt er ſich mit dem Stil des gregorianiſchen Prieſtergeſanges 
am Altare? Und wenn es ſich um Gloria, fredo oder Sanktus han⸗ 
delt: wie ſchließt er ſich an die Intonation des Felebranten an? | 

Die Meßgefänge müſſen aus der gläubig, verſtändnisvoll und lie⸗ 
bend erfaßten und erlebten Meßliturgie heraus- und in den litur⸗ 
giſchen Rahmen hineinkomponiert fein. Aus der Liturgie und in 
Einheit mit der Liturgie iſt der Choral entſtanden. Auf die gre⸗ 
gorianifchen Komponiſten wirkte die Rückſicht auf die liturgiſche Stel⸗ 
lung und Umgebung der Geſänge ebenſo beſtimmend ein, wie die 
Rückſicht auf den Text und feinen Inhalt. Ein und derfelbe Text 
wurde in verſchiedene Melodien gekleidet, wenn er in der Meß⸗ 
liturgie an verſchiedenen Stellen erſchien. Das Ad te levavi hat eine 
andere Singweiſe, wenn es am erſten Advents ſonntag als Introitus 
den Einzug der Prieſterſchaft, und anders wenn es als Offertorium 
den Opfergang der Gläubigen zu begleiten hat. Dies Formgeſetz gilt 
nicht nur, wenn es ſich um einen Befangstezt handelt, der in einer 
und derſelben meſſe zweimal vorgetragen werden foll, wo man das 
Bedürfnis nach Abwechslung als Grund anführen könnte. Der Pfalm: 
vers Os justi wird muſtkaliſch anders gedeutet, wenn er am Feſte 
eines gewöhnlichen Bekenners als Introitus und anders, wenn er 
am Feſte eines Rirchenlehrers als Braduale Derwendung findet. Die 
liturgiſche Stellung wirkt formgebend und ſtilbildend im 


8 


gregorianiſchen Choral. Dies Geſetz geht ſogar ſoweit, daß zwei ver⸗ 
ſchiedene Texte eine und dieſelbe Melodie erhalten können, wenn ſie 
die nämliche Aufgabe in der Liturgie zu erfüllen haben. 


So ſteht ſchon in den Handͤſchriften des erſten Jahrtauſends, alſo in der Blüte⸗ 
zeit des Chorals, die nämliche, prächtige Melodie verzeichnet für die beiden Offer⸗ 
toriumsgeſänge Stetit angelus (Engelfefte) und Justorum animae (Martyrerfefte) 
und es iſt nicht leicht zu Jagen, für welchen der beiden Texte die Dertonung ur⸗ 
ſprünglich beſtimmt war. Ja, zwei nach dem heutigen Empfinden ſo auseinander 
gehende Gefänge, wie das Haec dies an Oſtern und das Requiem aeternam aus 
dem Totengottesdienft haben dieſelbe Melodie. Sie haben dieſelbe liturgiſche Stellung 
als &raduale zwiſchen den bibliſchen beſungen der Vormeſſe. 

Wir find in einem ſolchen Falle fofort bereit, ein künſtleriſches Minderwertigkeits- 
urteil zu ſprechen. Und doch wäre das ſehr voreilig. KRünſtleriſch minderwertig 
müßte man das Derfahren ſicher nennen, wenn die beiden Seſänge — trotz der an⸗ 
ſcheinenden Derſchiedenheit — nicht ſo vieles miteinander gemeinſam hätten und wenn 
ein Text ganz wahllos und rein mechaniſch in eine beſtehende melodiſche Form 
gepreßt würde. Aber das iſt in der gregorianiſchen Blütezeit nicht der Fall geweſen. 
Vielmehr enthält die Auswahl ſolcher Texte und Melodien und die Art ihrer An⸗ 
paſſung ſo viele künſtleriſche Feinheiten, daß wir ſehr beſcheiden ſein müſſen mit 
unſerer Kritik“. Gemeinſam haben die beiden Seſangſtücke zunächſt die Stellung 
in der biturgie — und darauf kommt es hier in erſter Pinie an, zu ſehen, wie die 
gregorianiſchen Künſtler aus der Liturgie heraus und in Einheit mit der Liturgie 
gearbeitet haben. Bemeinfam haben die beiden Gradualgeſänge aber auch den 
Gedanken und den Sefühlsinhalt. Wir dürfen nur nicht den anthropozentriſchen und 
egozentriſchen Standpunkt der nachgregorianiſchen Mufik einnehmen, ſondern müſſen 
Ernft machen mit dem chriſtozentriſchen Weſen der Liturgie und die Ronſequenzen 
aus ihm ziehen: Oſterfreude und Totentrauer liegen beim erſten Anblick weit aus⸗ 
einander. Aber Ofterliturgie und Totenliturgie bieten uns ein und denſelben Ge- 
danken und ein und dasſelbe gefühlsbetonte Erlebnis, das eine Mal als Grund 
unferer Freude, das andere Mal als Quell unferes Troftes: den Glauben an den 
Auferftandenen und die hoffnung auf unſere Auferftehung. Es iſt derſelbe verklärte 
Chriſtus, der mit feinem muſtiſchen Leibe vereint das Requiem aeternam und das 
Haec dies betend ſingt. Derſelbe verklärte Chriſtus, der fein eigenes Grab und 
das Srab der mit ihm in der Liturgie vereinten Chriſten aus einer Siegesſtätte des 
Todes zu einer Pforte des Lebens umgeſchaffen hat. Unſer abſprechendes Urteil 
war alſo verfrüht. 


Die Choralkomponiften lebten mit der Liturgie und fangen für die 
Liturgie. Dagegen darf ſelbſt unſeren großen und größten Meß⸗ 
komponiſten die herbe kritik nicht erſpart bleiben, daß fie in dem hei⸗ 
ligſten Muſikdrama einzelne Gefangstezte ohne Rückſicht auf den 
liturgiſchen Juſammenhang und ohne Derftändnis der litur— 
giſchen Abſichten vertonten. Das zeigt ein Vergleich der grego⸗ 
rianiſchen und nachgregorianiſchen kredoauffaſſung. 

Im vatikaniſchen Graduale ſtehen vier verſchiedene kiompoſitionen 
des nizäniſchen Glaubensbekenntniſſes. Sie alle haben gemeinſam 
die einfache, rezitativartige Melodiebildung. Die Sätze find ähnlich 


1 Vergl. dazu: P. Dominikus gohner, neue Schule des gregorianifchen Choralgeſanges“ (1921) 
Regensburg, Puſtet. 8. 140 f. f 


9 


behandelt wie die Derfe der Pfalmodie, aber ohne die ſtrenge Regel- 
mäßigkeit der Wiederholung. Eine einzige Brundftimmung durchzieht 
das Ganze. Bei aller Einfachheit ift aber die Dertonung fo kunſtvoll, 
daß ſich der umfangreiche Text ohne Ermüdung und ohne den Ein- 
druck der Dürftigkeit oder öder, langweiliger Gleichförmigkeit zu 
wecken, zu Ende fingen läßt. Das entſpricht der Nuffaſſung der 
biturgie. Sie betrachtet das kiredo als einfaches Bekenntnis des 
Glaubens, als Ausdruck der einen Srundftimmung, die alle die ver⸗ 
ſchiedenen Wahrheiten mit derſelben Bereitwilligkeit und Dankbarkeit 
annimmt. Im Gegenfag dazu behandeln die meiſten nachgregoria⸗ 
niſchen Komponiſten das nizäniſche Glaubensbekenntnis als ein weit⸗ 
ausgedehntes Feld, auf dem alle Gefühle des Menſchenherzens ſich 
tummeln dürfen. Freude und Leid, Hoffnung und Furcht, jubelndes 
Frohlocken und düſteres Derzagen wechſeln miteinander ab. Jeder 
Slaubens artikel löſt andere Empfindungen aus. Das ift aber nicht 
das liturgifche Slaubensbekenntnis, ſondern eine empfindungsſelige 
Betrachtung über die einzelnen Dogmen, die die Sänger ermüdet, 
die 8emeinde aufhält und zerftreut, die Liturgie ſtört und zerreißt, 
den Prieſter am Altar veranlaßt, entweder die Mleffe über Gebühr 
auszudehnen oder — was noch ſchlimmer iſt — den wichtigen erſten 
Hauptteil der Meßliturgie, die Opferung, ſtill für fi vorzunehmen, 
ohne daß das Dolk — dem Geſange lauſchend — fi daran beteiligt. 
Das alles, weil der Tonſetzer feine Aufgabe verkehrt aufgefaßt und 
die felbftverftändliche Forderung nicht erfüllt hat, aus der Liturgie 
und für die Liturgie zu komponieren. 

Das iſt aber nicht etwa eine Forderung, die von außerkünſtleriſchen 
Rückſichten diktiert wird. Stellen wir uns nur auf den rein äſthe⸗ 
tiſchen Standpunkt: der echte Künſtler betrachtet die Teile eines 
künftlerifhen Ganzen, nicht als ſelbſtändige Einheiten, die getrennt 
voneinander für ſich eine Sonderexiſtenz führen. Die Sätze einer 
Sonate, einer Symphonie, die Szenen eines Dramas ſtehen unter⸗ 
einander in einem Abhängigkeitsverhältnis, das nicht ungeſtraft außer 
acht gelaſſen werden kann. Der kiomponiſt einer „Meſſe“, die nicht 
für den onzertſaal, ſondern für die Liturgie beſtimmt iſt, ſteht vor 
den Teilen einer künſtleriſchen Einheit. Die künſtleriſche Einheit nun 
wird von den meiſten Rirchenmufikern verkehrt aufgefaßt als die 
Suitenform, die man feit dem fünfzehnten Jahrhundert „Meſſe“ nennt“, 
alfo die Zufammenftellung der fünf Geſänge (Ayrie, Gloria, ktredo, 


gl. P. Wagner, Geſchichte der Meſſe. 1. Teil. Peipzig 1918, Breitkopf & Härtel. 8. 22 ff. 


10 


Sanktus mit Benediktus und Agnus Dei), die in den neuen litur⸗ 
giſchen Büchern als Ordinarium missae im Anhang zum Graduale 
aufgeführt werden. Es iſt bezeichnend, daß dieſer Begriff der muſika⸗ 
liſchen „Meſſe“ erſt der Zeit des ausgehenden Mittelalters entſtammt, 
alfo einer Zeit, da das anthropozentriſche Denken ſchon ſoweit das 
geiſtige Band der gemeinſchaftbildenden Liturgie gelockert hatte, daß 
weite Rreife zum Abfall reif waren. Solange noch das Volk und 
feine geiſtigen Führer, namentlich die Künſtler aus der Liturgie und 
mit der Liturgie lebten, war ihnen das heilige Muſikdrama der Meſſe 
eine lebensvolle Einheit, die ſich nicht ſtillos zerſtückeln ließ. Noch 
im gahre 1500 wurde in Baſel ein Graduale gedruckt, in dem die 
einzelnen Stücke des ſpäteren Ordinarium missae noch nicht im 
Zuſammenhang aufgeführt werden!. Die vollſtändige Missa cantata, 
die wir gewöhnlich Hochamt nennen, iſt ein einziges künſtleriſches 
Ganzes, die große Einheit, die der Tonkünftler im Ruge haben muß. 
Dazu gehören außer kiurie und Gloria etc. noch die wechſelnden 
Meßgefänge Introitus, Graduale uſw. die prieſterlichen Befänge, die 
geſungenen Gebete und Lefungen und vor allem die heilige Opfer⸗ 
handlung, die den Weſenskern des ganzen Dramas bildet. Soll nun 
die Srundvorausſetzung der Kirchenmuſik erfüllt werden, die auch das 
Motu proprio Pius“ X. an die Spitze ſtellt, nämlich daß alle litur⸗ 
giſchen kkompoſitionen echte und wahre Aunft bieten, dann muß fi 
der Tondichter des Juſammenhangs aller einzelnen Gefangsftücke mit 
dem künſtleriſchen Banzen bewußt bleiben, er darf nichts bringen, 
was aus dem liturgiſchen Stil herausfällt und die im Opfer des 
ewigen Hohenprieſters gipfelnde Einheit zerſtört. Das iſt der künſt⸗ 
leriſche Sinn des chriſtozentriſchen Programmes. Wird nun 
aber, wie es faſt die geſamte neuere Muſik getan hat, das kiredo 
oder überhaupt das Ordinarium missae im Gegenſatz zu den litur⸗ 
giſch wichtigeren Wechſelgeſängen grundlos einſeitig betont und un⸗ 
gebührlich weitſchweifig behandelt, ſo iſt das nicht nur ein Fehler 
gegen liturgiſche Regeln, ſondern ein Derftoß gegen eine grundlegende 
Forderung der Äfthetik. 

Es wäre nun eine ſchöne und ſehr dankbare Aufgabe für den ſchon 
mehrfach totgeſagten Cäcilienverein, dieſe Forderung des neuer⸗ 
wachten liturgiſchen Sinnes aufzugreifen und damit feinen Jüngern 
eine lebenskräftige Cofung zu geben: Die Meßgeſänge mit der 
ganzen Meßliturgie als künſtleriſche Einheit. Wenn aber 


Wagner, a. a. O. 8. 24. 


11 


dieſe Forderung künſtleriſcher Einheit für das höchſte und heiligſte 
Hiufikdrama begründet ift — und ich glaube nicht, daß ſich dagegen 
ſtichhaltige Einwendungen erheben laſſen — dann iſt es einfache, un⸗ 
entrinnbare fonſequenz, daß man ſich van Ackens Satz zu eigen 
macht: „Das Ergebnis iſt alfo, daß wir zur Ausprägung eines Gegen⸗ 
warts=, d. i. chriſtozentriſchen Programms die Anknüpfung an das 
Frühchriſtentum ſuchen müſſen“. Der Erkenntnis kann ſich ja nie⸗ 
mand verſchließen, daß die künſtleriſche Einheit der Meßgeſänge auch 
den Prieſtergeſang berückſichten muß. Nun ſingt aber der Prieſter 
ausſchließlich den frühchriſtlichen Choral, und einzelne Stücke des 
Ordinarium missae werden vom Zelebranten im nämlichen gregori⸗ 
aniſchen Stil eingeleitet. ä 

Der Mozartbiograph gahn fchreibt! bei der Beſprechung der Meß⸗ 
kompoſition des großen klaſſiſchen Tonkünſtlers: „Das Credo bot un: 
verkennbar für die muſikaliſche Behandlung die größte Schwierigkeit 
dar. Es iſt unmöglich, einen einzigen langen Satz, deſſen einzelne 
Teile zwar in einer ſehr einfachen Struktur nur aneinander gehängt, 
aber von dem mit Nachdruck vorangeſtellten hauptverbum abhängig 
und grammatiſch wie logiſch nur durch das Bewußtſein dieſer Ab⸗ 
hängigkeit verſtändlich find, muſikaliſch fo darzuſtellen, daß dieſer 
Zuſammenhang dem Zuhörer ſtets gegenwärtig bleibe.“ Was dem 
modernen Muſiker „unmöglich“ ſcheint, hat der Choral möglich ge⸗ 
gemacht. Durch die oben ſchon beleuchtete pſalmartige Dertonung 
hat der gregorianiſche Bünftler einen ſtraffen Fuſammenhalt und eine 
überſichtliche Satzeinheit geſchaffen. Die Gleichheit des Stiles und der 
Tonart verbindet nun aber auch die gregorianiſche Faſſung eng mit 
der prieſterlichen Intonation und ſchließt das „mit Nachdruck voran⸗ 
geſtellte Hauptverbum” credo derart glücklich mit dem patrem omni- 
potentem zuſammen, daß das Problem wirklich als reſtlos gelöſt 
betrachtet werden muß. 

Unter diefem Geſichtspunkt gewinnt das liturgiſche Erundgeſetz Pius X. 
an künſtleriſcher Bedeutung: „Eine kirchenmuſikaliſche kompo= 
ſition iſt um ſo heiliger und liturgiſcher, je mehr ſie ſich in 
ihrer Bewegung, in ihrem Denken und Empfinden an die 
gregorianiſchen Melodien anlehnt. Und umgekehrt, je mehr fie 
von dieſem vollkommenſten Vorbild abweicht, deſto weniger verdient 
fie, in der kirche aufgeführt zu werden.“? 


Otto Jahn, W. A. Mozart. Leipzig 1856, Breitkopf & Härtel. I 8. 454. Die 
neue Bearbeitung von Abert war mir nicht zugänglich. o Motu proprio n. 3. 


12 


Übrigens fo ſehr auch van Acken dieſes Geſetz der künſtleriſch - liturgiſchen Einheit 
und der Ausprägung der liturgiſchen Abſichten in der Aunft im allgemeinen und im 
Seſang insbeſondere betont, fo ſcheint er mir in einem Punkte doch felbft dagegen 
zu fehlen. An mehreren Stellen (fo beſonders 8. 90 ff.) ſpricht er den Gedanken 
aus: die Meßliturgie iſt ein Drama. Es geht eine dramatiſche Steigerung 
vom Anfang bis zur hl. Wandlung und ommunion. Dieſe Steigerung muß auch 
in der Mufik zum Ausdruck kommen. Auch die muſikaliſche Entwicklungslinie muß 
eine anfteigende fein vom Introitus bis zum heiligſten Augenblick der Opferhand- 
lung. Sanktus und Benediktus müſſen der höhepunkt der KRompoſition ſein und 
in der Architektur der zentralen Raumſteigerung in dem Kuppelgewölbe über dem 
Altar entſprechen. 


Nun liegt ja unverkennbar im Gang der Meßliturgie eine dramatiſche Steigerung. 
Aber der Schluß, daß dieſe Steigerung notwendig auch in der Muſik an derſelben 
Stelle zu einem höhepunkt führen müſſe, iſt nicht einfachhin berechtigt. Das Drama 
der hl. Meffe iſt nicht in dieſem Sinne ein Mufikdrama, daß jeder Einzelvorgang 
während der hl. Handlung unbedingt der Mufik als ihres einzigen Ausdrucksmittels 
bedürfte, wie das — nach Nietzſche — „aus dem Geiſte der Tonkunſt geborene“ Ge- 
ſamtkunſtwerk Richard Wagners. Die Liturgie hat noch andere Zungen, um zu 
Bott und zu uns zu reden und ihre Wirkungen zu erzielen. Don vornherein wird 
man annehmen dürfen, daß der mit der Liturgie entſtandene gregorianiſche Choral 
der beſte Dolmetſch der liturgiſch⸗muſtkaliſchen Abſichten iſt. hat doch auch Pius X. 
den normgebenden Charakter des altchriſtlichen Befanges autoritativ feſtgeſtellt. 
Bei näherem Zuſehen entdeckt man denn auch wirklich, daß der Choral nicht im 
Sanktus, ſondern im Graduale feinen höhepunkt erreicht. Die Vormeſſe 
iſt nach der Abſicht der Kirche hauptſächlich Gebets- und Erbauungsgottesdienft, 
der ſich ſteigert bis zu den bibliſchen beſungen und zwiſchen Epiftel und Evangelium 
mit dem gefühlsbetonteſten der gregorianiſchen Lieder die ganze von der Schrift⸗ 
leſung begeiſterte Seele auszuſingen einladet. Init dem Beginn der „Gläubigen⸗ 
meſſe“ tritt der Anteil der Mufik an der dramatiſchen Entwicklung etwas zurück 
und beim Höhepunkt der Liturgie hüllt ſich die Tonkunſt vollſtändig in Schweigen 
und wirkt ſo auf negative Art mit, den dramatiſchen Gipfel der Opferhanoͤlung zum 
klaren Bewußtſein zu bringen. 


Die Forderung künſtleriſcher und ſtiliſtiſcher Einheit, dienender Ein⸗ 
ordnung in den Rahmen der Liturgie, geiftiger Anlehnung und An⸗ 
paſſung an den gregorianifchen Choral, insbeſondere an den Prieſter⸗ 
geſang, kurz das ganze chriſtozentriſche Programm richtete ſich ſeit⸗ 
her vorzugsweife an den komponierenden Kirchenmuſiker. Es 
iſt aber das ESigentümliche der Mufik, daß ihre Meiſterwerke nicht 
nur eines Rünftlers zur Entſtehung, ſondern auch eines Bünftlers 
zur Belebung bedürfen. Sogar einer ganzen Schar von Künſtlern 
bedürfen manche Werke, um tönendes Leben zu gewinnen. Zu dieſen 
Werken gehört das Aunftwerk der Giturgie. Der Chordirigent mit 
feinen Sängern, der Organiſt, die Prieſterſchaft am Altar, 
das Volk und die unſichtbare, das Zentrum bildende verklärte Per- 
fon des ewigen Hohenprieſters — alle dieſe Faktoren müſſen zuſammen⸗ 
arbeiten, und nur aus ihrem harmoniſchen Juſammenwirken entſteht 
das ideale heilige Drama des liturgiſchen Opfers. 


13 


Der liturgifhe Meßgefang iſt nicht in vollem Sinne chriſtozentriſch, 
mag er dem kiomponiſten auch noch ſo vollkommen gelungen ſein, 
wenn er nicht auch von den ausführenden Organen chriſtozen⸗ 
triſch als Teil der Liturgie, als Stück der euchariſtiſchen Opfergabe 
empfunden und dargebracht wird. Es wird berichtet, daß der hol⸗ 
ländiſche Cäcilienverein ſich gerade dieſen Teil des chriſtozentriſchen 
ktirchen muſikprogramms in befonderer Weiſe zur Derwirklichung vor⸗ 
geſetzt habe. Dort bilden die einzelnen Rirhendhöre euchari— 
ſtiſche oder liturgiſche Bruderſchaften. Mitglieder ſind gläubige 
ktatholiken, die erfüllt von dem Streben nach möglichſt inniger ak⸗ 
tiver Teilnahme am kirchlichen Opfergottesdienft ſich zu täglicher oder 
doch ſonntäglicher Kommunion verpflichten. haben die Leiter der 
holländiſchen Pfarrcäcilienvereine die Wahl zwiſchen guten Sängern, 
die keine eifrigen Katholiken find, und guten kiatholiken, die weniger 
gute Sänger find, fo werden die eifrigen Ratholiken den guten 
Sängern vorgezogen. Die Sänger und ihre Dirigenten betrachten ihre 
künftlerifhe Aufgabe als einen Akt der Frömmigkeit. Der Geſang 
it ihnen geſteigertes Gebet. Sie werden angeleitet, die liturgiſchen 
Weiſen als Vorbereitung zur hl. kommunion und als Dankfagung 
zu fingen, wie es ja auch der Wunſch der Kirche iſt. Das verleiht 
ihrem Geſang eine übernatürliche Weihe, die in einem ſeelenvollen, 
gottbegeiſterten Vortrag ſich ausprägt und im tiefſten Grunde das 
Geheimnis chriſtozentriſcher Tonkunſt bildet. 

Dieſes Singen aus innerer Teilnahme an der Liturgie 
heraus, dieſes Neugeborenwerden der liturgiſchen Befänge aus dem 
Herzen einer mit der Liturgie betenden und opfernden und kommuni⸗ 
zierenden Sängerſchar, das müßte auch bei uns das Ziel des 
Cäcilienvereines werden. In drei Stufen vollzieht fi nämlich 
die Teilnahme an der Liturgie: Junächſt im’ ftillen Beten und Opfern 
mit dem zelebrierenden Prieſter und im Empfang der hl. Rommunion 
ſofort nach der Priefterkommunion. Auf einer zweiten Stufe könnte 
ein enggeſchloſſener kreis von Teilnehmern laut dem Prieſter anſtatt 
des Miniſtranten oder mit dem Miniſtranten antworten und auch jene 
Teile mit dem Prieſter laut beten, die im hochamt vom Chor zu 
fingen find. Auch könnte das Mitopfern durch Darbringung der zu 
konſekrierenden kleinen Hoſtien beim Offertorium zum Ausdruck 
gebracht werden. Daß dieſe Form der Missa recitata nicht von der 
bekannten ktundgebung der Ritenkongregation! betroffen wird, zeigt 
eine Erklärung im Osservatore Romano u. a. mit dem Satze, „eine 


Vom 4. Huguft 1922. Acta Apostol. Sedis. 1922. 8. 505. 


14 


ſolche Ruffaſſung würde zu der abfurden Annahme führen, daß man 
während der hl. Mleffe alle möglichen außerliturgiſchen Gebete laut 
verrichten dürfe, (den fo oft als ſtörend empfundenen Rofenkranz, 
bitaneien, Rirchenlieder in der Dandesſprache) nur nicht die litur⸗ 
giſchen Sebete!.“ Endlich befteht ein dritter Srad von aktiver Teil- 
nahme an der Liturgie im betenden Singen der Meßgeſangstezte und 
dieſe dritte Art der Teilnahme an der Liturgie wäre die beſondere 
Aufgabe der Kirchenchöre und der Pfarrcäcilienvereine. So erſchiene 
der liturgiſche Seſang nicht als bloßes Ornament des Pfarrgottes- 
dienſtes, auch nicht als bloßes Erbauungsmittel für die Pfarrgemeinde, 
fondern als Ausdruck chriſtozentriſcher liturgiſch⸗ orientierter Frömmig⸗ 
Reit, als Betätigung des von innen aus den tiefſten muſtiſchen Quellen 
unſerer heiligen Religion erneuerten allgemeinen Prieſtertums. Das 
Amtsprieſtertum aber, das verfaſſungsgemäß den Dorftand der 
Pfarrcäcilienvereine bildet, wäre berufen, die Verwirklichung dieſes 
idealen Zieles in die Wege zu leiten. 

Der Amtsprieſter kommt aber hier nicht bloß als Dorftand des 
Cäcilienvereins in Betracht. Er iſt in der Liturgie der erſte Sänger 
und der erſte Soliſt. mit Recht ſchließt van Acken darum feine 
Schrift mit einem zwar ſehr kurzen, aber ſehr wichtigen Kapitel über 
„Die Mitwirkung des opfernden Prieſters am chriſtozen⸗ 
triſchen Runftwerk.“ In der prieſterlichen Erziehung wird großer 
Nachdruck auf die Pflege der Innerlichkeit im gottesdienſtlichen Leben 
gelegt. Das iſt auch unbeſtritten die Hhauptſache, die Seele alles 
äußeren Tuns. Was nun dieſes äußere Tun betrifft, fo ſchärfen die 
Organe der klerikalen Bildung in der Regel nur Gewiſſenhaftigkeit 
und Genauigkeit in der Beobachtung der Brevier⸗ und Meßrubriken 
ein. Daß aber die Liturgie eine äſthetiſche Seite hat, und daß bei 
dem öffentlichen Dortrag der Gebete und Lefungen, der Präfation 
und des Pater nofter, des lte missa est und der anderen Zurufe an 
das Volk auch tonkünſtleriſche Seſetze zu berückſichtigen find, und 
daß die Beobachtung dieſer äſthetiſchen und tonkünſtleriſchen Geſetze 
auch vor Bott und dem Bewilfen eine Bedeutung hat, und daß Nach⸗ 
läſſigkeit und Gleichgültigkeit auf dieſem Gebiete nicht bloß der eigenen 
Seele, ſondern auch den Seelen der Pfarrkinder ſchadet — das alles 
wird kaum je betont. Daher die Erſcheinung, daß es „nicht ſelten 
ſelbſt dem frommen, aller haſt und Geſchäftsmäßigkeit gänzlich fern⸗ 
bleibenden Diener am Altar an Derftändnis für die künſtleriſche Seite 


' it: Revue du Chant gregorien Mai / quni 1923. 8. 180. Ugl. auch Kathol. 
Kirchenzeitung (Salzburg) 1923. Ur. 24, 8. 196 ff. 


15 


der Liturgie fehlt“. Und doch „ſoll ſich jeder Seiſtliche beim 
Opferdienſte als nachſchaffenden Künſtler heiligſter Formen: 
werte fühlen“. Das iſt gerade in gegenwärtiger Zeit eine Sache 
von nicht zu unterſchätzender Wichtigkeit. Tauſende von Laien, 
Bebildete und Ungebildete hören heute mehr auf die Predigt der 
biturgie, der Zeremonien und des Befanges als auf die Predigt von 
der Hanzel herab. Tauſende nehmen Anſtoß daran, daß im Konzert- 
faal die Ehrfurcht vor dem kiunſtſinn des Publikums oder vor dem 
Götzen Mammon oder Eitelkeit zu einer beſſeren Kunſtpflege führt 
als die Ehrfurcht vor dem Allerhöchſten in der kirche und daß das 
Mufikdrama im Opernhaus einen ungleich wertvolleren Soliſtengeſang 
erreicht als im Gotteshaus das heiligſte Drama der Weltgeſchichte. 
Tauſende beurteilen das Chriſtentum nach der Perſönlichkeit ſeiner 
offiziellen Dertreter und fagen ſich, es müſſe mit der Wahrheit und 
Heiligkeit unſerer Religion ſchlecht beſtellt ſein, wenn ſie ihre Diener 
nicht zu einer ehrfurchtsvollen Vorführung deſſen begeiftern könne, 


was fie ihr Beiligftes nennen. 

Man darf alſo in der klerikalen Erziehung nicht länger „das Geſetz der Form“ 
überſehen und die Beſchäftigung mit der Tonkunſt als eine mehr oder minder ver- 
dãchtige Liebhaberei beurteilen. Einft gehörte die Tonkunſt zu den artes liberales, die 
im Quadrivium der ſtudierenden Jugend beigebracht wurden. Aber hier klafft in der 
neuzeitlichen Studienordnung eine Lücke, die nicht bloß im Klerus, ſondern auch von 
Pädagogen der anderen Fakultäten ſchmerzlich empfunden wird!, beim Theologen aber 
beſonders verhängnisvoll in die Erſcheinung tritt. In der Liturgie iſt eben die Aunft 
Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Allerhöchſten und der Liebe zu Zott und zu Chriſtus 
wie zum Nädjften. Dernadläffigung der künſtleriſchen, namentlich der tonkünſtleri⸗ 
[hen Seite der Giturgie ift demnach Unehrerbietigkeit und Lieblofigkeit gegen Gott 
und die Menfhen. Mangel an künſtleriſchem Sinne iſt alſo intellektueller oder mo- 
raliſcher Defekt. Clericus, qui non cantat, non est clericus completus. Dieſes 
Wort eines mittelalterlichen Theologen ift heute zu überſetzen: Ein Prieſter, der 
keinen Sinn und Geſchmack für tonkünſtleriſche Schönheit beſitzt, der den ethiſchen 
und paftoralen Wert der liturgiſchen Mufik nicht [hätt und ſelber in Theorie und 
Praxis der firchenmuſik ſich nicht auskennt, — ein ſolcher Prieſter kann nicht die 
volle Integrität der prieſterlichen Perſönlichkeit für ſich in Anſpruch nehmen’. 

„es genügt nicht, daß der Geiftlihe die liturgiſchen Seſänge ... erbaulich aus- 
zuführen verſteht. Ein gewiſſes Maß wiſſenſchaftlicher Kenntniffe, die Haupttat⸗ 
ſachen der kirchenmuſtkaliſchen Geſchichte und die grundlegenden Prinzipien ihrer 
Theorie follten jedem geläufig fein“. Dieſe Worte ſtehen in der Einleitung zu einer 
„einführung in die katholiſche Kirchenmuſitk““, die Univerfitätsprofeffor 


I Dergi.: hermann ſtretzſchmar, muſikaliſche Zeitfragen. Leipzig Peters (O. J.) 8. 23 ff. und L. 
Renenberg, Muſtkerziehung und WMufikpflege. Leipzig, Quelle & Meyer. 1921. Das zuletzt genannte 
Werk entſtammt der Feder des Mufikreferenten im preußifchen Rultusminifterium und verdient Beachtung 
von feiten der Kirchendehörden und aller, die mit der Erziehung des Klerus betraut find. Es behandelt 
im erſten Teil die mufikalifche Allgemeinbildung durch Dolksfchule, höhere Lehranftalten und Privatunter- 
richt; ſodann die mufikafifche Berufsbildung durch eigene Muſikſchulen. Der zweite Teil handelt von der 
Mufikpflege durch ſchaffende und ausübende Rünftler, durch ſtaatliche und ſtädtiſche Derwaltung. 

7 Siehe den Beweis für dieſen Satz aus der Feder eines Theologen, der heute einer unferer angefehen- 
Nen deutſchen Biſchöfe if. Cäzilienvereinsorgan 1913. S. 204 ff. > Düffeldorf 1919. Schwann. 


16 


Peter Wagner, ein Laie, als Vorträge den Theologen von Freiburg in der Schweiz 
gehalten hat. Er erörtert zunächſt einige grundſätzliche Fragen und ſtellt dann in 
großen Zügen die vier großen Perioden der kirchlichen Mufikgefhichte dar. Ein 
Prieſter, der die hiſtoriſchen Bauſtile des Kirchengebäudes nicht zu unterſcheiden ver⸗ 
möchte, müßte es ſich gefallen laſſen, wenn man ihm Mangel an Bildung nachſagte. 
Um ſo mehr verdient derjenige eine ſolche Note, dem die hiſtoriſchen Stilarten der 
viel näher liegenden kirchlichen Tonkunſt fremd find. In einem zweiten umfang- 
reicheren Teile gibt Wagners „Einführung“ Anregung zum Studium der Kirchen⸗ 
mufiktheorie, eine Art Erklärung des „kirchenmuſikaliſchen Geſetzesbuches“, des Motu 
proprio Pius’ X., deffen Studium dem Klerus nicht minder wichtig fein darf als das 
Studium des Codex iuris canonici. Das omne malum ex clero findet auch 
Anwendung auf unſer heutiges kirchenmuſikaliſches Elend. Wenigſtens darf der 
Driefter ſolange nicht über andere Stände klagen, als die Mängel an liturgiſchem 
und tonkünſtleriſchem Sinn in den eigenen Reihen nicht gehoben find. 


Die würdige Feier des liturgiſchen Gottesdienſtes it Sache 
der kirchlichen Semeinſchaft. Da muß alles mit dem ewigen 
Bohenpriefter zuſammenwirken, Klerus und Volk, Prieſter und Laien 
in chriſtozentriſcher Einmütigkeit und Selbſtloſigkeit. Teilnahme am 
Bohenprieftertum Chriſti ift ja nach der Lehre des hl. Thomas das 
Weſen des Taufcharakters. Alle Betauften find alſo befähigt und 
berufen zur Mittätigkeit beim hohenprieſterlichen Opfer. Insbeſondere 
it das Mitarbeiten an der tonkünſtleriſchen Nusgeſtaltung des ſonn⸗ 
täglichen Pfarrgottesdienftes eine ſoziale Tat erſten Ranges. 

Freilich iſt auch der einzelne in ſeiner Mitarbeit vielfach durch die 
Bemeinfhaft bedingt und gehemmt, und wir dürfen uns im Eifer 
für die künſtleriſche Schönheit des liturgiſchen Gottesdienſtes nicht ver⸗ 
leiten laſſen, ungerecht zu werden. Der einzelne Prieſter kann oft 
infolge mangelhafter künſtleriſcher Erziehung feiner kirchenmuſtkaliſchen 
Aufgabe nicht gewachſen ſein. Die Verantwortung dafür trägt die 
die Bemeinfchaft. Sie geſtaltet ſich ja ihre Erziehungsſtätten ſelbſt. 
Der einzelne Priefter it ein kind feines Volkes und feiner Familie. 
In der Familie muß der künftige Geiftlihe die erſte Anregung und 
die Grundlage ſpäterer Dolfendung erhalten. Was anthropozentriſcher 
Individualismus zerſtört hat, muß jetzt chriſtozentriſcher Zemeinſchafts⸗ 
finn, genährt aus den Quellen chriſtozentriſcher Liturgie, wieder auf- 
bauen. Chriftus heißt in der Litanei: rex et centrum omnium cor- 
dium, „der König und Mittelpunkt aller herzen“. Ihm gilt all unſer 
Beten und Singen und Opfern, ihm, dem Baupte und feinem muſti⸗ 
ſchen Leibe all unſer Arbeiten für eine wahrhaft „chriſtozentriſche 
Kirchenmuſik“. 


17 


Sacramentum magnum: 
Epiphanie und Ehe. 


Don P. Sufo Mayer (Beuron). 


Hodie coelesti Sponso iuncta est Ecclesia, quo- 
niam in Jordane lavit Christus eius crimina: cur- 
runt cum muneribus Magi ad regales nuptias, et 
ex aqua facto vino laetantur convivae, alleluja. 


Beute ward die Kirche ihrem himmliſchen Bräuti⸗ 
gam angetraut, da Chriftus abwuſch im Jordan ihre 
Sündenſchuld; mit Gaben eilen herbei die Magier zur 
Rönigsvermählung, und über den aus Waſſer ver- 
wandelten Wein frohlocken die Hochzeitsgäſte, alleluja. 

(Benediktus-Antiphon in den Laudes an Epiphanie.) 


ie Magier aus dem Morgenlande ziehen mit ihren Gaben zur 
hochzeit des neugeborenen Königs. Sie kommen als Vertreter 

der heidenwelt, als Befandte der ganzen Menſchheit, fie bilden den 
Brautzug der Rirche, die ihrem himmliſchen Bräutigam entgegengeht. 
Hodie coelesti sponso iuncta est Ecclesia: „Heute ift der Der: 
mählungstag des himmliſchen Bräutigams mit feiner Kirche.“ Heute 
hält der himmliſche König ſeinem Sohne Hochzeit!. Heute wird die 
unbegreifliche Jdee Gottes geſchichtliche Wirklichkeit und feine unver- 
gleichliche Liebestat, zu der es ihn von Ewigkeit drängte, wird aller 
Welt kund getan: Gottesſohn vermählt ſich für immer der Menſchheit. 
er ſchließt mit ihr den bebensbund; er will ihr für immer gehören. 
50 ift das mühſame Werben und Freien um die Beliebte von den 
Paradieſestagen an doch nicht umſonſt geweſen. Lange zwar ſchien 
es ganz ausſichtslos und für immer vorbei. Die Entfernung und 
Entfremdung der Geliebten wurde immer größer. Aber auch Not und 
Elend, Seelenpein und Herzensqual wuchſen in ihr immer mehr. Da 
geht die Menfchheit in ſich. Bitterer Reueſchmerz über ihre Treu⸗ 
loſigkeit und ihren Undank überkommt fie. „Sie macht ſich auf, 
durchwandert die Stadt, ſucht auf Plätzen und Straßen nach dem, 
den ihre Seele liebt“?; und „fie findet ihn“? unter der Führung des 
heilberkündenden Sternes. Nun will fie ihm ganz gehören, ſich auf 
ewig ihm verbinden. Und Chrifius ſtößt feine Braut nicht zurück, „er 
liebt fie”! und ift bereit, die innigſte beibes- und bebensgemeinſchaft 


' Matth. 22, 2 fl. hohel. 3, 2. ebd. 3,4. Eph. 5, 25. 
Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 1-2. 2 


18 


mit ihr einzugehen. Und nun hält der Hönig feinem Sohne hochzeit. 
„Damals nämlich hat Gott der Vater Bott, feinem Sohne, Hochzeit 
gehalten, als er ihn im Schoße der Jungfrau mit der menſchlichen 
Natur vermählte, als er feinen Willensentſchluß verwirklichte, wonach 
der, der da von Ewigkeit her Gott iſt, Menſch würde in der Fülle 
der Zeiten. Aber weil für das Juſtandekommen einer Ehe zwei Per⸗ 
ſonen erfordert find, dürfen wir ja nicht meinen, die Perſon des Bott= 
menſchen, unſeres Erlöſers geſus Chriftus, fei aus zwei Perſonen 
zuſammengeſetzt. Vielmehr ſagen wir, er beſtehe aus zwei und in 
zwei Naturen; aber wir vermeiden es zu glauben, er ſei aus zwei 
Perſonen zuſammengeſetzt, weil dies unrichtig und unzuläſſig iſt zu 
glauben. klarer und gefahrloſer kann man daher ſagen, daß der 
Vater ſeinem königlichen Sohne Hochzeit hielt, als er ihm durch das 
Geheimnis der Menſchwerdung die heilige Kirche vermählte“! 

Hier iſt der Wendepunkt in der Weltgeſchichte; eine neue Epoche 
beginnt, ein neues Geſchlecht tritt auf. Chriſtus und der kirche ent⸗ 
ſtammt ein neues Volk. Wie Adam und Eva die Stammeltern aller 
bebendigen dem Fleiſche nach, fo find Chriſtus und die Rirdye die 


Stammeltern aller Cebendigen dem Geifte nach. Rus dem Debens⸗ 


bunde Chrifti mit feiner Rirdje ſollten neue Weſen entſproſſen zu 
neuem, übernatürlichem, göttlichem beben, Menſchen, die das Siegel 
des heiligen Bottes auf der Stirne tragen. Heute iſt ihr Geburtstag, 
quoniam in Jordane lavit Christus eius crimina: „Da Chriftus im 
Jordan fie rein wuſch von ihrer Sündenfchuld“. An Epiphanie öffnet 
ſich der himmel über dem Erlöſer im gordan. Des Daters Stimme 
wird vernehmbar, und der Geiſt ſchwebt über dem geliebten Sohn 
des Daters. Durch die Berührung Chriſti und den ſchöpferiſchen hauch 
des Beiltes werden die Waſſer ſelbſt geheiligt und befruchtet, um dann 
ihre heiligende Kraft in der Taufe auf die Menſchen überſtrömen zu 
laſſen. Alle, die von jetzt an untertauchen in der heiligen Flut und 
gereinigt werden durch das Bad der Wiedergeburt, gehen makellos 
und heilig daraus hervor. Neugeboren werden fie als Rinder in die 


-felige Gemeinſchaft Chrifti und der Kirche aufgenommen. Mit gött⸗ 


licher Liebe zieht fie Chriſtus an fein herz. Wie mit der Kirche in 
ihrer Geſamtheit vermählt er ſich auch mit jedem einzelnen, gliedert 
jeden einzeln jenem Leibe ein, an dem er ſelbſt das haupt iſt. Gött⸗ 
liches Blut flutet nun in ihren Adern, göttliches Leben beſeelt und 
vergöttlicht fie, „ein gerechtes, heiliges Volk“. 


Gregor d. Gr. hom. 38 in Evang. n. 3 PI 76 (1857) 1283. Siehe beſung am 
19. us nach Pfingſten. If. 4, 3; 26, 2. 


19 


Botteskinder ohne Zahl gehen aus diefer heiligen Bemeinfchaft 
Chrifi und der ktirche hervor. Don allen Enden der Erde eilen fie 
herbei: „Erhebe ringsum deine Augen und ſchau, fie alle ſcharen 
fi) zuſammen und kommen zu dir; deine Söhne kommen von ferne, 
und deine Töchter erſtehen von den Enden der Erde. Dann wirſt du 
ſchauen und überſtrömen, dein herz wird ſtaunen und weit werden, 
wenn die Bewohner der Meeres küſte ſich dir zuwenden und die Stärke 
der Nationen zu dir gelangt“. 

Der Schleier des Beheimniffes liegt ausgebreitet über der Lebens- 
gemeinſchaft zwiſchen Chriftus und der kirche. Dem erdwärts ge⸗ 
richteten herzen lüftet er ſich nicht. Aber ſelbſt der himmliſch Ge- 
ſinnte vermag ſich nur ſchwer ein Bild von ihr zu machen, ſo voller 
Wirklichkeit auch dieſe Derbindung iſt. Wir find eben Menſchen, die 
auch bei ihren geiſtigen Wanderungen ſich immer von den Sinnen 
begleiten laſſen müſſen. Soll uns das unſichtbare, verborgene, wenn 
auch noch fo reale Leben der Gottheit offenbar werden, dann ınuß 
es ſich uns kundtun in den Formen und Bildern des ſichtbaren, gegen⸗ 
wärtigen Lebens. Um feine größte Liebestat der Menſchheit gegen⸗ 
über zu veranſchaulichen, erkennbar und unvergeßlich zu machen, 
wählt Bott ein Bild, eine Form, die immer war und immer fein wird, 
ſolange es Menſchen auf Erden gibt. Unter dem Bilde der Ehe ſtellt 
der Bottesfohn ſchon im Alten Bund mit Vorliebe fein Verhältnis zur 
Menſchheit dar; der Abfall der Menfchheit von ihm, dem einzigen 
But und Gott, iſt „Shebruch“. So wurde die Ehe zum treffendſten 
Symbol des Erlöfungsgedankens, der hingebenden Liebe des Gottes- 
ſohnes zur Menfchheit, zur kirche. Deshalb iſt mit dem Epiphanie⸗ 
feſte überaus tiefſinnig das Andenken an das Hochzeitswunder von 
ktana verbunden: Et ex aqua facto vino lætantur convivæ: „Und 
über den aus Waſſer verwandelten Wein frohlocken die Hochzeits⸗ 
gäſte.“ Die ſichtbare Hochzeit ſoll uns die unſichtbare, geheimnisvolle 
Vermählung Chrifti mit feiner ktirche veranſchaulichen. 

Aber auch die Ehe, die das Bild geliehen, gewinnt durch die Sum⸗ 
bolik, eine ſichtbare Darſtellung der unſichtbaren Derbindung Chriſti 
mit feiner Kirche zu fein, eine erhabene Würde, eine hohe religiöfe 
Weihe. „Die Ehe“, ſagt Ceo XIII’, „iſt von Anbeginn eine Abſchattung 
der Menſchwerdung des göttlichen Wortes; daher hat ſie in ſich etwas 
heiliges und Religiöſes, das nicht nachträglich hinzugekommen, ſondern 
ihr von Geburt an eigen iſt, nicht eine menſchliche Beigabe, ſondern 

1 If. 60, 4 f. (Epiftel von Epiphanie). Leo XIII., enzuklika „Arcanum“, vom 
10. Februar 1880 (über die chriſtliche Ehe), $ Attamen Naturalistae. 

2 


20 


etwas naturhaft Zugehörendes.” Wo immer daher zwei liebende 
menſchen, mann und Weib, das gawort zu ungeteilter Lebens- 
gemeinſchaft mit einander wechſeln, da wird es Weihnachten, da 
wird es Epiphanie; da geht jedesmal ein neuer Stern auf, der um 
die Cebensgemeinſchaft Chriſti mit feiner Kirche wie um feine Sonne 
kreiſt und von ihr bicht und Glanz empfängt. 

„Es ift ein Unterſchied zwiſchen Stern und Stern““. Das gilt auch 
hier. Die chriſtliche She überſtrahlt weit die bloß natürliche 
She. Da bleibt der durch das gawort begründete Pebensbund nicht 
bloße Abfchattung und leeres Symbol der Vereinigung Chriſti mit 
feiner Kirche. Das Symbol wird zur Macht, zum wirkſamen, gnaden- 
vermittelnden Zeichen, zum Sakrament, das den Gnadenſtand mehrt 
und bewirkt, daß „die vielen und ſchweren Pflichten den Eheleuten 
nicht bloß erträglich, ſondern ſogar leicht und lieb werden“ ?. Chriſtus 
und die Kirche ſchenken ſich einander durch das gawort; die Kirche 
hat dadurch teil an der Lebensgemeinſchaft Bottes. Ebenſo ſoll dieſes 
begnadende Glück jedem einzelnen Gliede der kirche zugute kommen, 
das den bebensbund der Ehe ſchließt. Das Ehefakrament bedeutet 
nicht bloß die Semeinſchaft mit Chriftus, ſondern bewirkt fie auch. 

Im Gnadenſtrom des Sakramentes ſpiegelt ſich aber auch das 
leuchtende Vorbild eines wahrhaft chriſtlichen Ehelebens; und das 
Vorbild heiſcht Nachahmung. Wie Chriftus nur eine Rirdhe ſich er: 
wählte und vermählte, und wie Chriftus und die Kirche ſich aus⸗ 
ſchließlich in gegenſeitiger Liebe ſchenken, fo darf auch die Liebe 
zwiſchen Mann und Frau mit niemand anderem geteilt werden. Wie 
Chriftus und die Kirche unzertrennlich verbunden find und ſich ewig 
treu bleiben, ſo dürfen auch Mann und Frau einander nicht verlaſſen. 
Das Band, das ſie umſchlingt, kann nur der Tod löſen. „Wie Chriſtus 
die kirche, fo ſollen die Männer ihre Frauen lieben“; und „die Frauen 
ſollen den Männern untertan ſein; denn der Mann iſt das Haupt 
des Weibes wie Chriftus das Haupt der Kirche. Wie aber die Kirche 
Chriftus untertan ift, fo ſoll es auch die Frau dem Manne fein“, 
aber „nicht wie eine Magd, ſondern wie eine Befährtin”’. Und wie 
endlich Chriftus und die Kirche unabläſſig darauf bedacht find, ihre 
Familie mit neuen Botteskindern zu vermehren, fo ſollen auch Mann 
und Weib die heilige Pflicht der Kindererzeugung und erziehung 
freudig erfüllen, umſo mehr da fie mit der hohen, ehrenden Aufgabe 
betraut ſind, das Werk Chriſti und der kirche ſelbſt vollenden zu 
helfen. Denn „der chriſtlichen Ehe ift nicht bloß die Fortpflanzung 


J. fox. 15, 41. ” Enzyklika „Arcanum“, $ Neque iis. » Eph. 5, 25. 
* Eph. 5, 22 - 24. ° Enzyklika „Arcanum“, 8 Neque iis. 


21 
des Menſchengeſchlechts als Aufgabe geftellt, ſondern fie foll der 
kirche neuen Nachwuchs zeugen, himmelsbürger und hausbewohner 
Gottes, damit ein Volk zur Anbetung und Verehrung des wahren 
Gottes und Chriſti unſeres Erlöſers geboren und erzogen werde“. 

Auf dieſem Wege führt die Ehe Mann und Weib von der leiblichen 
Gemeinſchaft zur Seelengemeinſchaft, von der Seelengemeinſchaft zur 
Bemeinfchaft mit Chriſtus. Wahrlich „groß iſt das Geheimnis der Ehe, 
ich ſage aber, wegen feiner Beziehung zu Chriſtus und der Kirche““. 


Feierlied auf die hl. Kirche. 


Aus der alten fyrifhen Kirchweihliturgie. 


Steh’ auf, werde Licht; denn dein Licht kommt! 
Unſterblich iſt der Bräutigam, der ſich mit dir vermählt. 
öffne deine Tore, und nie ſollen ſie geſchloſſen werden, 
weder bei Tag noch bei Uacht, 

daß Rönige einziehen mit ihren Aronen 

und Richter mit ihren Gewalten, 

und anbeten die Macht, die in dir wohnt! 


So ſpricht der Herr: Zitt' re nicht, gläubige kirche; 

denn kein Schaden berühret dich! | 

Ich vertauſche mit keiner andern dich, 

weil du mich vertauſcht um keinen andern. 

Und wenn das Ende naht und himmel und Erde vergehen: 
dir naht keine Furcht; denn es ſteht dein Thron 

Zwifhen dem Dater und Sohn und Seiſt. 


erwache, erwache, o Kirche, 

und erhebe dein haupt, das gebeugte, in dieſer Zeit; 

denn von oben ſteiget herab der Bräutigam in dein Gemach, 
und bricht in dir feinen lebenden eib, 

und miſcht in dir den kelch feines Bluts. 

M feinen Leib und werde verföhnt, 

trink’ fein Blut und werde heilig, 

und ſinge Lob feiner Güte! 


Der erhabene uud tiefe humnus berührt ſich mit einigen Zügen der Römiſchen Epiphanie- und kirchweih 

liturgie. Diefleicht ſteht er etwa dem Biſchof Jakob von Sarug (T 29. XI. 521) oder feiner Zeit nahe. Die 

ung ſtammt bis auf wenige Worte vom hochverdienten Renner und Üderſetzer ſyriſcher Schrifiſteller 

P. Pius Zingerie O. S. B. von Marienberg (+ 10. I. 1881): Fefikränze aus Libanons Gärten, I. 
Ulllingen 1846, S. 27. Das Gied if eine Blüte liturgiſcher Muſtik. p. f. m. 


ma. a. O0. eph. 5, 32. 


22 


Die Predigt vom Himmelreich 


nach dem Evangelium des hl. Matthäus. 
| Bon P. Bernhard Seiller (Augsburg). 
as Chriftusbild, an das wir gewöhnt find, ift immer ein Befamt- 
bild, hergeſtellt aus allen Teilen des Neuen Teftamentes; ſo wurde 
es uns ſchon im liatechismus und in der Bibliſchen Geſchichte dar⸗ 
geboten. Aber es verlohnt ſich auch, irgend einen Teil der hl. Schrift 
einzeln vorzunehmen und die für die Perſon Chriſti charakteriſtiſchen 
Jüge herauszuheben. 50 wollen wir denn ſehen, welches Bild wir 
gleich aus dem erſten Evangelium, dem des hl. Matthäus, von Chriſtus 
gewinnen. Urſprünglich hebräiſch geſchrieben, ift es nur mehr in griedji- 
[cher Überſetzung vorhanden; es war für die Judenchriften beſtimmt, 
und daher iſt der Evangeliſt bemüht, überall zu zeigen, wie ſich an 
Chriftus die Weisſagungen der alten Propheten erfüllt haben. 
Der Heiland heißt Jeſus (Erlöfer); „denn er wird fein Volk erlöſen 
von deſſen Sünden“. Den güngern ift er der herr und Meiſter, dem 
Volke der große Prophet. Mehrmals wird er Sohn Davids genannt, 
weil fein Pflegevater dem königlichen Geſchlechte entftammte; fo nennen 
ihn die beiden Blinden (9, 27; 20, 31), fo das chananäiſche Weib (15, 22), 
fo begrüßt ihn auf feinem feierlichen Einzug in geruſalem das Volk, fo 
umjubeln ihn im Tempel die Kinder (21, 9 — 15). Den Titel Chriftus 
oder hebräiſch Meſſias legt er ſich anfangs nicht bei. Als die Jünger 
des gohannes ihn fragten: „Biſt du es, der da kommen ſoll, oder ſollen 
wir auf einen andern warten?“ weift er ftatt einer Antwort auf feine 
Werke hin (11,4); den Phariſäern erklärt er, daß der Meſſias nicht 
nur der Sohn, ſondern auch der Herr Davids iſt (22, 45), jedoch ſagt 
er ihnen nicht, daß er es ſei. Als aber Petrus das Bekenntnis aus- 
ſprach: „Du biſt Chriftus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (16, 16), 
da beſtätigte geſus dieſes und pries ihn ſelig, weil nicht Fleiſch und 
Blut ihm dies geoffenbart hätten, ſondern der Vater, der im himmel 
iſt; jedoch verbot er den Jüngern zu ſagen, daß er der Meſſtas 
ſei (16, 20). Erft als der Hohepriefter ihn beim lebendigen Botte be⸗ 
ſchwor zu ſagen, ob er Chriſtus ſei, geſtand er öffentlich zu und fügte 
bei: „Don nun an werdet ihr den Menfchenfohn zur Rechten der Kraft 
Sottes ſitzen und auf den Wolken des Himmels kommen ſehen“ (26, 64). 
Der Titel, den geſus ſelbſt ſich beizulegen pflegt, iſt NMenſchenſohn; 
alles iſt an dieſen Ausdruck gewöhnt, niemand fragt, was dieſes 
rätſelhafte Wort bedeutet. Erſt in der neueſten Zeit iſt der Sinn dieſes 
Wortes erkannt worden. Im Buche Daniel wird, nachdem der Alt⸗ 


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betagte über die vier Weltreiche auf Erden Gericht gehalten hat, die 
herrſchaft dem Menſchenſohn übertragen. „Und ſieh, es kam einer 
in des Himmels Wolken, der eines Menſchen Sohne glich, und kam 
bis zum Altbetagten, und dieſer gab ihm Gewalt und Ehre und Reid), 
daß alle Dölker und Geſchlechter ihm dienten; feine Gewalt iſt ewige 
Gewalt, die nicht genommen wird, und fein Reich iſt ein Reich, das 
nicht zerſtört wird“ (Dan. 7, 13. 14). Dieſer Menſchenſohn, der aus 
dem himmel kommt, iſt geſus Chriſtus, der verheißene Meſſias, und 
ſeines Reiches wird kein Ende ſein. Hinter dem Titel Menſchenſohn, 
der damals nicht mehr verſtanden wurde, verbarg er ſeine meſſianiſche 
Würde. Denn er hatte Grund, vor dem Dälke nicht gleich anfangs 
als Mieffias zu erſcheinen. Die Juden erwarteten nämlich einen 
politiſchen Befreier, der das verhaßte Römerjoch zerbrechen und den 
guden die Weltherrſchaft verleihen werde; ſelbſt in den kireiſen der 
Jünger beſtanden ſolch ſinnlich-irdiſche Meffiashoffnungen. Hätte geſus 
lich offen als den Meſſias kundgegeben, fo hätte er die falſchen Er⸗ 
wartungen des Volkes nur genährt und es von dem Reiche, das er 
bringen wollte, eher abgelenkt als dazu hingeführt. Er legte ſich da⸗ 
her einen Titel bei, der ebenſoſehr alles, was er war, enthielt als ver⸗ 
barg. geſus iſt wirklich der Meſſias, der vom himmel gekommene 
Bottesfohn, der einem Menſchen glich, aber mehr war als ein Menſch; 
er iſt es, dem der Dater das Reich übertragen, er ift der neue Welten⸗ 
könig, doch ſein Reich iſt kein irdiſches, ſein Reich iſt das Reich der 
himmel, das ſich auf die Erde herabſenken ſoll. Die Weiſen aus dem 
morgenland fragen nach dem neugeborenen König der Juden 
und werden von den Schriftgelehrten nach Bethlehem verwieſen (2, 2). 
gefus ſelbſt nennt ſich König bei der Schilderung des Weltgerichtes, 
das der Menſchenſohn, wenn er in ſeiner Herrlichkeit kommt und alle 
engel mit ihm, abhalten wird; alsdann wird der König zu denen, 
die zu feiner Rechten fein werden, ſagen: „Kommet ihr Geſegneten 
meines Vaters, und beſitzet das Reich, das ſeit Grundlegung der Welt 
euch bereitet iſt“ (25, 34). Und dann wieder vor Pontius Pilatus, als 
dieſer fragte: „Bift du der König der Juden?“ bejahte Jeſus dieſe 
Trage (27,11). Als König wird er von den Soldaten verfpottet (27, 29), 
und über dem Haupte des Gekreuzigten ſteht die Inſchrift: „Dieſer ift 
geſus, der Hönig der Juden“ (27, 37). 

Der Erlöferkönig iſt aber zugleich der Sohn Gottes. Bei der 
Taufe im Jordan, als der hl. Geiſt wle eine Taube auf geſus nieder⸗ 
ſtieg, erſcholl die Stimme vom himmel: „Dieſer iſt mein geliebter 
Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe“ (3, 17). hier iſt zu 


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beachten, daß im griechiſchen Text beim Prädikat ſogar der beſtimmte 
Artikel ſteht (der Sohn von mir), wodurch deutlich kund getan iſt, 
daß er nicht in bildlichem Sinne Kottesfohn genannt wird, ſondern 
der einzige, der wirkliche Sohn Gattes iſt. In ähnlicher Weiſe kommt 
die Gottheit geſu zum Nusdruck bei der Verklärung auf dem Berge 
Tabor. Es umſchattet ihn eine lichte Wolke, und eine Stimme aus der 
Wolke ſpricht: „Diefer ift mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohl⸗ 
gefallen habe; ihn ſollt ihr hören“ (17, 5). Daher nennt geſus mit 
vollem Recht Gott feinen Dater. „Alles iſt mir von meinem Dater 
übergeben, und niemand kennt den Sohn als der Vater, und auch 
den Dater kennt niemand als der Sohn und wem es der Sohn offen- 
baren will“ (11, 27). Auch die Jünger ahnen feine Gottheit; „die im 
Schifflein waren, kamen und beteten ihn an und ſprachen: ‚Wohrlich, 
du biſt Gottes Sohn“ (14, 33). Auch Petrus hatte ihn Sohn Gottes 
genannt: „Du biſt Chriſtus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (16, 16). 
Und zum hohenprieſter hatte geſus geſagt, daß er Chriftus ſei, der 
Sohn des lebendigen Gottes (26, 63). Der Hauptmann unter dem 
Kreuze bekannte gleichfalls: „Wahrlich, dieſer iſt Bottes Sohn ge⸗ 
weſen“ (27, 54). Nach der Auferftehung, die ebenfalls für feine Gott⸗ 
heit Zeugnis ablegt, ſprach geſus bei der Rusſendung der Rpoſtel: 
„mir iſt alle Gewalt gegeben im himmel und auf Erden. Darum 
gehet hin und lehret alle Dölker und taufet fie im Namen des Vaters 
und des Sohnes und des heiligen Seiſtes!“ (28, 19). Man beachte 
dieſe trinitariſche Formel, wodurch ſich geſus mit dem Dater und dem 
Heiligen Geifte koordiniert! Noch mehr als feine Wunder und Weis⸗ 
fagungen bekundet dann der Umſtand feine Gottheit, daß er Sünden 
vergibt; „fei getroſt mein Sohn, deine Sünden find dir vergeben“ (9, 2). 
Im Gefühle ſeiner gottmenſchlichen Würde konnte daher geſus zu den 
Phariſäern ſagen: „Bier iſt ein Größerer als der Tempel“ (12, 7). „des 
Menfchen Sohn ift herr auch über den Sabbat“ (12, 8), „hier ift mehr 
als Jonas“ (12, 41), und „hier iſt mehr als Salomon“ (12, 42). Und 
das Sottesreich, das er verkündet, iſt ebenſo fehr fein eigenes Reich 
(16, 28; 20, 21) wie das des Daters (13, 43; 26. 29). 

Der GSottesſohn ift in die Welt gekommen, um fein Volk zu erlöfen 
von deſſen Sünden; denn die Sünden verſperren den Weg zum Sottes- 
reich. Daher tritt geſus als Bußprediger auf. „Tuet Buße! Denn das 
Himmelreich iſt nahe“ (4, 17). Er iſt gekommen, ſelig zu machen, was 
verloren war (18, 11), und fefh Geben zur Erlöfung für viele hinzu⸗ 
geben (20, 28). Das Geſetz des Moſes will er nicht aufheben, ſondern 
vollenden (5, 17); den alten Geboten ſetzt er ſein majeſtätiſches „Ich 


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aber ſage euch“ entgegen (5, 22). Er bringt, wonach ſich die Pro⸗ 
pheten geſehnt haben (13, 17). Über die bloß äußerliche, ſumboliſche 
Reinigung ſtellt er die innere, ethiſche (15, 20; 23, 23). Seine Wunder 
ſind ebenſo ſehr leibliche Wohltaten wie Vorbilder und Sinnbilder 
deſſen, was an den Seelen geſchehen ſoll. Mit dem Himmelreich, das 
gefus verkündet, wird der Menfchheit eine neue Moral gebracht, 
die der Barmherzigkeit und Liebe. Aber es iſt nicht eine bloße 
Diesſeitsmoral, ein Ergebnis menſchlicher Spekulation, wie es irgend 
ein Philoſoph konſtruiert, ſondern eine durchaus von der Jdee eines 
perfönlichen Gottes beherrſchte und in all ihren Teilen auf 
das jenſeitige, ewige beben der Seele bezogene. Die erbar⸗ 
mende Liebe des Erlöfers wendet ſich mehr an die Armen und Der: 
achteten als an die Reichen und Hochgeſtellten; denn nicht die Satten 
find es, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürften. Den Armen 
wird das Evangelium verkündet (11, 5). geſus ſpeiſt mit Zöllnern und 
Sündern (9, 11); denn nicht die Befunden bedürfen des Arztes, ſondern 
die kranken (9, 12). „Zöllner und hetären werden noch eher in das 
Reich Gottes kommen als ihr“ (21, 31), ſpricht er zu den ſelbſtgerechten 
Phariſäern, die das Wichtigere des Geſetzes, die Gerechtigkeit und 
Barmherzigkeit und den Glauben, vernachläſſigen (23, 23). Die Vor- 
bedingung für die Aufnahme in das Gottesreich iſt die Demut, der 
Rinderfinn. „Ich preiſe dich, Dater, Herr des Himmels und der Erde, 
daß du dieſes vor Weiſen und kilugen verborgen, Kleinen aber ge⸗ 
offenbart haft“ (11, 25). „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, fo 
werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen“ (18, 3). „Wer ſich 
demütigt wie diefes Rind, der iſt der Größte im Himmelreich“ (18, 4). 
ein großes Hindernis für den Eintritt in das Reich Gottes iſt außer 
der Selbſtgerechtigkeit auch das haften am Ndiſchen, der Reichtum. 
„Dahrlich, ich ſage euch, es iſt ſchwer, daß ein Reicher ins himmel⸗ 
reich eingehe“ (19, 23). Beſonderen Lohn dagegen bekommt die frei 
gewählte Armut. „Wer immer fein haus oder Brüder oder Schwe- 
ſtern oder Pater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder cker um 
meines Namens willen verläßt, der wird Hundertfältiges dafür erhalten 
und das ewige Leben beſitzen“ (19, 29). Das Zweitafelgeſetz im neuen 
Reiche iſt die Sottes- und Nächſtenliebe. Die ganze Laft der 
altteſtamentlichen Geſetze und Vorſchriften reduziert geſus auf dieſe 
zwei Gebote. Welche Vereinfachung und kionzentration! Die Berg: 
predigt, die Thronrede des Erlöferkönigs, beginnt mit der Seligpreiſung 
der Armen im Geiſte, der Sanftmütigen und Trauernden, der nach 
Gerechtigkeit hungernden und Dürftenden, der Barmherzigen, der Rei- 


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nen und Friedſamen und Geduldigen (5, 3 ff.). Und beim Weltgerichte 
wird darauf geachtet werden, ob der Menſch die Hungrigen gefpeift, 
die Durſtigen getränkt, die Fremden beherbergt, die Nackten bekleidet, 
die kranken und Gefangenen beſucht hat (25, 34ff.). „Wahrlich, ſag“ ich 
euch, was ihr einem dieſer meiner geringſten Brüder getan habt, das 
habt ihr mir getan“ (25, 40). Das Chriftentum iſt kein Quietis= 
mus, ſondern heroiſcher Aktivismus. Denn das Reich Gottes 
beſteht nicht aus ſchönen Worten, ſondern aus ſtarken Taten. „Nicht 
wer zu mir ſagt: herr, Herr! wird in das Himmelreich eingehen, ſon⸗ 
dern wer den Willen meines Daters tut“ (7, 21). Ja, „das himmel⸗ 
reich leidet Gewalt und die, die Gewalt gebrauchen, reißen es an 
ſich“ (11, 12). Der herr ſtellt den Seinigen kein bequemes beben in 
Ausfiht; er kündigt ihnen harte Derfolgungen an. „Glaubet nicht, 
daß ich gekommen ſei, Friede auf die Erde zu bringen; ich bin nicht 
gekommen Frieden zu bringen, ſondern das Schwert“ (10,34). „Wenn 
mir jemand nachfolgen will, ſo verleugne er ſich ſelbſt und nehme ſein 
kireuz auf ſich und folge mir nach“ (16, 24). „Wer fein Areuz nicht 
auf ſich nimmt, iſt meiner nicht wert“ (10, 38). Aber all das muß 
geſchehen aus Bottesliebe, aus Liebe zum Vater. „Bütet euch, daß 
ihre eure Gerechtigkeit nicht übet vor den Menſchen, damit ihr von 
ihnen geſehen werdet“ (6, 1). „Du aber, wenn du beteſt, geh in deine 
Kammer, und ſchließ die Türe zu, und bete zu deinem Vater im Der- 
borgenen; und dein Vater, der im Verborgenen fieht, wird es dir ver⸗ 
gelten“ (6,6). Doch alles Gute ſoll auch geſchehen aus Liebe zu Jefus, 
um ſeinetwillen. „Wer mich vor den Menfchen bekennen wird, den 
will ich auch vor meinem Dater bekennen, der im himmel iſt“ (10, 33). 
Die Werke der Nächſtenliebe faßt er fo auf, als ob fie ihm ſelbſt er⸗ 
wieſen worden wären (25, 40). „Wer ſeine Seele um meinetwillen 
verliert, der wird fie finden“ (16, 25). In dieſem mühereichen, kampf⸗ 
vollen Leben find aber die Anhänger geſu nicht ohne himmliſche 
hilfe, nicht ohne himmliſchen Troft. „Bittet, ſo wird euch ge- 
geben werden; ſuchet, ſo werdet ihr finden; klopfet an, ſo wird euch 
aufgetan werden“ (7, 7). Gott gibt feine Gnade; „bei den Menſchen 
iſt das unmöglich; bei Bott aber iſt alles möglich“ (19, 26). „nicht 
ihr ſeid es, die da reden, ſondern der Geiſt eures Vaters iſt es, der 
in euch redet“ (10, 20). „ommet alle, die ihr mühſelig und beladen 
ſeid, und ich will euch erquicken. Nehmet mein Joch quf euch und 
lernet von mir; denn ich bin ſanftmütig und demütig von herzen. 
So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch it füß 
und meine Bürde iſt leicht“ (11, 28 — 30). mit welch eindringlichen 


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Worten weift geſus die Seinigen hin auf die göttliche Dorfehung 
(6,25—34), auf den herrlichen Cohn, der ihrer im genſeits wartet; 
„die Gerechten werden leuchten wie die Sonne im Reiche ihres Da= 
ters“ (13, 43). „Wer den Willen meines Vaters tut, der iſt mir Bru⸗ 
der, Schwefter und Mutter“ (12, 50). „Kommet ihr Befegneten meines 
Daters, und beſitzet das Reich, das euch bereitet iſt ſeit Grundlegung 
der Welt!“ (25, 34). 

In einer Reihe prachtvoller Sleichniſſe wird das Hhimmelreich ver⸗ 
anſchaulicht. Erinnert ſei hier an das Gleichnis vom göttlichen Säe⸗ 
mann, der in den Acker der Welt die Samenkörner feiner Lehre 
ausſtreut, aber nicht überall gutes Erdreich findet. Nach einem an⸗ 
deren Gleichnis ſtreut der böſe Feind auf den guten Samen des 
Botteswortes das böſe Unkraut feiner verführeriſchen Lehre, aber 
am Ende der Welt wird das Unkraut vom Weizen geſchieden. Wegen 
feiner die herzen durchdringenden und umgeſtaltenden Kraft wird das 
himmelreich mit dem Sauerteige verglichen; an Wachstumsfähigkeit 
gleicht es dem Senfkörnlein, das ſich ſchnell zu einer großen Staude 
entwickelt. Der Wert des Himmelreiches wird in dem Gleichniſſe von 
dem im Acker gefundenen Schatze und von der koſtbaren Perle an⸗ 
gedeutet. Das Himmelreich gleicht dem ausgeworfenen Netze, das 
gute und ſchlechte Fiſche fängt, aber die ſchlechten werden wieder 
Binausgeworfen. Die Bürger im Gottesreiche müſſen ſich gegenſeitig 
vertragen und Barmherzigkeit gegeneinander üben, das lehrt uns 
das Gleichnis vom unbarmherzigen kinechte. Der himmliſche König 
it frei und unbeſchränkt in Austeilung feiner Gnade; das zeigt uns 
das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberge. Den Phariſäern gilt 
das Gleichnis von dem Weinbergbeſitzer, der feinen Sohn abſchickt, 
um von den Winzern den Ertrag in Empfang zu nehmen; aber die 
Winzer töten feinen Sohn; „darum ſage ich euch, das Reich Gottes 
wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, das die 
Früchte desſelben hervorbringt“ (21, 43). Die Phariſäer ſind es auch, 
die der Einladung zum Hochzeitsmahle des Königs, zum Eintritt in 
das Gottesreich, nicht folgen, ſondern die königsboten erſchlagen. 
Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen mahnt zur 
Wadyfamkeit und zur Bereitſchaft, wenn der ktönig zum Gerichte 
kommt, und die Strenge feines Serichtes veranſchaulicht uns das 
Sleichnis von den Talenten. 

Unter dem Reiche (G oder himmelreiche iſt nicht immer das 
nämliche verſtanden. Dor allem iſt es das unſichtbare und ewige, 
das überweltliche und vorweltliche Reich des Vaters; von 


28 


dort ift der Sohn auf die Erde gekommen, dorthin kehrt er zurück 
durch feine Himmelfahrt; von dorther kommt er mit feinen Engeln 
zum Weltgerichte; dort finden Aufnahme und ewigen Lohn feine Ge⸗ 
rechten. „Ich ſage euch, daß viele vom Aufgang und Niedergang kommen 
und mit Abraham, Jſaak und Jakob im Bimmelreiche zu Tiſche ſitzen 
werden“ (8, 11). Dieſes jenſeitige Reich Gottes ſoll durch die erfte 
Ankunft geſu den Menfchen bekannt gemacht werden, es ſoll zu den 
menſchen kommen. Mit geſus iſt es in der Tat ſchon da. „Wenn 
ich durch den Geiſt Gottes Teufel austreibe, ſo iſt ja das Reich Gottes 
zu euch gekommen“ (12, 28). Aber es ſoll auch in den Herzen der 
menſchen Wurzel faſſen und geſus lehrt uns beten: „Dein Reich komme 
zu uns!“ (6, 10). So entſteht ein geiſtiges Reich Gottes in den 
Seelen der Gläubigen, eine unſichtbare Gemeinſchaft aller zu Chri- 
ftus Gehörigen, eine unſichtbare Kirche. Aber, fo fragen wir uns, 
hat geſus nicht auch eine ſichtbare kirche gegründet? Soll das Gottes- 
reich auf erden ohne Rahmen, ohne feftes Gefüge und Berüfte bleiben? 
Er hat auch eine ſichtbare Kirche vorgeſehen und vorbereitet. 

Die Predigt vom Himmelreiche erging zunächſt an die Juden, an 
die verlotenen Schafe vom hauſe Ifrael (10, 6). Nis das auserwählte 
Sottesvolk des Alten Bundes, als die Träger der altteſtamentlichen 
Verheißungen waren fie die zuerſt Berufenen. Aber die Phariſäer 
widerſtanden dem neuen Könige; fie gingen weder ſelbſt in deſſen Reich 
noch ließen ſie andere hinein (23, 13). Da wird das Reich von ihnen 
genommen. Es muß eine Scheidung eintreten zwiſchen dem 
Alten und dem Neuen. „Niemand fett einen Fleck von neuem Tuch 
auf ein altes Kleid; denn der neue Fleck macht das kleid zum Stück⸗ 
werk und der Riß wird ärger. Auch gießt man nicht jungen Wein 
in alte Schläuche; ſonſt zerreißen die Schläuche, und der Wein läuft 
aus; ſondern man gießt jungen Wein in neue Schläuche (9, 16. 17). 
Dem Riten Teſtament ſtellt geſus fein Neues gegenüber. „Dies iſt 
mein Blut des Neuen Teftamentes“ (26,28). Mit Jefu Opfertod iſt das 
Alte abgeſchafft; der Dorhang im Tempel zerreißt (27, 51), dem Tempel, 
felbft ift der unvermeidliche Untergang prophezeit. Vorher aber hatte 
defus den Wirkungskreis der Apoftel erweitert; die ganze Erde iſt 
ihnen als Miſſtonsfeld zugewieſen. Denn der neue König war nicht 
bloß für die Juden, er war für alle Menſchen gekommen. Schon in 
der Anbetung der Weiſen aus dem Morgenlande (2, 1 — 12) kommt 
der univerſaliſtiſche Charakter des Chriftentums zum Aus- 
druck. „Ihr ſeid das Salz der Erde“, ſpricht geſus zu den Apofteln; 
„ihr ſeid das Licht der Welt“ (5, 13. 14). „Sehet hin und lehret alle 


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Dölker und taufet fie und lehret fie alles halten, was ich euch be⸗ 
fohlen habe, und ſieh, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der 
Welt“ (28, 19. 20). Don dem Weibe, welches über geſu Haupt das 
köftliche Salböl ausgegoſſen, heißt es, „wo man immer in der ganzen 
Welt das Evangelium verkünden wird, da wird man auch zu ihrem 
Andenken ſagen, was fie getan hat“ (26, 13). „Und es wird dieſes 
Evangelium vom Reiche in der ganzen Welt allen Völkern gepredigt 
werden“ (24, 14). In der Auswahl und Husfendung der Apoftel 
beſteht der erſte Schritt zur Gründung einer ſichtbaren Kirche. 
Durch Spendung der Taufe, die eine ſichtbare Handlung iſt, werden 
dann auch die Gläubigen als ſolche ſichtbar; es entſteht eine ſichtbare 
Gemeinſchaft unter Leitung der Apoſtel, denen die Binde- und Oöſe⸗ 
gewalt übertragen ift (16,19; 18, 18). es ſoll ein fefter Bau entſtehen, 
in dem Chriſtus ſelbſt der Eckſtein iſt (21, 42 - 44); der Bau ſoll auf⸗ 
geführt werden auf Felſengrund; es ſoll ein Bau werden für lange 
gahrhunderte. Der Felfen iſt natürlich Chriſtus ſelbſt; aber auch dem 
Apoftel Simon hatte er, den Beinamen Fels (Petrus) gegeben und zu 
eben dieſem ſagt er ſpäter: „Du biſt Petrus und auf dieſen Felfen 
werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Hölle werden fie 
nicht überwältigen. Und dir werde ich die Schlüſſel des Hhimmelreiches 
geben“ (16, 18). Wie diefe Derheißung in Erfüllung ging, zeigt uns 
die Rirchengeſchichte. Petrus nimmt ſpäter feinen Sitz in Rom; die 
Rathedra Petri bildet ſeitdem den feſten Mittelpunkt der Kirche; dieſe 
hat die Grenzen Paläſtinas längſt überſchritten; fie iſt zur Weltkirche 
geworden, und in jedem Nachfolger des hl. Petrus verehrt ſie ihr 
ſichtbares Oberhaupt. 

Das alfo iſt die Predigt vom Himmelreiche; das iſt das Chriſtus⸗ 
bild, das uns Matthäus entworfen. Dem Keiche geſu aber hat auch 
jedes politiſche Reich ſich einzugliedern, wenn es wachſen und gedeihen, 
wenn es Gottes Segen erlangen will. Denn er iſt der unabſetzbare 
Hönig und feines Reiches wird kein Ende ſein. 


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es iſt kein Elend fo abgrundtief, daß ein Dolk ſich daraus nicht erheben 
könnte, ſofern ihm nur geſus Chriſtus Hilfe bietet; es iſt aber auch kein 
Slück auf Erden fo feſt begründet, daß es nicht zuſammenbricht, ſobald 
deſus Chriſtus feine ſchũtzende und ſegnende Hand einem Volke entzieht. 
katholiſches Dolk Deutſchlands, lenke deine ganze Sehnſucht zu Chriftus, 
richte dahin dein Gebet, dahin deine Hilferufe! Chriſtus ſei dein herr 
und dein Bott, aber auch dein Leben! Dann wird er auch deine Hilfe, 
dein Troft, deine Araft, deine Rettung fein. 


Biſchof Dr. Sigm. Waitz beim St. Ronradsjubiläum in Ronftanz 1923. 


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Glaube und Kirche. 


P. flois mager (Beuron). 


Ein Grundſatz der ſcholaſtiſchen Pſuchologie lautet: nihil volitum 
nisi prius cognitum — gewollt werden kann nur das, was zuvor 
erkannt iſt. Wird Lieben als ein Ausfluß der Willenstätigkeit ange⸗ 
ſehen, ſo erweitert ſich der Srundfaß dahin, daß nichts geliebt werden 
kann, was nicht zuerſt irgendwie erkannt if. Weſen und Ziel der 
Umwandlung, die das Chriftentum in der Einzelfeele wie in der Ge- 
meinſchaft bewirkt, iſt nichts anderes, als die Liebe, die Liebe 
Gottes zu den Menſchen und die Liebe der Menſchen zu Bott 
und zu einander. Dieſe Liebe ift Inhalt und Vollendung der Offen⸗ 
barung. Und es brauchte eine Offenbarung, um dieſe Diebe den 
menſchen bekannt zu machen. Es bedurfte einer höheren Kraft, um 
fie in den Einzelſeelen und in der Bemeinfhaft in Wirklichkeit über: 
zuführen. Liebe im chriſtlichen Sinn bedeutet etwas, was nicht bloß 
über die menſchliche Natur, ſondern über jede geſchaffene Natur hinaus⸗ 
geht. Die chriſtliche Liebe iſt übernatürlich im vollen Sinn des Wortes. 

nehmen wir den vollendetſten Gottesbegriff, den das heidniſche 
Altertum ſchuf, den ariſtoteliſchen als den Gottesbegriff, den der 
menſchliche Geift aus eigener Araft bilden kann, fo müſſen wir ſagen, 
daß dieſer Gottesbegriff die Liebe als den denkbar größten Widerſpruch 
von ſich ausſchließt. Bott ift der unbewegliche Beweger, der das All 
anzieht, wie das „Beliebte den Liebenden“. Wie der Apfel, ſelber 
unbeweglich und unbewegt, die Luft im Anaben weckt und das Aus= 
ſtrecken der hand, die Bewegung des Anaben zum Apfel hin bewirkt, 
fo bewegt Sott das All. Und dieſes Bewegtwerden des All iſt feine 
Seinsvollendung. Das hinbewegtwerden des Niederen zum höheren 
war für die Alten Liebe. Das Unbewegte kann keine Liebe haben. 
Es ſchließt alſo abfolut jede Liebe ſchon im antiken Sinn aus. Liebe, 
foweit man im antik⸗heidniſchen Sinn von Liebe ſprechen kann, be⸗ 
ſteht nach Ariftoteles darin, daß das Niedere vom höheren einfeitig 
etwas empfängt, was es vorher nicht beſaß. Nuch die Freundſchaft, 
die nach Ariftoteles nur zwiſchen Gleichen ſich bilden kann, geht auf 
dieſen Brundfag des einfeitigen Empfangens zurück. Eine Freund⸗ 
ſchaftsliebe zwiſchen Bott und den Menſchen iſt erſt recht ein Wider⸗ 
ſpruch. Hriſtoteles erklärt daher mit Recht denjenigen für geiſtesgeſtört, 
der Zeus lieben wollte. Die chriſtliche Liebe iſt weſensverſchieden von 
der Freundſchaftsliebe der Alten. Beſitzen iſt das höchſte für den an⸗ 
tiken Menſchen. Beben bedeutet ſich feines Beſitzes berauben. Liebe 


31 


iſt das Streben des Nichtbeſitzenden nach Beſitz. Die Liebe der Offen- 
barung bedeutet eine vollſtändige Umkehrung dieſer Ordnung. hier 
ift Geben nicht Sichberauben, ſondern Beſitzen. Beſitzen ift Geben und 
Beben Beſitzen. Weil das Weſen Gottes in der Liebe befteht, if Gott 
ſozuſagen Gott, weil er die Gottheit nur beſitzt, indem er ſie gibt, 
nämlich in den drei göttlichen Perfonen. Wir Menfchen können, wie 
überhaupt jedes geſchaffene Weſen, dieſe Liebe nicht aus uns haben. 
Wir können lieben nur inſofern als wir teilnehmen am beben der 
heiligſten Dreifaltigkeit. Da haben wir wirklich Teil an dieſem Be⸗ 
fiten, das Geben iſt. Dieſe Teilnahme muß ſich darin bewähren, daß 
wir unſeren Mitmenſchen gegenüber nicht geben, um zu empfangen, 
ſondern geben, damit wir beſitzen können, nämlich die Liebe Gottes. 
Wir können dieſe innere Einſtellung und haltung unſeren Mitmenſchen 
gegenüber nur inſofern und ſoweit haben, als wir teilhaben an der 
göttlichen Liebe. Darum ſagt der hl. Johannes: „Wer behauptet, er 
liebe Zott, haſſet aber feinen Nächſten, der iſt ein bügner.“ haſſen iſt 
nehmen, Nehmen ift Sichberauben. Denn Lieben ift Geben, Geben ift 
Beſitzen. Dieſer Liebesbegriff geht zwar nicht gegen unſere Vernunft, 
wohl aber über unfere Dernunft. Die Liebe iſt übernatürlich. 

Damit wir dieſer übernatürlichen Liebe teilhaftig werden, müſſen 
wir zuerſt erkennen, daß Gott die Liebe iſt, daß er und wir und alle 
Menfchen liebenswürdig find. Die Liebe aber geht über unfere Der- 
nunft, ja über jedes geſchaffene Erkenntnisbsermögen. Es muß uns 
alſo eine übernatürliche, nur von der Liebe Bottes bewirkte Erkenntnis⸗ 
möglichkeit mitgeteilt werden, damit wir den Gegenſtand der Liebe 
erkennen und damit der göttlichen Liebe teilhaftig werden können. 
Dieſes übernatürliche Erkenntnisvermögen bildet die abſolute Grund- 
lage des ũbernatürlichen Lebens in der Einzelfeele wie in der Gemein⸗ 
ſchaft. Wir nennen dieſes übernatürliche Erkennen Glauben. 

Die Richtigkeit der Liebe hängt nach den Geſetzen der Pſuchologie 
von der Richtigkeit des Erkennens, alſo von der Richtigkeit des Blau- 
bens ab. Darum bildet das Blaubensleben den Anfang und Grund⸗ 
ſtein, auf dem alles ruht. 

Was iſt denn eigentlich der Glaube? Er hat mit jedem Erkenntnis- 
vorgang das eine gemein, daß er eine Selbſtmitteilung des Gegen- 
ſtandes an den Erkennenden iſt. Den Gegenftand des Glaubens aber 
kann ich mit meinem Erkennen nicht unmittelbar faſſen. Es gibt nur 
einen Weg, um doch Aenntnis von dieſem unerreichbaren Gegenftand 
zu erlangen: Das Zeugnis eines anderen. Dieſes Zeugnis aber kann 
nur einer geben, der den Begenftand unmittelbar erreicht. Das Weſen 


32 = 
Gottes, die Diebe, erfaßt unmittelbar nur Gott ſelber. Alſo Bott felber 
mußte ſich uns offenbaren. „Denn nie hat einer Bott geſehen“, heißt 
es im gohannesevangelium; „der eingeborene Sohn, der im Schoß 
des Vaters ift, der hat uns Hunde gebracht.“ In der Tat, der Bottes: 
fohn, vorbereitet durch die Bottesoffenbarung des Alten Bundes, trat 
als Menſch unter den Menſchen auf und offenbarte uns die Liebe. 
Seine irdiſche Begenwart dauerte nur kurze Zeit und beſchränkte ſich 
nur auf ein kleines and mit beſtimmten Gebräuchen. Seine Gegen— 
wart aber muß alle Zeiten, alle Menfchen erreichen, um ihnen Zeugnis 
zu geben, damit fie die übernatürliche Welt im Glauben erfaſſen. 
Chriftus lebt weiter in der Gemeinſchaft, die er gründete, in der hei— 
ligen Kirche. Die Kirche ift der fortlebende, menſchlich immer gegen— 
wärtige Chriftus. Die Auswirkung unſeres Glaubenslebens vollzieht 
ſich alſo: Die katholiſche ktirche iſt eine ſichtbare, allen Menſchen, 
allen Zeiten zugängliche Erſcheinung. Sie offenbart uns fort und fort 
jene übernatürliche Welt, die ein geſchaffenes Erkennen aus ſich nie 
erreichen würde. Wir nehmen fie auf das Zeugnis der Rirche hin an. 
Wir glauben. JIft es etwa gegen die Vernunft, etwas auf ein Zeug— 
nis hin anzunehmen? Daß ich jemand als Zeugen erkenne, iſt ein 
gewöhnlicher Erkenntnisvorgang. Indem ich aber jemand als Zeugen 
erkenne, erkenne ich ihn als einen, der etwas mitteilt, was ich nicht 
unmittelbar erkenne. Ich erkenne es nur als mitgeteilt. Der Zeuge iſt 
das Mittelding, das unmittelbar mit jenem Etwas in Berührung ſteht. 
Ich ſtehe unmittelbar nur mit dem Mittelding in Berührung, das ſelbſt 
unmittelbar mit dem für mich Tliht=Erkennbaren in Berührung ſteht. 
Das iſt aber durchaus vernünftig, jemanden als unmittelbar mit etwas 
in Derbindung ſtehend zu erkennen, das ſelber meiner Erkenntnis ſich 
entzieht. Jemanden als Zeugen erkennen heißt, jemanden als glaub— 
würdig erkennen. Das Erkennen der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der 
uns die übernatürliche Welt offenbart, iſt eine natürliche Erkenntnis. 
Wir ſehen, wie vernünftig es iſt, zu glauben. Denn der Glaube 
ſchließt, obwohl von ihr weſensverſchieden, ſtreng logiſch an eine 
natürliche Erkenntnis an. Wie die Gnade die Natur vörausfeßt, ſo 
der Glaube die natürliche Erkenntnis der Glaubwürdigkeit der Bezeu⸗ 
gung. Das Bejahen der Slaubwürdigkeit iſt natürlich, das Bejahen 
aber deffen, was der glaubwürdige Zeuge ſagt, iſt übernatürlich. Das 
iſt der Glaube. So greifen Natur und Übernatur hier ineinander über. 
Eines Freundes Zeugnis für wahr halten, ſetzt Vertrauen voraus. 
Darum heißt Glaube im Lateinifchen fides, d. i. Dertrauen, Treue. 
Jſt es vernünftig, zu glauben? ga, wenn die Bejahung der Glaub⸗ 


33 


würdigkeit, auf der die Bejahung des Zeugnisinhaltes fußt, aus einer 
Gewißheit hervorgeht. Die Gewißheit der Glaubwürdigkeit kann ſo⸗ 
lange keine abſolute ſein, als der Jeuge irren kann. Abſolut iſt alſo 
die Gewißheit nur dort, wo Gott ſelber bezeugt. Steht einmal feſt, 
daß es einen Bott gibt und Bott geſprochen hat, dann iſt die Blaub- 
würdigkeit feiner Bezeugung abſolut gewiß. Glauben im eigent⸗ 
lichen Sinn iſt nur die Annahme des Zeugnisinhaltes, die auf die 
Autorität Gottes ſich ſtützt. Darum beſtimmt das Datikanifche Konzil 
den Glauben als „eine übernatürliche Tugend, durch die wir unter dem 
Einfluß und dem Beiſtand der Gnade Gottes das, was von ihm ge⸗ 
offenbart worden iſt, fürwahrhalten nicht wegen der inneren Wahrheit 
der Dinge, die ja durch das natürliche Licht der Vernunft nicht er⸗ 
kannt werden kann, ſondern auf Grund der Autorität des ſich offen⸗ 
barenden Gottes felber, der nicht irren und nicht in Irrtum führen kann.“ 
Das Daſein Gottes kann natürlich bewieſen werden, d. h. wir können 
von dieſer Tatſache eine natürliche Gewißheit bekommen, wie das 
Datikanum ausdrücklich bemerkt. 
Der Vollzug unſeres Glaubenslebens ift dieſer: Die katholiſche Kirche 
verkündet in unmittelbarem Auftrag Gottes beſtimmte Wahrheiten. 
Auf Grund der Glaubwürdigkeit der kirche nehme ich dieſe Wahre 
heiten, die ein geſchaffenes Erkennen niemals begreifen könnte, an. 
Das iſt der Glaube. Die Frage iſt nur die, ob die Kirche wirklich 
glaubwürdig iſt. Dies feſtzuſtellen iſt Sache des natürlichen Erkennens. 
Spricht die Kirche in unmittelbarem Auftrag Gottes? Was ſagt die 
ktirche von ſich ſelber? Sie bezeichnet ſich als den fortlebenden Chriftus. 
Wenn ſie das iſt, dann iſt ſie abſolut glaubwürdig. Im unfehlbaren 
behramt und in der Eudariftie vor allem lebt Chriftus in der 
Kirche weiter. Es läßt ſich mit natürlichen Erkenntnismitteln nach⸗ 
weiſen, daß beide Einrichtungen auf defus von Nazareth zurückgehen. 
Wer war dieſer geſus von Nazareth? hat er wirklich gelebt? Beide 
Fragen muß das natürliche Erkennen beantworten. Es bejaht mit 
geſchichtlicher Gewißheit, daß geſus von Nazareth gelebt hat. Und 
dieſer Jeſus ſagte von ſich, daß er Gottes Sohn ſei, daß er alſo aus 
unmittelbarem göttlichen Wiſſen die übernatürliche Welt uns bezeugt. 
Daß feine Nusſage, er fei Bott, glaubwürdig ift, bewies er durch Tat⸗ 
ſachen, die keine geſchaffene Kraft, ſondern nur Gott bewirken kann: näm⸗ 
lich durch Wunder und Weisſagungen. Und dieſer geſus gründete eine 
Semeinſchaft, in der er fortlebt und fortwirkt. Und als dieſe Semein⸗ 
(haft weiſt ſich eben die katholiſche Kirche aus. Und wir glauben, 
weil die katholiſche Kirche abſolut glaubwürdig iſt. Den wiſſenſchaft⸗ 


Benedlrnniſche Monatſchriſt VI (1924) 1—2. 3 


34 
lichen Nachweis der abfoluten Glaubwürdigkeit der katholiſchen kirche, 
die ich in einer großen Ginie gezeichnet habe, führt die Rpologetik. 
Meine Abſicht ift es hier nicht, das Glaubensleben apologetiſch zu 
begründen. Ich halte mich deshalb nicht länger bei dieſen Gedanken⸗ 
gängen auf. Ich verweiſe auf die apologetiſchen Werke, die den Be⸗ 
weis bis in die Einzelheiten ausführen. * 

Ein Srundübel muß ich in diefem Zuſammenhang berühren, an dem 
vor allem das moderne Glaubensleben krankt. Der moderne Menſch 
will nur glauben, was er einſieht. Das iſt ein Widerſpruch, der ganz 
offen zutage liegt. Was ich einſehe, kann ich nicht glauben, und was 
ich glaube, kann ich nur glauben, weil ich es nicht einſehe. Der In⸗ 
halt der Offenbarung iſt weſensmäßig ſo, daß er nie durch ein ge⸗ 
ſchaffenes Erkennen in ſich begriffen werden kann. Er muß, wenn 
anders er erfaßt werden ſoll, geglaubt werden. Er kann daher auch 
nie im eigentlichen Sinn oder wiſſenſchaftlich bezweifelt oder widerlegt 
werden. Der Einſicht und zwar der menſchlichen Einſicht offen ſteht 
nur die Glaubwürdigkeit der Kirche. Don dieſer Glaubwürdigkeit ſagt 
allerdings das Datikanum, daß es nie eine gerechte Urſache geben 
könne, dieſe in Zweifel zu ziehen. Gemeint war, daß die Slaubwürdig- 
Reit objektiv fo geſichert ift, daß fie mit gerechtem Grund nicht be⸗ 
zweifelt werden kann. Was aber objektiv gewiß iſt, iſt es noch lange 
nicht ſubjektiv. Auf ſeiten der Einzelmenfchen beſteht eine weitgehende 
Möglichkeit ſelbſt zu unverſchuldeten Schwierigkeiten und Zweifeln. 
Die Schwierigkeiten und Zweifel aber können ſich nie unmittelbar auf 
den Offenbarungsinhalt beziehen, ſondern nur auf die Glaubwürdigkeit 
des Offenbarers. In dem Grad allerdings, als die Glaubwürdigkeit 
pofitiv bezweifelt wird, verſchwindet auch der Blaubensinhalt. In dem 
Grad als die natürliche Gewißheit der Glaubwürdigkeit erſchüttert ift, 
wankt die Bejahung des Offenbarungsinhaltes ſelber, die auf jener fußt. 

Wir unterſcheiden zwiſchen Tugend des Glaubens und dem Glau⸗ 
bensakt. Die Tugend des Glaubens iſt jene Grundhaltung der Seele, 
durch die der Menſch immer die Bereitſchaft und Fähigkeit beſttzt, 
irgend einen Offenbarungsinhalt zu bejahen. Die Bejahung im Einzel- 
fall iſt der Akt des Glaubens. Es iſt viel darüber geſtritten worden, 
ob der Glaube mehr Derftandes= oder Willensakt ſei uſw. Ich will mich 
darauf nicht einlaſſen. Jedenfalls, eines iſt gewiß: Ein Derftandesakt 
allein macht nie den Glauben aus, die Zuftimmung des Willens ift 
weſenhaft erfordert. Allerdings fett die Fuſtimmung des Willens eine 
irgendwie geartete Derftandeserkenntnis voraus. 

Es iſt vielleicht richtiger, mit der neueren Pfychologie zu ſagen: 


35 


der Glaube [ei die Bejahung, Anerkennung einer Erkenntnis. 
Bejahung, Anerkennung ift ein perſönliches Sichzueigenmachen. Per⸗ 
ſönliches aber kann nur im Willen ſich vollziehen. 

Diel wichtiger als der theoretiſche Aufbau des Glaubens ift die 
wirkliche Entſtehung und innere Ausgeftaltung des Glaubens. Darüber 
gibt uns der hl. Paulus unvergleichlichen Aufſchluß. Nach Paulus 
wird der Glaube angeregt vom lebendigen Wort, von der Glaubens- 
predigt. — Die Kirche ſpricht durch ihre Diener. Wie jedes andere 
Wort ſoll es überzeugend auf die Seelen wirken. Es ſoll die Glaub⸗ 
würdigkeit unmittelbar auf pſuchologiſchem Weg zur Überzeugung in 
der Einzelfeele bringen. Das iſt aber nur Vorbereitung. Auch das 
Bejahen des Predigtinhaltes iſt noch nicht die Tugend des Glaubens; 
denn es iſt, wenn auch mit Hilfe der Gnade zuſtande gekommen, 
in ſich noch nicht übernatürlich. Erſt durch die Eingliederung in die 
Bemeinfchaft der Gläubigen, in der Chriftus weiter lebt, bekomnft die 
Einzelfeele Anteil an Chriſtus und durch ihn an der übernatürlichen 
Welt. Die Eingliederung in die kirche vollzieht ſich in der heiligen 
Taufe. Da wird die Seele übernatürlich wiedergeboren und erhält 
jene Srundrichtung auf Chriſtus durch die Semeinſchaft. Da empfängt 
die Seele die Tugend des Glaubens, die dann durch einzelne Akte 
immer mehr vertieft wird. Dieſe Tugend kann nur durch einen Akt des 
Unglaubens verloren gehen. Jene Weſensprägung als Teil in dem Leib 
Chrifti geht nie verloren. 

Und worin beſteht ſeeliſch nach dem hl. Paulus der Glaube? Der 
hhebräerbrief ſagt es uns: „Der Glaube iſt ein Sichherablaſſen von erſt 
zu hoffenden Dingen, ein Inhaltsverzeichnis von noch nicht geſchauten 
Dingen“ (Hebr. 11, 1). Was ſpäter einmal Vollbeſitz fein wird, fängt jetzt 
ſchon an in Beſitz genommen zu werden; was ſpäter einmal ſich ganz 
enthüllen wird, wird jetzt ſchon im Inhaltsverzeichnis gewußt. Das 
Inhalts verzeichnis eines Buches gibt eine dunkle, ganz allgemeine 
Ahnung vom Gehalt eines Buches, der ſich aber erft bei der beſung 
des Buches enthüllt. Die Blaubenswahrheiten verhalten ſich zum 
dereinſtigen Schauen wie das beſen des Inhalsverzeichniſſes eines 
Buches zum Lefen des Buches ſelber. Was der hl. Paulus fagen will, 
iſt dieſes: Das, was einſt der Seelenzuſtand ſein wird in der End⸗ 
vollendung, im Dollbefig Gottes, das iſt der Glaube im Reim, im 
Anfang. Paulus faßt den Glauben als Geben, als einen vitalen Akt, 
nicht einſeitig als Derſtandes⸗ oder Willensakt. Der hl. Thomas bringt 
den pauliniſchen Gedanken mit wundervoller Klarheit zum Ausdruck, 
wenn er fagt: „Der Glaube iſt der Beginn des ewigen Lebens in uns.“ 

3* 


36 


beben alfo ift der Slaube, nicht ein theoretiſches Fürwahrhalten. Liebe 
ift das Leben Bottes, das ewige Leben. Glauben ohne Liebe ift tot. 
Der hl. Paulus und der hl. Jakobus betonen es mit aller Schärfe. 
Darum verbindet ſich bei Paulus mit dem Glauben als die Hauptſache 
immer die Liebe. Die Liebe, der hl. Geift, iſt ausgegoſſen in unſere 
herzen uſw. Ein wahres, lebendiges Glaubensleben beſteht nach der 
Hl. Schrift darin, daß die ewigen Wahrheiten als Motive für unſer 
handeln aufgenommen werden. 80 wird der Glaube zum beben. 
Der Heiland konnte daher bei Johannes ſagen: „Wenn nur einer den 
Willen meines Vaters täte, der würde erfahren, daß meine Worte, 
Wahrheit ſind.“ Immer und immer wieder betont Chriſtus den engen 
ZJuſammenhang zwiſchen Glauben und ewigem Leben. „Wer glaubt, 
hat das ewige beben.“ Es kann nicht zweifelhaft fein, daß die Slau⸗ 
bensmüdigkeit und Glaubensverödroſſenheit der modernen Menſchen 
daher kommen, weil der Glaube viel zu ſehr als Wahrheitsſuſtem 
aufgefaßt wird und viel zu wenig als Leben. Der innere Kontakt 
der Seele mit den Blaubenswahrheiten ift vielfach verloren gegangen. 
ga, es hat fi eine luft aufgetan zwiſchen dem wirklichen Seelen⸗ 
leben und den objektiv formulierten Slaubenswahrheiten. Es iſt ein 
gutes Zeichen, daß dieſe Kluft vom heutigen Menſchen ſo tief emp⸗ 
funden wird. Er will den Glauben wieder erleben. Und wo ein 
Wille iſt, da hat ſich auch immer noch ein Weg gefunden. a 

Wie follen wir heute, fo müſſen wir uns fragen, unſer Glaubens- 
leben geftatten? Die Weltnot ift zu einer höhe angewachſen, aus der 
die Menſchen keinen Ausgang mehr finden. Die Dölkernöte, die 
Seelennöte, die wirtſchaftlichen, ſozialen und politiſchen Nöte ſchreien 
nach Löfung. Ohnmächtig ſtehen die Menſchen da. Sie alle ahnen, 
daß nur eines Rettung bringen kann: Liebe. Es gibt aber nur einen 
Weg, auf dem die Liebe in die Menfchen und Dölker kommen kann: 
Durch den Glauben. Nur wo lebendiger Glaube iſt, herrſcht wahre 
biebe. Liebe iſt der eigentliche Begenftand der Offenbarung. Aus 
uns können wir es nie erfinden und ergründen: Das Seheimnis 
der Liebe. Wir ſahen, zu welchem Gottesbegriff die natürliche Er⸗ 
kenntnis führt: Der Gott, der unbeweglich und unbewegt die Welt 
ewig in Bewegung hält. Niemals kann ein Verhältnis der Liebe 
zwiſchen Bott und Geſchöpf ſich KRnüpfen. Nur ein Verhältnis war 
denkbar: das zwiſchen dem Untertan und der unnahbaren Majeſtät 
des Herrſchers. Wie ganz anders tritt uns Gott in der Offenbarung 
entgegen. Er iſt die Liebe. Und das Weſen der Liebe befteht eben in 
dem für das natürliche Erkennen unbegreiflichen Widerſpruch: Beſitzen 


* 


37 


iſt hingeben und Hingeben ift Beſitzen. Gott beſitzt die Fülle göttlichen 
bebens, indem er es ganz mitteilt. Daher die weſenhafte Dreiperfön- 
lichkeit in der einen göttlichen Natur. Hier iſt die abſolute Liebe 
Wirklichkeit, uns unbegreiflich, dem Glauben aber die Offenbarung 
einer Wunderwelt ohnegleichen. Ein Weiterwirken der göttlichen 
biebe über das Geheimnis der Dreifaltigkeit hinaus iſt die Erſchaffung 
der Welt, der Geiſterwelt der Engel, des Menſchen und der ſichtbaren 
Welt. Das Verhältnis des Schöpfers zum Geſchöpf ift Liebe. Erft 
wenn dieſe Tatſache in uns zum bewußten Erlebnis wird, erft dann 
find wir Kinder Gottes im eigentlichen Sinn. Solange das klinechts⸗ 
verhältnis noch den Grundton unſerer Stellung zu Gott iſt, ſtecken 
wir noch im Heidentum. Wie ſehr die Liebe der Grund der Schöpfung 
iſt, geht aus einer weiteren Tatſache hervor. Aus freier Willenstat — 
Willensfreiheit iſt das Weſen des Menſchen — zerſtörte der Menſch 
das Verhältnis der Liebe zwiſchen Gott und ſich. Gerade im Der: 
halten Gottes gegenüber der Bosheit des Menſchen offenbart ſich erft 
recht das Weſen der Liebe. Gott neigte ſich in der zweiten Perſon 
herab in den Abgrund, in den die Menſchheit geſtürzt war. Gottes 
Sohn ward menſch. Nuch als Sottmenſch war er ganz Liebe. Denn 
er gab ſein beben hin, um es als Gottmenſch für alle Ewigkeit zu 
befigen. Seitdem weilt die Liebe Gottes ſelber unter uns. Der Gott⸗ 
menſch bleibt gegenwärtig in der Gemeinſchaft der Erlöften, in der 
Suchariſtie und im unfehlbaren behramt. Beide Einrichtungen 
find nur als Denkmale göttlicher Liebe zu begreifen. Wenn die 
Wiedererneuerung der Menſchheit vollzogen ſein wird, kommt die 
Auferftehung des Fleifches. 

Die freien Wefen, die in der Bosheit, in der vorſätzlichen Ablehnung 
der Liebe Gottes verharren, befinden ſich mit freiem Willen und mit 
vollem Bewußtſein in einem Seelenzuſtand, der eben die hölle iſt. 
Bott iſt von ſich aus ganz Liebe auch den Verdammten gegenüber. 
Wie aber ein krankes, verderbtes Auge Licht und Farbe nicht wie 
das geſunde als Freude und Luft, ſondern als Qual empfindet, fo 
kann eine Seele im Endzuſtand, die mit freiem Willen die Liebe von 
fi geſtoßen, alſo in ſchwerer Sünde ſich befindet, die Liebe Gottes 
nur als die furchtbarſte Pein empfinden. 

50 ift der Inhalt unſeres Glaubens tatſächlich nur Liebe. Was ich 
vorhin ſagte, war in kurzen Strichen nur der Inhalt unſeres Glaubens. 
nehmen wir die Summa theologica des hl. Thomas oder ſonſt ein 
Werk der Dogmatik zur hand: Das und nichts anderes iſt ihr Inhalt. 
Soll unſer Glaubensleben zu neuer Macht erwachen, fo muß es die 


38 


Blaubenswahrheiten vor allem als Offenbarung der Liebe begreifen. 
Wir müſſen fie als Offenbarung der Liebe erleben. Und da die heilige 
Kirche die immer gegenwärtige Offenbarung Gottes iſt, muß es unſer 
Streben fein, das beben der Kirche zu leben, das Bewußtſein der 
Kirche zu unferem Bewußtſein zu machen. Die Kirche iſt immer⸗ 
fort Gegenwart. Wir brauchen nicht in die Vergangenheit zu ſchauen. 
Wir find heute geradefogut die Kirche, der fortlebende Chriſtus, wie 
die kleine Schar im Abend mahlſaal oder die Kirche der erſten Jahr: 
hunderte. Leben wir das beben der Kirche als Bemeinfchaft des 
Glaubens und der Liebe. Und wir werden es leben, wenn wir die 
Euchariſtie in Meffe und kommunion und das unfehlbare Lehramt 
zur Quelle unſeres Cebens machen. Dann find wir auf dem beſten 
Weg zur vollendeten Innerlichkeit und zur vollendeten Gemeinſchaft. 

Dann wird unſere heilige kirche von neuem zum Licht auf dem 
Scheffel werden, nach dem die ſuchende Zeit ausſchaut, zur Stadt auf 
dem Berge, zu der die Dölker pilgern. Die Liebe zur Kirche über alles! 


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Die Wurzel des Gebens. 


Ds man nach beftimmten, feſten Gehren nicht viel fragen müſſe, daß es das 
höchſte Glück eines chriſtlichen Lebens ſei, ſich dem Dienſte des Nächſten zu 
weihen, ſo hatte man ihm geſagt. 

„Doch da konnte ich nicht einſehen“, ſchreibt der junge Inder“, „wie die chriſtliche 
Religion die einzig wahre fein könne, wenn fie mir dieſe Pehre vortrage. Kein ver⸗ 
nünftiger Menſch auf der Welt, was für religiöfe Überzeugungen er auch immer 
haben mag, kann leugnen, daß Nächſtenliebe etwas Großes iſt. Wo bleibt denn da 
die Eigenart des Chriftentums? Außerdem gab ja auch die Urkirche nicht dieſe behre 
als die einzige, die ſie der Welt brachte. Aber viel Blut wurde in ihr vergoſſen, 
um darzutun, daß Jeſus der Sohn Gottes war, der gekreuzigt wurde, aber am dritten 
Tage wieder von den Toten auferſtand.“ 

mit ſozialen Problemen ſollte er ſich beſchäftigen! Da wollte der Inder doch erſt 
wiſſen, „was denn das Chriſtentum mit Soziologie zu tun habe“. Er wollte den 
chriſtlichen Slauben kennen lernen, und er wollte ihn ganz kennen lernen. Und 
die Snade wies ihn den rechten Weg; fie gab ihm Licht und Kraft. Sie gab ihm 
den Mut, ſelbſt die ſtärkſten Bande zu löſen, die Bande des Herzens. Sie führte 
ihn ſchließlich „vom Hinduismus zum Katholizismus“. 

„Diele tauſend menſchen kamen ſchon dazu, Zott zu lieben, indem fie die Men- 
[hen liebten.“ Aber „der Glaube lernt am ſchnellſten; denn er verliert ſich 
bald in jene Liebe, die alle Dinge auf einen Blick ſieht und verſteht. Wie viele 
menſchen meinen, fie könnten ihre geiſtlichen Krankheiten dadurch heilen, daß ſie 
ihre Liebe vermehren, wo es beſſer wäre, fie pflegten ſorgfältig ihren Glauben“. 

Nicht im Glauben allein liegt hinieden das Leben, nicht allein in der Liebe. Das 
beben liegt im „Glauben, der ſich in der Liebe betätigt“ (Gal. 5, 6). 


! Dom Hinduismus Zum ktatholizismus. Selbftbekenntniffe eines jungen Brahmanen. Leuchtturm 15 
(1921/22) 137 ff. 2 Faber RKReiching, Bethlehem". (Regensburg 1865) 219 u. 250. 


89 


Chriſtus im Gleichnis der Sonne. 


Eine kleine liturgiegeſchichtliche Uamenſtudie zum Sonntag. 
Don P. Anfelm Manſer (Beuron). 


er Einigkeit in Bezug auf Umfang und Ausgangspunkt der Woche 

bei den verſchiedenen chriſtlichen Dölkern, Kirchen und Gottesdienſt⸗ 
orönungen ſteht gegenüber eine Derfchiedenheit in der Benennung der 
einzelnen Wochentage. Alt- und neuteſtamentliche, vorchriſtliche und 
chriſtliche, übernommene und ſtammeseigene, morgen: und abend⸗ 
ländiſche Züge haben ſich in der Namenreihe der Wochentage ungleich 
und mannigfach verbunden und vermiſcht. Damit ſpiegelt ſie unſchein⸗ 
bar und doch klar und bedeutſam die geſchichtliche Miſchung und Der: 
knüpfung von Kulturen und Zeiten wieder. 

In der romaniſchen Dölkerfamflie des Südens und Weſtens trägt 
der haupt⸗ und Eröffnungstag der Woche im Gegenſatz zu den folgen⸗ 
den Wochentagen den neuteſtamentlichen und reinſt chriſtlichen und 
liturgiſchen Namen „Tag des herrn“, d. h. Tag Chriſti. Das gemein⸗ 
ſame Stammwort bot den lautlich verſchieden geſtaltenden romaniſchen 
Tochterſprachen die altkirchliche lateiniſche Bibelüberſetzung im 10. Vers 
des 1. Rapitels der Geheimen Offenbarung des Apoſtels Johannes: 
in dominica die«: „am Herrentage“. g 

Unter den germaniſchen Völkern eignet dagegen dieſem erſten 
und führenden Wochentag die an ſich und zunächſt mehr naturhaft 
als geſchichtlich und gottesdienſtlich klingende Bezeichnung: Sonnentag, 
Sonntag. Den obwaltenden und abſtechenden Tatbeſtand hat ſchon 
der heilige Geſchichtſchreiber des chriſtlich gewordenen germaniſchen 
Frankenſtammes, Biſchof Gregor von Tours (+ 594), deutlich hervor⸗ 
gehoben: in feinen „Zehn Büchern fränkiſcher Geſchichte“ (B. III, flap. 15). 
Ein reicher, mächtiger Franke im Trierer Gebiet bedeutet feinem neuen, 
vielberſprechenden koch: „Schau! gerade ſteht der Sonntag bevor; 
an dieſem Tag werden meine Nachbarn und Derwandten in mein 
haus geladen.“ Zum Worte Sonntag (dies solis) ſchiebt der chriſtliche 
herodot und Sprößling einer alten, vornehmen und ganz in die Kirche 
hineingewachſenen Rö merfamilie die Erläuterung ein: „So iſt nämlich 
fremder [fränkifcher] Brauch (barbaries) gewohnt, den herrentag 
(diem dominecum) zu nennen.!“ 

Sleichwie Nichtchriſten durch die weihende und umwandelnde Taufe 
in den Bottesbund der Kirche und das Heerlager Chriſti Aufnahme 


Monumenta Germaniae hist., Scriptores rerum Meroving., I, 1885, S. 123,5 ff. 


40 


und Eingliederung finden, fo gewannen auch manche vor= und außer= 
chriſtliche Worte und Gleichniſſe durch Erfüllung mit chriſtlichem Sinn 
und Empfindungswert Bürgerrecht im kirchlichen Gedanken- und Sprach⸗ 
ſchatz, Schrifttum und Bildweſen. In großer und tiefgründender Forſcher⸗ 
weiſe hat das bezüglich des Fiſchſinnbildes unlängſt ein bewundertes 
Werk der Religionsgeſchichte und chriſtlichen Altertumskunde en 
und veranſchaulicht: Fr. 9. Dölger’s IXO. 

Das Frühchriſtentum und die Blütezeit der Kirchenväter iſt reich 
ausgeſtattet mit dem ſtillen und heimlichen Sinnbild des ſchweigenden 
Fiſches, der vorab auch Opfer und Opferſpeiſe war und bedeutete. 
mit dem Anbruch und Erſtarken der germaniſchen mittelalterlichen 
Welt des Abendlandes nach dem Untergang des alten, durch griechiſche 
und morgenländiſche Juflüſſe befruchteten Römerſtaates tritt dieſes 
Sinnbild aus dem allgemeinen Lehen und Derftändnis zurück und wird 
gleichſam ein erſtorbenes Wort. Don erheblichem Einfluß hiebei war 
wohl, daß dieſes Bild Chrifti nicht von den Gottesbüchern der Bibel 
getragen und geſchirmt war. Somit floß es nicht aus dieſer immer 
lebendigen und göttlich verehrten Quelle über eine erlöſchende Kultur 
hinweg in eine neue hinein. Anders war das Geſchick des großen 
und glänzenden Sonnenbildes Chriſti. Das beruht zum Teil wohl auf 
reger werdendem frommen Naturſinn und gefühl, wie es ih auf 


der Mittagshöhe des europäiſchen Mittelalters ebenſo tiefreligiös wie 


echt volkstümlich im Sonnengeſang des heiligen Ordensſtifters und 
Troubadours Franz von Aſſiſſi (+ 1226) durchbricht: 
Gelobt ſeiſt Du, mein Herr, mit allen Deinen Geſchöpfen, 
inſonderheit mit dem edlen Bruder Sonne, 
der den Tag wirkt und leuchtet durch ſich, 
und ſchön iſt er und ſtrahlend mit großem Glanze; 
von Dir, Allerhöchſter, trägt er ein Sinnbild! 

Schon ums Jahr 400 bot der heilige Miſſtonsbiſchof Niceta von 
Remefiana im heutigen Serbien eine lehr- und kultgeſchichtlich be⸗ 
merkenswerte Aufzählung und Erläuterung bibliſcher Benennungen 
Chriſti (De diuersis appellationibus). Der warmherzige Förderer 
gottesdienſtlichen Semeindelebens, und allem nach vollendende Bau— 
meiſter des Te Deum, führt vierundzwanzig ſolcher Chriſtusnamen auf 
und wertet fie in ſchlichter Sprache ſinn- und troftvoll für die Chrift- 
gläubigen aus. Wohl erſcheint hier der Erlöfer als „Licht“ (lux), 
aber nicht als Sonne. 

Etwa drei Jahrhunderte ſpäter liegt ein ähnliches, aber weit vol⸗ 
leres und zwar griechiſches Verzeichnis bibliſcher Benennungen und 


41 


Beiworte Chrifti. Die uns überlieferte Textgeſtalt bietet deren 187. Über 
zehn kommen wohl in Wegfall. Die lange Cifte bleibt auch fo ein 
bedeutfames Denkmal der Chriſtuslehre und ⸗verehrung, das viel⸗ 
leicht der hand des gottesgelehrten Mönches Anaftafius (+ nach 700) 
vom Sinai entſtammt. Die Fülle und Erhebung der Namen beruht 
auf der vorausliegenden Auffaffung der heiligen Schriften durch die 
Däter. Das Derzeichnis iſt ja nur ein Stück der „Lehre der Däter 
über die NMenſchwerdung des Wortes“. Die Namen ergeben in ihrer 
Juſammenſchau ein großes und leuchtendes Mofaikbild des Gottmen⸗ 
ſchen von weihevoller und liturgiſcher Färbung und Stimmung. Was 
dohann Adam Möhler in feinem „Athanaſius“ (1827, 8. 131) betont, 
trägt viel bei zum allgemeinen Derftändnis dieſer ausgedehnten und mit⸗ 
unter überraſchenden Folge von Chriſtusnamen ſowie der altchriſtlichen 
Chriftusfinnbilder überhaupt. „Die Bruſt unſerer Däter war voll von Chri- 
ftus; fie fanden ihn daher überall: fie wollten nichts als ihn, daher be⸗ 
gegnete er ihnen aller Orten.“ An 150. Stelle nun auf dieſer koſtbaren 
Tafel der bibliſchen Benennungen des Erlöfers ſteht helios-Sonne.! 

Don dieſen zahlreichen ſchriftgemäßen Titeln und Beiworten haben 
wohl viele Rein oder kein bedeutendes Leben in der Liturgie erlangt 
oder behalten. Dazu gehörten jeweils augenſcheinlich noch beſondere 
Bedingungen und Umſtände. Das Sonnenbild aber genoß eines 
ſolchen Gebens im Heiligtum ſchon lange, als die berührte Namen⸗ 
ſammlung in buzantiniſcher Zeit entſtand. Und das gerade auch in 
der griechiſch⸗buzantiniſchen Liturgie ſelbſt. 8o recht in ihr Herz führt 
ihr größter Feierlieddichter, der hl. Romanus „der Sänger“ (+ wohl 
nach 560). Er vertritt mit feinen Liedworten ganze Geſchlechter und 
gahrhunderte, die durch ihn Gedanken und Stimme empfingen. 

Naturgemäß erſcheint bei ihm das Sonnengleichnis vor allem mit 
Epiphanie, dem alten griechiſchen hochfeſte der Bottesoffenbarung im 
Fleiſche (Theophania), verknüpft. Im erhaltenen Bauptgefang auf 
dieſen Tag feiert Romanus zuvörderſt Chriftus als das Licht, das bis⸗ 
lang unzugänglich war, jetzt aber von Bethlehem her aufleuchtete aus 
Maria. In ſteigender Sprache tönt es fort: „Dem ganzen Erdenrund⸗ 
Spendet feine Strahlenfülle s Die Sonne der Gerechtigkeit.“ — 
Im weiteren Lied auf das gnadenvolle Tauffeſt der Epiphanie beginnt 
das zweite Geſätz: „Dem Adam, der in Eden erblindet war? Strahlte 
auf die Sonne aus Bethlehem Und erſchloß ihm das Auge wieder 
Und wuſch es rein in der Jordanflut.“ 


5 8. 290 in Fr. Diekamps ausgezeichneter Ausgabe der Doctrina Patrum de incar- 
natione Verbi, Münſter 1907. ? J. B. Pit ra, Analecta sacra, I., Paris 1876, S. 17 u. 23f. 


42 

Das Sonnenbild kehrt wieder im gubellied auf den Ofterfonntag. 
Dem Morgenrot der Oſterfrühe noch zuvorkommend eilen die frommen 
Frauen mit Spezereien, „gleichſam den Tag ſuchend“, den Weg „zur 
Sonne, die eher war denn die Sonne, und die damals zur Rüfte 
ins Grab niedergeſtiegen war“. 

Unter dem klingenden Namen des Sängers Romanus iſt eine große 
Zahl rhuthmiſcher Vor- und Nachſprüche zu einzelnen Teilen des alten 
griechiſchen Stundengebetes überliefert. In dieſen Derfen begegnet 
das Sonnenbild ebenfalls, und fie verraten fo feine dauernde, weit⸗ 
verbreitete und verzweigte Anwendung im ausgedehnten Bereich des 
griechiſchen Gottesdienftes. Zwei ſolcher kurzer Gebete ſtechen dadurch 
hervor, daß fie der jungfräulichen Bottesmutter Maria den Namen 
Sonne als huldigende Anrede an ihr göttliches Wiegenkind in den 
Mund legen: „Sonne, mein Sohn, wie nur werde ich Dich in 
Windeln hüllen?“ ? | 

Romanus, der aus Syrien gebürtige Pindar der buzantiniſchen 
Rirdyendichtung, und dieſe überhaupt ift nach Gehalt und innerer Form 
teilweiſe vom älteren liturgiſchen humnenſchatz der benachbarten ſu⸗ 
riſchen Schweſterkirche im Zweiſtrömeland abhängig und genährt. 
Sein früher und außerordentlich reicher und großer gottesdienſtlicher 
Dichtergeiſt war der heilige Diakon und ktirchenlehrer Ephräm von 
Sdeſſa (+ 373). Daß in feinem heimatlande und in feinem eigenen 
Sagen und Singen, unweit von alten Brennpunkten vor- und wider⸗ 
chriſtlichen Sonnendienftes wie Babylon und Baalbek- Heliopolis 
(„Sonnenſtadt“) auch das Sonnenbild Chriſti Boden und Pflege fand, 
läßt ſich leicht ahnen und iſt belegbare Tatſache. 

Sleich der zweite der fünfzehn Epiphaniehymnen in Thomas Yof. 
bamus wertvoller Ausgabe und lateiniſcher Überſetzung ephrämſcher 
Humnen und Predigten zeugt dafür‘. In Oftfyrien war Epiphanie 
damals noch beſonders auch Gedächtnis der Geburt des herrn. Im 
Hinblick auf die Kindesgeftalt des menſchgewordenen ewigen Wortes 
und im Gedanken an den bekannten ſuriſchen Sonnenbrand ſingt die 
neunte Strophe: „. .. dieſe Sonne, die mit ihrer Blut die Erde verſengt, 
ſoll mit uns jene unſere Sonne feiern, die nun gütig ihre Fülle und 
Gewalt dermaßen beſchränkte, daß der reinen Seele inneres Auge in 
fie ſchauen kann. Gebenedeit ſei der Strahl ihres bichts!““ Aber bereits 
in der Anfangsſtrophe liegt Ähnliches vor. Feinſinnig wird da mit 
den Tagen des „ſtrahlenden“ Römerkaiſers Auguftus die Beburt 


ma. a. O. 8. 125. ebd. 8. 229, 36; 240 f., 96. Sancti Ephraem Syri 
Hymni et Sermones; 4 Bände, Mecheln 1882 - 1902. a. a. O. I. 15,16. 


43 


chriſti als „Sonnenaufgang“ (dencho) zufammengerückt. Dasfelbe 
bildliche Wort bietet die fyrifhe Bibelüberſetzung bei Lukas I, 78 im 
bobgeſang des Daters Zacharias auf die tagende Erlöfung: „Sonnen- 
aufgang aus der höhe.“ Darum eignete ſich dieſes bibliſche Lied 
fo ausnehmend für das liturgiſche Stundengebet zur Zeit der Morgen- 
dämmerung und Tagesgeburt im Aufftieg der Sonne (Caudes). 

Der ſechſte ephrämſche Marienhumnus ift mit dem kiehrvers aus⸗ 
geſtattet: „Bebenedeit ſei, Der in der ganz wunderbaren Jungfrau 
gewohnt. Sein Auf» und Hervorgang aus ihr hat den Erdkreis erhellt.“ 
Das iſt beinahe nur die Wiederholung des Schluſſes der ſiebten Strophe: 
„Aus ihr (Maria) iſt aufgegangen die Sonne der Gerechtigkeit, 
und hat mit ihrem Aufftieg die ganze Welt erleuchtet“. 

Vielleicht geht das zarte Wort in einem Weihnachtsgeſang des ſuri⸗ 
(hen Feſtbreviers der Maroniten, das ſelbſt den im Schoß der gung⸗ 
frau Derborgenen als Sonne ſchaut, auch auf den heiligen Sänger 
von Edeſſa zurück: „Die hehre Sonne zog ihre Strahlen ein und 
barg ſich in einer lichten Wolke“ (Maria). Das nämliche gottesdienſt⸗ 
liche Buch enthält das lebenswarme Weihnachtsgebet an geſus: „Führe 
uns, o Herr, durch dein herrliches und göttliches Licht, o Sonne der 
6erechtigkeit, die da gekommen iſt, uns zu erleuchten, auf daß wir 
gerade und unwandelbar auf dem Wege des wahren Glaubens wan⸗ 
deln, der da fern iſt von allen verkehrten Pfaden irriger Lehren, und 
auf daß wir durch Deine heiligen Strahlen erleuchtet und von ihnen 
geleitet Dir reine Gedanken zum Opfer darbringen und unaufhörliche 
bobgeſänge: Dir, o herr, und Deinem Later“. 

Nicht allein auf den nahen griechiſch⸗buzantiniſchen Norden hat das 
chriſtliche Syrien mit feiner früh und reich entwickelten Kirchendichtung 
eingewirkt, ſondern ſogar auf die alte abeſſiniſche Chriſtenheit im ent⸗ 
fernten ſonnenhaften, poeſiereichen Bergland von Athiopien. Dorthin 
fanden feit alters edle Weine Suriens ihren Weg über Agupten!, aber 
auch ſuriſche Erzeugniffe frommen Denkens und liturgiſcher Dichtkunſt. 
hnliches war auch nach dem europäiſchen Weſten hin der Fall. 

fithiopien erſcheint als ein Land und herd wärmſter und lebhafter 
Marienverehrung. Schon verhältnismäßig früh zählte ſein Kirchenjahr 
dreiunddreißig Marienfeſte. Es beſitzt im Gottesdienſte eine Fülle von 
Marienliedern in feinen drei Marienoffizien. Das älteſte und bedeu⸗ 
tendſte iſt das „Marienlob“, ein humnenkranz für die fieben Wochen⸗ 
tage. Es iſt wohl mit Roſen und Blumen geflochten oder durchflochten, 


Ebd J. 11 ff., 1323. ebd. II, 539. P. Zingerle, Feſtkränze aus Libanons 
Särten I, 1846, 8. 122 Mitte u. 115. mommſen, Röm. Geſchichte, V, 465. 


44 


die vielleicht im ſechſten Jahrhundert im Dichtergärtlein eines beſchei⸗ 
denen ſuriſchen Diakons Simeon aufgegangen waren!“. 

In der Marienverehrung der alten abeſſiniſchen Kirche behauptet 
das Sonnenbild Chriſti eine feſte und bevorzugte Stelle. Im allwöchent⸗ 
lichen Samstagshumnus des „Marienlobes“ mit dem Engelsgruß als 
Rehrvers klingt es bald: 

„Ein zweiter, ſchön'rer himmel ragſt du vor uns empor: 
die Sonne des Gerechten, fie geht aus dir hervor; 

o reinſte Gottesmutter, in unverletzter Zier 

gebarft du den Verheiß' nen: Freu dich, Gott iſt mit dir!e 

Das große Bild von Maria als himmel und Chriſtus ihrem gött⸗ 
lichen Rind als Sonne kehrt wieder in einem andern humnus: „Du 
biſt auf Erden zum zweiten himmel geworden, auf daß du die Sonne 
gebäreſt.“ Adolf Grohmann hat es in feinen umfaſſenden Nachweiſen 
zu äthiopiſchen Marienhumnen weiterhin aus dem dritten der Maria⸗ 
niſchen Offizien zweifach belegen können‘. Bier im dritten, wohl bei⸗ 
nahe um ein gahrtauſend jünger, aber ganz einheimiſchen Marien⸗ 
offizium, genannt „Die Orgel der heiligen Jungfrau“ (vollendet 1440) 
bekennt Äthiopien ſodann: „Der Mutterleib der Jungfrau ward zu den 
Bimmelspforten, und ohne daß er geöffnet wurde, war er zum Ein⸗ 
gang und Ausgang für die Sonne der Serechtigkeit“. Im langen 
marianiſchen Blumenlied (nach 1442) wird Maria gegrüßt als „Tor 
der Sonne der Gerechtigkeit“. Dieſe Bezeichnung Chriſti ſcheint 
in Athiopien allmählich ganz volkstümlich geworden zu ſein, ähnlich 
wie im Abendland, wo fie durch die Litanei vom hochheiligen Namen 
geſu auch außerhalb der Liturgie weiteſten ktreiſen der verſchiedenen 
Länder und Völker vertraut wird und bleibt. Ein Bittruf der Litanei 
ergeht an geſus als „Licht der Bekenner: lumen confessorum“ . Im 
vorgenannten Marienbuch der Äthiopier erſcheint Chriftus allgemein 
als „die Sonne der heiligen, die die Finſternis vertrieben hat““. 

Die abeſſiniſche Kirche beſitzt unter ihren fünfzehn Anaphora⸗ oder 
meßformularen eine alte und eigene „Meſſe unſerer Herrin Maria“. 
Alle Teile ſind tunlichſt auf ſie eingeſtellt. Im Strom eines lobpreiſen⸗ 
den Bekenntniſſes des Dreieinen taucht auch das Sonnenbild auf. Es 
hat hier eine beſondere Färbung, die gut mit der Nebenauffaſſung des 
Sonntags als Tages des Dreieinen zuſammenſtimmt. „Der Dater iſt 


!pgl. 8. Euringer, im Oriens Christianus, 1911, 8. 226. 

? Bei H. Baumgartner 8. J., Geſchichte der Weltliteratur, IV, 1901, 8. 236. 
Athiopiſche . Deipzig 1919, 5. 308, 2 

wa. a. O. S8. 237. a. O. 8. 95. ° d. a. O. S. 200. 


45 


Sonne, der Sohn ift Sonne und der hl. Beift ift Sonne; eine ift die 
Sonne der Gerechtigkeit, die über allen leuchtet“. 

Wie diefe Meffe nennt auch das „Marienlob“ dankbar den aus- 
ländiſchen Urſprung. Die Andeutung geht unmittelbar auf das benach⸗ 
barte chriſtliche Ägypten, für das „Marienlob“ unmittelbar auf Syrien‘. 
Diefes bedeutſame Denkmal ſuriſchen Schrifttums lebte in der ägup⸗ 
tiſchen Chriftenheit auf Grund der Überſetzung in die koptiſche Landes- 
und ktirchenſprache vielleicht ſchon einige Jahrhunderte, ehe es in die 
Mundart Hihiopiens übertragen ward. 

Im ganzen chriſtlichen Agupten mochte das Wort von Chriſtus als 
Sonne einen eigen tiefen Alang befigen. Es war das Land mit der 
älteften, wunderfam entfalteten Sonnenverehrung. Und fie barg über⸗ 
raſchend reine Züge, die ſelbſt den Glauben an ein einziges Bottwefen 
zu bezeugen ſcheinen. Seine höchſte Offenbarung wäre die alles ſchau⸗ 
ende und belebende Sonne, „das ſichtbare Ruge“ des unſichtbaren 
Bottwefens. Auch altgermaniſche Bottesahnung betrachtete fie als 
Bottesauge, als Auge Odins, und N. güngſt hat dies würdevolle Bild 
im Nornenlied von „Baldurs Tod“ treu verwendet: 


„Gegrüßet am Morgen Die mächtigen Schatten, 
du Leuchte des Lebens, die Uebel entfliehen, 
allſehende Sonne, in ſchaurige Schründe, 
das Ruge der Gottheit! wenn lieblich du lachſt! 


Einen Anklang an dieſe fromme und uralte Dorftellung birgt und 
wahrt das Nömiſche meßbuch im früh und überaus ſchön gebauten 
Boftkommuniogebet um Sonnentage gegen unzeitigen und über⸗ 
mäßigen Regen: „Allmächtiger Bott, wir flehen zu Deiner Milde: Du 
wolleſt den niederflutenden Regen bannen und uns huldvoll die heiter⸗ 
keit Deines Antlitzes (vultus) ſchenken. Durch geſus Chriftus, uſw. 
Das lateiniſche Wort vultus betont ja insbeſondere das Ruge im 
Beſichts ausdruck. 

Es iſt einer der großen Birchenväter unter dem reinen und weiten 
Simmel des Nillandes, der die bibliſche Srundſtelle für das Bild von 
Chriftus als der „Sonne der Gerechtigkeit“ des nähern und tiefſinnig 
deutet: der heilige Patriarch Cyriltus von Alexandrien (T 444), 
das „Siegel der Däter“, in feiner Erklärung zu Rap. IV, 2 der Weis⸗ 
fagung des Propheten Malachias. 

Gleich den Führern der altalezandrinifchen Batechen« und Theologen= 
ſchule Klemens (+ vor 216) und Origenes (T 254?) erblickt auch der 
hl. Cyrillus im Prophetenwort: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, 


ſ. 8. Euringer im Katholik, 1916, I, 8. 256, 29. 2 gl. a. a. O. 8. 241 f. 
Bei Migne, Patrologia graeca, Bd. 72, 1859, Sp. 357ff. 


46 


wird aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit: und heilung (if) in 
ihren Flügeln“ eine meffianifhe Beziehung und Verheißung. Ihre Er⸗ 
füllung trat ein mit der Menſchwerdung des eingeborenen Wortes 
Gottes. Chriftus hat gleich einer Sonne mit ihrem Strahlenkranze 
ringsum in Dunkel und Finſternis hinein geleuchtet und den lichten 
Strahl wahrer Botteserkenntnis in die glaubenden Seelen geſenkt und 
ſie lauter, weiſe und kundig aller guten Werke gemacht, (d. h. der 
Gerechtigkeit). Aber es gibt noch einen weiteren, zweiten Aufgang 
Chrifti, der Sonne der Gerechtigkeit: der vollendende und enögeitliche- 
Da wird fie noch klarer aufleuchten und die treuen Gläubigen, die die 
Erdenlaufbahn gottgefällig vollendet haben, mit noch tieferem Er⸗ 
kenntnislicht erfüllen, alle Schwachheit und Krankheit der Seele be⸗ 
heben, aller Trübfal fie vollſtändig entrücken. Das find Wohltaten, die 
dem einzelnen Gerechten bei Erlöſung aus dem irdiſchem beben zuteil 
werden. Und darin erfüllt ſich nach dem großen Gottesgelehrten und 
Birchenlehrer auch die Derheißung: „Und heilung (ift) in ihren Flü- 
geln“. Die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet und führt zur ewigen 
Bimmelsfeligkeit, auf die der Sonntag von frühe her hinweiſt. Curillus 
fand fie denn auch in den unmittelbar nachfolgenden Seherworten des 
Propheten Malachias gezeichnet. 

Auf der allgemeinen kirchenverſammlung von Epheſus im Jahre 431 
war der hl. Cyrillus geiſtiger Führer. Unter ihm hielt fein Amtsbruder 
Biſchof Theodotus von Ankyra in Galatien drei berühmt gewordene 
Feſtreden, die an der Spitze der kleinen Sammlung ſeiner Predigten 
ſtehen. In der vierten (nr. 3) preift er Maria: „Sei gegrüßt licht⸗ 
umkleidete Mutter der nie untergehenden Sonne“!. hierin liegt wohl, 
wie der ſpätere Rardinal Newman in feiner klaſſiſchen Marienſchrift 
dafürhält, eine Rückbeziehung auf das Sonnenbild Chrifti in der Ge⸗ 
heimen Offenbarung des hl. Johannes (12, 1): „Ein großes Zeichen 
erſchien am himmel: Ein Weib mit der Sonne bekleidet.“ In Hgupten 
hat in einer Homilie der Dorgänger des hl. Curillus, Patriarch Theo- 
phulus, das Wort auf Chriftus und feine Mutter bezogen. Bedeut- 
ſamer ift, daß dieſe Auffaſſung hier in der Candesliturgie Boden ge⸗ 
wann: „Dies iſt Maria, der neue himmel, der über der Erde iſt, aus 
dem die Sonne der Gerechtigkeit uns entgegenſtrahlt; denn die Sonne, 
in die fie gehüllt ift, ift unſer herr geſus Chriſtus“ .: So betete man im alten 
Sonnenlande, in das er als Rind mit feiner Mutter vor dem nach⸗ 
ſtellenden herodes vom treuen, klugen Pflegevater geflüchtet wurde, 


Bei Migne, Patrol. gr., Bd. 77, 1859, Sp. 1393, B. 
? Bei Grohmann, o. a. O. S. 232. 


47 


vielleicht in die Nähe der dem ifraelitifchen Dolke vertrauten Sonnen- 
ſtadt Heliopolis. In der alten, bildergefättigten Religion Ägyptens 
wurde die neugeborene, milde Sonne der Morgenfrühe ſowohl 
wie der kurzen, ſchwachen Tage der Winterwende als Rind dar⸗ 
geſtellt. Das ſchöne äguptiſche Bild von der wachſenden Winterſonne 
als Rind lud leicht zur Anpaffung auf das Weihnachtsgeheimnis ein. 

Die Geheime Offenbarung, die an einem „Tag des Herrn“ (1,10) 
einſetzte, enthüllt im Grunde noch ein weiteres, mittelbares 8onnengleich⸗ 
nis. Im Zuſammenhang mit dem erſten (12, 1) und im Lichte bibliſcher 
Sprechweiſe erſcheint es wohl unſchwer durchſichtig. In der Schöp⸗ 
fungsurkunde ſpricht Gott: „Ceuchten ſollen werden an der Defte 
des himmels!“ .. „Und Gott ſchuf die zwei großen Leuchten“: 
meldet der Bericht (Geneſ. 1, 14. 16). Am Eingange feines Evangeliums 
verkündet der heilige Ciebesjünger Chriftus als wahres göttliches Gei⸗ 
ſteslicht der Welt; gegen Schluß der Apokalypfe ſieht er Chriftus das 
bamm als alleinige Leuchte der himmliſchen Bottesftadt im ewigen 
Sonnentag: „Und die Stadt bedarf weder der Sonne noch des Mondes, 
daß fie in ihr ſchauen, denn die kilarheit Gottes hat' fie erhellt und 
ihre Leuchte iſt das amm“ (21, 23). 

es fügt ſich ſchön und eigen, daß das letzte Buch der hl. Schrift 
mit der Schau in den Endſieg des Reiches Chriſti auch ſein Sonnenbild 
aufweiſt. Nicht umſonſt iſt die Geheime Offenbarung ein bevorzugtes 
gottesdienſtliches Sonntags buch alter Zeit geweſen, wovon noch die 
Mönchsregel des hl. Benediktus zeugt (Rap. 12). (Schluß folgt.) 


Anmerkung. — Der Gewinnung wiſſenſchaftlicher Kenntnis der Frühgeſchichte 
und umfaſſenden Gedankenwelt des Sonnenbildes dienen vor allem zwei religions- 
geſchichtliche Deröffentlihungen Franz Joſ. Dölgers: Die Sonne der Geredtig- 
keit uſw.; Münſter in Weſtf., Aſchendorffſche Derlagsbuchhandlung, 1918; und: Sol 
Salutis (Sonne des Heils); ebenda 1920. Sie bieten einen grundlegenden Teil deſſen, 
was Franz Cumont Sonnentheologie nannte und tragen viel bei zum Verſtändnis 
mancher liturgiegeſchichtlicher Texte und Gebräuche, wie fie denn auch in der Sammlung 
biturgiegeſchichtliche Forſchungen“ als heft 2 und 45 erſchienen. — hervor- 
tagend find auch die einſchlägigen zuſammenfaſſenden Darſtellungen in 5. Dumaines 
großem Artikel Dimanche im Dictionnaire d’archeologie chrétienne et de 
liturgie von Cabrol-Peclercq, Bò. IV, 1, Paris 1920, Sp. 870— 879 u. 907—915.— 
der neuere deutſche katholiſche Bücherſchatz beſitzt auch für weitere Areife ein ſchönes, 
erquickendes und erbauendes „Sonnenbuch“ aus der Feder von Auguftin Wibbelt 
Warendorf, J. Schnellſche Buchhandlung. — P. Paul Krebs von der Beuroner Runft- 
ſchule hat mit gütig entgegenkommender hand für den Einband des Römiſchen 
Sonntags miſſale (bei Herder) von P. Pius Bihlmeyer ein Zierbildchen gezeichnet, das 
in der ſtrahlenden, über dem bewegten Lebensmeere aufgehenden Sonne den alt- 
chriſtlichen llamenszug Chrifti trägt und altchriſtliche Empfindung veranſchaulicht. 


» K 8 


48 


Freuet euch! 


Uachklänge vom Sonntag Gaudete. 
Don P. Willibrord Derkade (Beuron). 


m Sonntag Gaudete hat es wieder geheißen: „Freuet euch alle⸗ 

zeit im herrn, abermals ſage ich euch: Freuet euch!“ Der Apoftel 
ſpricht: „Freuet euch allezeit“, wie er auch ſagt: „Betet ohne Unterlaß“. 
Wie unfer Geift durch ein inniges Mit⸗Gott⸗Uerbundenſein in der guten 
meinung, durch ein immer wieder zu ihm hinkehrendes Verlangen, 
durch Dank und Cobpreis und durch Bitte in einer dauernden Gebets⸗ 
ſtimmung bleiben ſoll, ſo ſoll auch eine dauernde Freudenſtimmung 
in uns herrſchen: Freuet euch allezeit! 

Wie weit find wir aber von dieſem Ideal entfernt, gerade in un⸗ 
ſeren ſo traurigen und dennoch hoffnungsvollen Tagen! Und doch gibt 
es ſo zahlreiche Motive der Freude, auch für uns. Die Kinder denken 
nicht daran und find trotzdem freudig, unbewußt befien Ne die Freude. 
Wir „große“ Menſchen, die wir oft ſo klein und kleinlich ſind, ſollten 
uns dieſe Motive öfters vorführen, um uns zu überreden, vernünftig 
zu ſein, ein Hauptzweck des betrachtenden Gebetes. 

Vor kurzem ſchrieb mir jemand aus einer Broßftadt: „hier ift es 
ſcheußlich, die Renſchen freſſen ſich fo mit Haß voll, daß fie für kein 
natürliches Gefühl mehr Raum haben: fie bemerken die Sonne nicht 
mehr, und es gibt keine Mondnacht für fie, und der liebe Bott plagt 
ſich ganz umſonſt mit allen den herrlichkeiten, die er uns täglich 
ſchenkt; denn die Menſchen find blind und taub für fie. Ich aber 
dank ihm täglich nicht bloß für alle ſeine Wunder, ſondern auch dafür, 
daß er mir die Kraft gibt, fie täglich von neuem zu fühlen, und je 
älter ich werde, deſto mehr die Schönheit dieſer Welt zu preiſen. — 
Wie ſchön wird es gar dann erſt drüben ſein, wenn wir ihn nicht 
bloß in Spiegeln, ſondern von Angeſicht zu Angeſicht ſehen.“ Das 
ſchreibt ein Mann, der mit Alter und Krankheit kämpft, der, wie ſo 
viele heutzutage, ſeine Erſparniſſe verloren hat und den ganzen Tag 
ſich abplagen muß, um die nötigen Billionen zum Lebensunterhalt 
für fi und feine Frau zu verdienen. Er hat aber die Gabe ſich zuzu⸗ 
reden, vernünftig zu ſein, fröhlich zu ſein, dankbar zu ſein. Irgend 
ein ſtarkes Motiv der Freude packt ihn immer wieder. 

St. Paulus ſpricht: „Freuet euch im herrn“, und damit ſagt er uns, 
daß unſere Freude, eine erlaubte ſein muß, eine Freude, die auf dem 
Wege zu Gott genoſſen wird, die zu ihm hinführt, nicht von ihm weg⸗ 
zieht; eine Freude, die mit Dank gegen Gott verbunden iſt. Es gibt 


49 


auch eine Freude, die von Gott entfernt und deshalb in ſich felbft zer⸗ 
fällt und todtraurig, bitter und böfe macht: die ausgelaſſene, polternde, 
lärmende Freude, die Freude an Händel und Streit, am ktritiſteren 
und Schimpfen. Und es gibt teufliſche Freuden, die Freude, Genoſſen 
der Schuld und Senoſſen im Unglück zu haben: die Schadenfreude. 
es gibt Menſchen, die keine Freude um ſich aufkommen laſſen. Weil 
ſie traurig ſind, muß alles mit ihnen trauern. Sie ſind wie giftige 
Schlangen, die harmloſe Dögel bannen mit ihrem Blick, fie töten, fie 
begeifern, um fie dann hinabzuwürgen. Don ſolchen Menſchen ſollte 
man ſich nicht herunterdrücken laſſen, ſogar wenn es nahe Derwandte 
wären. Man follte ihnen ihr ſcheußliches Verbrechen vorhalten, oder, 
wenn man dazu weder den Mut noch die Kraft hat, fo müßte man 
ſie fliehen aus Selbſterhaltungstrieb. Sie ſind allerdings meiſtens krank 
und quälen oft ſolche, die fie im Grunde lieben. Wenn das der 
Fall iſt, dann ſoll man bei allem Mitleid munter bleiben, wie der Arzt, 
der von Kranken zu ktranken zieht und der bei allem gammer den 
guten humor, den er auch für die kranken braucht, nicht verliert. 
Aber führen wir uns nun einmal eine Reihe von Freudemotiven 
vor... Denken wir zuerſt an erlaubte ſinnliche Freuden, die 
allerdings niemals nur⸗ſinnlich find, wenn es echte, wahre Freuden, 
Freuden „im herrn“ find: Die Freude des Mahles 3. B., in Einfalt 
und Dankſagung genoſſen, „geheiligt durch Gottes Wort und Gebet“ 
(1 Tim. 4, 4), die Freude der Bewegung und der Ruhe, die Freude der 
Einfamkeit und der Unterhaltung. Die Freude des Befanges und des 
Tönens.... Die Freude der Heimlichkeit: Ein freundliches Zimmer mit 
gutem Ofen, wenn es draußen unwirtlich und naßkalt iſt. Die Freude 
der Kühlung, die der Schatten bringt am heißen Sonnentag. Die 
Freude, erſtarrte Glieder zu erwärmen an der erſten Frühlingsſonne. 
Die Freude, endlich die müden Glieder ausſtrecken zu dürfen unter 
ſchützenden Decken. Wer ſoll ſie alle aufzählen! Und denken wir nun 
weiter an jene Freuden, die ſchon mehr geiſtig ſind: das ſchöpferiſche 
Tätigfein in irgend einer Art. Die Freuden des Suchens und Erwar⸗ 
tens, des Gedeihens und des Wachſens. Die Freude des Entdeckens und 
des Erfolges. Die Dater-, Mutter⸗ und die KRinderfreude, die Freude 
am Beruf. Und nun haben wir noch gar nicht von der eigentlichen 
Bottesfreude geſprochen. Zwar erwähnten wir ſchon die Freude an 
all den Wundern, die Gottes Güte uns täglich ſchenkt. Man bete 
doch mit Hindacht das „Benedicite“, den Lobgefang der drei Jüng⸗ 
linge im Feuerofen, wenn die Freude fehlt! Man laſſe alle Geſchöpfe 
an ſich vorüberziehen, die darin aufgerufen werden, Gott zu loben 
Benedtktinifche Monatfchrift VI (1924), 1-2. 4 


50 


und zu preiſen. man weile kurz bei den füßen Erinnerungen, die 
all dieſe Dinge in uns wachrufen! N 
3t. Paulus ſagt: „Freuet euch im herrn allezeit ... Euer freundliches 
Weſen werde allen Menſchen kund, denn der Herr iſt nahe.“ Was 
könnte man nicht alles ſagen von der Nähe Gottes, von der Nähe 
deſſen, der lautere Wonne und Freude iſt, der, weil er alles iſt, was 
er hat, die Freude und die Wonne iſt. Nichts iſt uns ſo nahe wie 
Bott. Wir leben, bewegen uns und find in ihm. Gott iſt uns näher 
als das Feuer, das wir anblafen. Gott iſt uns näher als das Rab, 
das wir in Bewegung ſetzen. Gott iſt uns näher als es unſere Ge⸗ 
danken find. IM das allein nicht ſchon ein Motiv, das uns immer 
wieder ermuntern und freuen könnte, daß Gott uns ſo nahe iſt? 
Denken wir hier auch eine Weile an die Menſchwerdung Gottes und 
fein Derbleiben unter uns in der heiligen Euchariſtie . 

Es gibt ferner die Freude, in Gottes Gegenwart zu wandeln. Freut 
das Rind ſich nicht, um die Mutter und bei ihr zu fein? Läuft es ihr 
nicht nach, wo immer ſie hingeht? Bleibt es nicht ſtehen, wenn ſie 
ſtillſteht, und ruht es nicht in ihren Armen, wenn ſie ruht? Wir ver⸗ 
ſperren uns aber fo oft den Weg zu Bott hin durch unferen Aleinmut 
und unfere Sorgen! Darum ruft uns St. Paulus auch zu: „Seid nicht 
ängſtlich beſorgt, ſondern laſſet in all euren Gebeten eure Anliegen 
unter Dankfagung Gott kund werden.“ Es iſt ja recht, daß man oft 
bei feiner Kleinheit verweilt, aber das ſoll nie geſchehen, ohne daß 
zugleich das Dertrauen zu Bott in uns wächſt. Die Tiere beſchämen 
uns oft. Da geht ein Mann mit feinem Hund ſpazieren. Erſt läuft 
das Tier brav neben oder hinter ſeinem herrn, aber auf die Dauer 
it ihm das doch zu langweilig: In großen Sätzen ſpringt es vor ihm 
her, ſchaut aber öfters um, ob ſein Meiſter noch da iſt. Da findet 
es die Spur eines Hafen und geht ihr nach, mit beidenſchaft. Es 
vergißt feinen Herrn! Wenn dieſer aber pfeift, und das Tier kommt 
zu ſich und rennt zurück zu ſeinem Meiſter und ſpringt bellend gegen 
ihn auf und zeigt ihm feine Liebe... Was ſoll fein herr dann anders 
ſagen als: „Biſt doch ein liebes, treues Tier!“ Wir machen aber manch⸗ 
mal, wie einer ſagte, aus unſerem Herrgott einen altmodiſchen Schul⸗ 
meiſter, der ſtets mit dem Stock in der hand ſeinen Schülern aufpaßt, ob 
er ihnen nicht eines draufgeden kann... Wir können uns auch freuen, 
daß wir Rinder der katholiſchen kirche find, Glieder am Leibe geſu Chriſti, 
lebend von ſeinem beben und ſeinem Geiſte, uns freuen, daß wir teilhaben 
an allem Guten, das in ihr gewirkt wird, und an allem Lob und Dank, 
den fie in unſer aller Nlamen Chriftus, ihrem Bräutigam, darbringt. 


51 


Man kann nicht fagen, daß der Deutſche ſehr begabt ift für die 
Freude. Er hält es oft lieber mit dem Schmerz. Ja meiſtens liebt 
er fogar den Schmerz. Er empfindet eben gerne. Da zeigt ih auch 
fein Tätigkeitsörang und der Mangel an Paffivität. Er will auf⸗ 
gerührt fein von innen. Es muß in feinem herzen etwas vorgehen. 
nur keine Leere da drinnen! Das hält er nicht aus. Und wirklich 
it eine beere da, wenn man weder fröhlich noch betrübt iſt. Ein 
großes Elend iſt es aber doch, wenn man das Betrübtſein, das Schmollen, 
das Derbiffenfein, das Verletztſein nicht aufgeben will; denn man raubt 
ſich viel Kraft und macht auch andere unglücklich. Der Trübſinn ſteckt 
an wie das Lachen. Mit Recht hat die „neue Jugend“ eine ihrer Auf 
gaben darin geſehen, Freude zu bringen. Sie hat aber nicht immer 
Wort gehalten. Daran iſt ein Wahrhaftigkeitswahn ſchuld. Wahr⸗ 
haftig fein über alles, iſt die boſung der Jugend. Husgezeichnet! nun 
meinen aber manche, fie dürften kein freundliches Gefiht machen, 
wenn's drinnen im herzen vielleicht noch recht unfreundlich ausſieht. 
Sie kehren deshalb das ungeläuterte rohe Ich nach außen und machen 
Befidhter, daß es einem bang werden könnte. Da verſteht man, was 
hermann Bahr meint, wenn er ſchreibt: „Not bringt die Wahrheit an 
den Tag. Die kleinen Cebenslügen, in denen wir uns früher voreinander 
verſteckten, haben aufgehört, das holde Geſpinſt von Höflichkeit, An= 
mut des Betragens und Zuvorkommenheit iſt zerriſſen. Einſt, wenn 
man in einen baden trat, wie tat da das Fräulein verliebt, das uns 
den handſchuh anpaſſen half! Jetzt zeigen die Menſchen einander ihr 
wahres Geſicht; es ift nicht ſchön. Man lernt nun erſt die Lüge ſchätzen. 
Es iſt doch angenehmer, nicht fortwährend daran erinnert zu werden, 
daß wir von Haß und Hohn umgeben find. kultur entfteht aus der 
Wahrnehmung, daß Menſchen, die ſich nicht verſtellen, meiſtens un⸗ 
erträglich find; Derftellung iſt immerhin eine freilich nicht lobenswerte 
Art von Erſatz der Tugend. Wir wußten auch früher, daß das Lächeln, 
mit dem uns der Wirt an einen Tifch geleitete, bloß auf feinen Lippen 
lag, aber immerhin wurden wir geleitet, und Lächeln braucht nicht erſt 
aus dem herzen zu kommen, um wohlzutun. O gentle art of lying, 
über deren Verfall ſchon Oskar Wilde klagte, wie durchaus unentbehr⸗ 
lich biſt du dem Daſein! Und iſt es nicht auch immerhin noch der 
Tugend näher, Liebe zu heucheln als Haß zu zeigen? Der Deutfche, 
von Form gering denkend, hat niemals einfehen wollen, daß Beſttz 
ererbter Form notwendig iſt, weil aus ihr Weſenskraft in nachlaſſenden 
deiten, wenn nicht ſuppliert, doch immerhin fo lange vorgetäufcht 
werden kann, daß man ſich über die Schwäche hinweghilft. In Hemd- 

ge 


52 


ärmeln zu leben war immer ein Jdeal des deutſchen Bürgertums, es 
ift erreicht. Dielleiht lernen wir daraus Form künftig beſſer ſchätzen.“ 
Mir kommt es nicht unwahrhaftig vor, ein frohes, freundliches 
Gefiht zu machen, wenn man auch innerlich betrübt ift oder ſchwer 
an etwas zu tragen hat. Denn wir ſind ſchon auf dem Weg zur 
Freude, wenn wir die Dorftellung der Freude in uns hervorrufen oder 
uns nach außen freudig geben. Man ſoll ſich nur an irgend eine 
Freude erinnern, anfangen freundlich zu ſchmunzeln oder ſtill und 
beſcheiden zu lachen, wenn es einem auch gar nicht ums Lachen zu tun 
it. Es iſt wiſſenſchaftlich erwieſen, daß der Ausdruck eines Gefühles 
dieſes Gefühl hervorruft. Das Innere wirkt nach außen, das Äußere 
aber auch nach innen. Da ſieht man, welch große Wohltäter die Freu⸗ 
digen find, die durch ihr ganzes Weſen die Dorftellung der Freude her⸗ 
vorrufen und dadurch vielfach auch die Freude ſelbſt. „Freuet euch im 
Herrn allezeit! Euer freundliches Weſen werde allen Menſchen kund“ — 
wahrhaftig eine wohltätige, aus der biebe entſpringende Mahnung! 
Ich hoffe, daß es mir gelungen iſt, in etwa die Freude zu heben. 
Ich möchte aber noch einiges erzählen, was dem einen oder anderen in 
Tagen der Betrübnis zur Freude verhelfen kann. Jemand erzählte mir 
einmal, ſooft er ſauer, brummig, unzufrieden, ſtörrig oder aufgebracht 
ſei, ſuche er ſich durch folgende Betrachtung zur Dernunft zu bringen: 
„Was haſt du denn heute wieder“, ſagt er ſich, „was fehlt dir denn? 
Bannft noch gehen, ſtehen, ſehen, hören, riechen, reden, es ſchmeckt 
dir noch, du haft noch ein Dach über dem Kopf und biſt ordentlich 
gekleidet ... Gott liebt dich, Bott erträgt dich, Bott ſtärkt dich. Auch 
viele Menſchen lieben und ertragen dich, was willſt du noch mehr? 
Wie viele ſind lahm, blind, taubſtumm, wie viele ſind obdachlos, 
nackt und hungrig? Geh doch mal nach Ursberg zu den armen krüppe⸗ 
ligen Rindern und ſchau dir das Elend an. Dann gehſt du wieder gerne 
heim! Jetzt ſchäme dich und ſei geſcheit.“ Ich habe dieſes Mittelchen 
auch ſchon angewandt, und es hat ſtets gut gewirkt. 
| Manchmal fällt mir zur richtigen Zeit folgende Geſchichte ein, die 
ich bei einem däniſchen Autor las: Ein Schriftfteller ſitzt um Mitter⸗ 
nacht bei feinem Burgunder, feinen Blumen und feinem Tintenfaß. Da 
klingelt es. Der Dichter öffnet. Ein junger Mann mit breitem Filzhut 
ſteht vor ihm. Nichts ahnend läßt er den Fremden eintreten. Dieſer ſagt, er 
ſei gekommen, ihn zu ſehen, bevor er ſterbe; denn heute noch wolle er 
feinem Leben ein Ende machen. Sein körper ſei ganz geſund, aber 
feine Seele fei krank, todkrank, und der Dichter ſei daran ſchuld. 
Seine Bücher und Gedichte hätten ihm die Seele vergiftet. Jahrelang 


58 


habe er in einer niedrigen und ſtaubigen Bude hinter einem Ladentiſch 
geſtanden und alle halbe Stunde einem Studenten ein verſchimmeltes 
Buch verkauft. Da ſtand er anfangs mit ruhiger Seele, und mitunter 
ſchien die Sonne in das Gäßchen herab, darin die Bude lag, und wenn 
er abends auf den Treppenfteinen ſaß und feine Rreidepfeife rauchte, 
da ſah er den blauen himmel über den alten, roten Dächern glänzen, 
und die Schwalben hoch um einen ſchlanken, grüngrauen Turm kreiſen. 
Dann aber kam die Rattenfängerflöte des Dichters an feiner Türe 
vorbei und bezauberte auch ihn .. Welch eine befcheidene Freude 
hatte anfangs dem Unglücklichen genügt: der ſtille Glanz der Sonne, 
die in das Gäßchen herabſchien und die Schwalben um den ſchlanken, 
grüngrauen Turm! Erinnert das nicht an jenen Gefangenen, deſſen 
Freude eine Spinne war, die einzige Genoffin feiner Einfamkeit? 
Wahrhaftig, die kleinſten Dinge können uns Freude machen, wenn 
wir nur ein Auge für fie haben... Zum Schluß noch ein echt chriſt⸗ 
liches Wort einer guten Alten, das wir oft im Munde führen ſollten. 
ein Ordensmann begegnete ihr am frühen Morgen. Sie ging zur 
kirche. Ihr Häuschen war etwa zehn Minuten vom Rirchenportal 
entfernt, ſie brauchte aber mehr als eine halbe Stunde; denn ſie mußte 
immer wieder ſtilleſtehen und huſtete, huſtete furchtbar. Der Pater 
ſagte: „nun, Adelheid, wie gehts?“ Da antwortete fie mit einem 
ſtrahlenden Geſicht, indem fie ihren Stock zum himmel hob: „Es geht 
aufwärts, aufwärts!“ Und fie lachte und huſtete und huſtete und lachte 
und humpelte weiter. Ja, beim wahren Chriſten geht es immer auf⸗ 
wärts, wenn er auch hie und da etwas zurückgeworfen wird; es geht 
immer aufwärts, und das iſt ein großer Troſt und eine unverſiegbare 
Quelle der Freude. 


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35 ſtellt ſich [unter dem Antrieb des HI. Geiftes] beim Menfchen 
innerlich ſo große Süßigkeit und ſolcher Troſt ein, daß er nicht weiß, 
wie er an ſich halten ſoll. Es dünkt ihn, die ganze Welt fühle das, 
was er fühlt. Er bricht in ein Jubilieren aus; denn er weiß nicht, 
wie er ſich dämpfen ſoll. Manchmal, wenn er an verborgenen Stätten 
iſt (denn Gott will ſeinen Freund nicht in Verlegenheit bringen), wird 
dieſes Ungeſtüm ſo groß von außen und von innen, daß die Seelen⸗ 
kräfte und alle Glieder eine ſo große Wonne verſpüren, daß ihn dünkt, 
das Herz werde ihm zerſpringen. 


Aus dem „Reich der Geliebten“ vom fel. Jan van Ruusbroeck, 
das demnächſt im I. Grünewald ⸗Derlag zu Mainz erſcheint. 


54 


Sumboliſche Grablegung bei der Ordensprofeß. 


Don Abt Raphael Molitor (St. Fofef-Coesfeld). 


ur jüngften Form der ſumboliſchen Srablegung bei der Ordens⸗ 
profeß gehören Grabtuch, unter dem der Profeß nach Ablegung 
der Gelübde vom Offertorium der Meſſe bis zur Kommunion liegt, 
Totenglocke, Totenkerzen, Auferweckung zur kommunion durch den 
Diakon. Für fie iſt ein Rituale des 17. Jahrhunderts wohl eine der 
älteften gedruckten Quellen!. Wie das Rituale fagt, ift dieſe Yere- 
monie ein Zeichen, daß der Mönch in der Profeß geſtorben iſt, oder 
wie es anderswo heißt, daß er lebendig tot iſt und geſtorben lebt. 
Später ift dieſe Art der Srablegung häufig bezeugt, fei es in Ritual⸗ 
büchern, fei es auch nur gelegentlich in Ronftitutionen oder anderswo. 
Beifpielsweife führen wir an die kiongregation der Mauriner, Rituale 
1666, Ottobeuren 1685 und 1786, Tegernfee 1737, Monte Vergine 1741, 
Engelberg 1743, St. Blafien 1746, Einfiedeln 1763, Metten 1765, die 
Auguftiner-Eremiten 1686, Philippineſſen (Rom) 1744. In neueſter Zeit 
war fie in Gebrauch in der baueriſchen, franzöſiſchen, engliſchen und 
Beuroner Kongregation. Ferner in St. Paul (Kärnten), St. Peter (Salz⸗ 
burg), Montekaſſino, Engelberg, bei den Olivetanern und anderen. 
Der Gebrauch geht aber weiter zurück. In Engelberg, wohin er 
möglicherweife von St. Blafien gekommen ift, wenigftens bis 1613. Bei 
den kamaldulenſern iſt er in den Bonftitutionen von 1639 erwähnt — 
der Profeß gibt ih als Opfer für die Welt —, während in der kaſ⸗ 
finefifhen Kongregation die Grablegung angeblich ſeit Beſtehen der 
Kongregation (1408) üblich war. Jſt das der Fall, dann war fie in 
den kilöſtern dieſer Kongregation möglicherweiſe ſchon früher üblich, 
weil die Abteien beim Zuſammenſchluß zur Kongregation ihre Privi⸗ 
legien und Gebräuche faſt unverändert beibehielten. haeften kennt 
dieſen Ritus der Grablegung nur bei den kiaſſineſen und hebt hervor, 
daß er anderswo nicht erwähnt werde’. Sonach war er 1644 nicht 
viel über diefe Kongregation hinausgedrungen. Martene erwähnt ihn 
nicht'. In der Bursfelder Rongregation hat er anſcheinend keine Auf⸗ 
nahme gefunden. Ebenfowenig in den Consuetudines der Zifterzienfert 
und in ihrem Rituale von 1689, 1721 und 1899. hier begegnet uns 
fogar das Derbot, den Profeſſen mit dem Grabtuch zu bedecken“. 
Der Gedanke, welcher dieſer Jeremonie zu Grunde liegt, iſt wiederum 
erheblich älter als die Zeremonie ſelbſt. M ſchon der Chriſt der Welt 
abgeſtorben und in Chriftus zu einem neuen Geben berufen und auf: 
erſtanden (vgl. fol. 3, 3; Gal. 6, 14), fo will der Mönch in engerer 


95 


lachfolge Chrifti dies in feinem Leben mit größerem Nachdrucke durch- 
führen‘. Seine Profeß ftellt eine Art des Todes und der Auferftehung 
dar. Wenigftens ſeit dem 10. Jahrhundert‘ begegnet uns in der im 
Profeßritus vielfach gebrauchten Oration Clementissime die Bitte, der 
mönch möge fortan von der Welt Treiben und Luft losgelöſt, der Welt 
geſtorben ſein. Es war nur ein geringer Schritt von da zur ſumbo⸗ 
lichen Grablegung und Erweckung. Früher verband ſich damit die 
borſtellung einer zweiten Taufe, die man, wie allgemein in der Buße, 
in Werken der Abtötung und im Almoſen, fo ganz beſonders im mo⸗ 
naſtiſchen Berufe, als dem Dollopfer feiner ſelbſt Jah”. Die Taufe ift ein 
Begrabenſein und Nuferſtehen mit Chriftus und der alte Taufritus 
deutete beides durch das Unter- und Auftauchen des Täuflings auch 
äußerlich an. Auf dieſe Ähnlichkeit wies der Profeßritus im Miſſale 
der Kirche von Weſtminſter aus dem Jahre 1384 ausdrücklich hin“. 

Ein hinweis auf das Begrabenſein in Gott findet ſich auch in der vier⸗ 
ten Übung der „Exerzitien“ der hl. Gertrud und zwar in Verbindung mit 
der Übergabe der Profeßkarte. Die heilige betet, das Licht der gött⸗ 
lichen Liebe möge ihre Sinne derart verſchließen, daß Chriſtus allein 
ihr beben und Führer fei, und fügt hinzu: „Derfchlinge meinen Geiſt 
mit deinem Seiſte fo ftark und tief, daß ich in Wahrheit gänzlich 
degraben werde und in dir und in der Vereinigung mit dir ganz 
vergehe von mir, und mein Grab nur deiner Liebe bekannt ſei.“ Nicht 
klar iſt hier, ob die heilige dieſes Begrabenwerden auch durch das 
Diederlegen der Profeßkarte auf den Altar dargeſtellt dachte. — In 
derſelben Übung kehrt der nämliche Gedanke wieder, und zwar nach 
Empfang der heiligen Kommunion. Ebenda der Wunſch, von der 
Erlöfungsgnade wie von dem Grabtuch Chriſti eingehüllt, in dem 
marmornen Grab des heiligſten Herzens zur Ruhe beftattet, unter dem 
Blicke Gottes wie unter einem Grabſteine verſchloſſen, der ewigen Ruhe 
in Gott zu genießen. Doch fehlt hier wie an der eben erwähnten 
Stelle der hinweis auf die Nuferſtehung. 

Auch im Wechſel der Gewänder und in der Annahme eines neuen 
Namens ſah zwar nicht die älteſte Zeit (Eaffian, Pachomius, Bene: 
diktus) wohl aber das Mittelalter ein Symbol der geiſtlichen Um⸗ 
wandlung, in der der alte menſch aus- und der neue angezogen 
(Hol. 3, 9; Eph. 4, 24), das alte eben begraben, das neue Leben be⸗ 
gonnen wird!. Eine andere Deutung gibt der Pſeudo-Hreopagit!. 
hiemit verwandte Gedanken hören wir aus der Erklärung des No⸗ 
vizen bei feiner Profeß, worin er in der „Meiſterregel“ kein Eigentum 
Ju haben verſpricht, da ihm Chriſtus Leben, und Sterben Gewinn fei'?. 


1 


56 


Seiſtigen Tod und Auferftehung zum neuen beben in der Profeß 
ſinnbildete zunächſt ein Ritus, der ſich der Gelübdeablegung anſchloß 
und der bis in das frühe Mittelalter!“ ſich verfolgen läßt, und heute 


noch, wenn auch in teilweiſe veränderter Form, vielfach beobachtet 


wird. Der Neuprofeſſe trägt mehrere (drei bis vierzehn) Tage hin⸗ 
durch Tag und Nacht die Aukulle oder Albe, oder es wird ihm die 
Rapuze zugenäht !!. In dieſer Zeit übt er ſtrenges Schweigen und 
bleibt gewiſſen Handlungen im kiapitel fern. Nach Ablauf der vor⸗ 
geſchriebenen Friſt findet die „Offnung ſeines Mundes“ (aperitio oris) 
ſtatt; er hat alfo nach dieſer Anſchauung, infolge der Profeß, die Stimme 
verloren und gilt als geſtorben. Doch war und iſt die Ausdeutung 
dieſes Gebrauches nicht durchaus einheitlich. Rupert von Deutz ſieht 
in ſeiner Schrift über die heilige Dreifaltigkeit darin eine Erinnerung 
an das dreitägige Derborgenfein der Apoftel bis zur erſten Erſcheinung 
des Auferftandenen oder auch ein Bild des Leidens Chriſti, eine Er- 
klärung, die ein geiftiges Mitleiden und Miiſterben nicht ausſchließt 
oder geradezu einſchließt r. Ahnlich in feiner Schrift über die Regel 
des hl. Benedikt!“: In feiner Profeß ſtirbt der Mönch gleichſam mit 
Chriſtus und wird mit ihm begraben; dies deute das dreitägige 
Schweigen an. mit Chriſtus ſtehe er am dritten Tage wieder auf 
und empfängt den Friedensgruß. Als der Welt Geſtorbene hielten 
nach dem oben erwähnten Miſſale von Weſtminſter (Spalte 1209) 
auch die Nonnen drei Tage hindurch das Geſicht bis auf die Augen 
mit dem weißen Schleier (velamina; in albis) bedeckt. Der junge 
Mönch trug das weiße Gewand bis zum dritten Tage, bezw. bis zum 
Friedenskuß der Meſſe dieſes Tages (ebd. 1195 f.). Die damit erteilte 
Erlaubnis zur Ablegung des weißen Sewandes hieß »dealbare«. Die 
gleichfalls dem 14. Jahrhundert angehörigen „Gebräuche von Ranter- 
buru“ (Consuetudines Cantuarienses) machen dieſe Sitte noch klarer, 
wenn fie den Mönch für die Welt geſtorben und begraben nennen!“. 
Hildemar erblickt in der ktuͤkulle eine Erinnerung an die Taufe. An⸗ 
dere hingegen bezogen die drei Tage auf die dreitägige Blindheit des 
hl. Paulus nach ſeiner Bekehrung!“. N 
nebenher ging die Dorftellung vom bürgerlichen Tod des Mönches. 
Schon die Regel des hl. Benedikt verlangt, der Mönch ſolle ſich von 
weltlichen Befchäften fern halten (Rap. 4, 28); faſt ebenſo wenige gahr⸗ 
zehnte ſpäter Jſidor in feiner Mönchsregel (Rap. 4). Des Mönches 
Stimme und er ſelbſt galten für gewiſſe weltliche und kirchliche Rechts⸗ 
geſchäfte als tot“. Bedeutung gewann dieſer Satz beſonders für das 
kirchliche Sherecht. Der Mönch iſt durch die Beſtimmung der Kirche 


57 


unfähig, eine Ehe einzugehen und infofern tot. Ein Konvenienzgrund 
für dieſe Rechtsfolge aus der Profeß lag eben im geiſtlichen Tode, 
der im Profeßakt eingeſchloſſen war. Nicht ohne einen gewiſſen hu⸗ 
mor will die Gloſſe dieſe Rechtsunfähigkeit jedoch nicht zu weit aus⸗ 
gedehnt wiſſen: fie erklärt den Mönch als tot zwar für die Ehe, aber 
nicht für Effen und Trinken?'. Aus demſelben Grunde folgerten her⸗ 
vorragende Bottesgelehrte und Rechtslehrer, daß eine geſchloſſene aber 
nicht vollzogene Ehe vom Papſte gelöſt werden könne. Wie der leib⸗ 
liche Tod die vollzogene, ſo löſt der geiſtige Tod in der feierlichen 
Profeß die nicht vollzogene Ehe?!. 

flußerlich wurde die eingangs erwähnte Ausgeftaltung der Brab- 
legung vielleicht dadurch befördert, daß in manchen Kirchen?? für die 
die große prostratio, das hingeworfenſein auf den Boden, ein Teppich 
gebraucht, und der Mönch ſelbſt in dieſer haltung e und mit 
Deihwaſſer beſprengt wurde. 


Anmerkungen. 


Rituale pro omnibus sub Regula S. P. Benedicti militantibus. Parisiis 1048, 
pag. 142. Disq. lib. IV. tr. 8. pag. 439. De antiquis monachorum ritibus 1690. 
Monasticon Cist. pag. 100 102. ° Panno nigro vel alio, in der Ausgabe von 
1899, pag. 366. Keitzenſtein, Hist. mon. 8. 107. The Benedictional of Arch- 
bishop Robert, ed. Wilson, pag. 133; The Missal of Robert of Jumieges, ed. 
Wilson, pag. 285. ° Dgl. beifpielsweife Vita Pachomii, Acta Sanctorum Boll. 
Maii, tom. III. Antwerpen 1680, no. 89, pag. 48 F f.; hieronumus epist. 39,3 und 
130, 8. MPL. 22,180; 984. Peter Damiani opuscul. 16, cap. 8. MPL. 145, 370 f.; 
Bernhard, De praecept. et disp. cap. 17. MPL. 182, 520 f.; Haeften a. a. 0. 
pag. 440 f.; Reiffenftuel, Jus can. L. III, tit. 31, 8 7, no. 187.; Gerbert, Vetus 
Liturgia Alemanica, tom. II. disq. 6, no. 21. Missale Ecclesiae Westmona- 
steriensis, ed. Legg, col. 1209. % Dgl. Ordo von Rheinau, MPL. 138, 1094; 
Ordo Romanus, ed. Hittorp, Coloniae 1568, pag. 138; Pontificale Romanum, 
Benedictio Abbatis; Martene, a. a. O. L. V, cap. 4; Die . des Lan- 
franc, Oderiſtus, Benedikt von Aniane u. a.; Hl. Gertrud a. a. O.; ferner Missale 
Eccl. Westmonast.; Haeften, Disq. L. IV, tr. 8, d. 5, pag. 444. 5 Eccl. Hierarch. 
Ill, cap. 6. "? Regula Magistri, cap. 89. “ Konzil von Rachen can. 35; The 
Missal of Robert of Jumieges. pag. 286 Haeften zitiert für letzteren Gebrauch 
banfranc, Boerius, das Rituale von Afflighem und das der Dallumbrofaner. ' De 
Trinitate I. VIII, cap. 8. 1 I. IV, cap. 9g. 7 Ed. Thomson vol. I, pag. 296 
und 271. 1 Dgl. Herrgott, Vetus disciplina, pag. 28, Anm. v c. 53. 54. C. II. 
q. 7: c. 8. C. XVI. q. 1. hnlich auch die Sloſſe zum weltlichen Recht. *° gl. aut. 
Servi. Instit. de jure person. — Im deutſchen Rechte: Sachſenſpiegel L. 22, 8 1 
und 3; Schwabenſpiegel $ 29; Gloſſe zum Sachſenſpiegel I. 25, 8 1. 1 8. Thomas, 
Suppl.: d. 61 a. 2: 8. Bonaventura, Sent L. IV., dist. 27. q. 2; 28. q. 6, 32. q. 2. 
Dgl. Sanchez, de Matrimonio L. II, dist. 19; Schmalzgrueber P. II. tit. 6, & 2 u. 44; 
Dännibale, Summula theol. mor. I. no. 37. 2 Pgl. Missale Westmonasteri- 
ensis col. 1187; Consuet. Cantuar. pag. 266. 


& K Zr 


58 


Germania Sacra 


Don deutfcher kirchengeſchichtſchreibung in älterer u. neuerer Zeit. 
Don P. Juſtinus Uttenweiler (Beuron). 


m Juli 1921 iſt Alois Anöpfler in feiner oberſchwäbiſchen Heimat 

geftorben und zur letzten Ruhe gebettet worden. Don 1886 bis 
1917 hatte er als erſter Nachfolger Döllingers — der Lehrfiuhl war 
längere Zeit unbeſetzt geblieben — die Kirchengeſchichte an der Uni⸗ 
verfität München würdig vertreten. Der Neubearbeiter eines Teiles 
der Ronziliengefhichte von Hefele! und Derfaffer eines beliebten Lehr: 
buchs der Rirdhengefhichte ſowie anderer Schriften, feit 1891 mit 
Schroers und Sdralek auch Herausgeber der Serie „Kirchengeſchicht⸗ 
liche Studien“, iſt vor allem als Gründer und langjähriger Dorftand 
des Münchener kirchengeſchichtlichen Seminars bahnbrechend geworden. 
Die Früchte feiner fördernden Juſammenarbeit mit ſtrebſamen Schülern 
find zumeiſt in den von ihm eigens ins beben gerufenen „Deröffent:= 
lichungen aus dem Kkirchenhiſtoriſchen Seminar Münden“ 
niedergelegt. Nicht weniger als 45 dankenswerte wiſſenſchaftliche 
Arbeiten gelangten da an die Offentlichkeit in rund zwanzig gahren. 
Knöpfler hat vorbildlich Schule gemacht. Das beweiſen eine Reihe 
heute mit Achtung genannter Gelehrtennamen, die ſich ehedem als 
Derfaffer ſolcher „Veröffentlichungen“ eingeführt haben. Beſondere 
Erwähnung verdienen an dieſer Stelle die vom Meiſter ſelber kritiſch 
edierten Werke zweier führenden Benediktinergelehrten aus karo⸗ 
lingiſcher Zeit: des Reichenauer Abtes Walafridi Strabonis liber de 
exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis 
rerum — die zweite Auflage leitete 1899 das ganze Unternehmen 
ein — und des Fuldaer Abtes und nachmaligen Mainzer Erzbiſchofs 
Rabani Mauri de institutione clericorum libri III, zwei für die Pitur⸗ 
giewiſſenſchaft bedeutſame Schriften. Als „Ein Beitrag zur Benedik⸗ 
tinerordensgeſchichte des 10.— 12. gahrhunderts“ mußten die Unter- 
ſuchungen zu den älteften Mönchsgewohnheiten von B. Albers O. 8. B. 
willkommen fein. Eine gute Anzahl der Beiträge befaßte ſich mit 
weiteren liturgiſchen ſowie mit patriftifchen Fragen der älteften Kirchen⸗ 
geſchichte. Nur die trefflichen Studien von A. Bigelmair: Die Be⸗ 
teiligung der Chriſten am öffentlichen Leben in vorkonſtantiniſcher 
Zeit, und von P. Dörfler: Die Anfänge der heiligenverehrung nach 
den römiſchen Inſchriften und Bildwerken, ſeien allgemeineren Intereſſes 
wegen beſonders genannt. Unter den zahlreichen Forſchungen zum 
Mittelalter fallen mehrere Nlummern zur karolingiſch⸗ottoniſchen Kirchen⸗ 
geſchichte von M. Königer auf, der u. a. auch noch eine grund ſätz⸗ 
liche Abhandlung: Dorausfegungen und Dorausſetzungsloſigkeit in 
Seſchichte und Kirchengeſchichte, geboten hat. Den Abſchluß bildete 
eine fleißige Studie von D. Franſes O. F. IM’. mit neuen Auffchlüffen 


Bd. 5 u. 6. Dgl. dazu 5. Finke, Ronzilienftudien zur Seſchichte des 13. gahr⸗ 
hunderts. 1891. Die Werke des hl. Quodoultdeus, Biſchofs von Karthago, geſtorben 
um 453. München, Gentner (Stahl), jetzt Köſel & Buftet, Kempten 1920. gr. 8° 90 8. 


59 


über Perfon und Werke des karthagiſchen Biſchofs Quodvultdeus 
auf Grund von Anregungen feitens des gelehrten Bermain Morin 
0. 8. B. Ein ebenſo anſchauliches Bild wie aus den „Veröffentlichungen“ 
gewinnt man von der vielſeitigen wiſſenſchaftlichen Anregung durch 
den Altmeiſter im kleinen beim Einblick in die reichhaltigen Feſtgaben, 
die ihm zu ſeinem 60. bezw. 70. Geburtstage — 1907 die kleinere in 
den „Deröffentlichungen“ III, 1; 1917 die größere — zumeiſt aus dem 
Rreife feiner Schüler gewidmet wurden. HN. Anöpfler iſt tot, aber als 
Gelehrter und als Lehrer wird er weiterleben. 

Georg Pfeilſchifter, deſſen Name früh in den „Veröffentlichungen“ 
and (I. R., 4. heft: Die authentiſche Ausgabe der e 
Gregors d. Br. Ein erfter Beitrag zur Geſchichte ihrer Überlieferung. 
1900), wie auch in der genannten Serie „Kirchengeſchichtliche Studien“ 
(III. Bd. 1.— 2. Heft: Der Oſtgothenkönig Theodorich und die katholiſche 
kirche. 1901), ſowie er hernach in beiden Feſtgaben begegnet, hat es als 
lachfolger feines Meifters auf dem Cehrftuhl der Kirchengeſchichte über⸗ 
nommen, in dem etwas erweiterten Rahmen der „Münchener Stu⸗ 
dien zur hiſtoriſchen Theologie“ (Verlag J. Köſel u. Fr. Puſtet, 
kiempten) zuſammen mit feinen Kollegen E. Eichmann, M. Srabmann 
und E. Weigl auch die Traditionen des Derewigten weiterzuführen. 
Et ſelbſt eröffnete das neue Unternehmen mit einer Anöpflers Andenken 
gewidmeten Schrift: Die St. Blafianifhe Germania Sacra. Ein 
Beitrag zur hiſtoriographie des 18. gahrhunderts!. Sie bietet 
uns einen lehrreichen Einblick in des Derfaffers berufsmäßiges Lehr- 
fach, beſonders aber in ſein ureigenſtes Forſchungsgebiet, das ihm 
als einſtigem KRirchenhiſtoriker in Freiburg i. B. vor Jahren die Ba⸗ 
diſche hiſtoriſche kommiſſton übertragen hat: Die Herausgabe der elf 
ſtattliche handſchriften⸗Folianten umfaſſenden Rorreſpondenz des großen 
Fürſtabts Martin Gerbert von St. Blafien (1764 - 93) ?. Die Ab⸗ 
tei St. Paul in Kärnten verwahrt neben manch anderen wertvollen 
Überreſten, die die aus der Schwarzwaldabtei verwieſenen Söhne 
St. Benedikts in ihre neue heimat mitnahmen, auch dieſen koſtbaren 
Schatz. Vorläufig bietet Pfeilſchifter nur jene Briefe, rund 500 zumeiſt 
vereint in dem 11. St. Pauler Brieffolianten, die ſich mit dem wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Rieſenunternehmen der Mönche von St. Blafien, der Ger- 
mania Sacra, befaſſen. 

Unter Germania Sacra verſtand man eine umfaſſende, durch Publi⸗ 
kation von Quellenſchriften und Urkunden ausgeſtattete Kirchengeſchichte 
Befamtdeutfchlands im Rahmen der Befchichte der einzelnen Diözeſen. 
„Eine Germania Sacra war ſeit langem ein allgemein und ſtark ge⸗ 
fühltes „Deſtderium“. Seit dem 16. Jahrhundert hat man an ihre Ver⸗ 
wirklichung gedacht und mit ungenügenden Mitteln und unzureichenden 
kräften daran gearbeitet.“ Die Häufigkeit ſolcher Bemühungen legt 


‘ Derlag J. Köſel u. Fr. Puſtet, Kempten. 1921. gr. 8°, X u. 198 8. Das 2. heft: 
A Adam, Die geheime ktirchenbuße nach dem hl. Auguftin. (1921), ift beſprochen 
Bened. Monatſchr. 1923, 133 f. gl. 6. Pfeilſchifter, Fürftabt Martin Gerbert 
von St. Blafien. Görres-Geſellſchaft. 3. Dereinsfchrift 1912, 8. 38 72, ſowie Bened. 
Monatſchr. 1920, 8. 43—62. 


60 


Zeugnis ab von der dringenden Notwendigkeit wie von der Schwierig⸗ 
keit des Dorhabens. In zwei Teilen beſpricht er nun dieſe Derfuche, 
zunächſt nur ſkizzenhaft die vorſanktblaſianiſchen, dann ausführlich 
jenen der Mönche von St. Blaſien. 

C. Bruſchius, ein humaniſt um die Mitte des 16. Jahrhunderts in 
Eger, trat mit ſeiner Epitome de omnibus Germaniae episcopatibus 
als erfter an die Derwirklichung der dee heran. 56 deutſche Bistümer 
in den fieben ktirchenprovinzen Mainz, Köln, Trier, Magdeburg, Salz: 
burg, Bremen und Riga ſamt einigen zur franzöſiſchen Metropole 
Befangon gehörigen ſchweizeriſchen Randbistümern ſollten bearbeitet 
werden. Der eine Band mit den 14 Bistümern der Mainzer Provinz 
bietet jeweils eine kurze Befchichte des Bistums, ſowie die biographiſche 
Skizze der einzelnen Biſchöfe. Ein Parallelband orientiert verhältnis⸗ 
mäßig eingehend über Gründung, Schickſale und bebensgang der Dor: 
ſteher von 145 meiſt ſüddeutſchen Klöſtern. Stofflich deckt ſich der un⸗ 
vollendet gebliebene Erſtlingsverſuch mit der ſpäteren Germania Sacra 
von St. Blafien, ohne aber die Einordnung des Stoffes in das Bistum 
ſo ſtraff durchzuführen. Es folgte die weniger bedeutende Teilarbeit des 
Mainzer Minoriten P. Kratepol über die Metropolen Röln und Trier 
und der ſtoffreiche Foliant des bauriſchen Staatmannes W. hund über 
die ſalzburg⸗bauriſche Kirchenprovinz, von dem der fleißig forſchende 
Münchener Archwar Bewold eine dreifach erweiterte Neuauflage beſorgte. 

Alsdann war es erſt nach dem Dreißigjährigen Krieg der gelehrte 
ſchwäbiſche Benediktiner 8. Bucelin von Weingarten, der in den vier 
mächtigen Bänden ſeiner Germania sacra et profana den Gedanken 
einer geſamtdeutſchen KRirchengeſchichte wieder aufgriff. Iſt bei ihm 
die Behandlung der 64 einbezogenen Bistümer Bruſchius gegenüber 
etwas dürftig ausgefallen, fo hat er dafür die Klöſter nach Zahl und 
hiſtoriſchem Material, wohl aus perſönlichem Intereſſe und leichterer 
Zugänglichkeit des Stoffes, umſo eingehender behandelt und vor allem 
als erſter ſämtliche Hirchenprovinzen berückſichtigt und durchgearbeitet. 
Im gleichen 17. gahrhundert erſcheint von einem anderen Schwaben, 
dem regulierten Chorherrn F. Peter von Wettenhauſen, als Teil einer 
geplanten Germania ecclesiastica, die möõglichſt alle Rlöfter und Stifter 
umfaſſen follte, die Suevia ecclesiastica mit 628 behandelten Männer: 
und Frauenklöſtern bzw. Stiftern. Zu Gunſten einer rein alphabetiſchen 
Anordnung iſt hier vom Diözeſanprinzip ganz abgeſehen. Nicht ſo in 
der Historia episcopatuum foederati Belgii (1719) des Generalvikars 
van Beuffen zu Utrecht, der den kirchengeſchichtlichen Befamtftoff 
der Utrechter Kirchenprovinz ſtreng geordnet im Rahmen der Einzel: 
bistümer unterzubringen weiß. Faſt gleichzeitig hat eine anonum 
in Brüſſel gedruckte Deutſche Bistumsgeſchichte in franzöſiſcher 
Sprache wieder alle Diözeſen, deren Auswahl hinſichtlich der Rand⸗ 
bistümer freilich auffallen muß, aufgenommen. Neben dieſen nieder⸗ 
ländiſchen Unternehmungen haben die Italia sacra des Ziſterzienſerabtes 
Ughelli in ihrer zehnbändigen Neubearbeitung durch den Denetianer 
N. Coleti (1717 22) und vor allem die Gallia christiana der franzö⸗ 
ſiſchen Benediktiner der kkongregation vom hl. Maurus, die 1715 — 88 


61 


in 13 Bänden (nach Mitte des 19. Jahrhunderts kamen noch 3 Bände 
hinzu) ebenfalls in erweiterter Geſtalt erſchien, auf die deutſchen Der- 
ſuche vorbildlich eingewirkt. 
ber die Vorzüge der vorausgehenden Werke wie über die ſpeziellen 
Anforderungen der deutſchen Derhältniffe und die Fortſchritte der 
beſchichts wiſſenſchaft hinreichend orientiert, wollte ſeit 1720 der gelehrte 
geſuit M. hanſizius eine auf der höhe ſtehende große Germania 
Sacra quellenmäßig bearbeiten. Ihm kam fein Aufenthalt zu Wien, 
in unmittelbarer Nähe zahlreicher Handſchriften und Bücherſchätze, 
gewiß zu ſtatten, aber es fehlte doch an einer umfaſſenden Organi- 
ſation zur Gewinnung von Mitarbeitern und Quellenmaterial. Hanſi⸗ 
zus ſtand allein da. Was er in drei ſtarken Foliobänden über die 
alte Metropole Cord) und das jüngere Paſſau, über das Erzbistum 
Salzburg und einleitend über die Regensburger Diözeſe bietet, iſt frei⸗ 
lich nicht mehr bloße Material: und Tatſachenſammlung nach Einzel- 
ſprengeln, ſondern der erſte in den Diözeſanrahmen geſpannte 
berſuch eines darſtellenden Geſchichtswerkes für die deutſche 
gseſamtkirche: ein ebenſo ſchwieriges wie widerſpruchsvolles Unter⸗ 
nehmen! Später gelangte mit anderen Stoffen von Hanſtzius ſein Manu⸗ 
ſkript des Episcopatus Neostadiensis in den Beſitz von St. Blaſien. 
Aber noch etliche Jahrzehnte, bevor man dort an die Verwirklichung 
der Germania Sacra ſchritt, gab der junge, proteſtantiſche Hiftoriker 
9. Chr. Batterer, ſpäter Profeſſor in Böttingen, den Plan zu einer 
allſeitigen und vollſtändigen Germania sacra medii aevi aus, „der 
einen bedeutenden Fortſchritt nach der Seite einer vollkommeren Er⸗ 
faſſung ſämtlicher Cebenskräfte und bebensäußerungen des religiös⸗ 
kirchlichen Lebens einer Diözeſe“ darſtellte. Wie hätte indeſſen ein 
Mann 56 Bistümer in dieſem Ausmaße behandeln können! Gatterer 
kam ſelbſt von feinem Vorhaben ab. Nuch der gelehrte Benediktiner⸗ 
abt Magnus Klein von Göttweig in Niederöſterreich, der in un⸗ 
gewöhnlichem Fleiße 109 Bände Materialien zu einer Germania Sacra 
geſammelt hatte, konnte keinen Buchſtaben dem Druck übergeben. 
„Als eines einzigen Mannes Werk war eine Germania Sacra eben 
etwas phuſiſch Unmögliches, wenn ſie anders auf Grund der vielen 
und zum Teil ſehr reichen Einzeldarſtellungen und unter möglichſt 
ergiebiger Beiziehung der archivaliſchen Schätze alle Diözeſen Deutſch⸗ 
lands umſpannen und in einer Weiſe behandeln ſollte, die über etwas 
erweiterte NUamenliſten doch weſentlich hinausging.“ Derartige For: 
derungen durfte man beim Fortſchritt der hiſtoriſchen Forſchung er⸗ 
heben. Um aber fie zu verwirklichen, bedurfte es einer organifierten 
dufammenarbeit vieler, ganz abgeſehen von der finanziellen Grund- 
lage, auf der ſolch ein Unternehmen ruhen mußte. Die vermögliche 
Benediktinerabtei St. Blafien auf dem ſüdlichen Schwarzwald unter 
ihrem gelehrten, weltberühmten Fürſtabte M. Gerbert war damals 
vielleicht die einzige körperſchaft, die alle wirtſchaftlichen und wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Anforderungen hiefür in hinreichendem Maße erfüllte. 
Don dieſen verheißungsvollen UDorausſetzungen nach der wiffen- 
ſchaftlichen Seite hin entwirft uns Pfeilſchifter eingangs des Haupt⸗ 


62 


teils ein erhebendes Bild. War das 18. Jahrhundert St. Blaſiens 
Glanzzeit, fo ſtellt die Regierung Gerberts, beſonders nach dem Wieder⸗ 
aufbau des 1768 niedergebrannten Kloſters, ihren höhepunkt dar. 
Eine ob ihrer amtlichen Würde, ihres individuellen Eigenwertes und 
ihrer feltenen Bildung hochgeachtete Gelehrtenperſönlichkeit an der 
Spitze, ihr zur Seite ein Stab befähigter Mitarbeiter, in denen die 
gleiche Liebe zur Wiſſenſchaft lebte, ein hoffnungsvoller Nachwuchs, 
dem daheim und auswärts die günftigften Bildungs möglichkeiten ge⸗ 
boten waren, im Werden: die Kontinuität der Forſchung und Arbeits⸗ 
methode für die Germania Sacra war ausſichtsreich garantiert. Als 
günſtiger Faktor kam noch hinzu, daß das Kloſter eine eigene Druckerei 
beſaß. Die hiſtoriographiſche Tätigkeit der St. Blafianer bewegte ſich 
ſchon ſeit längerer Zeit in dieſer Richtung. Hatte doch über ein halbes 
Jahrhundert früher m. Herrgott den umfaſſenden Plan zu einer 
ktonſtanzer Bistumsgeſchichte entworfen, deſſen Ausführung nach feiner 
anderweitigen Derwendung R. Heer und ſpäter Gerbert felber lange 
mit Intereſſe betrieben hat. Des Fürſtabts breitangelegte Geſchichte 
des Schwarzwaldes diente dem gleichen Zweck. Altbenediktiniſche Tra= 
dition, von 6. Bucelin-Weingarten, M. Klein⸗ Göttweig und den fran⸗ 
zöſiſchen Maurinern erneuert, wirkte vorbildlich. Schließlich forderte 
auch das Gerbertſche St. Blaſien naturgemäß ein großes Unternehmen 
der kirchlichen Wiſſenſchaft. Sollten es nicht die Acta Sanctorum ſein, 
deren Weiterführung durch die St. Blaſianer manche Kreiſe wünſchten, 
dann eine ähnliche dieſer „Selehrtenakademie“ würdige beiſtung. Das 
dankbare Arbeitsfeld follte ſich in der Germania Sacra bald darbieten. 

Der Frage nach dem „Urſprung des Sankt Blaſianiſchen 
Planes einer Germania Sacra“ iſt ein methodiſch lehrreiches Ra= 
pitel der Nuseinanderſetzung mit dem Verfaſſer des Nufſatzes „Der Worm⸗ 
fer Weihbiſchof Steph. Alex. Würdtwein und feine Derdienfte um die 
deutſche Seſchichtsforſchung“! gewidmet. Dieſer glaubte nämlich, auf 
Grund von Briefen zwiſchen Würdtwein und Gerbert, die laut ver⸗ 
legten Privatmitteilungen dem einſtigen biſchöflich mainziſchen Archivar 
Fr. Falk vorlagen, ſowie unter Hinweis auf die große Ahnlichkeit 
des Entwurfes zu Würdtweins Concilia Moguntina und zur ſpäteren 
Germania Sacra, in dieſem gelehrten nachmaligen (1782) Weihbiſchof 
von Worms den Vater des weitſchauenden Planes erblicken zu dürfen. 
Das zweite Argument iſt leicht zu erſchüttern durch die Feſtſtellung, 
daß der Würdtweinſche Entwurf in der Geſchichte der Verſuche einer 
Germania Sacra nichts weſentlich Neues darſtellt; den St. Blafianern, 
die auf einen gründlicheren Plan ihres erſt 1762 verſtorbenen Dor= 
fahren P. Marquard Herrgott zurückgehen konnten, war er durch- 
aus entbehrlich. hinſichtlich des erſten Brundes iſt es verhängnisvoll, 
daß keine Belege vorgewieſen werden können. Andrerſeits gibt das 
in den St. Pauler Brieffolianten liegende Material beachtenswerte 
Gründe für Gerberts Urheberſchaft an die hand, und das in mehr⸗ 
facher hinſicht. Wenn ſchon 1769 und dann immer wieder bis 1782 
die Germania Sacra im Briefwechſel zwiſchen St. Blafien und Würdt⸗ 


Freib. Diöz.⸗HArch. Bd. 34, 8. 75 - 119; vgl. auch Bd. 50, 8. 144 - 47 u. Bd. 51, 8. 106. 


63 
wein eine Rolle ſpielte, follten ausgerechnet dieſe Briefe fpurlos ver⸗ 
ſchwunden ſein? Warum ſind nach 1782 Schreiben Würdtweins zum 
gleichen Begenftande da? Warum ſprechen ſich er und die St. Blafianer 
in der wirklich vorhandenen Rorrefpondenz der Jahre 1769 ff. über 
die beiderſeitigen wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen eingehend aus, ohne 
die Germania Sacra mit einer Silbe zu erwähnen? Man verſteht auch 
nicht, wie Würdtwein im Jahre 1769, fo kurz nach dem verheerenden 
Brande St. Blafiens und der dadurch notwendig gewordenen Zer⸗ 
ſtreuung des kionvents, den hart betroffenen Fürſtabt erſuchen konnte, 
„daß er mit feinen reichen Geldmitteln und feinem ſtattlichen Gelehrten⸗ 
ſtabe den Plan vollführe“. Acht Jahre ſpäter, als das Klofter wieder 
aufgebaut und das wiſſenſchaftliche Streben in ſchönſter Blüte war, 
hat ſich die Schwarzwaldabtei bereit erklärt, die durch Aufhebung 
der Geſellſchaft geſu gefährdeten Acta Sanctorum weiterzuführen. Ein 
Eingehen auf dies Unerbieten iſt nicht denkbar, wenn damals ſchon 
ein Unternehmen von der Größe der Germania Sacra ernſtlich in Er⸗ 
wägung ſtand; das zeigt uns elf Jahre ſpäter die ablehnende Haltung 
gegenüber dem nun tatſächlich ins Stocken geratenen Werk der Bollan⸗ 
diſten. Noch 1778 ſuchte Würdtwein gelegentlich Derbindung mit dem 
Eziefuiten Rieber und will ihm Stoff liefern zur Fortſetzung der Han⸗ 
ſizſchen Germania Sacra; an etwas ähnliches in St. Blafien denkt er 
dabei offenbar gar nicht. 

Die Idee einer Germania Sacra lag längſt in der Cuft. Voraus- 
gegangene und gegenwärtige hiſtoriſche Forſchungen, und das in Ger⸗ 
berts blühendem Kloſter fo gut wie anderswo, bereiteten allmählich 
ihr Zuftandekommen vor. St. Blafien bedurfte daher der Anregung 
von außen nicht. Die dortige Entſtehung und Entwicklung des Planes 
läßt ſich verfolgen. Ende der Siebzigerjahre beauftragte der Fürſtabt 
den fleißigen und gründlichen P. Trudpert Neugart mit der Weiter- 
führung der ehedem unterbrochenen konſtanzer Bistumsgeſchichte. Er 
ſelber ſchreibt um dieſe Zeit an feiner Historia Nigrae Silvae ordinis 
Sancti Benedicti coloniae, die zugleich eine kirchliche und politiſche 
Belchichte des Schwarzwalds darſtellt. Anderweitig muntert er auf zu 
ähnlichen Arbeiten. Mit diefen Einzelforſchungen reift der Mut und der 
Plan, fie in ein größeres kirchenhiſtoriſches Unternehmen einzu⸗ 
ordnen, über deſſen Organiſation indeſſen noch keine Klarheit herrſcht. 
loch im Dezember 1780 ſcheint ſich Serbert die Zentrale des Dor- 
habens, zu dem er mit den Seinen nur beiſteuern will, außerhalb 
St. Blafiens zu denken. In den folgenden Monaten wurde aber offen- 
bar in feinem Rlofter viel beraten und erörtert. Denn Oktober 1781 
hat man ſich ſchon geeinigt auf einen beſtimmten Plan: die Germania 
Sacra ſoll wie die Gallia christiana nach Diözeſen behandelt werden. 
Bald beginnen die Vorarbeiten, mit denen gegen Ende 1782 über zwan⸗ 
zig Mönche ſich abgeben. Junächſt waren es einige Diakone, die nach 
Abſchluß ihrer theologiſchen Studien — zum Prieſtertum ließ man ſie 
noch nicht hinzu — in geeigneter Weiſe beſchäftigt werden ſollten. Es 
möchte ſogar ſcheinen, daß die Frage ihrer Beſchäftigung zur end⸗ 
gültigen Entſchließung geführt hat. Man ſieht, das Vorhaben gilt 


64 


ſchon als St. Blafianifche Angelegenheit, zumal fie dem Fürftabt fo 
fehr am Herzen liegt. Er ſelbſt war es, der nun befreundete Gelehrte 
davon verſtändigte, unter ihnen auch den anderweitig beſchäftigten 
Würdtwein, deſſen Antwort die freudigſte Überraſchung kundgibt. 
Dies wird wohl der wahre Sachverhalt und Bang der Dinge geweſen 
ſein, wenngleich ein völlig überzeugender Beweis nicht leicht zu er⸗ 
bringen ift. Jedenfalls entbehrt das Endurteil: „Die St. Blaſtaniſche Tra= 
dition, daß Gerbert der eigentliche Dater der St. Blaſianiſchen Germania 
Sacra fei..., hat alſo doch manches für ſich und iſt jedenfalls bis zur 
Stunde durch kein durchſchlagendes Argument entkräftet worden“, 
der ſoliden Begründung und vorſichtigen Faſſung keineswegs. 

Klar und zielbewußt gingen nun die St. Blafianer zu Werke. Unter 
ſich und mit auswärtigen Gelehrten berieten ſie die Mittel und Wege, 
die Schwierigkeiten und Nusſichten des gewaltigen Unternehmens. 
Drei befreundete Forſcher von Anſehen, der ſchweizeriſche Baron von 
Zurlauben, der erwähnte Weihbiſchof Würdtwein von Worms und 
der päpſtliche Nuntius Barampi in Wien boten alsbald archivaliſche 
Schätze an und verhießen Unterſtützung durch Rat und Tat. Ein 
Proſpekt vom 11. november 1783 mit klar umriſſenem Plan, 
übrigens ein für den wiſſenſchaftlichen Sinn der Mönche von St. Blafien 
ebenſo ehrendes wie lehrreiches Schriftſtück, dem nach Fühlungnahme 
und Gedankenaustaufh mit den erſten Dertretern der damaligen 
Gelehrtenwelt eine zweite, endgültige Redaktion unterm 3. Februar 
1786 folgte!, lud alle gelehrten Perſönlichkeiten und Rörperſchaften 
ohne Unterſchied der Konfeſſton und Nationalität zur Mitwirkung 
jeder nur möglichen Art ein. Umfang und Einteilung des Unter: 
nehmens wird darin feſtgelegt, eine wiſſenſchaftliche Geſellſchaft der 
zur Germania Sacra mitwirkenden Gelehrten und helfer ins Leben 
gerufen, dieſe ſelber behufs geregelter Arbeits methode in drei 
Klaſſen geteilt, die ſich je nach dem Grade der Schulung und Befähi⸗ 
gung betätigen: die erſte Klaſſe befaßte ſich — bereits nach beſtimmten 
Gefichtspunkten und Rubriken — mit dem Sammeln und Exzer⸗ 
pieren des Stoffes aus den großen Quellen- und Regeſtenwerken. 
Eine zweite Klaſſe teilte dies Material den verſchiedenen Metropolen, 
Bistümern und Alöftern zu und ergänzte es aus den über die betref⸗ 
fenden Sprengel vorhandenen Spezialwerken, während die dritte und 
höchſte Klaſſe die Derarbeitung und literariſche Beftaltung übernahm. 
Ein Direktorium von wenigſtens zwei Patres aus St. Blafien ſtand 
an der Spitze, natürlich geſtützt und beraten von der Erfahrung und 
Sachkenntnis des vielbeſchäftigten Fürſtabtes. Ihnen oblag die Zu» 
weiſung des Arbeitsfeldes und allenfalls erforderlichen Materials, die 
wiſſenſchaftliche korreſpondenz, die Ausarbeitung der jeweiligen Pro— 
loge und Dorunterfuchungen, die letzte Reviſion des Manufkriptes und 
Überwachung des Druckes. Beratende Konferenzen fanden des öfteren 
ſtatt. Ein Sekretär verwahrte Protokolle und Korreſpondenzen in einem 
Geſellſchaftsarchiv. Es war dies P. Amilian Uffermann, zugleich 
die Seele und ſtets treibende Kraft des Banzen. Die Sammel- und 


Originaltext, leider voll Druckfehler, 8. 181-188 als Beilage I. und II. geboten. 


65 


Ekzerpierarbeit geſchah aus praktiſchen Gründen vor allem in St. Bla⸗ 
ſien. Dort ſtand alles im Banne der Germania Sacra. Waren doch, 
wie wir ſahen, ſchon ein Jahr vor Ausgabe des erften Proſpektes 
mehr als zwanzig Mönche an der Sammelarbeit. Was in ähnlicher 
Weiſe auswärts geſammelt wurde, follte zwecks einheitlicher Arbeit 
nach St. Blaſten geliefert werden. 

eine wichtige uno viel erörterte Frage betraf den Umfang der 
geſamten Arbeit, d. h. die Zahl der zu behandelnden Diözeſen. hier⸗ 
über hatte ſich der Proſpekt nur im allgemeinen geäußert. P. Am. Uſſer⸗ 
mann verfaßte einen weitausſchauenden Plan, worin 100 - 120 Bis⸗ 
tümer vorgeſehen waren. Die deuiſchen kternprovinzen Mainz, Trier, 
köln, Salzburg, Bremen, Magdeburg mit 49 Bistümern, dazu 51 
ſog. Randbistümer, dieſe meiſt nicht vollſtändig, ſondern nur ſoweit 
erforderlich — die urſprünglich auch genannten nordiſchen Bistümer 
find nicht mitgerechnet — ſollten in 100 - 120 ftarken Quartbänden 
im Derlauf der Jahre und Jahrzehnte bearbeitet werden. Nach frucht⸗ 
loſen Erörterungen mit Würdtwein einigte man ſich auf folgende 
Anordnung bei der Behandlung der einzelnen Bistümer. Da ein 
allgemein und grundſätzlich gehaltener Prodromusband unterblieb, 
ſollte nach einem Verzeichnis der hiſtoriſchen Literatur zur Diözeſe 
die Einleitung Abhandlungen über die Anfänge und Derbreitung der 
chriſtlichen Religion, über Urfprung, Ausdehnung und Organifation 
des Sprengels und etwaige Exkurſe enthalten, der erfte Teil von den 
Bifhöfen und ihrer Tätigkeit als Rirchenfürften einſchließlich der 
Sunodalſtatuten und ſonſtiger kirchlich⸗disziplinären Derfügungen, der 
zweite Teil vom Domkapitel, den kiollegiatſtiften und dem übrigen 
Weltklerus und ſchließlich ein dritter Teil von den zahlreichen Klöſtern 
und kiloſtervorſtehern handeln. Den Schluß würde ein knapper Bericht 
über heilige und gelehrte Perſönlichkeiten von beſonderer Bedeutung, 
ein chronologiſches Regiſter ſchon edierter und ein Abdruck noch nicht 
veröffentlichter Urkunden bilden. 

Don großer Bedeutung für das Rieſenwerk war es auch, Mitar: 
beiter, ſowie das nötige archivaliſche Material zu gewinnen. In allen 
Bauen Deutſchlands hatte der kühne Gedanke hohe Aufmerkſamkeit 
geweckt. kiatholiken und Proteſtanten kündigten in ſtattlicher Zahl 
ihre Mitarbeit an. Außer den obgenannten drei hiſtorikern erſten 
Ranges verdient der vorbildliche Eifer einiger proteſtantiſchen Gelehrten 
und das rührige Intereſſe der Abteien Banz, Ottobeuren und Rheinau 
beſonders hervorgehoben zu werden. Underwärts freilich bekundete 
man weniger Derftändnis, beſonders wenn die Schätze der Archive zur 
berfügung geſtellt werden ſollten. Das mußte dem Fortgang der 
Arbeiten mitunter ſehr hinderlich werden, lag aber zum Teil in den 
berhältniſſen der Zeit und der Menfchen. Archivreiſen in aus- 
gedehntem Maße hatten die St. Blafianer freilich wohl nicht prinzipiell 
im Programm ſtehen. Man kann darin mit Pfeilſchifter einen Mangel 
erblicken. Wenn man aber St. Blafien nicht nur als „Gelehrtenakademie“ 
anſieht, was freilich ſeit Jahren und gahrzehnten mit Vorliebe ge⸗ 
ſchah, ſondern auch und doch ſchließlich in erſter Linie als fonvent 

Benediktinifdye Monatſchriſt VI (1924) 1—2. 5 


66 


eines Ordens, deſſen Stifter die stabilitas loci — auch in dem hier 
inhaltlich berührten Sinne — als neues Element ins Ordensweſen ein⸗ 
führte, dann wird man die Zurückhaltung der St. Blafianer bei all 


ihrer Wiſſenſchaftlichkeit verſtehen. Ohne ein dauerndes Reiſen meh⸗ 


rerer Patres durch lange gahre wäre es kaum abgegangen — und 
das wird ſich ſogar der weitblickende Gerbert, deſſen eigene wiſſen⸗ 
ſchaftliche Reiſen übrigens für ein enger umgrenztes Forſchungsgebiet 
und darum verhältnismäßig kürzer und zudem nur die eines einzelnen 
Mitgliedes der kkommunität waren, überlegt und darum vielleicht den 
Seinen die Weiſung gegeben haben, nur in wirklich dringenden Fällen 
zu reiſen. Es iſt dies eine Erwägung, die an dieſer Stelle gewiß ihre 
Berechtigung hat und erneut zur Feſtſtellung zwingt, daß in der Lite: 
ratur über die St. Blafianer des 18. Jahrhunderts auf die monaftifchen 
Gefihtspunkte bisher kaum geachtet worden iſt. Man braucht dabei 
nicht in die prinzipielle Schwierigkeit verwickelt zu werden, ob ein 
wiſſenſchaftliches Unternehmen, deſſen harmoniſche Entwicklung eine 
weitgehende Freizügigkeit wünſchenswert erſcheinen läßt, von ſolcher 
Stelle gewagt werden dürfe. Größere oder kleinere Mängel haften 
ſchließlich jeder menſchlichen Inftitution an. Wurde nicht bei der 
St. Blaſianiſchen Germania Sacra der berührte etwaige Nachteil durch 
die günftigften Umftände aufgewogen? Gab es übrigens Fälle wirk⸗ 
licher Notwendigkeit, wenn es z. B. irgendwo am Entgegenkommen 
oder gar an der erforderlichen Ausbildung der Archivare und ſonſtiger 
Hilfskräfte fehlte, auf die man ſich hätte verlaſſen müſſen, dann 
zogen auch St. Blafianifhe Mönche zu eigentlichen Forſchungsreiſen 
hinaus. So finden wir P. Ämilian Ufferman 1786 und fünf Jahre 
ſpäter auch P. Diktor Keller im Frankenland, fo B. Ambrofius Eid): 
horn im Churer Sprengel, P. Philipp Jakob Umber im Gebiete von 
Eihftätt, P. Trudpert Tleugart im ſchweizeriſchen Teil der Konſtanzer 
Diözeſe. Mehrfach konnte Gerbert auch auswärtige Gelehrte, die zur 
Überbringung von Material und zur Beſprechung wichtiger Fragen 
zu kommen gebeten waren, in St. Blafien begrüßen. 

Überaus intereſſant iſt es nun zu hören, wieviele Diözeſen in Angriff 
genommen oder bearbeitet wurden, und welche Bearbeiter ſie ge⸗ 
funden haben. Wir kommen da zu einem für die Benediktiner über⸗ 
haupt und ſpeziell für St. Blaſien ſehr günſtigen Urteil, vor allem 
bei Erwägung der umfaſſenden Vorarbeiten, der verhältnismäßig nur 
kurzen Zeit und den zum Teil fo verwickelten, unerfreulichen Verhält⸗ 
niſſen in der religiös⸗politiſchen Gage. Die weitausholende Exzerpier⸗ 
tätigkeit war noch auf das Geſamtunternehmen eingeſtellt. Planmäßig 
geſammelt oder doch ſchon damit begonnen wurde für etwa 30 Dis- 
zeſen, von denen 19, meiſt aus der Mainzer Kirchenprovinz, tatſächlich 
in Arbeit ſtanden, aber nur 8 auch wirklich vollendet worden ſind. 
Die Mainzer Erzdiözeſe, die nach dem urſprünglichen Plan als Muſter⸗ 
leiſtung an der Spitze marſchieren ſollte, fand nie eine dem in der 
Germania Sacra möglichen Umfang entſprechende Bearbeitung. Die 
Rückſicht auf Würdtwein, mit dem langwierige diesbezügliche Srör⸗ 
terungen leider erfolglos gepflogen wurden, zögerten nur den Beginn 


67 


des Druckes hinaus. Dagegen hat der unermüdliche P. Amilian Uffer- 
mann allein drei Diözeſen fertig geſtellt, nämlich Würzburg, Bamberg 
und Straßburg. Drei weitere Bistümer find die Frucht St. Blafianifcher 
Bingabe: Chur iſt P. Ambros Eichhorns, Verden P. Diktor kiellers, Hon⸗ 
ſtanz P. Trudpert Neugarts Werk. Die zwei ſchweizeriſchen Bistümer 
ſtammen von P. Moriz van der Meer aus Rheinau. In den Druck 
kamen vier UDor⸗ oder Entlaſtungsbände, zwei mit alemanniſchen Ge= 
ſchichtsquellen wie der Chronik Hermanns und Bertholds von Reichenau 
u. a. von B. Ämilian Uffermann, zwei mit Urkunden zur klonſtanzer 
Bistumsgeſchichte, bearbeitet von P. Trudpert Neugart; ferner die Diö⸗ 
zeſen Würzburg (1794), Chur (1797), Bamberg (18011), Ronſtanz Bd. J. 1 
(18031). Sie alle tragen, geſchmackvoll und gediegen in Kleinquart 
gebunden, das von kiennern noch heute geſchätzte Typis S. Blasii oder 
Typis San-Blasianis an der Stirne. Sie alle aber, in trüben und 
unruhigen Zeiten geboren, ſind auch Zeugen des Opferſinnes und 
Idealismus der Mönche von St. Blafien, die uns aufrichtigſte Be⸗ 
wunderung abnötigen. Denn während dieſe unentwegt der Arbeit 
fi) hingaben, wurde die Lage der Klöſter, die ſchon zu Beginn des 
Unternehmens infolge der Joſephiniſchen Ideen bedenklich geweſen, 
immer kritiſcher. Zu Ende des Jahrhunderts brachten ktriegsunruhen 
ſogar das entlegene Schwarzwaldklofter in ſchwere Gefahren. Das 
Druckjahr 1803 des letzten Bandes war auch das Jahr des Reichs 
deputationshauptſchluſſes, der die Einziehung der geiſtlichen Gebiete 
zur Folge hatte. Gerbert war ſchon am 13. Mai 1793, vor Erſcheinen 
des erſten Bistumsbandes, geſtorben; Uſſermann folgte ihm fünf gahre 
Ipäter, am 27. Oktober 1798 nach. Die Hauptſorge laſtete nun auf 
dem edlen, vielbeſchäftigten Dekan Neugart. Doch ſollten ſeine Mühen 
um die Germania Sacra nur noch von kurzer Dauer ſein; denn Baden, 
dem Rlofter und Kloftergebiet zugefallen war, verfügte im Oktober 
1806 die Aufhebung von St. Blafien und ſetzte dem hoffnungsvoll 
begonnenen Kulturwerk ein jähes Ende. 

Ihrer Hilfsmittel wirtſchaftlicher und wiſſenſchaftlicher Art beraubt, 
zogen die Mönche des herrlichen kloſters von St. Blafien fort; der 
Fürſtabt Berthold Rottler mit Dekan P. Neugart und über dreißig 
anderen [einer Getreuen fand ein neues Wirkungsfeld in der unter 
goſeph II. aufgehobenen Abtei St. Paul in ftärnten, die faiſer Franz 
von Oſterreich zur Derfügung ſtellte. Dort verarbeitete P. Heugart 
(Fam 15. Dezember 1825) noch die Materialien zu Bd. I, 2 der Aon- 
ſtanzer Bistumsgeſchichte, der bis 1308 reicht und nach bewegten 
Schickſalen erſt 1862 auf Roften der Abtei St. Paul bei Herder⸗Frei⸗ 
burg zum Druck gelangte. An eine Weiterführung der Germania 
Sacra war aber nicht mehr zu denken. Für mehr als ein Jahrhundert 
mußte fie wieder ein bloßes Defiderium bleiben. Zwei neue Ber- 
mania-Sacra-Projekte, unter ſich ſehr verſchieden, brachte uns 
erſt die jüngſte Zeit. Don einem konnte Pfeilſchifter noch nicht 
berichten. M. hartig in München und 9. Baum in Stuttgart find 
daran, mit anderen Gelehrten Deutſchlands Kirchen und ktlöſter in 
Einzelmonographien zu behandeln. Ein erfreulicher Anfang iſt bereits 

5 * 


68 


gemacht; denn M. Hartig hat das Unternehmen anfangs letzten Jahres 
mit der hübſchen Arbeit „Das Benediktiner-Reichsſtift Sankt Ulrich 
und Afra in Augsburg (1012 - 1802)“ eröffnet!, und von Fr. Martin 
iſt unlängft „Berchtesgaden. Die Fürſtpropſtei der Regulierten Chorherren 
(1102 - 1803)“ erfchienen.? Einteilung, Charakter und Zweck dieſer 
neuen Germania Sacra ift aber von der St. Blaſianiſchen [ehr ver⸗ 
ſchieden. Naheliegend und praktiſch war die Einteilung in Germania 
Sacra Saecularis und Regularis, jeweils wieder mit Unterabteilungen. 
Die handliche, monographiſche Bearbeitung mit der kurzen geſchicht⸗ 
lichen Orientierung und der ſachkundigen, durch zahlreiche gute Repro⸗ 
duktionen — für Berchtesgaden 6 in Strichätzung und 92 auf Kunſt⸗ 
druckpapier — veranſchaulichten kunſtgeſchichtlichen Darlegung läßt 
erkennen, daß an einen weiteren, vor allem künſtleriſch intereſſierten 
Ceferkreis gedacht iſt. Für die gewiſſenhafte Juſammenſtellung der 
Rlofterobern, der ausübenden Meiſter und Künſtler, der monumentalen 
Überreſte, der literariſchen Quellen und Darſtellungen zum betreffenden 
Gotteshaus iſt man dankbar. 

Früher geplant, aber noch nicht zur Derwirklichung gelangt iſt die bei 
Pfeilſchifter im Schlußparagraph beſprochene Germania Sacra, zu der 
die Berliner Selehrten P. Kehr und A. Brackmann im Jahre 1908 
die Anregung gaben. Wie bei den St. Blafianern würden hier rein 
geſchichtswiſſenſchaftliche Ziele verfolgt. Unter zeitgemäßer Derände- 
rung des fanktblafianifchen Planes kämen, wie Brackmanns Dor⸗ 
ſchläge vor allem in der Zeitſchrift für Kirchengeſchichte 30 (1909), 
8. 1-27 praktiſch zeigen, außer dem kirchlichen Leben, feinen Ein⸗ 
richtungen und Perſonen, auch die politiſche und literariſche Lage, 
kiunſt und Bulturzuftände, Rechts⸗ und Wirtſchaftsgeſchichte zur Be⸗ 
handlung. Dem Kirchenhiſtoriker erſcheint dies als eine Beeinträch⸗ 
tigung des eigentlich kirchlichen Elementes, ganz abgeſehen von der 
Fraglichkeit einer Ausführung in ſolchen Ausmaßen. Lehrreich iſt 
ſein 8. 34 gebotenes Jdealſchema zur Darftellung des gefamten 
religiös⸗kirchlichen Lebens einer Diözeſe, an dem dieſer neue Verſuch 
zu meſſen fei: 1. Die wirkenden Faktoren find der Biſchof mit der Jen⸗ 
tralgewalt, unterſtützt vom Domkapitel; ihm zur Seite als hilfsfak⸗ 
toren der gleich lebenswichtige Welt⸗ und Ordens klerus. 2. Die Mittel, 
mit denen dieſe Faktoren wirken, find die Derwaltung des Gehramtes 
durch Predigt, religiöfen Unterricht und kirchliche Wiſſenſchaft, des 
Prieſteramtes durch Meßopfer, Sakramente und Gebetsleben, des 
Birtenamtes durch Seelenführung und kirchliche Disziplin. 3. Das 
Ergebnis wird der Geſamtzuſtand des religiös⸗ſittlichen Lebens der 
Gläubigen und des Klerus fein, deſſen Darſtellung darum jeweils den 
Bistumsband abſchließen ſoll. 

Das Buch Pfeilſchifters ermöglicht einen lehrreichen Einblick in die 
ernſten wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen einer geiſtig hochſtehenden Abtei 
mit muſtergültig geregeltem Studienbetrieb. Möge man es bei einem 
»Meminisse iuvat«, Es war einmal, nicht bewenden laſſen! 


' Siehe Bened. Monaffchr. 1923, Heft 3—4, 8. 130 f. ? Germania Sacra. Serie B. 
Germania Sacra Regularis. I. Die Abteien und Canonien. C. Die regulierten Chor- 
herrnſtifte. 1923. Derlag Dr. Benno Filſer, Augsburg. 


69 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 


Ludwig von Paſtor zum 70. Geburtstag. 


Ga Jahren lieſt man in Beuron Paftors Papſtgeſchichte mittags bei Tiſch, Band 
für Band, ſobald wieder einer erſcheint. Jedem Bande ward noch das gleiche 
ungeteilte Intereſſe von Patres und Brüdern entgegengebracht; vor keinem wurde 
halt gemacht, auch vor keinem einzigen Bande. „Die Wahrheit wird euch frei 
machen“, und nach Job 13 braucht Gott, um groß zu erſcheinen, eines bügenanwaltes 
nicht. Paſtor beſchönigt nichts. Er weiß zu wägen. Er kann auch entſchuldigen. 
liber jede Entſtellung liegt ihm fern; niemand ſtört er im ſelbſtändigen Urteil. 

Uoch lebt in unſer aller Gedächtnis die Geſtalt des heiligen Papſtes Pius V. mit 
ſeinem faſt ſchreckhaften Eifer und dabei ſo innig frommen, grundgütigen Weſen. 
loch hallen die Wände förmlich wieder von des Gektors Stimme über Gregor XIII. 
und feinen Pontifikat'. Es mag undankbar fein, zwiſchen Charakteren wie Pius V. 
und Sigtus V. ſtehen zu müſſen. Gregor XIII. hat das Undankbare ſolcher Stellung 
reichlich erfahren, ſelbſt im Urteil von Biftorikern. Da hat nun Paſtor gründlich 
aufgeräumt und die ganze ungeheure Bedeutung der dreizehn Jahre eines reinen 
Arbeitspontifikates glänzend ins Licht geftellt. Galt der Pontifikat des gutmütigen, 
gelehrten Gregor weniger der Ewigen Stadt und dem eigenen Staate, fo umſo mehr 
der Weltkirche: Europa und der ganzen Erde. Er wußte das ganz hervorragende 
Mittel zu ſchätzen, das ihm die Dorfehung in dem tatfrohen, jugendkräftigen geſuiten⸗ 
orden und in den Rapuzinern gegeben. Er erkannte klar die grundlegende Bedeutung 
der Studien, Schulen und Mifflonen. Tränen in den Augen ſchloß Gregor die erſten 
fürſtlichen Geſandten des fernen Japan als Söhne der Kirche in feine Daterarme, 
und für einen Augenblick konnte er faſt hoffen, der Großfürſt von Moskau würde 
ſich mit ſeinem Reiche der Kirche zuwenden, der ſchreckliche Jwan IV., der doch nicht 
fürchterlich genug war, den päpſtlichen Geſandten, den geſuiten Poſſevino einzu⸗ 
ſchüchtern. In dieſen Pontifikat fällt die unglückſelige Bartholomäusnacht, und 
Paftor zeigt, daß der Papſt weder an dem Plan noch an der Ausführung beteiligt 
war. Die ewige Spannung mit Spanien dauert fort. In den Niederlanden lodert, 
von Oranien geſchürt, der Rufſtand auf; er bricht in den ſüdlichen Provinzen zu» 
ſammen. In England fließt Martyrerblut. Unter Gregor XIII. hat ſich am Rhein 
das Schickſal Weſtdeutſchlands und mit ihm Weſteuropas entſchieden; damals iſt die 
Doge der Slaubensneuerung zum Stillftand gekommen. Ohne die Energie des hei⸗ 
ligen Stuhles und den Eifer, ſowie das diplomatiſche Geſchick feiner Uuntien wären 
wohl alle norddeutſchen Bistümer ſamt Röln herrſch und heiratsluſtigen neugläubigen 
fürſtenſöhnen in die hände gefallen. Nun tritt endlich wieder „Einheits bewußtſein, 
Selbftvertrauen und klarheit“ an die Stelle der ehemaligen verhängnisvollen „Unent- 
ſchloſſenheit, halbheit und Verwirrung“. 

An all das denken wir und an noch vieles andere heute am 70. Geburtstag 
b. Paſtors (geboren Aachen am 31. Januar 1854) dankbar wie nur je Börer ihrem 
hochverehrten Lehrer dankbar waren, wenn er auch bloß im gedruckten Worte von der 
bektorkanzel ſeit Jahren zu uns ſpricht. ‚Reine Feſtgabe wird wie verlautet erſcheinen, 
und doch iſt die denkbar ſchönſte ſchon erſchienen: Ludwig von Paftor hat fie ſich ſelbſt 
geſchrieben!. Aus dem V., VII. und IX. Bande feiner Papſtgeſchiche hat eine ſehr 
glückliche hand die wunderbaren Charakterſchilderungen der heiligen Ignatius von 
boyola, Thereſia, Philipp Neri, Karl Borromäus zart herausgehoben; der Verlag 
hat vier feine Bilder hinzugetan und Mar Schermann (Riedlingen) ein warmes wert⸗ 
volles Gedenkwort zum fünften Bilde, dem des Derfaffers, dazu geſchrieben. Wer 


’ Geſchichte der päpſte IX. Band. Freiburg 1923, Herder. 2 v. Paſtor, b., Charakterbilder ka- 
tholiſcher Reformatoren des XVI. gahrhunderts. Freiburg 1923, Herder. 


70 


die Papſtgeſchichte nicht kennt, mag hier aus vier Statuen, nein aus vier farbenfatten 
Gemälden, ermeſſen, wie überwältigend groß der Dom fein muß, dem fie entnommen 
find. Wer aber Paſtors Papſtgeſchichte kennt, empfindet hier in diefer anmerkungs⸗ 
loſen Ausgabe doppelt die ganze Selbſtzucht des Hiſtorikers: welchen Rieſenzwang 
muß ſich in feinem Rieſenwerke ein Mann auferlegt haben, der über eine ſolche Dar- 
ſtellungsgabe verfügt. Daß v. Paſtor uns trotzdem noch den heiligen Pius eigens 
ſchenken möge, wäre unſer ſehnlichſter Wunſch. 

Grün, golden und rot hat „fein“ Derlag die Feſtgabe gekleidet. Sei es uns ein Symbol: 
Der Hoffnung auf lange, arbeitsfrohe Jahre, die der herr dem eifrigen Forſcher 
ſchenken möge, der dankbaren Liebe, deren wir ihn herzlich verſichern und der Krone 
der Herrlichkeit, die Gott ihm einſt gebe und die alle Erdenehrung unendlich überſtrahlt. 

P. Sturmius Regel (Beuron). 


dur ſechſten gahrhundertfeier des hl. Thomas von Aquin. 


W. Geo XIII., Pius X. und Benedikt XV., fo erhebt auch Pius XL feine Stimme 
zum Lob des hl. Thomas. Im vorliegenden Rundfchreiben preift der heil. Dater 
den engelgleichen Lehrer zunächſt als heiligen und betont befonders feine Reinheit und 
Demut, feine Gottesliebe und feinen Bebetseifer. Der zweite Teil behandelt die Gehre, 
deren Grundpfeiler auf philoſophiſchem und theologiſchem Gebiet aufgezeigt werden. Die 
Darlegungen der beiden erſten Teile finden im dritten Abſchnitt ihre Anwendung auf 
die heutige Zeit: der heilige wird vor allem der ſtudierenden Jugend und den Prieftern 
als Vorbild empfohlen. Im Feſthalten an ſeinen wiſſenſchaftlichen Prinzipien ſieht 
der Papſt das Heilmittel für die Schäden unſerer Jeit. Aber ebenſowenig wie einer 
feiner Vorgänger verlangt Pius XI. das Feſthalten an einem beſtimmten der ver⸗ 
ſchiedenen Syfteme, die ſich auf Thomas berufen; auch will er nicht, daß man eine 
Entwicklung der philoſophiſchen und theologiſchen Wiſſenſchaft über Thomas hinaus 
leugne; aber die Methode, die Lehre und die Grundſätze des Heiligen ſollen von allen 
feſtgehalten werden, wie es auch can. 1366 $ 2 des kirchlichen Geſetzbuches verlangt. 
Innerhalb dieſes Rahmens jedoch ſoll „unter den Verehrern des hl. Thomas .. jener 
ehrliche und freie Wettftceit herrſchen, der die Dorbedingung bildet für den wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Fortſchritt“. Der Papſt warnt vor der „gegenfeitigen mißgünſtigen Der: 
kleinerungsfudt, die der Wahrheit nicht dienlich iſt und einzig und allein dazu führen 
kann, die Bande der Liebe zu zerreißen ... Die einzelnen ſollen ... von einander 
nicht mehr verlangen, als was die kirche, die behrerin und Mutter aller, von allen 
fordert. In ſolchen Fragen, in denen bei angeſehenen katholiſchen Autoren verſchiedene 
Schulmeinungen gleich berechtigt gegeneinanderſtehen, ſoll niemand gehindert werden, 
die Anſicht zu vertreten, die ihm mehr Wahrheit zu enthalten ſcheint“. — Den Schluß 
des Rundſchreibens bilden Anordnungen für die würdige Feier des Jubiläums in den 
Ordenshäuſern, Seminarien und anderen geiſtlichen Schulen. Der Enzyklika ift ein 
Gebet des heiligen angefügt, das zu Bott um Gicht und Segen für die Studien fleht. 

Die deutſche Überſetzung wird dem Urtext völlig gerecht, ſie iſt treu und doch 
unſerem deutſchen und modernen Sprachempfinden angepaßt. Nur an einer Stelle 
ift ein kleines Derfehen unterlaufen: die Begehung des Jubiläums ſoll „im Laufe des 
Feſtjahres, in der Zeit vom 18. Juli [1923] bis zum Ende des nächſten gahres [1924]“ 
erfolgen. Die Ausftattung, die der Verlag dem Rundſchreiben gegeben, entſpricht der 
Würde des gefeierten Lehrers und der Wichtigkeit der päpftlichen Kundgebung. die 
in Thomas nicht nur den heiligen, ſondern auch „die Autorität des kirchlichen 
behramtes“ geehrt ſehen will. 

P. Adalbert von Neipperg (Beuron). 


1 Rundfchreiben unferes heiligen Daters Pius XI. (29. Juni 1923: »Studiorum Ducem ). Autorifterte 
Ausgabe, lateiniſcher und deutſcher Text. gr. 8“. (47 S.) Freiburg 1923, Herder. 


71 


Herders Zeitlexikon. 


Jr Herderſchen Konverfations-Lezikon ift im Jahre 1922 ein zweiter Ergänzungs- 
band erſchienen, der auch in Sonderausgabe als „Zeitlegikon” dargeboten wurde. 
Der ſelbe hat ein herbes Geſchick hinter ſich. Er war ſchon 1914 vorbereitet, der 
druck war weit vorangeſchritten, der Weltkrieg jedoch nötigte zu deſſen Einftel- 
lung. Bald nach Friedensſchluß erwog der rührige Verlag feine Wiederaufnahme. 
Die auf fo vielen Gebieten inzwiſchen eingetretene Andersgeſtaltung der Dinge for⸗ 
derten indeſſen nunmehr eine ganz neue Arbeit. Statt bloß Ergänzungen aus den 
fünf Friedensjahren 1910 — 1914 zu bieten, waren jetzt die ereignisreichen Kriegsjahre 
und die erſten Nachkriegsjahre 1914 — 1922 zu berückſichtigen. Dies alles ift mit 
höchſt anerkennenswerter Sorgfalt und Zuverläſſigkeit geſchehen. 

Auf beſchränktem Raume bietet das „Zeitlezikon” eine wahre Fülle des Wiſſens⸗ 
werten über die Gefchehnilfe der letzten Dorkriegsjahre, des Weltkrieges und des Wieder ⸗ 
aufbaues in den erſten Nachkriegsjahren. Der Weltkrieg, die in ihm hervor⸗ 
ragenden Perſönlichkeiten, die einzelnen Schlachten, die zumal für die Kriegsteilnehmer 
denkwürdigen Orte, die Waffenarten und andere Ariegsmittel, eingeſchloſſen Kriegs- 
lüge, Kriegswirtſchaft, Ariegsfürforge kommen ausgiebig zur Darſtellung. Die 
politiſche Seſchichte der einzelnen Staaten und Länder iſt bis in die Gegenwart 
weitergeführt, beſondere Beachtung finden ſelbſtverſtändlich die deutſchen Derhältniffe 
und die unfriedlichen „Friedensverträge“. Stehen Krieg und Politik auch voran, 
fo kommen doch die kulturellen beiſtungen und Werte nicht zu kurz. Religiöſen 
und kirchlichen Perſonen und Derhältniffen iſt geziemend Aufmerkfamkeit geſchenkt. 
Dies zeigen u. a. die Artikel: Benedikt XV., Pius X. und Pius XI., Brevierreform, 
Codex juris canonici, Ehe, &roßftadtfeelforge, Paienapoſtolat, Miſſton, Ordination, 
Pfarrer, Proteftantismus, Staat und Kirche. Sämtliche neu errichtete Bistümer und 
apoſtoliſche Dikariate find nachgetragen. Gleiche Sorgfalt erfahren Wiſſenſchaft, 
Kunſt und ihre Vertreter; es fei nur hingewieſen auf die Artikel: Deutſche Forſchungs⸗ 
inſtitute, Nobelpreiſe, Papurus, Philoſophie, Polarforſchung, Radium, Relativitäts- 
theorie, Religionsphiloſophie, Theofophie, Baukunft, Malerei. Die Literaturen 
der einzelnen Dölker find weitgehend ergänzt. Über ſoziale Fragen geben u. a. 
Auffhluß die Artikel: Akademiker, Arbeiter, Beamte, Betriebsräte, Caritas, Areis- 
fürforge, Räteſuſtem, Sachwert, Siedlung, Sozialiſterung, Wohnung. — Jugendfürſorge, 
Jugendpflege, Pädagogik, Religiöfe Kindererziehung, Rafenfport, Studententum, Volks- 
hohfchule ſeien aus dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts genannt. Auch 
die Heilkunde (Röntgenſtrahlen, Phototherapie, Serum, Tuberkulofe, Tuphus uſw.) 
und die Pandwirtſchaft (Dünger, Kartoffel, Kleintierzucht, Schädlingsbekämpfung, 
Tabak, Torf) erhalten ihren Teil. Sehr ſorgfältig und eingehend find Induſtrie 
und Technik, handel und Derkehr bedacht worden; erwähnt feien die Stichworte: 
Bergbau, Braunkohle, Dach, Dampf, Eifen, Eifenbahnen, Eifenbeton, Elektrizität, 
Feuerungsanlage, Förderanlage, Bas, Heizung, Kohle, Lokomotive, Motorwagen, Pa- 
pier, Schiffbau, Trockenanlage, Binnenſchiffahrt in Deutſchland (mit Karte), Dampf⸗ 
ſchiff, Fernſprecher, Handel, Guftfahrt, Notgeld, Poſt, Rhein, Rohſtoff ufw. In aus» 
führlichen Überfichten, in kurz und ſachlich aufklärenden Einzelartikeln, vielfach mit 
beigegeben en Abbildungen oder orientierenden Karten werden wir mit den Vorgängen, 
beiſtungen und Errungenſchaften der jüngſten Vergangenheit bekannt gemacht. 

Die Derläffigkeit des herderſchen Pexikon iſt allgemein anerkannt; feine Ergänzungs⸗ 
bände verdienen das gleiche Lob. Bei einzelnen noch umſtrittenen Punkten mögen 
Richtigſtellungen nötig werden, manchmal mag die Hus kunft allzu knapp fein, einige 
Stichworte mögen fehlen. Die allſeitige Brauchbarkeit bleibt trotzdem unbeſtritten. 

D. Hieronymus Riene (Beuron). 


herders Bonverfations-Lezikon. Zweiter Ergänzungsband 1. Hälfte, A—R. gr. 80 (928 Sp.) 2. Hälfte, 
6-3. gr. S (1136 Sp.) Band 10 und 11 des Geſamtwerkes. Freiburg [1921 und 1922]. 


72 


Bücherſchau 


Bibliſche Chronologie 


Kugler, Frz. Xav., 8. J., Don Moſes 
bis Paulus. Forſchungen zur Geſchichte 
Ifraels nach bibliſchen und profangeſchicht⸗ 
lichen insbeſondere neuen keilinſchriftlichen 
Quellen. Dex. 80 (XX u. 536 8.) Münſter 
1922, Aſchendorff. 

In chronologiſchen Fragen des Alten 
Orients iſt unter den katholiſchen Gelehrten 
P. Gugler 8. J. wohl einer der Fähigſten. 
Wir freuen uns deshalb, daß er ſich daran 
gemacht hat, mehrere noch dunkle Punkte 
der bibliſchen Chronologie aufzuhellen. Wie 
früher in „Bibel und Babel“ bewährt ſich 
dabei der Derfaffer als trefflicher Derteidiger 
des Alten Teftaments. Die Geftalten des Ge⸗ 
ſetzgebers Moſes wie die der Patriarchen Hb⸗ 
raham, Ifaak und Jakob bekommen durch 
Beſtimmung der Regierungszeit hammu⸗ 
rabis auf 1947 1905 vor Chriftus ein 
viel deutlicheres, geſchichtliches Gepräge, 
und auch die Bücher Esra und Ilehemia, 
ſowie die Chronik erhalten durch ihn ihren 
vollen Geſchichtswert zurück. 

So iſt der Weg gebahnt für ſichere chro · 
nologiſche Unter ſuchungen. In fieben Ab⸗ 
handlungen ſucht P. Kugler hauptſächlich 
die Daten aller Herrſcher über Paleftina 
von Salomon bis zum erſten Jahrhundert 
vor Chriſtus zu beſtimmen. Für die Rönige 
von Juda und Ifrael find die Ergebniffe 
vielfach neu, aber doch fo gut begründet, 
daß ſie alle Beachtung in Fachkreiſen ver⸗ 
dienen. Beifpielsweife wird denn auch das 
von P. Kugler beftimmte Jahr 986 vor Chr. 
für den Anfang des ſalomoniſchen Tempel- 
baus ohne Bedenken von B. Boulan in der 
Dublin Review (quni — September 1923) 
übernommen. Für die meiſten Sunchro⸗ 
nismen der Regierungen in guda und 
Ifrael, bietet Kugler eine durchaus einfache 
und deshalb auch ganz befriedigende Lö- 
ſung. Die abweichenden Theorien von 
Joſ. Hontheim 8. J. (Zeitſchr. für katholiſche 
Theologie 42 [1918] 463 ff.) und R. II. 
Kleber O. 8. B. (Biblica 2 [1921] 3 ff.) be- 
ſpricht er in einem Nachtrag, aber nur um 
fie abzulehnen. Hiftorifch-apologetifch fehr 
wichtig ift der Ausgleich, den die fiebente 


Abhandlung zwiſchen dem 1. u. 2. Makka⸗ 
bäerbuche vermittelt. In die ſpätere Zeit 
hinein verfolgt B. Kugler nur das Gefchick 
der Stadt geruſalem und beſtimmt die 
Jahre ihrer Eroberungen durch Pompeius 
(63 v. Chr.) und durch Herodes und Soſius 
(37 v. Chr.). Endlich datiert er die Ereig- 
niſſe während des jüdiſchen Krieges (65 — 
70 nach Chr.), der mit der Dernidtung der 
Stadt abſchloß. N 

Faſt wie ein Einſchiebſel erſcheint die in 
ſich wichtige Unterſuchung über das Jahr 
des letzten Aufenthaltes Pauli in qeruſalem 
und feiner Romreiſe. Über die Zeitbe- 
ſtimmung des Lebens und Todes Chriſti 
ſchweigt der Derfaffer ſich aus. Für eine 
allſeitige Unterſuchung dieſer ſchwierigen 
Fragen müßte wohl ein ganzer Band ge- 
ſchrieben werden; doch hätte P. Kugler 
feinen beſern eine weitere Freude bereitet, 
wenn er zwanzig, dreißig Seiten darauf 
verwendet hätte, uns wenigſtens die haupt; 
ergebniſſe der modernen Forſchung über 
die Fragen, wann iſt Chriſtus geboren und 
wann geſtorben, in ſeiner kräftigen Art 
vorzuführen. — Tatſächlich finden wir in 
der Abhandlung über die letzten Jahre 
Pauli die einzige Berührung mit dem 
Chriſtentum und der Titel „Don Moſes bis 
Paulus“ befremdet deshalb ein wenig, 
etwa wie wenn einer eine Keiſebeſchrei⸗ 
bung von Gaza bis Damaskus ſchrieb, 
ohne geruſalem zu erwähnen. Möge eine 
neue Auflage diefe bücke ausfüllen. Wenn 
der werte Derfalfer dazu noch die Pro⸗ 
phetie Daniels über die verſchiedenen nach · 
einander folgenden Regierungen und über 
die fiebzig Wochen unterſuchte, hätten wir 
in diefem Werke den feſten chronologiſchen 
Untergrund für eine neue Geſchichte des 
Dofkes Iſrael, feiner Entſtehung und feiner 
Seſchicke in Paleftina und Babulonien bis 
zum Anfang des Chriſtentums. 

P. Auglers Buch iſt aber fo ſchon voll von 
Neuigkeiten im beſten Sinn des Wortes, 
voll anregender Darſtellungen. Allen 
vom Derfaffer wenn auch geſchickt ver- 
teidigten Anſichten können wir freilich 
nicht beipflichtigen, fo 3. B. einem Jahres- 
anfang im Frühling ftatt im Herbſt zur 


geit der Könige. Sehr überraſchend kommt, 
daß P. Kugler feine früher als unbedingt 
fiher behauptete, weil auf aſtronomiſchen 
Daten beruhende Anficht über die Zeit der 
erſten Dunaſtie von Babel jetzt geändert 
hat. Selbſt Ungnad hatte ſich, wenn auch 
mit Dorbehalt, dieſer Anſetzung ange⸗ 
ſchloſſen. Man kann alſo in der Chrono» 
logie nicht vor ſichtig genug fein. Die ori⸗ 
ginelle Derteidigung der Zeitfolge Esra 
llehemia hat auch den dadurch ſcharf 
kritiſierten ehrwürdigen P. von Honacker 
als Gegner auf den Plan gerufen (Revue 
biblique Oktober 1923; Forſetzung 1924). 
Das alles hindert aber nicht, den großen 
Wert der Unterſuchungen Ruglers voll 
anzuerkennen. 

Was fo oft in Predigten, und ſogar 
bibliſchen Dorlefungen fehlt, ift der Ein- 
druck von Wirklichkeit. P. Kugler iſt 
tief in das geſchichtliche beben des jüdiſchen 
Dolkes eingedrungen. Wer ihm zu folgen 
vermag, wird das Alte Teftament mit er · 
neutem Intereſſe und vermehrter Achtung 
leſen, und wenn er Prediger iſt, auf der 
Kanzel es fruchtbarer verwerten können. 

P. Hugo Bédenot (Weingarten). 

Giturgie 

Parfd, Dr. Pius, Aus Brevier und 
Meßbud. Piturgiſche Perlen für das Dolk. 
Regensburg 1923, Röſel & Puſtet. 

1. Der Sottesdienſt der hl. Nacht 8° (94 8.) 
2. Die Trilogie der Karwoche „ (169 8.) 
3. Die Giturgie des Ofterfeftes. „ (97 8.) 
4. Die Pit. d. Fronleichnamsfeſtes, (96 8.) 
5. Das kirchl. Morgen u. Uachtgebet (71 8.) 

Dicht bloß im Meßbuch, auch im Brevier 
der ſtirche [ind koſtbare Schätze verborgen. 
Es iſt deshalb freudig zu begrüßen, wenn 
man dem Volk „liturgifche Perlen“ aus 
beiden bieten will. 

es gibt nun verſchiedene Wege, zum 
Berftändnis liturgiſcher Gebete zu führen. 
Parſch fieht vom lateiniſchen Texte ganz 

ab, er bringt nur eine deutſche Überfegung, 
die ſich fließend lieſt, wenn fie auch hie 
und da in die Breite geht. Vor allem iſt 
er beſtrebt, die Welt der Pſalmen zu er ⸗ 
fchließen: durch Gliederung der Lieder, ÜUber⸗ 
ſchriften, Hervorhebung beſonders wichtiger 
Derfe, namentlich aber durch getrennte, 
eingehende „Giturgiſche Erklärungen” der 


78 


Pſalmen. Das Hauptverdienſt der Bänd- 
chen liegt wohl im praktiſchen Nutzen dieſer 
„Erklärungen“. Freilich muten gerade fie 
dem Volke“ viel, mitunter zuviel zu. Auch 
find die Bändchen, vom 5. etwa abgefehen, 
für privates Beten beftimmt ; der Geiſt der 
kirchlichen Zemeinſchaft, aus dem diefe 
Gebete doch entſtanden find und auch ver- 
ſtanden werden wollen, ift bei der Erklä- 
rung kaum genügend berückſichtigt. Be; 
dauerlich iſt auch, daß die Eigenform der 
Refponforien zu Gunſten leichterer Der- 
ſtändlichkeit ganz aufgegeben wurde. Die 
Unterſcheidung von wichtigen und un⸗ 
wichtigen Pſalmverſen in den Trauermetten 
iſt nicht genügend begründet und läßt ſich 
in diefer Art kaum mit liturgiſchen Srund ; 
ſätzen vereinen. Ferner vermißt man Ein ⸗ 
führungen in den Feftgedanken und in die 
Stellung des Feſtes im Kirchenjahr. 
Trotz dieſer Ausſtellungen glauben wir, 
daß dieſe Bändchen Gutes ſtiften werden. 
Sie bieten, das möge hier bemerkt werden, 
nur die Texte des rõ miſchen Breviers, nicht 
etwa auch die. des Benediktineroffiziums. 
Das erſte Bändchen enthält die Weih- 
nachtsmatutin und das Engelamt. Das 
zweite, wohl das verdienſtvollſte, führt 
trefflich ein in den Geift der Trauermetten, 
ihren geſchloſſenen Aufbau mit fortſchreiten⸗ 
der dramatiſcher handlung vom ÖÜlbergs- 
leiden über Golgotha zum Nuferſtehungs⸗ 
wunder; leider find die Laudes nur im 
Auszug geboten. Das dritte Bändchen 
enthält die kurze Matutin, Gaudes, Meſſe 
und Defper des Oftertages, ſowie die Le» 
ſungen und Refponforien der Oſterwoche. 
Das vierte erſchließt uns das Kunſtwerk 
des Fronleichnamsoffiziums (Deſper, Ma- 
tutin und baudes). Wer das kirchliche 
Morgengebet der Sonntagslaudes und 
das Abendgebet der komplet vom Sams- 
tag und Sonntag verſtändnisvoll beten 
will, greife zum fünften Bändchen. 


Der Bottesdienft an unſeren Hochfeſten 
im Benediktinerorden. Erftes Bändchen: 
Weihnachten, lateiniſch und deutſch mit 
Erklärungen hrsg. von Mönchen der Erz⸗ 
abtei Beuron 12° (XVI u. 128 8.) Beuron 
1923, Runftoerlag. 

Es iſt kein geringes Derdienft der Abtei 
Maria Daach, daß fie vom Jahre 1910 au 
durch P. Pla zidus von Spee die Litur- 


74 


gie der Hauptfefte in ihrer benediktinifchen 
Form in zehn Bändchen weiteren Rreifen 
zugänglich machte. Da dieſe Hefte ver- 
griffen ſind, hat nun die Erzabtei Beuron 
mit Veröffentlichung einer Bändchenreihe 
„Der Gottesdienſt an unſeren Hochfeſten 
im Benediktinerorden“ begonnen. Das 
erſte Bändchen behandelt das Weih⸗ 
nachtsfeſt und enthält nach einer Ein» 
führung in den Geiſt des Feſtes die erſte 
und zweite Defper, Matutin und Laudes, 
ſowie alle drei Meſſen, ſämtliche Texte la · 
teiniſch und deutſch mit vorausgeſchickten 
Erklärungen. Im Unterſchied zu den 
Parſch'ſchen Ausgaben iſt hier die Erklä- 
rung der Pſalmen abſichtlich in engen Sren⸗ 
zen gehalten, beſchränkt ſich im allgemeinen 
auf die Angabe der Grundgedanken und 
der Beziehung zum Feltgeheimnis; denn es 
ſoll vor allem ein Textbuch, nicht Betrach- 
tungsbuch ſein. Den tadelloſen Druck be⸗ 
forgte die Hherderſche Druckerei. Möchte 
dem Unternehmen, das einem oft geäußer- 
Wunſche nicht Weniger entgegenkommt, 
ein guter Fortgang beſchieden ſein. 


Das liturgiſche Tifchgebet. Benedictio 
Mensae. 16° (46 8.) Münden 1923, 
Theatiner:Derlag. III. —.25 

Wenn der Apoftel (1 Kor. 10, 31, fo ift 
die Angabe 8. 1 zu korrigieren) will, daß 
das ganze Tagewerk des Chriſten zum 
Gottes dienſt werde, ſo können wir in die⸗ 
ſem Wunſche den Keim des liturgiſchen 
Tiſchgebetes erblicken. Durch dieſes Gebet 
erhält das Familienmahl eine heilige Weihe, 
wird zum Nachbild der altchriſtlichen biebes⸗ 
mahle (Hgapen), ja zum Abbild des himm⸗ 
liſchen Hochzeits mahles. 

Das ſchön ausgeſtattete Büchlein in 
Taſchenformat enthält nach einer kur⸗ 
zen Einführung von B. Ambrofius Stock 
in Maria aach die liturgiſchen Tifchgebete 
lateiniſch und deutſch ſamt den wechſelnden 
Einfhaltungen, wie fie für die verſchiede⸗ 
nen Zeiten des Kirchenjahres vorgeſchrieben 
find. Da und dort find die Texte den 
Bedürfniſſen der „häuslichen Gewohn⸗ 
heiten“ zulieb ein wenig abgeändert. Ob 
aber dadurch die Gebete, 3. B. an den Rar⸗ 
tagen, nicht an eindrucksvoller Kraft ver⸗ 
loren haben? Der monaſtiſche Ritus hat 
für die Faſttage ein eigenes kurzes Gebet. 

P. Pius Bihlmeyer (Beuron). 


mengwaſſer, ., Commentarii in 
Hymnos Breviarii. gr. 8° (XX u. 47 8.) 
Beatty, P. H. (U. 8. A.) 1923, Archi- 
abbatia S. Vincentii. 

In dieſer Serie von Kommentaren zu 
den humnen des Breviers iſt bereits das 
fünfte Heftchen erſchienen. Es erklärt die 
Humnen in festis B. Mariae Virginis et 
S. Joseph. Don den bisher erſchienenen 
Heftchen liegt uns 3. J. leider nur das erſte 
vor, das den Prim- und Komplethumnus 
behandelt. Der Derfaffer erklärt in deut⸗ 
licher Uberſicht und klarem ſchönen Gatein 
die einzelnen Strophen der humnen zu⸗ 
nächſt ethumologiſch und grammatinkaliſch 
und legt dabei den Text des monaſtiſchen 
Breviers zugrunde unter Berückſichtigung 
des Textes im rõmiſchen Brevier, ſodann 
ſucht er die aſketiſchen und dogmatiſchen 
Gedanken in den humnen herauszuſtellen 
und gibt bisweilen eine in Gebetsform 
gehaltene Juſammenfaſſung des ganzen 
Inhaltes. Wer den humnus nach dieſer 
Methode durchſtudiert, wird neben Be⸗ 
kanntem auch wieder manches finden, auf 
das er bisher nicht aufmerkſam geworden. 
Dieſe kommentare könnten alſo viel bei⸗ 
tragen zu einem befferen Derftändnis und 
andächtigeren Beten des Breviers. Der 
Derfaffer will mit der Herausgabe feiner 
Rommentare nicht erſt Priefter und Alum- 
nen mit der poetiſchen Schönheit und dem 
gedankenreichen Inhalt der Hymnen be: 
kannt machen, fondern [don &ymnafiaften, 
die ſich für den künftigen Priefterberuf 
vorbereiten. Ihnen follten neben den heid⸗ 
niſchen klaſſikern auch die chriſtlichen 
Dichter vertraut werden; daß der Derfaffer 
dabei die klaſſiſchen Dichter nicht unter⸗ 
ſchätzt, beweiſt der Umſtand, daß von 
ihm gleichzeitig ſchon fünf Rommentar⸗ 
heftchen über Horaz erſchienen ſind. 

P. Majolus Dieterich (Beuron). 


Religion und Aſzeſe 


Lippert, Peter, 8. 9., Das Weſen des 
katholiſchen Menſchen. Drei Vorträge. 
[Der katholiſche Gedanke, 5. Bändchen]. 8 
(83 8.) München 1923, Theatiner-Derlag. 

Man liebt es heute, nach der geiſtigen 
Haltung der Menſchen verſchiedene Typen 
aufzuſtellen. Deshalb nimmt es nicht 
wunder, wenn ſich die Frage erhebt nach 


einem tatholiſchen Menfchentyp. Antwort 
auf eine ſolche Frage wollen die drei Dor- 
träge GCipperts fein. Da die geiftige Be⸗ 
ſtimmtheit eines Menſchen abhängt von 
der Wirklichkeit, in der er lebt und den 
Derten, die er ſchafft, wird die Einftellung 
des katholiſchen IUenſchen unter diefen bei- 
den Befihtspunkten geprüft. Bewegung 
in der Gebundenheit ift fein Weſen. Ge⸗ 
bundenheit, indem er feſthält an der Ob⸗ 
jektioität einer materiellen, geiftigen und 
religiöfen Wirklichkeit, als einem Ulicht⸗Ich: 
heteronome haltung. Bewegung dagegen 
m feinem Schaffen, im Ausgleich der Span; 
nungen, in die er kraft ſeiner Natur 
hineingeſtellt if. 

In begeiſternden Worten wird die Rus; 
wirkung dieſer ſeeliſchen haltung in ein⸗ 
zelnen Gagen geſchildert. Mit Wucht drängt 
ſch einem der tiefe Sinn des alten Wortes 
von der anima naturaliter christiana auf. 
Der katholiſche Glaube ruht auf der Natur, 
erhöht und vollendet fie. In dieſem Sinne 
kan man von einem katholiſchen Men- 
ſchentup ſprechen. Er bedeutet eine Erhö- 
hung und Vollendung der Menſchennatur. 
Die einzigartige Stellung der Kirche im 
ganzen Innenleben des Katholiken hätte 
vielleicht deutlicher hervorteten dürfen. 

bippert zeigt ein Ideal, das uns mit 
Stolz und Dertrauen erfüllt. Zugleich aber 
mahnt er uns, immer mehr ganze und echte 
Katholiken zu werden. Möge das Büchlein 
vielen Suchenden in die hände kommen. Es 
wird aber auch ſolche, denen die Gedanken 
nicht mehr ganz unbekannt find, mit neuer 
biebe und Begeiſterung erfüllen. 


bippert, P., 8. 9., Don Seele zu Seele. 
Briefe an gute Menfchen. 12 (VI u. 256 8.) 
Freiburg 1924, Herder. Geb. Il. 3.80 
dem Wunſche vieler entprechend, hat 
P. bippert die Briefe, die er für die Zeit 
ſchrift „Seele“ ſchrieb, in einem Bänd- 
hen vereinigt. Wohl faſt jeder, der einige 
jener Briefe kennt, wird mit frommem 
berlangen nach dieſem Büchlein greifen, 
denn P. Pippert beſitzt in hohem Maße 
das Charisma der Seelenleitung. Er hat 
die große Babe, die Wahrheit zu ſagen, 
ohne einem weh zu tun. Meiſtens fängt 
et an, ſeine Sorgenkinder gegen ſich ſelbſt 
zu verteidigen: Er zeigt, was fie alles 
Butes haben. Dann aber enthüllt er ihnen 


75 


ihre wahren Fehler und gibt ihnen leichte 
aber wirkfame Mittel an die Hand, dieſe 
zu bekämpfen. All das tut er mit ſolcher 
biebenswürdigkeit und Güte, mit ſolcher 
Ehrfurcht für die Perſönlichkeit und das 


‚Wirken Gottes in den Seelen, daß Reiner 


ſich verletzt fühlen kann. Oft ſpricht aus 
den Zeilen eine Klugheit, die unheimlich 
wäre, wenn fie nicht im Dienſte der Liebe 
ftände. Liebe aber ſpricht aus jedem Wort, 
und das verheißt dem Büchlein einen Er- 
folg, wie er wohl kaum einem anderen 
geiſtlichen Buche in dieſem Jahre beſchie⸗ 
den ſein dürfte. 

B. Willibrord Derkade (Beuron). 


Fey, Mutter Klara, Advents- und 
Weihnachtsbetrachtungen. 8° (XII u. 
285 8.) Freiburg 1921, Herder. 

Wem es um Höhenflug, Senfation und 
Gefühlserfhütterung zu tun iſt, der wird 
dieſes Buch unbefriedigt aus der Hand 
legen. Wer aber lernen will, wie man 
betrachten foll, und wie man aus dem 
betrachtenden Gebet Anregung holen kann 
zu einem ehrlichen Tugendſtreben, zu der 
ſo notwendigen Kleinarbeit im Innern der 
Seele, der wird aus dieſen „Betrachtungen“ 
reichen Nutzen ziehen und ſich an manchem 
Goldkorn erfreuen, das da und dort ver⸗ 
borgen liegt. Die Derfafferin leitet ihre 
„Töchter vom armen Rinde Jeſu“, für 
welche dieſe Betrachtungen zunächſt ge- 
ſchrieben find, dazu an, wie fie mit un- 
abläffiger Treue an ihrer Gebensbefferung 
arbeiten ſollen nach dem von ihr ange- 
führten Worte des hl. Franz von Sales: 
„Gehen wir nur immer vorwärts, ſetzen 
wir ruhig einen Fuß vor den andern und 
wir werden zum Ziele gelangen“ (15). Über 
eine große Kenntnis des menſchlichen her 
zens verfügend und immer mit den wirk⸗ 
lichen Derhältniffen rechnend, weiß fie bald 
maßvoll anzueifern, bald mütterlich zu 
tröſten. So fagt fie denen, die „zaghaften 
Herzens“ find,: „Weißt du denn nicht, daß 
die Sünden der ganzen Welt vor der Barm⸗ 
herzigkeit Gottes wie ein Strohhalm find, 
den man in ein Feuer wirft, worin er 
verzehrt wird und verſchwindet?“ 

Die Herausgeberinnen werden bei der 
Pietät für ihre Stifterin ſich ſchwerlich dazu 
entſchließen können, bei einer Neuauflage 
Anderungen anzubringen. Vielleicht finden 


76 


fie aber folgende Punkte wenigftens der 
Erwägung wert. Zu Beginn jeder Be- 
trachtung ließe ſich deren Inhalt in einem 
kurzen Schlagwort angeben. 50 praktiſch 
8. 13 die Anwendung iſt, ſo iſt es doch 
kaum anzunehmen, die Pharifäer und 
Sadduzäer hätten es ſich gefallen laffen, 
daß Johannes ihnen zurief: „Dipernbrut! 
Wer wird eud zeigen, dem künftigen 
Jorne zu entfliehen?“ Der Sag, Maria 
habe lieber auf die Kottesmutterwürde als 
auf den Schmuck der Jungfrauſchaft ver- 
zichtet (74) iſt zwar auch anderwärts zu 
leſen, wird aber dadurch nicht dogmatiſch 
richtig. Die Wendung, „die Demut allein 
geht durch“ (84) iſt nicht glücklich, ebenſo 
(130) Johannes ſei von dem aus der Seite 
geſu hervorftrömenden „Blut und Waſſer 
übergoſſen“ worden. Die letzte Betrachtung 
lehnt ſich an das Pſalmwort (37,18) an: 
„Mein Schmerz iſt immerdar vor meinem 
Ungeſichte.“ Wir hätten gern einen freu⸗ 
digeren Abſchluß des Ganzen gewünſcht. 
Auch hätte mancher früheren Betrachtung 
ein hellerer Klang und eine ſtärkere Be⸗ 
tonung der gerade im kloſter fo unent⸗ 
behrlichen Freude wohlgetan. 

P. Dominikus Johner (Beuron). 


Tüshaus, &., Vater Benediktus. 8° 
(130 8.) St. Ottilien 1923, Miſſions verlag. 
m. 3.—; geb. M. 4.— 

Wir beſaßen bisher in der Hauptſache 
drei Benediktusbücher (Brandes Staub, 
Sauter und herwegen); ein viertes mit 
freilich beſcheidenerem Umfange geſellt ſich 
ihnen hier bei. In der Auffaſſung des 
Heiligen weiſen alle vier erhebliche Unter- 
ſchiede auf. Jedes ſpiegelt, möchte man 
ſagen, St. Benedikts Bild fo wieder, wie 
man es in der Umwelt des Derfaffers 
erlebt und ſich vorſtellt. Es kommt nun 
ganz darauf an, ob und wie weit dieſe 
Dorftellung geſchichtlich und ſachlich be» 
gründet iſt. 

Das Büchlein von Tüshaus hat den 
Titel: „Dater Benediktus“. Somit will es 
keine vollftändige Gebens- und Charakter- 
ſchilderung fein. Es hebt aus Gregors 
d. Gr. zweiten Buch der Dialoge nur die 
Füge und Seſchehniſſe hervor, die St. Bene; 
dikt als milden, erbarmenden Vater er- 
ſcheinen laſſen. 80 kommt es, daß von 
achtunddreißig Kapiteln bei St. Gregor hier 


nur acht herangezogen find. Eine Aus ⸗ 
wertung der heiligen Regel iſt leider nicht 
geſchehen. Dem geringen Stoff iſt durch 
dichteriſche kombination mancherlei nicht 
ohne Geſchick hinzugefügt. So entſteht ein 
literariſches Ganzes, das man benedikti- 
niſche Fioretti nennen könnte. Dichtung 
und Wahrheit ſind hier bewußt noch we⸗ 
niger geſchieden als in der zu Grunde 
liegenden Quelle. Sie kleiden ſich dazu 
großenteils ins Gewand einer ſpäteren Zeit. 
Dadurch erklären ſich manche Anachro⸗ 
nismen, die ins Jahrhundert des hiſto⸗ 
tiſchen Heiligen nicht recht paſſen, Anachro⸗ 
nismen in der Geſamtauffaſſung, in der 
teilweiſe ſüßlichen⸗ſubjektiven Religiofität, 
in Einzelheiten wie der damals kaum 
denkbaren verzierten Pergamenturkunde. 
dem Tabernakel u. a., von der ſizilianiſchen 
Plaziduslegende ganz abgeſehen. Trotzdem 
wird das nette Büchlein, deſſen Bilder: 
ſchmuck zur Deranfhaulidung des In: 
halts beiträgt, ſicher ſeine Freunde finden. 
Vor allem, wer nicht ſchon ein anderes 
Benediktusleben kennt oder wem es nicht 
darum zu tun iſt, ſich ein hiſtoriſch treues 
Bild vom heiligen vor die Seele zu führen, 
dem kann die poetiſch verklärte, fromme 
und warme, zuweilen freilich etwas weiche 
Eigenart von „Dater Benediktus“ viel 
Freude und Erhebung bieten. Beſonders 
in Jugend- und Dolkskreifen dürfte die 
Derfafferin dem heiligen etwas von jener 
Popularität zurückgewinnen, die er in 
früheren Zeiten beſaß. 

B. quſtinus Uttenweiler (Beuron). 


Literatur und Runfl 


Waſſerzieher, Dr. Ernf, Sprachge⸗ 
ſchichtliche Plaudereien. 8° (VIII und 
288 5.) Berlin 1922, Ferdinand Dümmler. 
M. 2.50; geb. M. 3.— 

Wie die Bücher „Leben und Weben der 
Sprache“ und „Bilderbuch der deutſchen 
Sprade” (befpr. Benedikt. Monatfchrift III. 
205) will auch diefes Buch ſprachgeſchicht⸗ 
liche Kenntniſſe in die weiteſten Kreiſe tra · 
gen. Es wird zweifellos ſeinen Zweck 
erfüllen, ſobald das Bücher kaufen „wei: 
teſten Kreiſen“ wieder möglich fein wird. 
Denn das Buch enthält wirklich Röſtliche 
Plaudereien über Dinge, die uns im Geben 
täglich begegnen, deren Hamen wir im 


Munde führen, die aber vielfach für uns 
den tieferen Sinn verloren haben. Wer 
eine nützliche und lehrreiche Unterhaltung 
fadt, greife nach dieſer Schrift. Einige 
Ungenauigkeiten wird man dem Nicht- 
katholiken gerne nachſehen. Wir find 
übrigens nicht verwöhnt. So enthält der 
„Duden“ eine große Anzahl jämmerlicher 
Erklärungen Ratholiſcher Worte; und viele 
ſucht man bei ihm vergebens. In Hole 
land erſchien 1902 von der Hand des be⸗ 
kannten Sprachfor ſchers A. W. Stellwagen 
ein Büchlein mit der Aufſchrift:Roomſche 
VDoorden“ (Ratholiſche Worte), ein nach 
ahmungs würdiges Beiſpiel für uns in 
deutſchland. Bei den „Plaudereien“ iſt 
wir folgendes aufgefallen: Seite 7 wird 
Beuron der Hauptſitz des Benediktiner 
etdens in Deutſchland genannt, was zu- 
siel gefagt iſt. Einer der Hauptſitze wäre 
ſcon ſchmeichelhaft genug. Seite 20 heißt 
es beim Worte Utopie vom großen Tho- 
mas More, er ſei 1535 als hoch verräter 
enthauptet worden. Ganz richtig, aber 
bes Wörtchen verdiente wohl in Anfüh- 
tungszeichen zu ſtehen. Huf Seite 109 
wird das Ftonleichnamsfeſt das höchſte 
katholiſche Feſt genannt, was unrichtig iſt. 
es ſteht den drei hauptfeſten Weihnachten, 
Oftern und Pfingften an Bedeutung nach. 
Das Kapitel: Die Entftehung der Sprache 
im bichte der Biologie würde man in einer 
folgenden Auflage gerne vermiſſen, da es 
gar fo hupothetiſch iſt und von Grundan- 
ſchauungen ausgeht, die noch lange nicht 
bewieſen find und deshalb nicht in „wei⸗ 
kfte ktreiſe getragen werden ſollten. 


Groffe, Ernſt, Die oſtaſiatiſche Luſch⸗ 
malerei. [Die Kunſt des Oſtens, 6. Band!]. 
4 (52 8. mit 160 Tafeln) Berlin 1922, 
Bruno Caffiter. 

Es iſt immer ein hochgenuß, einem fei- 
nen Menfchen zuzuhorchen, der mit größter 
Sachkenntnis ſpricht von dem, was er liebt. 
Denn er dazu noch in der Lage iſt, durch 
Bilder ſeine Worte zu beleuchten und zu 
behräftigen, fo iſt man doppelt beglückt, 
beſonders wenn das, was uns gezeigt wird, 
eme uswahl vom Beſten des Schönſten ift. 

ernſt Broffe, der wie keiner die oftafia- 
tiſche &unft kennt, fie an Ort und Stelle 
diert, ſich während feines langen 
Aufenthaltes im Reich der Mitte und in 


77 


Japan tief in den Geift der Bewohner ver⸗ 
ſenkt hat, ja ſich oſtaſtatiſch umzudenken 
wußte, ſchenkte uns im vorigen Jahr ein 
Buch, welches uns die Meifterwerke der 
chineſiſchen und japaniſchen Tuſchmalerei 
ſo nahe bringt, daß man ſich leicht in ſie 
hineinleben kann. In feiner tiefſinnigen, 
überaus lehrreichen Einführung weift Broffe 
darauf hin, daß die chineſiſche und japa- 
niſche Tuſchmalerei ein Ausdruck oftafia- 
tiſcher Myftik, insbeſondere der des Jenis⸗ 
mus iſt, der aus einer Umſchmelzung tao- 
iſtiſcher und buddͤhiſtiſcher Elemente ent · 
ſtand. Er weiß uns auch manches von 
den einzelnen Malern und ihrer Kunſt⸗ 
und Debensauffaſſung zu erzählen, was 
uns einen hohen Begriff von ihren mora- 
liſchen Eigenfchaften gibt. Was man bei 
den alt⸗oſtaſiatiſchen Tuſchmalern bewun⸗ 
dern muß, iſt die Jartheit, Feinheit und 
Unmittelbarkeit ihres Gefühls, die meifter- 
hafte Sicherheit und Leichtigkeit ihrer hand 
und die geradezu geheimnis volle Unftoff- 
licheit ihrer Runſt. Neben ihnen find 
unfere Maler bei allen occidentalen Dor- 
zügen, die fie letzterhand den Aguptern 
und Griechen verdanken, rohe Klötze und 
tappige maulwürfe. Don allen kommt 
ihnen Rembrandt in ſeinem geheimnisvoll 
abgetönten Radierwerk wie auch in feinen 
Tuſchzeichnungen noch am nächſten. Als 
ich den bambusſchneidenden Mann des 
biang Rai auf dem Schutzumſchlag des 
Groffefhen Buches Jah, kam es mir un» 
willkürlich: „Schau Rembrandt!“ Dem 
Verlag gebührt hohes bob für die pracht⸗ 
volle Ausftattung des Buches. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


v. Acken, 9., Chriſtozentriſche Kirchen 
kunſt. Ein Entwurf zum liturgiſchen Ge⸗ 
ſamtkunſtwerk. 8° (IV und 120 8. mit 
Abbildungen). 2. Auflage Glaòbeck i. W. 
1923, A. Theben. 

Erft nachdem der erſte Aufſatz dieſes 
Heftes gedruckt war, kam dem Unter⸗ 
zeichneten die 2. Auflage der Schrift van 
Ackens in die hände. Sie enthält gegen- 
über der 1. Auflage nur unweſentliche 
Änderungen. 8. 97f. wird ein einſchrän⸗ 
kender Zufat gemacht, der auf die oben 
8. 12 auch von mir vertretene Auffaffung 
Rückſicht nimmt. 

P. Fidelis Böſer (Beuron). 


78 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Trauer und Freude in Einſtedeln. Am 7. Dezember 1923 entſchlief nach langer, 
leidvoller Krankheit Für ſtabt Thomas Boſſart von Einfiedeln. In ihren lummern 
334 und 291 (292 und 294) brachten die „U. Zürcher Nachrichten“ und das Luzerner 
„Vaterland“ mit großem Trauerrand von guten Kennern ausführliche Nachrufe, denen 
wir leider nur dies entnehmen können: Raſpar Boſſart wurde geboren am 16. Sep- 
tember 1858 in Altishofen (At. buzern). &ymnafiaf in Einfiedeln, 1877 dort ins 
Noviziat aufgenommen, 1884, nach theol. Studien im Stift, zum Prieſter geweiht, 
1886 nach weiteren zwei Studienjahren an der Gregoriana in Rom zum Dr. theol. 
ernannt, danach acht Jahre Dogmatikpröfeffor in Einfiedeln und ein Jahr im Anſel⸗ 
mianum in Rom, wurde er 1895 von feinem neuerwählten Abte Rolumban zum 
Dekan (Prior) ernannt und damit nach Schweizer klöſterbrauch für die innere Leitung 
des Kloſters beſtimmt, in der er eine „Klugheit und Umſicht entfaltete, eine väterliche 
biebe und Sorgfalt, eine feſte und doch milde Initiative und Ronfequenz, welche die 
wahrhaft goldene Amtsführung des vortrefflichen Dekans Adefons hürlimann faft 
vergeſſen und verſchmerzen ließen“. Am 30. Mai 1905 ward er zum Abte feines 
Rlofters erwählt. Er führte als ſolcher fort, was zum Teil fein Vorgänger ſchon 
begonnen hatte: die glänzende Reſtauration der Kloſterkirche und die Wafferverforgung 
im ganzen Stiftsbereich. In erhöhtem Maße ſandte er feine Untergebenen an die 
Hochſchulen in Freiburg und Rom, und nur die Krankheit hinderte ihn daran, eine 
geplante neue land wirtſchaftliche Schule einzurichten. Im Weltkrieg übertrug ihm 
das Vertrauen weiteſter Kreiſe die Rorreſpondenzvermittlung. Groß iſt ſchon 
die Sorge für eine Ordensfamilie von über 150 Mitgliedern, mit den Stiftsſchulen. 
den zahlreichen Pfarreien und Expoſtturen. hierin ſah er mit Recht feine Haupt: 
aufgabe. „Darum ſuchte er vorab in feinen Untergebenen den echt benediktiniſchen 
Geift zu erhalten und zu vermehren. Sie ſollten tüchtige Religiofen fein. Dafür 
wirkte er in erſter Pinie durch fein Beiſpiel. Im Chor, bei den gottesdienſtlichen 
Funktionen, die er vornahm, bei feinen Anſprachen an die verſammelte Ordens: 
gemeinde, überall hatten feine geiſtlichen Söhne Gelegenheit, den tief religiöfen Sinn, 
den echt monaſtiſchen Geiſt ihres Daters zu bewundern und nachzuahmen.“ In dem 
Eifern für einen ſchönen, glänzenden Gottesdienſt, vor allem die würdige Feier des 
Chordienftes, das öffentliche Pſalmgebet, „fühlte er ſich fo recht als Benediktiner, 
dem im hl. Regelbuche gefagt iſt: ‚dem Gottesdienfte darf nichts vorangeſetzt werden“. 
B. Albert Ruhn hat im „Daterland“ (Nr. 291) in vortrefflicher Charakteriſtik gezeigt, 
wie dieſer wahre Oro ensmann, diefe „Johannesfeele, voll Liebe und Jartgefühl, dazu 
von adlergleichem Aufſchwung und Höhenflug“ von drei Gedanken ausgefüllt war: 
Seelſorge, Wiſſenſchaft, Einfiedeln. Schon die bloße Liebe zu feinem Meinraoͤsſtift 
mit der ſchönen Kirche und dem Heiligtum U. b. Frau machte es ihm unmöglich, die 
Wahl zum Abtprimas-Stellvertreter mit dem Recht der Nachfolge anzunehmen, die 
1913 bereits auf ihn gefallen war. Ruch für den Poſten eines Wiener Nuntius ſoll 
er einmal in Frage geftanden haben. — Ein ſchweres Tlierenleiden zehrte ſeit 1919 
an feiner Pebenskraft; am 7. Dezember ift er ihm erlegen. Am 12. Dezember wurde 
er in der Gruft beigeſetzt. Dier Biſchöfe ſtanden an feiner Bahre. Der Primas des 
Ordens hielt die Funktionen, acht Abte, darunter die Erzäbte von St. Ottilien und 
Beuron, folgten dem Zuge und viele geiſtliche und weltliche Würdenträger: ein treues 
Jeugnis dafür, wie tief und allgemein die Liebe zu dem Derftorbenen und die Trauer 
um ihn geweſen ift. — Der neue Abt Ignaz Staub iſt, wie wir der „Schweizeri- 
[hen Kirchenzeitung“ (1923 Nr. 52) entnehmen, in Baar (Rt. Zug) am 19. Dezember 
1872 geboren. hier beſuchte er die Dolks- und nachher die dortige Sekundar- und 
Gateinfhule. Don da zog der junge Joſeph Thomas Staub ans Symnafium nach 
Einfiedeln. Nach Beendigung der ſechſten Klaſſe bat er um Aufnahme ins Noviziat. 
Seine Bitte wurde erfüllt. Am 8. September 1893 legte er als Frater Ignatius die 
hl. Gelübde ab. Noch als Frater wurde er nach begonnenen und vollendeten Theologie⸗ 
ſtudien in Einfiedeln von feinem Abte nach Rom geſandt, um in St. Anſelm feine 
theologiſche Bildung zu vertiefen. Dort weilte er 1898 — 1899. Am 16. Juli 1899 
zum Prieſter geweiht, wurde er als Nushilfsſeelſorger und zur vollen Erlernung der 
franzöſiſchen Sprache nach Devey (1899 - 1900) und dann nach Montreux (1900 - 1902) 
geſandt, wo er als Dikar wirkte. Don 1902 1906 weilte PB. Ignaz an der Univerfität 
Freiburg, wo er Geſchichte, Kunſtgeſchichte und geſchichtliche Hhilfswiſſenſchaften ſtudierte 


79 


und ſich den Doktorgrad an der philoſophiſchen Fakultät erwarb. Seine vorzügliche 
Diſſertation war eine Arbeit über Dr. Johann Faber, Generalvikar von kionſtanz 
1518-1523. In Freiburg erwarb ſich P. Ignaz auch beſondere Derdienfte um das 
zuſtandekommen der Akademie St. Croix. Seit 1910 wirkte er als Profeſſor an der 
duntaf, von 1915 an der Rhetorik; 1916 wurde er Stiftsbibliothekar, behielt aber 
die Profeſſur für Geſchichte, die er ſchon ſeit 1906 zum Teil inne hatte. In den 
lezten Jahren hat ſich P. Ignaz in das Kloſter Au bei Einfiedeln zurückgezogen, wo 
et an einem Geſchichtslehrbuch für ſchweizeriſche Mittelſchulen arbeitete, das Schweizer⸗ 
geſchichte und Weltgeſchichte harmoniſch verbinden ſollte. Er erfüllte damit Wunfch 
und Auftrag der geſchichtlichen Sektion des katholiſchen Dolksvereins. Die Geſchichte 
des Mittelalters erſchien im gahre 1922. Am 19. Dezember, ſeinem Geburtstage. 
ward P. Ignaz Staub im erſten Wahlgang zum Abt erwählt. 


Aus Pannonhalma ſchreibt man uns: „Anfangs September 1923 hat unfere 
ungariſche Kongregation auf Bitten der hauptſtadt Budapeſt dort ein humaniſtiſches 
Symnafium eröffnet, zunächſt nur die erfte Alaffe. Die Schwierigkeiten, die bei der 
Eröffnung zu überwinden find, find ziemlich groß, beſonders wegen der Wohnungs- 
frage. Die erſten vier Patres wohnen vorläufig bei den Patres geſuiten im Rongre- 
gationshaus. Dieſes Gumnaſtum iſt das achte unter den Ordensgumnaſten (Györ, 
Däpa, Esztergom, Sopron, Röszeg, Pannonhalma, Romärom, Budapeſt). Die Mit⸗ 
brüder in Komärom (Komorn), die durch den Trianon ⸗Frieden unter tſchechoſ lowakiſche 
herrſchaft gekommen find, müſſen ſchwere Erprobungen erdulden. Die Regierung hat 
den dortigen Beſitz beſchlagnahmt, will das Priorat von Pannonhalma trennen und 
wahrſcheinlich einer tſchechiſchen Abtei unterordnen. Zwei von den dortigen Patres 
wurden im Frühjahr 1923 ausgewiefen und dürfen nicht mehr zurückkehren. — Auf 
dem ungariſchen Katholikentag in Budapeſt (7.— 11. Oktober 1923) hat der Erzabt, 
Dr. Remigius Bärdos in mehreren Sitzungen präfidiert und P. Prior, Dictorinus 
Sttommer, eine glänzende Rede gehalten über gugendſchutz und Jugendſeelſorge. — 
Unter den literariſchen Arbeiten der ungariſchen Benediktiner fei folgendes hervor⸗ 
gehoben: B. Engelbert Märzu, ſtaatl. (Schul) Mittelſchulinſpektor in Miskolcz, ver- 
öffentlichte fein tiefes, wertvolles Werk über die Lehre des hl. Benediktus von der 
Demut. Es macht weitere Kreiſe mit benediktiniſcher Aſzeſe bekannt. Abt Dr. Ire- 
nus Zoltvany von Bakonybel ſchrieb ein Buch über Erotik und Giteratur; das 
Derk behandelt die heikle Frage vom Standpunkt der katholiſchen Moral. P. Cae⸗ 
alius Bognär, Privatdozent an der Univerfität Budapeſt gab ein Werk heraus über 
die Derttheorie. In der populär · hagiographiſchen Sammlung „Unſere Schutzheiligen“, 
die ſchon über 90 heiligenleben in heften zu je 50 — 70 Seiten zählt, haben die Patres 
Florianus Kühär, Elias Aemenes, Johannes Mijlaki, Theodorius Tliszler, Chruſoſtomus 
kelemen, Odilo Pammer mehrere heiligenleben bearbeitet. Die Sammlung ift ſehr 
befiebt beim ungariſchen Volke und wird in der Seelſorge viel Hilfe leiſten. Unter die 
Oblaten des heiligen Daters Benediktus (Zentraldirektor P. Florianus) wurden ſchon 
mehrere Mitglieder aufgenommen in der Metropole des ungariſchen „Alföld“, in 
liecslemet und in der Stadt KRöszeg“. Über dieſe eine „aus den zahlreichen Auße- 
rungen friſchen katholiſchen Lebens“ in Ungarn, und ihre Tätigkeit hat jüngſt 
P. Peter v. Olaſz 8. J. näheres in den „Stimmen der Zeit” berichtet. 


Dom St. Ulrichs⸗ und St. Ronrads-Jubiläum. Mönche waren fie nicht, aber 
freunde der Mönche, auf eine Zeit Schüler zu St. Ballen und dort gern geſehene 
Gäſte. 1923 haben beide heilige ein Jubiläum gefeiert. Bei St. Ulrich waren es 
1000 Jahre, daß er Biſchof von Augsburg wurde, bei St. Konrad 800, daß er am 
28. März 1123 von Papſt fialixt II. heiliggeſprochen, und daß fein heiliger Leib beim 
etſten „Ronradifeft“ am 26. November des gleichen Jahres aus dem Grabe erhoben ward. 

Aus Augsburg erfuhr man ſchon im Mai, daß der heilige Stuhl für den 4. Juli 
und die ganze Oktav einen vollkommenen Ablaß gewährt habe. Nachdem dann tage 
lang tauſend fleißige hände bis ſpät in den Abend die weiten hallen des Ulrich— 
münſters feſtlich hergerichtet hatten, wurden an der Vigil des Feſtes, den 3. Juli, 
in der Morgenfrühe die heiligen Reliquien von St. Ulrich und Afra aus ihren Grüften 
ehrfürchtig erhoben. Mittags fanden alter Sitte gemäß die drei Defpern“ zu St. Ulrich, 
St. Morig und im Hohen Dome nacheinander ſtatt. Abends läuteten ſämtliche Slocken 
Augsburg eine Diertelftunde lang den Feſttag ein. Am Tage felbft war Pontifikal⸗ 
amt des greifen Diözeſanbiſchofs in St. Ulrich, abends dort bichterprozeſſion. An 


80 


den übrigen Tagen pontifizierten biſchöfliche Bäfte und Benediktineräbte. Am Sonn- 
tag, den 8. Juli, zog nach dem Pontifikalamt des Weihbiſchofs die Reliquienprozeſſion 
durch die Stadt, geführt vom Biſchof von Chur, der ſelbſt das „Ulrichskreuz“ trug, 
feine Aſſtſtenz Kelch und Schweißtuch des Heiligen. Zwölf Subdiakone aus dem Welt: 
und Ordensklerus ſtanden als Sargträger bereit, ihnen zur Seite eine Abteilung Reichs ⸗ 
wehr als Ehrenwade. Uach dem Gang durch die Stadt, als die Prozeſſton wieder in 
die obere Mazimilianftraße einbog, nahmen der Weihbiſchof und die drei Abte von 
- St. Stephan-Augsburg, St. Ottilien und Ileresheim den Sarg auf ihre Schultern, dem 
hl. Ulrich ihre Derehrung zu erweiſen, und trugen ihn zurück ins Münfter. Den rüh⸗ 
renden Schlußakt des Jubiläums bildete am Abend des 11. Juli nach der Schluß⸗ 
predigt die Bergung der heiligen Reliquien in ihren Grüften. Bier Biſchöfe und eine 
ganze Anzahl Prälaten hatten durch ihre Mitwirkung den Glanz der Tage erhöht. 
Nicht weniger als achtzehn Predigten waren gehalten worden, an befonderen je eine 
morgens über die fieben Gaben des göttlichen Geiſtes und abends über die acht Selig: 
keiten des herrn. Ganze Gemeinden waren zum hl. Ulrich gepilgert, der Diözeſan ⸗ 
biſchof hatte, „des treuen Oberhirten Opfergeiſt für Gott, Kirche und Vaterland“ in 
einem eigenen Hirtenbrief geprieſen (Augsburger Poſtzeitung, Feſtnummer, Ir. 151). 

Ronftanz konnte naturgemäß feinem Jubiläum den hintergrund nicht bieten, 
den Augsburg bot. Auch hat St. Konrad weder im beben noch im Tode die Bedeu- 
tung eines hl. Ulrich gehabt. Aber was geſchehen konnte, geſchah, ſachlich wohl noch 
mehr als in Augsburg. Seit dem 16. Januar 1922 war mit Eifer an der Wieder 
herſtellung des Münſters gearbeitet worden. Staat und Kirche gingen dabei ein- 
trächtig zuſammen; die Stadt lieh das Gerüſtholz und ſtiftete für die Stirnwand des 
Chores eine Ronradiftatue. Prinz Maz von Baden ſchenkte als Hochaltarblatt eine 
mächtige Salemer himmelfahrt Mariens v. J. K. Stauder. Wöchentliche „Feſtblätter“ 
als Beilagen zur „Deutfchen Bodenſeezeitung“ bereiteten ſeit dem 19. Oktober Derftand 
und Wille, eine „Miſſtonserneuerung“ im Münfter die Seelen der Konſtanzer vor 
zur würdigen Mlitfeier des „Feſttriduums“ vom 23.—25., bezw. mit Dorakt und 
Schlußfeier, vom Abend des 22. bis zum Morgen des 26. November. Am Konradi⸗ 
fonntag fand mittags der feſtliche Jug mit dem Haupte des heiligen vom Münfter 
nach „St. Stephan“ ſtatt, am Abend ein „Feſtakt“ im oberen Aonziliumsfaale mit 
Feſtrede und Aufführung des Oratoriums „Mariä Heimgang“ von P. Gregor Molitor. 
Der Diözefan-Erzbifhof von Freiburg und die Biſchöfe von Chur, Feldkirch, Rotten⸗ 
burg und St. Gallen als Rechts- bezw. Amtsnachfolger der Ronſtanzer Biſchöfe waren 
erſchienen, dazu der Biſchof von Mainz als ehemaliger Metropolit. Fünf der Biſchöfe 
hatten eine der insgeſamt fieben abends und morgens ſtattfindenden Predigten über⸗ 
nommen, die zweite hielt Prälat Sisler-Chur, die vierte Dr. Hartmann von St. Ulrich 
in Augsburg. Erzabt Raphael war von Beuron gekommen, Abt Ansgar aus Wein; 
garten, der Stiftung des Vaters St. Konrads, und kurz Dekan Athanafius aus Einfiedeln. 
Der Biſchof von Bafel-Solothurn konnte wegen hohen Alters nicht erſcheinen. In einer 
Feſtſchrift „Das St. Konradsjubiläum 1923“ haben KR. Sröber und A. Merk, Feſtblätter, 
Feſtpredigten (leider nicht ſämtlich im vollen Texte), Feſtartikel und Feſtbericht zu · 
ſammengefaßt. Sie ift, wie das Felt ſelbſt es war, von den drei Gedanken beherrſcht: 
Erinnerung an Konrad den heiligen, Andenken an die alte ehemalige Diözeſe und 
glücklich erfolgte Renovierung des Münſters. Auch ohne das Dutzend guter Bild- 
beigaben würde fie mancherlei Anregung vermitteln: kunſthiſtoriſch und Runftkritifc 
liturgiſch und hagiographiſch. — Wahrlich, die Heiligen der Kirche ſterben nicht! Sie 
leben fort durch ihr Beiſpiel, ſie wirken fort durch ihre Fürbitte. St. Ulrich und 
St. ftonrad ſagen uns, daß es auch früher trübe Zeiten gegeben, und daß Gott 
die Seinen noch immer väterlich geführt hat. 


Über Abt 9oſ. Pothier (+ 8. Dez. 1923) und feine Bedeutung für den kirchlichen 
Choral werden wir aus berufener Feder einen eigenen Nachruf bringen. 

Unſere Beilage gibt eine Rundplaftik wieder (Original Gips, ca. 50 em Durch⸗ 
meſſer, in Beuron), die P. Defiderius (Peter) Denz 1858 in München auf die „Deutſche 
allgemeine und hiſtoriſche Aus ſtellung“ brachte. 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade, 
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron. 


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lugiter auxiliare tuo famulo, Dionysi, 
abbati exsultanti animo sacra libaturo, 
iam redimito auro sua tempora. Sancta patrona, 
quaesumus, intercede tua prece pro patre nostro. 


81 


Die Familie als Grundlage 
benediktiniſchen Mönchtums. 


Don P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn). 


lle katholiſchen Orden haben ein großes, gemeinſames Endziel: 

die bis zum völligen Verzicht auf das eigene Ich gehende frei⸗ 
willige hingabe des Menſchen an Bott, um fein Reich in der Seele 
immer vollkommener auszugeſtalten. In den Mitteln zur Erreichung 
dieſes Zieles und namentlich in ihrer nach außen zutage tretenden 
Wirkſamkeit im Dienſte der Kirche Chriſti ſtellen fie jedoch eine äußerſt 
buntgeftaltete Dielheit von durchaus eigenartigen Individualitäten dar. 
Der Bartäufer 3. B., der Franziskaner, der geſuit ſcheinen jedermann 
klar zu erkennende Tupen katholiſcher Ordensleute zu ſein, und was 
die Predigermönche oder die Barmherzigen Brüder für die ihnen vor⸗ 
wiegend entſprechende Berufstätigkeit halten, iſt klar verſtändlich in 
ihrem Namen ausgedrückt. 

Beim benediktiniſchen Mönchtum, das doch ſicherlich eine durchaus 
ſelbſtändige Erſcheinungsform unter allen Orden iſt, bietet es aber 
merkwürdigerweife eine gewiſſe Schwierigkeit den gerade ihm weſent⸗ 
lichen Charakter und die ihm vor allem eignende Arbeitsaufgabe kurz 
aufzuzeigen. Tatſächlich hat der hl. Benedikt ſeine Mönche auch wirklich 
weder zur Pflege eines beſtimmten, außerhalb des allgemeinen mo⸗ 
naſtiſchen Gebens gelegenen aſzetiſchen Ideals noch einer beſonderen 
beruflichen Eigentümlichkeit verpflichtet. Darum wäre es [ehr ſchwer 
irgendeine der klöſterlichen Tugenden als kennzeichnend gerade für die 
Benediktiner herausgreifen zu wollen, ſo daß ſich auf ihr unſere Art 
vielleicht ähnlich aufbaute wie etwa die der Kapuziner auf der Armut; 
daher kommt es ſchließlich auch, daß ſich die Benediktiner nicht wie 
andere Orden irgend einer Tätigkeit mit ausſchließlicher Vorliebe hin⸗ 
geben, ſondern daß fie ſich je nach Ländern und Zeiten bald dieſem 
bald jenem der im Rahmen der katholiſchen Weltſeelſorge liegenden 
Wirkungsbereiche widmen. 

Man könnte bei einer flüchtigen Beurteilung darin einen mangel 
ſehen. Dieſe breite Einftellung der benediktiniſchen Mönchsaſzeſe und 
dieſe Dielfeitigkeit benediktiniſchen Schaffens beruht aber keineswegs 
auf einer in unſerer UDerfaſſung liegenden Armut an ſtraffen, beſtimmten 
Richtlinien und Grundſätzen, ſondern im Gegenteil auf einer ſehr wert: 
vollen Geſchmeidigkeit und Anpaſſungsfähigkeit an alle zeitlichen und 
räumlichen Umgebungen, in denen ein Benediktinerkloſter wirken ſoll. 

Benedtktinifche Monatfchrift VI (1924) 3—4. 6 


82 


Wir halten es darum geradezu für das unſterbliche Derdienft unſeres 
heiligen Stifters, daß er die Richtung unſerer religiöſen Betätigung 
nicht auf die beſondere Betonung einer ganz beſtimmten Seite des 
Tugendſtrebens eingeſtellt und unſer Wirken nach außen nicht einſeitig 
an eine einzelne Berufsarbeit gebunden hat, ſondern daß er ſein Werk 
auf eine Regel gründete, deren Hauptvorzug eben in ihrer ganz uni⸗ 
verfellen Brauchbarkelt für die religiöfen und kulturellen Bedürfniffe 
aller Dölker und Zeiten liegt. 50 blieb der Benediktinerorden immer 
in einer lebendigen Fühlung mit allen umgebenden Dolksgemeinfchaften 
und erweckte bei der Außenwelt von jeher gerne den Eindruck einer 
wohltuenden Großzügigkeit und Freiheit. 

Der innere Grund nun, warum gerade unſer Orden die nach feiner 
Regel lebenden Mönche jeweils über alle örtlichen und zeitlichen Ge⸗ 
bundenheiten hinweghebt und ihnen eine für alle Länder und gahr⸗ 
hunderte brauchbare Lebensnorm an die Hand gibt, iſt darin zu ſuchen, 
daß ſich der hl. Benedikt als Derfaffungsprinzip feiner Stiftung der 
naturgemäßeften Bemeinfchaftsform der menſchlichen Geſellſchaft über: 
haupt bediente, der Familie. Nirgends äußern ſich ja die Lebens- 
erſcheinungen in ſo bunter Mannigfaltigkeit wie in den einzelnen 
Familien. Schon eine natürliche Familie muß eine ganz eigentümliche 
Individualität fein: das liegt in ihrem Weſen. Ein gewiſſer Familien ⸗ 
partikularismus ſelbſt im Derband der ſtraffſten ſozialen Sroßeinheit, 
des Volkes oder Staates, ift etwas Geſundes und gibt dem geſamten 
beben friſche Abwechslung und kulturfördernde Rührigkeit. 

Auch jedes Benediktinerkloſter bildet für fi) eine ſelbſtändige, auto- 
nome Familie und trägt als ſolche alle in dieſer Tatſache liegenden 
Entwicklungs- und hemmungsmöglichkeiten in ſich. Dieſes Familien: 
prinzip unterſcheidet uns geradezu grundſätzlich von den meiſt zentra⸗ 
liſtiſch organiſierten neueren Orden, die ihre Wirkſamkeit weniger in 
der Lebensäußerung des einzelnen Blofters, als in der vielfach ſehr 
fruchtbaren Zuſammenfaſſung aller Kräfte unter einer Geſamtleitung 
betätigen. Die dadurch erzielten, unleugbar großen Erfolge haben 
auch bei uns ſchon manchmal zu einer Nachahmung dieſer Derfaffungs- 
form verlockt. Aber ſolche Anpaſſungsverſuche an das ganz anders 
geartete Gemeinſchaftsleben dieſer Orden bedeutete immer eine grund⸗ 
ſätzliche Derkennung unferes eigentlichen Weſens und brachten nie mehr 
als nur vorübergehende Erfolge. Ein Benediktinerkloſter iſt eben nicht 
fo faſt Glied eines großen Ganzen, als vielmehr ein ſelbſtändiger Orga; 
nismus, deſſen Wirkſamkeit nicht davon abhängig iſt, inwieweit der 
Geſamtorden als ſolcher durch das Einzelkloſter etwas leiſtet, ſondern 


83 


davon, wieviel die einzelne kiloſterfamilie ſelbſt an Werten ſchafft. Bei 
einer Benediktinerabtei wird es immer darauf ankommen, ob ſie alle 
von ihrer Umgebung jeweils gebotenen Arbeits- und damit Erfolgs- 
möglichkeiten erkennt und ausnützt und ob fie ſich eine wertvolle, 
bodenſtändige Familientradition zu ſchaffen weiß. Es gibt darum wie 
in einem Volke fo auch im Benediktinerorden ſehr verſchiedenwertige 
Familien. Sich zu einem Platze unter den altehrwürdigen, die Geſchichte 
des Ordens ſchaffenden und fein Weltanſehen begründenden Kloſter⸗ 
familien emporzuarbeiten und ſich zu einem für die ganze kirche und 
für die nähere und weitere Umgebung immer unentbehrlicheren gei⸗ 
figen Araftzentrum auszuwachſen, wird immer das Beſtreben aller 
Benediktinerabteien ſein. a 


er hl. Benedikt iſt nicht der Schöpfer des Mönchtums überhaupt; 

die meiſten aſzetiſchen Einzelwerte ſeiner Regel ſind ja in langer 
Erprobung ſchon von den ihm vorangehenden Mönchen des Morgen- 
und Abendlandes gefunden worden. Er hat aber durch den von ihm 
verſuchten Ausbau der ſchon beſtehenden Grundlagen das Kloſterweſen 
des Oſtens vor einer drohenden Stagnierung und das Mönchtum des 
Weftens vor einer bedenklichen Zerfplitterung bewahrt. Den zu un⸗ 
geſunder Übertreibung neigenden orientaliſchen Individualismus der 
Einzelperfon erweiterte er zum Individualismus der einzelnen klöſter⸗ 
lichen Gemeinde und bereicherte dadurch die mönchiſche Aſzeſe mit den 
in jeder Gemeinſchaft liegenden Tugendmöglichkeiten. Das fo auf eine 
breitere, lebensfähigere Grundlage geftellte Mönchtum des Orients mit 
feinem tiefen Jug zur Innerlichkeit konnte dann auch beruhigend auf 
das noch in gärender Unraſt nach einer befriedigenden Lebensform 
ſuchende europäiſche Mönchtum der unſtäten Dölkerwanderungszeit 
wirken. 

Es war wirklich von providentieller Bedeutung, daß Benedikt von 
Nurfia erkannte, was feiner Welt vor allem fehlte, und daß er in 
intuitiver Erfaffung des Notwendigen gar bald darauf hinarbeitete, in 
ſeinen kilöſtern Mittelpunkte zu ſchaffen, die alles, was am bereits 
vorhandenen Mönchtum noch Gutes war, und was unter den jungen 
Dölkern Europas nach Vollkommenheit dürſtete, an ſich zogen. Bier 
fanden die heimatloſen, unruhigen Menſchen jener Tage etwas, was 
ſie vor allem brauchten, eine klöſterliche heimat, die jeden, der 
ſich unter ihren Schutz begab, von der ungeſunden Unbeſtändigkeit 
ſeiner Zeit heilte. Und es gab tatſächlich auch unter den ruhelos 
wandernden damaligen Mönchen nicht bloß ſolche, denen ihr Gewand 

6* 


N 


84 


zum Deckmantel jeglicher Ungebundenheit diente; gerade in der Früh- 
geſchichte der germaniſchen Chriſtianiſierung erſcheinen gar manche 
diefer zu keinem beſtimmten kiloſter gehörigen Mönche als ſegensreich 


wirkende Wanderprediger. Aber ihr Werk mußte, weil es nur zu oft 


planlos und ohne Zuſammenhang mit einer größeren Bemeinfchaft 
war, die ihre Schöpfung auch nach ihrem Weggang noch fortſetzte, 
größtenteils ohne dauernden Wert bleiben. Solcherlei Mönche haben 
wir wohl unter den »monachi peregrini« zu verſtehen, von denen der 
hl. Benedikt im 61. Rapitel feiner Regel ſpricht, und denen er mit 
Freuden einen dauernden Platz in feinen Alöftern gewährt wiſſen 
wollte. Die Geſchichte unſeres Ordens iſt reich an Beiſpielen, daß 
fromme Männer erſt nach langem Wanderleben und nach mancherlei 
taftenden Derfuchen eine dauernde Heimat in einem Benediktiner kloſter 
fanden und da unter dem Segen der Gemeinſchaft eine beſonders hohe 
Stufe der Vollkommenheit erſteigen konnten. ö 
Das war eine tiefe Erleuchtung, daß der heilige Stifter erkannte: 
wer die beglückende Wohltat der benediktiniſchen Familienzugehörig⸗ 
keit empfinden will, auf den muß ihr Einfluß dauernd wirken können. 
Und fo forderte der hl. Benedikt ein eigenes Gelübde des lebensläng⸗ 
lichen Derbleibens in dem Verband einer ganz beſtimmten £lofter- 
familie: »stabilitas in congregatione«, Beftändigkeit im klöſterlichen 
Verband. Dieſe Forderung ift etwas nahezu völlig Neues. Wohl hat 
ſchon Cäſarius von Arles! von feinen Schülern ein Beſtändigkeits⸗ 
verſprechen verlangt; mit einem förmlichen Gelöbnis band aber erſt 
der hl. Benedikt feine Söhne an die klöſterliche Familie. Und er mußte 
dieſe Bedingung ſtellen; denn nur wenn ſich ſeine Schüler gewiſſer⸗ 
maßen gewaltſam der Derfuchung zur Unftätigkeit entriſſen, konnten fie 
mit ihrer neuen monaſtiſchen Heimat genügend verwachſen. — Doch 
wollte ſchon unſer heiliger Vater ſelbſt das ſegensreiche neue Geſetz 
keineswegs überſpannt wiſſen: unter Umſtänden ſollte einem Abte 
auch außerhalb des Falles der gewaltſamen Ausweifung eines völlig 
unverbeſſerlichen Störers des Gemeinſchaftsfriedens die Möglichkeit 
geboten ſein, einen feiner Söhne feines eidlich beſchworenen Zugehörig⸗ 
keitsvertrags zur Kloſterfamilie zu entbinden. Das war weiſe: die 
beſte Selbſtprüfung und die ſtrengſte Erprobung ſchließen ja manchmal 
eine Täuſchung nicht aus; da iſt es beſſer im Intereſſe des Befamt- 
friedens oder der glücklichen Hherzensfreudigkeit der Einzelſeele, einen 
ſonſt durchaus geſunden Grundſatz nicht bis zur ungeſunden Startheit 


gl. P. Matthäus Rothenhäus ler, Die Beftändigkeit des Benediktiners. Ben. 
Monatſchr. III (1921) 8. 354. 


85 


zu verfolgen und unter Umftänden ein einzelnes Glied der Familie in 
Frieden anderswohin zu entlaſſen. — Und wenn es auch wahr iſt, 
daß der Mönch ins kiloſter gehört, und fo ſehr der hl. Benedikt den 
unfät wandernden Ordensmann haßte, fo ſieht doch ſogar feine Regel 
ſelbſt den Fall vor, daß einmal ein Bruder in heiligem Gehorfam auf 
längere oder kürzere Zeit aus dem Frieden feines Klofters in die Welt 
hinausgeſchickt wird. Solch ein Aufenthalt unter dem Segen des geiſt⸗ 
lichen Daters und dem täglich ihn begleitenden Gebet der zurückgeblie⸗ 
benen Söhne der Rlofterfamilie unterſcheidet dieſen Mönch ganz weſent⸗ 
lich von den gleich im erſten Kapitel unſerer Regel ſo ſtrenge gerügten 
„herumſchweifern“, den Gyrovagen. Das Maß dieſer „Freiheit im 
zwange“ bedeutet zugleich auch das Maß der mit dem benediktinifchen 
Mönchtum vereinbaren außerklöſterlichen Berufsarbeit. Jede Betäti⸗ 
gung, die den Mönch aus irgendwelchem Grund aus feinem Rlofter 
führt, iſt erlaubt, ſolange ſie den Familienzuſammenhang nicht zerſtört 
oder in gefährlichem Maße beeinträchtigt. Natürlich iſt eine Berufs⸗ 
arbeit um fo „benediktiniſcher“, je weniger fie den Mönch ſeiner 
klöfterlihen Familie entzieht!. 

Aber nicht jede klöſterliche Niederlaſſung ift ohne weiteres RR ERRR 
einer Bemeinfchaft zur dauernden heimat zu werden. Zwiſchen einer 
Benediktinerabtei und einem Benediktinermönch müffen ganz perſönliche 
Beziehungen erwachſen: fie muß ihm fo teuer werden wie das Dater- 
haus dem Binde. Darum haben ſich für die Anlage und den Ausbau 
eines Benediktinerkloſters ganz beſtimmte Grundſätze herausgebildet. 

man darf bis in die Geſchichte der allererſten Benediktinerklöſter 
zurückgehen und wird die Tatſache beſtätigt finden, daß die Mönche 
faſt immer einen außerordentlich feinen Blick für landſchaftliche Schön⸗ 
heiten gehabt haben. Der Ort, an dem ſich jemand fein Geben lang 
heimiſch und glücklich fühlen ſoll, muß eben auch in dieſer hinſicht 
vielen Anforderungen genügen können. Hatte der Gefchmack einer 
früheren, namentlich orientaliſchen Frömmigkeit nicht ſelten ſchauer⸗ 
liche Wüften und Einöden bevorzugt, und mochten manche Einfiedler 
eine gewiſſe Gleichgültigkeit, ja oft ſogar eine bewußte Vernachläſſi⸗ 
gung ihrer Wohnſtätte für Vollkommenheit gehalten haben, ſo lernte 
das benediktiniſche Mönchtum grundſätzlich alch die ſchöne Candſchaft 
als eine beſondere Gabe Gottes preiſen und lieben‘. 

IR einmal ein geeigneter Platz für eine Abtei gewählt, fo ſoll die 


Siehe P. Em. Heufelder, Priefter und Mönch (dieſes Heft). 
’ Dal. P. M. Barthel, Der Anteil der Benediktiner an der sun des band⸗ 
ſchaftsbildes (dieſes Heft). 


86 


Rlofterheimat nach dem Wunſche des hl. Benedikt fo eingerichtet werden, 
daß fie ihren Bewohnern in möglichſt vollem Sinne alles bieten kann; 
fie follen gar nicht einmal verſucht werden, ſich mit der fie gefährden⸗ 
den Welt in Verbindung zu ſetzen; dieſe ſoll ihnen vielmehr in einem 
größtmöglichen Maße entbehrlich werden. Darum foll das Kloſter 
darnach trachten, im eigenen Betrieb für alle Bedürfniſſe feiner Ge⸗ 
meinde aufzukommen und ſich wirtſchaftlich tunlichſt unabhängig zu 
machen. So wuchſen manche Benediktinerabteien zu wahren Kloſter⸗ 
ſtädten heran. Die ganze Anlage überragt von einer ſchönen kirche, 
eingefriedet von den ſchützenden Kloſtermauern, umgeben von einem 
ktranz von Wiefen und Feldern und Gärten, alles eingebettet in eine 
oft paradieſiſche Landſchaft: das ift der typifche Anblick, den eine 
benediktiniſche Anſiedelung oft genug dem Beſchauer bietet und der 
wohl geeignet iſt, den mit ſtolzer Liebe zu erfüllen, der dieſes haus 
feine Heimat nennen darf. 

Schließlich liegt es gewiß in der Abſicht des hl. Benedikt, einem 
mönchiſchen Heim feines Ordens über das ſchlechthin Notwendige hin⸗ 
aus, womit ſich eine ältere Obſervanz wohl begnügt hätte, noch ein 
Mehr von Freudigkeit und Schönheit zu gewähren. Die innere Zu⸗ 
friedenheit und ein Bott wohlgefälliger Frohſinn feiner Söhne ſchienen 
ihm wertvoll genug zu ſein, um gegen dieſen Preis ſogar auf manche 
Forderung zu verzichten, die eine ſtrengere Vorzeit wohl geftellt hätie. 
er wußte, daß ein gütiges Eingehen auf manche gewiß nicht durch⸗ 
aus notwendige, aber von der Mehrzahl der Menſchen gerne genoſſene 
Bedürfniſſe ihm die herzen der ihm Anvertrauten weit und freudig 
Iffnete, wenn es galt, jenen ſelbſtlos freiwilligen, freudigen Gehorſam 
zu fordern, durch den ſich gerade ſeine Mönche hervortun ſollten, und 
der ihm wertvoller ſchien als manche Übung einer den Menſchen durch; 
aus nicht vor Mißmut und Traurigkeit bewahrenden Strengheit. Mit 
weichlichem Luzus und ſchwächlicher Nachgiebigkeit hatten ſolche die 
Heimatliebe feiner Kinder ſtärkende Jugeſtändniſſe gar nichts zu tun. 


ie äußeren Bedingungen ſind ſo gegeben, um die einzelne Bene⸗ 

diktinerabtei ihren Bliedern zur klöſterlichen Heimat zu machen; 
der Boden if geſchaffen, auf dem die Mönchsfamilie gedeihen ſoll. 
Die belebende Seele dieſer heimſtätte ſollte aber ſo recht eigentlich 
erſt der benediktiniſche Abt fein. Kloftervorftände gab es ſchon 
vor dem hl. Benedikt, aber den innerlich ganz ausgereiften, im Bene⸗ 
diktinerabt verkörperten Typus des Obern hat erſt unſer heiliger 
Stifter geſchaffen. 


87 


e 


Der Benediktinerabt ift felber [don eine Frucht der monaſtiſchen 
Familiengemeinſchaft, aus der er in durchaus natürlichem Wachstum 
heranreift bis zu dem Tage, an dem deren Söhne ſich ihn in freier 
Wahl zu ihrem Obern beſtellen. Unter geſunden Normalverhältniſſen 
wird ſich auch immer an einem Glied der eigenen Gemeinde der dieſer 
Familie tupiſche Charakter ſo glücklich mit den ſchon allgemein für 
jeden Führer wünſchenswerten Fähigkeiten verbinden, daß ſein Träger 
ganz naturgemäß zum berufenen Haupt jener Familie beſtimmt erſcheint. 

Daß aber der Erwählte wegen ſeiner nahen Beziehungen zu denen, 
die bis dahin feine Brüder waren, nicht bloß zum Älteften unter den 
Söhnen des gleichen hauſes, nicht zum primus inter pares wird, das 
verhindert die uns von unſerer heiligen Regel eingeſchärfte ganz be⸗ 
ſonders tiefe Ruffaffung von der hohen Würde des Abtes. Mit feiner 
Wahl wächſt er nämlich über die Familie hinaus und wird zu ihrem 
Dominus et Abbas «, zu ihrem herrn und Dater. Wir verbinden mit 
dieſem Titel einen fo einzigartigen Inhalt, daß dieſer Name feinen 
Träger geradezu weſentlich von den Obern anders organifierter kilöſter 
und Orden unterſcheidet. Jentraliſtiſche Orden müſſen notwendig an⸗ 
ders geleitet werden als Benediktinerklöſter. Eine Doppelregierung 
wird die Befehlsgewalt ausüben: fie werden zunächſt immer eine alle 
Rlöfter umfaſſende, zentrale Oberleitung über ſich haben, bei der alle 
Fäden zuſammenlaufen und die kraft ihrer univerſellen Amtsbefugniſſe 
die ihr unterſtehende Bemeinfhaft ähnlich lenkt wie ein Kriegsherr 
oder Generalftab feine Truppen. Dieſer Generalleitung nun werden 
dem ganzen Sinn der Ordensverfaffung nach die an der Spitze der ein⸗ 
zelnen Rlöfter ſtehenden Obern in allem verantwortlich und geradeſo 
unbedingt untergeordnet fein wie ein Unterfeldherr dem ktriegs herrn. 
— Der Benediktinerorden kennt eine ſolche Organiſation nicht. Wir 
haben keine mit einer oberſten Jurisdiktion ausgerüſtete Zentral» 
behörde. Nicht der Orden als Ganzes ift Träger der Autorität, ſondern 
der eingelne Abt, der den Grund ſeiner Befehlsgewalt in ſich ſelbſt 
tägt und innerhalb des ganzen Ordens durch keinen über ihm ſtehen⸗ 
den Obern beſchränkt wird. Wenn äußere Notwendigkeiten im Laufe 
der geſchichtlichen Entwicklung einzelne Gruppen von Abteien zu kon= 
gregationen unter einem Präſes und in jüngſter Zeit ſämtliche Klöſter 
unſeres ganzen Ordens unter einem Abt⸗Primas zuſammenfaßten, ſo 
bezweckten ſolche praktiſche Einrichtungen im allgemeinen nur die 
fufrechterhaltung einer guten klöſterlichen Zucht und einen leichteren 
Derkehr der einzelnen häuſer unter ſich und mit Rom. Jeder Derfud, 
darüber hinaus auf die Schaffung einer mit autoritativer Befehlsgewalt 


88 


ausgeſtatteten Zentralbehörde hinzuarbeiten, würde gewiß als unbene⸗ 
diktiniſch vom ganzen Orden abgelehnt. 50 wenig als der weltliche 
Staat jemals die naturgemäße Autorität der Familien, aus denen er fi) 
zuſammenſetzt, antaſten wird, ebenſo wenig wird auch ein durch irgend⸗ 
welche Gründe näher zuſammengeſchloſſener Derband mehrerer Abteien 
an den Grundrechten der einzelnen klöſterlichen Familie rütteln können. 

Und es muß fo fein: eine Familie kann kein außerhalb ihrer Ge- 
meinſchaft ſtehendes haupt haben. Darum ift ein Benediktinerabt 
zwar kein Machthaber oder General, der über einen ganzen Orden 
Autorität ausüben kann, aber auch kein bloßer Beamter, der im Auf: 
trag und nach dem Willen eines über ihm ſtehenden Obern ein ein⸗ 
zelnes lofter leitet: es gehört weſentlich zum Begriff feines Amtes, 
daß er im Bereich ſeiner Familie letzten Endes höchſte und einzige 
Autorität iſt. Dominus et Abbas vocetur, „Herr und Abt ſoll er ge⸗ 
nannt werden“, ſagt die heilige Regel im 63. ktapitel. Wir Benediktiner 
erkennen dieſen doppelten Ehrennamen im vollen Umfang an: er iſt 
uns mehr als ein bloßer Titel, er ift uns der Inbegriff jeder fittlid) 
möglichen Autorität, die wir um fo mehr für eine ganz einzigartige 
halten, weil jeder Abt für feine Familie der ſichtbare Träger der Nu⸗ 
torität Gottes ſelber ift, der durch ihn zu uns ſpricht. Wenn uns der 
klöſterliche Gehorſam, zu dem ſich ein reifer Menſch freiwillig ver⸗ 
pflichtet, die vollendetfte Form der Selbſthingabe des vernünftigen 
Geſchöpfes an feinen Bott bedeutet, dann iſt uns unſer Oberer gewiſſer⸗ 
maßen der Prieſter, durch deſſen hände die koſtbare Gabe des freien 
menſchenwillens dem Allerhöchſten dargebracht wird. Der ſich frei⸗ 
willig opfernde Mönch wird zum Opferlamm des Opferprieſters. Man 
muß es offen ausſprechen: der hl. Benedikt ſieht im Abte feiner Alöfter 
den nur Gott verantwortlichen herrn des ungezwungen an den Opfer⸗ 
altar tretenden Mönches, von dem er im Namen Gottes das Opfer 
rückhaltlos annimmt. Dieſes umfaſſende und faſt erdrückend ſcheinende 
Anſehen eines einzelnen. Menſchen hat für uns nichts Beängſtigendes, 
weil es gemildert wird durch die zarten Bande einer weſentlich zu ihm 
gehörenden väterlichen Liebe. Jeder Benediktinerabt muß herr und 
Vater fein: wäre er nur der kraftvolle Herr oder nur der milde Vater, 
fo wäre er kein Abt nach dem Herzen des hl. Benedikt. Herr und Vater, 
ja, das iſt fein lame! Dieſer Doppelname verhütet in gleicher Weiſe 
ungeſunde Vertraulichkeit und weichliche Milde wie auch furchtſame 
Scheu und unberechtigte Herrfchergelüfte. Nur ein Abt, der herr iſt und 
Vater, garantiert mit menſchenmöglichſter Sewißheit einen dauernd 
gefunden Beſtand der benediktinifchen kloſterfamilie. 


89 


Dem hl. Benedikt mag für feine Ruffaffung vom Obern feiner Klöſter 
in beſtimmter Form die Geftalt des altrömiſchen Familienhauptes, des 
»pater familias , vorgeſchwebt haben, in dem er ja die für feine Zeit 
augenſcheinlichſte Verbindung einer ganz einzigartigen Autorität mit 
naturgemäßer Datermilde ſehen konnte. Man kann tatſächlich die 
Gewalt, die unſer heiliger Dater dem Abte zugeteilt wiſſen will, als 
die aufs Religiöfe übertragene univerſelle väterliche Gewalt (»patria 
potestas e) der Antike bezeichnen. Es iſt ganz unzweifelhaft, daß es 
unferer Regel völlig entſpricht, wenn im Rlofter gar nichts ohne den 
Willen des Haus vaters geſchieht, fo daß das geſamte Leben der klöfter- 
lichen Familie durch feine möglichſt perſönliche beitung geregelt wird. 
Es iſt durchaus im Sinne des hl. Benedikt gelegen, daß es im Betrieb 
ſelbſt der größten Abtei keinerlei Autorität gibt, die nicht von der einzig 
verantwortlichen Befehlsgewalt des Abtes übertragen iſt. Nach dem 
herzen unſeres heiligen Stifters würde ein Abt geradezu zum Mietling 
an feinem Haufe werden, wenn er in dieſer Nuffaſſung von feiner 
Gewalt und feiner daraus erwachſenden Pflichten eine Lockerung 
zuließe. Ja, fo ſehr foll der Abt die belebende Seele feines Kloſters 
fein, daß ſich feine potestas nicht bloß auf alles Gefchehen und auf 
alle Perſonen im Haufe, ſondern gewiſſermaßen auf die Regel ſelbſt 
erſtreckt, zu deren ganz ſelbſtwerſtändlichem Erklärer er in all den 
Fällen wird, wo es gilt deren oft bloß allgemein gefaßte Grund ſätze 
praktiſch auf neue Zeit⸗ und Ortsverhältniſſe anzuwenden. Er ift, wie: 
Abt Sauter gleich zu Beginn feiner „Kolloquien“! gewiſſermaßen pro⸗ 
grammatiſch ſagt, als haupt auch über die heilige Regel geſtellt, ähnlich 
wie der Papſt das Haupt, der Erklärer und Anwender des Evangeliums 
und der chriſtlichen Wahrheiten iſt. Daß er, der in der perſönlichen 
Beobachtung ſeiner Regel niemandem verantwortlich iſt als ſeinem 
Bewiffen, trotzdem dieſe Regel felber nicht bloß mit dem Munde lehrt, 
ſondern tief im herzen trägt und im eigenen Wandel erfüllt, darin 
deſteht nicht zuletzt der Kehorfam, den auch der Abt beſchworen hat. 
beicht und gefahrlos kann dieſer Gehorſam des autonomen Abtes nicht 
fein, fonft würde der hl. Benedikt, der die Menfchenherzen kannte wie 
ſelten einer, feinen Nachfolgern in der klöſterlichen Daterwürde nicht 
immer mit den ernſteſten Worten die furchtbare Derantwortung gegen⸗ 
über Bott vor Augen führen. Sie ift fo groß wie feine Machtfülle, 
feine potestas: denn wie es im klloſter letzten Endes nur einen gibt, 
der eine eigene Autorität hat, fo gibt es ſchließlich auch nur einen, der 
eine direkte Derantwortung trägt. Auf den Abt fällt ja alles zurück, 
was von ſeinen Untergebenen im Gehorſam geſchieht. 

Sauter, B., Kolloquien über die heilige Regel. Freiburg“ 1907. 


90 


Es wäre ein ganz unwahrer Idealismus, wollte man behaupten, 
dem Mönche erwachſe aus feinem freiwilligen Bekenntnis zu einer ſo 
umfaſſenden Autorität feines Obern nicht oft eine gar ſchwere baſt. 
Bei aller grundſätzlichen Opferfreudigkeit ift das Jod des Behorfams 
nicht immer ſüß und die Bürde des Derzichtes auf den eigenen Willen 
gar manchmal durchaus nicht leicht. Ja, dieſe Caſt könnte für einen 
menſchen geradezu unerträglich werden, wenn ſich der Abt, allerdings 
Jin völliger Derkennung des Geiſtes der auch von ihm befchworenen 
Regel, darauf beſchränkte, bloß herr zu fein und nicht auch Vater. 
Aber ſo ſehr man berechtigt iſt ohne ſchwächliches Drehen und Deuteln 
von einer univerſalen Gewalt des Abtes zu ſprechen, fo ſehr muß auch 
feine nicht weniger univerfale pflichtmäßige Liebe zu feiner klöſterlichen 
Familie betont werden. Es darf nicht bloß ein wünſchenswertes Ak- 
zidens fein, daß das Herrenrecht des Benediktinerabtes durch feine 
Vatergüte gemildert wird, nein, eine ſolche Ergänzung [einer Gewalt 
durch die Daterliebe iſt ein Wefensbeftandteil feines Amtes. Der Mönch 
hat kraft ſeiner heiligen Regel nicht bloß eine Pflicht, ſondern ein un⸗ 
zweifelhaftes Recht darauf, ein Sohn ſeiner klöſterlichen Familie und 
ſeines Abtes zu ſein. Dementſprechend gehört der Benediktinerabt 
wohl weniger als irgend ein Oberer eines anderen Ordens ſich ſelbſt. 
mit dem Tag ſeiner Wahl tritt er in ein ganz eigentümliches Dienſt⸗ 
verhältnis zu ſeiner Familie ein, das man ganz gut auch als einen 
-Sehorfam bezeichnen Kann. Auf ihn läßt ſich vollſtändig anwenden, 
was St. Auguftin einmal ſchreibt: „Wer an der Spitze des Volkes ſteht, 
der muß vor allem überzeugt fein, daß er damit der Anecht der vielen 
ift... . Vorgeſetzte find wir und zugleich kinechte; ſehen wir vor, dann 
ſtehen wir vor (praesumus, sed si prosumus).“ 

Es iſt nur die nächſtliegendſte, wenn auch gewiß nicht immer leichte 
Seite feiner Daterpflicht, daß vor allem er die ganze Menge der mate⸗ 
riellen Sorgen auf ſich nimmt, um allen das Notwendige reichen zu 
können. Das Benediktinerkloſter ift ja kein großer Arbeitsbetrieb, in 
dem der einzelne gegen Lohn ſchafft, ſondern eine Großfamilie, in 
der der Dater zwar alle feine Kinder zur nützlichen Arbeit beizieht, 
in der es aber keine Entlöhnungen nach lebloſen Tarifen gibt, ſondern 
wo die geſamte Sorge für alle notwendigen Bedürfniſſe all ſeiner kinder 
auf den Schultern des hausvaters liegt. Wie es nämlich ein natürliches 
Recht des Kindes iſt, feinen Unterhalt von feinem Dater zu erwarten, 
fo iſt es ein auf der hl. Regel (kap. 33) beruhendes Recht des Mönches, 
daß fein geiſtlicher Dater für alles aufkommt, was er notwendig hat. 
Darauf beruht ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen der monaſtiſchen 


91 


Armut eines Benediktiners und etwa der eines Franziskaners. Die 
Armut, die der Heilige von Aſſiſi von feinen Söhnen fordert, ift die 
heilige Sorgloſigkeit, die ſich überhaupt nicht um zeitliche Dinge küm- 
mert, ſondern voll Dertrauen jeden Tag den ſorgen läßt, der die Lilien 
des Feldes kleidet und die Döglein des himmels ernährt. Die Armut 
des Benediktinermönches dagegen iſt die perſönliche Beſitzloſigkeit des 
kindes, das alles vom Vater erwartet und dieſen ſich darum kümmern 
läßt, wo er für alle das Nötige hernehmen ſoll. Mit dieſer benedik⸗ 
tnifhen Armut hängt es aus innerer Notwendigkeit zuſammen, daß 
bei aller perſönlichen Eigentumslofigkeit des einzelnen Mönches das 
Rlofter ſelbſt recht wohl ein Dermögen haben kann, ja recht eigentlich 
haben muß, wenn anders die klöſterliche Familie nicht verelenden ſoll. 
Das Eigentum des Benediktinerkloſters iſt aber Familien-, nicht Privat- 
beſtz, und der Abt iſt der hausvater, der im Namen und für die not⸗ 
wendigen Bedürfniffe feiner Söhne darüber verfügt. 

Es liegt auf der hand, daß eine nicht geringe Weisheit dazu gehört, 
einen ſolchen oft bedeutenden Gemeinſchaftsbeſitz immer mit dem Jdeal 
der perſönlichen klöſterlichen Armut in der vom hl. Benedikt ſo ſtreng 
geforderten unbedingten Reinheit in Einklang zu bringen. Schon dieſe 
feſtſtellung läßt vermuten, daß es Aufgabenbereiche des Vaters, des 
Abtes gibt, die über die Sorge für die bloß materiellen Bedürfniſſe 
feiner kinder weit hinausgehen. Wie ſchon in der natürlichen Familie 
ein Dater den ihm erwachſenden Pflichten des vierten Gebotes nicht ge⸗ 
nügen würde, wenn er nur für das zeitliche Wohl der Seinigen ſorgen 
wollte, fo würde auch der Dater der benediktiniſchen Familie feinem 
beſchworenen Eide nicht nachkommen, wenn er feine Sorge nicht be⸗ 
feelte durch eine heilige Liebe zu all feinen Söhnen: erſt fie iſt der 
Odem der klöſterlichen Semeinſchaft. Bloß materielle Fürforge müßte 
beſchämend, niederdrückend auf die denediktiniſche Familie wirken und 
müßte in allen das unbefriedigte Gefühl kalter Heimatloſigkeit erzeu⸗ 
gen. Erſt die heilige Liebe ſchärft das Auge des Haus vaters, daß er 
in jedem feiner Söhne ein überaus köſtliches Pfand ſehen kann, das 
Bott ſelbſt, die ewige Liebe, ihm anvertraut hat, damit er es in Treue 
behüte. So ift jede einzelne Seele ihm in die Hand gefchrieben, in 
fein herz gebrannt für alle Tage feines Lebens. 50 wird die Sorge 
des Abtes von ſelbſt zur Seelſorge, die um jede Seele ſeiner Kinder 
gegen alle feindlichen Mächte ringt und ihr nach Menfchenmöglichkeit 
hilft, den Weg zu laufen, der in die himmliſche Heimat führt. Können 
irgendwo die Bedingungen für eine ſolche väterliche Leitung und ſtän⸗ 
dige Hilfsbereitſchaft günſtiger fein? Das Familienverhältnis des Bene⸗ 


92 


diktinerkloſters verſchafft ja dem Abt eine ganz individuelle kienntnis 
feines Sohnes, und die lebenslange Dauer feines Daterberufes und 
die gleichfalls erſt mit dem Tode erlöfchende Kindſchaft des Mönches 
gewährleiſtet eine folgerichtige, weder durch Sprunghaftigkeit noch 
durch Übdereilung unvorteilhaft beeinflußte Seelenleitung. 

Daß der Abt keines feiner Rinder von feiner Daterliebe aus⸗ 
ſchließen darf, iſt ſelbſtverſtändlich. Ebenſo einleuchtend iſt aber auch, 
daß ſeine Sorge nicht allen in gleichem Maße gilt. Schon die heilige 
Regel ſelbſt empfiehlt feiner Liebe vor allem die ſogenannten ſchwieri⸗ 
gen Charaktere, denen er wie der gute Hirt des Evangeliums bis zur 
Selbftverdemütigung nachgehen ſoll, um fie ſchließlich durch den Zwang 
der unbefieglichen Liebe doch noch zu retten. Beſondere Fürſorge muß 
er dann all denen zuteil werden laſſen, die wegen Krankheit oder 
Alter einer außerordentlichen Pflege und Betreuung bedürfen und um 
deretwillen ſogar die Strenge der klöſterlichen Übung in jedem not⸗ 
wendigen Maße gemildert werden darf. Aber die zarteſte Diebe des 
Vaters gehört wohl mit Recht der monaſtiſchen Jugend, den eigent- 
lichen „Rindern“ des hauſes. Die Erziehung dieſer Jugend wird eine 
der ſchönſten Aufgaben des Hausvaters fein, in der er ſich von an⸗ 
deren Gliedern der Familie wohl unterſtützen aber nicht erſetzen laſſen 
kann. Darum kennt der Benediktinerorden grundſätzlich keine großen 
Noviziatshäuſer, wo man den jungen Nachwuchs ganzer Provinzen 
gemeinſam im Geiſte eines Ordens unterweiſt. Bei uns iſt die per⸗ 
ſönliche Erziehungsarbeit im Schoße der eigenen Familie unter mög⸗ 
lichſt perſönlicher Leitung des eigenen Abtes geradezu eine Forderung 
unferer benediktiniſchen Eigenart. Jeder einzelne Mönch muß eben 
in den Geiſt gerade ſeines hauſes hineinwachſen und wird in Sonder⸗ 
heit vor allem von der tupiſchen Art feines Abtes ſelbſt vieles an⸗ 
nehmen. Es beſteht eine Familienähnlichkeit zwiſchen dem Dater und 
dem Sohn der klöſterlichen Familie, die ihr Vorbild in der natürlichen 
Familie hat und die ein Abbild jener übernatürlichen Ahnlichkeit iſt, 
welche die Glieder der großen Gottes familie als Rinder ihres himm⸗ 
liſchen Daters an ſich tragen. 

Auch in der klöſterlichen Familie gibt es ein hinauswachſen der jungen 
Mönche über ihre monaſtiſchen Rinder» und gugendjahre. Solchen 
mannbar gewordenen Söhnen gegenüber wird die Liebe des Vaters 
zu der feinen Tugend der gerade dem Benediktinerabt fo recht eigen: 
tümlichen discretio, das iſt zu einer gewiſſen Ehrfurcht des Abtes 
vor dem freiwillig ſich ihm unterwerfenden Willen freier Menſchen. 
Dieſer zu Männern gewordenen Söhne wird er ſich als wertvoller 


93 


helfer bedienen können, die ihm gar manche Daſt des klöſterlichen 
haushaltes freudig abnehmen und die er an vielen ſeiner Sorgen teil⸗ 
nehmen laſſen darf. Dieſe helfende und beratende Unterſtützung von 
ſich weiſen zu wollen, wäre ebenſo unbenediktiniſch wie ein Streben 
von Benediktinermönchen nach einer Parlamentariſterung und Demo⸗ 
kratiſterung unſerer altehrwürdigen Familienverfaſſung. Beides unter- 
gräbt in gleicher Weiſe eine der lebensnotwendigſten Bedingungen 
unſerer Semeinſchaft, das gegenfeitige Dertrauen. Erſt dieſes ganz 
perſönliche Dertrauen ermöglicht ja fo recht die Betätigung eines 
ſpezifiſch benediktiniſchen Gehorſams. Es wäre wohl unrichtig, den 
klöfterlihden Gehorſam überhaupt als beſonderes Merkmal des Bene- 
diktiners zu bezeichnen; nein, der iſt notwendiges Hllgemeingut jeg⸗ 
lichen Ordenslebens. Aber eine ganz eigenartige Färbung hat der 
benediktiniſche Gehorſam doch: er trägt nicht jenen ſtrammen, faſt 
militäriſchen Charakter an ſich, den zentraliſtiſche Ordensgemeinſchaften 
fordern müſſen und der gewiß nicht leichter ift als der unfrige, da er 
ja nur zu oft feinem ganzen Weſen nach einer dem Sehorchenden 
perſönlich unbekannten, ferner ſtehenden Autorität geleiftet werden 
muß. Dem gegenüber iſt unfer Gehorſam viel individueller und kann 
darum viel leichter zu jener inneren Vollkommenheit ausreifen, die 
unſer heiliger Dater vom benediktiniſchen Sehorſam vorausſetzt. Wie 
ſoll doch nach dem hl. Benedikt dieſer Sehorſam beſchaffen fein? Nicht 
furchtſam vor allem und zaghaft, ſondern kühn und mutig im Glau⸗ 
ben: wie follte ſich auch banges Zögern und mutloſe Furcht zwiſchen 
Rind und Vater ſtellen können? Nicht lau und gleichgültig, ſondern 
voll heiligen Eifers und Derlangens nach den ewigen Gütern. Nicht 
langſam und träge, ſondern ſchnell und feurig in der Liebe zu Chriftus, 
der ſelber für uns gehorſam ward bis zum Tode, ja bis zum Tode 
am kireuze. Iſt es uns nicht von unſeren monaſtiſchen gugendtagen in 
die Seele geſchrieben worden, daß gerade durch den Mund unſeres geiſt⸗ 
lichen Daters dieſer Chriftus, unſere hoffnung, gewiſſermaßen perfönlich 
zu uns ſpricht? Und aus gutem herzen und freudigem Gemüte komme 
er ſchließlich, da ja nur einen fröhlichen Geber Gott lieb hat. Wann 
iſt die Erreichung dieſer letzten Endes einzigen poſitiven Anforderung, 
die unfer hl. Benedikt an feine gehorchenden Söhne ſtellt, leichter mög⸗ 
lich, als wenn ſich der Mönch in den Kindſchafts- und Daterſchafts⸗ 
gedanken unſerer heiligen Regel hineingelebt hat? Da ſchwindet von 
ſelber das Grundübel alles klöſterlichen Lebens, der lähmende Stolz 
und der felbftgefällige hochmut und an feine Stelle tritt die Grund— 
tugend jeder chriſtlichen Frömmigkeit, die kindliche Demut. 


94 


Diefe eingehende Unterſuchung über das Weſen des Benediktiner⸗ 
Abtes war notwendig; die richtige Einſtellung zu den anderen Gliedern 
feiner Gemeinſchaft wird ſich für den Mönch ganz von ſelber daraus 
ergeben. Wenn nämlich uns Benediktinern unſer Oberer im vollen 
Sinne Vater iſt, dann find wir als feine Söhne im vollen Sinne einander 
Brüder. Schon frühere zönobitiſche Formen des Mönchtums haben 
den Gedanken der Bruderſchaft für das kloſterleben aſzetiſch verwertet; 
er lag ja zu nahe, ſobald einmal ein geſchloſſener Derband Gleich; 
ſtrebender ſich fand. Aber er entbehrte ſo recht eigentlich der letzten 
inneren Begründung, folange der Obere des Rlofters nicht voll und 
ganz als Vater aller Mönche angeſehen wurde. Erſt den Benedik⸗ 
tinern wurde darum der Mitbruder wirklich bedeutend mehr als bloß 
ein Mitarbeiter im gleichen Beruf oder ein Mitkämpfer in der gleichen 
Schlachtreihe: als die geiſtigen Söhne vielleicht ein und desſelben Abtes 
für ihre klöſterliche Familie geboren, in jahrelanger Unterweiſung 
und praktiſcher Übung mit dem kiloſter verwachſen und mit feiner 
Familieneigenart vertraut, werden ſie untereinander tatſächlich zu gei⸗ 
ſtigen Brüdern. St. Benedikt hat darüber nicht viel Worte verloren. Wer 
den von ihm fo klar und beſtimmt herausgearbeiteten Datergedanken er⸗ 
faßt haben würde, dem mußte ja dann ganz von ſelbſt auch der wert⸗ 
volle Gedanke der geiſtigen Bruderſchaft lebendig werden. Zwei viel- 
ſagende Sätze hat er aber doch gerade dem brüderlichen Leben in feinen 
klöſterlichen Familien geweiht: der eine Grundſatz iſt gewilfermaßen 
nur die ſprichwörtlich gewordene Formulierung des Bibelwortes: Du 
ſollſt deinen Nächſten lieben wie dich ſelbſt. St. Benedikt ſagt: Quod 
tibi non vis fieri, alii ne feceris! „Was du nicht willſt, daß es dir ge⸗ 
ſchehe, das füge auch keinem anderen zu!“ (Rap. 70.) Der letzte Hauch 
der Selbſtſucht wird unſerer Bruderliebe aber erſt genommen, wenn 
wir den zweiten programmatiſchen Satz praktiſch in die Tat umſetzen: 
Sibi invicem obediant fratres! „Die Brüder ſollen ſich gegenſeitig Ge⸗ 
horſam leiſten!“ (Rap. 71.) Wenn im £lofter ein Bruder den anderen 
in reiner Geſinnung, »casto amore, und alle ihren Dater und Abt in 
aufrichtiger und demütiger Bingebung, sincera et humili caritate- 
(Rap. 72) lieben, dann gilt der klöſterlichen Familie wirklich der Preis 
des Pſalmwortes: Ecce quam bonum et quam iucundum habitare 
fratres in unum. „Siehe wie ſchön und angenehm iſt es, wenn Brüder 
einträchtig bei einander wohnen!“ (Pf. 132, 1). So wird die bene⸗ 
diktiniſche Klofterfamilie zum menſchenmöglichſten Abbild der um 
unſern himmliſchen Vater geſcharten Familie aller Rinder Gottes, 
der Gemeinſchaft der heiligen. 


95 


Driefter und Mond. 


Bon P. Emmanuel heufelder (Schäftlarn). 


W. man auch im einzelnen das Weſen des Mönchtums beſtimmen 
mag, letztes Ziel und eigentlicher Inhalt des monaſtiſchen Jdeals, 
auch im Orden des hl. Benediktus, ift und bleibt die reſtloſe Hingabe 
des Menfchen an Gott, verwirklicht in einem Leben nach den evan⸗ 
geliſchen Räten. „Der Ordensſtand ift eine Art holocaustum, ein, Sanz⸗ 
opfer, durch das ſich einer mit allem, was er iſt und hat, vollſtändig 
Bott zum Opfer bringt!.“ Am greifbarften drückt fi) dieſe uneinge⸗ 
ſchränkte Hingabe des eigenen Ich im klöſterlichen Gehorſam aus, im 
Opfer des Willens. Der hl. Benedikt fieht in dieſem fo ſehr den Bern 
des Ordenslebens, daß er feine Mönche Armut und kteuſchheit gar 
nicht mehr eigens geloben läßt; wer den eigenen Willen hingegeben 
hat, für den iſt der Verzicht auf die äußeren Güter und auf die freie 
berfügung über den Leib ſelbſtverſtändlich. Dafür baut Benedikt durch 
zwei andere Gelübde gleichſam eine Schutzmauer auf, die das mo⸗ 
naſtiſche Ideal der völligen hingabe an Bott gegen jeden Angriff ſichern 
und vor den Schäden bewahren ſoll, an denen das Mönchtum ſeiner 
deit vornehmlich krankte: vor der Deräußerlichung und vor der Un- 
beſtändigkeit. Einem veräußerlichten Sarabaitentum gegenüber, das 
nur die äußere Form ohne den inneren Geiſt des Mönchtums hatte, 
läßt er feine Mönche durch das Gelübde eines „neuen Lebenswandels“, 
der conversio morum, verſprechen, ſich wirklich innerlich Kott zum 
Opfer zu bringen; gegenüber der Unbeſtändigkeit aber, wie fie in ex⸗ 
tremſter Weiſe durch das Byrovagentum verkörpert war, ſoll das 
Belübde der Beharrlichkeit, der stabilitas, einen halt bieten, durch das 
der Benediktiner zeitlebens an einen ganz beſtimmten gottgeweihten 
klöſterlichen Derband gleichſam „gefeſſelt“ wird. Das Derharren in 
feiner klöſterlichen Familie, die stabilitas in congregatione, iſt für den 
Mönch das Unterpfand der stabilitas cordis, der Beharrlichkeit des 
herzens, der ſtändig dauernden Bingabegefinnung. Dieſe beiden Ge⸗ 
lübde find es, die dem Benediktinerorden gegenüber anderen Formen 
des Mönchtums feine beſondere Eigenart gegeben haben; fie haben 
in der benediktiniſchen Gemeinfchaft eine heilige Opfergemeinſchaft von 
Brüdern begründet, die vom Geiſt der Botteskindfchaft zu einer Familie 
Juſammengeſchloſſen, in gemeinſamer hingabe durch ihren Vater, den 
Abt, ſich Zott als Opfer darbringen. 


St. Thomas. S. th. II II. q. 186 a. 7: Religionis status est quoddam holo- 
caustum, per quod aliquis totaliter se et sua offert Deo. 


96 


Dieſe benediktinifche Gemeinfhaft war zunächſt eine caiengemein · 


ſchaft und ſollte nach der Abſicht des Stifters auch nichts anderes ſein. 
Nun brauchte aber dieſe Gemeinſchaft von Anfang an Priefter zur 
Befriedigung ihrer ſeelſorglichen Bedürfniſſe; wollte man daher nicht 
ganz auf fremde Prieſter angewieſen ſein, ſo mußte man Glieder der 
eigenen Gemeinſchaft dazu weihen laſſen. Auch begehrten ſchon zur 
Zeit des hl. Benedikt ſolche, die bereits Prieſter waren, Aufnahme in 
das Kloſter. So entftand eine Derbindung von Prieſtertum und Mönch⸗ 
tum und damit war auch die Frage gegeben, in welchem Verhältnis 
beide zueinander ſtünden. Wenn man das von den Prieſtern im kloſter 
handelnde 60. und 62. Kapitel unſerer Regel lieſt, fo kann man ſich 
des Eindrucks nicht erwehren, daß der hl. Benedikt, der wohl ſelbſt 
nicht Prieſter war, von Prieſtern unter ſeinen Mönchen eine gewiſſe 
Gefahr für die Reinerhaltung des monaſtiſchen deals befürchtete, die 
beſonders den klöſterlichen Gehorſam betreffen konnte. Mit der ganzen 
Schärfe und Beſtimmtheit, die er immer dort anwendet, wo es ſich 
um grundſätzliche Fragen handelt, betont er wiederholt, daß die Würde 
des Prieftertums in keiner Weiſe zu einer Rusnahmeſtellung im kloſter 
führen dürfe, daß ſich die Prieſtermönche vielmehr vollſtändig in den 
Organismus feiner klöſterlichen Semeinſchaft einzufügen hätten und in 
allen Stücken, beſonders auch in Bezug auf äußere Betätigung des 
Prieſtertums, wie die übrigen Mönche ohne Einſchränkung unter dem 
Sehorſam ſtünden. Ein Prieſtermönch, der ſich nicht willig in die 
Gemeinſchaft einordnet, ſoll nach vorheriger Mahnung unnachſichtlich 
aus dem Kloſter entfernt werden; man foll in ihm dann nicht den 
Priefter ſehen, ſondern nur den Rebellen: »non sacerdos sed rebellio 
iudicetur<. Die Frage nach dem Verhältnis von Prieſter- und Mönchtum 
erſcheint ſomit in der Regel St. Benedikts für die Praxis im Sinne einer 
völligen Unterordnung des Prieſtertums unter das Mönchtum gelöft. 

Solange die Prieſtermönche die Ausnahme bildeten und in ihrer Tätig⸗ 
keit im wefentlichen auf die Seelſorge der klöſterlichen Semeinſchaft 
beſchränkt blieben, ſolange konnte dieſe praktiſche Löfung vielleicht 
genügen. ge mehr aber die Zahl der Prieſter über die Bedürfniſſe des 
Rlofters ſelbſt hinausging und je mehr infolgedeſſen prieſterliche Tätig⸗ 
keit nach außen in den Wirkungsbereich des kloſters aufgenommen 
wurde, um fo mehr mußte es ſich zeigen, daß dieſe praktiſche böſung 
eine Reihe ſtrittiger Fragen in ſich ſchließt. M eine ſolche Unterordnung 
des Prieftertums unter das Mönchtum grundſätzlich berechtigt? Er— 
ſcheint dabei das Prieſtertum nicht faſt als eine bloß äußere Zutat 
zum Mönchtum? Müßte nicht viel eher das monaſtiſche Meal, To 


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hoch man es auch ſtellen mag, vor der alles überragenden und von 
Bott ſelbſt verliehenen Würde des Prieſtertums zurücktreten? Aann 
insbeſondere die ſeelſorgliche Betätigung grundſätzlich an den Willen 
eines Obern gebunden ſein, der vielleicht ſelber gar nicht Prieſter iſt, 
oder gilt nicht vielmehr der Satz, daß vor allem die Seelen gerettet 
werden müſſen: »salus animarum suprema lex«? Ift ſchließlich über- 
haupt eine über die ſeelſorglichen Bedürfniſſe der klöſterlichen Gemeinde 
hinausgehende Dereinigung zwiſchen Prieftertum und Mönchtum mög: 
lich, oder muß bei einer folchen Derbindung notwendig das eine oder 
das andere deal abgeſchwächt werden? 

Es hat Zeiten gegeben, in denen man dem Mönchtum jede Berech⸗ 
tigung zu prieſterlicher Seelſorgsarbeit abſprach, ja die Mönche für 
„unwürdig des prieſterlichen Amtes“ erklärte !. Dieſe Anficht iſt freilich 
längſt widerlegt durch eine mehr als tauſend jährige, von der Kirche 
ſelbſt anerkannte Verbindung von Prieftertum und Mönchtum und ein 
ebenſo langes, überaus fruchtbares ſeelſorgliches Wirken von Priefter- 
mönchen. Es gab andere Zeiten, in denen man den Mönchen zurief: 
„heraus aus euren Chorftallen! Treibt mehr Seelſorgsarbeit!“ Solchem 
Drängen gegenüber drohte das monaſtiſche Ideal den ſelbſtändigen 
Wert, den es doch ſicher hat, zu verlieren und zu einem bloßen Mittel 
der Seelforge zu werden. Die Löfung all dieſer Fragen iſt nicht nur 
für den einzelnen Prieſtermönch und fein prieſterliches Wirken von 
höchſter Bedeutung, ſondern ſie iſt auch entſcheidend für die Frage, 
worauf ein Priefterorden als Ganzes fein Hauptaugenmerk zu richten 
hat, auf die Derwirklichung des monaſtiſchen Jdeals oder auf äußere 
priefterliche Betätigung. 

Um nun das richtige Derhältnis zwiſchen Prieſtertum und Mönchtum 
zu erkennen, müſſen wir uns über den weſentlichen Inhalt und die 
eigentliche Aufgabe der beiden Berufskreife klar fein. Das Weſen 
des Mönchtums iſt als reſtloſe hingabe an Gott eindeutig genug be⸗ 
fimmt.. Der Inhalt und die Aufgabe des Prieftertums kann wohl 
dahin zuſammengefaßt werden, daß es die Fortſetzung des Hohen⸗ 
prieſterrums Chriſti ift nach dem Wort des Beilands: „Wie mich der 
bater geſandt hat, fo ſende ich euch“ (Joh. 20, 21). Dieſes Prieſtertum 
chriſti iſt aber fo umfaſſend, daß nur der Gottmenſch geſus Chriftus 
ſeloſt als der Hoheprieſter deſſen ganzen Reichtum nach allen feinen 
Seiten hin verwirklichen konnte. Die einzelnen Nachfolger Chriſti, die 


cap. 25 Sunt nonulli C. 16 qu. 1; fälſchlich Bonifaz IV. zugeſchrieben. — vgl. 
auch die Schriften Ruperts von Deutz: Altercatio monachi et clerici Pl 170, 537, 
Epistola, qua ratione monachorum ordo praecellit ordinem clericorum ebd. 669. 


Benediktiniſche Monatſchriſt VI (1924). 3-4 7 


98 


diefes fein Prieſtertum fortſetzen, werden immer nur die eine oder die 
andere Seite des Prieſtertums Chriſti tatſächlich darſtellen und in be⸗ 
ſonderer Weiſe ausprägen können, ohne indes die anderen ganz aus⸗ 
zuſchließen. Darum gibt es in unſerer Kirche nicht nur verſchiedene 
Grade der prieſterlichen Gewalt, abgeftuft nach der Ordnung der Hier: 
archie, ſondern auch verſchiedene Formen des einen Prieſtertums. Erſt 
in ihrer Seſamtheit bringen dieſe verſchiedenen Grade und Formen 
alle Seiten des Hohenprieftertums Chriſti zum Ausdruck, erft in ihrer 
Seſamtheit ſetzen fie das ganze Prieſtertum Chriſti in feinem über- 
ſtrömenden Reichtum und feiner umfaſſenden Fülle fort. Paulus nennt 
die Prieſter „Diener Chriſti“ (1 for. 4, 1). Der Priefter iſt Diener Chriſti 
im gleichen Sinn wie einft die menſchliche Natur des Hheilands während 
feines Erdenlebens Dienerin, Organ feiner Bottheit war: instrumentum 
divinitatis, wie die heiligen Däter und die Sottesgelehrten fagen. 
Chriſtus aber bediente ſich ſeiner menſchlichen Natur nicht nur, um 
das Wort Gottes zu verkünden und um Gnaden auszuteilen, alfo zu 
unmittelbarer Seelforgstätigkeit; er bediente ſich ihrer vor allem, um 
in ihr ein prieſterliches Opfer zu haben, das er dem Vater darbringen 
könne. Er will auch jetzt nicht bloß den Mund feiner „Diener“ ge⸗ 
brauchen, um zu lehren, ihre hände, um zu fegnen und die Gnaden- 
mittel auszuſpenden; er will ſich ihrer Natur gleich der ſeinigen auch 
bedienen, um fort und fort ein prieſterliches Opfer zu haben und ſo 
„an ihrem Fleiſch zu erſetzen, was an ſeinen Drangſalen mangelt“ 
(Kol. 1, 24). Wenn die Fortſetzung der erſten Aufgabe vor allem dem 
Weltprieſter zufällt, wenn in ihm Chriſtus vor allem als der Seelſorger 
fortleben will, ſollte dann nicht die Derbindung des Prieſtertums mit 
dem Mönchtum, mit jenem Stand der Kirche, deſſen Weſen reſtloſe Hin⸗ 
gabe an Gott, holocaustum für Gott iſt, den Sinn haben, daß im 
Prieſtermönch Chriſtus vor allem ſein prieſterliches Opfer fortſetzen will? 
Wenn dem fo iſt, dann iſt die Derbindung von Mönchtum und Prieſter⸗ 
tum nicht mehr etwas Zufälliges und Hußeres, ſondern wirklich eine 
organiſche Einheit. Der Prieſtermönch ift dann kein Zwitterwefen, er ift 
kein Weltpriefter im Ordensgewand, und das Rlofter ift nicht eine Der- 
einigung von Seelſorgern; das Prieſtertum iſt aber auch keine bloße. 
Zutat zum Mönchtum. Die prieſterliche Gewalt ift feine Weihe, feine 
ktrönung und Vollendung: obedientiae suscipiat coronam, sacer- 
dotalem stolam«, wie Rupert von Deutz fagt!. Das monaſtiſche Geben 
ermöglicht dem Prieſtertum erſt voll und ganz, wie der göttliche Meiſter 


' Com. in Regulam S. Benedicti II, 9. Pl. 170 (1854) 516 D. Siehe auch 
Odilo Wolff, mein Meifter Rupertus. Freiburg 1920. Kap. 15, 187 ff. 


99 


Priefter und Opfer zugleich zu fein: „Sanzopfer” durch die reftlofe 
hingabe feiner ſelbſt in Armut, Reufchheit und Gehorſam. Das Priefter- 
tum hinwiederum gibt dem Opfer des Mönchs zur tieferen Derpflich- 
tung gewiſſermaßen die „Weihe“: es verwandelt das holocaustum des 
Mönds in ein prieſterliches sacrificium mit prieſterlicher Bedeutung 
und Wirkung, zur Fortſetzung des prieſterlichen Selbſtopfers Chriſti. 

In dieſer Auffaffung liegt auch die Löſung all der Fragen, die fi 
aus der Vereinigung von Prieftertum und Mönchtum ergeben haben. 
es iſt wirklich eine Vereinigung zwiſchen beiden möglich, die ſowohl 
dem Prieſterideal, als der Fortſetzung der Sendung Chriſti, wie auch 
dem monaſtiſchen Jdeal, als der reſtloſen hingabe an Gott, gerecht wird. 
Das Prieſtertum wie das Mönchtum verpflichten beide den Priefter- 
mönch zur Erftrebung des einen Zieles: ganz Opfer zu fein in voll» 
kommener Nachfolge Chriſti. Darin liegt die weſentliche Berufsaufgabe 
des Prieſtermönches. Und weil diefes Opfer im Sehorſam gipfelt, 
darum kann der Prieſtermönch jede weitere prieſterliche Tätigkeit, ins⸗ 
befondere jede ſeelſorgliche Betätigung auch nur im Gehorſam gegen 
die Ordensregel und den Willen feines Obern ausüben. Würde er 
über den Sehorſam hinausgehen, fo würde er damit feiner weſent⸗ 
lichen Berufsaufgabe, Opfer zu ſein, untreu werden. Das bedeutet 
keine Unterordnung des Prieſtertums als ſolchem unter das Mönd)- 
tum, ſondern nur die Unterordnung deſſen, was für den Prieſtermönch 
nicht weſentlich iſt, unter das, was das eigentliche Weſen ſeines Be⸗ 
rufes ausmacht. Es hat feinen tiefen Sinn, wenn der Mönch auf 
den Titel feines Profeßgelübdes, in titulum professionis, nicht für den 
Dienft in der Diözeſe, servitii dioeceseos, geweiht wird und wenn 
er am Schluß der Prieſterweihe als Neuprieſter nicht dem weihenden 
Biſchof, ſondern feinem Ordensobern Behorfam gelobt, in deſſen hände 
er bei der Profeß fein „Opfer“ niedergelegt hat. Wenn fo das „Opfer: 
fein” beim Prieſtermönch gegenüber der äußeren prieſterlichen „Tätig⸗ 
keit“ als Weſensaufgabe betrachtet wird, fo bedeutet das keinen Derluft 


' Damit wird aber der Prieſtermönch bei der Ausübung der Seelforge nicht zum 
willenloſen Werkzeug in der hand des Obern, der ſelbſtverſtändlich ſeinerſeits für 
alle feine Befehle und Anoroͤnungen auch in dieſem Punkte verantwortlich iſt. Wenn 
der Obere einem Mönch einmal eine Seelſorgsarbeit zuweiſt, fo überträgt er ihm zu⸗ 
gleich auch die Derantwortung dafür, daß er dieſe Aufgabe nach beftem Können zum 
heil der Seelen ausführt. Dieſe ſelbſtändige Derantwortung hat der Mönch 
unter Umftänden fogar feinem Obern gegenüber zu vertreten, folange dieſer ihn in 
feiner Stellung beläßt, gerade in Kraft des Gehorſams, der ihm befiehlt, feine 
ganze Perſönlichkeit in den Dienſt einer Aufgabe zu ſtellen, die ihrer Natur nach 
ſelbſtändige Ausführung verlangt. 

7 * 


100 


für die Seelſorge. Im Gegenteil: felbft wenn der Prieſtermönch keine 
andere prieſterliche Tätigkeit ausübte, als daß er täglich im heiligen 
Meßopfer fein perſönliches Opfer mit dem prieſterlichen Opfer Chrifti 
vereinigte, ſo würde er doch eine fruchtbare Tätigkeit zum heil der 
Seelen entfalten. Mit Paulus erſetzt er in ſeinem Fleiſch, „was an 
den Drangfalen Chriſti mangelt für feinen Leib, die Kirche“ (Kol. 1, 24). 
Er gibt ſich fo mit Chriftus „für die kirche hin, um fie zu heiligen“ 
(Eph. 5, 26). Wenn aber der Wille Gottes im klöſterlichen Gehorſam 
den Prieſtermönch wirklich zu äußerer prieſterlicher Tätigkeit ruft, dann 
wird er um ſo ſegensreicher und nachhaltiger wirken, je vollkommener 
er ſeine eigentliche Weſensaufgabe, mit Chriſtus Opfer zu ſein, vorher 
ſchon verwirklicht hat und auch während ſeiner äußeren Tätigkeit ver⸗ 
wirklicht. Die Geſchichte aller Orden, nicht zuletzt des Benediktiner⸗ 
ordens beweiſt das. Einer erhöhten apoſtoliſchen Wirkſamkeit nach 
außen ging immer voraus eine Erneuerung des inneren Lebens, eine 
erhöhte Pflege der hauptaufgabe: Opfer zu ſein. Wenn aber über der 
äußeren Arbeit das Weſentliche des Mönchsberufes vergeſſen wurde, 
ging bald auch wieder die äußere Wirkſamkeit zurück. Im prieſter⸗ 
lichen beben Chriſti ſelber dürfen wir eine Beſtätigung dieſer Gedanken 
ſehen. Seine „ſeelſorgliche“ Tätigkeit war auch beſchränkt durch den 
Willen des Vaters, durch das Opfer, das der Sehorſam gegen dieſen 
von ihm verlangte. Nur drei gahre ſeines Erdenlebens galten der 
unmittelbaren Seelſorgstätigkeit. Er kann nicht wirken, wie er will, 
ſo ſehr ſein herz von Eifer für das heil der Seelen glüht, ſondern 
er muß warten bis „feine Stunde gekommen iſt“ (Joh. 2, 4). Er iſt „nur 
zu den verlorenen Schafen des hauſes Ifrael geſandt“ (Mt. 15, 24), 
nicht zu den Heiden, obwohl ſich ihm hier ein viel fruchtbareres Acker: 
feld dargeboten hätte. Wie ſchlugen ihm in Samaria alle Herzen ent: 
gegen! Aber er durfte nur zwei Tage bleiben. War es ein Derluft für 
die Seelſorge oder hat nicht gerade dieſes ſein „Opfer“ die Seelſorgsarbeit 
der anderen befruchtet? „Bewahrheitet ſich hier nicht das Wort: „Der 
eine ſät, der andere erntet“? Ich fandte euch aus zu ernten, wo ihr nicht 
gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr ſeid in ihre Arbeit ein⸗ 
getreten“ (Joh. 4, 37 f.). Die Art, in der der hl. Benedikt das Derhältnis 
von Prieſtertum und Mönchtum beſtimmt hat, enthält ſomit die einzig 
richtige böſung. Das Prieſtertum entbindet den Mönch nicht vom klö⸗ 
ſterlichen Gehorſam und von der Regel, ſondern verpflichtet ihn noch 
mehr dazu. Als Prieſter muß er erſt recht „Sanzopfer“ fein, muß er 
wiſſen, daß er ſich fortan weit mehr der klöſterlichen Zucht zu unterſtellen 
hat: sciens se multo magis disciplinae regulari subdendum (fßtap. 62). 


101 


Wenn nun auch in diefer Weiſe Priefterideal und monaſtiſches Ideal 
fi wirklich organiſch und harmoniſch verbinden zur beſonderen Berufs⸗ 
aufgabe des Prieſtermönchs, Sanzopfer zu fein, fo bleibt doch die Tat⸗ 
ſache beſtehen, daß der Benediktinerorden urſprünglich eine Laien⸗ 
gemeinſchaft war und nach der Abſicht des Stifters auch ſein ſollte. 
Bedeutet nun die Entwicklung des Ordens zur einer ausſchließlichen 
prieſtergemeinſchaft keinen Gegenſatz wenigſtens zu der beſonderen 
Form, in der ſich nach der Wee des hl. Benedikt das monaſtiſche Ideal 
in feiner Stiftung verwirklichen follte? IM nicht dadurch dieſe feine 
Stiftung etwas weſentlich anderes geworden? Jſt insbeſondere die 
ausgedehnte prieſterliche Hußenarbeit fo vieler kilöſter noch mit der 
Regel des hl. Benedikt vereinbar oder muß, um dieſe Tätigkeit aus⸗ 
üben zu können, der urſprüngliche Sinn dieſer Regel umgedeutet und 
ihr weſentlicher Gehalt aufgegeben werden? 

etwas Neues war die Umwandlung in eine prieſtergemeinſchaft 
fiherlih. Aber fie bedeutete keinen Verzicht auf St. Benedikts Ideal, 
ſondern nur deſſen Weiterführung und Vollendung. Ruch ohne äußere 
Anläffe wie etwa den Prieftermangel zur Zeit Gregors des Großen, 
der den Papſt zur Weihe von Mönchen ſchreiten ließ, wäre ſie wohl 
gekommen. Das Prieſtertum gibt nämlich nicht nur dem Mönchsideal 
im allgemeinen, d. h. der reſtloſen hingabe an Gott, feine Weihe und 
Erfüllung, es bedeutet gerade für die beſondere Eigenart, in der dieſes 
Neal in der Stiftung des hl. Benedikt verwirklicht werden ſoll, die 
&rönung und Vollendung. 

das Benediktinerkloſter iſt feiner Idee nach eine Familie, eine Ge⸗ 
meinſchaft, die jenes vollkommene Einsfein, um das der heiland in 
einem hohenprieſterlichen Gebet (Joh. 17, 23) fo innig gefleht hat, voll 
und ganz verwirklicht, eine Gemeinfchaft, bei der die Hingabe an Bott 
durch den klöſterlichen Gehorſam in der Hhingabe und brüderlichen Liebe 
der Glieder der Gemeinſchaft untereinander ihre ſchönſte Auswirkung 
und Beſtätigung findet.! Daß das bloße theologiſche Studium eine 
diel tiefere Erfaſſung dieſes Bemeinfchaftsgedankens ermöglicht, ſoll 
nur angedeutet werden. Welche Erkenntniſſe vom Weſen und Zweck 
aller Gemeinſchaft auf Erden tun ſich auf, wenn wir eindringen in das 
Beheimnis der Gemeinſchaft der drei göttlichen Perſonen in der Trinität, 
in das Geheimnis der Dereinigung Bottes mit dem Menſchen in Chriftus, 
in Gnade und Glorie, in das Geheimnis der „Semeinſchaft der hei⸗ 
ligen!“? Dieſes Semeinſchaftsideal kann eine Prieſtergenoſſenſchaft ſchon 


gl. Heilige Regel Rap. 72. Dgl. den Auffag: Der Einheitsgedanke im kirchlichen 
beben der jenem: und Ofterzeit (diefes Heft). 


102 


deshalb viel vollkommener verwirklichen, weil fie der Euchariftie, dem 
Urquell aller kirchlichen Einheit am nächſten ſteht. „Die Eudyariftie 
iſt das Sakrament der Einheit der Kirche, da es Chriſtus enthält, in 
dem die ganze Kirche geeint und gefeſtigt iſt; daher iſt die Eudhariftie 
gewiſſermaßen Urſprung und Band der Liebe!“. Die Euchariftie iſt die 
tiefſte Quelle der keuſchen Bruderminne, der caritas fraternitatis casta, 
mit der die Mönche ſich gegenſeitig lieben und der lautern, ehrfürchtigen 
Liebe zum Obern, der sincera et humilis caritas, mit der fie ihrem 
Vater begegnen ſollen. Durch das Gemeinſchaftsopfer mit der Aom- 
munion und durch das damit weſentlich verbundene Gemeinſchafts⸗ 
gebet, durch den Vollzug der Liturgie alſo, werden die Glieder der 
klöſterlichen Gemeinde erſt eine Familie von Brüdern im Dollfinn des 
Wortes, fie werden blutsverwandt durch das von allen genoffene Blut 
Chrifti, fie werden ein Leib, unum corpus, geeint unter einem haupt, 
nämlich Chriftus und feinem Stellvertreter, dem Abt, qui Christi agere 
vices in monasterio creditur (Regel ap. 2). Das „Derharren im Gebet 
und in der Gemeinſchaft des Brotbrechens“ macht, daß alle Glieder der 
klöfterlichen Familie gleich den erſten Chriften „ein herz und eine Seele“ 
(Hpoſtg. 4, 32) find. Zu dieſer engen Derbindung mit dem wirklichen 
beib Chrifti in der Euchariftie kommt noch, daß eine Semeinſchaft von 
Prieſtern viel tiefer eingegliedert iſt in den Organismus ſeines muſti⸗ 
ſchen Leibes, in den Organismus der ktirche. Das Prieſtertum iſt gleich⸗ 
fam das Herz der Kirche, das herz des muſtiſchen Leibes Chriſti. Durch 
die prieſterliche Weihe haben die Glieder der klöſterlichen Semeinſchaft 
am Lebensprinzip der kirche, dem hl. Geift, dem Geift der Liebe und 
der Einigung den unmittelbarſten Anteil. Das Leben der klöſterlichen 
Semeinſchaft wird ein beben ganz in und mit der Kirche, der Gemein: 
ſchaft der heiligen auf Erden. Das Rlofter wird ſelber eine Gemein: 
ſchaft der Heiligen, eine Kirche im kleinen, eine lebendige Zelle im 
großen muſtiſchen Organismus, die, wenn ſich ihre Gebenskraft voll 
entfalten kann, nun nicht mehr bloß das Leben des Leibes der Kirche 
in ſich aufnimmt, ſondern felber wieder Quelle neuen Lebens wird zum 
Wachstum des ganzen Leibes der kirche. Wenn die kirche den kflö⸗ 
ſtern, nachdem ſie einmal zu Prieſtergemeinſchaften geworden waren, 
die Exemtion verlieh, fo war das nicht etwas Außeres und Zufälliges, 
ſondern es entſprach dem Weſen der benediktiniſchen Familiengemein⸗ 
(haft. Durch die Exemtion iſt der Abt eine hierarchiſche, mit einer Art 


St. Thomas ſagt irgendwo: Eucharistia est sacramentum ecclesiasticae 
unionis, continens illum in quo tota ecclesia unitur et consolidatur seil. Chri- 
stum; unde Eucharistia est quasi quaedam caritatis origo et vinculum. 


103 


biſchöflicher Rechtsgewalt ausgeſtattete Perfönlichkeit: der Ordinarius 
feines Blofters, das mit ihm in etwa eine Diözeſe bildet. Erſt wenn 
ſo der Abt auch die volle prieſterliche Gewalt über feine Rinder hat, 
kann ſich das benediktiniſche Meal einer Familie, das die Kirche ja 
ſchon längſt anerkannt hatte, ehe es ſich mit dem Prieſtertum verband, 
das Ideal einer Opfergemeinſchaft von Brüdern unter einem Vater mit 
väterlicher Dollgewalt ganz entfalten zum Heil der ganzen Kirche. 

50 hat die Derbindung von Prieftertum und Mönchtum in unſerem 
Orden dem Jdeal des hl. Benedikt keinen Eintrag getan, ihm vielmehr 
erſt feine kkrönung und Vollendung gegeben. Sie hat unferen Orden 
auch zu einer umfaſſenden prieſterlichen Außentätigkeit, zur Seelſorge 
im weiteſten Sinn geführt. Es lag ja auch gerade in feiner Eigenart 
ſo viel feelforgliche Araft, daß er ganz von ſelber zum apoſtoliſchen 
Wirken kommen mußte. Der hl. Benedikt hat ſeiner Stiftung keine 
beſtimmte Außentätigkeit als Lebenszweck gegeben; jede Tätigkeit, 
auch die Seelſorge, ift dem Benediktiner angemeſſen, foweit fie ſich — 
und das iſt die Grenze, die nicht überſchritten werden kann, — im Rah- 
men der benediktiniſchen Familiengemeinſchaft ausüben läßt. Darum 
muß jede Tätigkeit, auch eine prieſterlich⸗ſeelſorgliche, die den Mönch 
für dauernd aus dieſer Gemeinſchaft herausreißen würde oder doch für 
fo lange Zeit, daß er feiner Zemeinſchaft entfremdet werden müßte, 
aus dem Wirkungsbereich unſeres Ordens ausgeſchloſſen und anders 
gearteten Derbänden überlaſſen werden!. Dafür gibt es aber auch 
feelforgliche Betätigungen, die nicht nur keine Hemmung erfahren 
durch die ſtrenge monaſtiſche Semeinſchaft eines Benediktinerkloſters, 
ſondern zu deren Ausübung gerade De Semeinſchaftsideal ganz 
beſonders befähigt. 

Solch eine „benediktiniſche“ Seelſorgstätigkeit, wenn ich fo Jagen 
darf, ift einmal die Jugenderziehung. Der Orden hat fie nicht ohne 
Grund von feinen erſten Anfängen an, noch zu Lebzeiten feines Stifters, 
gepflegt. Die naturgemäßeſte Erziehung iſt an ſich die in einem idealen 
Elternhaus, in einer idealen Familie. Aller Erziehung außerhalb des 
Eiternhaufes fehlt etwas, was ihr eben nur die Familie geben kann. 


' Wenigftens gilt dies für das Ganze des Kloſters. Wie weit unter befonderen 
Umſtänden einzelne Mönche für beſondere Miſſtonen äußerlich und örtlich aus 
dem Familienbande im Gehorfam heraustreten können, zeigt u. a. das Beiſpiel der 
heiligen Miffionäre, eines hl. Bonifatius und anderer, denen niemand den echt klöſter⸗ 
lichen Sinn abſprechen wird. Dieſer offenbart ſich übrigens nicht zuletzt darin, daß 
fie immerwährend bemüht find, den Fuſammenhang mit dem Kloſter, aus dem fie 
ausgegangen, zu wahren und ſich und anderen, wo fie hinkommen, eine Rlöfter- 


liche heimat zu ſchaffen. 


104 


Wenn aber überhaupt irgendwo außerhalb der natürlichen Familie 
und des Elternhauſes, dann kann die Familienerziehung wohl von 
ſolchen erſetzt werden, die ſelber in einer ſo lebendigen Familien⸗ 
gemeinſchaft ſtehen wie die Glieder eines Benediktinerkloſters. ge 
mehr der Benediktiner vom Jdeal feines Ordens erfüllt iſt, je mehr 
er die Derwirklichung dieſes Jdeals in feiner eigenen Kloſter familie 
erlebt, umſo mehr wird er als Erzieher zwiſchen ſich und den ihm 
Anvertrauten ein Verhältnis väterlich⸗dienender auf der einen und 
kindlich⸗ergebener Liebe auf der anderen Seite herzuſtellen willen, das 
ein Abbild jener Semeinſchaft iſt, in der Abt und Brüder im Rlofter 
miteinander verbunden find. Der Geift der Ordensgemeinde, der „Beilt 
der Rindſchaft“ ſtrömt über auf die der Ordensgemeinde Anvertrauten, 
fo daß dieſe gleichſam eine Erweiterung der Kloſterfamilie darſtellen 
und ſich im Schatten des heiligtums wirklich als kinder wie zu 
Baufe fühlen können. 

neben der gugenderziehung hat der Benediktinerorden ebenfalls von 
Anfang an eigentliche Seelſorge ausgeübt im weiteſten Sinn und in den 
verſchiedenſten Formen direkter und indirekter Seelſorge. Auch diefe 
Seelforgsarbeit erhält wie die Erziehungstätigkeit durch den Geiſt des 
Ordens einen eigenen Charakter. Sie iſt „benediktiniſche“ Seelſorge, 
d. h. Seelſorge aus der benediktiniſchen Semeinſchaft heraus. Das 
kirchliche Recht nennt Pfarreien, die irgend einem Klofter angegliedert 
find, „inkorporiert“. Die benediktiniſche Seelſorge kann dieſes Wort 
in ſeinem vollen und tiefen Sinn nehmen: ſie betrachtet die Pfarrei 
als wirklich dem kloſter „einverleibt“. Die Pfarrgemeinde ift wie die 
zur Erziehung übergebene Jugend gleichſam nur eine Fortſetzung der 
klöſterlichen Semeinſchaft, eine Erweiterung des klöſterlichen Orga⸗ 
nismus. Und das ideale Ziel dieſer Seelſorge iſt: im Gemeinſchaftsgeiſt 
des Kloſters, im warmen Hauch einigender brüderlicher Liebe kiloſter 
und Pfarrei zu einer Einheit, zu „einem muſtiſchen Leib“ zuſammenzu⸗ 
ſchließen. Die Pfarrgemeinde ſoll wirklich ans kiloſter gefeſſelt werden, 
fie ſoll im &lofter einen herd des religiöfen und weiterhin des geiſtigen 
und kulturellen bebens überhaupt finden. Das kloſter ſoll gleichſam 
ein „Heim“ werden für die Pfarrkinder und nicht nur für dieſe, ſondern 
ſchließlich für alle, die ein heim ſuchen und brauchen, für alle müden 
Seelen, für alle Bedrängten und Notleidenden, eine Stätte, die das 
Wort Pax=-Friede! nicht nur als Wahlſpruch über dem Eingang trägt, 
ſondern die auch ein Born des Friedens iſt für alle, die ſich nach dem 
Frieden ſehnen. Der Familiengeiſt, der in dieſem Mittelpunkt der 
Pfarrgemeinde lebendig iſt, ſucht vor allem die Familien der Pfarrei 


105 


zu durchdringen und in ihnen Seiſt von feinem Geiſt zu erzeugen und 
ein echt chriſtliches Familienleben, ein Gemeinſchaftsleben im Geiſte der 
Botteskindfchaft zu wecken. Die Erneuerung der Familien gilt als eine 
der wichtigſten Aufgaben der modernen Seelſorge. Der Orden, der ganz 
auf dem Gedanken der Familie aufgebaut iſt, in dem jedes einzelne 
kiloſter eine Familie bildet mit all dem Glück und all der Innigkeit, 
aber auch mit all den Schwierigkeiten einer wirklichen Familie, muß hier 


wohl beſonders fruchtbar wirken können. Weil Kloſter und Pfarrei 


fo eng miteinander verwachſen find, daß fie einen Leib bilden, darum 


hängt eigentlich das Sedeihen der Pfarrei, die kraft des religiöſen 


bebens in ihr ab von dem Geiſt, der im ganzen Rlofter herrſcht. Die 
benediktiniſche Seelſorge iſt darum auch in dem Sinn „Gemeinſchafts⸗ 
ſeelſorge“, daß jeder Mönch, nicht nur der, der unmittelbar in der 
deelſorge beſchäftigt iſt, mit der dem kloſter „einverleibten“ Pfarrei 
mitleben, ſich für den Erfolg der Seelſorgsarbeit mit verantwortlich fühlen 
und durch fein Beten und Opfern, durch ein Leben im Geiſte des Ordens 
ihr Wachstum und Gedeihen fördern muß; eine Tatſache, die den ein⸗ 
zelnen ebenſo beglücken kann wie fie ernſt zugleich iſt. 

es iſt übrigens nicht notwendig, daß dem Kloſter eine Pfarrei im 
kirhenrechtlichen Sinn angegliedert iſt. Es kann auch ohne alle recht⸗ 
lichen Befugniſſe benediktiniſche Gemeinſchaftsſeelſorge in der entwickel⸗ 
ten Art ausüben auf viel weitere Strecken als die renzen einer Pfarrei 
je reihen können; es kann ſich eine geiſtige Gemeinde angliedern 
und für fie Mittelpunkt und heimat fein, eine geiſtige Gemeinde, die 
ihr emeinſchaftsleben mitlebt, vor allem durch die Teilnahme an ihrem 
Bemeinfchaftsgebet und ihrem Gemeinſchaftsopfer. In ſolchem Beift 
haben die Söhne des hl. Benediktus auch ſeit mehr als einem gahr⸗ 
tauſend ſo ſegensreich „benediktiniſche Miſſion“ geübt: ſie ſtellten wie 
hochragende Burgen ihre Klöſter ins Land hinein als Stätten des 
Bebetes und des Opfers und heiliger Bruderliebe, als Brennpunkte 
des religiöſen und kulturellen Lebens für die nähere und weitere 
Umgebung, als Araftzentren, die alles an ſich zogen und alles mit 
ihrem Überſchuß an Lebenskraft bereicherten. Auch heute arbeitet 
denediktiniſche Miſſion in diefem Sinn. Erſt dort iſt die eigentliche 
Miſſtons arbeit abgeſchloſſen und ihr erfolg geſichert und erſt dort die 
apoſtoliſche kraft, die in unſerm Orden liegt, voll ausgenützt, wo 
inmitten des neugewonnenen Gebietes lebens kräftige klöſterliche Ge- 
meinſchaften erſtanden ſind, aus denen nun fort und fort wie aus 
einer nie verſiegenden Quelle der Seiſt der Sotteskindſchaft ausſtrömt 
auf alle, die im Bannkreis einer ſolchen Gemeinſchaft leben. 


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106 


Benediktiniſche Seelforge hat noch eine Eigenart, die mit der eben 
entwickelten zuſammenhängt und die aus dem anderen Gelübde ent⸗ | 
ſpringt, das neben dem der „Stetigkeit“, stabilitas, der benediktiniſchen 
Drofeß eigentümlich iſt, aus dem Gelübde des „neuen Lebenswandels“, 
der con versio morum. Die Sache bezeichnet zwar im Grunde das Ziel 
aller Orden, ja aller Chriften, den Mönch aber verpflichtet das Belübde 
zu befonderer unabläffiger Einkehr in fi ſelbſt. Dadurch ward jene 
Atmoſphäre des Friedens, der Ruhe und der Innerlichkeit geſchaffen, in 
der das benediktiniſche Familienideal ſich erſt voll entfalten konnte. 
Dieſe geiſtige Stimmung wirkt auch in der Außenarbeit, auch in der 
ſeelſorglichen Tätigkeit des Benediktiners nach. Sein Arbeitsgebiet ift 
nicht großartige Organiſation auf den verſchiedenen Gebieten des kirch⸗ 
lichen Lebens, nicht machtvolles Auftreten nach außen, auch nicht 
Abwehr und ftampf. Sein Wirken iſt im allgemeinen ſtiller und 
geräuſchloſer, daher oft auch weniger beachtet und geſchätzt. Er be⸗ 
vorzugt die Seelſorgsarbeiten, die dem Geift der Innerlichkeit mehr 
entſprechen, die gleichſam als die Fortſetzung feines Innenlebens nach 
außen erſcheinen können. Das Gelübde der Sittenbekehrung ver⸗ 
pflichtet ihn zu unermüdlicher Arbeit an ſeiner eigenen Seele, an 
der Verinnerlichung und Dertiefung feines eigenen religiöfen Lebens. 
Darum liebt er mehr die ſtille Seelſorge für die Einzelſeele in und 
außerhalb des Beichtſtuhles. Er widmet ſich mit Vorliebe der Der: 
tiefung und Höherführung des religiöfen Lebens auch feiner Mit⸗ 
menſchen. Er ſucht ſeine eigene Sehnſucht nach Innerlichkeit in andern 
zu wecken und ihnen die Tiefen jenes Lebens zu erfchließen, das „mit 
Chriftus verborgen iſt in Sott“ (Hol. 3, 3). So rechtfertigt ſich der Wahl⸗ 
ſpruch des Ordens Pax: Friede! auch in feinem ſeelſorglichen Wirken. 

Wenn nicht alles täuſcht, dann geht durch unſere Zeit ein Drang 
nach Derinnerlichung und Vertiefung und ein immer ſtärker werdendes 
Sehnen nach Semeinſchaft unter den Menſchen, vor allem nach reli⸗ 
giöfer Semeinſchaft im Sinn des Urchriſtentums. Benediktiniſche Seel: 
ſorge, die ganz aus dem Geiſte des Ordens flöſſe und die alle in ihr 
ruhenden Kräfte der Innerlichkeit und der Semeinſchaft fruchtbar machte, 
müßte dieſer doppelten Sehnſucht wohl reichſte Erfüllung bringen Rönnen. 


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Karfreitag. 

Bei den Menſchen iſt es meift fo, daß Undank, Verkennung, Mißtrauen, 
Lieblofigkeit ihr Herz verhärten und verſchließen. Dem Heiland hat all 
dieſes Bittere das herz nur noch mehr geöffnet, ſo weit geöffnet, 
daß der letzte Blutstropfen daraus floß als Opfer der Liebe. 


107 
Vom Sinn des Mönchtums. 


Don P. Hotker Würmſeer (Schäftlarn). 


as Mönchtum hat viele Gegner, die es für finnlos, ja widerſinnig 
halten und ihm deshalb ſeine Berechtigung abſprechen möchten. 
Und doch könnte ſchon ein Blick in die Religionsgeſchichte [re eines 
anderen belehren. Das Mönchtum iſt wohl keinem Stadium der reli⸗ 
giöfen Entwicklung der Menſchheit völlig fremd; es iſt ſtets in irgend 
einer wenn auch primitiver oder verzerrter Form zu finden, wo immer 
religiöfes Semeinſchaftsleben herrſcht. Dieſe Tatſache wird kaum anders 
erklärbar fein als durch die Annahme, daß das Mönchtum organiſch 
aus der lebendigen Gemeinſchaftsreligion herauswächſt und ſonach mit 
dieſer in der menſchlichen Natur ſelbſt wurzelt. Damit iſt aber von 
vornherein deſſen Sinn und Dafeinsrecht gegeben: denn die Natur, ſagt 
Ariftoteles, tut nichts umſonſt, nichts ſinnlos. Die Frage iſt nur: worin 
beſteht denn dieſer Sinn des Mönchtums? Was will die religiöfe Natur 
der Menſchheit — und damit Gott, der ja hinter der Natur ſteht, — wenn 
ſie das Mönchtum aus ihrem Schoße hervortreibt? So geſtellt, ſchließt 
die Frage wohl ſelbſt ſchon jede Antwort als zu eng aus, die im 
Möndtum nur einen Stand zur heiligung des Einzelnen fieht. Der 
tieffte Sinn des Mönchtums kann mit dieſer Anſicht nicht wohl ge⸗ 
troffen ſein; ja wer weiß, ob ſich auf dieſem Standpunkt die Berech⸗ 
tigung des Mönchtums überhaupt halten läßt; denn wenn die Armut 
und Keuſchheit für den einzelnen nur Rat, alſo nicht notwendig find, 
um die gottgewollte Vollkommenheit zu erreichen, darf er ſich dann 
grundſätzlich der Zeugung und Erzeugung, der Produktion von beben 
und bebensgutern, worauf die Geſellſchaft doch Anſpruch erheben kann, 
entziehen? Wir meinen, wenn das Mönchtum nicht in einer ſittlichen 
Pflicht gründet, die der Geſellſchaft aus ihrer religiöfen Natur heraus 
zukommt, dann darf der Einzelne jenen Anſpruch der Geſellſchaft nicht 
ohne weiteres beiſeite ſetzen und Wege gehen, die er gar nicht zu gehen 
braucht, um fein Heil zu erreichen. Aber was ſoll das für eine Gemein⸗ 
ſchaftspflicht ſein, in der das Mönchtum gründet und kraft der die 
Seſellſchaft das Mönchtum nicht bloß als berechtigt anerkennen, ſon⸗ 
dern fogar als gottgewollt hegen und pflegen muß? In der Antwort 
auf dieſe Frage muß der Sinn des Mönchtums liegen; denn die Pflicht 
iſt Gottes Wille, und was Bott will, iſt der Sinn alles Seins. 
Die religiöfe Natur des Menſchen, d. h. die mit der Schöpfung ge⸗ 
gebene Hinordnung der menſchlichen Natur auf Bott als ihr Endziel 
fordert die vollkommene Liebeshingabe des Menſchen an Bott. Dieſe 


108 


Hingabe wird dem Willen Gottes gemäß ſumboliſch im Opfer zum 
Ausdruck gebracht. Darum iſt das Opfer bei allen Völkern und zu 
allen Zeiten, auch im Chriſtentum der höhepunkt der religiöfen Betä- 
tigung. Weil aber die Menſchen eine Gemeinfchaft bilden, die mehr 
“iR als die Summe aller Individuen, fo genügt es nicht, wenn alle 
menſchen einzeln ihre Hingabe an Kott im Opfer betätigen, ſondern 
es muß auch die Menſchheit als Gemeinſchaft, als Banzes, ein 8emein⸗ 
ſchaftsopfer Bott darbringen. Der einzelne Menſch nun kann feine Bin= 
gabe nur unvollkommen durch ein Sachopfer zum Ausdruck bringen, 
dadurch, daß er auf ein But verzichtet, um es Bott ausſchließlich zur 
Verfügung zu ſtellen. Die Menſchheit als Sanzes dagegen hat die 
Möglichkeit, Gott ein weit vollkommeneres Symbol ihrer hingabe 
darzubringen, indem fie auf den Gemeinſchaftsdienſt einzelner ihrer 
Glieder, insbeſondere auf deren Mitwirkung an der Zeugung und Er: 
zeugung verzichtet, ſie damit ausſondert und ausſchließlich für den 
unmittelbaren Dienft Gottes beſtimmt. Die Menſchen, die auf dieſe 
Weiſe durch vollkommene Armut und Keuſchheit von den übrigen 
menſchen ausgeſchieden und ganz ausſchließlich Gottes Eigentum ge: 
worden find, find das Gemeinſchaftsopfer, zu dem die Menſchheit als 
Ganzes verpflichtet iſt, ein wirkliches „Menſchenopfer“, aber „im Geiſt 
und in der Wahrheit“, nicht in der Überſpannung und Verzerrung, 
in der das dunkle Bewußtſein dieſer Opferpflicht durch die Blutopfer der 
Beiden feinen Ausdruck gefunden hat. Daß nur ein „Menſchenopfer“ der 
Opferpflicht der Menfchheit genügen kann, dafür iſt das ſicherſte Zeichen 
das Opfer Chriſti. Es liegt nun allerdings in der Natur diefes „Menſchen⸗ 
opfers“, daß es nicht ohne weiteres von der Gemeinſchaft dargebracht 
werden kann. Der einzelne hat ja ebenſo ein Recht auf die Gemeinſchaft 
wie die Gemeinfchaft auf ihn. Wenn darum auch die Gemeinſchaft als 
ſolche zu dieſem Gemeinſchaftsopfer verpflichtet iſt und alle Einzelglieder 
wohl in irgend einer Weiſe dabei mitwirken müſſen, fo kann doch 
daraus weder ein Recht der Bemeinfchaft abgeleitet werden, irgend 
eines ihrer Glieder gegen feinen Willen zu dieſem ſtellvertretenden 
Gemeinſchaftsopfer zu beſtimmen, noch eine Pflicht für einen einzelnen 
menſchen, gerade ſich zu dieſem Opfer zu machen und ſich für die Be- 
meinſchaft hinzugeben. Für den einzelnen kann das immer nur Sache 
der perſönlichen Freiheit fein, keine Pflicht, ſondern nur ein „Nat“. Die 
Bemeinfchaft kann nur — und muß es auch kraft ihrer Opferpflicht — 
durch Steigerung des religiöfen Semeinſchaftslebens in den einzelnen 
die Liebe zur ausſchließlichen hingabe an den Dienſt Gottes wecken und 
durch offenes und tatkräftiges Wohlwollen gegen die ſich Opfernden 


109 


deren Entſchluß erleichtern und fördern. Wenn freilich einmal Glieder 
der Gemeinſchaft unter deren Mitwirkung das ſtellvertretende Opfer 
für die 6emeinſchaft übernommen haben, dann hat die Gemeinſchaft 
auch einen Anſpruch darauf, daß dieſes Opfer tatſächlich ſei, was es 
fein ſoll: ein wirkliches Husgeſchiedenſein aus der Gemeinſchaft unter 
wechſelſeitigem Verzicht auf das, was naturgemäß an die Gemeinſchaft 
bindet: Zeugung und Erzeugung, eine „ausſchließliche Hingabe des 
ganzen Lebens an den unmittelbaren Dienft Gottes, ein wirkliches 
holocaustum, ein „Sanzopfer““. 50 ergibt ſich denn als die gott: 
gewollte Aufgabe des Mönchtums, die Opferpflicht der Menſchheit als 
Bemeinfhaft zu erfüllen. Der Sinn des Mönchtums ift Welt⸗ 
opfer zu ſein, Opfer im Namen der Welt und für die Welt mit all 
den Zwecken, die das Opfer überhaupt hat: dem Zweck des Lobes 
Bottes und der Dankfagung für die Gnaden der Welt, der Bitte für 
die Welt und vor allem der Sühne. Das letzte Moment prägt dem 
Mönchtum ein beſonderes Merkmal auf: es wird zum Stand der Büßer, 
die ſühnen für die eigenen Sünden, wie für die Schuld der Welt. 
Aus dieſem Sinne des Mönchtums im allgemeinen ergibt ſich jetzt 
von ſelbſt die Aufgabe, die der einzelne Mönch zu erfüllen hat, ergibt 
ſich der Inhalt feines Lebens: er hat die Opferidee in fi) zu verwirk⸗ 
lichen, er ſoll die Opfergabe der Welt ſein. Damit er nun als Opfer 
überhaupt für Gott „annehmbar“ ſei, muß er natürlich die nach dem 
Dachstumsgeſetz der Heiligkeit von ihm zu fordernde Vollkommenheit 
„befigen. Aber das macht ihn eigentlich nicht zum Opfer als ſolchen. 
Die Jdee des Opfers realifiert er erſt damit, daß er einmal feine Nus⸗ 
ſonderung durch Armut und Keuſchheit bis in die tiefſten Gedanken 
hinein fortſetzt, und vor allem dadurch, daß er das „Ausfchließlidy-Bott- 
gehören“, das „Unmittelbar⸗Gott zu eigen fein“ ganz zu verwirklichen 
ſucht. Dazu iſt das Mittel der mönchiſche Gehorſam. Die Eigenart 
dieſes mönchiſchen Opfergehorſams liegt nicht darin, daß er ein „un⸗ 
bedingter“ und allſeitiger Behorfam iſt — in dieſer Weiſe muß doch 
wohl jeder Menſch dem erkannten Willen Gottes gehorchen — ſondern 
vielmehr darin, daß er fo, wie das Opfer ein unmittelbares „Gott⸗zur⸗ 
berfügung⸗ ſtehen“ bedeutet, ein Gehorchen unmittelbaren „Erhorchens“ 
und gerade deshalb auch ein ſofortiges und bedingungloſes Befolgen 
des göttlichen Willens iſt. Dieſe Unmittelbarkeit der Bindung an den 
göttlichen Willen, die notwendig aus dem Sinn des Opfers, das ja 
Bott unmittelbar in die hände gegeben fein ſoll, ſich ergibt, iſt alfo 


St. Thomas. S. th. II II. q. 186 a. 1: Religiosi dicuntur illi, qui se totaliter 
mancipant divino servitio, quasi holocaustum Deo offerentes. 


110 


das Charakteriftiikum des mönchiſchen Sehorſams. Und dieſer Be- 
horſam iſt demnach die Seele, das Weſensprinzip des Mönchtums, 
das, was den Mönch erſt eigentlich zum Opfer werden läßt. Armut 
und kieuſchheit ſondern ihn aus und machen ihn zum Gemeinſchafts⸗ 
opfer, aber nicht zum Opfer als ſolchem; hierin liegt ihre weſentliche 
Bedeutung, nicht etwa bloß darin, daß ſie Hilfsmittel zur Heiligung 
find. Um aber die Mee des mönchiſchen, des unmittelbaren Gehorſams 
voll verwirklichen zu können, wird ſich der einzelne Mönch praktiſch 
einen Stellvertreter Bottes wählen müſſen, dem er feinen unmittelbaren 
Behorfam entgegenbringt. Und damit wächſt die klöſterliche Gemeinſchaft 
organiſch aus der Opferidee hervor. Nach all dem ift die UDollkommen⸗ 
heit des Mönches ſelbſt in keiner Weiſe von der allen gebotenen ver⸗ 
ſchieden, das Beſondere liegt vielmehr darin, daß er auf Grund der 
Opferpflicht der Menſchheit ſich ausſchließlich dem unmittelbaren Dienſt 
Gottes widmet. Allerdings muß ſich für ihn gerade aus feinem Opfer⸗ 
charakter ein neuer Derpflitungsgrund und damit ein neues Motiv 
zum Streben nach Heiligung ergeben. Er hat ſich nicht bloß für ſich, 
ſondern auch für ſeine Mitmenſchen zu heiligen. Und eben deshalb 
iſt es eigentlich auch ganz in der Ordnung, wenn die Welt ein fo 
ſcharfes Auge auf das Tun und Laffen der Mönche hat; vorausgeſetzt 
natürlich, daß ſie das Mönchtum wirklich als ihr Opfer betrachtet. 
Außer den ſogenannten evangeliſchen Räten erſcheint nun immer 
wieder als beſonderes Weſensmerkmal des Standes der Dollkommen- 
heit auch das Gebet. Wie ordnet ſich dies in den Opfergedanken ein? 
Daß Gebet zur perſönlichen Heiligung erforderlich und deshalb doppelt 
notwendig iſt für den Mönch, braucht nicht weiter betont zu werden. 
Damit wäre aber noch keine deutlich ſichtbare Beziehung zum Opfer 
gegeben. Dieſe ergibt ſich voll und ganz erſt aus der Eigenart des 
Mönches als „Menſchenopfer“. Ift er nämlich wirklich eine „vernunft⸗ 
begabte“ Opfergabe, dann kann und darf er nicht ſtumm wie ein bloßes 
Sachopfer in Gottes hände gelegt fein, ſondern muß auch das Geiſtige 
am Opfer zum Ausdruck bringen. Er muß dann, weil gerade die 
Sprache das Zeichen des Geiſtes ift, dem herrgott auch ſagen, daß er 
Opfer iſt und was er als Opfer ſoll; er muß fein Opfergebet — und das 
iſt Gemeinſchaftsgebet — beten, wie auch Chriftus im liturgiſchen Gebet 
der kirche fein Opfergebet als den köſtlichen Wohlgeruch feines Opfers 
vom Altar zum Dater emporſteigen läßt. So ift alſo das Gemeinſchafts⸗ 
gebet des Mönches durchaus keine bloße Zufälligkeit, etwas rein äußer- 
lich Gewordenes. Es iſt tief innerlich mit feiner hingabe als Menſch⸗ 
heitsopfer verbunden und gehört ſonach weſentlich zum Mönchtum. 


111 


as bisher gefagt wurde, war ohne Beziehung zur Übernatur, zum 

Chriftentum, zur Kirche. Es follte eben auch einmal die natürlich⸗ 
religiõſe Derwurzelung des Mönchtums hervorgehoben und dieſes ſo 
tiefer und weiter zu begründen verſucht werden. Aber was bedeutet 
nun die Übernatur für das Mönchtum? Um es kurz zu ſagen: es 
findet darin feine Vollendung, feine Aufnahme und Fruchtbarmachung 
als Opfer. Es findet in der ÜÜbernatur d. h. konkret in der Kirche [eine 
Dollendung; denn wenn es wahr ift, daß der unmittelbare Sehorſam 
das Wefensprinzip des Mönchsopfers iſt, dann iſt es klar, daß dieſes 
erſt im Gehorſam gegen die heilige Rirche!, in der allein unmittelbar 
Bott ſpricht und daher allein unmittelbar Bott gehorcht wird, ſich 
wahrhaft vollenden kann. Dor allem aber wird dieſes Opfer erſt in 
der kirche wirklich für Gott annehmbar, weil es in ihr mit dem Opfer 
Chrifti vereinigt ihm dargebracht wird, um „zu erſetzen, was am Leiden 
chriſti noch fehlt“ (Rol. 1, 24). Und weil nun wirklich annehmbar, nimmt 
auch die kirche an Gottes Statt die Opfergabe der Welt tatſächlich 
an, indem ſie dieſelbe „konſekriert“, heiligt und damit die Opfergabe 
vollends zum sacrificium, zum „Opfer“ macht in einer gewiſſen Ana- 
logie mit dem heiligen Meßopfer, in dem ja auch mit der „Wandlung“ 
die Opfergabe von Bott angenommen wird. Gerade der Vergleich mit 
dem heiligen Meßopfer zeigt endlich auch, wie es eines der wunder⸗ 
ſamſten 8e heimniſſe der göttlichen Liebe iſt, die Gaben, die wir ihm 
ſchenken uns als Gnade wieder zurückzugeben, all unſere Opfer in 
Sakramente zu wandeln und damit fruchtbar zu machen für unſer 
heil. So macht er auch das Mönchsopfer der Welt zu einer Segens⸗ 
quelle für die Menſchheit. Opfer fein bedeutet: in Gottes Hände gelegt 
ſein zu ſeinem unmittelbaren Dienſt. Was Gott mit ihm tut oder es 
tun heißt, iſt ohne Belang für das Opferſein, wenn nur am Opfer und 
durch das Opfer ganz und allein der unmittelbare Wille Gottes ge⸗ 
ſchieht. Nun iſt für uns die ſichtbare Erſcheinung Gottes die heilige 
kirche. Ihre hände find Gottes hände. In ihre hände iſt alſo das 
Möndsopfer gelegt, ihr gehört es ganz und gar, fie kann tun, was 
fie will mit ihrem Opfer. Das ändert am Opfercharakter nichts; denn 
diefer beſteht ja im ausſchließlichen und unmittelbaren Dienſt der 
kirche, d. h. Gottes. Und weil die kirche die Epiphanie Gottes iſt, 
darum tut ſie nun auch mit ihrem Opfer, was Gott tut: ſie gibt es der 
opfernden Menſchheit als Sakrament zurück, d. h. macht das Mönch⸗ 
tum fruchtbar zum heil und Segen der Welt und zwar ſo, wie es 
die Welt gerade braucht; und daher ſtammt die Derfchiedenheit der 


Durch Vermittlung der von ihr approbierten „Regeln“ und Obern. 


112 


einzelnen Arten des Mönchtums. Das Mönchtum iſt eins als Opfer, 
verſchieden als „Sakrament“. 

Was hat nun das benediktiniſche Mönchtum für eine „ſakramentale“ 
Aufgabe? Es kann keine bloße „Jeit“-Hufgabe haben, ſonſt wäre 
es längſt verſchwunden in feiner Eigenart. Es muß dem Ewigen im 

menſchen dienen; und das Ewige in uns iſt „der Beift der kindſchaft 
Gottes“. Dieſen „Geift des Chriſtentums“ in die Welt zu tragen oder 
in den herzen lebendig zu machen iſt wohl die weite Miſſion des 
benediktiniſchen Mönchtums; die Menſchen das „Rindwerden“ lehren 
durch Rede und Beifpiel ift feine umfaſſende Aufgabe. Umfaſſend, denn 
ſo iſt benediktiniſches Mönchtum nichts anderes als die „Schule des 
Chriſtentums“. „Rind fein“ aber lernt man nur an und in der Familie 
und darum die „benediktiniſche Familie“. Die Familienverfaſſung liegt 
alſo in der Aufgabe des benediktiniſchen Mönchtums begründet, aber 
nicht im Weſen des Mönchtums überhaupt. Zum Mönchtum als 
ſolchem gehört nur das Opfer⸗ſein; zum chriſtlichen Mönchtum das 
Opfer- ſein in den göttlichen händen der kirche. Alle religio iſt alfo 
demütige Dienerin der kirche und damit „Magd des Herrn“. 


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Gemeinſchaft. 


10" menſchen lernen zu wenig vom lieben Gott. Sonſt müßten 
wir doch ſchon längſt an der Art, wie er Gemeinſchaft hält mit 
uns, geſehen haben, wie wir Gemeinſchaft halten ſollen mit ihm und 
unſeren Brüdern. 

IM es denn nicht Gottes erſte Tat, wenn er in Gnadengemeinſchaft 
mit uns treten will, daß er uns armſeligen Menſchenkindern ſein Herz 
ausſchüttet, uns feine heimlichſten Seheimniſſe anvertraut, die ver: 
borgenſten Gedanken ſeiner unergründlichen Tiefen offenbart? Freilich 
it es in unſerer Sprache nur wie rührendes Rinderftammeln, ein 
Reden, das wir kaum deuten können. Aber was kann er, der 
Unausſprechliche dafür? 

Wenn aber dem ſo iſt, warum wollen wir dann nicht glauben, daß 
auch unſere Gemeinſchaft mit Bott auf eine betende Herzoffenbarung 
ſich gründen und all unfere Bruderliebe mit einem „Sich⸗aufſchließen“ 
beginnen muß? Und warum wollen wir nicht verſtehen, daß unſere 
erfte Tat das „Beichten“ fein muß, wenn wir würdig zur Gemeinſchaft 
uns kehren wollen? Balbufus. 


&& 3 8 


113 


Rlöfterliher kommunismus. 
Don P. Maurus Xaverius Deindl (Schäftlarn). 


m. dem Feuer einer religiöfen Idee wird in den Tagen der Gegen- 
wart für den Kommunismus Propaganda gemacht. Die Grund- 
forderung dieſer kommuniſtiſchen Propaganda iſt die Beſeitigung des 
Privateigentums; denn im Privateigentum liegt nach kommuniſtiſcher 
behre die letzte Wurzel aller fozialen Derelendung, aller Ausbeutung 
und jeglichen Unheils. Mark meint vom kapital, daß es „von kiopf 
bis Zeh, aus allen Poren, blut⸗ und ſchmutztriefend“ ſei. 

Den gleichen Gedankengang wie dieſe kommuniſtiſche Propaganda 
ſcheint der heilige Ordensvater Benediktus zu verfolgen, wenn er im 
J. Kapitel feiner heiligen Regel vom Privateigentum ſagt: „vor allen 
Dingen“ mũſſe einmal „dieſes Caſter mit der Wurzel aus dem Rlofter 
ausgerottet“ werden, oder wenn er im gleichen kapitel den Sonder⸗ 
deſtz ſogar als „ſchlimmſtes Lafter“ bezeichnet. 

Indeſſen, ſo ſehr ſich der kommunismus von heute und der klöſterliche 
kommunismus nach der Regel des hl. Benediktus zu berühren ſcheinen, 
ſo himmelweit find fie in Wirklichkeit voneinander verfchieden. 

Eine klöfterlihe Bemeinfchaft ift, volkswirtſchaftlich geſprochen, ein 
kommuniftifches Staatsweſen im Rleinen, wo auf Sondereigentum 
grundſätzlich und feierlich verzichtet und unter Leitung der Obern bei⸗ 
fung unb Verbrauch ſtreng geregelt, jedem die Arbeit und jedem die 
erholung auf körperlichem und geiſtigem Gebiet zugeteilt wird. Aber 
feine Entftehung verdankt dieſer klöſterliche kommunismus ſicher nicht 
dem Beſtreben, durch eine neue Wirtſchaftsordnung die menſchliche 
beſellſchaft zu reformieren, ſondern genau im Gegenteil, dem Wunſche, 
der menſchlichen Gefellfhaftsordönung überhaupt zu entweichen, um 
ganz und ungeteilt einem hohen religiöſen Jdeal leben zu können. Der 
klöſterliche kommunismus geht hervor aus der vollen Unbekümmertheit, 
der vollendeten Unabhängigkeit des inneren Menſchen gegenüber den 
äußeren Dingen. Der Urſprung des klöſterlichen ktommunismus iſt 
alſo eine Welt der reinen Innerlichkeit. „Wenn ich nur dich habe, mein 
herr und Gott, was frage ich nach allem andern.“ „Was nützt es dem 
Menfhen, wenn er die ganze Welt gewinnt, wenn er aber Schaden 
leidet an ſeiner Seele“ (Mt. 16, 26). 

gat ſomit der klöſterliche ktommunismus feine Wurzeln in einer 
Rundſätzlichen Abkehr von der Welt, ſo verdankt hingegen der weltliche 
Kommunismus von heute ſeine Entſtehung einer grundſätzlichen Welt⸗ 
verbefferung und Weltumgeſtaltung. „kommunismus“, heißt es in einer 

Bewediktinifche Monatſchrin VI (1924) 3—4. 8 


114 


Programmſchrift, „ift eine Jdee, wie fie herrlicher und größer feit dem 
Chriftentum nicht wieder gedacht worden iſt, und vor dieſer großen Jdee 
mũſſen alle Schranken fallen: die ſogenannte gute Sitte, die Religion eic. 
Wir müſſen Utopiſten ſein; denn Utopie iſt das große gaſagen zu 
unſeren heiligen, ganz diesſeitigen, unumſtößlichen Zielen.“ 

Rlöfterliher kommunismus und weltlicher kommunismus, das find 
zwei durch und durch verſchiedene Arten, die Dinge zu ſehen, zwei 
einander ganz fremde pſuchologiſche Einftellungen, die zu einer völlig 
entgegengeſetzten Weltanſchauung und Ethik führen mülfen. 

Klöſterlicher Kommunismus iſt idealiſtiſches Denken im höchſten 
Sinn des Wortes, unbedingte Anerkennung des Erſtgeburtsrechtes des 
Geiltes gegenüber der Materie, indem klöſterlicher kommunismus die 
reſtloſe Auswirkung einer religiöfen Idee darftellt. 

Der weltliche kommunismus von heute ift Materialismus, näher 
ausgedrückt materialiſtiſcher Monismus, dem alle Erſcheinungen des 
Geifteslebens nichts weiter find als der Widerſchein der jeweiligen 
Wirtſchaftsverhälniſſe; im beſonderen gilt die religiöfe Idee als „die 
große Aluſion und Beifteskrankheit der Menſchheit“. 

Unter der herrſchaft dieſes Markſchen materialiſtiſchen Dogmatismus 
ſtehend macht der weltliche kkommunismus in ſeiner Ethik zum Selbſt⸗ 
zweck, was im klöſterlichen kommunismus nur Mittel zum Zweck ift. 
Die neue Geſellſchaftsordnung, des weltlichen kommunismus nämlich, 
ſoll in der Gerechtigkeit und Liebe ihre ethiſchen Fundamente haben. 
Und dieſes Reich der Gerechtigkeit und Liebe iſt der Inbegriff des 
irdiſchen Paradieſes. Mit anderen Worten: die diesſeitige Slück⸗ 
feligkeit, ethiſch gegründet auf Gerechtigkeit und Liebe, ift das erſte 
und letzte, was der weltliche kommunismus erſtrebt. 

Ganz anders hingegen die ethiſche Einftellung des klöſterlichen 
Hommunismus. Dieſes irdifche Dafein iſt nur Durchgang zu höherem 
beben; das Rlofter iſt gleichſam die Werkſtatt, wo der nach Doll: 
kommenheit Strebende in biebe und Gerechtigkeit ſich heranbilden muß 
zum „Dollalter Chriſti“ (Eph. 4, 13). Dieſes ſittliche deal nun iſt un⸗ 
denkbar ohne hohe Derantwortlichkeit; denn frei und ungezwungen 
wählt der Mönch ſich dieſes fein Lebensideal. 

Wo aber bleibt das Derantwortlichkeitsgefühl, die vielgeprieſene 
Freiheit im kommuniſtiſchen Zukunftsſtaat? Man nehme die Menſchen⸗ 
natur, wie ſie in Wirklichkeit iſt, und nicht, wie ſie ſein ſoll, und es 
liegt auf der hand, daß das kommuniſtiſche Syftem bei feinen dikta⸗ 
toriſchen Zwangsmaßregeln Menſchen hervorbringen wird, denen das 
Verantwortlichkeitsgefühl verengt, ja gelähmt iſt. Und je folgerichtiger 


115 


die kommuniſtiſche Lehre im Leben ſich auswirkt, deſto mehr wird 
fie Wille und Freude zur Arbeit ſchwächen, deſto mehr wird fie Maß⸗ 
halten und Opfer zu hohlen Worten machen. Ausgerechnet dieſe ſozi⸗ 
alften Tugenden werden vernichtet durch die kommuniſtiſche Bewegung, 
welche ſich doch gerade die ſoziale Menfchheitsbeglückung auf die Fahnen 
geſchrieben hat. hierin zeigt ſich am handgreiflichſten die Blutleere des 
weltlichen kkommunismus; und hierin liegt ſeine große Irrlehre, viel⸗ 
leicht iſt das die Irrlehre der neuen Zeit überhaupt, daß man das 
ſchlichte Wort der heiligen Schrift außer Acht läßt: „Das herz des 
llenſchen ift zum Böſen geneigt von Jugend auf“ (Sen. 8, 21). Man 
leugnet die erbſündliche Schuld und glaubt dadurch weiſe zu ſein, aber 
„indem fie ſich weiſe wähnten, find fie Toren geworden“ (Röm. 1, 22). 

Und die Freiheit im kommuniſtiſchen Zukunftsſtaat? Die Unter- 
drückung der Perſönlichkeit, welche man fo gern dem monaſtiſchen 
Prinzip zum Vorwurf macht, dürfte ein Rinderfpiel fein, gegenüber der 
Derkümmerung, der die freie ſittliche Perſönlichkeit unter dem kommu⸗ 
niſtiſchen Iwangsſuſtem anheimfallen würde. 

killöſterlicher kommunismus und weltlicher kommunismus begegnen 
ſich ſcheinbar in der ſittlichen Forderung der allgemeinen Bruderliebe. 
doch meinen beide etwas anderes damit. Der weltliche kommunismus 
derſteht unter Bruderliebe die allgemeine Menfchenliebe, die ſich mit ÜUber⸗ 
gehen aller Zwiſchenſtufen fofort an die größte Aufgabe wagt: das Ge- 
ſamtleben ſo zu ordnen, daß jedem ſein Recht werde. Dieſe Bruderliebe 
aber iſt abſtrakt, lebensfremd; und deshalb fallen dieſe Propheten der 
lllenſchenliebe, welche verächtlich auf die Derkündigung der chriſtlichen 
llächſtenliebe herabſehen, fo leicht in das Gegenteil: den Menſchenhaß. 

Ebenfo ſchön, wie treffend ſagt Ricarda Huch einmal: „Die ſogenannte 
Menfhenliebe tritt gern auf als Erſatz der ſchwindenden Nächſtenliebe, 
und man findet oft, daß je volltönender einer die Forderungen der 
Menfhenliebe verkündet, er feinen Nächſten deſto gewiſſenloſer ver⸗ 
nachläſſigt.“ Atmet ſchon das kommuniſtiſche Manifeſt tiefen Haß, ſo 
witd das aber noch weit übertroffen von dem geradezu dämoniſchen 
haß, den der Aommunismus von heute verkündet, wahrlich ein Haß, 
der auch vor der blutigſten Revolution nicht zurückſchreckt. „Die Re⸗ 
dolution diskutiert nicht mit ihren Feinden, fie vernichtet dieſelben,“ heißt 
es in einer Aundgebung Lenins. Eine kommuniſtiſche Programmſchrift 
don 1919 ſchließt mit den Worten: „Zum Kampf! Es gilt eine Welt zu 
erobern und gegen eine Welt anzukämpfen. In dieſem letzten Alaffen- 
kampf der Weltgeſchichte um die höchſten Ziele der Menſchheit gilt dem 
feind das Wort: Daumen aufs Auge und linie auf die Bruſt!“ 

8* 


116 


Wie fo ganz anders ift doch im klöſterlichen kkommunismus das 
ſoziale Juſammenſein geordnet! Da ift kein Wortſchwall von all⸗ 
gemeiner Menſchenliebe, ſondern ganz einfach ſagt die heilige Regel: 
„Sie ſollen einander in Ehrfurcht zuvorkommen, die Gebrechen, ſeien 
es körperliche oder geiſtige, gegenſeitig mit größter Geduld ertragen, 
im Wetteifer einander gehorchen. Reiner ſtrebe nach dem, was er für 
ſich, ſondern nach dem, was er mehr für andere nützlich erachtet. Die 
brüderliche Liebe follen fie in reiner Seſinnung erweifen, Zott in Liebe 
fürchten, ihrem Abte in aufrichtiger und demütiger Hingabe zugetan 
ſein, Chriſtus durchaus nichts vorziehen, der uns alle zum ewigen 
beben führen möge“ (Rap. 72). Wie gotterleuchtet find dieſe Worte, 
welch ernſte Aufgaben ſchließen fie in ſich, und zugleich wie gut kennen 
fie das Menſchenherz! Liebe ift Bejahung, Haß iſt Derneinung. Das 
unterſcheidet den klöſterlichen vom weltlichem Rommunismus. 

Rlöfterliher kiommunismus heißt unbedingtes, rückhaltloſes Ya: 
fagen zu den Forderungen eines höheren, geiſtigen Lebens. Weltlicher 
ktommunismus heißt unbedingtes, rückſichtsloſes Neinſagen zu dem 
Ideal einer höheren Welt. Klöſterlicher kommunismus beruht auf dem 
Heilandswort: „Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt“ (Job. 18, 36). 
Weltlicher kommunismus iſt aufgebaut auf den Satz: „Mein Reich iſt 
nur von dieſer Welt.“ 

Es ift in den wirtſchaftlich⸗ſozialen Kämpfen der letzten Jahre einmal 
das ſchöne Wort geſprochen worden: „Wir brauchen für die heutige 
Welt eine neue kiraft der Liebe.“ Die Stätten des klöſterlichen kiommu⸗ 
nismus ſollen Orte fein, wo ſolche Liebe, wie fie St. Paulus im 13. Ka⸗ 
pitel des erſten Korintherbriefes ſchildert, noch eine heimat hat mitten 
in einer Welt, die nur dem Haß lebt und der rückſichtsloſeſten Selbſt⸗ 
ſucht. Groß iſt die biebesſchuld, welche das Chriſtentum der zerrütteten 
Welt von heute zu zahlen hat; denn weil eben ſoviele, die ſich Chriften 
nennen, des Meiſters größtes Gebot außer Acht gelaſſen, darum iſt der 
Haß und die Verbitterung ins Rieſenhafte gewachſen. 

Wenigſtens auf die Klöfter ſoll man hinweiſen können wie man 
einft in den Tagen des Urchriſtentums auf die erſten geſusnachfolger 
hingewieſen hat: „Seht, wie ſie einander lieben!“ Und wenn im 
Haushalt der Natur nichts an kraft verloren geht, ſollte es in der 
ſittlichen Welt ſo ganz anders ſein? Sollte nicht vielmehr auch da 
die Betätigung der echten heilandsliebe der haßzerriſſenen Welt in 
irgend einer Weiſe zugute kommen? „Nun aber“, ſpricht der Dölker: 
apoftel, „bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe dieſe drei; die größte unter 
ihnen iſt indes die Diebe“. 


117 


der Anteil der Benediktiner 
an der Geftaltung des Dandſchaftsbildes. 


Don P. Martin Barthel (Schäftlarn). 


eben den kräften der Natur, die bald mit der Urgewalt kurzer 

Augenblicke, bald mit der unermüdlichen Zähigkeit langer Jahr: 
taufende an der Beftaltung der Erdoberfläche arbeiten, ift es der Menſch, 
der durch feine Aulturtätigkeit neue Formen in das Landſchaftsbild 
hineinträgt. Wer eine Wanderung durch das ſüdliche Bayern! vom 
Donauftrand bis zum Fuße der Alpenberge unternimmt, wird wieder⸗ 
holt auf Gegenden ſtoßen, denen erſt der Menſch durch ſeiner hände 
Shaffen ihr charakteriſtiſches Gepräge gegeben hat; und nicht ſelten 
fmd es Stätten, die ſchon in frühgeſchichtlicher Zeit von benediktinifcher 
kultur berührt wurden. Es mag um das 7. oder 8. Jahrhundert ge⸗ 
weſen fein, als St. Benedikts Söhne anfingen im bauriſchen Alpen⸗ 
dorland ſich niederzulaſſen, das damals noch weithin mit rieſigen, 
dunklen Urwäldern oder mit ausgedehnten, düſteren Mooren bedeckt 
vor und das die ungeftümen Bergſtröme noch ohne jegliche Behin⸗ 
derung durch Menſchenwerke durchfloſſen. Menſchen lebten noch nicht 
allzu viele dortſelbſt, Dorffluren waren ſparſam und manche einſame 
Winkel gabs, die das Volk überhaupt nicht gerne betrat, weil es ſich 
Unheimliches und Braufiges zu erzählen wußte von Unholden und 
Befpenftern, die dort wohnten. 

Doch die klugen, frommen Mönche fürchteten ſich gerade vor biefen 
fillen Erdenwinkeln nicht; vor böfen Spukgeſtalten empfanden fie kein 
bangen und die menſchenfernen Einſamkeiten waren ihnen recht eigent⸗ 
lich, ſelige Einfamkeiten“, beatae solitudines, wo fie ganz beſonders gut 
der eigenen heiligung nach des heiligen Daters Benedikt Regel leben 
konnten. „Eine ſtille Stätte, einladend zu einem eifrigen Mönchsleben 
war ihm lieb“, berichtet Biſchof Rribo von Freiſing von St. Rorbinian; 
und des heiligen Brüder teilten dieſe Liebe. Wo hätten fie auch die 
Aufgabe der Selbftvervollkommnung in heiliger Sammlung beſſer 
erfüllen können als in der Einfamkeit unter dem Rauſchen der Tannen 
und Fichten oder an den Ufern der brauſenden Bergflüſſe und ſtillen Seen 
oder in den Tälern, in die von ferne her die Schneegipfel der Alpen 
grüßten? Wo wäre die Seelenruhe und die innere Feſtigkeit (stabilitas) 


Südbauern wurde in den Mittelpunkt der Betrachtung geſtellt, weil feine älteſte 
Kultur zum guten Teil einen ausgeſprochen benediktiniſchen Charakter trägt. ? Locum 
secretum et ad cultum religionis vitae delectabilem amavit (Vita Corbiniani c. 23). 


118 


mehr geſichert geweſen als weit weg von der Halt und den Sorgen 
des Lebens, das nie ruhen kann, und von den Mienfchenftraßen, die 
alle fo gerne von Sott wegführen? 

Nicht allzu ſchnell mögen die erſten Mönche ſich endgültig zur Wahl 
eines Platzes für das zu bauende Rlofter entſchieden haben. Für eine 
Benediktinerabtei genügte nicht die nächſtbeſte Einöde und menſchen⸗ 
ferne Waldeinſamkeit, in die wohl ein Einſiedler ſich vergraben konnte, 
oder wo, wie ehedem in den Lauren Hguptens vielleicht heilige Alt- 
väter ihre Schüler in tiefer Beſchaulichkeit und ſtrenger Buße hätten 
leiten mögen. Ein Benediktinerkloſter ſollte mehr ſein: es mußte einer 
monaſtiſchen Familie zum dauernden Heime werden können, zu dem 
einer geradezu ein perſönliches Derhältnis zu gewinnen vermochte. 
Da durften die Sendlinge, die der Dater, der Abt ausſandte um für eine 
junge Tochter familie einen Platz zu ſuchen, ſchon wähleriſch fein. 
Benediktiniſche Aſzeſe ift nicht finſter und mürrifch, fie liebt die Freude 
und die Zufriedenheit und verzichtet lieber ein wenig auf kiaſteiung 
und Abtötung als auf glückliche Augen und frohe herzen. Und ſo 
zogen die Boten des Daters aus und durchſtreiften das weite Alpen⸗ 
vorland, und fie ſteckten das Areuz nicht eher in einen Boden, als bis 
fie einen Platz gefunden hatten, wo die Natur des lieben Gottes fo 
ſchön war, daß die fernen Brüder ſich gewiß würden eingewöhnen 
können, wenn der Hausvater im heiligen Gehorfam ſie ausſchickte. 
Ein zwingendes Schema gab es da nicht: bald fanden fie einen Berg⸗ 
gipfel, von dem aus man weit in die Lande ſchaute und wo man 
dem großen Gott faſt in feinen blauen himmel ſah; bald fanden ſie 
ein Seeufer und einen hügel daneben, von dem aus die Brüder ſpäter 
auf die ſpielenden Wellen würden hinabblicken können, die ſo ruhelos 
waren wie Menſchenherzen; dann trafen fie auf ein Felfengeklüfte, 
fo wunderbar ſchön in feiner Wildheit wie Monte⸗Haſſino ſelbſt oder 
auf ein weites Tal, in welches das kommende Rlöfterlein ſich hinein⸗ 
ſchmiegen würde in wonniglicher Heimlichkeit. Und wenn fie dann ins 
Alofter zurückkamen nach langen Wochen und dem Vater und den har⸗ 
renden Brüdern von all dem Schönen erzählten, das ſie gefunden, dann 
wählte der Abt für feine aus ziehenden Söhne vom Schönen das Schönſte, 
damit fie auch in der Fremde würden heimiſch werden könen. 

Und die Wahl war meiſt glücklich: die Benediktiner haben Plätze 
gefunden für ihre kilöſter, wo es heute noch jedem Naturfreund warm 
wird um die Seele. Oder bedeuten Namen wie Berchtesgaden, 
Chiemfee, Tegernfee, Schtierfee, Ettal, Scharnitz, Aochelfee 
und Dutzende andere nicht ebenſoviele Juwelen des Berglandes? Und 


119 


dürfen wir Shäftlarner nicht förmlich begeiſtert fein auf unſer ſchönes 
Jarkloſter? Seh von München nach Süden und [hau etwa von der 
fonrabshöhe bei Bayerbrunn in das plötzlich ſich öffnende Tal, das 
die Jar mit Urkraft in die Schotterebene des HUlpenvorlandes geriſſen 
hat! Du wirſt dich auch nicht ſatt ſehen können an dieſem Bild wie 
(hon foviele Taufende, die ganz trunken wurden vor lauter Schauen 
auf die märchenhaften Schluchten und Wälderirrſale mit ihrem Yauber- 
piel von nächtigem Dunkel und goldenen Lichtern. Und dann blick 
in die Ferne, wo die Gipfel der Alpen über Duft und Wolken herüber- 
grüßen alle zuſammen, ſoweit fie Bayerns Mark gen Süden ſchirmen! 
Und mitten hinein in dieſe Pracht ſchmiegt ſich unſer heim, mein klo⸗ 
ſter, deſſen Kind ich bin. Nicht aufoͤringlich iſts und ſchreiend, nein mild 
und wohltuend, nicht zu hoch und nicht zu niedrig, nicht zu zierlich, 
ſo daß es verſchwände in dieſer großen Umgebung und nicht zu grob 
und maſſig, als daß es ſich aufdrängte. Und du kannſt mein Heim 
betrachten, wenn im Frühling die Jſar durchs Tal raſt in ihrer tollen, 
wilden Schönheit, oder wenn im Sommer das kiorn reift auf den Fel⸗ 
dern meines Rlofters, oder wenn im herbſt alle Buchen bluten an den 
hängen um mein Tal, oder wenn im Winter die Fichtenwälder klingen 
im Rauhreif: mein &lofter bildet immer ein wunderbares Ganzes mit 
der umgebenden Natur. 

Dir find ſtolz auf unſer liebes heim: aber all unſere Mitbrüder in 
den anderen Rlöftern dürfen es geradefo fein: das Nachbarſtift Andechs 
fügt fi) nicht minder herrlich in das Landfchaftsbild feines lieblichen 
Seegeſtades wie Ettal, das mit feinem gedrungenen Auppelbau in 
ſeinem engen Hochtal den wuchtig wirkenden Bergen angepaßt iſt. 
Oder wo gibt es in ſeiner Art ein zweites Bild, das man dem ein⸗ 
ſamen, ſtill in feiner kanonartigen Donauſchlucht verborgenen Welten⸗ 
burg an die Seite ſtellen könnte? Und wer möchte es bezweifeln, daß 
man in einer der alten Aibteien heimatfroh werden kann, welche die 
donau begleiten und ſo einzigartig unter dem Banne dunkler Berge, 
unendlicher Ebenen und eines majeſtätiſchen Stromes ſtehen? Doch 
man käme an kein Ende, wollte man all jene Plätze aufzählen, deren 
landſchaftliche Schönheiten fo recht zum erſtenmal von Benediktiner⸗ 
mönchen entdeckt worden ſind. 

hatten unſere Vorfahren einmal den Platz gefunden, von dem fie 
mit faſt inſtinktivem Feingefühl erkannten, daß etwas in ihm lag, 
was ihn berufen erſcheinen ließ, der klöſterlichen Familie ein Dauer- 
heim zu werden, dann gingen ſie hurtig daran, ihm ein ganz beſtimmt 
benediktiniſches Gepräge zu geben. Ein rüſtiges Werken und Schaffen 


120 


ſetzte alsbald ein, um möglichſt ſchnell ein echtes heim nach eigener 
Art erſtehen zu laſſen. Der heilige Dater Benediktus hatte recht wohl 
gewußt, daß es feinen Rindern nicht frommt, lange außerhalb eines 
kiloſters leben zu müſſen; Weltluft iſt ja Gift für die Mönche. Drum 
ſchrieb er ihnen in ihr Familiengeſetzbuch den Satz: „Ein Kloſter aber 
ſoll, wenn es irgendwie ſein kann, ſo gebaut werden, daß der Brunnen 
und die Mühle und der Garten und alle möglichen handwerke inner⸗ 
halb des Kloſterbezirkes ſelbſt betrieben werden, damit die Mönche 
ſich nicht draußen aufzuhalten brauchen; denn das tut ihren Seelen 
gar nicht gut.“ Ei, die böſe Welt wollten fie ſchon ferne halten: und 
ſo zogen ſie um den ſauber gerodeten Platz, auf den die Abtei zu ſtehen 
kommen ſollte, eine ſchützende Mauer, die nicht bloß böſe Menſchen 
und räuberiſches Getier, ſondern mehr noch den ſchlimmen Geift der 
Derweltlihung abwehren konnte vom Haufe Gottes. Und dann ſcholl 
in den umliegenden Wäldern die Akt und loderte der Brand im Ge⸗ 
ſtrüpp und gab Raum und Holz zum Bau fürs haus des Herrn und 
für die Wohnungen der Brüder. Einfach war alles anfänglich, aber 
fleißig arbeiteten die Mönche und Wirtſchaftsgebäude erſtanden und 
Felder wurden angelegt und Mühlen klapperten gar bald, den gol⸗ 
denen Ertrag der erſten Ernte zu mahlen. Und der Fluß mußte es 
ſich gefallen laſſen, daß man ihm ſeine ungeſtüme Bahn einengte durch 
Pfahlgeflecht und Dämme und daß man Brücken über ihn ſchlug. Ein 
Sträßlein wurde wohl gezogen durch den Wald, daß der Prieſter 
hinauskonnte zu den Menſchen, ihre noch rohen Herzen mit chriſtlicher 
Lehre zu betreuen, oder damit von draußen der Pilgrim den Weg fand ins 
Kloſter, fi Hilfe und Troft zu holen. Nie raſteten die Brüder: Werk: 
ftätte neben Werkftätte erftand, wenn kundige Männer der frommen 
Gemeinde ſich anſchloſſen, eine eigene Kloſterſchule wurde wohl gar 
gebaut, wenn brave Leute ihre Kinder dem Heiligtum weihten, ein 
Pilgerhaus wurde eröffnet am Tore, damit kein Fremdling ungeſtärkt 
vorüberziehen müffe am Rlofter. Wenn dann die Zahl der Brüder ſich 
mehrte, dann wagte man ſich an einen Neubau des Münſters aus 
künſtlich behauenem Stein, mit ragendem Turm, von dem die Glocken 
über die Wälder hinriefen zu den fernen Dörfern, und mit farbigen 
Bildern in den gewölbten Fenſterniſchen. Und wenn ein Bruder einmal 
ins Mutterkloſter geſchickt wurde, aus dem man ausgezogen, dann 
brachte er wohl Samen heim, daß man kräuter und Blumen draus 
ziehe im Kloſtergarten und heilſame Pflanzen fürs Arankenftüblein 
und die kiloſterapotheke; oder man gab ihm edle Reifer mit, daß der 
Gärtner ſie pfropfe auf die ſaueren Wildlinge aus den umliegenden 


121 


Wäldern oder gar köſtliche Reben, wenn ſonnendurchglühte hänge am 
Rlofter nach Süden hinſchauten. Grund und Boden waren nicht teuer 
rings um die erſten bayrifchen Benediktinerklöſter; meiſt fand ſich ein 
freigebiger Stifter, der den Mönchen von feinen Wäldern ſchenkte und 
ſeinen Wieſen und Weiden und heiden, daß die fleißigen Brüder ſie 
umwandelten in ertragreiche Felder und kicker und Baumgärten. Es 
gab Zeiten, wo ſich Adelige und Biſchöfe und Bauern förmlich zu 
übertreffen ſuchten, um dem nahen Stifte etwas von ihrem Beſitztum 
zuzuwenden, damit fie fo Anteil bekämen am Gebete der Brüder. Ruch 
durch glücklichen Tauſch ließ ſich des Rlofters Gut abrunden und durch 
kauf erweitern; denn ſparſam waren die Mönche und fleißig die rũh⸗ 
rigen hände; ein reicher Gönner fand ſich gar wohl auch, der dem 
Münfter das nötige Geld ſchenkte wie der Bayernherzog dem hl. Ror⸗ 
binian, der damit im ſchönen Südtirol ein Kloſter ſich bauen konnte 
und ein kirchlein und ſchützende Mauern. „Und eine ganze Reihe von 
Weinbergen konnte er noch damit anlegen und einen Baumgarten für 
den Obſtbau“, erzählt Rribo in feinem Leben des heiligen. 

Darf ich erzählen, wie mein Klofter feine Dandſchaft geſtaltete, 
als der fromme Prieſter Waltrich es ſtiftete im Jahre des Heiles 762? 
Wo heute üppige Wieſen ſich breiten und fruchtbare Felder, da war 
die Jar damals noch unumſchränkte Herrin. Geradeſo ſah es noch 
aus, wie dort, wo flußaufwärts auch heute der wilde Gebirgsſtrom 
noch nicht in den beſänftigenden Zwang der Kultur genommen worden 
it. Kiesbänke und Schotterhalden und dürftige Flußauen bedecken 
dort das Tal noch auf Rilometerbreite und ſchaffen das charakteriſtiſche 
Bild der Jſarlandſchaft. Dieſen Typus haben unſere Altvordern aller⸗ 
dings gänzlich geändert; aber es müßte ein Natur fanatiker fein, der 
ihnen daroh grollen wollte. Die traurigen Steinwüſten find ver⸗ 
ſcwunden und die dürftigen Heideinſeln und die Tümpel und Gräben 
und Moorwinkel. Auch die Ifar muß ſich bequemen, etwas fanftmütiger 
zu fein und ſich an Gehorſam und Zucht zu gewöhnen, folange fie durch 
unſer Kloſtertal fließt; und nur ſelten vergißt fie fi) fo weit, daß fie 
id) in Frühlingszeiten über den birkenbeſtandenen Damm hinauswagt, 
ber ihr die renzen zieht. Es braucht eben nicht immer Zerftörung 
zu bedeuten, wenn der Menſch ſich anſchickt, in die ungezähmte Natur 
einzugreifen. Mönchshände vernichteten gewöhnlich keine Schönheits⸗ 
werte, veredelten vielmehr meiſt, was ſonſt ungepflegt und unentfaltet 
geblieben wäre. Was die Benediktiner und in ſpäterer Zeit die Prämon⸗ 
ſratenſer aus dem Schäftlarner Talbecken gemacht haben, entſchädigt 
teichlich für das, was an Urwüchſigkeit und Unberührtheit ſchwinden 


122 


mußte. Einer, der von Naturſchönheit etwas verſteht, R. h. France, 
hat ein Büchlein gefchrieben!, worin er wegen der feinen Unmutslinien 
und des harmoniſchen Juſammenwirkens von Fluß, Wald, Wieſen, 
Felswänden, Auen und höhen die Schönheit unſeres Tales geradezu 
klaſſiſch nennt. Würde man fi) aus dieſer Candſchaft all das, was 
die Arbeit der Mönche geſchaffen hat, wegdenken, ſo würden wohl die 
allgemeinen Linien bleiben, die rohe Naturgewalt des ungebändigten 
Gebirgswaſſers würde ihr aber das Ruhig⸗Anmutige ihres heutigen Aus: 
ſehens nehmen. Man kann ohne Überhebung ſagen, daß die jetzige 6e- 
ſtaltung unſeres Talbeckens unumſtritten das Werk unſerer Väter iſt. 

man darf das Geſagte auf die allermeiſten bauriſchen Klöſter an⸗ 
wenden. Welche freundliche Candſchaftsbilder hat, um nur zwei Bei: 
ſpiele heraus zugreifen, das mitten in unwirtlichen Bergwäldern und an 
ungaſtlichen Seeufern gegründete Tegernſee oder das in die Sumpf: 
gebiete des Alpenvorlandes hineingebaute Benediktbeuren aus 
dieſen Wildniſſen hervorgezaubert? 

Kann es noch Wunder nehmen, wenn die Anfiedelungen der Mönche 
zum Unziehungspunkt auch für andere Anfiedler wurden, fo daß ſich 
gar häufig ein kleiner Ort, ein Dorf oder eine Stadt entwickelte? Dabei 
trugen faſt all dieſe Klöſter das Beſtreben in ſich, ihren Wirkungs⸗ 
bereich immer weiter auszudehnen; beinahe jede der alten Abteien 
gründete in ihrer näheren und weiteren Umgebung Filialen, die ihrer⸗ 
ſeits wiederum zu Mittelpunkten eines neuen Wirtſchaftslebens wurden. 
Schäftlarn war 3. B. nur eine Tochterniederlaſſung des Freiſinger 
Domkloſters und hatte als Schweſterfilialen noch Jſen, Scharnitz, 
Schlehdorf, Schlierſee und Innichen. Jedes dieſer Klöfter wurde 
ſeinerſeits wieder zu einem kulturellen Jentrum mit einer ganzen Reihe 
von neuen Zellen und Höfen und Anfiedelungen. Durch. die heute fo 
rührig betriebene Ortsnamenforſchung hat die neuere Geſchichtsſchrei⸗ 
bung bei vielen hunderten von größeren oder kleineren Orten einen 
unzweifelhaften urſprünglichen Zuſammenhang mit mönchiſcher Aultur: 
tätigkeit nachgewieſen. Bei einem fo fruchtbaren Außenwirken unferer 
Rlöfter mußte allmählich ein ganzes Land ein vollkommen verändertes 
Nusſehen bekommen; die bandſchaft mußte förmlich einen, mönchiſchen“ 
Charakter annehmen. Bei unſerm bauriſchen Alpenvorland war das 
tatſächlich der Fall; bildete ſich doch hier ein ganzes Netz von Kloſter⸗ 
anſiedelungen, ſo daß man ſcherzweiſe im Mittelalter ſagen konnte, man 
könne vierzehn Tage darin herumreiſen und jeden Mittag und Abend 
in einem anderen Stifte ſpeiſen. In dieſem ſogen. „Pfaffenwinkel“ gibt 

' Wanderungen in der Umgebung Münchens. München 1920, Bruckmann. 


123 


es heute kaum einen irgendwie bedeutenderen Ort, der nicht die Spuren 
benediktiniſcher Kultur aufweifen konnte. Gerbert von St. Blaſien 
konnte feiner Zeit feiner großen, dreibändigen „Seſchichte des 8SHHwarz⸗ 
waldes“ den Untertitel: „einer Kolonie des Benediktinerordens“ geben 
und wollte damit die hohen Derdienfte der vielen Benediktinerklöfter 
um die Aultivierung und Derchriſtlichung dieſes abgelegenen Gebirgs⸗ 
landes hervorheben. Wie er den ganzen Schwarzwald gewiſſermaßen 
als eine große Siedelung des Benediktinerordens kennzeichnen konnte, 
ſo wird auch der Hiſtoriker, der einmal die Seſchichte der frühbau⸗ 
riſchen kirche ſchreiben wird, mit Recht behaupten dürfen, der Geiſt des 
benediktiniſchen Mönchtums habe das Ausfehen der bajuwariſchen 
erde von Grund aus geändert. 


eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee ee e eee eee e eee eee eee eee e eee ee eee e eee e eee eee ee eee eee eee 


Seelenfrühling. 


Un weiß ich, lieber Bott, warum du menſchenherzen geſchaffen. 
Du haft es mich durch den Brief dieſer begnadeten Seele erkennen 
laſſen. Du wollteſt den aufbrechenden Frühling der vom Strahl deiner 
biebe berührten Menſchenſeele ſchauen und im Paradies ihrer blü- 
henden Herrlichkeit luſtwandeln. Und ich meine faſt, du ſchickeſt nur 
deshalb immer wieder den Winter des beides über deine Rinder, um 
immer wieder dieſen Frühling aller Frühlinge in deine ſeligen Augen 
zu trinken, um immer wieder das entzückendſte all deiner Wunder zu 
ſehen: dieſes wonneſame Nufbrechen alles verborgenen Lebens, dieſes 
glückſelige Wachwerden aller heimlichen Anofpen unter dem zarten 
hauch deiner Gnade. Und ich denke ſogar, dein ganzer himmel iſt 
nichts anderes als ein einziges Aufbrechen unſerer herzen zu dir, ein 
ewiger Frühling der Liebe. 2 
fiber dies eine, lieber Gott, verftehe ich nicht: warum du mich, 
gerade mich nun ſchon ſo oft bei der hand genommen haſt und einen 
Blick voll ſtrömenden Glückes in ſolche Paradiesgärten von auf⸗ 
blühenden Menſchenherzen tun ließeſt. Ich bin doch böſe, böſer als 
alle meine Brüder. Oder doch, ich verſtehe es, ich weiß es: gerade 
weil ich böfe bin. Du willſt mir in deiner ehrfürchtigen und liebevollen 
Weife ſagen: wann endlich wirft auch du deine finftere Seele meinem 
bichte, meiner Gnadenfonne öffnen; wann endlich wirft auch du Früh⸗ 
ling werden? Ach Gott, nun muß ich voll Scham meine Seele ver⸗ 
bergen, weil fie fo winterlich iſt. Draußen bricht der Frühling auf, und 
meine Freunde ſtehen ſchon über und über voll Blüten, und ich — Gott 
verzeih mir und hilf mir! Denn wenn nicht alle Frühlingsſonnen deiner 
biebe über mich kommen, bleibe ich ewig Winter. Balbulus. 


23 38 


3 — 


* 
— 


Sigisbert / Abt des Kloſters Schäftlarn 
Im Jahre des Herrn 1924. 


125 


Schäftlarn. 


Don P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn). 


eit Stutz! auf die hervorragende Bedeutung des germaniſchen 

Eigenkirchenweſens aufmerkſam gemacht hat, iſt viel bicht in die 
ältefte deutſche kirchengeſchichte gekommen. Nuch für die Urgeſchichte 
der bauriſchen Benediktinerklöſter muß ſeitdem eine ganz neue Be⸗ 
trachtungsweiſe geübt werden. 

Es war ein ungemein dichtes Netz von Klöſtern und Zellen unferes 
Ordens, das ſich über das agilolfingiſche Bayern hinzog, ſo daß da⸗ 
mals das ganze Land einen ſo eigentümlich benediktiniſchen Charakter 
trug, daß Faſtlinger? feine Unterſuchung über die wirtſchaftliche Be⸗ 
deutung der Klöfter dieſer Periode mit vollem Recht folgendermaßen 
ſchließen konnte: „Der Geiſt des Mönchtums, der Geiſt der Benediktus- 
tegel hatte das Angeſicht der bajuwariſchen Erde erneuert.“ Da iſt es 
nun geradezu auffallend, daß die weitere Entwicklung dieſes hoffnungs⸗ 
vollen benediktiniſchen Lebens das nicht gehalten hat, was fie verſprach. 
Denn man eine Gifte der zweihundert Jahre ſpäter auf dem gleichen 
Boden noch beſtehenden Tliederlaffungen zuſammenſtellen will, fo iſt 
man förmlich überraſcht von der Tatſache, daß von all den vielen 
übteien und Zellen der Agilolfingerzeit um die gahrtauſendwende 
kaum noch ein kleiner Bruchteil beſtand. Alle anderen ſind verſchwun⸗ 
den oder in den Beſitz neuer Orden übergegangen. Man hat ſich daran 
gewöhnt, den Nöten der Ungarnzeit die Schuld an dieſem unbeſtreit⸗ 
baren Niedergang zuzuſchreiben. Das dürfte nicht ganz berechtigt ſein. 
gewiß mögen jene ſchrecklichen Befchehniffe vieles dazu beigetragen 
haben, den Juſammenbruch zu beſchleunigen. In ihnen liegt aber keine 
erklärung dafür, warum denn unſer Orden befremdlicherweiſe die 
ihm doch ſonſt eigentümliche Anpaſſungsfähigkeit an die zeitlichen Not⸗ 
wendigkeiten nicht zu entfalten wußte. Es läßt ſich unmöglich glauben, 
daß die benediktiniſchen Gemeinden der Dorungarnzeit faſt ohne Rus⸗ 
nahme eine bei aller Furchtbarkeit doch nur den äußeren Beſtand der 
klöſter vorübergehend gefährdende Not nicht zu überwinden gewußt 
hätten, wo doch unſer Orden früher ſchon und auch ſpäter gar oft in 
manchen Ländern aus ähnlichen Drangſalen auch nicht ſchwächer, ſon⸗ 
dern nicht ſelten nur innerlich ftärker hervorgegangen iſt. Der eigent- 
liche rund des fo allgemeinen Zuſammenbruches muß tiefer liegen. 


Stutz, U., Die eigenkirche als Element des mittelalterlich⸗germaniſchen Kirchen 
rechtes. Berlin 1895. Faſtlinger, M., Die wirtſchaftliche Bedeutung der bau⸗ 
tiſchen Alöfter in der Zeit der Agilulfinger. Freiburg 1903. 


126 


Faſt all dieſe Klöfter waren innerlich unbenediktiniſch geworden und 
konnten darum die im gefunden Benediktinertum liegende Widerſtands⸗ 
kraft gegenüber ſolchen äußeren £rifen nicht mehr aufbringen. Für ein 
Benediktinerkloſter iſt es geradezu weſentlich notwendig, daß es nach 
innen und außen frei und unabhängig feinen Charakter als ein familien- 
mäßig organifiertes 8emeinweſen entfalten kann. Ein Benediktiner⸗ 
kloſter kann ſeinem ganzen Weſen nach niemanden „gehören“ als nur 
der eigenen Familie ſelbſt; es kann niemanden unterſtellt ſein als ſeinem 
eigenen Abt; und es kann für niemanden arbeiten als für ſich ſelbſt 
und im Bereiche des eigenen hauſes. Nimmt man ihm dieſe unbe: 
dingte Selbſtändigkeit, ſo nimmt man ihm etwas für ſeinen Beſtand 
Weſentliches und darf dann auch nicht erwarten, daß es trotz dieſer 
Derftümmelung die gerade in feinem Familiencharakter liegende un⸗ 
verwũſtliche Lebenskraft entfaltet. 

Die benediktiniſchen Niederlaffungen der Agilolfingerzeit waren nun 
in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht ſelbſtändig, ſondern in einem 
oft ſehr weitgehenden Maße abhängig; ſie „gehörten“ jemandem, waren 
Eigenklöfter. Das Weſen des Eigenklofters beſteht wie bei der Eigen⸗ 
kirche darin, daß ſich irgend jemand einen rechtlichen Eigentumstitel 
auf das kloſter oder die Kirche erwirbt und auf Grund dieſes An- 
ſpruches darüber verfügt wie über irgend ein anderes ihm eigentümlich 
zugehöriges Grundftück oder Gebäude, das er verſchenken oder ver⸗ 
kaufen, vertauſchen oder vererben kann ganz nach Belieben. kirche 
oder kiloſter werden fo für ihn zu einer wirtſchaftlich rentierenden 
Rapitalsanlage. Der die Eigenkirche verſehende Geiſtliche und der das 
Eigenklofter leitende Abt gelten dem Grundherrn als verantwortliche 
Angeſtellte, für deren Unterhalt er aufkommt und die er nicht ſelten 
ganz nach freiem Ermeſſen ernennt oder abſetzt. Darum war es nicht 
immer reiner Idealismus, was einen Dandesfürſten oder einen reichen 
Adeligen zur Gründung eines Rlofters veranlaſſen konnte. Nicht ſelten 
gingen mit einer gewiß nicht gering zu ſchätzenden Frömmigkeit auch 
recht wohl überlegte wirtſchaftliche Erwägungen hand in hand. Daß 
die ktirche, ſobald ſie einmal in Bauern feſten Fuß gefaßt hatte, gar 
bald den Kampf gegen alle im Beſitze von Laien ſich befindenden 
kirchlichen Eigengüter aufnahm, lag ſehr nahe, und die frühbauriſche 
Kirchengeſchichte iſt darum auf weite Strecken nichts anderes als ein 
ſtändiges Ringen zwiſchen der Kirche und den weltlichen Grundherren. 
Für die innere Freiheit der Klöfter wurde aber auch durch den Sieg 
der die kirchliche Autorität vertretenden Biſchöfe manchmal gar nichts 

gl. oben: Die Familie als Grundlage benediktiniſchen Mönchtums. 


127 


gewonnen, weil viele Abteien durch fie keineswegs frei und unab⸗ 
hängig, ſondern nun einfach von den Bistümern in Eigenbefig ge⸗ 
nommen wurden. Solange an der Spitze der altbauriſchen Diözeſen 
noch Biſchöfe ſtanden, die ſelber aus dem Benediktinerorden hervor⸗ 
gegangen waren und neben der biſchöflichen auch noch die äbtliche 
Würde in einem der großen Domklöſter bekleideten, ließ ſich das noch 
ertragen. ge mehr ſich aber dieſe Domklöſter in weltliche Ranonikate 
umwandelten, um ſo weniger monaſtiſche Anregung konnte vom Dom: 
ſtifte auf die Filialklöſter ausgehen. 50 ſanken dieſe allmählich immer 
mehr zu bloßen wirtſchaftlichen Domänen herab, die von einem nur 
mit Erlaubnis, wenn nicht gar einfach auf den Befehl des Biſchofs 
hin aufgeſtellten Abte geleitet wurden, und deren Erträgniſſe mehr oder 
minder dem Biſchof zufloſſen. Da gelang es ſogar den unter dem 
Einfluß eines weltlichen herrn ſtehenden Eigenklöftern oft noch leichter, 
fd) zu einer lebensfähigen benediktiniſchen Familie auszuwachſen; 
denn mit der fortſchreitenden Chriftianifierung des Landes fette ſich 
die Anfiht immer mehr durch, daß es kein kirchliches Eigentum in 
baienhänden geben könne. So erklärt ſich auch die intereſſante Tat- 
ſache, daß von den biſchöflichen Eigenklöftern nahezu kein einziges 
ſobiel bodenſtändige Kraft aufbrachte, um die wirtſchaftliche Erſchüt⸗ 
terung der Ungarnzeit zu überſtehen, während ſich von den weltlichen 
eigenklöſtern bis zu den Ungarneinfällen doch gar manches innerlich 
ſchon ſoweit gefeſtigt hatte, daß es die notwendige Lebenskraft auf» 
brachte, um jene Stürme zu überdauern und den Fortbeſtand des bene⸗ 
diktiniſchen Gebens zu ermöglichen. 


es mag verwunderlich erſcheinen, warum dieſe Ausführungen mit 
dem Titel „Schäftlarn“ überſchrieben wurden. Mit einem Derftändnis 
des frühbauriſchen Eigenkirchenwefens erklärt ſich aber ohne weiteres 
auch die Seſchichte des erſten Zeitabſchnittes unſeres kfloſters. 

Das von dem zum altbauriſchen Adelsgeſchlecht der huoſi gehörigen 
Priefter Waltrich gegründete Rlofter Schäftlarn wurde nämlich 762 
von feinem bisherigen Herrn in aller Form für ewige Zeiten dem 
Fteifinger Biſchof zu eigen übertragen’. Die Rirchenpolitik des Frei- 
ſinger Domklofters ging damals grundſätzlich darauf aus, ſich im Bereich 
ſeiner Diözefe einen ganzen Kranz ſolcher Filialklöſter anzufchließen, 
um an ihnen wirtſchaftlich einen wertvollen Rückhalt zu haben und um 


Den Einzelnachweis behalte ich mir für eine andere Gelegenheit vor. Ut in evum 
permansisset ad domum sancte Marie ad Frisingas, ut nos et fratres nostri ibidem 
habuissemus caput et tuitionem capitis. Mon. Boic. VIII, 363 (Stiftungsurkunde). 


128 


durch fie die Paftorierung des ausgedehnten Sprengels zu erleichtern. 
Jſen, Scharnitz⸗Schlehdorf, Innichen, Schlierſee, hugiberts⸗ 
münfter waren die anderen frühbauriſchen Klöſter, die geradeſo wie 
Schäftlarn noch im Laufe des achten Jahrhunderts zu Freiſingiſchen 
Eigenklöftern wurden!. Schäftlarn ſcheint darunter eine verhältnis⸗ 
mäßig große wirtſchaftliche Selbſtändigkeit genoſſen zu haben; doch 
darf man auch hier annehmen, daß gar nichts ohne Juſtimmung des 
Abt-Bifchofes in Freiſing geſchah. Ja manchmal berichten uns die Ur: 
kunden von wirtſchaftlichen, nur unſer Kloſter betreffenden Geſchäften, 
die der biſchöfliche Brundherr erledigte, ohne den Schäftlarner Abt auch 
nur beratend beizuziehen. Er konnte das auch tun; denn jener war 
ja nur der Stellvertreter des Biſchofs. Dieſe Stellvertretung verſchaffte 
den erſten Älbten unſeres hauſes übrigens auch eine große Ehre: fie 
durften im Umkreis ihres Kloſters in gewiſſem Umfang rein biſchöf⸗ 
liche Rechte im Namen ihres Ordinarius ausüben und erhielten zu 
dieſem Zwecke als chorepiscopi ſogar die biſchöfliche Weihe. Aber 
fibte im ſtreng benediktiniſchen Sinn waren fie doch nicht, und ihr 
Blofter war bei aller Gunſt, deren es ſich von ſeiten der Freiſinger 
Biſchöfe erfreuen mochte, eben doch nur eine domſtiftliche Filiale und 
keine vollwertige Familie. Darum iſt auch Schäftlarn trotz des nicht 
geringen Umfanges ſeines Wirtſchaftsbetriebes ſo wenig wie irgendein 
anderes Freiſinger Eigenklofter imſtande geweſen, die ſchweren Drang: 
ſale der Ungarnzeit zu überſtehen und fein Eigenleben zu retten. Das 
Domkloſter feinerfeits tat kaum etwas, in dieſem ktampf um Sein 
oder Nichtſein ſeinen Filialen das Durchhalten zu erleichtern: hatte es 
ja gewiß ſelbſt hart genug um feine wirtſchaftliche Exiſtenz zu ringen. 
Es bediente ſich vielmehr in den Tagen der Not unbedenklich der letzten 
Mittel feiner Eigenklöfter, mochten dieſe darob auch zugrunde gehen. 
So verlangte Biſchof Dracholf (907 - 926), der Jeitgenoſſe des Bayern: 
herzogs Arnulf, von den drei Rlöftern Moosburg, Ifen und Schäft: 
larn neben der Ablieferung der ganzen wertvolleren Rirchenzier die 
Barbezahlung von nicht weniger als 400 Talenten in Bold und Silber. 
Daß ſich unter ſolchen Laften der leiſtungsfähigſte Wirtſchaftsbetrieb 
verbluten mußte, iſt begreiflich. Inwieweit die einzelnen Klöſter unter 
einem unmittelbaren Überfall feindlicher Horden zu leiden hatten, 
wiſſen wir nicht mehr. Es iſt nicht ſehr wahrſcheinlich, daß die im 
allgemeinen den großen Heerſtraßen folgenden Reiterſchwärme gerade 
bis zu jedem der oft tief in den Bergen oder in einſamen Tälern 


' Dgl. 8. Mitterer, Das Freiſinger Domkloſter und feine Filialen. Feſtſchrift 
zum Freiſinger Korbinianus-Jubiläum 1924. 


129 


verftechten &löfter den Weg fanden; es mag vielmehr nicht ſelten nur 
in unmittelbarer Auswirkung die ſchlimme Zeitlage am Untergang 
der Klöſter ſchuld geweſen fein, weil eben ihre wirtſchaftliche Ceiftungs- 
fähigkeit wegen der ftändigen Üderforderungen allmählich auch dort 
zuſammenbrechen mußte, wohin kein Feind direkt kam. Zeit ſich 
vollends das Domkloſter um dieſelbe Zeit allmählich ſelber auflöfte 
und in ein weltliches Ranonikat umwandelte, mußten die fo unſelig 
enge mit ihm verknüpften Filialklöſter immer mehr einer gerade da⸗ 
mals doppelt notwendigen Befruchtung ihres klöſterlichen Innenlebens 
durch das Domſtift in zunehmendem Maße entbehren. Erſt dieſe zu der 
wirtſchaftlichen Not hinzukommende geiſtige Derarmung beſiegelte den 
Untergang: kein einziges der freifingifchen Eigenklöfter hat feine bene⸗ 
diktiniſche Eigenart über die Ungarnzeit hinaus zu wahren vermocht. 

Um 930 hörte Schäftlarn auf, ein ſelbſtändiges Benediktinerkloſter 
zu fein. Nur einige Ranoniker lebten noch dort, um für den Seel- 
ſorgsbedarf der Umgebung aufzukommen und das domſtiftliche Be⸗ 
ſtztum zu verwalten. Erſt zweihundert Jahre ſpäter wurde das klöſter⸗ 
liche beben in Schäftlarn wieder erneuert. Aber Benediktiner waren 
es nicht mehr, die es weiterführen ſollten; vielmehr übergab der Frei⸗ 
finger Biſchof Otto der Große 1140 das Kloſter dem damals in junger 
Blüte ſtehenden Orden der Prämonſtratenſer, deſſen Söhne in 
Schäftlarn bis 1803 wirkten. Auf die Geſchichte dieſer nichtbenedik⸗ 
tinifhen Periode unſeres hauſes ſoll hier nicht näher eingegangen 
werden!. Es iſt die Geſchichte eines mittelgroßen ſüddeutſchen Kloſters, 
das nie beſtimmend und bahnbrechend in die kirchlichen und ſtaatlichen 
beſchehniſſe eingegriffen hat, das aber an feinem Platze und in feinem 
Arbeitsbereich Gutes ſchuf, wo es nur konnte und das zum Segen 
derer wurde, mit denen es ſein Beruf zuſammenführte. Es iſt die 
beſchichte eines klöſterlichen Derbandes, der ſchwere Zeiten äußeren 
Unglückes und zeitweiſe inneren Mißgeſchickes ebenſo kannte wie 
Perioden äußerer Entwicklung und geiſtigen Hhochſtandes. Es iſt die 
beſchichte eines kiloſters, das — ich darf es mit Stolz ſagen — feinem 
Berufe gefliſſentlich nie untreu wurde, ſondern das in ruhiger äußerer 
und innerer Aufwärtsentwicklung begriffen war und alle Gewähr 
geboten hätte, noch lange Zeit wirken zu können zur Ehre Gottes 
und zum heil der Menſchen. Da wurde es 1803 das unglückliche 
Opfer einer glaubensloſen Zeit. 


Der verftorbene Subprior unſeres Kloſters P. Geo Abſtreiter hat in feiner 
1916 erſchienenen „Seſchichte der Abtei Schäftlarn“ vor allem die prämonftratenfifche 
deit unſeres Baufes ſehr ausführlich behandelt. Selbftverlag des Alofters (223 8.) 


Benedikttniſche Monatfchrift VI (1924), 3-4. 9 


130 


Diele Klöſter find damals in ihrem oft uralten Beſtand vernichtet 

worden. Nicht in all dieſen häuſern hat man das traurige Geſchäft 
der Plünderung und Derſchleuderung fo gründlich betrieben wie bei 
uns. Schäftlarn war eine der erſten Abteien außerhalb Münchens, 
welche die privilegierten Räuber heimſuchten. Da waren fie noch nicht 
fo erfättigt wie bei manchen Rlöftern, die man etwas ſpäter erſt auf⸗ 
hob, und wo ſich von dem Hausrat, der Kirchenzier, den Büchern und 
Bildern doch gar manches erhielt, bis in ſpäteren Tagen wieder Mönche 
die entweihten Räume bezogen. In Schäftlarn fanden unſere Mit⸗ 
brüder bei ihrer Ankunft 1866 kaum etwas anderes mehr vor als 
ein leeres haus. Das Stift hatte in der ſo viele gahre dauernden 
Jeit feiner Profanierung ſo manche Herren ertragen müſſen, die in 
dem Gotteshaus nichts anderes ſuchten als eine gute Rente für ihre 
in das Unternehmen geſteckten Gelder. 
König Ludwig I. von Bayern machte nach kräften wieder gut, 
was fein Dater gefehlt hatte. Er errichtete am 17. Mai 1866 auf An- 
raten des damaligen Münchener Erzbiſchofs Sregorius v. Scherr, 
der vor ſeiner Berufung nach München Abt in Metten geweſen war, 
aus ſeinen Privatmitteln Schäftlarn wieder und gab es den Bene⸗ 
diktinern. Es war ein gar ſchwaches Reislein, das damals im alten 
Rlofter des hl. Dionuſtus und der hl. Juliana wieder neu gepflanzt 
wurde, damit es nach Benediktinerart in ruhiger, ſteter Entwicklung 
heranwachſe. Die damalige bauriſche Benediktinerkongregation hatte 
beim beſten Willen nicht die Macht, mit genügenden äußeren und 
inneren Mitteln an den Ausbau ihres jungen Rlofters zu gehen. Es 
fehlte nahezu an allem, um gleich mit Araft an eine wirklich frucht⸗ 
bare Betätigung auf allen Arbeitsfeldern zu ſchaffen, für die das neue 
Kloſter beſtimmt war. Die äußere Not hat ſich inzwiſchen wohl etwas 
gehoben. Es gelang im Laufe der Jahre, wenn auch mit ſchwerſten 
Opfern, die Güter des alten Rlofters in weitem Umfang wieder zu 
erwerben, ſo daß der materielle Beſtand einer benediktiniſchen Familie 
geſichert erſcheint. Auch einen äußeren Wirkungskreis hat ſich Schäft⸗ 
larn allmählich geſchaffen. Inftitut und Progumnaſtum erfreuen ſich 
zuſehends der Wertſchätzung vieler. Aber Erziehungs- und Lehrtätigkeit, 
wie auch die Pfarrſeelſorge voll auszubauen, daran hindert uns noch 
die viel zu geringe Zahl der Glieder unſerer Familie. Möchte Gott zum 
gubeltage unferem greifen Dater einen hl. Bernhard ſenden mit vielen 
Gefährten. Ihm wäre es das größte Snadengeſchenk. Ruch wir haben 
keinen ſchöneren Wunſch für unſeren greifen Abt als den des Pfal- 
miften (Pf. 127, 6): Videas filios filiorum tuorum! 


— 


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Weißer Frühlingskrokus. 


kirokusblũte, filberbetaut, 

Von der Sonnenſehnſucht geboren, 
Selige Unſchuld, vom Lichte zur Braut 
bor den Frühlingsblumen erkoren. 


Trink denn, Braut, das bräutliche Licht 

Bis zum letzten ſcheidenden Schimmer: 

Bald kommt die Nacht und wer weiß, ob ſich nicht 
deine Blätter ſchließen für immer. 


Seele, Seele, fieh, das biſt Du, 

Dieſe zarte, ſilberne Blüte — 

Du, meine Seele, was ſchließt Du Dich zu 
bor dem Lichte göttlicher Güte? 


Öffne, Seele, öffne Dich weit, 
Tu Dich auf der ewigen Sonne! 
Öffne den lielch — und im Rind der Zeit 
keimen Ewigkeiten voll Wonne. 
P. notker Würmſeer. 


131 


9* 


132 


Der Einheitsgedanke im Rirdlichen Geben 
der Faſten⸗ und Ofterzeit. 


Don P. Emmanuel heufelder (Schäftlarn). 


t omnes unum sint, . consummati in unum, „Daß alle eins fein 
möchten, .. vollkommen eins!“ fo betete unſer Erlöfer (Job. 17, 
21. 23), als er Abſchied nahm von den Seinen. Die Erfüllung dieſer 
Bitte war ſein größtes Anliegen in jener Stunde, gleichſam die gute 
Meinung, mit der er in den Tod ging. So hatte ja der Ratfchluß des 
göttlichen Willens gelautet: „in der Fülle der Jeiten in Chriſtus alles 
wieder unter einem haupt zuſammenzufaſſen, was im himmel und 
was auf Erden iſt“ (Eph. 1, 10), eine große wundervolle Einheit herzu⸗ 
ſtellen nicht nur zwiſchen Bott und den Menſchen, ſondern auch zwiſchen 
den Menſchen untereinander. Wir würden darum die Faſten⸗ und 
Oſterzeit, die in beſonderer Weiſe der Erinnerung an unſere Erlöſung 
und ihrer Fruchtbarmachung für uns geweiht iſt, nicht im Sinn Chriſti 
feiern, wenn wir nicht den großen Gedanken dieſer Einheit in uns 
lebendiger werden ließen. Es iſt von tiefer Bedeutung, daß die Kirche 
ihre lieder gerade in dieſer Zeit zum Empfang der heiligen Sakra⸗ 
mente der Buße und des Altares ruft, zur Oſterbeicht und zur Oſter⸗ 
kommunion. Dieſe beiden Sakramente, im Geiſte Chriſti und der Kirche 
empfangen, ſind die hervorragendſten Betätigungen des kirchlichen 
Gemeinſchaftslebens und die fruchtbarſte Mitarbeit an der Derwirk: 
lichung der Heilandsbitte. | 
Man möchte meinen, es gebe nichts fo Perſönliches, nichts, was fo 
einzig und allein das eigene Ich und fein unmittelbares Verhältnis 
zu Gott anginge als die Sünde und ihre Tilgung in der heiligen Beicht. 
Aber die Sünde iſt nicht bloß eine Beleidigung Gottes und eine Schä⸗ 
digung der eigenen Seele, ſondern auch ein Unrecht gegen die Mit⸗ 
menſchen, gegen die Semeinfchaft der Gläubigen. Alle Gläubigen bilden 
ja nach dem hl. Apoftel Paulus (1. Kor. 12) einen Leib, fie find muſtiſch 
Chrifti Ceib, und find gleich den Gliedern eines menſchlichen Leibes 
miteinander verbunden. Wie nun das Gedeihen und Wohlbefinden 
eines menſchlichen Leibes von der Geſundheit der einzelnen Glieder 
abhängt, wie die Krankheit eines Bliedes den ganzen Leib arbeits: 
unfähig machen oder ihn doch in der vollen Entfaltung feiner Gebens: 
kraft hemmen kann, fo iſt es auch im großen Leib der kirche. Nuch 
da „leiden, wenn ein Glied leidet, alle Glieder mit, und wenn ein Glied 
ſich freut, freuen ſich alle mit“ (12, 26). Jede gute Tat, die von irgend 


133 


einem Glied des Leibes der Kirche getan wird, und fei fie auch noch 
ſo verborgen, ſteigert die Lebenskraft des ganzen beibes; und jede 
Sünde, die von irgend einem Glied desſelben Leibes begangen wird, 
auch die geheimſte Gedankenſünde, ſchwächt den ganzen Leib. An 
dem Platz, den das ſündige Glied im Leib der Kirche einnimmt, kann 
das übernatürliche Leben nicht mehr friſch und kraftvoll pulfieren. 
Bier ſtockt der Juſtrom der göttlichen Gnade entweder ganz, bei der 
Todfünde, oder er fließt nicht mehr fo reichlich, bei der läßlichen Sünde. 
Das durch die Sünde erſtorbene oder kranke Glied leiſtet nichts mehr 
oder nicht mehr das, was es leiſten könnte und ſollte für den Auf- 
bau und das Wachstum des Leibes der Kirche. So übt jede unferer 
ſittlich guten wie ſittlich ſchlechten Taten ihre Wirkung aus nicht bloß 
auf uns ſelber, ſondern auch auf die Semeinſchaft, der wir einge⸗ 
gliedert find. Darum find wir aber auch für unſer ganzes ſtttliches 
Streben dieſer Gemeinſchaft verantwortlich. Chriftus hätte uns das 
nicht greifbarer und wirkſamer zum Bewußtſein bringen können, als 
dadurch, daß er jenem Sakrament, durch das wir Vergebung unſerer 
Sünden erlangen, die Form eines Gerichtes vor dem Diener der Kirche 
gegeben hat. Es handelt ſich bei der Sünde wirklich um eine Rechts⸗ 
verletzung zugleich gegenüber der Kirche, eine geiſtige Schädigung der 
bemeinſchaft der Gläubigen. Darum muß der Sünder feine Schuld 
nicht bloß vor Gott, ſondern auch vor dem Prieſter, dem Diener der 
kirche, bekennen und abbitten und in der willigen Verrichtung der 
vom Stellvertreter der Semeinſchaft auferlegten Buße Erſatz leiſten 
auch für den Schaden, den er der Gemeinfchaft zugefügt hat. An die 
Erfüllung dieſer Pflicht ift die Derzeihung der Sünde auch von Seite 
Bottes geknüpft, und wenn auch eine Nachlaſſung der Sünde ohne 
vorausgehendes Bekenntnis vor der Gemeinſchaft eintreten kann auf 
Grund vollkommener Reue oder z. B. bei bosſprechung in Todesgefahr, 
ſo iſt Dorausfegung für eine ſolche Nachlaſſung die Bereitwilligkeit, 
das Bekenntnis und die Übernahme einer Genugtuung bei Gelegen⸗ 
heit nachzuholen. Die Pflicht, ein geſchehenes Unrecht nach Kräften. 
wieder gut zu machen, hört aber nie auf, auch wenn das Unrecht 
ſelbſt längſt verziehen iſt. 

Im bichte dieſer Gedanken offenbart ſich uns erft, von welch tiefer 
Bedeutung das Buß ſakrament für das Gemeinſchaftsleben des muſti⸗ 
(hen eibes Chriſti iſt. Es hat im Organismus der Rirche die Stö⸗ 
rungen in den Beziehungen der einzelnen Glieder zum Leib und zu 
einander wieder zu befeitigen und alle Glieder, in denen das über: 
natürliche Leben durch die Sünde erſtorben oder geſchwächt iſt, für 


134 


die Semeinſchaft wieder gefund und lebenskräftig zu machen.! Darum 
ruft die Kirche gerade in der Faſten⸗ und Oſterzeit alle ihre Glieder 
zur heiligen Beicht', darum ſieht fie in der Nichterfüllung dieſer Pflicht 
eigentlich eine Losſagung von ihrer lebendigen Gemeinſchaft: an Oſtern 
will fie ja Auferftehung feiern mit Chriſtus, ihrem göttlichen Haupt, 
deſſen Leib fie if. Da ſoll Haupt und Glieder das gleiche göttliche 
beben in ungeſchwächter kraft und Herrlichkeit durchſtrömen, ſodaß 
wirklich „alle eins find“ in wahrer Oſterfreude. Um das zu erreichen, 
faßt die Kirche in der Dorbereitungszeit auf Oſtern gleichſam alle ihre 
Kräfte zuſammen zum Bampf gegen die Sünde, gegen alle Todes: 
und ktrankheitskeime in ihrem Leib. Darum ihr eindringlicher Ruf 
zum Bußgericht an alle ihre Glieder, darum ihr unabläſſiges Bitten 
und Flehen in der Liturgie der Faſtenzeit, daß Gott alle Sünde von 
ihr wegnehmen möge, darum ihr Büßen und Entſagen, „auf daß die 
Schuld der übrigen Zeiten durch gute Werke und reinigendes Faſten 
gefühnt werde.“ Auf ſolche Weiſe „läutert Gott durch die jährliche 
Beobachtung der vierzigtägigen Faſten feine Kirche“, fo daß fie dann 
am Oſtertag „in ihrer ganzen Herrlichkeit, ohne Makel oder Runzel 
oder etwas anderes, was ſie verunſtaltet, ganz heilig und unbefleckt“ 
(Eph. 5, 27) vor ihrem verklärtem Bräutigam ſteht, „der ſich in Liebe 
für fie dahin gegeben hat, um fie zu heiligen“ (ebd. D. 25), und der 
ſich nun in der Oſterkommunion aufs neue hingibt, um ihre heili⸗ 
gung zu vollenden, fie zur „Semeinfchaft der Heiligen“ im höchſten 
Sinn zu machen. g 

Die Oſter kommunion, die als die gemeinſame Kommunion des 
ganzen muſtiſchen Leibes Chrifti, als die Aommunion aller, die über: 
haupt noch Glieder der Kirche fein wollen, alle einzelnen kommu: 
nionen des Jahres gleichſam zuſammenfaßt, ift die Arönung und Doll: 
endung des kirchlichen Gemeinſchaftslebens, weil die vollkommenſte 
Verwirklichung des heilandswortes: ego in eis et tu in me, ut sint 
consummati in unum, „ich in ihnen und Du in mir, auf daß fie voll⸗ 
kommen eins ſeien.“ Durch die ſakramentale ktommunion iſt Chriſtus 
in uns und wir find in ihm, fo wie der Vater in ihm iſt und er im 
Vater. Das göttliche Leben, das vom Schoß des Vaters ausgeht in 
den Sohn und im hl. Geift zurückflutet zu feiner Quelle, ſtrömt durch 
den Genuß des Lebensbrotes auf uns über, erfaßt und durchdringt 
uns als lebendige Rinder des lebendigen Gottes. „Wie mich der leben⸗ 
dige Dater geſandt hat und ich durch den Vater lebe, fo wird der, 


8. die Note am Schluß. Can. 906 c. i c. ſagt zwar nur „wenigftens einmal im 
Jahr“; praktiſch ergibt ſich die Oſterbeicht. St. Deo am 1. Faftenfonntag. * Oration ebd. 


135 


welcher mich ißt, durch mich leben“ (Joh. 6, 58). Unſere Lebens= 
gemeinſchaft als Glieder des Leibes Chriſti wird dadurch hineingeſtellt 
in die bebensgemeinſchaft des dreimalheiligen Sottes und fo zur 
„Semeinfhaft der heiligen“ in der tiefſten Bedeutung des Wortes. 
In der Einheit des dreieinigen Gottes iſt das Ideal der Gemeinſchaft 
am vollkommenſten verwirklicht. Die Glieder dieſer göttlichen Ge⸗ 
meinſchaft ſind in der Einheit ihrer Natur ſo verbunden, durchdringen 
und befigen ſich gegenſeitig fo vollſtändig, daß eine Perſon buch- 
ſtäblich das alter ego der andern iſt; und doch hat dieſe Einheit 
zugleich Raum für den überſtrömendſten Reichtum perſönlicher Selb⸗ 
ſtän digkeit und Eigenart. Der Sohn, der von ſich ſagt: „Ich und der 
Dater find eins. Wer mich fieht, ſieht den Dater“ (Joh. 10, 30; 14, 9) 
kann zu gleicher Zeit ſprechen: „Ehe Abraham war, bin ich“ (ebd. 8,58). 
Die drei göttlichen Perſonen haben alle die gleiche unteilbare göttliche 
Natur, und doch beſitzt fie jede Perſon in einer ihr allein eigenen Weiſe; 
und gerade dieſer ganz perſönliche Beſitz der einen Perſon iſt wieder 
der beſondere Reichtum der andern. In dieſe wundervolle Einheit 
der Dreifaltigkeit nun wird die Dielheit der Glieder des Leibes Chrifti 
aufgenommen durch die heilige kommunion, das Sakrament der 
„Gemeinſchaft“. Und fo erhält unſer Gemeinſchaftsleben auf Erden 
die kraft, ſich zu geſtalten nach jenem Urbild aller Bemeinfhaft im 
himmel. Wenn wir „das Brot des Lebens“ (Joh. 6, 48) empfangen 
und in diefem Brot den „lebendigmachenden Geiſt“ (ebd. U. 64), dann 
find wir nicht mehr bloß ein Leib, ſondern auch ein Geiſt, wie Dater 
und Sohn ein Geiſt ſind; wir ſind dann: unum corpus et unus 
Spiritus (1 Hor. 10, 17; Eph. 4, 4). Damit ift des heilands hohe⸗ 
prieſterliches Gebet in ſeiner Abſchiedsſtunde erfüllt: „Ich bitte für die, 
die an mich glauben werden, daß fie alle eins find, wie Du Vater 
in mir und ich in Dir, daß fie eins find in uns.“ 

50 laßt uns denn die knie beugen vor dem Vater, von dem jede 
Bemeinfhaft im himmel und auf Erden den Namen hat (Eph. 3, 15) 
und beten, was die ktirche betet nach Empfang der Oſterkommunion 
am Oſtertag als Poſtkommunio: Gieße uns ein, o herr, den Geiſt 
deiner Liebe, damit die, die Du mit den öſterlichen Sakramenten 
geſättigt haſt, durch Deine Güte ganz eines Sinnes werden mögen. 
durch unſern herrn geſus Chriftus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt 
und herrſcht in der Einheit eben des Heiligen Geiſtes!, Gott von Ewig- 
keit zu Ewigkeit. Amen. 


ein hinweis auf Pfingſten! Der Triumph des Geiſtes ift der Triumph Chrifti. 
Ben. Monatſchr. IV (1922) 191 ff.; vgl. auch Salzburger, Kath. Rirhenztg.” 61 (1921) 147. 


136 


Anmerkung. 


Die Ruffaffung des Bußſakramentes, von der Seite 134 die Rede war, könnte 
vielleicht auch bicht werfen auf einige ſchwierige Fragen der Dogmatik des Buß⸗ 
ſakramentes. — Im chriſtlichen Altertum war die Idee vom muſtiſchen Leib Chriſti 
und von der Aufammengehörigkeit aller Gläubigen als Glieder dieſes Geibes viel 
lebendiger als in ſpäteren Jahrhunderten. Ob nicht das der Srund iſt, warum im 
chriſtlichen Altertum das öffentliche Bekenntnis der Sünden vor der verfammelten 
Gemeinde und die öffentliche Bußleiſtung gegenüber der geheimen Beicht und der 
geheimen Buße klarer und deutlicher hervortritt? Das öffentliche Bekenntnis vor 
der ganzen Gemeinde, nicht bloß vor dem mit der fakramentalen Dergebungsgewalt 
ausgeftatteten Diener der Kirche drückt ja den Gedanken der Verantwortlichkeit 
gegenüber der Gemeinſchaft viel greifbarer und wirkungsvoller aus. Der hl. Jakobus 
fordert (5, 16) die Gläubigen förmlich auf: „Bekennet einander eure Sünden!“ 

Dann läge ſchließlich auch der Uaienbeicht, die jahrhundertelang als Erſatz der 
Prieſterbeicht in Notfällen eifrig geübt wurde und die noch Thomas von Aquin 
quodammodo sacramentalis nennt (Suppl. q. 8 a. 2), der tiefe, ſchöne Gedanke zu 
Grunde, daß durch ein ſolches Bekenntnis vor einem Glied der Kirche wenigſtens 
einigermaßen der Schuld, die man durch die Sünde der G6emeinſchaft gegenüber hat, 
Genüge getan wird, wenn auch bei ihr von einer eigentlichen, ſakramentalen bos · 
ſprechung nicht die Rede fein kann. Albert der Große nennt bezeichnend die 
bos ſprechung, die er einer ſolchen Beicht zuſchreibt, eine Cos ſprechung aus der Ein- 
heit des Glaubens und der Liebe, ex unitate fidei et caritatis< (In sent. IV 
dist. 17 q. 2 a. 58). Bei der Diakonenbeicht wäre das in noch höherem Grad 
der Fall, weil ja der Diakon als geweihtes Glied der Hierarchie ſchon wirklich ein 
mit geiſtlicher Gewalt ausgeftatteter Vertreter der Kirche iſt, wenn er auch noch keine 
eigentliche, ſakramentale Abſolutions vollmacht befitt. 


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Andern hat er geholfen, 
Sich ſelbſt kann er nicht helfen. 


Ja, das kann fie nicht, die ganz reine, die ſelbſtloſe Giebe: ſich ſelber helfen in 
ihrer eigenen Not. Uur den anderen kann fie da helfen. 

Und doch liegt vielleicht gerade in dieſem Unvermögen der Liebe, ſich ſelbſt zu 
helfen, ihr tiefſtes Glück und ihre höchſte Seligkeit. Selig, wer geben darf: Geben iſt 
feliger denn Nehmen. Aber jetzt hat ſelbſtloſe Giebe nicht mehr die große Seligkeit 
des Gebens. Nicht mehr? O jetzt erſt doppelt: jetzt darf fie andern helfen, die Selig- 
keit des Gebens zu erfahren. 

O wie ſelig mußt Du fein, hilfreicher Gott, der Du allen gibſt — O wie ſelig. 
auch Du, hilfloſer Heiland am Kreuz, dem alle alles geben dürfen! 


% % *. 


137 


Der Weg zur Kirche. 


Don P. Hotker Würmſeer (Schäftlarn). 


s geht eine große Sehnſucht nach der Kirche durch die Welt. Woher 

kommt das? Daher, daß viele Menſchen an einer unfeligen Welt 
die alleinſeligmachende kraft der Wahrheit erkannt haben und des⸗ 
halb nun aufrichtig nach Wahrheit ſuchen. Aller Wahrheit Fülle aber 
it in Chriftus, der ſich ſelbſt die Wahrheit nennt. Und der lebendige 
Chriftus iſt unſere kirche. Darum muß alles ehrliche Streben nach 
Wahrheit, wie die Waſſer dem Meere, fi der Kirche zuwenden, muß, 
wenn auch noch ſo verborgen, zur Sehnſucht nach der Kirche werden. 

Aber wie wird dieſe Sehnfucht ihre Erfüllung finden? Auf welchem 
Wege kommt die ſuchende Seele zur Kirche? Chriftus ſagt es: „Ich 
bin der Weg, die Wahrheit und das beben.“ Die Kirche iſt „der 
lebendige Chriſtus“, alſo iſt für uns die Kirche „der Weg und die 
Wahrheit“, Ziel und Weg zugleich: ein merkwürdiges Paradoxon, 
mit dem ſich die Apologetik bis heute nicht befreunden kann. Aber 
ſchon St. Ruguſtin hat grundſätzlich deſſen Löfung gegeben: Per ho- 
minem Christum ad Deum Christum, das gilt wie für den hiſto⸗ 
ichen Chriſtus fo für den myftifchen Chriftus, d. h. die kirche. Auch 
die Kirche iſt in der tatſächlichen Erſcheinung, wie fie ſelbſt dem Nicht⸗ 
gläubigen gegenübertritt, der Weg zur Anerkennung deſſen, was hinter 
dieſer ſichtbaren Geftalt ſich verbirgt; das Geſchöpfliche an ihr iſt der 
Weg zum Glauben an das Göttliche in ihr; die Kirche als „Natur“ 
it der Weg zu Kirche als „Übernatur“. Und das ſcheint uns auch 
St. Auguſtins Weg zur Kirche geweſen zu fein, wenn auch nicht fo 
punkt für Punkt, wie es im folgenden zu formulieren verſucht wird. 


I. 

Aus der Erkenntnis des Schöpfers und dem Bewußtſein der Willens⸗ 
fteiheit folgt die unbedingte Pflicht, nach dem Willen des Schöpfers 
zu leben, alſo zunächſt nach deſſen Willen zu forſchen. Dieſer Wille 
bottes muß aus der menſchlichen Natur zu erkennen fein. Weil aber 
bie menſchliche Natur ihre volle Entfaltung nicht im einzelnen findet, 
ſondern nur in der Menſchheit als einem ſozialen und hiſtoriſchen 
6anzen, darum kann auch der Wille Sottes niemals vom einzelnen 


Dieſer Auffag, wie auch der „Dom Sinn des Mönchtums“ behandelt nicht ganz 
leichte theologiſche Fragen. Der Derfaffer will daher in beiden nicht ſchon ein ab⸗ 
geſchloſſenes wiſſenſchaftliches Endergebnis bieten; er möchte nur anregen zu eigener 
und fremder Weiterarbeit. 


138 


voll erkannt werden, ſondern nur einer ſozial⸗hiſtoriſchen Gemein: 
ſchaft ganz zum Bewußtſein kommen, und zwar dieſer umſo klarer 
und reicher, je tiefer fie in der Geſchichte wurzelt und je weiter fie 
die Mitwelt umſpannt. Daraus folgt für den einzelnen um ſeiner 
ſelbſt willen, aber ebenſo der Derantwortung wegen, die jeder für 
feine ſuchenden Mitmenſchen hat, die Pflicht, eine ſolche Gemeinſchaft 
mitzukonftituieren, um von ihr als einer ſittlich⸗religiöſen Autorität 
bindende Regeln zur vollen Erfüllung des göttlichen Willens zu er⸗ 
halten. 50 wird alfo die unbedingte Pflicht, nach dem Willen des 
Schöpfers zu leben, für den einzelnen zur Pflicht, ſich einer ſittlich⸗ 
religiöfen Autorität anzuſchließen und zwar naturgemäß jener, die ihm 
durch hiſtoriſche Tiefe und Weite der Bemeinfchaft die Gewähr gibt, 
daß ſie den Willen Gottes am vollſten erfaſſen kann, und durch die 
fittlide Dollkommenheit ihrer Mitglieder zeigt, daß fie dem ſittlich⸗ 
religiöfen Fortſchritt des einzelnen auch wirklich dienen will. Daß 
dieſer Anſchluß nur an eine rein theiſtiſche Autorität geſchehen kann, 
verſteht ſich von ſelbſt. Erhöht wird dieſe Pflicht für die meiſten, wenn 
nicht für alle Menſchen durch die ererbte und erworbene Schwäche 
des Intellektes und des Willens, die wenigſtens darin ſich äußert, 
daß es unmöglich erſcheint, neben der notwendigen Alltagsarbeit viel 
zu „philoſophieren“ und ſich dem Einfluß einer unmoraliſchen Um: 
gebung ganz zu entziehen. Eine ſittlich⸗religiöſe Autorität allein kann 
dieſe Schwäche ausgleichen. N 

Die allgemein erkannte Pflicht, ſich einer ſittlich⸗ religiöſen Autorität 
anzuſchließen, wird natürlich praktiſch zunächſt zur Pflicht, nach einer 
ſolchen Autorität zu ſuchen. Als kiennzeichen find von vornherein 
gegeben: hiſtoriſche Tiefe, foziale Weite der Semeinſchaft bei aller 
autoritativen Einheit, ſitiliche Vollkommenheit der Glieder je nach 
deren gutem Willen und als philoſophiſche Dorausfegung der reine 
Theismus. Nun ift es wohl, nicht ſchwer zu erkennen, daß die ka⸗ 
tholiſche kirche alle dieſe Kriterien einer natürlichen ſittlich⸗ religiöſen 
Autorität in einem Ausmaße in ſich vereinigt wie keine andere ber: 
artige Autorität. Das wird beſtätigt durch die aufrichtige Bewun⸗ 
derung und tiefe Achtung, die viele Andersgläubige vor der „hiſto⸗ 
riſchen Erſcheinung“ der kirche haben. Für den kiatholiken aber muß 
es ohne weiteres klar fein, daß feine Kirche, eben weil fie ihm über: 
natürliche Autorität iſt — fo gewiß als ſonſt überall die Gnade auf der 
Natur aufbaut — auch jene natürliche Autorität in ſich ſchließt, d. h. 
daß fie nicht bloß übernatürliche Kirche iſt, ſondern ebenſo auch „Natur⸗ 
Rirche.” Darin liegt gerade das Menſchlich⸗Geſchöpfliche an der Kirche, 


l PEN ER, 


139 


das der menſchlichen Natur Chrifti entſpricht und ebenfo wie diefe nach 
8t. Ruguſtin der Weg zum Glauben an das Göttliche wird. 

Beſteht alſo einerſeits die Pflicht, ſich einer ſittlich⸗religiöſen Nu⸗ 
torität anzuſchließen, anderſeits die Gewißheit, daß die katholiſche 

kirche in ihrer natürlich⸗hiſtoriſchen Erſcheinung die geſuchte über⸗ 
ragende Autorität iſt, fo ergibt ſich daraus nach dem Geſagten für 
jeden, der den Willen des Schöpfers als bindend anerkennt, die Not⸗ 
wendigkeit, ſich der katholiſchen kirche zunächſt als „natürlicher“ 
Autorität anzuſchließen. 

II. 

nun aber — und hier ſetzt etwas vollkommen Neues ein — ſteht 
der Suchende vor der merkwürdigen Tatſache, daß ihm dieſelbe Au- 
torität, an die er ſich nach dem aus der Natur erkannten Willen 
Bottes anſchließen ſoll, mit der größten Beſtimmtheit erklärt: fie 
könne und wolle ihn nicht als Glied in ihre „natürliche“ Gemeinſchaft 
aufnehmen, außer er würde ſie zugleich als „übernatürliche“ Autorität 
anerkennen. Die kirche gibt ihm alſo tatſächlich nur dann die Mög⸗ 
lichkeit, feiner Gewiſſenspflicht zu genügen, wenn er eine als Bedingung 
erſcheinende Forderung erfüllt. Was nun? 

es kann kein Zweifel ſein, daß die ganze Schwere der Pflicht, ſich 
der kirche als natürlicher Bemeinfchaftsautorität anzuſchließen, nun 
auf der Erfüllung dieſer Bedingung laſtet; wie immer, wenn eine 
pflichtgemäße handlung an eine moraliſch und phuſiſch erfüllbare 
Bedingung gebunden iſt. Es kommt alfo in unferem Falle nur darauf 
an, ſich Gewißheit zu verſchaffen, ob die als Bedingung empfundene 
forderung der Kirche, fie als übernatürliche Autorität anzuerkennen, 
moraliſch und phuſiſch erfüllbar iſt; und die Pflicht fie zu erfüllen, 
iſt dann zweifelsohne in ihrer ganzen Schwere gegeben. 

Die Frage, deren bejahende Antwort die volle Pflicht auslöſt, die 
katholifche Kirche als übernatürliche Autorität anzuerkennen, ift alſo 
einzig noch dieſe: iſt die Forderung der Kirche, ſie als übernatürliche 
Autorität in ſittlich⸗religiöſer hinſicht anzuerkennen, überhaupt erfüll- 
bar? mehr als die Gewißheit der Erfüllbarkeit dieſer Forderung iſt 
nicht notwendig, um die Pflicht, fie zu erfüllen, voll und ganz auszu= 
loſen. Und mehr als die Erfüllbarkeit braucht deshalb auch nicht er⸗ 
wieſen zu werden. Aber wann iſt dieſe Forderung der kirchlichen Au= 
torität erfüllbar? Offenbar dann, wenn kein moraliſches Bedenken 
beſteht, den entſprechenden Willensakt zu ſetzen und der Intellekt 
keinen Grund hat, die in der Forderung liegende Behauptung der 
kirche, daß fie jene übernatürliche Autorität ſei, für unwahr zu halten. 


140 


Ein moraliſches Bedenken könnte wohl nur der haben, der die all- 
gemeine Notwendigkeit einer fittlichereligiöfen Autorität überhaupt 
nicht anerkennen, ſondern auf einen extrem autonomen Standpunkt 
ſich ſtellen wollte, oder wer immer noch der unſachlichen Meinung 
wäre, die kirche verfolge mit jener Forderung außermoraliſche oder 
gar unmoraliſche Zwecke. Der Intellekt aber hätte nur dann Grund, 
die genannte Behauptung der Kirche für unwahr zu halten, wenn er 
überzeugt wäre, daß „übernatürliche Tatſachen“ überhaupt unmöglich 
ſeien, oder wenn die Kirche ſich für ihre Behauptung, daß ſie auch 
übernatürliche Autorität fei, auf bloß natürliche Gründe ſtützen wollte. 
Denn das iſt von vornherein klar, daß eine Behauptung, die über 
alles Menſchenmögliche hinausgeht, ſich nicht auf menſchenmögliche 
Tatſachen gründen darf. Aber die Kirche tut das auch nicht, fie be⸗ 
ruft ſich vielmehr ausdrücklich auf „gottgefügte Tatſachen“, die, evi⸗ 
dent erkannt, ihre Behauptung ſogar evident beweiſen würden. Aber 
eben weil die Behauptung nicht evident zu ſein braucht, um jene For⸗ 
derung und Bedingung der ktirche erfüllbar zu machen und damit 
allein ſchon die Pflicht auszulöſen, die Übernatürlichkeit anzuerkennen, 
deshalb brauchen auch die Wunder nicht evident erkannt zu werden. 
Es genügt vollkommen, wenn dieſe Wunder ſo ſicher als beweiſende 
Tatſachen erkannt ſind, daß die genannte Behauptung der kirchlichen 
Autorität für wahr gehalten werden kann, d. h. glaubbar wird. Das 
iſt aber ſchon der Fall, wenn erkannt wird, daß die außerordentlichen 
Tatſachen, auf welche die kirche ſich beruft, von Gott „gefügt“, alſo 
Wunder ſein können. Denn ſchon in dieſem Fall muß man ſich ſagen: 
Die Behauptung der Kirche kann wahr fein; fie kann deshalb auf 
ihre Autorität hin geglaubt werden. Daß aber eine Tatfache von Gott 
gefügt fein kann, wenn ſie, für die menſchliche Dernunft unerklärbar, 
mit einem fittlid:religiöfen Zweck ſich verbindet, ift für jeden klar, 
der nicht alles ÜÜbernatürliche in der Welt von vornherein für un⸗ 
möglich hält. Als eine ſolche „wunderbare“ Tatſache, die den Anſpruch 
der Kirche auf Übernatürlichkeit glaubbar, ihre Forderung, dieſelbe 
anzuerkennen erfüllbar und damit den vollen Anſchluß an ſie zur 
ſicheren Pflicht mache, bezeichnet die kirche ſelbſt ihre eigene Exiſtenz. 
In der Tat geben ſelbſt Nichtgläubige zu, daß in der Entſtehung des 
Chriftentums und damit auch der ktirche ein „irrationaler Faktor“ ſich 
nicht ausſchalten laſſe, daß ein „unerklärbarer Reſt“ bleibe. Dasſelbe 
gilt ebenſo vom Beftand der ktirche. Dieſes Jugeſtändnis iſt nach dem 
Geſagten genügend, um für jeden, der nicht alles Übernatürliche grund⸗ 
ſätzlich ablehnt, den Anſpruch der Kirche auf übernatürliche Autorität 


141 


glaubbar und ihre Forderung auf Anerkennung derſelben erfüllbar zu 
machen. Wenn aber dieſe Forderung der Kirche auf Anerkennung 
ihrer übernatürlichen Autorität, die als Bedingung erſcheint, um ſich 
ihr als natürlicher Autorität anſchließen zu können, erfüllbar iſt, dann 
fällt ja die ganze Schwere der Pflicht, ſich ihr als natürlicher Auto- 
tität anzuſchließen, auf die Erfüllung dieſer Bedingung; d. h. es iſt 
unabweisbare Pflicht, die Kirche als übernatürliche Autorität anzu⸗ 
erkennen, und damit unabweisbare Pflicht, den letzten Schritt auf dem 
Deg zur ktirche, den Schritt in die katholiſche Kirche zu tun. 

Man ſieht aus dem Ganzen, daß das letzte treibende Motiv immer 
und überall die ſittliche Pflicht ift, die freilich nur durch jenen in ſich 
übernatürlichen und darum gnadenhaften Anſpruch der Kirche auf 
Übernatürlihkeit zu ihrem übernatürlichen Endziel emporgetragen 
wird. Daraus ergibt ſich als praktiſch wichtigſte Folgerung: Es kommt 
beim Weg zur Kirche alles auf das ſitiliche Pflichtgefühl, auf das 
demiffen an. Wer kein zartes Sewiſſen hat, der kann nicht zur 
kirche kommen. Und darum iſt die conversio morum, die Bekeh- 
rung der Sitten, notwendige Bedingung zu jeder conversio fidei. 
das heißt natürlich nicht, man müſſe nach einer Überzeugung leben, 
die man noch nicht hat — obwohl das theoretiſch geſprochen am 
ſchnellſten zum Ziele führen müßte. Das aber iſt erforderlich, daß man 
nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnis immer ſofort ſein beben 
einrichtet. Nur wer ſo „die Wahrheit tut, kommt zum Licht.“ 

Freilich, die menſchliche Schwäche iſt groß und würde wohl bald 
die Schritte zur Kirche erlahmen laſſen, wenn nicht von dieſer ſelbſt 
ein geheimnisvoller Zug ausginge, der die Seelen je näher, deſto 
mehr mit ſanfter Gewalt an fie bindet. Es iſt die Kraft jenes di- 
num quoddam, wie der hl. Thomas es nennt; jenes „göttlichen 
etwas“, das vom Antlitz der kirche ſtrahlen muß wie vom Antlitz 
des Beilandes. Das entzündet in reinen Herzen, die ja allein in dem, 
was ſie ſchauen, das Göttliche empfinden können, eine zarte Liebe, 
die den Schritt beflügelt, wenn anders Dante recht hat, daß die Liebe 
die menſchen wie „die Sonne und die Sterne bewegt.“ 


Rind, fo wie der Sonnenftrahl 

Dom Blumenkelch den Tropfen Tau, 

80 wird der herr auch dir einmal 

Die Seele von den Augen blau 

In Diebe und in Ehrfurcht küſſen. Balbulus. 


142 


Abt Sigisbert Giebert von Schäftlarn. 
(Von der Schriftleitung.) 
m 7. April diefes Jahres feiert im ſchönen Ifartale, ſüdlich von Mün⸗ 
chen, das Kloſter Schäftlarn voll Freude das goldene Prieſter⸗ 
jubiläum feines hochwürdigſten herrn Abtes. Geboren zu Augsburg 
am 25. Januar 1851 ward Franz Xaver Liebert erſt Symnaflaft bei 
den Benediktinern von St. Stefan, dann nach der Reifeprüfung ihr 
Novize. Am 28. Januar 1872 legte er in die hände von Abt Raphael 
mertl die einfachen Gelübde ab und wurde am 7. April 1874 von Biſchof 
Pankratius v. Dinkel zum Prieſter geweiht. Lange Jahre wirkte er 
ſegensreich in feinem Mutterkloſter als Lehrer, Seminarpräfekt, Se⸗ 
kretär des Abtes, ktuſtos der Stiftskirche, Jellerar und Derwalter des 
Rloftergutes bechhauſen und ſtieg nach und nach zur Würde eines 
Subpriors und Stiftspriors empor. Als die Rapitularen des Kloſters 
Schäftlarn ihn am 5. Oktober 1904 zu ihrem prior regiminis wähl⸗ 
ten, fiel ihm der Abſchied von feinem Hheimatkoſter ſchwerer als manche 
ahnten. Am 3. mai 1910 wurde er als erſter Abt beſtätigt und an 
feinem Namenstag, den 11. Juli, von ftardinal Franziskus v. Bettinger 
feierlich benediziert. Faſt die hälfte ſeiner Prieſterjahre hat Abt Sigis⸗ 
bert fomit den Söhnen feiner Abtei das Brot des Lebens und der 
Lehre gebrochen. Es iſt daher wohl in der Ordnung, daß es fie drängt, 
ihrer Diebe und Dankbarkeit lauten Ausdruck zu verleihen. 8o find die 
eigentlichen Nufſätze dieſes Heftes entſtanden: eine Feſtſchrift, wenn 
man will und eine kleine „Pſuchologie des Benediktinerordens,“ wenig: 
ſtens ein wertvoller Beitrag zu einer ſolchen. Sie reden von der Familie 
als der Grundlage benediktiniſchen Mönchtums, vom Prieftertum als 
ſeiner wunderbaren Ergänzung. Sie zeigen das Mönchtum in Bezie⸗ 
hungen zu Menſchheit, Staat und Heimat. Sie weiſen endlich darauf 
hin, wie das Mönchtum trotz feiner befonderen Lebensform letzten 
Endes nichts iſt noch fein will als reftlofe Derwirklichung der all⸗ 
gemein⸗chriſtlichen Grundidee von der großen Einheit im Erſtandenen: 
in Chriftus und der Kirche. Freudig hat die kiunſt das ihrige getan, den 
Feſtglanz zu erhöhen. Auch wir haben herzlich gern ein weniges dazu 
beigetragen und meinen, unfere beſer werden wie der gubilar mit uns 
den Schäftlarnern Mönchen für die ſchöne Babe Dank willen. 
Anſpielend auf das Alofterwappen: in Blau ein golden Schifflein mit 
zwei goldenen Rudern, hat ſich Abt Sigisbert als Wappenſpruch das 
Wort der Jünger ausgewählt: Die salva nos perimus, „herr, rette 
uns, ſonſt gehen wir unter!“ Solange der Geiſt, der aus dieſen Blättern 
ſpricht, in St. Benedikts Klöftern lebt, wird gewiß keines von ihnen 
innerlich untergehen. Und Welt und ktirche werden — wir dürfen es 
zuverſichtlich hoffen — den Segen verſpüren, der noch immer von gott⸗ 
liebenden und gottgeliebten klöſterlichen Familien ausgegangen iſt. 


a 38 8 


143 


kleine Beiträge und Hhinweiſe 


Die Sonntagsepifteln in der Predigt. 


D⸗ Evangelium, das Wort des Herrn, bildet den höhepunkt des Gebets und 
Predigtgottesdienſtes der Dormeffe. Ihm gilt auch mit vollem Recht die haupt⸗ 
aufmerk ſamkeit und die ſorglichſte Pflege des Predigers. Wir find deshalb Profeſſor 
killmann dankbar, daß er den Evangelien des Kirchenjahres zwei Bände exegetiſch · 
homiletifher Erläuterungen gewidmet hat, die fie in neuem Licht erſcheinen laſſen. 
Wenn nun auch das Evangelium den höhepunkt der Vormeſſe darſtellt, fo iſt damit 
nicht gefagt, daß es immer und allein den Gegenftand der Predigt bilden müſſe; denn 
gerade auch hier hat die Erfahrung den Grundfag beſtätigt: Quotidiana vilescunt. 

Der hat übrigens den Sinn des herrn tiefer erfaßt als feine Apoftel, ein hl. Paulus? 
Darum führt die heilige Kirche auch fie als Lehrer ein in den Bottesdienft der Dor- 
meſſe, und der Prediger verdient vielen Dank, der es verfteht, ihre behre dem Geiſt 
und herzen feiner Fuhörer nahe zu bringen. Das ift freilich Reine leichte Aufgabe. 
es hat feine Gründe, wenn die Epifteln nicht oft zum Gegenſtand der Predigt gemacht 
verden. Wir brauchen eben einen Führer, ſonſt finden wir uns in der Bedankenwelt 
der Epiſteln oft nicht leicht zurecht, zumal in der des Geiſtesrieſen Paulus, der am 
haufigften in der Dormeffe der Sonntage als Pehrer auftritt und uns faſt erdrückt 
mit dem Reichtum und der Tiefe feiner Ideen. | 

Um es nun gleich zu Jagen: ich wüßte keinen geeigneteren Führer als wiederum 
killmann. Er hat in den beiden Bänden „Die ſonntäglichen Epiſteln““ ein Werk 
geſchaffen, das ich in der hand jedes Predigers wiſſen möchte und derer, die es werden 
ſoallen. Der Derfaffer gibt zunächſt in einem Stichwort den Srundgedanken der jewei⸗ 
ligen Epiftel an. Dann folgt die Überfegung der Perikope und zwar in fließendem 
deutſch. Wenn man weiß, welche Freiheiten ſich 3. B. die Franzoſen geſtatten, Schrift⸗ 
tegte lichtvoll uud ſchön in ihrer Sprache darzubieten, dann brauchen wir uns wirklich 
nicht aus übertrieben ängſtlicher Treue gegen das Original mit einer ſchwer genieß⸗ 
baren Überfegung abzufinden. Der Derfaffer ſelbſt braucht das um fo weniger als er 
ju fofort den griechiſchen Text vorführt mit wortgetreuer Überfegung nebenan. Das 
it nicht überflüſſig aus einem anderen Grunde: Tillmann will uns nämlich nicht die 
ode heerſtraße altbekannter Auslegungen voranſchleppen, noch auch mit mehr oder 
deniger geiſtreichen Einfällen der eigenen Phantaſie uns überraſchen; dazu braucht 
5 fteilich keinen Urtext. Er will den Apoftel hören laſſen wie er zu den Gläubigen 
ſpricht, die feines Wortes bedürfen. Den Apoftel felbft zu hören in möglichſt unge- 
kübter klarheit und Friſche, das iſt's, was uns lockt; die Mahnungen, die er unſeren 
korfahren im Slauben gab, fo wie fie gemeint waren, auf uns heute anzuwenden, 
dazu find wir willig und bereit. Dieſem Bedürfnis kommt der Derfaffer entgegen, 
indem er dem Urtext eine Erklärung folgen läßt, die den Gedankengang des Apoſtels 
in underfälſchter Treue und ungebrochener Araft zur Geltung bringt. Textkritik, 
leuteſtamentliche Philologie und Geſchichte haben in den letzten Jahrzehnten das Der- 
ſtändnis der Sprache und der Ideen der heiligen Briefſchreiber, ſowie der Page und 
ſelſchen Bedürfniſſe der Briefempfänger weſentlich gefördert. Tillmann verwendet 
die Ergebniffe der neuteſtamentlichen Wiſſenſchaften ausgiebig, ohne uns mit deren 
Interſuchung zu ermüden. Ganz beſonders kommen dieſe Ergebniſſe zu ſtatten einer 
ganzen Reihe bibliſch⸗theologiſcher Ideen und Begriffe, deren volle Bedeutung arg 
zawiſcht war. Man geſtatte einige von ihnen anzuführen: Der Tag des Herrn; 
as heil; das Anziehen unſeres Herrn Jeſus Chriftus; die Elemente der Welt; Glaube, 
Giebe, hoffnung; die chriſtliche Aſzeſe; die chriſtliche Auffaſſung des irdiſchen Berufes; 
qq en a er A 


'Tilimann, F., Die fonntäglihen Epifteln im Dienfte der Predigt erklärt. Zwei Bände. Düſſeldorf 
2 und 1923, Schwann. N 


144 


das Zeugnis von Waſſer, Blut und Geiſt für Chriftus; der Gottesknedht; das Der: 
hältnis des Chriften zum Staate; die chriſtliche Freiheit; das Leben; die Bedeutung 
der Taufe; Fleiſch, Geiſt, Sotteskindfchaft; die Mitwirkung mit der Gnade; SGeſetz 
und Geſetze; der muſtiſche Leib Chriſti uſw. Dieſe Stichworte laſſen wohl ahnen, 
welch reichen Schatz theologiſcher Erkenntniffe das Werk des Derfaſſers erſchließt 
Wir möchten nur wünſchen, daß er durch ein vollſtändiges Sachregiſter leichter zu⸗ 
gänglich gemacht würde. 

Was wir aber am meiſten ſchätzen an der Erklärung des Derfaffers, das iſt der 
klare Blick, mit dem er die Sedankenmaſſe einer Perikope überfieht und die ſichere 
Hand, mit der er uns durch fie hindurchführt. Mag uns beim erften Durchleſen 
einer Epiftel deren Inhalt noch fo unklar, ja verwirrend vorkommen, hier wird ge: 
ſchieden und geſondert, fo daß ein überſichtlich geordnetes Ganze vor unſern Augen 
liegt. Auch aus der verwirrenden Menge von Erklärungsverſuchen, von denen nicht 
zu oft der eine oder andere angeführt wird, weiß Tillmann mit glücklichem Griff 
jenen zu faſſen, der der begründetſte und vernünftigſte zu fein ſcheint. Wir müffen 
geſtehen, der Ezeget hat es verftanden, dem Prediger in die hand zu arbeiten. Die 
Erklärung der Perikope erleichtert es dieſem ſehr, ſich in ihr zurechtzufinden, ihren 
Sinn und Gedankengang ſicher zu erfaſſen und für das praktifche Leben unferer 
Tage fruchtbar zu machen. Der eben genannten Aufgabe ſchenkt der Verfaſſer im 
letzten Teile feiner Erklärung noch beſondere Aufmerkfamkeit. Es werden aus jeder 
Epiftel drei, vier Punkte hervorgehoben und ihre Derwendbarkeit für die Predigt 
dargelegt. Allerdings nimmt der Exeget dem Prediger die Arbeit nicht ganz ab. 
Deſſen eigene Sache iſt es, die Punkte zu erwägen und homiletiſch auszugeſtalten. 
Recht oft birgt ein einziger dieſer Punkte fo viel Lebenskraft in ſich, daß er bei 
geſchickter Bearbeitung allein dazu fähig iſt, zu einem wirkſamen Motiv, einer ein- 
drucksvollen Predigt auszuwachſen. Der Prediger hat ja Gelegenheit, dieſelbe Epiftel 
im bauf der Jahre immer wieder zu verwerten; jedes Jahr aufs neue einzudringen 
in den unerſchöpflichen Gehalt der Perikopen und jedes Jahr neue Schätze zu heben 
zum eigenen Nutzen und zum Beften der Gläubigen. 

Studium vorab der heiligen Schrift, Erwägung mit Gebet und Predigt: das iſt 
eine Trilogie, die wie nichts anderes das Leben des Prieſters reich und glücklich und 
ſegensvoll machen kann. Wir möchten deshalb ſchon den Alumnen der theologiſchen 
Ronvikte und der Prieſterſeminare empfehlen, fi durch Tillmann in die Welt der 
Berikopen einführen zu laſſen, damit fie in ihr ſchon in etwa heimiſch geworden dem 
praktiſchen Leben entgegengehen können. P. Paurentius Rupp (Weingarten). 


Aus der liturgiſchen Bewegung in öſterreich. 


G Len ende des Krieges reifte in zwei Männern, dem berühmten Ethnologen 

P. Wilhelm Schmidt 8. D. D. (St. Sabriel, Mödling) und dem Regulierten Vatera · 
nenſiſchen Chorherrn Pius Parſch (Stift Alofterneuburg) der Plan zu liturgiſcher 
Arbeit in Öfterreih, den fie nach Beendigung der Feindfeligkeiten jeder an feiner 
Stelle ausführten. 

Bon Oſtern 1919 an gab P. Schmidt heraus: „Das feierliche hochamt“, Kleine 
Heftchen, die jeweils den vollftändigen feſten und beweglichen Teil einer 8onn ⸗ und 
Feſttagsmeſſe enthielten. Der volle Erfolg blieb wohl deshalb aus, weil keine litur⸗ 
giſche Schulung vorausgegangen war.” Um fo größer wurde die Anregung, die von 
dieſen ſchlichten heftchen ausging. Sie wurden fozufageu der Anftoß zur öſterrei - 
chiſchen liturgiſchen Bewegung. 

Wie überall, jo waren es auch hier die Gebildeten und die Jugendbewegung, die 
die liturgiſchen Jdeen zuerſt aufgriffen. Der Kontakt mit dem katholiſchen Geiſtes · 
leben und der liturgiſchen Bewegung Deutſchlands, das innere Bedürfnis nach einer 
Frömmigkeit großen Stils und die Einjicht in die ſehnenden Notwendigkeiten der Zeit 


145 


waren bei ihnen am ftärkften. Dem P. Schmidt ging bei feiner Arbeit für die Aka- 
demiker zur Seite der Seckauer Mönch P. Dirgil Redlich. Es ift bezeichnend für die 
praktiſche Art, mit der man die liturgiſche Arbeit anfaßte, daß man bald zur Missa 
recitata (Chormeſſe) kam. Im herbſt bildete ſich unter Wienern Akademikern eine 
liturgiſche Semeinde. Sie beſchließen ihre Meßfeier mit einem gemeinſamen Früh⸗ 
ſtück als Agape. Uachher ift Anſprache, meiſt Erklärung der Meſſe. Studentenſeel⸗ 
ſorger Dr. Harl Rudolf iſt beiter und Pfleger dieſer Deranftaltungen. Die Bewe⸗ 
gung griff 1922 über auf die in „Jung Öfterreih” und „Neuland“ geeinte katho- 
liſche Mittelfhuljugend. Zu den Chormeſſen kamen da auch bald liturgiſche Abende, 
an denen die Liturgie des folgenden Tages oder größere Riten beſprochen werden, 
und die ihren Ausklang finden in der gemeinſam geſungenen Aomplet. Das bewußte 
diel der liturgiſchen Beſtrebungen unter der Jugend ift, die liturgiſche Erkenntnis 
in Erleben umzuſetzen und beides fruchtbar zu machen für das geiſtliche und das 
Alltagsleben: der liturgiſche Menſch. 

p. Pius Parſch bereitete fein liturgiſches Wirken in kloſterneuburg vor durch 
1919/20 abgehaltene Bibelabende. In der Faſtenzeit 1920 entſtand ein liturgiſcher 
Zirkel, darin die heilige Meffe, auch ihrer geſchichtlichen Entwicklung nach, fowie die 
biturgie der hauptfeſte beſprochen wurden. Semeinſame Feier der liturgiſchen Muſte⸗ 
tien machte den Firkel zur Bemeinde. In der ſog. „volksliturgifdyen Meffe“, (Typ, 
Klofterneuburg) glaubt man eine Form gefunden zu haben, die Derftändnis, mit 
feier und engen Anſchluß an die handlung des Prieſters fördert.“ Don 1922 an 
durden in der Liturgiegemeinde die einzelnen Meßformulare erklärt. Ein deutſches 
Direktorium erleichtert die tägliche Benützung des Reßbuches. Seit 1923 ging man 
dazu über, das Brevier ergänzend zum Meßbud treten zu laſſen. P. Pius Barſch 
ſchuf in feiner Sammlung: „Hus Brevier und Meßbuch““ das Hilfsmittel dafür. Die 
Beftrebungen &lofterneuburgs finden ihre Pflege vorab in den Liturgie-Gemeinden, 
die nach Kloſterneuburger Mufter auch anderswo eingerichtet wurden. 

Weitere Areife können durch dieſe fo gründliche Kleinarbeit erft ergriffen werden, 
wenn der Weltklerus ſich der Aufgabe annimmt und „Liturgie Gemeinden“ ein- 
richtet. Ihn dafür zu intereffieren, ift für 1924 die Gründung liturgiſcher Prieſter⸗ 
zirkel in Husſicht genommen: Deus benedicat! 

! geht in neuer Auflage. In ein Heftchen, das das Ordinarium enthält, legt man Blätter mit den wech ⸗ 
ſelnden Teilen des Meßformulars ein. Zu beziehen durch: Miſſtonsdruckerel St. Gabriel, Mödling, bei Wien. 
* Eine Hinführung zur Liturgie gab p. Schmidt dann in feinem Buche: „Der deutſchen Seele Not und heil“ 
Paderborn, Schöningh; ſ. dieſe Zeitfchrift IV (1922) 236; vgl. ebd. 386. Befchrieben in Parſch, Rlofter- 
neudurger Citurgiekalender für 1924 75 ff. Trotz großer Derfchledenheiten eine gewiſſe Ähnlichkeit mit Guar 


dinis Semeinſchaftlicher Nehandacht. Don jetzt ab bildet es den Hauptbeſtandteil des Olturglekalenders (4 ff.) 
"Regensburg, Röſel und Puſtet. Bisher erſchienen 5 Bändchen, Nehe Januar- Februar -Heſt 8. 73. 


Athanafius Winterſig (Maria - Paach). 


0 biturgiſche „Ueuerungen“ am Rhein. 


Im Dezember 1923 brachte in ihrer Nummer 933 die Kölniſche Dolkzeitung eine 

Ankündigung, die manch einen freuen wird, weil fie zeigt, wie das Derftänönis für 
die alte Zelebrationsweife der heiligen Meffe an höchſter Stelle Anerkennung findet: 

„Weihnachten im Dom. Im hohen Dom beginnt die Chriftmette, mit der eine 
kurze Feſtpredigt verbunden wird, um 12 Uhr nachts (nicht wie bisher um 4 Uhr 
morgens). Um 9½ Uhr wird der herr Kardinal ein feierliches Pontifikalamt halten 
und zwar, damit die Gläubigen der heiligen handlung beſſer folgen können, am 
Pfarraltar in der Mitte des Domes zum Volke hingewendet, wie es alt⸗ 
kirchliche Sitte war uud heute noch mancherorts, beſonders in Rom (8. Peter) ge- 
Mäuchlich iſt. Bei fpäteren Gelegenheiten ſoll der Pfarraltar außerdem noch einige 
Stufen höher gelegt werden. Uach dem Pontifikalamt hält ſeine Eminenz eine An⸗ 
ſprache von der Nähe des Pfarraltares aus.“ B. Joannes Vollmar (Maria - Oaach). 


146 


Bücherſchau 


Religions kunde 


Cumont, Franz: Die Myfterien des 
Mithra. Ein Beitrag zur Religionsge- 
ſchichte der römiſchen Kaiferzeit. Hutori⸗ 
ſierte deutſchs Ausgabe von Georg Gehrich. 
Dritte vermehrte u. durchgeſehene Auflage 
beſorgt von Kurt Patte. Mit 21 Abbild. 
im Text und auf 2 Tafeln, ſowie einer Karte. 
8° (XV und 248 8.) Leipzig und Berlin, 

Teubner 1923. M. 3.50; geb. M. 4.50. 
Das treffliche, durch Gründlichkeit und 
ſilarheit ausgezeichnete Werk von Cumont 
erſcheint nunmehr ſchon in 3. deutſcher Auf ⸗ 
lage, die von R. Oatte ergänzt und ver- 
eſſert ift. Anhänge berichten über die neu- 
gefundenen Monumente und Texte. Thema 
des Buches iſt eine der großen Auseinander- 
ſetzungen zwiſchen Orient und Okzident, die 
die Befchichte nicht zur Ruhe kommen laſſen 
und beſonders auf religiõſem Gebiete frucht; 
bar und wichtig find. Auch die Unionsbe- 
ſtrebungen mit den orientaliſchen kirchen 
ſind hier einzureihen. Der abendländiſche 
Geift fühlt die lotwendigkeit einer Ergän- 
zung. Das wachſende Derftändnis für das 
Mönchtum und die Liturgie lenkt den Blick 
immer wieder in den Orient, ihr Heimat- 
land. Um aber den chriſtlichen Orient zu 
verſtehen, muß auch der vorchriſtliche ſtu⸗ 
diert werden. Beſonders der Myfterienge- 
danke, im neueren Abendlande allzuſehr 
vernachläſſigt, im Orient immer gehütet, 
muß bis injfeine Wurzeln verfolgt werden. 
Dazu kann auch dies Buch dienen, wenn 
auch C. ſelbſt oft allzu Kühl urteilt und 
über dem orientaliſchen Wuft und Aber⸗ 
glauben das bleibend Wertvolle zu wenig 
hervorhebt. Uber das Verhältnis zwiſchen 
den Mithrasmuſterien und dem chriſtlichen 
Glauben und Kulte urteilt C. im allgemei- 
nen beſonnen; ein tieferes Eindringen in 
das Chriſtentum hätte ihn wohl die Unter 

ſchiede noch ſchärfer ſehen laſſen. 

P. Obo Caſel (Maria- aach). 


Bröhl, Richard, Ruratus: Die Aöventi- 
ſten und ihre ehren. Eine Widerlegung 
der adventiſtiſchen Angriffe gegen die kath. 
Kirche. gr. 8°(1285.) Breslau 1921, Goerlich. 


Eine wirklich gründliche Darſtellung der 
Irrtümer und Methoden der Aöpentiften, 
zugleich eine eingehende, gediegene Wider⸗ 
legung der einzelnen Gehrpunkte, mit denen 
die Sektierer unſer Volk zu verführen fu» 
chen. Im Kampf, den der Seelforger heute 
gegen den Aöventismus zu führen hat, 
wird ihm die Broſchüre eine gute Hilfe ſein. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


Geben geſu 


Felder, Dr. P. Hilarin, O0. m. Cap.: 
deſus Chriftus. Apologie feiner Mleffia- 
nität und Bottheit gegenüber der neueſten 
ungläubigen geſus⸗Forſchung. 1. u. 2. BB. 
2. Aufl. 8° (VIII u. 522 8.; VI u. 582 8.) 
Daderborn 1920 und 1921, F. Schöningh. 
Seb. M. 10.80 und I. 9.— 

Der erſte Band, der jetzt bereits in 3. Auf: 
lage vorliegt, behandelt „das Bewußt · 
fein geſu“ von feiner göttlichen Sendung 
und Natur: Fefus hat ſich als Sottmeſſias 
betrachtet und bekundet. Nach einer Ein⸗ 
leitung, welche Kurz über den Stand der 
Frage orientiert, werden im erſten Ab⸗ 
ſchnitt die Quellen: Echtheit und Slaub⸗ 
würdigkeit der Evangelien, beſprochen 
(19/143). Der zweite Abſchnitt unterſucht 
das meſſtaniſche (144/290), der dritte das 
göttliche Bewußtfein geſu (291, 500). — Der 
zweite Band prüft „die Beweife geſu“ 
für die von ihm behauptete Meffianität 
und Sottesſohnſchaft. Dabei kommt im 
erſten Abſchnitt die Perſon geſu zur Sprache: 
feine pſuchiſche Seſundͤheit (19/90), feine 
geiſtige Hoheit (90/179), feine ſittliche Doll- 
Rommenheit (180/290). Im zweiten Ab- 
ſchnitt werden die Beweiſe für das meſſta⸗ 
niſche und göttliche Selbftbewußtfein und 
Selbftzeugnis geſu, d. h. die Werke geſu auf 
ihren Wert unterſucht: Wiſſenſchaft und 
Wunder (291/356); Wiſſenſchaft und 
Evangelienwunder (357/472); Wiſſenſchaft 
und Auferftehung Jeſu (472,551). 

Ergebnis der Unterſuchungen: „So füh- 
ren auch die verzweifelten Anftrengungen, 
welche der moderne Unglaube macht, um 
das meſſianiſche und göttliche Bewußtfein 
Jeſu zu leugnen, unwiderſtehlich zurück 


zur Überzeugung, daß geſus ſelbſt ſich als 
erlöſermeſſtas und wahren Gottes ſohn 
gewußt und geoffenbart hat“ (I. 508). 
Der zweite Band ſchließt mit dem Ra- 
pitel: „Bankerott der ungläubigen und 
Triumph der gläubigen Chriſtusforſchung 
(l. 552/66). 

In der Tat, P. Felder erbringt unwider- 
leglich den Beweis, daß das titanenhafte 
Unterfangen der ungläubigen, rationali⸗ 
ſtiſchen und moderniſtiſchen beben · geſu · 
Forſchung in all feinen ungezählten Arten 
und Abarten kläglich in ſich ſelbſt zu⸗ 
ſammengebrochen ift. Man ſtaunt, mit welch 
klarem und ſicherem Blick U. das über- 
reiche, verworrene Material der neueſten 
beben · qeſu - Forſchung geſichtet und ver · 
arbeitet hat. Er hat es verſtanden, die 
dielen hiſtoriſchen, ezegetifhen, philoſo⸗ 
phiſchen, pſuchologiſchen und methodiſchen 
fragen, die in Betracht kommen, ins rechte 
bicht zu rücken und zu bewältigen. Und 
dies alles vornehm, in edler gefälliger 
Sprache. Das an den modernen Gedanken- 


zängen, Behauptungen und Ideen berech · 


tigt iſt, anerkennt er unumwunden. Aber 
mit derſelben Unparteilichkeit deckt er den 
Irrtum auf und weift ihn ab, geſtützt auf 
Beweiſe und Sründe. 

P. Felder hat uns eine wahrhaft zeit⸗ 
gemäße, glänzende Apologie Chrifti ge- 
ſchenkt. Er hat uns zugleich ein herrliches 
Bild der Perſon, der Pehre, der geiftigen 
und ſittlichen Hoheit Chrifti gezeichnet, das 
uns immer neu entzückt, je tiefer wir es 
in uns aufnehmen. Wir möchten wün⸗ 
ſcen, daß ſich fein Werk in den händen 
unferer jungen Theologen, unferer Geift- 
lichen und aller jener findet, die ſich für die 
eniheidende Frage: „Was dünkt euch von 
chriſtus? (Matth. 22, 42) zu intereffieren 
haben. Es bietet reiche Anregung und 
Ausbeute für religiös · wiſſenſchaftliche Vor · 
näge über die gegenwärtig beſtehenden 
Stiftologifchen Fragen. 


dan Binneken, F., 8. J.: Der ganze 


chriſtus. Das katholiſche Heilands bild. 


Berechtigte Uber ſetzung aus dem Hollän- 
kichen von ID. E. Winkel 8. J. 16° 
628) Berlin 1923, Verlag der Germania. 
I. —. 40; geb. IM. —.60. 

der Derfaffer unterſucht den tiefſten 
Deſensunterſchied zwiſchen der katholiſchen 


147 


und der proteſtantiſchen Auffaffung des 
Bildes, das uns die Evangelien von der 
Perſon geſu entwerfen. „Der weſentliche 
Unterſchied zwiſchen Proteſtantiſch und 
Katholiſch liegt darin, daß der Katholik 
in Lehre und Leben den ganzen Chriftus 
umfaßt und ihm nachfolgt, während jeder 
Proteſtant nur einen Bruchteil von Chriſtus 
beſitzt und bekennt, den er ſich perſönlich 
ausgewählt hat“ (49). D. verfteht es, das 
Heilandsbild als die harmoniſche Der- 
einigung der verſchiedenſten Gegenfäge 
zu zeichnen. Er tut es mit Araft und 
wohltuender Wärme. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


Religion und Geben 


Altchriſtliche Gebete. 12° (208 8.) Mainz 
1922, M. Srünewald⸗ Verlag. Geb. M. 3.15 

Viel Liebe hat dieſe Gebete aus weit 
zerſtreuten Quellen der Heiligen Schrift, der 
alten ftirchenväter und der orientaliſchen 
biturgien zuſammengetragen; großes Be- 
ſchick hat fie in gute deutſche Form ge- 
bracht und auf die Sebetsbedütfniſſe des 
täglichen Lebens (Morgen-, Abend-, Meß», 
Beicht⸗, Rommuniongebete ufw.) verteilt. 
In einer Einführung ſpürt ein feinſinniger 
Beobachter dem Beift der gebotenen Stücke 
nach und hebt beſonders den katholiſchen, 
alle und alles umfaſſenden Gemeinſchafts⸗ 
ſinn, die edle Einfachheit und gemeſſene 
Sicherheit hervor. Der tiefe Schacht, aus 
dem dieſe urkräftigen, altchriſtlichen Ge- 
meinſchaftsgebete hervorquellen, iſt ihm 
das charismatiſche, ſchöpferiſche Gebet der 
Urkirche. Im heiligen Benedikt ſteht er 
den „Heiligen der liturgiſchen Sebets⸗ und 
Gebenshaltung ſchlechthin“ (20); das fiebte 
Kapitel feiner Regel bildet den Schluß der 
Texte. Wer reinen, kerngefunden, altchriſt⸗ 
lichen“ Beift auf ſich wirken laffen will, 
dem empfehlen wir das Büchlein, deſſen 
Ausftattung klaſſiſch vornehm gehalten iſt. 
Vielleicht lernt er dabei die ruhigeren, ge⸗ 
drängten Gebetsformen unſerer römiſchen 
biturgie umſo mehr ſchätzen und lieben. 


Gute Bebetbüdher zu ſchaffen, hat ſich der 
M. ⸗ Grünewald · Verlag überhaupt u.a. zum 
Biel geſetzt. Dem oft beklagten Sebetbuch⸗ 
elend haben zwar weithin abgeholfen und 
helfen ab zahlreiche handausgaben und 


148 


Überfegungen der offiziellen kirchlichen 
Bücher. Aber wenn auch Vorbild für alles 
private Beten, kann und will die GCitur- 
gie nicht feine Schranke fein. Die Sonne 
hat ihre Protuberanzen und das Meer 
ſeine Wellen: Die liturgiſche bedarf der 
privaten Andacht wie die private der 
liturgiſchen bedarf. Deshalb begrüßen wir 
es ſehr, daß in der Sammlung: „Religiöfe 
Seiſter“ eine eigene (2.) Reihe „Gebetstexte 
vorgefehen und durch Kardinal Newman 
vielverheißend eröffnet ift („Bott und die 
Seele. Gebete und Betrachtungen“. 11.— 
20. Taufend, geb. I. 3.15 und höher). Don 
newman ſtammen ebenfalls die beiden 
kleinen, gut gekleideten Büchlein: „Der 
Maimonat“, kurze, ſehr anſprechende 
Mailefungen im Anſchluß an die laure⸗ 
taniſche Litanei (3.— 10. Tſd., geb. I. 1.20) 
und die tiefempfundenen „Rarfreitags- 
betrachtungen mit den allumfpannen- 
den „Fürbitten“, denen der Rarfreitags⸗ 
liturgie nachgebildet, ſamt kleinem „Areuz- 
weg” (1.— 5. Aufl. geb. I. 1.20). Eine 
ergreifende Rreuzwegandacht ift vor allem 
auch: „Der Kreuzweg unſeres herrn 
und Beilandes” von R. Guardini 
(1922, 21.— 30. Aufl. geb. 1.05), dargereicht 
nach zehnjähriger Selbſterprobung und 
eingeleitet mit einer warm empfundenen 
Wertung dieſer „Volksandacht“. Guardini 
lehrt uns das beiden Jeſu tief verftehen 
und unfer Geid in Jeſu Leid willig, ja 
freudig ertragen. Allerdings eignet ſich 
fein „Kreuzweg, wie er felbft meint, „Kaum 
zum gemeinſchaftlichen Gebet, ſondern wohl 
nur zur ſtillen Derfenkung”. Umgekehrt 
ſcheint nach dem uns vorliegenden Pro- 
ſpekt, weil aus dem Beten der Gemein- 
ſchaft entſprungen, auch für deren Beten 
ausnehmend geeignet: „Der hl. Kreuz- 
weg /, den ſoeben P. Anfelm Manfer im 
Theatinerverlag herausgibt (geb. M. 1.20) 
„mit liturgiſchem Rreuzwegtext beſtehend 
aus Worten der heiligen Schrift und Ge- 
beten der biturgie“. Auch er iſt nicht von 
geftern. Er hat fogar in etwa Vorgänger, 
ſomit in feiner Art Tradition. Er erläu- 
tert vierzehn rührend ſchöne, gemütstiefe 
Fieſolebildchen in Tiefdruck, wie von P. 
Dippert S. g. ſchon vorher in wohllauten⸗ 
den Worten und wegweiſenden Gedanken 
„Der hl. Rofenkranz” an hand von 
fünfzehn vierfarbigen Bildchen desſelben 


unvergleichlichen Fra Angelico erläutert 
ward (1923, 6.— 16. Tfd. M.1.—). Lauter 
kleine Büchlein aber feine. Nur vor einem 
hüte man ſich: vor einem Spieleriſchen in 
der Frömmigkeit. Das gilt nicht für llew · 
man, Guardini, P. A. Manfer, P. Lippert; 
wohl aber ſei es geſagt für etwaige 
billige Nachahmer! 
P. Pius Bihlmeuer (Beuron). 


Solowjeff, W.: Drei Reden. Dem Inden · 
ken Doſtojewskus gewidmet. Verdeutſcht 
von Th. Gräfin v. Peſtalozza. 8° (61 8.) 
Gange, SE.: Wladimir Solowjew. Eine 
Seelenſchilderung. 882 8. mit Bildnis). 
Spalding, J.: Grundſätze chriſtlicher 
bebens führung und erziehung. lÜber- 
tragen von J. Hheneka. 8° (144 8.) 10., 12. 
und 11. Band der Sammlung „Religiöfe 
Seiſter“. Mainz, M. Srünewald-Derlag. 
Solowjeff verfügte über eine feltene 
Schärfe philoſophiſchen Denkens, beſaß 
einen großen geiſtigen Weitblick, war durch 
perſõnliche Freundſchaft mit Doftojewsky 
verbunden, nahm aber in ſeiner Stellung 
zum Abendlande eine dieſem grundſätzlich 
entgegengeſetzte haltung ein. Alle dieſe Ei- 
genſchaften laſſen ihn beſonders geeignet 
erſcheinen, uns mit Doſtojewskus Gedöan· 
kenwelt bekannt zu machen. Es war des⸗ 
halb ein glücklicher Griff, feine drei, dem 
Andenken Dofiojewskys gewidmeten Re 
den ins Deutſche zu übertragen. Sie bedeu- 
ten eine. vorzügliche Einführung in die 
Gektüre der Werke dieſes ruſſiſchen Dich- 
ters. Und dieſe bedürfen notwendig einer 
ſolchen.— In kongenialer Weiſe hat 8. 
Doftojfewskys Grundideen herausgehoben. 
Nur die Hauptlinien, die großen Geſichts 
punkte will er aufdecken. Gerade das iſt 
aber der große Dorzug diefer Ausführungen 
und läßt auch Doftojewskys Größe in hel⸗ 
lem Gicht erſcheinen. Man ſieht, wie weit 
er feiner Jeit vorausgeeilt iſt und wie 
hoch er über feiner ganzen Umwelt ftand. 
Den einen Zweifel kann man allerdings 
nicht unterdrücken, ob D. tatſächlich feine 
Aufgabe ſchon in dieſer Klarheit erkannt 
hat. Seine Schriften machen dieſen Ein- 
druck nicht. Es mag bei ihm mehr ein 
unbewußtes Ahnen geweſen ſein, und nur 
ein fo klarer und ſcharfer Kopf wie 8. ver- 
mochte das dunkel Erkannte in eine kri- 
ftallklare Form zu faffen. — In religiõ · 


fen Fragen kommt allerdings die ortho; 
dok · kirchliche Stellung des Reoͤners noch 
demlich zum Dorfchein. Die ÜUberſetzung 
wird dem Schwung und der Kraft, die alle 
Reden beleben, vollkommen gerecht. 
bange verſteht es, den ebengenannten 
Philoſophen in feiner eigenften Art zu ge; 
ben. Solowjew widmete einen großen Teil 
ſeines Studiums der Seſchichte der Philo- 
ſophie und ließ das eigene Denken be⸗ 
fruchten von den größten Beiftern alter 
und neuer Zeit. Daòurch wird das Der- 
Rändnis feiner eigenen Philoſophie er- 
ſchwert. O. iſt bemüht, foweit das in dem 
gegebenen Raum möglich iſt, hintergründe 
und Parallelen aufzuweiſen; die ganze 
Arbeit iſt herausgewachſen aus einer gu» 
ten ienntnis der modernen Geiſtesrich⸗ 
tungen und Seiſtesentwicklung. Das un» 
terſcheidet dieſes Bändchen von früheren 
der gleichen Sammlung. Es fett eine 
zemlich große Vertrautheit mit philofophi- 
chen Fragen voraus. Die äußeren Gebens- 
ſchickſale Solowjews werden mit Abſicht 
übergangen, ſoweit fie nicht für eine „See; 
lenſchilderung“ von Bedeutung find. Es 
berührt aber angenehm, daß neben der 
Philoſophie des großen Ruſſen auch feine 
fo anziehende Per ſönlichkeit zur Seltung 
kommt. Die weit freilich der Oſten über ⸗ 
haupt geeignet iſt zur geiſtigen und be⸗ 
fonders religiöfen Klärung des Weſtens 
beizutragen, dieſe Frage mag offen bleiben. 
Es iſt kaum möglich, in einigen Sätzen 
den Reichtum und die ganze Schönheit des 
11.Baänddhens anzudeuten. 8 pal ding war 
emer der bedeutend ſten Bifchöfe Amerikas 
im verfloſſenen Jhdt. Er erwarb ſich um 
das Hufblühen katholiſchen Lebens und 
katholifcher Erziehung unſchätzbare Der- 
dienfte. Das Beheimnis feiner Erfolge ift 
feme Per ſönlichkeit. Sie tritt in dieſen ge⸗ 
fammelten Vorträgen uns prächtig, lebens. 
friſch, ur ſprünglich entgegen. Das iſt das 
Koftbarfte daran. „Worte haben nur dann 
unwider ſtehliche Kraft, wenn fie aus dem 
herzen Bott ähnlicher Männer kommen“ 
(89). Sp. Ihöpft aus einer reichen Erfah⸗ 
rung, darum iſt alles was er ſagt, abge⸗ 
klärt, lebenswahr, praktiſch. Eine Neube⸗ 
lebung mag das Büchlein vor allem für 
ſolche fein, denen ſchon einmal in einſa⸗ 
mer Stunde ein heimlicher Aweifel das 
Dertrauen auf die eigene Kraft und die 


149 


Sieghaftigkeit ihres Glaubens trüben zu 
wollen droht. Wie unmöglich eine Erzie⸗ 
hung ohne Glaube und wie nur der Glaube 
fähig iſt, die Welt zu überwinden, iſt nicht 
die letzte und geringſte Erkenntnis, die 
dieſe Zeilen vermitteln können. Erziehung 
braucht Ideale. „Bott iſt das Ideal, oder 
es gibt keines“ (94); die Geſchichte der 
jüngften Zeit hat es uns klar gezeigt. 
P. Willibrord Derkade (Beuron). 


v. Dunin-Borkowski, 8t.,8.3.:5chöp- 
ferifhe Liebe. Ein Weg zur ſittlichen 
Vollendung. 8° (205 8.) Berlin 1923, 
Ferd. Dümmler. M. 4.—; geb. M. 5.— 

ein Buch, geſchrieben von einem tiefzn 
Renner der menſchlichen Seele, beſonders 
auch der Seele des werdenden jungen 
Mannes. So erreicht es feinen Doppel⸗ 
zweck vollkommen: einerfeits die „Ab- 
hängigkeiten und Juſammenhänge der Tu⸗ 
genden“ zu zeigen, anderſeits die Freund. 
ſchaft zwiſchen chriſtlicher und Vernunft ⸗ 
ethik aufzuweiſen. Wenn auch „ohne die 
gelehrte Gangart und Sprache lehr mäßiger 
Darbietungen“ verfaßt, bietet das Buch 
doch auch dem Theoretiker in der Tugend» 
lehre reiche Anregung. Die chriſtliche Wahr- 
heit, daß die Liebe die Seele aller Tugend 
iſt, ohne die es keine wahre Tugend gibt, 
iſt hier weniger logiſch als pſuchologiſch 
dargelegt, aber mit einer lebenswahren 
Pſuchologie, die leichter überzeugt als kalte, 
lebensfremde Logik. An Hand des drei⸗ 
zehnten Kapitels im erſten Korintherbrief 
wird „ein Tugendkreis aus pauliniſchen 
Elementen“ aufgezeigt; dabei wird bewußt 
den Worten des Apoftels ein weiterer In- 
halt gegeben, als ihn dieſer urſprünglich 
damit verband. Was hier über Zuverficht, 
Ehrgeiz, Demut und Güte geſagt wird, ift 
wirklich packend. An dieſe „Schöpfungen 
der Liebe im Einzelleben“ ſchließen ſich die 
„Schöpfungen der Liebe im Semeinſchafts⸗ 
leben“, die ſich bis zur Weltgemeinſchaft 
auswachſen. Im letzten Abſchnitt werden 
die „Harmonien und Disharmonien der 
biebe“ behandelt, wobei auch die geſchlecht⸗ 
lichen Fragen eine ebenſo taktvolle als 
tiefe und geſunde Behandlung finden. 
Dieſer ganze Teil gehört wohl zum Beſten 
des guten Buches, wenn auch manche Fra- 
gen, wie die der Enthaltſamkeit, nicht 
reſtlos gelöſt ſind, es wohl auch nicht ſein 


150 


follen. Eine Frage drängt fi aber dem 
beſer des Buches auf: werden Jungens — 
auch tiefe und reife Jungens - dieſes Buch 
verſtehen? Dafür ſcheint die Sprache zu 
gedrängt, die tiefe Sedanken in Kurzen, 
inhaltsſchweren Sätzen unmittelbar an⸗ 
einander reiht. Aber auch wenn der Junge 
das Buch jetzt noch nicht ganz verſtehen 
ſollte, wird es ihm doch weite, ſchöne Hus 
blicke öffnen in das Sonnenland chriſtlicher 
biebe und ihrer Schöpfungen, und wird 
ihm ſo ein Führer auf dem „Weg zur 
ſittlichen Vollendung“ werden. 

Das Buch reiht ſich würdig an dem 
„Reifenden beben“ und der „Füh- 
renden Jugend“, die 1922 in dritter 
bzw. zweiter, durchgeſehener Auflage er- 
ſchienen, denen im dritten Jahrgang dieſer 
Jeitſchrift (67 u. 249) mit Recht hohes Lob 
zuteil wurde. Schade, daß der Verfaſſer 
in feinen „Sebeten und Gedanken für 
die ftudierende Jugend“ (Münſter 
1922, Aſchendorff) fo wenig den Gemein- 
ſchaftsgedanken und den Opfercharakter 
der Liturgie verwertet — er wäre damit 
dem tiefen Sehnen der betenden Jungend- 
ſeele noch näher gekommen und hätte ihr 
Wege gewieſen zum innigen Anfchluß an 
den in der Kirche fortlebenden und forte 
opfernden Chriſtus, der ja die lebendige 
Quelle und das deutlichſte Bild der Schöp⸗ 
feriſchen Liebe ift. 

P. Adalbert v. Heipperg (Beuron). 


ſtirchliches handbuch für das katho⸗ 
liſche Deutſchland. Tiebft Mitteilungen 
der amtlichen Zentralftelle für kirchliche 
Statiftik. In Verbindung mit 5. Auer, 
U. hilling, W. Marx, J. Sauren und 
A. Väth 8. J. Herausg. von hermann 
H. Arofe 8. J. 11. Band: 1922/1923 
(VIII und 407 8.) Freiburg 1923, Herder. 
geb. M. 6.50 

Das kirchliche handbuch kommt in dieſer 
Jeitſchrift hiemit erſtmals zur Beſprechung. 
In den acht Abteilungen des vorliegenden 
11. Bandes ſteckt wie in allen feinen Dor- 
gängern eine Unſumme von Mühe und 
Fleiß, von Angaben und Aufklärungen 
über kirchliche und kirchenpolitiſche Der: 
ſonen, Geſetze und Verbände. 

Abt. 1 „Organifation der Seſamtkirche“ 
führt in Kürze die hierarchie vor nach dem 
Beftand von Ende März 1923, ſowie die 


diplomatiſche Vertretung des Apoſtoliſchen 
Stuhles und bei demfelben. — In Ab. 2 
ſtellt U. Hilling die kirchliche Seſetzgebung 
und Rechtſprechung des Jahres 1921/22 
nebſt der einſchlägigen ſtaatlichen muſter⸗ 
giltig zuſammen. — Abt. 3 befaßt ſich mit 
der kath. Heidenmiſſton. P. Väth berichtet 
u. a. über die verlorenen und gegenwär⸗ 
tigen deutſchen Miſſtonsfelder. — Abt. 4 
„Ronfeffion und Unterrichtsweſen“ hat 
keinen geringeren als den gegenwärtigen 
Reichskanzler Dr. Marx zum Verfaſſer. 
Dieſer beſpricht überſichtlich die heiß um ſtrit⸗ 
tene Schulfrage. — Der vielgeſtaltigen cari- 
tativ-fozialen Tätigkeit und dem vielver- 
äftelten katholiſchen Dereinswefen Deutſch⸗ 
lands gilt Abt. 5, bearbeitet von dem ſach⸗ 
kundigen 8. Auer. — Abt. 6 „konfeflions- 
ftatiftik und kirchliche Statiftik Deutfch- 
lands“ behielt ſich wieder der bewährte 
Fachmann P. Arofe vor. Aus ihren Er- 
gebniſſen ſei hier u. a. hingewieſen auf den 
Rückgang des Seelſorgeklerus und der 
Theologen bei Junahme der Seelenzahl; 
beſonders ungünſtig liegt das Verhältnis 
in den Diözeſen Breslau und Meißen. 
Unter den männlichen Orden ſtanden 1922 
in Deutſchland die Franziskaner an Zahl 
der häuſer und Prieſter an der Spitze, an 
Mitgliederzahl die Benediktiner. — Abt. 7 
„Organiſation der katholiſchen kirche in 
Deutſchland“, bearbeitet von 9. Sauren 
bietet Angaben über die Biſchöfe, Dom- 
kapitel, Diözefanbehörden und ⸗anſtalten, 
ferner iiber die religiõſen Orden und ihre 
NUiederlaſſungen in den einzelnen Diözeſen. 
— Abt. 8, hrsg. vom gleichen J. Sauren, 
enthält reichſte ſtatiſtiſche Angaben. 

In einer Zeit, in der das kirchliche Hand- 
buch um feine Exiſtenz kämpft, muß jeder 
Wunſch nach Ergänzungen verſtummen. 
Immerhin ſei für beſſere Tage aufmerk⸗ 
ſam darauf gemacht, daß einige An⸗ 
gaben über katholiſche behranſtalten (Sum · 
nafien, Realſchulen, TIormalfdulen, Han- 
delſchulen, Penſtonate für Mädchen uſw.). 
ferner eine Abteilung über Ratholiſche 
Giteratur, in der beſonders alle wichti⸗ 
geren Sammelwerke und Zeitfchriften auf · 
geführt werden ſollten, nützlich wären. 
Es wäre gut, wenn fo in einem Kirch- 
lichen Jahrbuch wenigſtens kurz auch die 
mehr „Rulturellen“ Auswirkungen des 
religiöſen bebens zur Darſtellung kämen. 


Deigert, Joſeph: Die Volksbildung 
auf dem Land. [Schriften des Zentral- 
bildungsausſchuſſes der katholiſchen Ver⸗ 
bände Deutſchlands. 2. Heft] 8° (192 8.) 
m. Gladbach 1922, Dolksvereins-Derlag. 
-Das Dorf entlang. Ein Buch vom 
deutſchen Bauerntum. 4. und 5. Auflage. 
(XIV u. 470 8.) Freiburg 1923, Herder. 
Seb. II. 12.— 

1. Klar und lichtvoll ſetzt der um die länd⸗ 
liche Wohlfahrtspflege hochverdiente Der- 
faſſer in dieſer gediegenen und lehrreichen 
Schrift auseinander, was Bildung und 
Volksbildung iſt. Er zeigt dann, daß der 
Bauer eine Bildung braucht, die ihn wirt⸗ 
ſchaftlich hebt, ihn befähigt auch als Be- 
meinde und Staatsbürger ſowie als Be- 
noſſenſchaftler erſprießlich mitzuarbeiten, 
-die ihn an feinem Stande Freude fin⸗ 
den läßt —, ihn religiös vertieft und ver⸗ 
imerlicht, ihn lehrt, ſein Geben reicher und 
ſchöner zu geſtalten. Er beſpricht ſodann 
die Schwierigkeiten, die vielfach dieſe Bil- 
dung hemmen: Stumpfſinn, Gleichgültig ⸗ 


keit, Unluſt zum bernen, ſowie die Bil 


dungs mittel, von denen er mit Recht dem 
Familienleben, der Fachſchule, dem Jugend⸗ 
vereinsleben, dem Dorfheim für die Er⸗ 
wachſenen, der religiöfen Beeinfluſſung be⸗ 
ſonderen Wert beilegt. Vollen Beifall ver- 
dient fein Verlangen nach Pflege ſchöner 
Volkslieder, um zotige fernzuhalten, und 
überhaupt nach Förderung des inneren 
bebens, um ein Gegengewicht gegen rohes 
driebleben zu ſchaffen. Die in Ziel, Aus- 
dehnung, Bildungsmitteln und Erfolg ſtark 
umſtrittene Dolkshochſchule möchte er für 
teifere Jugendliche den Bauernvereinen, 
dem Volks verein ufw., bzw. religiöfen Or- 
den zuweiſen. Ein eigener Übſchnitt iſt 
noch der Dolksbücherei und dem Lefen ge⸗ 
widmet. Es find heilſame Wahrheiten, die 
Deigert vorhält, und reichlich erwogene 
Hichtlinien, die er gibt, deren Beachtung 
und Befolgung großen Segen bringen kann. 
Mögen ſie deshalb das geiſtige Eigentum 
techt vieler werden. 

2. „Nun, wer wird denn leſen dein Buch? 
Ich fürchte: weder der Bauer noch der 
Belehrte. — Ich wollt', es verachtet es 
keiner; ja ich hofft‘, daß es manchem die 
Kenntnis mehrt.“ So der Derfaffer in 
den Dorwortverfen feines Buches „Das 
Dorf entlang“. Seine Beforgnis, das um- 


151 
fangreihe Werk werde keine Abnehmer 


und Gefer finden, erwies ſich als unberech · 


tigt: iſt es doch ſchon in 4. und 5. Auf- 
lage erſchienen. 

bebensfriſch und anſchaulich bietet es 
faft überreichen Stoff aus der Kulturge⸗ 
ſchichte der Dergangenheit, aus zahlreichen 
Belegen der Volkskunde der Gegenwart 
und beſonders auch aus der eigenen Beob- 
achtung und Erfahrung. Die Wertſchätzung 
des Bauernſtandes zumal beim Bauern ſel⸗ 
ber, aber auch bei allen andern Ständen 
und Klaſſen des Volkes zu mehren, ift ihm 
Herzensſache. Bewährtes Alte in Lebens- 
weiſe, kleidung, Wohnung, Sitte möchte er 
erhalten helfen und beklagt deſſen Schwin- 
den. Da aber auch große Mißftände, die ehe; 
dem den Bauernſtand ſchädigten, be⸗ 
hoben find, haben deſſen Angehörige 
und Freunde guten Grund, fi mit der 
Gegenwart auszuſöhnen und der Zukunft 
hoffnungsvoll entgegenzuſehen. 

In vier Büchern behandelt W. Bauern- 
leben, arbeit, charakter und „familie. 
Biezu kommt in der 4.— 5. Auflage eine 
zutreffende Jeichnung des Bauers im 
Weltkrieg und in der Revolution. Dicht 
und Schattenſeiten werden wahrheitsgetreu 
vorgeführt und umſichtig beurteilt. Ernft- 
lich wehrt er der übermäßigen Vandflucht. 
Trefflich Kennzeichnet er den Ackerbau 


als eine Schule der Religiofität (III, 3). 


liernige Sinnfprühe würzen die Gefung. 
Wenn nach ſeinen Mahnungen der Fami⸗ 
lienfinn und das Familenleben gepflegt 
wird, bewahrheitet ſich der haus ſpruch: 
„Wer für die Freude außer dem Haufe we⸗ 
nig zahlt, zu dem kehrt ſie unentgeltlich ein.“ 
„Schweig, leid und lach! — Geduld über- 
windt alle Sach.“ ö 
Bei der Erwähnung heidniſcher Sagen, 
abergläubiger Meinungen und Gebräuche 
könnte wohl etwas geſchieden und gekürzt 
werden, hingegen wäre in dem wichtigen 
Buche über die Bauernfamilie in den Ra- 
piteln: Bauernkinder, bäuerliche Dienſt⸗ 
boten, Uachbarn, manches Beachtenswerte 
beizufügen. Ju günftig beurteilt der Der- 
faffer doch wohl die Licht- und Aunkel- 
ftuben. Möge es ihm möglich werden, 
das geplante, grundlegende Werk über den 

Bauernftand in Bälde herauszugeben. 
P. Hieronymus Riene (Beuron). 

2 K ZR 


152 


Zu unferen Bildern. 


Ga treue Freunde des Kloſters Schäftlarn aus der Schweiz haben es ermöglicht, 
dieſes Heft mit Bildſchmuck zu verſehen. Zwei Künſtler erſten Ranges: Pro- 
feſſor Otto Hupp in Schleißheim bei München und Auguſtin Pacher, Kunſtmaler in 
münchen, haben zum goldenen Prieſterjubiläum des Abtes Sigisbert Liebert von 
Schäftlarn die drei prachtvollen Zeichnungen geliefert. 

Das erfte Bild (von Profeſſor Hupp) zeigt eine im Mittelalter ſehr beliebte 
dufammenftellung: die Patrone des Klofters Schäftlarn beſchützen in dem Wappen 
das Stift. Schon in der Stiftungsurkunde des alten Benediktinerkloſters vom 
1. November 762 wird der hl. Dionus als Patron der Kirche erwähnt. Es ift der 
hl. Dionys von Paris, der für feinen Glauben enthauptet wurde und deſſen Feſt in 
jedem Jahr am 9. Oktober hochfeierlich begangen wird. Neben dem heiligen Biſchof 
erſcheint etwas [päter die hl. Juliana als Patronin. Dieſe nikomediſche Jungfrau 
und Martyrin hat nach der Legende den Teufel bezwungen (nämlich in den Der: 
ſuchungen) und führt darum einen Teufel an der Kette als ExRennungszeichen. Ihre 
Verehrung wurde in Schäftlarn wohl durch die Freiſinger Biſchöfe eingeführt, denen 
das ftloſter anfangs unterſtand. Der Sturm der Säkulariſation hat mit den Prü- 
monſtratenſern (von 1140 1803) auch ihre Derehrung unterdrückt. Erft Abt Sigis: 
bert gab der hl. Juliana ihre frühere Stellung zurück, und ſeit dem 16. Februar 
1917 wird ihr Feſt in Schäftlarn jedes Jahr feierlich begangen. Zwiſchen dieſen beiden 
Heiligen ſehen wir das Klofterwappen: in Blau ein goldenes Schifflein mit zwei 
goldenen Rudern. Dieſes Wappen läßt ſich ſeit 1450 nachweiſen. 

Das zweite Bild (von Auguft Pacher) zeigt in reichen biſchöflichen Gewändern 
den hl. Dionus, der fein haupt auf dem Evangelienbud trägt, während auf dem 
Körper das verherrlichte Haupt ſichtbar wird. Links vom Beſchauer ſehen wir vor 
einem äfte- und blätterreichen Baum das blutige Schwert. Beide erinnern an das 
bekannte Wort: Sanguis Martyrum — Semen Christianorum. Rechts vom Be⸗ 
ſchauer grüßt die ſchöne Kloſterkirche. Unten ſehen wir das Rlofterwappen. 

Das dritte Bild (wiederum von Profeſſor Hupp) iſt ein rein heraldiſches. Es 
zeigt das Klofterwappen in Verbindung mit dem Abgswappen: von Rot und Silber 
gefpalten, darauf ein goldenes 8. Der Schild iſt geſchmückt mit Mitra und Stab: 
beide von fo ſchöner binienführung, daß man ſich daran nicht ſatt ſehen kann. 

Jeder von den beiden Künſtlern hat in dieſen Jeichnungen etwas Dollkommenes 
in feiner Art geboten: es find zwei echte hupp⸗Bilder und ein ebenſo echtes Pacher ⸗ 
Bild. Die Mönche von Schäftlarn aber freuen ſich hoch, daß die Erinnerung an das 
ebenfo frohe wie ſeltene Feſt des goldenen Prieſterjubiläums ihres hoch verehrten, 
kunſtſinnigen Abtes durch ſolch herrliche Bilder für alle Zeiten in würdiger Weiſe 
feſtgehalten wird. Die lateiniſche Wiömung unter dem Textbilde ſtammt von Dr. 
B. hermann Bourier aus dem Stifte St. Stefan in Augsburg, der nun ſeit faſt 
zwanzig Jahren feine befte Kraft unſerem leutearmen Kloſter zur Verfügung ſtellt. 
Ohne ſeine unermüdliche Mitarbeit hätte der hochwürdigſte herr Jubilar die drückende 
Laft feines Amtes wohl ſchwerlich bis zur Stunde tragen können. Deshalb muß 
das, was ein Zeichen des Dankes an unſern Herrn und Vater fein foll, auch ein 
Zeichen des Dankes an P. hermann Bourier fein und damit auch an deſſen Profeß- 
kloſter, dem Schäftlarn ja auch den Abt verdankt, an St. Stefan in Augsburg. 

P. N. Ulrich (Schäftlarn). 
K Zu 


herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade, 
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron. 


( enanDν is ung ui oui) — aynpg asucınag 
wanmag un uoa nouapRy z Jaagno) mund 18 


153 


Abtbiſchof Waldo, 


der Begründer des goldenen Zeitalters der Reichenau. 
Don P. Emmanuel Munding (Beuron). 


er 25. April des Jahres 724 wird in den Urkunden und Jahr: 

büchern der Reichenauer Geſchichtsquellen als der denkwürdige 
Tag überliefert, an dem der heilige Abtbiſchof Pirmin als Glaubens⸗ 
bote bei feiner Wanderung aus dem Frankenlande nach Alamannien 
kam und auf der Bodenſeeinſel feſten Fuß faßte. Er brachte ihr zu 
dem koſtbaren Gute des Glaubens, das wohl ſchon römiſche Anſiedler 
in diefe Gegend getragen hatten, auch die Segnungen des kloſterlebens. 
Sicher iſt, daß Karl Martell dem Wanderbiſchof am 25. April 724 
die Infel Reichenau zur ‚Rloftergründung geſchenkt hat. Der fruchtbare 
kloſterſtifter, mit deſſen Uamen die Gründungen oder Erneuerungen 
von Schuttern, Gengenbach, Schwarzach in Baden, Hornbach, Altaich, 
pfävers, Murbach, Maursmünſter, Neuweiler u. a. mit Recht oder 
Unrecht verknüpft ſind, ahnte wohl nicht, daß ſeine Stiftung auf der 
blühenden Inſel ein Jahrtauſend überdauern werde. 

In dieſer langen Zeit hat die Infelabtei der guten und böſen Tage 
viele geſehen, die beſten in ihrer Jugendblüte, die ſchlimmſten in ihrem 
Breifenalter. Denn die letzten Jahrhunderte ihres Beſtehens erzählen 
fat nur von ſchweren Kämpfen um ihre Selbſtändigkeit mit dem 
konſtanzer Bistum. Ihr Ringen war das einer Sterbenden, die ihre 
letzten kräfte zuſammenrafft, das erlöſchende Geben zu retten. Um⸗ 
font! Die Lebenskraft der Elfhundertjährigen erlag vollends, als am 
30. märz 1757 der Biſchof von KRonſtanz durch eine ktommiſſton die 
Mönche zwang, ihr heim zu verlaſſen, und endgültig vom Kloſter 
Befig nahm. Im Jahre 1803 erfolgte dann die eigentliche „Säkulari⸗ 
ſation“, und 1809 kam die Reichenau an Baden. Aufgehoben, ihrer 
Mönche und Bücherſchätze beraubt, liegt die Reichenau ſeit gut einem 
Jahrhundert im Todesſchlafe. Doch ihre ehrwürdigen Mauern, die 
überrefte ihres Kunſtſchaffens, die Geiſtesdenkmale ihrer handſchriften 
tufen laut jene goldenen Zeiten in die Erinnerung zurück, da fie des 
edelſten Cebens reichſte Fülle ſelbſt genoß und anderen neidlos mitteilte. 
In jenen Tagen lebten ihre größten Äbte; fie ließen das Infelklofter 
in dem dreifachen Ruhmesglanz eines Lebens einzig für Tugend, 
Wiſſenſchaft und kiunſt erſtrahlen. 

Diefe Sonnentage jugendfriſchen Schaffens und höchſter Blüte des 
Tugend» und Beifteslebens der Reichenau heraufgeführt zu haben, ift 
vorwiegend das Derdienft des Abtbiſchofs Waldo, des ſiebten Nach⸗ 


Benedikttniſche Monatfchrift VI (1924) 5—6. 10 


154 


folgers des hl. Pirmin in Reichenau. Er war eine überragende Per: 
ſönlichkeit. Er übte einen nicht gewöhnlichen Einfluß auf den Bang 
der Jeitereigniſſe aus. Wo wir ihm begegnen, ſehen wir ihn in hohen 
Stellen; immer hat er ſchwierige Aufgaben zu löſen, und das meiſt 
im Huftrage Karls d. Sr., der mit kiennerblick auch ihn zu einem 
Werkzeuge für die geiſtige Erneuerung feiner Zeit erwählte. Trotz 
dieſer Bedeutung Waldos fließen die Quellen über ihn recht ſpärlich. 
Eine Ausnahme bilden nur die Nachrichten über fein Wirken in 
Reichenau. Das iſt verſtändlich: für die Infelabtei iſt Waldo von 
geradezu bahnbrechender Bedeutung geweſen. Er hat dem Bodenſee⸗ 
kloſter klare und feſte Wege für fein Schaffen auf Jahrzehnte hinaus 
gewieſen. Ja er hat zuſammen mit feinem unermüdlichen Bibliothekar, 
dem Mönch Reginbert, den Grund zur höchſten Blüte der Reichenau 
gelegt. 50 erſcheint es verlockend, in dieſem Jubeljahr der Brün: 
dung Reichenaus vor zwölfhundert Jahren Waldos zwanzigjähriges, 
erfolgreiches Wirken, durch das er ſich den Ehrennamen eines Be: 
gründers des goldenen Zeitalters der Reichenau verdient hat, in den 
weitverſtreuten Quellen zu verfolgen und zu einem geſchloſſenen Bilde 
zu vereinigen. 
IJ. Familie und Heimat. 

Wel gehörte einem deutſchen, zu Macht und Einfluß empor⸗ 

gewachſenen, ſehr vornehmen, ja höchſtwahrſcheinlich mit den 
ftarolingern verwandten Geſchlechte an. Über feine nächſten Vorfahren 
hat uns die Geſchichte leider Reine Nachrichten aufbewahrt. Wohl aber 
kennen wir noch eine Reihe von hervorragenden Derwandten Waldos, 
die im ſiebten und achten Jahrhundert eine bedeutende Rolle ſpielten. 
Zu ihnen gehören Wetti, behrermönch von Reichenau, Brimald, Abt 
von St. Gallen, ein außergewöhnlich begabter Mann, Hetti und Tiet⸗ 
gaud, erzbiſchöfe von Trier, und Warentrudis, Äbtiffin von Pfalzel 
bei Trier. 


Wetti wurde von Jugend auf in Reichenau erzogen. Er hatte den ſpäteren übt 
biſchof Heito zum Lehrer, den [päteren Abt Erlebald zum Mitſchüler und unzertrenn- 
lichen Gefährten feiner Studien. Nachdem er auch auswärts bei einem „Schotten 
lehrer“ fein Wiſſen bereichert hatte, kehrte er heim und ward von Abt Beito wegen 
feiner Bildung und tiefen Kenntnis der Heiligen Schrift zum Lehrer der Reichenauer 
Schule beſtellt. Er war ſelbſt ſchriftſtelleriſch tätig. Eine ſchon beſtehende, aber in 
barbariſcher Sprache abgefaßte Lebensbefchreibung des hl. Gallus hat er umgearbeitet 
und Abt Sozbert von St. Sallen (816-837) gewidmet. Unſterblich machte er feinen 
Namen durch ein berühmtes Geſicht, das er drei Tage vor feinem Tode (+ 4. Nov. 824) 


1 Den wiſſenſchaftlichen Uachweis für die folgenden Ausführungen erbringt eine 
Studie, die der Derfaffer im Laufe des Jahres in den „Texten und Arbeiten, heraus- 
gegeben von der Erzabtei Beuron“ zu veröffentlichen gedenkt. 


155 
ſchaute. Er durchwanderte im Geiſte die Reiche des Jenſeits und erblickte dort be» 
kannte Perſönlichkeiten der jüngſten Vergangenheit, darunter den im kampfe gegen 
die hunnen gefallenen Grafen Gerold als Martyrer in der Herrlichkeit des Himmels. 
karl d. Br. hingegen ſah er für feine Fehler im Reinigungsorte büßen. Mit Mönch 
Wetti war Waldo ſehr nahe verwandt. Das bezeugt Heito, der unter Abt Waldo 
Mönch von Reichenau war und fein Nachfolger als Biſchof von Bafel und Abt der 
Reichenau wurde, einer der fünf, denen Wetti ſterbend die Jenſeitsgeſichte erzählte. 

Wetti war nach Walahfrids Zeugnis feinerfeits mit Abt 6rimald von St. Sallen 
verwandt; er war vielleicht ſogar deſſen Bruder und nach Egon der Bruderſohn 
Waldos. Dann wäre Waldo der Onkel von Wetti und Srimald geweſen. Ohne 
zweifel war aber Grimald ein Sprößling aus ſehr vornehmer Familie. Sein Name 
Brimoald oder Grimald iſt in der Familie der fränkiſchen Großen und Hausmeier 
ſeht verbreitet. Zu den Großen zählt ihn mit Recht der wahrheits liebende Walahfrid. 
Brimald wurde ſchon von Jugend auf am Hofe Karls d. Sr. und Ludwigs d. Fr. 
erzogen. Es war aber Sitte, daß Knaben vorzugsweiſe aus hochgeltellten Familien 
nach der erſten Schulbildung an den hof des Königs geſchickt wurden, um ſich hier 
weiter auszubilden. Stufenweiſe ſtiegen fie dann zu den Hofämtern empor, ſelbſt 
zu den höheren. Sie wurden Grafen, Äbte und Biſchöfe. Srimalds Laufbahn war 
denn auch die eines fränkiſchen Großen. Seine Perſönlichkeit trat deutlich unter 
buoͤbig dem Deutſchen hervor, noch deutlicher als die Waldos unter Karl dem Großen. 
Srimald war gleich Waldo ein Mann von großen Anlagen. Er war Dichter, Dehrer 
md Gelehrter und tat viel für die Wiſſenſchaft. Sehr verdient machte er ih um 
die Reinerhaltung und Verbreitung der Urſchrift der Benediktinerregel, um Bücherei 
und Schreibſchule, um das wiſſenſchaftliche und innerklöſterliche beben St. Sallens, 
um die Runft durch Bauten in feinen drei Abteien St. Gallen, Weißenburg und Ell- 
wangen. Als Staatsmann ſtand er Ludwig dem Deutſchen in der Regierung des 
Keiches tatkräftig zur Seite. Er ſtarb den 13. Juni 872 und hinterließ ein Andenken, 
das ſeines großen Verwandten Waldo würdig war. 

6timalds Onkel Hetti war nach dem zuverläffigen Jeugniſſe der Grabinſchrift 
feiner Schweſter Warentrudis ein Edelgeborener aus einem auſtraſiſchen Geſchlechte, 
nach Mark, dem Derfaffer der Geſchichte des Erzſtiftes Trier, ſogar mit der kaiſer⸗ 
lichen Familie verwandt und ein fränkiſcher Großer. Hetti ſtand in den innigften 
Beziehungen zu Ludwig d. Fr., wie Waldo zu Karl d. Gr. und Grimald zu Ludwig 
dem Deutſchen. Unter Cudwig wurde er Erzbiſchof des wichtigen, uralten Biſchofs⸗ 
ſtzes Trier (814 — 847), wo die Karolinger ihre angeſtammten Erbgüter hatten. Er 
war als Raiſerlicher 8enoͤbote in Fragen det kirchlichen Reform tätig, auch als Rat 
und Bevollmächtigter des Raifers in kirchlichen und ſtaatskirchlichen Angelegenheiten, 
3 B. in der Zulaſſung Unfreier zur Prieſterweihe, in der Abſetzung und Wieder- 
einſetzung des Erzbiſchofs Ebbo von Reims. Endlich ſtand Hetti mit Biſchof Drogo 
don Met, einem Bruder Ludwigs, dem ſterbenden Kaiſer bei, als dieſer auf einer 
Rheininfel bei Mainz verſchied. 

Stimalds Bruder, Tietgaud, wurde Hettis Nachfolger auf dem erzbiſchöflichen 
Stuhl von Trier (847 863). Auch er ſtand in hervorragender Dertrauensftellung 
und war in Freundſchaft mit dem Herrfcher verbunden. Er nahm den hohen Rang 
eines Primas der belgiſchen kirchenprovinz ein. Im Ehefcheidungsftreit König Pothars 
ſpielte er eine traurige Rolle. Er ließ ſich für die ungerechte Scheidung bothars von 
ſeiner rechtmäßigen Gemahlin, der Königin Thietberga, zu Sunſten Waldradas ge» 
winnen. Sein unkanoniſches Vorgehen führte feinen Sturz herbei. Auf einer römi⸗ 
ſchen Synode 863 unter dem Dorfige des Papſtes Nikolaus I. wurde er abgeſetzt; 
er mußte ſich von nun an mit der Paienkommunion begnügen. Er war vielleicht 
dothats Gewiſſensrat, da er bezeugt, der Rönig habe feine Dergehungen durch viele 
Tränen, achtwachen, Bußwerke und Almoſen gefühnt. Mit Erlaubnis Hadrians II. 
durfte er im Kloſter des hl. Gregor in Rom wohnen und beſchloß dann wahrſcheinlich 
867 in Italien fein beben. er 


156 


endlich hatte Srimald noch zwei Tanten, hettis Schweſtern, die Äbtiffin Waren: 
trudis und die Nonne hulindis. Sie lebten im Kloſter Pfalzel, das drei Meilen 
nördlich von Trier am linken Mlofelufer lag. Pfalzel war aber ein hochadeliges 
Nonnenkloſter. Das zeigt ſchon die ganze Sründungsgeſchichte. Aus einem mero- 
wingiſchen Rönigspalaſt war es entſtanden, daher fein Namz palatiolum, deutſch 
„Pfalzel“. König Dagobert hatte die Pfalz in ein Nonnenkloſter umgewandelt. 
Erfte Dorfteherin wurde Adela, vielleicht Dagoberts Tochter, jedenfalls aber eine Frau 
aus vornehmem fränkiſchem Geſchlechte Auſtraſiens. Dritte Äbtiffin war Warennudis, 
Bettis Schweſter. 

In Trier und Umgebung, wo hettis Familie ſo mächtig war, lagen 
nun aber karolingiſche Erbgüter. Huch Pfalzel gehörte nachweislich 
dazu. Es war Eigentum des Bausmeiers Pippin des Mittleren, von 
dem es HUdela durch Taufchvertrag erworben hatte. So wird es wahr: 
ſcheinlich, daß Hettis Familie, damit auch Waldo, mit den kiarolingern 
ſelber verwandt war. Ein wahrer kern müßte demnach trotz der 
Formfehler in dem Bericht jener Urkunde ſtecken, die Karl d. Gr. für 
die Abtei Pfävers auf Derwenden Waldos, damals Abtbiſchofs von 
St. Denis, ausgeſtellt haben ſoll. In ihr nennt Rarl Waldo feinen 
Bruder, jedenfalls in dem weiteren Sinne eines nahen Verwandten. 
Daraus erklärte ſich dann auch das einzigartige Vertrauen, das er 
Waldo zeitlebens ſchenkte. Wie etwas ſpäter Abt Adalhard von Corbie 
unter die primores palatii, die „Erften am Hofe“ zählte und in die 
Pläne des Raifers eingeweiht war, weil ihn die Bande des Blutes 
mit ihm verknüpften, ebenſo gehörte Waldo nach dem Berichte der 
Übertragung des heiligen Blutes nach Reichenau (aus dem Anfang 
des zehnten Jahrhunderts) zu den primores regis, zu den „erſten 
oder den Großen beim König“. Dieſe primores bildeten die oberſten 
Kreiſe in der Umgebung des herrſchers. Sie nahmen die erſten Stellen 
im Reiche ein oder erſchienen auch ſonſt durch Macht und Reichtum 
einflußreich, wie wir das bei Waldos Verwandten, hetti, Tietgaud 
und Grimald feſtſtellen konnten. 

Waldo genoß im vollſten Maße die Stellung eines „Großen“ und 
intimen Vertrauten bei Karl dem Großen. Dieſer verlieh ihm nad): 
einander die bedeutendſten Abteien des Reiches, Reichenau und St. 
Denis, und dazu noch die zwei wichtigen Bistümer Bafel und Pavia. 
namentlich die Derwaltung von Pavia war in jener Zeit bei Karl, der 
ja kaum zwei Jahrzehnte zuvor das Langobardenreidy erobert hatte, 
ein Dertrauenspoften erften Ranges. Schon vor feiner Erhebung zum 
Abte von Reichenau hatte Waldo König Karl wertvolle Vertrauens- 
dienfte als baiolus geleiſtet, d. h. als „vertraulicher Gefchäftsträger" 
in ſtaatlichen und kirchlichen Angelegenheiten oder als Erzieher und 
Berater von Barls jugendlichem und noch unerfahrenem Sohne, könig 


157 


Pippin von Italien. Jedenfalls ftand Waldo zu Pippin und deſſen 
Gemahlin in nahen Beziehungen. Als Rat des Kaiſers hatte er Ein⸗ 
fluß auf die Beſetzung von hohen ktirchenämtern. 50 wurde 3. B. 
Beito auf feinen Vorſchlag hin von Karl zum Biſchof von Baſel und 
Abt der Reichenau erhoben. Das größte Dertrauen bewies ihm Rarl 
indeſſen, indem er ihn zu feinem Beichtvater und Gewiſſensrat erwählte. 
Er ſchätzte an dem Abte der Reichenau nicht nur feine geiſtige Be⸗ 
deutung, ſondern auch feinen kirchlichen Sinn, feine Gottesgelehrſam⸗ 
keit und Frömmigkeit. Natürlich übte er in dieſem Dertrauensamte 
einen großen Einfluß auf den Hherrſcher aus. Dies kam äußerlich ſchon 
dadurch zum Husdruck, daß Waldo bei Karl Zutritt hatte, ſelbſt wenn 
der herrſcher noch ruhte. Im Reichenauer Wappenbuch der Äbte hielt 
ein Schreiber es daher auch für wichtig genug, Waldos Stellung als 
Beichtvater Karls durch einen beſonderen Nachtrag zu verewigen. 

War Waldo mit den kiarolingern verwandt, fo dürfte feine heimat 
an einem Orte zu ſuchen fein, wo die ktarolinger eine Pfalz oder 
Büter beſaßen. Nun weiß uns Soldaſt, ein ſonſt freilich nicht gerade 
zuoerläffiger Gewährsmann, zu berichten, Waldo ſei aus Jürich ge⸗ 
bürtig, wo Karl d. Gr., fein Sohn Ludwig d. Fr. und fein Enkel Ludwig 
der Deutſche, der Gründer des kiloſters St. Felix und Regula, wie auch 
in Trier und an anderen oſtfränkiſchen Orten (alfo in Auftrafien) 
königliche Pfalzen beſeſſen hätten. Da die kiarolinger in der Trierer 
gegend und in Auftrafien überhaupt tatſächlich begütert waren, 
fo mag auch die Nachricht, die Rarolinger hätten eine Pfalz in Zürich 
gehabt, auf Wahrheit beruhen. Dann könnte Waldo recht gut in 
Zürich feine heimat verehrt haben. gedenfalls weiſen die Namen 
Daldo oder Walto, wie die feiner Derwandten Grimald, hetti, Tiet- 
gaud und Warentrudis auf deutſche Heimat hin. 


II. mönch und Abt in St. Gallen. 

on Waldos Jugendzeit wiſſen wir faſt nichts, und das Wenige, 

das wir erfahren, iſt nicht ſicher verbürgt. Er war vielleicht noch 
em Schüler des hl. Otmar, der als neuer Abt in St. Ballen in wenigen 
gahren ſehr viele zum kiloſterleben anlockte und nach Walahfrids 
geugnis als ihr Gehrmeifter aufs beſte leitete. Otmar war von ktönig 
Pippin im Jahre 720 zum Abte von St. Ballen beſtellt worden und 
führte dort 747 oder 748 die Regel des hl. Benedikt ein. Hier hat 
Daldo mit der Bildung jedenfalls auch die von feinem Lehrer Otmar 
eingeführte hl. Regel angenommen. Dielleicht ift er jener „Watto“, 
der unter Abt Otmar in St. Gallen Gelübde ablegte. In dem Nugen⸗ 


158 


blick, da er aus dem Dunkel der Derborgenheit ins Tageslicht der 
Geſchichte tritt, iſt er ſchon Mönch, Diakon und Urkundenſchreiber. 
In den Jahren 770 - 782 hat er als Diakon von St. Gallen achtzehn 
Urkunden geſchrieben und unterſchrieben. Die ſchönen, klaren Schrift⸗ 
züge der bekannten karolingiſchen kileinſchrift des ausgehenden achten 
Jahrhunderts verraten eine gewandte Hand. Der Schönſchreiber ver: 
ſtand es, einen gewiſſen Schwung mit kiraft zu verbinden. Jedenfalls 
hat er mehr Urkunden geſchrieben, als uns ein glückliches Ge⸗ 
ſchick erhalten hat. Die letzte Urkunde von feiner Band iſt in Obern⸗ 
dorf am 11. Januar 782 ausgeſtellt. Dann verſchwindet der Diakon 
und Urkundenſchreiber plötzlich und macht dem Abt Waldo von 
St. Gallen Platz. Er war nämlich ein Mann von hoher Weisheit, wie 
der Mönch Ratpert von St. Ballen zu berichten weiß; deswegen wurde 
er von feinen Mitbrüdern mit Juſtimmung kiarls d. Gr. zum Abte be⸗ 
ſtellt. Waldo blieb indeſſen nur anderthalb gahre im Beſitz der neuen 
Würde. Er geriet bald mit Biſchof Egino von kionſtanz (781 —811) 
in einen Rechtsſtreit, der ſich um die Freiheit der Abtei vom Bistum 
drehte. Der Biſchof hielt die Abtei in dem von ſeinem Vorgänger 
Johannes übernommenen Abhängigkeitsverhältniſſe. Er konnte ſich 
zu feinen Gunften auf eine im Jahre 780 zu Worms ausgeſtellte 
Urkunde berufen. Der neue Abt gab ſich aber damit nicht für beſiegt. 
Nun wurde, wie wiederum Ratpert berichtet, Karl als Schiedsrichter 
angerufen. Der Baifer entſchied, offenbar auf Grund des beftehenden 
Rechtsverhältniſſes, zu Bunften Eginos, beftätigte alſo den Mönchen 
die freie Abtswahl nicht, ſondern verlangte, Waldo folle in Abhängig: 
keit von Egino die Abtei regieren. Waldo war aber ein Mann, der 
den Drang nach ſelbſtändiger Entfaltung ſeiner hohen Geiſtesgaben und 
die ktraft zu Broßem in ſich verſpürte; gewiß hatte er auch große 
Pläne, was ſein erfolgreiches Wirken in Reichenau ſpäter bewies. 
Es waren nicht unberechtigte herrſchgelüſte, die ihn zu feinem Ban: 
deln beſtimmten, ſondern die feſte Überzeugung, daß eine große Abtei 
nur in Unabhängigkeit von außen ihr Leben ganz entfalten könne. 
Er fühlte ſich durch den ablehnenden Entſcheid in der Verwirklichung 
ſeiner idealen Ziele zu ſehr gehemmt und konnte ſich nicht dazu ver⸗ 
ſtehen, in ſolcher Gebundenheit das äbtliche Amt weiterzuführen. Er 
verzichtete alſo mit ktarls Genehmigung auf fein Amt als Abt von 
St. Gallen und zog ſich im Jahre 784 in die Reichenau zurück. An 
feiner Stelle wurde ein Weltprieſter namens Werdo zum Albte ein: 
geſetzt. Werdo mußte aber Mönch werden und ſein äbtliches Amt 
in Abhängigkeit von Biſchof Egino führen. 


159 
9 mr 
III. Abt von Reichenau (786 — 806). 

Die Abtei und ihre Mönche. — Auf Reichenau trug damals ein 
ehrwürdiger Greis namens Petrus den Abtsſtab (781 786). Unter 
ihm widmete ſich Waldo wie ein einfacher Mönch eifrig dem Studium 
der HI. Schrift und glänzte bald als eines der herrlichſten Geſtirne in 
der Reichenauer Schule. Kaum anderthalb Jahre vergingen jedoch, da 
waren die Tage des greiſen Abtes Petrus gezählt; am 21. Februar 786 
farb er. Waldo wurde zu feinem Nachfolger erwählt. Die Abts 
weihe und Beſtätigung der Exemtion Reichenaus holte ſich der neue 
Abt gleich feinem Vorgänger in Rom bei Papft Hadrian, wenn wir 
den Reichenauer Jahrbüchern glauben dürfen. Zum zweitenmale nun 
zum Abte erhoben, ſollte Waldo dieſe Würde bis zu ſeinem Tode be⸗ 
kleiden und zunächſt in Reichenau als achter Abt ſeit der Gründung 
volle zwanzig gahre lang die ſegensreichſte Wirkſamkeit entfallen und 
das kloſter zur höchſten Blüte bringen (786 - 806). Was er in St. 
Ballen fo ſehr angeſtrebt haben wird, die Freiheit der Abtei vom 
Honſtanzer Bistum, das hatte hier ſchon Abt Petrus durch den Einfluß 
und die Zunſt des Grafen Gerold und feiner Schweſter, der Königin 
hildegard, bei Karl d. Br. erlangt. 80 konnte der neue Abt ohne 
Schwierigkeit frei von den Mönchen gewählt werden und völlig un= 
abhängig von Ronftanz feine Abtei regieren. Seine Wahl geſchah 
nach Oehem, dem ſpäten Chroniften der Reichenau (+ nach 1511), mit 
Diffen und Willen Rarls d. Gr. Der Raifer hatte Waldo nämlich 
feine Sunft bewahrt und ihn wohl ſchon bei feinem Übertritt auf 
die Reichenau zum Nachfolger des greiſen Abtes Petrus auserſehen. 

heito bezeichnet die ganze Art der zwanzigjährigen Regierung 
feines Dorgängers als vornehm, und die Reichenauer Jahrbücher rüh⸗ 
men dem Abte Regententugenden nach, wie Klugheit, väterliche Güte, 
drömmigkeit, Beſcheidenheit und Seſchick. Raſch mehrte ſich unter 
ihm die Fahl der Mönche. Nach der Chronik des Gallus Oehem und 
den Reichenauer Geſchichtswerken des 16., 17. und 18. Jahrhunderts 
hätte die Reichenau damals durch den untadeligen bebenswandel von 
Abt und Mönchen ſehr viele, ſelbſt Dornehme und Biſchöfe angelockt, 
in die Abtei einzutreten und der Leitung des neuen Obern ſich zu 
unterſtellen. P. Eufebius Manz gibt in feinem Geſchichtsabriß des 
17. Jahrhunderts mit Berufung auf das uralte Reichenauer Totenbuch 
die Jahl der unter Abt Waldo aufgenommenen Mönche auf 649 an. 
Und der Reichenauer Prior P. Maurus Hummel hat um das Jahr 
1736 die Zahl der um 790 unter Waldo lebenden Kloſterinſaſſen auf 
640 berechnet. Sind wir auch nicht imſtande, dieſe ſpäten Nachrichten 


160 


2 
auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen, fo geben fie doch Zeugnis für die 
Überlieferung, daß der Zuwachs an Mönchen unter Waldo ſehr groß 
war. Zu den Neueintretenden gehörten außer einer guten Unzahl von 
Prieſtern, deren Namen uns Oehem erhalten hat, die Biſchöfe Lam: 
bert aus Italien, Harterich aus Sachſen (nach Egons Meinung Biſchof 
von Verden), wohl auch Biſchof hadward von Minden, endlich Egino 
von Derona. Auch Gelehrte nahmen um dieſe Zeit das Mönchsgewand 
in Reichenau. Schon unter Abt Petrus war ein Edelfrid aus dem 
ſächſiſchen Hochadel, hervorragend durch hohe Geiſtesgaben, eingetreten. 
Er ſoll um 790 gewirkt haben; er ſchrieb einige Bücher in ſächſiſcher 
Sprache und erlangte fo einen berühmten Namen. Andere wurden 
erſt unter Waldos Schulung zu tüchtigen Gelehrten und Lehrern, fo 
daß kiarl d. Br. eine Reihe von Biſchöfen und Abten der Reichenau 
wie einer Pflanzſtätte entnehmen konnte. Unter denen, die Reichenau. 
ſelbſt hervorbrachte, ragen neben Beito, Wetti, Srimald und Tatto 
vor allen. Reginbert und Walahfrid Strabo hervor. Mit dieſen Männern 
haben Waldo und feine nächſten Nachfolger reiches geiftiges Leben ge 
weckt und literariſches Schaffen mächtig gefördert, Schulweſen, Schreib⸗ 
kunſt, Bücherei, überhaupt das wiſſenſchaftliche Geben in Reichenau auf 
eine höhe gebracht, die ſelbſt dem Fernſtehenden Bewunderung abnöftigt. 

Gründung der Bücherei. — Waldos größte Bedeutung liegt auf 
wiſſenſchaftlichem Gebiete. Er förderte in der Reichenau beſonders ihre 
Schreibftube, wo zahlreiche handſchriften geſchrieben und nach aus: 
wärts entliehen oder verkauft wurden. Er iſt zwar nicht der erſte, muß 
aber als der eigentliche Gründer der berühmt gewordenen Reichenauer 
Bücherei angeſehen werden. Der Stifter des kiloſters, der hl. Pirmin, 
ſoll ſchon fünfzig Bücher aus Frankreich mitgebracht haben. Abt Etto, 
Pirmins Nachfolger, konnte die nach Pfävers, Altaich und Murbach 
entſandten Mönche neben anderem Notwendigen auch mit Büchern 
ausftatten. Unter Abtbiſchof Johannes (759 — 782) oder Abt Petrus 
(782 - 786) brachte der uns ſchon bekannte Edelfrid einige Bücher 
in ſächſiſcher Sprache mit. Abt Petrus ſelber bereicherte, von Rom 
heimkehrend, das kiloſter durch einen Pſalter der Septuaginta. Noch 
heute beſitzen die Büchereien von Stuttgart, heidelberg, Karlsruhe, 
Schaffhauſen und Genf vorwaldoniſche Reichenauer Handſchriften. 
Immerhin lauten die Nachrichten über Handſchriften ſpärlich und die 
Jahl der erhaltenen iſt nicht allzu groß. 

Ein ganz anderes Bild entrollt uns die Periode unter Waldo (786 
bis 806) und ſeinen vier nächſten Nachfolgern, die eigentlich nur ernten, 
was er geſät hatte. Oehems Nachrichten werden jetzt mit einem Male 


161 


fo reichlich und beſtimmt, daß man den Eindruck der Gleichzeitigkeit 
feiner Quellen mit dem Erzählten gewinnt. Wir hören da viel von großen 
und zahlreichen Büchererwerbungen. ga den größten Teil der Nach⸗ 
tichten über Waldos Regierungszeit bildet bei Oehem das Derzeichnis 
all der Bücher, die unter dem Abte nach Reichenau kamen; vielleicht 
find allerdings hier fpätere Büchererwerbungen gleich mitangefügt. 
Waldo war nicht nur ſelbſt ein hervorragender Geiſt, er war ſo 
glücklich, einen ihm ebenbürtigen helfer zu finden, der ſeine Abſichten 
voll zu würdigen und wohl auszuführen verſtand. Dieſer Helfer war 


ein Mönch feines kiloſters: Reginbert. 

Gleich groß und bewundernswert als Mönd) wie als Lehrer und Schreiber ſtand 
Reginbert der Bücherei und Schreibſchule nicht nur unter Waldo, ſondern auch unter 
feinen Hachfolgern Heito, Erlebald, Ruadhelm und Walahfrid vor. Man darf, ohne 
die Bedeutung dieſer großen Äbte abzuſchwächen, ruhig behaupten: Hätten fie einen 
Reginbert nicht an ihrer Seite gehabt, fie wären kaum zu ihren glänzenden Erfolgen 
gelangt. Ihm verdankt Reichenau zum Gutteil ſeinen unſterblichen Ruhm. Umgekehrt 
waren dieſem ſeltenen Menfchen auch die Zeiten, in denen er lebte, und die Der- 
hältniffe, unter denen er wirkte, ausnehmend hold. Damals herrſchte das kraftvolle 
Zeſchlecht der Karolinger. Karl d. Gr. führte eben damals feine Erneuerungspläne 
durch. Reichs mehrer und Reichsbefeftiger, war er zugleich Neubegründer eines geiſti⸗ 
gen Reiches von Religion und Volksbildung, Kunſt und Wiſſenſchaft, Liturgie und 
Möndtum. Ruch auf der Reichenau ſelbſt war dem Schaffen eines Reginbert damals 
alles günftig wie nie zuvor und nie mehr nach ihm. Die Abtei war nun unabhängig 
vom Ronftanzer Bistum. Mit Abt Petrus hatte eine neue Zeit begonnen: die Zeit 
der freien Abte. Waldo war der erfte, der die ſüßen Früchte der errungenen Freiheit 
genießen durfte. In einer Zeit der geiftigen Freiheit und Mündigkeit tritt alſo Regin- 
bert auf, und das fofort als erfolggekrönter Gelehrter, Meifter der Wiſſenſchaften, 
der Schreibkunſt und Schule, als Mittelpunkt der geiftig Regſamen. Waldo, fein Abt, 
war gleich ihm bedeutend und tüchtig. Beide verſtanden ſich vortrefflich und ſtützten 
fi) gegenfeitig. Reginbert überlebte feinen erſten Gönner und Abt, er durfte die 
Tage des höchſten Glanzes ſehen und mitherbeiführen. Sein großer Geift, fein Talent, 
ſein unermüdlicher Fleiß fanden die mächtigſte Förderung unter den vier nächſten 
Äbten, die alle ein und dasſelbe große Ziel im Auge behielten: ein Geben für Gott 
und für die Verbreitung edlen Wiſſens jeglicher Art und edler Rünfte im Dienſte 
gottes. Dieſes Doppelgepräge iſt auch dem beben Reginberts aufgedrückt. Er wollte 
als Mönch wie als Gelehrter nur Gott dienen und ihn verherrlichen, ganz im Geifte 
der Regel des heiligen Benedikt, die verlangt: „Es ſoll in allem Gott verherrlicht 
werden“ (Rap. 57). Er vergaß auch über dem Gelehrten niemals den Mönch. Sein 
Diffen machte ihn nicht hochfahrend; es war ihm eher ein Weg zu Nächſtenliebe, 
Demut und Gehorſam. Ernft und ſtreng konnte er ſich äußern gegen Derderber oder 
Diebe feiner geliebten Handſchriften. Er wollte eben den Bücherbeſtand des Kloſters, 
vielleicht noch mehr als andere Güter, „wie geheiligte Altargeräte“ angeſehen wiſſen 
gemäß der Weiſung feines Ordensvaters (Regel, Rap. 31). Don feinem wahrhaft 
rührenden Verhältnis zu den Erzeugniffen feines Fleißes und von der edlen Gefinnung, 
in der er arbeitete, geben noch heute Eintragungen Jeugnis, die er in den Büchern 
anbrachte. So hat er ſich in einer Handſchrift folgendes ſchöne Denkmal geſetzt: 

Im Tlamen des Daters und des Sohnes und des heiligen Beiftes. x und . Dieſes 
Buch (libellum) habe ich der Schreiber Reginbert, der Diener der Diener Gottes, mit 
Wiſſen und Willen meiner Vorgeſetzten (seniorum) zum Dienfte Gottes, der heiligen 
- Maria fowie aller übrigen Heiligen, denen man auf der Reichenau dient, durch eigenen 


162 


Fleiß und Schweiß zuſtande gebracht (confeci). Ich bitte nun, man möge es zum 
Gebrauch der Brüder, die dort dienen, beſtimmen und aufbewahren. Und bei der 
Liebe Gottes flehe ich, von keinem ſolle es irgend einem aus dem Rlofter verſchenkt 
oder ausgeliehen werden, es hätte denn dieſer dort eine Beſcheinigung und ein Treu⸗ 
pfand (fides et pignus) hinterlegt, (das da verbliebe), bis er das Buch wohlbehalten 
und in gutem Juſtand (sanum et salvum) an feinen Ort zurückgeliefert hat.“ 

Unermüdlich ſorgte er für die Bereicherung der Bücherei durch Tauſch und Schen- 
Kung. Seine Mitbrüder trieb er an zum Abſchreiben von Werken; nicht wenige 
verdankt das Kloſter feiner eigenen hand. Nach den Reichenauer Jahrbüchern find 
es über vierzig große Bücher, die er in ausnehmendem Fleiß neben den Arbeiten 
als Bibliothekar und Dorftand der Schreibftube zuwege brachte. Die Kraft zu ſolchen 
beiſtungen fand er in jener echt mönchiſchen Geſinnung, die einer feiner Mitbrüder 
am Schluſſe einer mühſam geſchriebenen Handſchrift in die tröſtlichen Worte faßte: 
„Jede Arbeit hat ein Ende; doch ihr Lohn iſt ohne Ende.“ 

Aus Reginberts Zeit, unter den übten Waldo, Beito, Erlebald, Ruaödhelm und 
Walahfrid kennen wir nicht weniger als vier bis fünf Bücherverzeichniſſe, ein Zeichen, 
welchen Wert man dieſen Schätzen damals ſchon beimaß. Das älteſte Verzeichnis 
von 415 Bänden, das offenbar den Grundſtock der Reichenauer Bücherei bildete, 
ſtammt zwar erſt aus den Jahren 821 - 822, alfo aus Heitos Zeit; aber ein Gutteil 
dieſer Bücher, wenn nicht der größte Teil, iſt jedenfalls ſchon von dem ſammelfleißigen 
Waldo erworben worden. Unter Erlebald (822 838) und Ruadhelm (838 — 842) 
mehrte ſich dann der Bücherbeſtand noch bedeutend. Die zwei oder beffer drei Der: 
zeichniſſe zählen zuſammen 121 Bände. In den Jahren 835 - 842, unter Ruadòhelm, 
legte Reginbert ein neues, übrigens nicht mehr vollſtändig erhaltenes Verzeichnis 
von 42 Handſchriften an, die er ſelbſt unter den übten Waldo, Heito, Erlebald und 
Ruadhelm mit deren Erlaubnis geſchrieben oder von Freunden zu Geſchenken er- 
halten hatte oder hatte ſchreiben laſſen. Ein viertes Verzeichnis von 353 Bänden iſt 
wohl in den Jahren 840 - 852 geſchrieben. Doch wir müffen von Reginbert zu Waldo 
zurückkehren, mit deſſen Regierung dieſe ſechzigjährige Slanzzeit ihren Anfang nahm, 
um den Zuwachs der Bücherei unter ihm zu verfolgen. 


Aus der Zeit, in der Waldo die Reichenau innehatte, aus der Wende 
des achten und neunten Jahrhunderts, beſitzen wir eine beträchtliche 
Anzahl Handſchriften. Die einen ſind Reichenauer Erzeugniſſe: von 
ihnen haben ſich Bände in Karlsruhe, beiden, Rom, St. Gallen, St. Paul 
in Kärnten, Berlin, aon und anderswo erhalten; andere — und es [ind 
nicht wenige - tragen zu fremdartiges Gepräge, als daß fie von Reiche⸗ 
nauer Mönchen oder Schülern Reginberts geſchrieben ſein könnten. 
Diefe erhielten Waldo und Reginbert durch Rauf oder Gefchenk aus 
fernen banden, aus Frankreich, Italien, Irland oder anderen Schreib⸗ 
ſtuben, wie aus St. Ballen. Don auswärts kamen unter Waldo Bücher 
nach Reichenau aus Pavia, wo er Biſchof war und von der Gemahlin des 
Rönigs Pippin mit einem Antiphonar bedacht wurde, aus St. Martin 
in Tours, wo der gelehrte. Abt Alkuin wirkte. Da dieſer feine Bücher 
aus der angelſächſiſchen heimat kommen ließ, ſo iſt es leicht begreiflich, 
daß man in Reichenau während der hochblütezeit (786 — 849) Bücher 
in angelſächſiſcher Schrift und alkuiniſche Werke verſchiedenſten Inhalts 
las. Auch durch Wohltäter und Schenkungen mehrten ſich die Bücher ⸗ 


163 


ſchätze. Eine Frau Ata, vermutlich vornehmer herkunft, Gemahlin eines 
Adelhart von Stain, ſchickte ein koſtbares, ſilberbeſchlagenes Meßbud) 
in die Reichenau. Biſchöfe und Prieſter, die damals in größerer Jahl 
eintraten, brachten vielfach Bücher mit, beſonders Sakramentarien, 
Bußbücher, kirchenrechtliche handſchriften und anderes mehr. Manche 
handſchrift, deren Schriftgepräge auf Italien, beſonders das nord⸗ 
italiſche Derona hinweiſt, wird wohl durch Egino auf die Reichenau 
gekommen fein. Ein gewiſſer Drutmund, Bruder des Mönches Ello von 
fltaich, brachte, wohl aus Bauern, einige gute Bücher mit. Huch die 
Priefter Monachus, Ansger, Pruninc, Ello, Hatto, Crahalith, Adam, 
hiltimar, Sigimar, Framminus und der Mönch Theotaſt kamen mit 
Büchern auf die Reichenau, der Prieſter hovamann mit einem Meßbuch. 
Man findet deren Namen großenteils im Reichenauer Derbrüderungs- 
und Totenbuch wieder. Ruch von dieſen auswärtigen Reichenauer hand⸗ 
ſchriften haben ſich zu St. Paul in Kärnten und Karlsruhe, vielleicht 
noch in Stuttgart und an anderen Orten einige erhalten. 

Bildung und Geiſtesleben. — Schon die Geſchichte der Bücherei 
ſpricht deutlich für die wiſſenſchaftliche Regſamkeit der Reichenau zur 
geit Waldos; mehr noch vermag uns der Inhalt der gefammelten 
reihen Bücherei zu ſagen. Wir verſuchen, aus ihm heraus ein Be: 
ſamtbild der Reichenauer Geiſtesbildung unter Waldo zu gewinnen. 

Die heilige Schrift, ihr Text und ihre Erklärungen, wurden natur⸗ 
gemäß vor jeder anderen Literaturgattung bevorzugt. Beſonders reich 
war man mit den beſten exegetiſchen Werken der namhaften Däter 
und frühmittelalterlichen Schrifterklärer des ganzen Alten und Neuen 
teftamentes verſehen. Außer den bekannten und überall gelefenen 
Werken der vier großen Kirchenväter: Ambrofius, hieronumus, Augu- 
ſtinus und Gregor, den Erklärungen Mdors von Sevilla und Bedas 
ſind u. a. vertreten die Dichtung des Afrikaners Drakontius (fünftes 
bis ſechſtes Jahrhundert) und die Pſalmenerklärung KRaſſiodors. Auch 
die Griechen ſchätzte man in Reichenau, wie das die Homilienüberſetzung 
des Origines zum hohenlied, Johannes Chruſoſtomus zu Matthäus 
und Gregor von Nazianz in Auszügen beweiſen. Die Geheime Offen⸗ 
barung, dieſes geheimnisvollſte und dunkelſte Buch der heiligen Schrift, 
ſcheint auf die Mönche eine beſondere Anziehungskraft ausgeübt zu 
haben. Der kommentar des hl. Beda, eine anonyme Abhandlung 
de septem sigillis, d. h. „über die ſieben Siegel“, und die Erklärung 
des afrikaniſchen Biſchofs Primaſtius von Hadrumet (ſechſtes Jahrh.) 
bezeugen das (Primafius hat feinem Kommentar zur Geheimen Offen⸗ 
barung den Text der alten afrikaniſchen kirche zu Grunde gelegt, 


164 


wodurch er für uns befonderen Wert erhält). Eine Art Evangelien: 
harmonie von dem ſpaniſchen Presbyter und Dichter Juvencus, die ſich 
in ihren Hexametern eng an den Evangelientert anſchließt, hat ſich 
gleichfalls unter den Reichenauer Schätzen erhalten. Auch an bibliſch⸗ 
exegetiſchen Werken über einzelne Fragen, über den Juſammenhang 
des Alten und Neuen Teſtaments, die Übereinſtimmung der Evangelien- 
berichte, Sinn und Deutung der heiligen Schriften fehlt es nicht. 
Aus dem Gebiete der Liturgie find uns verhältnismäßig wenig 
Handſchriften erhalten geblieben. Sie dienten eben praktiſchen Zwecken 
und waren deshalb wohl nicht in den Fächern der allgemeinen Bü⸗ 
cherei aufbewahrt, ſondern im Gebrauch der Sakriſtei und der ein⸗ 
zelnen Prieſter und Mönche. Man beſaß indeſſen jedenfalls eine 
größere Anzahl gottesdienſtlicher Bücher, weil die zahlreichen Prieſter 
der Abtei zur täglichen Meßfeier mindeftens einer guten Anzahl Sakra⸗ 
mentarien und Lektionarien bedurften. Huch traten, wie wir ſahen, 
zur Zeit Waldos eine Reihe von Biſchöfen und Prieſtern ein, die häufig 
Bücher, ſelbſt viele Bücher mitbrachten. Don allen dieſen mag jeder 
ein Sakramentar und Lektionar beſeſſen haben, vielleicht auch ein 
Bomiliar und Legendar für Meßfeier und Breviergebet. Beute find 
uns nur noch wenige Hand ſchriften erhalten, die in die Zeit der äbt⸗ 
lichen Regierung Waldos fallen können: Zwei Sakramentare iriſcher 
Schreibart, ein Taufritus, ein homiliar, drei begendare und eine Leidens: 
geſchichte der hl. Agatha; dazu humnen auf Chrifti beiden, Maria, die 
Heiligen, für Faſten und Oſtern, Abhandlungen und Erklärungen zur 
Meßfeier, zum Meßritus, zur Taufe, ferner über die hierarchie, ſo⸗ 
dann das Werk des hl. Martin von Braga (6. Jahrhundert) über 
den Zeitpunkt der Oſterfeier. Beſonders beliebt und geſchätzt waren 
erläuternde Abhandlungen über das Daterunfer und die verſchiedenen 
Slaubensbekenntniſſe (das apoſtoliſche, nizäniſche, konſtantinopoli⸗ 
taniſche, toletaniſche, athanaſianiſche und andere), weil fie viel zur 
Belehrung der Täuflinge und Betauften dienten. Dom Daterunler 
find die vielgeleſenen Werke Cyprians, Nuguſtins, des hl. Hieronymus, 
Bedas, Alkuins und anderer noch erhalten. 

Aus dem Schatze der ſonſtigen Däterfchriften find ebenfalls nur 
wenige aus diefer Zeit auf uns gekommen. Aus dem Gebiete der 
Dogmatik kannte man u. a. die Werke des hl. Hilarius und des 
Fauſtinus über die Dreifaltigkeit. Polemiſch und apo llogetiſch find 
die Werke des hl. hieronumus gegen Jovinian über Jungfräulichkeit, 
Faſten und Himmelslohn für die Chriften, gegen Belvidius über die immer⸗ 
währende Jungfrauſchaft Mariä, fein Apologeticum an Pammachius, 


1 
* 


In Zu: „ 


} 
1 


165 


des hl. Ambrofius Briefe an die Raifer Dalentinian und Theodofius, 
Ndors Werk über den katholiſchen Glauben gegen die Juden, des 
Digilius von Thapfus Werk gegen Eutyches (5. Jahrhundert). 

An kirchenrechtlichen Werken find vorhanden die kianonen⸗ 
ſammlungen des Dionuſius- Hadrian, die ſogenannten pſeudoiſidoriſchen 
Dekretalen, ferner Ranones, die man aus der hl. Schrift zuſammen⸗ 
ſtellte, ſpaniſche Konzilienentfcheidungen von Toledo und Braga, Dekre⸗ 
talen der römifchen Biſchöfe, weiterhin verſchiedene Bußbücher, darunter 
das des Iren Aummean. Urſprünglich hatte Reichenau auch noch eine 
Sammlung iriſcher, griechiſcher, afrikaniſcher und galliſcher Kanones. 

Dazu kommen der Briefwechſel zwiſchen Auguftin, hieronumus und 
Papft Damafus, Auszüge und Stücke aus den Brab- und Weihe⸗ 
inſchriften des Papſtes Damaſus, den Predigten Leos d. Gr., aus 
Auguftin, 3. B. den Soliloquien und Retraktationen, aus Bieronymus, 
dor, beſonders deſſen Etymologien, aus Beda und Gregor d. Gr. 
und einige Briefe des römiſchen Stadtpräfekten 8ummachus an Raifer 
Theodoftus (5. Jahrh.). Aus der Mönchsliteratur iſt nur weniges 
zu nennen: Benediktiniſche Regelbruchſtücke, des hl. Antonius Leben, 
verfaßt vom hl. Athanaſius, Raffians beliebte Institutiones und Col- 
lationes und des Mönches Evagrius Anſprache an die Zönobiten 
(5. Jahrhundert). Mehr aſzetiſches Gepräge haben verfchiedene Ab⸗ 
handlungen über die Demut, Buße, Geduld, Liebe, über Stolz, Schwel⸗ 
gerei, Unmäßigkeit, Begierlichkeit und die acht Hauptlafter. 

Daneben wurden auch weltliche Wiſſenszweige nicht verſchmäht. 
Dies beweiſen das noch erhaltene alamanniſche Geſetzbuch, vielleicht 
auch ktaſſiodors Werk über die fieben freien Künſte, die auch im ein⸗ 
zelnen vertreten find: Die Grammatik vertritt Donatus und des Ser⸗ 
gius Erklärung dazu, ebenſo Phokas, Pompejus und andere. Die 
Dialektik iſt vertreten durch Alkuin, die Rhetorik durch Donatus und 
Alkuin; die Dichtkunſt durch zwei Arbeiten über das Metrum und 
durch die Derskunft Aldhelms; die Muſik u. a. durch die anonyme 


Abhandlung: de mensura fistularum, die Gerbert ſchon abgedruckt 


hat, die Geographie durch die Notitia Galliarum aus dem fünften 
gahrhundert, eine Art Reichseinteilung im vierten und fünften gahr⸗ 


hundert, den Laterculus des Polemius Silvius, in etwa ein Geſchichts⸗ 


und Naturwiſſenſchaftskalender (6. Jahrhundert) und die Aosmo- 
graphie des Nethicus (7. Jahrhundert). Auch des Plinius Naturkunde 
und einiges aus der Aſtronomie hat ſich erhalten. Aus dem Gebiete 
der Geſchichte find verblieben Hegefipps Jüdifcher krieg und des Dares 
von Phrugien Geſchichte des Untergangs von Troja, vielleicht eine 


166 


Völkertafel, Chroniken von Hieronymus, Jdacius, Gregor von Tours, 
Fredegar und einem Anonymüs, Paul Warnefrids Langobarden- 
geſchichte, eine anonyme Aufzählung der Apoftelgrabftätten; aus der 
Chronologie u. a. das Werk des Chronographen Julius Hilarianus „über 
die Weltdauer“ (de cursu temporis, 4. Jahrhundert). Die Philologie 


ift vertreten durch Runen, althochdeutſche Überrefte und Bloffare; Ariſto⸗ 
teles durch fein Werk über die kategorien und de interpretatione, die 


neuplatoniſche Philoſophie durch die Ifagoge des Porphurius (3. Yhrh.). 

So ſtellt ſich die Bildung auf der Reichenau unter Abt Waldo 
aus den Überreſten dar. Waldo und Reginbert waren offenbar 
keine engherzigen Seiſter. Alles was Religion, Zunft, Wiſſenſchaft 
dem Menſchengeiſte Edles, Schönes und Wahres boten, war ihrem 
Sammeleifer willkommen und fand im Inſelkloſter verſtändnisvolle 
und warme Aufnahme; entſprechende Bücher wurden mit Freuden 
der Sammlung eingereiht. 

Ob Waldo ſelbſt Handſchriften geſchrieben hat, wiſſen wir nicht. 
Die Reichenauer Jahrbücher des ſechzehnten Jahrhunderts erwähnen 
einen verlorenen Pſalter Waldos und vermuten, daß er wohl mit 
anderen Büchern zur Zeit des Ronftanzer Konzils verſchwunden ſei. 
Dieſer Pſalter kann von Waldo ebenſogut geſchrieben als erworben 
fein. Jedenfalls aber zeugt er für feine Bücherliebe und dürfte als 
Beweis dienen, daß Waldo, der Abt, eine eigene Bücherei beſaß, wie 
es von den Abten Brimald und Hartmut von St. Gallen nachgewieſen 
iſt; denn beide vermachten ihre Handbücherei ihrem Klofter. 

Bemühungen um den echten Regeltekt. — Nach Waldos Zeit 
unter Abt Heito (817) ſandte Reginbert die Mönche Brimald und Tatto 
nach Rachen auf die Regelfynode und ließ durch fie den Urtext der Bene: 
diktinerregel für das Kloſter beſchaffen. Kein Geringerer als Karl d. Gr. 
ſelbſt hatte die Muſtervorlage, eine genaue Abſchrift nach der Urſchrift 
des hl. Benedikt, aus dem Erzkloſter Monte Kaſſino beſorgen laſſen. 
Bald nach 787, als eben Waldo Abt von Reichenau geworden 
war, iſt ſie gefertigt worden. Sie ſollte nun im ganzen Franken⸗ 
reiche an die Stelle der bisher gebrauchten Teztgeftalt treten. Es if 
bezeichnend für den Beift der Reichenau, daß uns gerade aus iht 
genaue Nachrichten über die Einführung des echten Textes und dieſer 
Text ſelbſt erhalten find. Die koſtbare Handſchrift liegt heute als 
Rodez 914 auf der Stiftsbücherei zu St. Sallen. Wie fie iſt, wurde fie von 
den beiden Reichenauer Beauftragten Brimald und Tatto mit einem 
erläuternden Begleitbrief an ihren Lehrer Reginbert nach Reichenau 
geſchickt. War Waldo damals ſchon ein paar Jahre tot, fo muß ihm 


167 


trotzdem ein Derdienft an dieſem Werke zuerkannt werden. Beito, 
fein Nachfolger als Abt, und Reginbert, Brimald und Tatto waren 
ja feine Mönche. Waldo war nicht nur ihr Abt, ſondern auch ihr 
behrer geweſen. Unter ihm waren ſie zu tüchtigen Männern und 
tefflichen Meiſtern herangewachſen, die nun in feinem Geiſte weiter 
wirkten und fo auch in Stand geſetzt waren, den neuen Regeltezt in 
der Reichenau einzuführen. Außerdem hatte Waldo wohl ſelbſt deſſen 
Einführung vorgearbeitet. Wir beſitzen in kodez 6333 der Münchener 
Staatsbibliothek noch Bruchſtücke einer Benediktinerregel, die in die 
deit der erſt werdenden Textverbeſſerung einen Einblick gewähren. 
Bier liegt bereits ein Übergangstext vor, der teilweiſe ſchon mit dem 
reinen Nachener Text geht, wenn er ſonſt auch noch Lesarten der 
verderbten Teztgeftalt bietet. 50 haben die Schüler wohl nur voll» 
endet, was unter dem Meiſter ſchon begonnen war. In derſelben 
Münchener Handſchrift, die den genannten Miſchtekt bietet, findet ih 
auch der Brief, den karl d. Gr. an Papſt Hadrian ſchrieb, um Waldos 
Erhebung zum Biſchof von Pavia durchzuſetzen. Das wird kein leerer 
Zufall fein, ſondern ein Fingerzeig, daß der Abt der Reichenau an 
Barls Reformen für den Regeltezt nicht unbeteiligt war. 

Waldo und Alkuin. — Unter den Reformmännern Rarls d. Gr. 
im Frankenreiche nimmt eine Dorzugsftellung Alkuin ein. Alkuin 
erhielt von Karl im Jahre 796 die Abtei St. Martin in Tours, um 
von dort aus den wiſſenſchaftlichen Beift neu zu beleben. Er recht⸗ 
fertigte die Beſtrebungen des Herrſchers glänzend. Wie Waldo die 
Reichenau, fo brachte Alkuin St. Martin zu hoher Blüte. Tours wurde 
im baufe des neunten Jahrhunderts Sitz jener berühmten Schreibſchule, 
deren Werke wir ob ihrer unübertroffenen Schriftſchönheit noch heute 
in vielen Handſchriften dewundern. Alkuin hatte aber jedenfalls 
ſchon vor ſeiner Erhebung zum Abte im Frankenreiche eine hervor⸗ 
ragende Lehrtätigkeit entfaltet. Groß war der Zulauf zu ihm, be⸗ 
ſonders von Mönchen. Er wurde u. a. Lehrer des feligen Rhabanus 
Maurus, der wiederum Walahfrid Strabo zu feinem Schüler hatte. 
8o durfte Alkuin die zwei größten Gelehrten der kiarolingerzeit 
fine Schüler nennen. Ob Waldo und Alkuin einander perſönlich 
kannten, wiſſen wir nicht. Aber es iſt anzunehmen, daß fie in jenem 
engeren treiſe von Gelehrten und Dichtern ſich kennen lernten, die am 
hofe klarls ſich zuſammenfanden. Sicher ſtanden die beiden Abteien 
Reihenau und Tours miteinander in Beziehungen, als Waldo und 
Alkuin in ihnen regierten. Unter Waldo ſandte der Mönch Odilleoz, 
auch Vadilleoz geheißen, durch feinen Bruder Nuno Bücher und kioſt⸗ 


168 


7 


barkeiten von Tours nach Reichenau. Odilleoz war wie Nuno ein 
leiblicher Bruder jenes Heito, der unter Waldo als Mönch in Reichenau 
lebte und Waldos Nachfolger wurde; in feiner Jugend war er auf 
der Reichenau erzogen und in der dortigen kiloſterkirche Bott geweiht 
worden, fiedelte aber ſpäter nach St. Martin zu Tours über. Die 
beiden Brüder ſcheinen von Alkuin auch ſonſt als Boten im Derkehr 
mit befreundeten Klöſtern verwendet worden zu ſein. Wie Nuno nach 
Reichenau zu Abt Waldo geſchickt wurde, fo Odilleoz nach Murbach; 
denn diefer brachte im Jahre 796 Alkuin Grüße und Nachrichten aus 
Murbach, das wie Reichenau eine Pirminftiftung war. Ruch heito 
ſcheint ſpäter mit Alkuin in Derkehr getreten zu fein. Er fandte, 
wahrſcheinlich als Abt des Klofters, die Mönche Wetti und Erlebald 
zu Alkuin, der ſie in den heiligen Schriften und in den ſieben freien 
fünften unterrichtete. Wenigſtens ift es höchſt wahrſcheinlich, daß 
Alkuin jener von Walahfried erwähnte „Schottenlehrer“ war, bei dem 
fie ihr Wiſſen ſich aneigneten. Dies erklärt uns wiederum, warum 
Alkuins Werke in Reichenau ſo gut vertreten find. 

In den Jahren 780 — 800 erließ Harl d. Sr. zwei kiapitularien zu 
Sunften der Studien. Das eine Rundfchreiben, die »epistola de lit 
teris colendis«, nach einigen 787 erlaffen, empfiehlt und verlangt 
gediegenes Studium, geht alſo mehr auf den Inhalt, während die 
»epistola generalis« (786 - 800) einen der Wiſſenſchaft würdigen, ge: 
bildeten Stil fordert, alſo mehr die Form im Auge hat. Die Männer, 
denen er die Durchführung diefer Erlaffe anvertraute, waren zwei Äbte 
und ein Mönch: der oben genannte Alkuin von Tours, der Geſchichts 
ſchreider Paul Warnefrid, Mönch von Monte kaſſino, der in den 
Jahren 782— 786 an KHRarls Hof weilte, und vor allem Abt Baugulf 
von Fulda, an den der erſte Brief gerichtet war. Unter dieſen wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Reformen nimmt die Einführung des echten Regelteztes 
einen hervorragenden Platz ein. In ihren Mönchen Reginbert, Tatto. 
Srimald erwies ſich die Reichenau den edlen Beſtrebungen des Kaiſers 
gewachſen. Indeſſen ſind dieſe drei nicht die einzigen wiſſenſchaftlich 
bedeutenden Mönche der Abtei aus jener Zeit. Auch heito, Erlebald 
und Ruadhelm, Waldos nächſte Nachfolger im äbtlichen Amte, waren 
bedeutende Männer. Sie alle legten durch ihr Wirken und ihren Er: 
folg beredtes Zeugnis dafür ab, wie gut es der Abt verſtand, ſeine 
Mönche für geiſtige Beſtrebungen zu erziehen und eine neue Zeit, 
ja das goldene Zeitalter des Inſelkloſters heraufzuführen, das weit 
ins neunte Jahrhundert hineinreichte und in ſolchem Glanze nie wie⸗ 
der aufleuchten ſollte. (Schluß folgt) 


169 


O beata Trinitas. 


Dom Sinn und Werden des Dreifaltigkeitsfeftes. 
Don P. Sturmius Regel (Beuron). 


| Be sit sancta Trinitas, fo hebt die Feſtmeſſe am Sonntag 
nach der Pfingſtwoche an. „Gepriefen ſei die heilige Dreifaltigkeit 
und ungeteilte Einigkeit; denn fie hat ihr erbarmen an uns erwieſen.“ 
die Stelle ſpielt an auf Tobias 12, 6. Der Pſalmiſt ſetzt alsbald ein: 
hen, unſer Herr, wie herrlich iſt dein Name auf dem ganzen 
erdenrund!“ (Pſ. 8, 2.) ktaum kürzer könnte man den Grundgedanken 
bes Feſtes wiedergeben, kaum ſchöner einführen in die Geſinnungen, 
die uns an dieſem Tage beherrſchen ſollen. 
zwei Dinge beſagt dieſer Feſteingang: daß wir Gott loben ſollen, 
und warum wir Gott loben ſollen: weil er Barmherzigkeit an uns 
etzeigt hat. Wenn ſich Gott offenbart, fo iſt das immer Büte, wenn 
u ſich fortſchreitend offenbart, von uns Menſchen aus geſehen, fort⸗ 
ſcreitende Güte. Dem heiden hat er ſich kundgetan in der Natur; 
den Juden hat er in übernatürlicher Offenbarung feine Einzigkeit ge⸗ 
lehrt, uns Chriften in unendlicher Güte durch feinen eingeborenen Sohn 
einen Blick tun laſſen in ſein innergöttliches, ſein dreieiniges Weſen. 
Bott iſt Beift. Wenn er ſich enthüllt, enthüllt er ſich unſerem Geiſte. 
Bott iſt Tat. Wenn er ſich offenbart, offenbart er ſich werktätig. Wie 
haben ſich die Edelſten unter den heiden abgemüht, einen wahren 
bottesbegriff und eine würdige Gottesvorſtellung zu gewinnen, die 
dem Derftande genügt und das herz nicht unbefriedigt läßt! Mußte 
nicht lauteres, folgerichtiges Denken ſchon auf einen über weltlichen 
und zugleich inner weltlichen, urperſönlichen Bott ſchließen? Wo Bott 
id) dem Glauben kundtat und in heiligen Reden zum Menſchen ſprach 
wie im Judentume, da war der Menſch ſchon ſelig in der Gewißheit 
der bloßen Einzigkeit Gottes. Wie können wir es fo deutlich feſt⸗ 
ſtellen an den religiöſen Größen des jüdifchen Dolkes! Aber find nicht 
ſelbſt viele aus dem auserwählten Volk nach Ausweis des Alten 
ſeſtamentes immer wieder abgewichen von dem Jdeal der Derehrung 
des einen und einzigen Gottes? Wie hätte erft der Menſch, ſich ſelbſt 
überlaffen, die Dorftellung furchtbarer Dereinfamung vollſtändig bannen 
können, die ſich immer einſchleichen wird, wo Gott bloß als einzige 
Perfönlihkeit in unnahbarer Erhabenheit gedacht werden muß! Wie 
konnte man einem ſolchen Bott zuſtreben mit ganzem, reſtlos lieben⸗ 
den erlangen? Daß Bott iſt, it notwendig: Gott kann nicht nicht⸗ 
fein. Aber auch wie Gott ift, fo iſt er notwendig: Bott kann nicht 
Benediktinifche Monaiſchriſt VI (1924). 5-6. 11 


170 


anders=fein als er iſt. Könnte Gott nicht⸗ſein, wäre er nicht Gott; 
er wäre nicht der denkbar Dollkommenfte, er wäre nicht das ewige 
beben. Könnte Gott anders ſein als er iſt, er wäre wieder nicht Gott; 
er wäre ein Gott, er wäre nicht Bott. Vor der Selbſtoffenbarung 
Gottes ift keine Nenſchenvernunft auf den Gedanken gekommen, Bott 
könne drei⸗ einig fein: eins der Weſenheit nach, dreifaltig in den Per⸗ 
ſonen. Und auch nach der Offenbarung vermag keine Vernunft das 
unfaßbare Geheimnis zu ergründen. Aber ein erhöhter, unfagbarer 
Friede ruht ſeitdem für den Glaubenden in dem Gedanken an Gott 
und eine weit größere Sehnſucht, ihn zu ſchauen, wie er iſt. Alles 
Heidentum, neues wie altes, wird ftets in Pantheismus oder Atheis⸗ | 
mus landen müſſen; wem Gott ſich nicht offenbart, der bleibt ihm 
innerlich ewig fern. Geprieſen ſei alſo die heilige Dreifaltigkeit und 
ungeteilte Einigkeit, weil fie Barmherzigkeit an uns erzeigt hat! 

Bott iſt Tat. Er hat ſich in Werken geoffenbart, nicht bloß in 
Worten. Des Vaters ewiges Selbſterkennen, fein weſensgleicher Sohn, 
iſt Menfdy geworden und hat unter uns gewohnt. Chriftus hat uns 
durch feine heilige Menſchheit als Chriften mit Bott verbunden. Und 
als er heimgegangen war, da hat er fein Derfpredhen gelöſt: „Ich 
will den Dater bitten, daß er euch einen anderen Beiſtand gebe, der 
ewig bei euch bleiben ſoll, den Geift der Wahrheit, den die Welt nicht 
empfangen kann, weil ſie ihn nicht ſieht und kennt.“ Er hat uns 
den heiligen Beift geſandt, den göttlichen Liebeshauch, damit er uns 
belebe und in uns bitte mit unausſprechlichem Flehen. Dürfen wir 
uns deſſen nicht von herzen freuen, müſſen wir es nicht? 

Aber iſt deshalb ſchon ein Feſt der heiligſten Dreifaltigkeit ge⸗ 
geben? Es find nun faſt 600 Jahre her, daß Papſt Johann XXII. 
1334 den Sonntag nach dem Pfingſtfeſt zum Dreifaltigkeitsfefte für die 
ganze Kirche beſtimmt hat. n die 1000 und mehr Jahre aber liegen 
die erſten Anfänge zurück. Da hat viel Liebe und Frömmigkeit zu- 
ſammengewirkt, bis es ſoweit kam, und große Andacht iſt dann aus 
dem glücklich vollendeten Feſte entſprungen. Eines iſt freilich nicht 
zu leugnen: ein Feſt unter anderen Feſten, das Gott ſelbſt zum Segen⸗ 
ftande hat, ift etwas ſehr Auffälliges, ja ganz Ungewöhnliches. 

In der römiſchen Mutterkirche wäre ein ſolches Feſt wohl nie 
entſtanden. „Ein Feſt iſt ja doch das Gedächtnis einer Tatſache, die 
fi) in der Zeit ereignet hat, und deren Erinnerung und Einfluß gerade 
dadurch wach erhalten werden ſoll. Doch die ganze Ewigkeit hindurch, 
vor aller Schöpfung lebt und regiert Bott, Dater, Sohn und heiliger Seiſt. 
Da war kein beſonderes Ereignis zu feiern, das ſich abgrenzen ließ.“ 


171 


„Es war nicht die Art der alten kirche, ſchon gar nicht die der römiſchen, 
erſtlich Dogmen dem Auge des Geiſtes und Herzens zu bieten. heilige 
Beheimniffe vor allem wollte man dem körperlichen Ohre gleichſam 
hörbar und dem leiblichen Auge ſichtbar vorführen.“ Der Benediktiner 
menard hat zwar gemeint?, „es kann kein Zweifel darüber beſtehen, 
daß man einſtmals in Rom ein Dreifaltigkeitsfeſt gefeiert und nach 
mals es unterlaſſen hat“. Er war dabei von der Tatſache ausgegangen, 
daß ihm die angeblich von Papſt Pelagius eingeführte bezw. von 
dem Papſt als uraltes römiſches But bezeichnete Dreifaltigkeits⸗ 
präfation in keinem der gedruckten oder handſchriftlichen älteren 
Sakramentare als bloße Sonntagspräfation außer am Sonntag nach der 
Pfingſtwoche begegnet ſei. Nach dem Mitrale! hätte Papft Gregor 
der Große ſchon geſtattet, „daß wir der Dreifaltigkeit eigens ſängen 
und ihr auch kirchen errichteten“; aber auch für Gregor VII., auf den 
man’ hier ſchloß, fand man keinen Beleg. Dagegen beſitzen wir in 
einer Dekretale Alexanders III.“ ein Dokument, das nicht nur die 
Auffaffung feiner Zeit, ſondern ſicherlich die Tradition der römiſchen 
kirche überhaupt wiedergibt: „Ein Feſt der allerheiligſten Dreifaltig- 
keit”, ſagt auf Anfrage der Papſt, „wird nach den Bräuchen ver- 
ſchiedener Gegenden von den einen an der Pfingſtoktav, von den an- 
deren am erſten Sonntag vor dem Advent des herrn gefeiert. Die 
tömiſche Hirche hat es jedoch nicht in Brauch, daß fie zu irgendeiner 
zeit ihr eigens ein Feſt feiert, da man ja täglich ‚Ehre ſei dem Vater 
und dem Sohne und dem heiligen Beifte‘ betet und ſonſt ähnliches, 
was ſich auf die Verherrlichung der Dreifaltigkeit bezieht.“ hätte der 
Papft den letzten Satz belegen wollen, hätte er fo ziemlich alle be⸗ 
deutenderen Gebete der Kirche anführen können: das Gloria, das 
Credo, die Orations⸗ und Humnenſchlüſſe, die Liturgie der heiligen 
meſſe, der Sakramente und Sakramentalien von der Taufe bis zum 
Begräbnis. 

Bilt es heute als ausgemacht, daß das Felt nicht römiſchen Urſprungs 
if, fo herrſcht noch keine völlige klatheit darüber, wie es diesſeits 
der Alpen entftand. Man nimmt an, daß das Feſt gewachſen und 
geworden, nicht „gemacht“ iſt. Da und dort ging ein Lichtlein auf, bis 
ſchließlich erſt einzelne ktirchenſprengel, zuletzt durch Übernahme des 
Beftehenden die ganze katholiſche Rirche an dieſem Tage in Feſtglanz 
erſtrahlte. Oft und früh iſt das Gegenteil behauptet worden. Den 
Brief eines gewiſſen Catulf’ an ftarl den Großen hat man oft erwähnt, 
gelegentlich auch überſchätzt; niemand weiß ja, ob ſeine Anregung, 
karl möge für fi und die ganze Chriſtenſchar einen Tag im Jahre 

11* 


172 


„nach dem Faſten“ zur Verehrung der heiligen Dreifaltigkeit und Einig: 
keit, ſowie der heiligen Engel und heiligen beſtimmen, irgendwelche 
Beachtung gefunden hat. Mit Ehren wird in der Geſchichte des Drei⸗ 
faltigkeitsfeftes immer der Name Alkuin genannt werden. Alkuin hat 
die heute noch gebrauchte Feſtmeſſe zuſammengeſtellt — Epiftel und Evan: 
gelium waren nicht immer die gleichen. In feinem kleinen „Sakra: 
mentar“ findet fie ſich als allgemeine Meſſe für den Sonntag. Seiner 
»Invocatio ad ss. Trinitatem«“ entſtammen auch das fünfte Refpon: 
ſorium und ſämtliche neun Antiphonen der Matutin im römiſchen 
Brevier. Das monaſtiſche Brevier entnimmt dazu u. a. noch die elfte 
Matutinantiphon feinem Symbolum io. Gelegentlich hat er fogar als 
Derfaffer des Offiziums gegolten, als Urheber des Feſtes ernſt⸗ 
haft wohl nie. Anders ſteht es mit Stephan von Lüttich (+ 920). 
In der allgemeinen Feſtverbreitung hat Stephan ſicher große Verdienſte. 
Ift er aber der Urheber des Feſtes? M büttich nicht nur der Quellort 
des Fronleichnamstages, ſondern auch des Dreifaltigkeitsfeftes? Be: 
rufene Rritik'!! hat dem jüngſten Vertreter diefer Annahme zugeſtanden, 
er habe den Beweis erbracht, daß Stephan der Urheber unſeres jetzigen 
Offiziums ſei, d. h. der Befamtheit von Antiphonen und Reſponſorien. 
„Text und Melodie herausgegeben von Ruda zeigen uns, daß es bis 
auf geringfügige Abweichungen das nämliche Offizium iſt, das wit 
auch heute noch gebrauchen“! ?. Anders dagegen ſtehe es mit der Be: 
hauptung, auch das Feſt habe in Cüttich feinen Urſprung genommen 
und ſei von da aus mit feinem heutigen Ralenderdatum und dem von 
Stephan verfaßten Offizium in die Seſamtkirche übergegangen. Daß 
es vor Stephan noch kein eigenes Offizium gegeben habe, ſei anzu⸗ 
nehmen; daß es vor ſeinem Offizium noch keinen Dreifaltigkeitstag 
gegeben, wäre erſt noch zu beweiſen. 8o blieben die Mutmaßungen 
von Dom b. Beauduin über den „Urſprung des Dreifaltigkeits⸗ 
feftes“ '’ vorerft zurecht beſtehen. Nach ihm entſtand zwar das Feſt im 
neunten bis zehnten gahrhundert, aber unbekannt wo und wie, eigent⸗ 
lich mehr ungewollt. An Weihetagen, den Quatemberſamstagen be⸗ 
gannen die Funktionen abends; ſie zogen ſich hinein bis in den 
Sonntag. Die Folge war »Dominica vacat«, das heißt ein Sonntag 
ohne eigenen ſonntäglichen Gottesdienſt. Da gab es eine liturgiſche 
Lücke. Man war gezwungen, fie auszufüllen. Bier taten nun Alkuins 
„Votiv-Meffen“ die beſten Dienſte. Der erſte Sonntag nach Pfingſten 
war ſo ein Sonntag nach einem Quatemberſamstag. Da ſtahl ſich 
die Meſſe gleichſam unvermerkt auf den freien Tag. Das geſchah 
vielerorts: ehe man ſichs verſah, war ein Dreifaltigkeits ſonntag ent 


173 


fanden: aus der Meffe von der heiligen Dreifaltigkeit war ein Feſt 
geworden. Was man einmal liebgewonnen, wollte man nicht mehr 
miſſen. Bald ſprach ſich die eine und die andere Sunode, beſonders 
in Deutſchland und Frankreich, für Einführung des „Feſtes“ in ihrem 
Sprengel aus, ganze Orden machten ſich zu deſſen Träger. Unter dem 
Widerſtand, der gegen die Neuerung einſetzte, begann man ſich damals 
grund ſätzlich zu fragen, was eigentlich an dieſem Sonntag zu feiern 
ſei: ein Dreifaltigkeitsfeſt, die Pfingſtoktav oder der laufende Sonntag, 
der erſte nach Pfingſten. Als private Andacht aufgekommen — non 
tam ex auctoritate quam ex devotione!!— erwiefen ſich Feſtmeſſe und 
Feſt aber ſtärker als die liturgiſche Tradition. Die Umſtände wurden 
der allgemeinen Einführung ſchließlich beſonders günftig, als der Sitz 
der römiſchen Kirche in jene Gegenden verlegt wurde, in denen man 
„Dreifaltigkeit“ feierte. In der Romferne übernahm zu Avignon 
Papft Johann XXII. das eigentlich romfremde Feſt für die geſamte 
kirche. Papſt Benedikt XIII. hat (nach Martene!?) dann näherhin be⸗ 
fimmt, man ſolle es feiern wie Weihnachten und Oſtern. Sehr zu 
bedauern ift, daß man die Einführungsbulle des Papſtes Johannes 
anſcheinend früh ſchon nicht mehr kannte; fie wäre wohl von hohem 
Wert geweſen. 

Am Schluſſe feiner kleinen Studie macht Dom CL. Beauduin die 
Bemerkung: „Wenn ich offen meine Meinung ſagen darf, ſo bedauere 
ich, daß der römiſche Brauch, bezeugt durch Alexander III., ſich nicht 
zu behaupten vermochte. Nachdem es nun einmal anders iſt, freue 
ich mich jedoch, daß das Feſt durch Pius X. zum Range der I. Klaſſe 
erhoben worden iſt.“ Man kann dem Liturgiker, der hieraus ſpricht, 
feine Gefühle unſchwer nachfühlen. Man wird aber auch Thalhofer! 
nicht leicht Unrecht geben können, wenn er ſagt: „Die Tatſache, daß 
ein beſonderes Feſt zu Ehren der heiligſten Dreifaltigkeit entſtehen 
und trotz mancher Schwierigkeiten ſich ſogar einbürgern konnte“, zeigt, 
„daß eine geſonderte Feſtesfeier zu Ehren dieſes Zentralgeheimniſſes 
unſerer Religion dem chriſtlichen Empfinden durchaus entſprechend war.“ 
Wenn man ſich eines wünſchen dürfte, wäre es vielleicht dies, daß 
der Sonntag in dem Feſte völlig aufginge, daß wir, ähnlich wie an 
Oſtern und Pfingſten, kein Feſt der heiligſten Dreifaltigkeit an einem 
Sonntag, ſondern einen Sonntag der heiligen Dreifaltigkeit befäßen. 
Es iſt ja keine beſondere, es iſt die Jdee aller Sonntage, die uns an 
dieſem Tage ausgeſprochen nahegebracht wird: der Wille, Bott anzu⸗ 
beten und zwar den dreieinigen Bott. Tag der Gottesverehrung, des 
einen und einzigen Gottes war im Alten Bunde der letzte Wochentag, 


174 


der Sabbat. Im Neuen Bunde rückte unfere Gottesverehrung auf den 
erſten Tag der Woche vor: Tag der chriſtlichen ift der Sonntag. Er 
ift der Schöpfungstag, an ihm ward Licht: er ift der Tag der Nufer⸗ 
ftehung Chrifti, der vollendeten Erlöfung, an ihm ward Geben; er iſt 
der Tag der Beiftesfendung, an ihm ward die Liebe Gottes ausgegoſſen 
in unſere herzen, an ihm ward uns Heiligung. Man darf gewiß nicht 
ſagen, wie das Ältere!’ tun, an Weihnachten ſei in der Geburt des 
Sohnes der Vater, an Oſtern in feiner Auferftehung der Sohn, an 
Pfingſten in feiner gnadenvollen Ankunft der Heilige Beift geſondert 
verehrt worden. Erft Papſt Ceo XIII. hat eine ſolche Ruffaſſung wieder 
als irrig bezeichnet. Aber das eine darf man wohl ſagen, daß nach 
dem dreiſtrophigen humnus der drei großen Feſte des Kirchenjahres 
ein verklingendes liturgiſches Gloria Patri aus dem Munde der Be: 
ſamtheit faſt wie eine Notwendigkeit erſcheinen will. Das würde einen 
Dreifaltigkeitsſonntag am kirchlichen gahresſchluß vollauf rechtfertigen. 
Aber auch an der Stelle, an der das Feſt heute ſteht, ſteht es gut. 
Rupert von Deutz!“ weiß uns für die heutige Stellung eine ſinn⸗ 
reiche Erklärung. Er ſagt, unmittelbar nach der Geiſtesſendung habe 
der Glaube und das Bekenntnis der heiligſten Dreifaltigkeit begonnen; 
darum müßten auch wir unmittelbar nach der Pfingſtwoche unſeren 
Glauben an die allerheiligſte Dreifaltigkeit gleich feierlich bekunden. 

Wohl war es der Pfingſttag ſelber, an dem es gegen dreitauſend 
menſchen nach Petri gottbegeiftertem Bekenntnis „das Herz durchſchnitt“, 
fodaß fie die Apoftel fragten: „Brüder, was ſollen wir tun“ und ſich tau⸗ 
fen ließen auf den Namen geſu Chriſti, Dergebung ihrer Sünden zu er⸗ 
langen und die Babe des Heiligen Beiftes zu empfangen. An der Oktav 
von Epiphanie wird die Taufe geſu noch einmal geſondert gefeiert, 
am erſten Sonntag nach der Oktav die Hochzeit zu Kana; die Kirche 
hält diefe Ereigniſſe einer deutlicheren liturgiſchen Betonung mit Recht 
für wert. „Parther, Meder, Elamiter, Bewohner von Meſopotamien, 
Judäa, kappadozien, Pontus, Aleinafien, Phrugien, Pamphulien, Hgup⸗ 
ten, den Landftrihen Lybiens gegen Curene hin, Pilger aus Rom, 
Quden und Profelyten, £reter und Araber“ ſtanden am erſten Pfingſt⸗ 
fefte ſtaunend da und reihten ſich ein in die Schar der Chriſten. In 
Wahrheit ward damals nach der Predigt Petri über Jefus, der vom 
Vater den verheißenen Beift empfangen und ihn ausgegoſſen hatte, die 
katholiſche Kirche grundgelegt, die Kirche „über den Erdkreis hin“. 
Noch waren die Apoftel nicht hingegangen in alle Welt, dem Befehl 
des auferftandenen Heilandes gemäß alle Dölker zu lehren und fie 
zu taufen im Namen des Daters und des Sohnes und des heiligen 


175 


Beiftes, da kamen ſchon die Völker zu ihnen. Wahrlich diefe Wirkung 
des Pfingſtfeſtes iſt auch groß genug, daß ihrer an der „Oktav“ im 
Preis des dreieinigen Gottes eigens gedacht wird. 

Als der Arianismus ſich breit machen wollte, da ließ der hl. Am⸗ 
brofius in Mailand feine humnen auf die heilige Dreifaltigkeit fingen. 
lach Deo XIII.?“ hat die Kirche das Feſt eingeſetzt, „um ihre Söhne in 
der Reinheit des Glaubens zu erhalten“. Grande carmen istud est, 
quo nihil potentius: „Jawohl, das iſt ein berückendes Lied: nichts 
wirkt ſicherer als dieſes“, kann man auch vom Feſte ſagen, wie Am⸗ 
brofius?! von feinen Liedern. In einer Zeit der Derwifchungen läßt es 
uns mit der unzweideutigen Klarheit feiner beſungen und Lieder keinen 
zweifel darüber, was wir vor aller Welt bekennen: Bott iſt eins in 
der Natur, dreifach in den Perſonen. 

Wenn auch Anbetung der erſte Zweck des Tages iſt, fo kommt 
unfere perſönliche Heiligung dabei nicht zu kurz. „Die Bedeutung des 
dogmas vom dreieinigen Bott für das ſittliche Geben der Gemeinſchaft“ 
haben wohl wenige fo tief und ſchön und gedrungen zugleich dar⸗ 
geſtellt wie Romana Guardini??: Das ſittliche eben der Bemein- 
ſchaft ruht auf zwei entgegengeſetzten Formen der Seelenhaltung und 
Seelendewegung: auf Bingabe und Zurückhaltung unter der leitenden 
Jbee der Gemeinſchaft. Durch Hingabe treten wir heraus aus unferer 
Enge, ohne fie keine Liebe. „Die vollkommene hingabe, die nichts 
mehr für ſich allein behält, hat eine neue, beide Perſönlichkeiten um⸗ 
faſſende Einheit geſchaffen.“ Die Jurückhaltung der Seele dagegen 
bewahrt uns vor Selbſt⸗ und Fremdvernichtung. Sie macht ehrfürchtig 
halt „vor jener Grenze, die wie die eigene fo die fremde Perſönlich⸗ 
keit umſchließt.“ Sie will „keine Selbſtmitteilung erzwingen und er⸗ 
ſchleichen, ſondern nur als freie Gabe empfangen“. Auf Erden iſt es 
das größte Glück, ein herz und eine Seele zu fein. Im dreieinigen 
Bott it höchſte Einheit mit höchſter Selbftändigkeit verbunden. „Ein 
abſolutes Derftehen iſt zwiſchen Dater und Sohn; ein vollkommenes 
Lieben verbindet fie im heiligen Seiſte.“ Aber „wenn auch alles in 
Bott gemeinſam ift, eines nicht: die Perſonen. Sie beſtehen unver⸗ 
wiſcht, unvertauſcht, in abſoluter Unantaftbarkeit. Der Dater ift nicht 
und in keiner Weiſe der Sohn, und von beiden unverwechſelbar unter- 
ſchieden iſt der heilige Geiſt“. 

Immer iſt die liebende Derfenkung in das Urgeheimnis?! unferes 
criſtlichen Glaubens imſtande, eine entſprechend empfängliche Seele 
für die Fruchtbarkeit der Ideen von wahrer Gemeinſchaft zu begeiftern. 
Niemals aber vermag fie das mehr, als wenn wir als freie, voll⸗ 


176 


wertige Perfönlichkeiten in einmütigem Preiſe vor Gott in heiliger 
Gemeinſchaft uns zuſammenfinden. „Sib Einheit“, ruft St. Auguſtin? 
aus, „und es ift ein Volk, nimm die Einheit und es ift eine Maffe!.... 
Alſo laßt uns den herrn preiſen und feinen Namen in Einheit ver⸗ 
herrlichen! Einheit tut not, jene himmliſche Einheit, jene Einheit, in 
der Dater und Sohn und heiliger Geift eins find. Seht, Brüder, wie 
uns die Einheit empfohlen wird: Bewiß, dreifaltig iſt unſer Bott. Der 
Vater ift nicht der Sohn, der Sohn nicht der Vater, der heilige Geift 
nicht Vater, nicht Sohn, ſondern beider Beift. Und doch find dieſe 
Dreifaltigkeit (ista tria) keine drei Götter, keine drei Allmächtigen, 
fondern ein allmächtiger Bott: Die heilige Dreifaltigkeit, ein einiger 
Gott; denn ‚Ein=heit‘ tut not. Zu dieſer „Ein- heit“ aber gelangen wir 
nur, wenn wir als viele ein herz haben.“ 

Alſo ſei geprieſen die heilige Dreifaltigkeit und ungeteilte Einigkeit; 
wir wollen fie loben, weil fie ihr Erbarmen an uns erwieſen hat! 


Anmerkungen. 


Pr. Sutranger, Das Kirchenjahr X (mainz 1881) 108 und 9. A. Daniel, 
Thes. hym. I (1855) 51 und Migne Pl 151, 807 — * Tiote 401 zum Liber sacramen- 
torum s. Greg. Pl 78, 392. Dagegen Binterim, Denkwürdigkeiten V (1838) 268. — 
® Micrologus cp. 60 Pl 151, 1020 C; c. invenimus 71 dist. I. de cons. ſtammt 
nach Richter Friedberg (bezw. Blondel) nicht von Pelagius II., der Zufat »quas longa 
retro vetustas in Romana Ecclesia hactenus servavit» dort nicht einmal in den 
Apparat aufgenommen. — Lib. 8 cp. 1 Pl 213, 387 A/B; die bezeichnende Stelle 
ſteht bei Migne in Klammern; auch Durandus hat fie Rationale lib. 6 cap. 114 
n 6/7. — Les questions liturgiques 2 (1911/12) 382 — ® c. quoniam in parte 2 
X, de feriis I, 9 wurde feit Marteöne (De antiqu. eccl. rit. IV, 28, n 22) wegen 
feiner Erwähnung im Mikrologus vielfach Alexander III. (+ 1181) abgeſprochen und 
Alexander II (+ 1073) zugewiefen; weil es aber erft in der zwiſchen 1210 und 1215 
entſtandenen Compilatio II. ſtehe, in der Compilatio I. von 1191 dagegen noch 
fehle, halten andere an Alex. III. feſt und verlegen Ap. 60 des Mikrologus in eine 
Ipätere Jeit als Ap. 14, das einen Jeitgenoſſen Gregors VII. (T 1085) vorausſetzt.— 
Pl 96, 1366 B: tellner, heortologie (Freiburg 1906) 8. 88 Anm. 2 meint, „daß 
da von keinem Feſt der Dreifaltigkeit, ſondern nur von ihrer Verehrung im all- 
gemeinen die Rede ift“. — — „ Pl 101, 445 8; 54 ss fiehe unten 8. 188; 57 C. — 
11-18 Les quest. lit. 8 (1923) 139 ff. (D. J. Kreps): Revue liturg. et monast. 8 (1923) 
279 ff. (D. R. P[rooft]) zu Auda, Ant.: L'ecole musicale liegeoise au Xe siecle. 
Etienne de Liege. Bruxelles 1923. — Les quest. lit. 2 (1911/12) 380/83. — 
 Micrologus cp. 60 PI 151, 1020 B. — * a. a. 0. — '° Bandbud der Kathol. 
Giturgik 15 (1912) 665. — 3. Bſpl. Durandus a. a. O. n 1. - Enzyklika Di- 
vinum‘ illud vom 9. Mai 1897. Leonis XIII. Pont. Max. Acta vol. 17 (Romae 
1898) 128 f.; vgl. Benedikt XIV. De serv. Dei beat. etc. lib. IV. p. II. cp. 30. n 3.— 
De div. off. l. 11, cp. 1 Pl 170, 293 ss. — “ a. a. O. pg. 129. — serm. ctr. 
Auxent. n. 34 (ep. 21) Pl 16, 1017 C. — * Theologie und Glaube s (1916) 
400/406; jetzt „Auf dem Wege“ (Mainz 1923) 86/94. — * Geo XIII. a. a. O. pg. 128 
anfpielend beſonders auf Tertullian Advers. Prax. cp. 31 Pl 2 (Paris 1844) 196. — 
2 sermo 103 (al. de verb. Dñi 28) cp. III (n 4) Pl 38, 614 s. 


177 
Glaubensleben und ſittliches Verhalten. 
Don P. Alois mager (Beuron). 
liebe der Glauben ein bloßes Führwahrhalten der geoffenbarten 


Wahrheiten, er vermöchte die innere Umwandlung des Menſchen, 


wie ſie das Chriſtentum anſtrebt, nicht zu vollziehen. Die geoffenbarten 
Wahrheiten müſſen zu Motiven des Handelns werden. Der Wille muß 
in ſeiner tiefſten Wurzel erfaßt und auf das neue Ziel hingelenkt 
werden: auf den Bott der Liebe. Die Glaubenswahrheiten treten als 
Forderungen an den Willen heran. Das Glaubensleben ſoll ſich aus⸗ 
wirken im ſittlichen Derhalten des Einzelmenſchen und der Gemeinſchaft. 
Befordert wird ein Leben nach dem Glauben. Was will dies heißen? 
Das natürliche ſittliche Derhalten iſt beſtimmt durch die Regeln und 
beſetze der Dernunft, wie fie ſich von Fall zu Fall in der Stimme des 
Bewilfens offenbaren. Die Grundlage des natürlichen ſittlichen Der- 
haltens ift die Gerechtigkeit: Jedem das Seine. Jeder ift darauf be» 
dacht, das in Befiß zu nehmen, was ihm gehört, ohne daß der andere 
in feinem Recht geſchädigt wird. Das gilt vom Einzelmenfchen wie 
von der Gemeinſchaft. Justitia fundamentum regnorum, Gerechtigkeit 
it die Grundlage der Staaten. Gerechtigkeit beruht auf dem Grund⸗ 
fat, daß ich für das, was ich gebe, etwas Bleichwertiges empfange. 
Die Offenbarung geht weit darüber hinaus. Sie zieht die Gerechtigkeit 
hinauf zu den höhen der Liebe. Diebe fordert ſcheinbar das Gegenteil 
von dem, was die Gerechtigkeit verlangt. In der Liebe ift Beſitzen 
hingeben und hingeben Beſitzen. Diebe iſt der Inhalt der Offenbarung, 
Begenftand des Glaubens. Soll der Glaube in unferem ſittlichen Der- 
halten ſich auswirken, fo muß unfer Geben Liebe werden. Darum 
ſagt der hl. Thomas ſchlechthin: Die Vollkommenheit des drift- 
lichen bebens beſteht in der Liebe. Einmal ſpricht der Heiland: 
80 einer mich liebt, hält er meine Gebote. Und in der Bergpredigt 
hat er die Gebote aufgeſtellt, die zur vollendeten Verwirklichung der 
Liebe führen. Sich innerlich los machen von hab und But, von Beſitz 
und Anfehen. Die Armen im Beifte find die Bürger des himmelreiches. 
licht Sewalt und äußere Macht führen zu Erfolg, ſondern Sanftmut, 
nachgiebige Liebe erobern die Welt. Nicht Aug um Aug, Jahn um 
Jahn, ſondern feinen Feind lieben. Nicht den, der mich ſchlägt, wieder 
ſchlagen, ſondern ihm Gelegenheit geben, feinen Mut ganz an mir 
zu kühlen. Erſt dann find wir Binder des Vaters im Himmel, erſt 
dann find wir wahre Rinder der katholiſchen kirche. 


die heiligen waren es. Darum verkörpern ſie das Jdeal, dem wir 


entgegenftreben ſollen. Bei ihnen ging das Glaubensleben ins ſittliche 


178 


Leben über. Ein Ideal ſoll begeiftern, zur Nachahmung locken. Darf 
man der modernen Welt den Heiligen als ein von allen anzuſtrebendes 
Vorbild vorftellen? Stoßen fie nicht vielmehr ab, dieſe weltflüchtigen 
und weltfremden Geftalten, die Welt, Ceib und Kultur verachten, ja 
haſſen? Wo blieben Wiſſenſchaft und Aunft, Kultur und Fortſchritt, 
politiſche Größe und wirtſchaftliche Weltgeltung? Würde dieſe ſchöne 
Erde nicht zu einem Schauplatz, wie ihn in der erſten chriſtlichen Zeit 
die Wüfte mit ihren Einſiedlern dot? Das wäre das Jdeal, dem die Welt 
entgegengehen muß, unfere Zeit mit ihren unerhörten Fortſchritten auf 
allen Gebieten menſchlichen Könnens? Was foll das Chriſtentum, die 
katholiſche Kirche mit ihrem fittliden Jdeal, das die Menſchheit rück⸗ 
wärts, anſtatt vorwärts führt? 8o denken die modernen Menſchen. 
Sie laſſen die Heiligkeit als eine außergewöhnliche Erſcheinung gelten. 
Ja, fie übt eine Art poetiſchen Zauber auf fie aus. Unſere Zeit iſt ſehr 
empfänglich für Reize des Ungewöhnlichen, Beheimnisvollen. 
Wir könnten all die vielen Fragezeichen, welche die moderne Zeit 
hinter das Heiligenideal macht, mit einer Segenfrage beantworten: 
Wohin führten denn Wiſſenſchaft und Kultur und politiſche Macht⸗ 
beſtrebungen? Führten nicht ſie in die furchtbare Weltnot, die heute 
wie eine unheilvolle Gewitterwolke über den Dölkern hängt? Führten 
nicht fie in die Not der Seelen und Dölker, in den wirtſchaftlichen und 
ſozialen Barikerott, in die politiſche Auflöfung? Alles ſucht und drängt 
nach einem Husweg aus dieſem entſetzlichen Chaos. Gerade die Jdeale, 
die unſere Zeit anbetete, verfagen. Sie können keine Rettung bringen. 
Wie ein Ahnen geht es den Beſten unſerer Zeit auf, daß nur eines 
unſere Rettung fein kann, entſchiedene und folgerichtige Derwirklichung 
der Liebe. Liebe aber ift das Weſen der Heiligkeit, weil fie der Inhalt 
der chriſtlichen Offenbarung iſt. Heiligkeit kann deshalb nicht etwas 
ſein, was nur Sache einiger weniger außergewöhnlicher Menſchen wäre. 
Sie leuchtet als Ideal allen ohne Ausnahme voran. Allen gilt der 
pauliniſche Rusſpruch: Das iſt der Wille Gottes: eure Heiligung. Und 
für alle betete Chriſtus in feiner Abſchiedsſtunde: Heilige fie in Wahr- 
heit! Es wäre an der Zeit, die Scheu vor der heiligkeit und den 
Heiligen endgültig zu überwinden. Wir müſſen uns immer mehr damit 
vertraut machen. Es muß uns zur Selbſtverſtändlichkeit werden. Die 
heiligen müffen unferer Zeit menſchlich noch viel näher gebracht werden. 
Bier hat die Lebensbeſchreibung der Heiligen eine große bedeutſame 
Aufgabe zu erfüllen. Die Heiligen verwirklichten auf Grund derſelben 
Dorausfegungen, in denen wir uns befinden, das Gebot der Liebe. 
Sie gelangten zu jener Verinnerlichung, die die Einzelfeele vollendet; 


179 


fie waren aber zu gleicher Zeit auch vollendete Gemeinſchaftsglieder. 
Sie lebten das Leben der Rirche, gingen ganz im Intereſſe für Chrifti 
Stiftung auf. Eine von der Theologie geführte Pſuchologie des Heiligen 
lebens würde unwiderleglich den Beweis erbringen, daß wahre Inner- 
lichkeit und Heiligkeit nur in der katholiſchen kirche möglich iſt. Denn 
nur hier iſt das Problem Einzelſeele und Gemeinſchaft in ſchönſter 
harmoniſcher Weiſe vollkommen gelöft. 

biebe nur kann den Husweg aus der Weltnot der Gegenwart weiſen. 
Die Gerechtigkeit allein vermag es nicht; nur die zur Liebe verklärte 
Gerechtigkeit. Nicht umſonſt fordert die katholiſche kirche in ihrem 
oberften haupt ohne Unterlaß die Dölker auf, in der Regelung der 
Dölkerbeziehungen nicht bloß Gerechtigkeit, ſondern vor allem Liebe 
walten zu laſſen. Wir müffen mit der Derwirklichung der Liebe, mit 
dem heiligwerden ernſt machen. 

Wenn wir an unſere Zeit unmittelbar die Forderung des heilig⸗ 
werdens ftellen, fo ſagen wir damit keineswegs, daß jeder ein „hei⸗ 
liger“ werden müſſe d. h. den Grad von heiligkeit erreiche, der den 
heiligen im kanoniſchen Sinn ausmacht. Dazu verpflichtet uns kein 
Gebot. Derpflichtet aber find wir, immer voranzuſtreben. Und unfer 
Streben muß ſich in der Richtung bewegen, an deren Ende die heilig⸗ 
keit ſteht. Sie muß unfer Ziel fein, wenn wir auch N unſerer 
bebenszeit nicht ſoweit gelangen. 

Die innere Umwandlung des Menſchen zur Ciebe iſt nicht etwa 
Sache eines ſchöpferiſchen Augenblickes. Denn ſonſt müßte mehr Liebe 
in den Menfchen vorhanden fein. Die Erkenntnis iſt vielfach da, auch 
der gute Wille. Und doch ſtellt ſich die Liebe nur langſam ein. Es 
gilt, große Binderniffe, Hemmungen zu überwinden. Don Natur aus 
find wir gar nicht auf die Liebe eingeftellt. Liebe iſt ein Ziel, das 
uns erſt geoffenbart werden mußte. Don Natur aus zielt unſer ganzes 
Streben auf einen Egoismus, der von der Gerechtigkeit geregelt iſt, 
d. h. einen Egoismus, der den Egoismus der anderen gelten läßt. Dieſe 
geregelte Selbſtſucht iſt zwar der Liebe nicht entgegengeſetzt, aber fie 
it felber keine Liebe. Wir befinden uns aber nicht im Juſtande der 
reinen Natur. Die Sünde unſerer Stammeltern trug die Unordnung 
in unſere menſchliche Natur. Ihr Streben geht ſeitdem gegen die 
Berechtigkeit. Die Erbſünde hob zwar die Gerechtigkeit nicht auf, 
aber ſchädigte fie in ſchwerer Weiſe. Dieſe verkehrte Zielftrebigkeit iſt 
der Liebe unmittelbar entgegengeſetzt. Und weil fie auf einer freien 
Willenstat unſeres Stammvaters beruht, deshalb iſt ſie eine Schuld. 
50 befinden wir uns alle von Geburt an in einem Juſtand, der der 


180 


Liebe entgegengeſetzt if. Das Streben unſerer Natur geht in einer 
der Liebe entgegengeſetzten Richtung. — Wir dürfen nie vergeſſen, daß 
hier Liebe immer im Sinn der Offenbarung genommen werden muß. 
Was die Menſchen fonft Liebe nennen, ift pſuchologiſch nicht mehr, 
als was das heidniſche Altertum unter Liebe verftand: im beften Fall 
ein geläuterter, durch die Berechtigkeit geordneter Egoismus. Die Auf: 
gabe der antiken Gemeinſchaft war alfo Reine pofitiv das Leben der 
Einzelfeele fördernde, fondern nur negativ: das Leben des Einzelnen 
gegen den anderen zu ſchützen. Ihr Ziel war: Die Gerechtigkeit 
gegen die gerechtigkeitsverletzenden Inſtinkte der Menſchen zu wahren. 
In dieſer Beziehung ſtellt das Reich der Römer ein Jdeal dar. Mit 
unvergleichlicher Pſuchologie hat es der hl. Auguſtin in feinem Gottes- 
ftaat herausgearbeitet. Was der Staat zwiſchen den Einzelmenſchen 
verhinderte, übte er ſelber ſchrankenlos gegen andere Staaten aus. 
Da gab es kein Geſetz, keine Gerechtigkeit. Selbſt heute beſitzen wir 
noch kein Dölkerrecht im eigentlichen Sinne, geſchweige denn ein Der- 
hältnis der Liebe zwiſchen den Völkern untereinander. 

Der hl. Johannes faßt all die erbſündigen Inſtinkte in der drei⸗ 
fachen Sucht der Augenluft, der Fleiſchesluſt und Hoffart des Lebens 
zuſammen. In dieſen Bahnen verläuft das ſeeliſche beben, wenn es 
ſich ſelber überlaffen bleibt. Strebt alſo die Natur in der der Liebe 
entgegengeſetzten Richtung und ſoll die Liebe in den Menſchen Leben, 
Wirklichkeit werden, ſo muß zuerſt eine gewaltige, negative Arbeit 
geleiftet werden. Die Natur muß gehindert werden, in der der Liebe 
entgegengeſetzten Richtung zu ſtreben. Das Ankämpfen gegen dieſes 
Streben unſerer Natur nennen wir Abtötung. Erft in dem Grad, 
in dem die Überwindung der verkehrten Zielftrebigkeit gelingt, kann 
die Liebe ſich pofitiv betätigen. Die Liebe wird uns als freies Snaden⸗ 
geſchenk Gottes in der Taufe eingegoſſen. Sobald der Geiſt erwacht, 
der freie Gebrauch der Vernunft eintritt, iſt dieſe Snadengabe gefährdet. 
Der Wille ſteht immer in Gefahr, der Zielrichtung der verkehrten Natur 
nachzugeben. Geſchieht es in einer ſchweren Sache, iſt die Liebe ver⸗ 
loren, das ewige beben verſcherzt. Darum iſt jeder Chrift, wie der 
hl. Thomas ſagt, abſolut verpflichtet, jede Handlung, die in dieſer 
Richtung geht, zu unterlaffen. Unter Derluft des ewigen heiles iſt 
jeder gehalten, das der Liebe Entgegengeſetzte zu meiden. Das if 
ſtrenges Gebot, alles andere fällt nicht unmittelbar unter ein Gebot. 
nicht einmal die hemmungen, die die Liebe erſchweren, fallen darunter. 
Sie zu befeitigen, iſt bloßer Rat. So iſt nach dem hl. Thomas die 
Aneignung fremden Butes durch ein Gebot verboten. Das hängen 


181 


am eigenen Beſitz kann ein Bindernis fein, um zur Liebe zu gelangen, 
ift aber der Liebe nicht entgegengeſetzt. Es befteht kein Gebot, ſich 
davon loszumachen. Hur freiwillig gelobte Armut verpflichtet dazu. 
Hußerehelicher Geſchlechtsverkehr iſt, weil der Liebe entgegengeſetzt, 
durch ein Gebot unterfagt, das eheliche beben kann ein gewiſſes Hinder⸗ 
nis für die innere Dollkommenheit fein. Sich davon zu enthalten, ift 
nur ein Rat. Nur freiwillig gelobte Jungfräulichkeit verpflichtet zur 
Ehelofigkeit. Wenn es fi um Sünde handelt, iſt es durch ein Gebot 
unterſagt, ſeinem eigenen Willen zu folgen. Seinen eigenen Willen 
zu tun, iſt ſonſt nicht verboten. Freiwillig darauf zu verzichten, iſt 
ein Rat. Er wird durch das Gelübde des Gehorſams erfüllt. Das 
Gelübde der Armut richtet ſich gegen die Augenluft, die buſt zu be⸗ 
ſitzen; das Gelũbde der Reufchheit gegen die Fleiſchesluſt; das Gelübde 
des Sehorfams gegen die Hoffart des Lebens. 

Wenn das ſtrenge Gebot nur die Verpflichtung auferlegt, die ſchwere 
Sünde zu meiden, d. h. jenen Grad von Selbſtbeherrſchung, Enthaltſam⸗ 
keit, Abtötung zu erwerben, der den Rückfall in die ſchwere Sünde 
ausſchließt, iſt es dann nicht zuweit gegangen, das heiligwerden als 
Ideal für das ſittliche Streben aufzuſtellen? Die allererſten Anfänge 
des heiligwerdens liegen doch ſchon dies ſeits der Grenze, die das ſtrenge 
Bebot zieht. Denn es fordert ja nur negativ die Meidung der Sünde. 
Sie aber verlangen ſchon pofitive Arbeit, nicht bloß Meiden der Tod⸗ 
ſünde, ſondern Fortſchritt in der Tugend. Und trotzdem behaupte ich, die 
menſchheit muß aus dem Bewußtſein herausgeführt werden, als be⸗ 
ſtände das chriſtliche beben nur im Meiden der ſchweren Sünde. Rein 
theoretiſch, moral⸗kaſuiſtiſch ließe ſich ja der Fall denken, daß jemand 
ſich auf dieſer Linie hielte, die eben die ſchwere Sünde ausſchließt. 
Praktiſch⸗pſuchologiſch aber liegt die Sache nicht fo einfach. Um einen 
ſeeliſchen Zuſtand zu erreichen, der pſuchologiſch den Willen dauernd 
hindert, ſchwer zu ſündigen, dazu bedarf es ſchon eines verhältnis⸗ 
mäßig großen Fortſchrittes im Tugendleben. Zu dieſem Grad poſitiver 
Tugend find wir aber ſtreng verpflichtet. Und es gibt in dieſem Tugend⸗ 
ſtreben nie einen Punkt, wo man Halt machen könnte, weil er die 
Bewißheit böte, daß er die ſchwere Sünde ausſchließt. Stillftand wäre 
Rückgang. Rückgang aber wäre ſchon jenfeits der Linie, wo die ſchwere 
Sünde nicht mehr ausgeſchloſſen iſt. Alſo wir ſind zu einem poſitiven, 
nie aufhörenden Tugendſtreben verpflichtet. Sind nun die Mehrzahl 
der Chriſten wenigſtens auf dieſer höhe, die das Gebot verlangt? 
Wenn wir die Seelſorge fragen, erhalten wir eine wenig erfreuliche 
Antwort. Ich gebe gerne zu, daß ſubjektiv — und dies iſt doch das 


182 


entſcheidende — bei weitem nicht fo viele ſchwere Sünden geſchehen, 
als man objektiv annehmen müßte. Dielleicht muß ich aber doch 
jenen zuſtimmen, die meinen, die Mehrzahl der Chriſten befänden ſich 
nicht auf jener geforderten Tugendhöhe. Man wird einwenden, daß 
das Sakrament der Buße dazu eingeſetzt iſt, immer wieder Verzeihung 
der Sünden zu gewähren und der Seele von neuem die Diebe zu 
ſchenken. Weit verbreitet iſt das Bewußtſein, als genüge zu einem 
chriſtlichen Geben die bloße Bereitwilligkeit, immer wieder im Sakra⸗ 
ment Verzeihung ſeiner Sünden zu erbitten. Rein theoretiſch, moraliſch⸗ 
kaſuiſtiſch wäre eine ſolche Seelenhaltung denkbar, praktiſch⸗ pſucho⸗ 
logiſch aber beſtehen doch ernſte Bedenken. Um im Bußſakrament 
die Derzeihung der Sünden und die Liebe Gottes wieder zu erlangen, 
bedarf es einer beſtimmten Seelenverfaſſung, nämlich einer gewiſſen 
Art von Reue mit feſtem Dorfag. — Wahre Reue zu erwecken, ſtößt 
auf große pſuchologiſche Schwierigkeiten. Wer eben nicht ernſt macht 
mit feinen Dorfäßen, d. h. jenen Brad von Tugend zu erſtreben, der 
den Rückfall in die Todſünde verhindert, der wird nicht leicht jene 
ſeeliſchen Dorausfegungen beſitzen, die eine wahre Reue ermöglichen. 
Rardinal Newman ſpricht in dieſer Frage Gedanken aus, die gerade 
unferer Zeit ſehr zur Beherzigung zu empfehlen find. Es ſchleicht 
ſich leicht das Gewohnheitsmäßige, Mechaniſche in den Sakramenten⸗ 
empfang ein. Der öſterliche Sakramentenempfang iſt äußerlich leicht 
erfüllt, ob aber auch innerlich? 

Wie ſchwer es iſt, die Umwandlung in der Menſchheit zu vollziehen, 
daß bei den pofitiv Berichteten die Liebe Weltgeſetz wird im Einzelfeelen= 
leben wie in der Gemeinſchaft, zeigt uns die Geſchichte des Chriſten⸗ 
tums. So ſehr war die Menſchheit durch die Erbſünde in das Oeibliche, 
in die Außenwelt, in die Derkennung der Einzelperſönlichkeit verſtrickt, 
daß es Jahrhunderte brauchte, bis die Sklaverei abgeſchafft, das freie 
Selbſtbeſtimmungsrecht des Einzelmenfchen im Prinzip anerkannt war. 
Beweis vor allem ſind die ungeheuerlichen, übermenſchlichen Anſtreng⸗ 
ungen, welche die Chriften der erſten gahrhunderte machen mußten, 
um aus dem Negativen heraus zur vollkommenen Liebe, zur Heiligkeit 
zu gelangen. Nur Weltflucht, ja Weltverneinung, Derneinung des 
eigenen Leibes konnten dorthin führen. Das macht nicht das Weſen 
der Heiligkeit aus. Das Weſen der heiligkeit iſt die Liebe. Wir er⸗ 
ſchrecken heute faſt vor den Strengheiten der Wüſtenväter. Die um⸗ 
wandelnde kiraft, die das Chriſtentum in all den Jahrhunderten be⸗ 
tätigte, zeigt ſich auch in dem Wandel, der ſich hier vollzog. Die 
überſtarke Betonung der äußeren Abtötung trat mehr und mehr zu⸗ 


183 


rück; dieſe ſelber verlor an Bedeutung. Die größere Notwendigkeit der 
inneren Afzefe wurde umſo mehr geltend gemacht. Der ſtarke Rückfall 
ins heidniſche, den die Renaiſſance offenbarte, rief zwar als Gegen- 
wirkung in der Aſzeſe neue Strengheiten hervor; dafür ſetzte aber 
damals zugleich eine Wendung in der inneren Einftellung ein. Die 
ganze neuere Aſzeſe iſt ſchließlich bewußt darauf aufgebaut: Nicht 
Weltflucht, nicht Dernihtung des eigenen Leibes, ſondern geordnete 
Beziehungen zu Welt und Leib! Das iſt unleugbar ein Fortſchritt im 
Sinne des Chriſtentums. Wir bejahen die Welt, bejahen auch das 
Recht des Leibes, bejahen fie mutig aus der Fülle der Liebe. Ich kann 
hier bloß andeuten. Aus dieſer ſicheren Einftellung entſpringen auch 
alle jene neueren Beſtrebungen, die eine Umgeſtaltung bezw. Erwei⸗ 
terung des Ordensideals bezwecken. Die Derwirklihung der evan⸗ 
geliſchen Räte ſchien einer weithin herrſchenden Nuffaſſung nur durch 
Weltflucht, durch völligen Derzidt auf die Welt möglich. Heute da- 
gegen hält man ein Leben nach den evangeliſchen Räten erreichbar 
auch mitten im Bineingeftelltfein in die Welt, nicht nur in dem äußeren 
berzicht, ſondern in jedem inneren Cosgelöftfein von der Welt. Man kann 
nicht zweifeln, daß hier der Geiſt der evangeliſchen Räte eine Miſſion 
zu erfüllen beginnt, die für die Erneuerung des religiöfen Lebens 
in den Einzelfeelen wie in der Gemeinſchaft von noch nicht überſeh⸗ 
barer Bedeutung wird. 

Soll die Welt erneuert werden, dann müſſen an erſter Stelle unſere 
Bebildeten einen lebendigen Glauben, ihre kirchliche Gefinnung im ſitt⸗ 
lichen Geben und Derhalten zur Auswirkung kommen laſſen. Die gei⸗ 
ſtige Entwicklung, in der wir heute ſtehen, verlangt, daß als poſitives 
Ideal des ſittlichen Lebens das Beiligwerden, d. h. die größtmögliche 
Verwirklichung des Gebotes der Liebe angeſtrebt wird. Dorausfegung 
dazu aber iſt der Geift der Abtötung, nicht fo ſehr der äußeren, als 
vielmehr der inneren, der Selbſtbeherrſchung in allen Dingen. Wir 
ſahen, das Weſen der Heiligkeit ift die Liebe. Die Abtötung ift nur 
Weg, Mittel dazu. Sie iſt in ihrer Ausübung zeitgeſchichtlich bedingt. 
Das, was an den heiligenleben vielfach abſtößt, iſt gerade das zeit⸗ 
geſchichtlich Bedingte. Werden wir eben moderne heilige! Die haben 
nichts Abſchreckendes. Ich glaube, das unruhige Suchen und Taſten 
auf religiöfem Gebiet, wie es in unſerer Zeit ſich äußert, kann nur 
befriedigt werden, wenn ihm pſuchologiſch die Wege zum heilig⸗ 
keitsideal gewieſen werden. 

Der hl. Thomas läßt die Ordnung der Liebe, wie er es nennt, folgende 
“ Stufenfolge einhalten: Gott, wir ſelber, der Nächſte, der eigene Leib. 


184 


Die biebe zu Gott wird ſich betätigen vor allem in einem ſtarken 
inneren Gebetsleben. Wichtig aber ift, daß die Liebe zu Gott den Weg 
einhält, der uns Erlöſte mit Bott verbindet. Chriſtus muß im Mittel- 
punkt unferes religiöfen bebens ſtehen. Chriſtus aber lebt fort in der 
katholiſchen Kirche. Die Liebe zur Kirche iſt das ſelbe wie die Liebe zu 
Chriftus. Chriſtus lebt in der Kirche weiter durch die Euchariftie und 
das unfehlbare Lehramt. Im Mittelpunkt unferer Sottesverehrung 
muß die Euchariftie, Meſſe mit kkommunion, ſtehen. Und wir kennen 
ja den tieferen Sinn dieſes Seheimniſſes. Das Mark unſeres privaten 
Gebetes wird alſo das liturgiſche, das kirchliche Semeinſchaftsgebet fein. 

Ferner muß unſer ſtitliches Derhalten voll und ganz durchdrungen 
fein vom tiefſten Derftändnis für das unfehlbare Lehramt der kirche. 
Die katholiſche kirche hat allein das wahre, denkbar vollkommenſte 
Verhältnis zu Zott. de tiefer wir einwachſen als Glieder in den Leib 
der liche, umſo vollendeter wird unſer Verhalten zu Gott. ge voll- 
kommenere Gemeinſchaftsglieder wir werden, umſo wirkſamer betä⸗ 
tigen wir die Liebe zu uns felber. Zur vollendeten Innerlichkeit und 
Reife der Perſönlichkeit gelangen wir nur in der Gemeinſchaft, alſo 
als lebendige Glieder der katholiſchen kirche. Wenn nun auch die 
Gemeinſchaft als bindende Macht an die Einzelfeele herantritt, um fie 
zur vollen Entfaltung zu bringen, ſo bleibt der entſcheidende Faktor 
im Einzelfeelenleben etwas, was im Innerſten der Perſönlichkeit lebt: 
Das Gewiſſen. Das Bewilfen iſt immer die letzte Inſtanz, die im Einzel⸗ 
fall über den ſittlichen Wert oder Unwert der menſchlichen Handlung 
entſcheidet. Die Derantwortung für feine Entſchließungen muß letzten 
Endes jeder ſelber tragen: die Bemeinfchaft kann und darf niemals 
das Gewiſſen erſetzen. Ohne freien Willen, der vom Gewiſſen geleitet 
wird, kann keine Deränderung im geiſtigen Menſchen vor ſich gehen, 
auch die Umwandlung zur Liebe nicht. Wenn das Gewiſſen nach ſorg⸗ 
fältiger Überlegung zu einer Auffaffung käme, die der Autorität ent» 
gegengeſetzt wäre, müßten wir dem Gewiſſen folgen. Rardinal Newman 
hat dieſem Gedanken einen ungewöhnlich ſcharfen Ausdruck verliehen. 
Wir dürfen aber nie vergeſſen, daß einer unfehlbaren Autorität 
gegenüber ein Widerſpruch zwiſchen Autorität und Freiheit ſachlich 
nur für ein irriges Sewiſſen entſtehen kann, und daß auch ſonſt nur 
große Geiſtesfreiheit ohne alle Gefahr im Einzelfalle ſich gegen die 
Autorität und für die „Freiheit“ entſcheidet. Das ſetzt nicht geringe 
innere Dollkommenbheit voraus, die ohne fortwährende Selbſtverleug⸗ 
nung und innere Abtötung nicht errungen werden kann. Wir haben die 
heiligſte Pflicht, an der Norm der Autorität unſer Gewiſſen zu bilden. 


185 


Damit find die Grundſätze angegeben, nach denen das heute fo wich⸗ 
tige Problem „Autorität und Freiheit“ zu löſen ift. Die Cöfung diefes 
problems iſt von entſcheidender Bedeutung für das ſittliche Derhalten. 
Wenn wir als lebendige Glieder der kirche den Sinn des unfehlbaren 
behramtes innerlich uns ganz zu eigen gemacht haben, wird „Autorität 
und Freiheit“ kein Problem mehr für uns ſein. Im Anſchluß an das 
unfehlbare Lehramt wird erſt das Gewiſſen zur vollen Freiheit auf⸗ 
gehen. Solange wir einen inneren Gegenſatz, gleichſam etwas Feind⸗ 
liches im kirchlichen Lehramt empfinden, folange find wir eben noch 
nicht tief genug in das beben der kirche eingewachſen. Gerade der 
Umftand, daß das kirchliche behramt zu Aundgebungen veranlaßt iſt, 
die den modernen Menſchen ſtoßen, beweiſt nur das eine, wie wenig 
tief fo viele Ratholiken das kirchliche beben und Bewußtſein in ſich 
zur Auswirkung kommen laſſen. Wären alle ſich bewußt, daß fie in 
gewiſſem Sinn Mitträger der Unfehlbarkeit ſind, inſofern nämlich der 
Papft nur unfehlbar iſt als das ſichtbare haupt der Kirche, deren 
Blieder zu heißen unfere Freude iſt: es gäbe keine kirchlichen Ent» 
ſcheidungen, die unſerm Fühlen zuwider liefen. Wohin Freiheit und 
Bewiffen führen, wenn fie losgelöſt werden aus dem Rahmen der. 
bindenden Macht der Gemeinſchaft, offenbart uns die moderne Geiſtes⸗ 
entwicklung, wie fie von Renaiſſance und Reformation ausging. Wo 
immer in der katholiſchen kirche ähnliche Bewegungen auftauchen, 
die ewiſſensfreiheit und Einzelſeelentum fo betonen, daß die Autorität 
verneint wird, muß mit aller Folgerichtigkeit dagegen Stellung ge⸗ 
nommen werden. Nicht weniger aber wären diejenigen zurückzuweiſen, 
die in gänzlicher Derkennung des Weſens der Autorität, diefe fo in 
den Vordergrund rücken wollten, daß kein Raum mehr für das Einzel- 
gewiſſen bliebe. Es gibt Menſchen, die nicht lange fragen, wie ein 
Satz, ein Buch gemeint iſt, alſo das Recht des Bewilfens nicht lange 
gelten laſſen, die nur nach dem äußeren Wortlaut gehen und danach 
das Verhältnis zum kirchlichen Lehramt bewerten. Es kommt doch 
zunächſt auf den Sinn an und nicht auf den bloßen Wortlaut. Es 
iſt Pflicht, dieſen erſt feſtzuſtellen, ehe man zum ſchwerſten Dorwurf 
der Nichtübereinſtimmung mit dem Glauben ſchreitet. Wollte man ſich 
nur an den Wortlaut halten, ſo müßten ſelbſt Teile der hl. Schrift, 
vorab die Paulusbriefe, verdächtigt werden. 

Die Liebe der Einzelfeele zu ſich ſelber muß ſich vor allem in der 
Einhaltung der goldenen Mitte zwiſchen Freiheit und Autorität bewäh⸗ 
ten. Es iſt ein erfreuliches Zeichen für die Seſundheit der jüngeren Gene 
ration, daß fie von innen heraus nach Bindung und Autorität verlangt. 

Bene diktiniſche Monatſchriſt VI (1924) 5-6. 12 


186 


Ich deutete bereits an, daß wahre Gewiſſensfreiheit nur dort ſich 
entfalten kann, wo Selbſtbeherrſchung, Abtötung geübt wird. Es 
erhebt ſich von neuem für die Einzelſeele die Aufforderung zum heilig⸗ 
keitsideal. Nicht nur äußere Abtötung, vor allem innere Abtötung im 
Haushalt des innerſeeliſchen bebens wird zur Notwendigkeit. Franz 
von Sales hat endgültig mit der Anſchauung gebrochen, als wäre das 
vollkommene Leben nur für die Bewohner der Klöſter. Jeder ift ver⸗ 
pflichtet, in welchem Stand er auch ſein mag, die Vollkommenheit 
anzuſtreben. Stand und Beruf können kein hindernis bilden. Das 
ganze menſchliche Leben muß verchriſtlicht werden, das kann aber 
nur geſchehen, wenn jeder Stand, alle Bezirke des wenſchnchen Lebens 
vom Chriftentum durch und durch ergriffen find. 

Don der Art und Weiſe, wie die Nächſtenliebe verſtanden und ge⸗ 
übt wird, hängt die Neugeſtaltung und innere Erneuerung der ſchwer⸗ 
erſchütterten ſozialen Ordnung ab. Gerade in der ſozialen Ordnung 
ſteckt noch ſo viel heidentum, wie es nur wenige ahnen. Da herrſcht 
eben doch noch, wenn auch in ſehr verfeinerter Form, der Klaſſen⸗ 
und Raftengeift. Praktiſch herrſcht noch der Gedanke, daß ein großer 
Teil der Menfchheit eben nur zum Dienen beſtimmt iſt, jene Rang⸗ 
ordnung der Menſchen, wie fie im heidniſchen Altertum beſtand. Gerade 
heute iſt es von beſonderer Wichtigkeit, daß im Verhältnis der Men⸗ 
ſchen zueinander Liebe alles durchdringe. Der Heiland felber hat uns 
das Beiſpiel gegeben, welches unſere Gefinnung gegen unfere Mit⸗ 
menſchen ſein ſoll. Seine ganze Abſchiedsrede im Abendmahlsſaal 
fließt wie ein immer mächtiger ſich drängender Strom der Liebe. Als 
er über die Liebe zum Nächſten, den Inhalt des Grundgeſetzes feines 
Reiches zu ſprechen begann, zeigte er uns durch die Tat, worin dieſe 
Liebe beſteht. Er umgürtete ſich mit einem binnen, kniete nieder und 
wuſch feinen Jüngern die Füße. Das muß unfere Gefinnung den Mit⸗ 
menſchen gegenüber ſein, daß wir uns als ihre Diener fühlen, ihnen 
die niedrigſten Dienſte zu erweiſen bereit find, weil es das wahre 
Verhältnis zwiſchen uns und unſern Mitmenſchen iſt. Wie weit ent⸗ 
fernt find wir von dieſem deal! Und doch wird ſolange keine Er- 
neuerung der ſozialen Derhältnilfe eintreten, als wir nicht beginnen, 
es in die Tat umzuſetzen. Damit habe ich vielleicht an die dring⸗ 
lichſte Frage der Gegenwart gerührt. 

Noch weniger Liebe als die Menſchen zu den Menſchen, zeigte der 
Staat gegen ſeine Untertanen. Es fehlte überall an biebe. Warum 
gab es eine franzöſiſche Revolution? Warum wütet in Rußland der 
Bolſchewismus? Warum ift unſer Daterland immer noch vom Rommu- 


187 


nismus bedroht? Weil es an Liebe, vielfach ſogar an Gerechtigkeit 
gerad. kein Stand, kein Menſch iſt von Natur zum Dienen be⸗ 
ſtimmt. Wir haben kein Recht, von andern uns bedienen zu laſſen. 
das Gegenteil gebietet die Liebe, Wir follen den andern dienen. Gewiß 
jede Gemein ſchaft iſt ein Organismus, in dem die verſchiedenſten Teile 
und Syfteme ineinander gefügt find. Bein Teil kann das fein, was 
der andere iſt. Es könnte aber auch kein Teil ohne den anderen be⸗ 
ſtehen. Alle Teile ſind in dieſer Beziehung gleichwichtig. geder Teil 


bat das Recht zu feiner vollen und freien Entwicklung. Dazu muß 


ihm das Banze verhelfen. Alle Teile dienen. Auch in diefer Beziehung 
hat keiner einen Dorzug vor dem anderen. de höher, geiſtiger ein 
lllenſch iſt, umſo tiefer ſoll er von der Sefinnung durchdrungen ſein, 
daß er nur Diener der anderen iſt. Denn im Reiche der Liebe iſt 
herrſchen Dienen und Dienen herrſchen. Das iſt nicht bloß Redens⸗ 
ort, das iſt die reine Wirklichkeit. Ein Hherrſchen, das nicht Dienen 
it, wäre in der Tat kein herrſchen. Der Heiland ſagt: Ich bin nicht 
gekommen, um bedient zu werden, ſondern um zu dienen. Jeder 
Träger der Autorität, der nicht dieſe Geſinnung in ſich verwirklicht, 
fehlt gegen feine Aufgabe. Nur eine Autorität, deren Ziel Dienen 
if, erreicht ihren Zweck. Die Autorität hat noch mehr die Pflicht, im 


dienen aufzugehen als die Untergebenen. Sie muß ganz Liebe fein. 


Im nationalen und internationalen Leben gelten dieſelben Srund⸗ 
fe wie für das Verhältnis zwiſchen Einzelmenſch und Gemeinſchaft. 
Auch, hier muß das Geſetz der Liebe zum Durchbruch kommen. Nicht 
der sacro egoismo führt zur nationalen Größe. Wie der Einzelmenſch, 
ſo hat jede Nation das unveräußerliche Recht, ja die Pflicht, ihre 
Eigenart voll zur Entfaltung zu bringen. Je vollkommener dieſes 
diel erreicht wird, umſo mehr wird zum Weltwohl beigetragen. 80 
aufgefaßt iſt Nationalismus und Patriotismus etwas durch und durch 
Chriſtliches. Er muß aber die Entfaltung der nationalen Eigenart zu⸗ 
gleich als ein Mittel betrachten, den anderen Nationen umſo voll⸗ 
kommener dienen zu können. Wenn alle Nationen von dieſem Geiſt der 
Liebe befeelt wären, dann wäre der Völkerbund das ſelbſtverſtändlichſte 
Bild der Welt. Nirgends herrſcht weniger Liebe, als im nationalen 
und internationalen Leben. Da gebietet noch der Geift des heidentums. 

Wollen wir unſerem Vaterland wirkliche und bleibende Dienſte lei⸗ 
fen, dann muß unſer politiſches Denken und Handeln von der Liebe, 
nicht bloß von der Gerechtigkeit getragen ſein. Wären wir alle voll⸗ 
bewußte Rinder der katholiſchen ktirche, dann könnte auch unſer po⸗ 
litiſches Denken nicht anders als katholiſch fein. Hatholiſchſein aber 

12° 


— 


188 


heißt: in und aus der Liebe leben. Pax Christi in regno Christi, 
„der Friede Chrifti im Reiche Chriſti“, das hat unſer jetziger Heiliger Dater 
zu feinem Regierungsprogramm gemacht. Friede ift der Ausfluß der 
Liebe, und Liebe bildet die Seele des Reiches Chriſti. Caſſen wir unfer 
fittliches Derhalten im nationalen und internationalen Leben von diefen 
Grundſätzen beftimmen, dann wird Friede, weil Liebe die Dölker unter: 
einander verbindet. Nur von der katholiſchen kirche kann die Welt: 


erneuerung ausgehen. Machen wir den Beginn damit! Verwirklichen 


wir in uns durch Glauben die Liebe! 


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Anrufung der heiligſten Dreifaltigkeit. 
(Die neun Matutin-Antiphonen des römiſchen Breviers.) 


Adesto, unus Deus omnipotens, 
Pater, Filius et Spiritus Sanctus. 
Te unum in substantia, Trinitatem 
in personis confitemur. 

Te semper idem esse, vivere et 


Sei zugegen, einziger Gott, allmächtiger 
Vater, Sohn und heiliger Geiſt. 
Dich bekennen wir als eins in 
der Weſenheit, als Dreifaltigkeit in den Per⸗ 
Dich bekennen wir als immer glei» [fonen. 


intelligere profitemur. 


Te invocamus, te laudamus, 
te adoramus, o beata Trinitas. 
Spes nostra, salus nostra, honor 
noster, o beata Trinitas. 

Libera nos, salva nos, vivi- 
fica nos, o beata Trinitas. 


Caritas Pater est, gratia Filius, 
communicatio Spiritus Sanctus, 
o beata Trinitas. 

Verax est Pater, veritas Filius, 
veritas Spiritus Sanctus, 

o beata Trinitas. 

Pater et Filius et Spiritus Sanc- 
tus [una substantia est], 

o beata Trinitas. 


ches Sein, beben und Erkennen. 


Dich rufen wir an, Dich loben wir, 
Dich beten wir an, ſelige Dreifaltigkeit. 
Unſere Hoffnung, unſer heil, unſere 
Ehre, ſelige Dreifaltigkeit. 


Befreie uns, erlöſe uns, belebe 


uns, ſelige Dreifaltigkeit. 


biebe ift der Dater, Gnade der Sohn, 
Semeinſchaft der heilige Geift, 
ſelige Dreifaltigkeit. | 
Wahrhaftig ift der Dater, Wahrheit 
der Sohn, Wahrheit der heilige Seiſt, 
ſelige Dreifaltigkeit. 
Vater, Sohn und heiliger Geift 
[das ift eine Weſenheit!, 
ſelige Dreifaltigkeit. 


feine, freie Auswahl aus Alkulns „Invocatio ad ss. Trinitatem“ (I. PI 101, 55 A; 11-56 (Ay B; 111-55 
B, C, B). Il, 1 umſtellt hier laudamus und adoramus, III, 1 ſagt Filius für Christus (vgl. 2 for. 13, 13: 
die klarſte trinitarifche Formel beim Apoftel). III, 3 ſchaltet ein „una substantia“ ein. Die „Invocatio“ 
lehnt ſich an die dem Calus M. Dictorinus Afer bald zu- bald abgeſprochenen Dreiſaltigkeitshumnen an 
(PI 8, 1139 ss.); fie findet ſich wörtlich im Libellus Precum (PI 101, 1409 s.), ſtark benützt in der hin- 
reißenden Confessio fidei (ebd. 1027 ss vgl. befonders P. I, cap. 1; 26 und 28), dorther IR aus cap. 30 
(1047 A) vielleicht die Magnifikat-Antiphon der zweiten Defper entnommen. (Siehe auch Pl 40, 967 ss.) 


% * 


— nn 


189 


Dom goſeph pothier und ſeine Bedeutung 
für den gregorianiſchen Choral. 


Don P. Dominikus Fohner (Beuron). 


er UDolksſchullehrer goſeph Pothier zu Bouzemont im franzöfifchen 

bothringen konnte es nicht ahnen, daß fein Sohn Joſeph, der 
ihm am 7. Dezember 1835 geboren wurde, einmal die Achtung der 
ganzen katholiſchen Welt erlangen werde. Er ſelbſt gab ihm aber 
die erſte Dorbereitung für feinen Lebensberuf, indem er den Knaben 
bei dem täglichen Hochamt oder Requiem fingen oder doch mitfingen 
ließ und ihn fo ſchon früh mit dem damaligen Choral vertraut machte. 
Wenn der Choral zu neuem Leben erwachte, oder richtiger, aus den 
alten und beſten Handſchriften zu neuem beben und lebendigem Dor- 
trag erweckt wurde, fo war das das Derdienft des [päteren Dom 
Pothier. Bevor wir jedoch feine muſikaliſche Tätigkeit würdigen, fei 
in wenigen Strichen fein Lebenslauf gegeben. 

Im Jahre 1858 zum Prieſter geweiht, trat er 1859 in das Bene⸗ 
diktinerkloſter Solesmes ein, wurde 1893 Prior der Abtei Liguge, 1895 
ſolcher der Abtei St. Wandrille, 1898 dort zum Abte geweiht; 1901 mußte 
er, von der franzöſiſchen kiloſterſtürmerei vertrieben, in die Verban⸗ 
nung und fand endlich nach zweimaligem Wechſel zu Conques in Bel⸗ 
gien einen dauernden Zufluchtsort, wo er auch am 8. Dezember 1923 
im hohen Alter von 88 Jahren ſtarb. Seine letzte Ruheſtätte erhielt 
er auf dem Friedhofe der Benediktinerabtei Clerf in Duxemburg. 

Die lienntniſſe, die ſich J. Pothier in der heimatkirche und im Prieſter⸗ 
ſeminar erworben hatte, erhielten eine ganz einzigartige Entfaltung, als 
er in Solesmes mit dem geiſtesgewaltigen Dom Bueranger zuſammen⸗ 
traf und von ihm in das tiefere Derftändnis der Liturgie eingeführt 
wurde. Das dort aufblühende liturgiſche beben mußte das Verlangen 
erwecken, auch die liturgiſchen Gefänge in einer Faſſung zu erhalten, 
die auf die alten Quellen zurückging und der Zeit eines hl. Gregor d. Gr. 
möglichſt nahe kam. Dieſes Verlangen wurde umſo lebendiger, als 
die damaligen Choralausgaben nur allzuweit von dem entfernt waren, 
was hiſtoriſcher und äſthetiſcher Sinn fordern mußten. So erhielt Dom 
Pothier den Auftrag, an der Herausgabe liturgiſcher Gefangbüdyer 
mitzuarbeiten, mit der ſich ſchon früher fein Mitbruder Dom gausions 
beſchäftigt hatte. Nun begann ein emſiges Arbeiten. Man beſuchte 
verſchiedene Bibliotheken des In⸗ und Auslandes, ſchrieb alte hand⸗ 
ſchriften ab, verglich ſie miteinander und bemühte ſich, der urſprüng⸗ 
lichen Cesart möglichſt nahezu kommen. Einige kleinere Arbeiten 


190 

wurden veröffentlicht. Aber erft nach zwölf Jahren angeſtrengter Arbeit 
war das Manufkript für den Liber Gradualis, der die Meßgefänge 
enthält, der Hhauptſache nach fertiggeſtellt. Warum kam es nicht zur 
Veröffentlichung? Verſchiedene Gründe mögen da mitgeſprochen haben. 
Die Freunde der Liturgie werden aber nicht wenig überraſcht fein, 
wenn fie hören, daß allem Anſchein nach Dom Bueranger ſelbſt gegen 
die Veröffentlichung war, weil er eine Choralausgabe mit verkürzten 
Melodien vorzog und, nach dem bisher unwiderrufenen Worte des Dom 
Pothier ſehr naheſtehenden Profeſſor A. Saftoue, ne goütait pas 
du tout la restitution integrale du chant gregorien!. Zu denken 
gibt jedenfalls der Umſtand, daß das Braduale erſt nach dem Tode 
Guèrangers erſcheinen konnte. 

Ein hindernis war vielleicht auch die 1868 bei Puſtet in Regens⸗ 
burg erſchienene Choralausgabe, die ſogenannte Medicaea, ein Nach⸗ 
druck des im 17. gahrhundert in der Druckerei des Kardinals Medici 
in Rom hergeſtellten Sraduale. Heute beſteht kein Zweifel mehr dar: 
über, daß dieſe Ausgabe die überlieferten Choralmelodien in willkürlicher 
Weiſe verkürzt, zu unnatürlichen Gruppen zuſammengezwängt, Wieder: 
holungen derſelben Melodie an verſchiedenen Stellen mit unglaublicher 
Inkonſequenz behandelt hat, kurz, daß ſie „aus tauſend Wunden 
blutet“’. Aber damals lagen die Dinge anders. Die Medicaea glänzte 
eine Zeit lange in der Aureole einer Arbeit Paleſtrinas, die ihr aber 
die geſchichtliche Forſchung wieder abſprach. Sie wurde vor allem 
getragen durch wiederholte Sutheißung von Seiten der Ritenkongre⸗ 
gation, durch ein dreißigjähriges Druckprivileg und mehrere Erlaſſe 
der Päpſte Pius IX. und Leo XIII. Überdies erſchien am 10. April 
1883 ein Dekret der Ritenkongregation, das ſich gegen die Richtung 
Dom Pothiers ausſprach, und die auf dem Rongreß von Arezzo 
(1882)? zu Gunften der traditionellen Wiederherftellung des Chorals 
vorgebrachten Wünſche in aller Form verwarf. 

Umſo auffallender iſt es, daß im folgenden Monate des ſelben 
Jahres der Liber Gradualis des Dom Pothier „für den Gebrauch der 
franzöſiſchen Benediktinerkongregation“ im Auftrage des Präſes dieſer 
Rongregation und mit dem Imprimi potest des Biſchofs von Tournai 
erſcheinen konnte. Während der langen Jahre war Pothier eifrigſt 
bemüht geweſen, feine Arbeit nach jeder Seite hin zu vervollkommnen. 
In der Tat überragt fie um Turmeshöhe alles, was bisher an Choral⸗ 


Les questions liturg. 9 (1924) 33. ? Archiv für Muſikwiſſenſchaft 2 (1919) 134. 
Über dieſen Kongreß berichteten ausführlich, aber da und dort etwas einfeitig die 
Fliegenden Blätter für katholifhe Kirchenmuſtk 17 (1882) 113 ff. und 18 (1883) 12 ff. 


191 


ausgaben vorhanden war, ſtützte ſich auf die alten, ja älteften Quellen 
und berührte ſchon durch ihr Notenbild überaus wohltuend. Welche 
Schwierigkeiten zu überwinden waren, welch ein Mut und welche 
Tatkraft zur Fertigſtellung dieſer Arbeit erfordert wurde, das hat vor 
mehreren Jahren ſchon der damalige P. Raphael Molitor O. S. B., 
nunmehr Abt von St. Jofeph-Gerleve, eingehend dargetan!. 

Dem Graduale ließ Dom Pothier in kurzer Zeit eine Reihe anderer 
Veröffentlichungen folgen: 1886 das Offizium für die drei letzten Tage 
der Karwoche, 1887 das Totenoffizium, 1888 das Process ionale mona- 
sticum, im ſelben Jahre die Variae preces, 1891 den Liber Antipho- 
narius, der 1897 eine 2. Auflage erhielt, während der Liber Gradualis 
ſchon 1895 eine 2. Auflage erlebt hatte. Nur ein Benediktinerfleiß 
konnte all dieſen Arbeiten und Mühen gerecht werden, zumal von 
gegneriſcher Seite ſchwere Vorwürfe, ja ſogar die Anſchuldigung der 
Reßerei erhoben wurden. Aber Pothier ließ ſich nicht verwirren und 
nicht abſchrecken. Er wußte, daß er der Wahrheit diente. Und der 
Tag blieb nicht aus, an dem alle Welt die Wahrheit feiner Sache 
erkennen und der Statthalter Chriſti ſelbſt ihn auf den Veuchter er⸗ 
heben und ſein Lebenswerk krönen ſollte. 

Schon Geo XIII. hat in feinen fpäteren Jahren den Arbeiten Po- 
thiers Anerkennung gezollt. Der Liber Gradualis wurde 1889 im 
franzöſiſchen Seminar in Rom eingeführt. Der geſuitenpater De Santi 
führte ihn im römiſchen Seminar ein und unterrichtete den heiligen 
Dater über den wahren Stand der Dinge. Zu dem liturgiſchen und 
gregorianiſchen Kongreß anläßlich der 13. gahrhundertfeier der Thron: 
beſteigung Gregors d. Gr. 1890 wurde auch Dom Pothier eingeladen 
und vernahm am Schluſſe derſelben aus dem Munde des Papſtes deſſen 
volle Zufriedenheit darüber, daß der Gefang des hl. Gregor zu feiner 
„urfprünglichen Reinheit wieder zurückgeführt worden fei“. Nun war 
Hrezzo wieder gutgemacht und erſt recht, als die Ritenkongregation 
ihr damaliges Dekret in aller Form wieder zurücknahm. Das Breve 
endlich, in dem Leo XIII. am 17. Mai 1901 dem Abte Delatte von 
Solesmes rückhaltloſes Lob für die praktiſchen, theoretiſchen und 
paläographifchen Arbeiten der Benediktiner ſpendete, war auch eine 
offizielle Anerkennung der Arbeiten Pothiers. 

Sein Stern begann aber im hellſten Lichte zu leuchten, als Pius X. 
am 4. Ruguft 1903 den päpſtlichen Stuhl beſtieg. Das berühmte 
Motu proprio vom 22. November 1903, der Rechtskoder der Rirdyen- 
muſik, ſetzte auch den traditionellen Choral wieder in ſeine Rechte ein. 

ghiſtoriſch⸗ politiſche Blätter 1905 I 827 ff. 


192 


Dom Pothier hatte allen Grund, dem heiligen Dater in einem eigenen 
Schreiben dafür zu danken. Zugleich bot er ihm feine Dienſte an, 
die vom Papſt in dem Breve vom 14. Februar 1904 dankbar ange⸗ 
nommen wurden, weil Dom Pothier über ungewöhnliche liturgiſche 
ktenntniſſe verfüge und um den Choralgeſang ſich in leuchtender Weiſe 
verdient gemacht habe. Vorher ſchon hatte ein Dekret der Ritenkon- 
gregation vom 8. Januar 1904 die der Medicaea bewilligten Vorrechte 
zurückgenommen, während ein Dekret derſelben fongregation vom 
24. Februar 1904 die von den Benediktinern von Solesmes heraus⸗ 
gegebenen Choralbücher anerkannte. Seine eigentliche Weihe erhielt 
der traditionelle Choral bei der Papſtmeſſe am 11. April 1904, bei 
der er durch 1200 Seminariſten und Ordensleute Roms zum Vortrag 
kam. mit Recht bemerkt dazu Dom Mocquereau in dem Nach⸗ 
ruf, den er feinem Lehrer Dom Pothier in der Revue gregorienne 
9 (1924) 5. 34ff. widmet, in dem auch alle auf deſſen beben und 
Wirken bezüglichen Daten überſichtlich zuſammengeſtellt ſind, „wer 
hätte noch vor wenigen Jahren an eine ſolche Feier auch nur denken 
können?“ Wie muß Dom Pothier an dieſem Tage aufgejubelt haben, 
als die vor allem durch feine Bemühungen zur urfprünglichen Rein⸗ 
heit zurückgeführten Choralgeſänge durch die Hallen von St. Peter 
klangen, fo wie fie wohl zu den Zeiten des heiligen Papſtes Gregor d. Gr. 
geſungen worden waren. Vierzehn Tage darauf, am 25. April 1904, 
verkündete ein Motu proprio den Entſchluß Pius X., eine neue Choral⸗ 
ausgabe zu veranſtalten, und ernannte zu dieſem Zwecke eine eigene 
kiommiſſion, deren Vorſitz Dom Pothier übertragen wurde. Es tauchte 
nun der Dorfhlag auf, man ſolle in der ganzen katholiſchen Kirche 
die Choralbücher der Benediktiner etwa fünzig Jahre lang in Gebrauch 
nehmen, unterdeſſen würde man in Solesmes das geſamte Quellen 
material nochmals auf das gewiſſenhafteſte durcharbeiten und dann, 
den älteſten Hhandſchriften folgend, eine Lesart herſtellen, die auch der 
ſtrengſten paläographiſchen und philologifchen Rritik gewachſen wäre. 
Der Vorſchlag hatte manches für ſich. Denn das Quellenmaterial war 
infolge der ausgedehnten und ſyſtematiſchen Studien und Reifen der 
Benediktiner von Solesmes ganz gewaltig angewachſen und von paläo⸗ 
graphiſch geſchulten Kräften nach einer ſtrengen Methode geſichtet und 
geordnet worden. Faſt jede Neume hatte ihre befondere Tabelle nach 
den Handſchriften aller Jahrhunderte und aller Länder. Aurz, ein 
kritiſcher Apparat! ftand zur Verfügung, der alles übertraf, was 


gl. darüber: Die Benediktiner von Solesmes und ihre Arbeiten zur Wiederher · 
ſtellung des traditionellen gregorianiſchen Chorals. Gregoriusblatt 29 (1904) 95 ff. 


193 


Dom Pothier bisher hatte verwerten können, und da und dort zeigte 
es ih, daß die Abſchriften von Manufkripten, die einige feiner Mit⸗ 
arbeiter angefertigt hatten, nicht immer ganz zuverläſſig waren. Es 
ſei hier auch nicht verſchwiegen, daß er mehr Aünftler als Archäologe 
war. Gewiß war fein Meal die Rückkehr zu den alten Quellen. Aber 
er wollte ſich doch die Freiheit waren, in ſtrittigen Fällen oder auch 
nur bei gewiſſen melodiſchen Härten einer ſangbareren Lesart den 
Vorzug geben zu dürfen. Streng wiſſenſchaftliche Methode war gerade 
nicht feine Hauptſtärke. 50 hatte obiger Vorſchlag manches für ſich. 
Er ſchloß aber auch die Sefahr in ſich, daß die gerade mächtig ein⸗ 
ſetzende Choralbewegung während des 50⸗jährigen „Moratoriums“ 
wieder verebben werde. Leider ergab ſich nun eine Spannung mit 
unerquicklichen Auswirkungen. Auf der einen Seite ſtanden die Archäo⸗ 
logen, von Dom Mocquereau geführt, die unbedingt überall die älteſte 
besart herſtellen wollten und auch die Erklärungen Pius X. ganz in 
dieſem Sinne deuten zu müſſen glaubten !. Auf der andern Seite wollten 
die Traditionaliften unter Dom Pothier den Choral auch nach den alten 
handſchriften herſtellen, da es ſich aber um eine praktiſchen Zwecken 
dienende Ausgabe handle, dürfe man auch eine jüngere Lesart vor⸗ 
ziehen, wenn dieſe eine wirkliche Derbefferung bringe. Der Streit 
innerhalb der päpſtlichen Choralkommiſſion wurde immer heftiger. 
Schließlich appellierte man an den heiligen Stuhl. Die Antwort vom 
24. Juni 1905 ſprach ſich gegen die extrem archäologiſche Auffaſſung 
aus, übertrug die Redaktion der Datikanifchen Choralausgabe dem 
bisherigen Präſidenten der päpſtichen Choralkommiſſion, Dom Pothier, 
und erweiterte deſſen Befugniſſe. Dieſer überfiedelte nun nach Rom. 
8o ehrenvoll der neue Auftrag für ihn war, fo bedeutete er doch die 
tatſächliche Auflöfung der Choralkommiſſion. Die ganze Arbeit laſtete 
nun auf den Schultern Pothiers und ganz weniger Mitarbeiter, unter 
denen der tatkräftige Dom L. David genannt zu werden verdient. 
Unter dieſem Zwiefpalt war ein ganz freudiges Schaffen nicht möglich. 
Aber auch jetzt wieder bewährte Dom Pothier feine Ausdauer, die 
vor keiner Schwierigkeit zurückſchreckte. Am 12. März 1908, am Feſt 
des hl. Gregor d. Gr., konnte er das fertiggeftellte Datikanifche Gra⸗ 
duale dem heiligen Vater überreichen, der fofort aus ihm einen In⸗ 
troftus vorſang. Am 8. Dezember 1912 erhielt das Antiphonale die 
Beſtätigung der Ritenkongregation. Vorher ſchon waren das Toten- 
offizium (1909) und der Cantorinus mit der Pſalmodie (1911) er: 
ſchienen. Dom Pothier hatte auch die Gefänge für die karwoche ſchon 
8. Rassegna gregoriana. 4 (1905) Sp. 289 ff. 


194 


vorbereitet, hatte fie auch drucken laſſen. Aber zur Veröffentlichung 
kam es nicht. Was war geſchehen? Gewiß hat der greife, aber un⸗ 
ermüdliche Arbeiter dieſe Entſcheidung ſchmerzlich empfunden, und 
noch mehr mußte es ihn ſchmerzen, als er ſah, daß nun ſeine Arbeit 
für beendigt angeſehen wurde, und eine neue Choralkommiſſion zur 
Fortſetzung der Vaticana unter dem Vorſitze des Abtes Ferretti ernannt 
wurde. 50 mußte er mit feinen Mitarbeitern im Jahre 1912 Rom 
verlaſſen und zog ſich in ſeine Abtei Conques in Belgien zurück. Er 
befaß Seelengröße genug, um dieſe Enttäuſchung mit männlichem mute 
zu tragen. Das im Jahre 1922 erſchienene Offizium für die Karwoche 
und Oſterwoche mit feinem archaiſtiſchen Gepräge zeigt, daß die Grund⸗ 
ſätze für die Redaktion der Daticana ſich etwas verändert hatten. Der 
Hiſtoriker wird dies nicht bedauern, dem hochverdienten Choralforſcher 
hätte man aber von Herzen einen ſchöneren Lebensabend gegönnt, der 
überdies noch durch die Schrecken des Krieges geſtört wurde. 

Die Wiederherſtellung der alten Melodien bleibt das Hauptverdienſt 
Dom Pothiers. Seine Forſchungen gaben ihm aber auch das Recht, 
als Gehrer der Geſchichte des Chorals und vor allem des Dortrages 
des Chorals aufzutreten. Wie wenig wußte man doch davon, als er 
nach Solesmes kam! Entweder ſang man Pfundnoten in ſchwerfällig⸗ 
ſter Form oder hämmerte doch jede Note ohne einen Gedanken an 
begato oder Phrafierung, oder man haſpelte die Noten herunter in 
überſtürzter Art und man ſchien ganz vergeſſen zu haben, daß der 
Choral Gebet iſt und als Gebet vorgetragen werden ſoll. Gerade das 
betztere hat Dom Pothier vor allem in der Schule St. Benedikts er⸗ 
lernt und dieſen Geiſt all feinen Schriften und auch all feinen Zuhörern 
einzuhauchen verſtanden. Er war kein Redner von Gottes Gnaden, 
er konnte nicht zündend wirken, aber ſeine Worte kamen wie ſanfter, 
warmer Regen und waren von nachhaltiger Wirkung. In Solesmes 
hatte er Jahre lang die Aufgabe, die Novizen in den Choralgeſang 
einzuführen. Unter dieſen befand ſich auch der nachmalige Abt Bene⸗ 
dikt Sauter von Emaus. Er hat mit feinem formvollendeten Dor- 
trag und feinem Büchlein „Choral und Liturgie“, das in den ſechziger 
Jahren (1865) erſchien, und unter dem Titel „Der liturgiſche Choral“ 
1903 neu aufgelegt wurde, feinem Mleifter Ehre gemacht. Beuron 
freut fi, ihnen beiden an dieſer Stelle für all ihre Anregungen und 
die Einführung und Einfühlung in den Choral öffentlich Dank fagen 
zu dürfen und ſich als gelehrigen Schüler beider zu bekennen. 

Die Früchte feiner Studien hat Dom Pothier zuſammenfaſſend nieder: 
gelegt in feinem Werke Les melodies gregoriennes, das 1880 bei Desclee 


195 


in Tournai erſchien. 50 gediegen, fo klar und warm hatte bisher noch 
niemand über den Choral und ſeinen Vortrag geſchrieben. Kein Wun⸗ 
der, daß das Buch damals berechtigtes Auffehen erregte und bis heute 
noch an ſeinem Werte nichts eingebüßt hat, wenn auch die Forſchungen 
der letzten Jahrzehnte in untergeordneten Punkten einige nderungen 
wünſchenswert machen. P. Ambroſius Rienle hat ihm ſeinerzeit 
eine ausführliche Würdigung zuteil werden laſſen und im Anſchluſſe 
daran auch andere kleinere hiſtoriſch⸗kritiſche Aufſätze des Derfaffers 
beſprochen. Beſonderer Dank gebührt dem ehemaligen Beuroner Ran: 
tor aber dafür, daß er das Werk ſelber in fließender Überſetzung auch 
dem deutſchen Leferkreife zugänglich gemacht hat unter dem Titel: 
„Der gregorianiſche Choral, feine urſprüngliche Geſtalt und geſchicht⸗ 
liche Überlieferung“ (Tournai 1881, Desclöe). 

Don der literariſchen Fruchtbarkeit Dom Pothiers zeugen ſodann 
die zahlreichen Artikel, die er in der Revue du chant grégorien ver- 
öffentlicht hat. Faſt von deren erſten Anfängen (1892) bis in die letzten 
gahre hinein erſchien kaum eine Nummer, die nicht einen Nufſatz aus 
feiner Feder gebracht hätte. Das abſichtliche Vermeiden eines ſtreng 
wiſſenſchaftlichen Tones und die geruhſame Breite, mit der er zu er⸗ 
zählen verſteht, hat etwas Wohltuendes; da und dort nimmt man 
auch einige Wiederholungen gerne in kauf. Eines aber atmen alle 
dieſe Artikel: eine große Ehrfurcht vor den heiligen Gefängen und 
echt liturgiſchen Bebetsgeift. häufig kommt Dom Pothier auf den 
Rhuthmus des Chorals zu ſprechen. Dieſer iſt nach ihm der ora⸗ 
toriſche Rhythmus und wird durch die Akzentuierung und Phrafierung 
des Textes beſtimmt. Bei ſullabiſchen Befängen, die über jeder Silbe 
nur eine, ſelten zwei bis drei Noten tragen, iſt die Regel leicht an⸗ 
wendbar. Nicht ſo bei reicheren Befängen. Und doch ſchreibt Pothier': 
„Bei reicheren Befängen find es wieder die Worte, die immer noch 
die Ordnung des Rhuthmus beſtimmen. Bei den neumenreichen Stellen 
ahmt die Gruppierung der Tleumen jene der Worte nach und erſetzt fie.“ 
In dieſer Auffaffung konnten ihm viele nicht mehr folgen. Vor allem 
war es auch hier wieder fein Mitbruder Dom Mocquereau, der in 
verſchiedenen Artikeln und Schriften und beſonders in der von ihm be⸗ 
gründeten Pal&ographie musicale entſchieden anderer Meinung iſt. Man 
ſprach ſogar von zwei Schulen, von Alt⸗Solesmes und Neu-Solesmes. 
Begen dieſe Unterſcheidung legten beide Parteien Derwahrung ein? und 


Vierteljahrſchrift für Muſikwiſſenſchaft I (1885) 238 ff. Revue du chant gre- 
gorıen 17 (1909) 186. ? Rassegna gregoriana 8 (1909) 434 ff. und Revue du 
Chant gregorien 17 (1909) 193. 


196 


fagten, es handle ſich nur um unbedeutende Schattierungen im Dor: 
trag. Derfolgt man aber die Artikel in den Zeitſchriften beider Nich⸗ 
tungen, in der Revue du chant gregorien (Dom Pothier) und in der 
Revue gregorienne (Dom Mocquereau), fo ift man leider genötigt, da 
und dort von Schatten, nicht bloßen Schattierungen zu reden. 

Dem Choralforſcher und Choraltheoretiker ſteht der Choralkom⸗ 
poniſt ebenbürtig zur Seite. Seine Cantus Mariales (1903), auch einige 
Stücke der Variae Preces haben die Lebenskraft des alten Chorals 
von neuem erwiefen. Sie fingen ſich ein ins Herz und ſtimmen zu freu: 
diger Marienverehrung. mit Recht rühmt an ihnen Abt Raphael 
Molitor „ein feines rhuthmiſches Gefühl und ein ausgeſprochenes 
Talent für geſangvolle, weiche und innig fromme Melodien.“ 

Vielleicht iſt aber eine andere Gabe noch höher einzuſchätzen, nämlich 
der Feinfinn für Anpaſſung alter Melodien an die Texte neuerer Feſte 
oder von Proprien verſchiedener Diözefen und Orden. Bisweilen ſchelnt 
die Anpaſſung das Original zu übertreffen. Es ſei nur erinnert an 
die Digilie des Feſtes Mariä Empfängnis und an die Feſtmeſſe ſelbſt. 
Die Gottesmutter hat ihren Sänger dafür wohl beſonders belohnen 
wollen. Am Digiltage ihres Feſtes ift Pothier in dieſes Leben ein- 
getreten. Am Feſte der Immaculata hat er dieſes Geben verlaffen 
und hat — fo hoffen wir — nun den Lohn empfangen für fein uner⸗ 
müdliches, an Opfern reiches, aber immer opferfreudiges Schaffen im 
Dienſte Sottes. Nun darf er wohl ſchon im himmliſchen geruſalem 
den Liedern lauſchen, die dem könige erklingen, dem fein ganzes 
beben geweiht war. 

Andere ſind in ſeine Arbeiten eingetreten. Aber er verdient den 
namen, den auch Pius XI. ihm in dem Beileidstelegramm an die 
Abtei gegeben, der er Jahre lang ein treuer Hirte und Vater geweſen: 
Er iſt der Wiederherſteller des gregorianiſchen Chorals. 


0 0 neee. „ „- 
een eee ee e eee eee eee ee eee ee eee eee eee eee eee eee eee eee eee eee ee tee eee eee tee e eee e eee ee eee eee eee DOOR „ee 


Wege zum Choral. 
(Hach „Choral und Liturgie” Rap. 6: Unde regeneratio?) 


m Choral fingen zu können, braucht man mufikalifches Gehör, 

einige techniſche kenntnis und Übung, vornehmlich aber Fröm- 
migkeit und geſunden Sinn. Um gut Choral ſingen zu können, muß 
man das Genannte in erhöhtem Grade beſitzen und überdies Latein 
verſtehen und Sinn haben für die kirchliche Liturgie. Um endlich voll: 
kommen Choral ſingen zu können, bedarf man zu alledem perſönlicher 
Heiligkeit; denn der Choral ſtammt von heiligen und iſt ſelbſt ein 
heiliger Gefang, ſowie eine umbildende Macht, die zur Heiligkeit führt. | 


* 197 


Eine Romfahrt vor bald 25 gahren. 


Reiſeerrinnerungen von Abt Plazidus Blogger (Augsburg.) 
IJ. 


ls junges Paterchen, friſch vom letzten philologiſchen Examen weg, 

noch ohne Areuz und ohne Sorgen, durfte ich anno 1900 mit einer 
illuſtren, aber auch ſehr luſtigen Reiſegeſellſchaft zur Einweihung von 
St. Anſelmo das erſte Mal im Leben nach der ewigen Stadt fahren. 
Seitdem habe ich die Siebenhügelſtadt nicht wieder geſehen und da 
ich nicht weiß, ob dies je wieder der Fall ſein wird, mache ich beim 
herannahen des doppelten gubeljahres 1925 nochmals die Reife im 
Beifte. Ich will mich hüten, allgemein Bekanntes zu wiederholen und 
H. de Waals Rompilger auszuſchreiben; nur perſönlich Erlebtes und 
manche Kleinigkeiten, die anderswo nicht aufgezeichnet ſind, möchte 
ich hier berichten. 

Don unſerer fechsköpfigen Reiſegeſellſchaft find nur mehr zwei am 
beben: der hochwürdigſte Herr Biſchof Dr. Leo v. Mergel von Eich⸗ 
ſtätt, damals Abt von Reiten, und eben der Schreiber. Alle übrigen 
haben ſchon die große Reiſe in die ewige Stadt da oben hinter ſich; 
ja einer, P. Gregor Meyer, Subprior von Metten, machte fie noch 
vor Antritt unferer Fahrt ad limina Apostolorum. Als wir nämlich 
an der Digil von Simon und Juda (27. Oktober 1900) im Münchner 
hauptbahnhof eingeſtiegen waren, traf den bereits im 64. Lebensjahre 
ſtehenden Mitbruder noch vor Abgang des Zuges im Wagenabteil ein 
Schlaganfall, ſo daß ihm das Rundreiſebillett buchſtäblich aus der 
hand fiel und er, vorher noch mit der absolutio in extremis verſehen, 
tot zurückgelaſſen werden mußte. Die anderen Teilnehmer an der 
Romfahrt waren mein eigener Abt Dr. Eugen Bebele von St. Stephan 
und Präſes der Bayerifchen Benediktinerkongregation, Abt Rupert III. 
Meßenleitner von Scheyern und fein Begleiter P. Martin Jof. Nignherr. 
Die zwei letzteren trafen erſt am 29. Oktober in Bozen zu uns, wo wir 
im nahen Gries inzwiſchen die überaus herzliche Gaſtfreundſchaft des 
verſtorbenen „Bnädigen herrn“ Ambrofiusll. Steinegger genoffen hatten. 
Dann gings vorüber an Padua, dem wir erſt am Rückweg einen kurzen 
Beſuch abftatteten, hin zur alten Gagunenftadt, die uns merkwürdige 
Begenfäße bot: die prächtige goldene Stiege im Dogenpalaſt und die 
düſteren Kerker der Pozzi, die herrlichen Chorſtühle in 8. Giorgio 
maggiore (Wahlort Pius VII.) und die wahrhaft apoſtoliſche Armut 
der dortigen Mitbrüder. Einen alten Bekannten ſahen wir, ohne es 
zu ahnen, zum letzten Mal, den Blockenturm von 8. Marco; er ift 
inzwiſchen wie fo manches Alte eingeſtürzt, aber mit feinem Wieder- 
aufbau ging es etwas raſcher als mit dem jetzigen europäiſchen 
„Wiederaufbau“. Am 30. Oktober gegen Mittag fagten wir Denedig 
bebewohl und fuhren per Lagunen⸗Droſchke, will ſagen in einer Gondel, 
zum Bahnhof. Obwohl der Bondelführer uns aufforderte, es ſolle ſich 
einer auf den Stuhl inmitten der Gondel ſetzen, „damit die barca beſſer 
gehe“, wollte ſich keiner dieſem ſehr verdächtigen Ausftattungsftück 


193 


anvertrauen; denn auf der Binfahrt hatte fi herr Abt von Metten 
auf einen ähnlichen Stuhl geſetzt, nicht ahnend, daß er — wie vielleicht 
noch mancher Nachfolger — als Schadenerſatz „für Jerbrechen des 
Stuhles“ eine Lira zu zahlen haben würde. Erſt nach Mitternacht 
kamen wir an der Station Goretto an. In zwei offenen Wagen mit 
grobleinenen Sardinen zogen uns geduldige Mauleſelein den heiligen 
Berg hinan. Nach kurzer Nachtruhe hatten wir das Glück, in der 
»Casa santa« das heilige Opfer feiern zu dürfen. Ein italieniſcher 
Pilger fragte mich da, auf das Sitter an der Rückwand deutend, ob 
hier der heilige Erzengel Gabriel hereingekommen ſei. Sein Gewiſſen 
und das meinige ſchonend antwortete ich, ich ſei fremd und könne 
es nicht ſagen. Indeſſen hat uns alle das Geheimnis der Menſch⸗ 
werdung, das hier ſo hoch verehrt wird, und das Bewußtſein, daß 
Tauſende hier ſchon Erhörung gefunden, tief ergriffen und zu ver⸗ 
trauensvollem Gebete angeſpornt. In der deutſchen Kapelle, die eben 
von Profeſſor Dudwig Seitz herrlich ausgemalt wurde, war alles noch 
voll Gerüſte. Nachmittags nach 4 Uhr befanden wir uns bereits an 
einem anderen, nicht minder berühmten Heiligtum, in Aſſiſi. Eben 
läuteten die Glocken das morgige Allerheiligenfeſt ein. Wie ein zweites 
nazareih lag das Städtlein oben am Berghang; der ganze Zauber 
natürlicher und übernatürlicher Schönheit ſchien über ihm ausgegoſſen. 
Die Eindrücke, die ich im lieblichen Portiunkulakirchlein, am Grabe 
meines heiligen Taufpatrons, in 5. Francesco, und abends beim Mond⸗ 
ſchein im ehemaligen Klöſterlein der hl. klara, in 8. Damiano emp: 
fangen, wirken bis heute noch nach. Trotz aller Poeſie fehlte es 
indeſſen nicht an Proſa. Da die herren Hbte ihre Bruſtkreuze immer 
offen auf der Straße trugen, hielt faſt buchſtäblich jeder Dorübergehende 
die hände bettelnd entgegen. Der Allerſeelentag brachte uns endlich 
gegen 3 Uhr nachmittags in die ewige Stadt, wo uns zwei Fiaker, die 
ſich trotz Überforderung noch die »salita ardita« (den „ſteilen Anſtieg“) 
eigens honorieren ließen, glücklich hinaufbeförderten nach St. Anſelmo. 


II 


Gott lohne es dem ſeligen Abtprimas Hildebrand von Bemptinne 

noch im Grabe, daß er feinen Mitbrüdern ein fo prächtiges Heim 
auf einem der ſchönſten Punkte der Roma eterna errichtet hat! Heißen 
Dank dem großen Papft Deo XIII., welcher der freigebige und weit: 
blickende Förderer und Bönner dieſes Werkes war! Dem großzügigen 
Plan der Bauanlage, der vom ſeligen Primas ſelbſt entworfen war, 
entſprach der großzügige Geift im Innern, den alle Säſte von nah 
und fern bewundern lernten, wenn auch nicht alle von Anfang an 
davon überzeugt zu ſein ſchienen. Denn manche Mitbrüder hatten 
ſich draußen in der Stadt Quartier geſucht, um nicht, wie ſie meinten, 
in St. Anfelmo zu ſehr eingeengt zu fein. Die Ärmften! Wir haben 
ſie herzlich, aber brüderlich ausgelacht, weil ſie immer den weiten Weg 
zum Aventin zurücklegen mußten und obendrein ihre Furcht völlig 
unbegründet war. mit dem klaren Blick des ehemaligen Offiziers, 
deſſen Sporen zuweilen unter dem Habit noch zu klirren ſchienen, hatte 


199 


der Abtprimas richtig erkannt, daß die Hbte von allen Teilen des 
Erökreifes zuſammengekommen waren, um ſich gegenfeitig kennen 
zu lernen und auszuſprechen. So bot er alles auf, ihnen den Auf 
enthalt in St. Anfelmo möglichſt angenehm und heimiſch zu machen. 
Selbſt die Küche war international, ſo daß auch hier keiner zu große 
Opfer bringen mußte. Gelegenheit zur Nusſprache gab es in Fülle, 
fogar bei Tiſch, wo mittags und abends vom Schweigegebot diſpenſtert 
wurde. In den Unterhaltungsſtunden ging es ſehr heiter und ge⸗ 
mütlich zu, und man darf ohne Übertreibung ſagen, daß ſich die vielen 
Söhne des hl. Benedikt, die von allen Richtungen der Windroſe hieher 
geeilt waren, in St. Ainfelm trotz der Derfchiedenheit der Satzungen, 
der Nationalität und der Sprache als Glieder einer einzigen großen 
Familie fühlten und zuſammenfanden. 

Der erſte Morgen (3. Nov.) in Rom war außer dem ſchlechten Wetter 
für mich noch beſonders unfreundlich. Die Tücken des römiſches Klimas 
nicht kennend hatte ich mich erkältet und mußte ſtatt an den Altar ins 
Bett. Als Entſchädigung bekam ich aber die Wohltat einer überaus 
aufmerkſamen £irankenpflege zu koſten, was auf der Reife doppelt 
wertvoll iſt. Dem freundlichen Bruder Krankenwärter und dem nimmer: 
müden Gaſtmeiſter (beide von Beuron) heute noch ein herzliches „Der: 
gelt's Bott“! Die Herren übte machten an diefem Tage bei Regen und 
Wind einen Beſuch in Trefontane, der Marterſtätte des Dölkerapoftels, 
und brachten mir von den dortigen Trappiſten in liebens würdiger Weiſe 
ein Gläschen Eukalyptusgeift mit. Am Tage danach (Sonntag, 4. Nov.) 
— post hoc, non propter hoc — konnte ich die Keiſegeſellſchaft 
bereits nach St. Paul „außerhalb der Mauern“ begleiten, wo wir zu⸗ 
gleich die für die Gewinnung des Jubelablaffes vorgeſchriebenen Kirchen⸗ 
deſuche begannen. Der freundliche damalige Abt⸗ Ordinarius Bonifaz 
Oslaender zeigte uns in eigener Perſon die konſtantiniſche Inſchrift, 
welche das Grab des Apoftels unter dem Hochaltare deckt: PAVLO 
APOSTOLO MART. Das ſchönſte und längſte Cobgedicht könnte 
nicht ſo gewaltig wirken wie dieſe drei wahrhaft klaſſiſchen Worte 
in ihrer wuchtigen Einfachheit: Dem Apoftel Paulus, dem Mlartyrer. 
Vas die Inſchrift verſchweigt, ergänzt die einzigartige Baſilika mit 
ihren rieſigen Raumverhältniſſen und ihrer glorreichen Geſchichte. Glück⸗ 
liche Mitbrüder, die zu Hütern eines ſolchen Heiligtums beftellt find! 


III. 


Die Tage, die uns bis zur Einweihung von St. Anfelmo (11. Nov.) 
noch frei blieben, benützten wir zu einer Fahrt nach Süden. 
Montag 5. Nov. brachte uns die Bahn nach der Station kaſſino. Das 
gleichnamige Städtchen (einſt „San Germano“) und der Berg, der hinter 
ihm anſteigt, waren in dichten Nebel gehüllt. Doch als unfer Fuhr⸗ 
werk über die hälfte des Berges hinter ſich hatte, bot ſich uns ein 
unvergeßliches Schaufpiel: Unter uns lag in einem Meer von weißen 
nebelwolken die Stadt, durch die wir ſoeben gefahren waren, ober 
uns lachte der italieniſche himmel mit ſeinem entzückenden Blau, aus 
dem uns droben vom Berge herab das Erzkloſter unſeres Ordens 


200 


entgegengrüßte. Treffender hätte kein Maler den Segenſatz zwiſchen 
Weltleben und Kloſterleben darſtellen können. Da der damalige Erzabt 
Bonifaz Maria frug eben auf einer Sammelreiſe für das »Soccorpoe, 
die Unterkirche, in Amerika weilte, empfing uns der gelehrte Prior 
Ambroſius Amelli (jetzt Abt von St. Maria in Florenz) aufs herzlichſte. 
Er gab uns den eben dort weilenden Hltmeiſter der Beuroner Kunſt⸗ 
ſchule, P. Defiderius enz, zum Führer, welcher uns auch die intereſ⸗ 
ſanten Pläne zur Husſchmückung des Grabes unferes heiligen Ordens⸗ 
vaters (»Soccorpo«) zeigte. Im altehrwürdigen Turm aus St. Benedikts 
Zeit (» Torretta⸗), wo wir am nächſten Morgen das heilige Opfer 
feiern durften, feſſelte mich ungemein das Antlitz des fterbenden hei⸗ 
ligen. Die ganze Schönheit des hrechenden Auges habe ich weder vor⸗ 
noch nachher auf irgend einer Reproduktion ſo wiedergegeben gefunden, 
wie fie dort im Original ſich darbot. Dom berühmten Arkadenkreuzgang 
(dem »Paradiso«) vor der Kirche konnte ich am Abend die ſtille Pracht 
des ſüdlichen Himmels bewundern, der ſich in dieſer Weltabgeſchieden⸗ 
heit über dem Kloſter und der dahinter liegenden Bergwildnis wölbte. 
Ich weiß nicht, war es Wirklichkeit oder nur ein Gebilde meiner durch 
die geſchichtlichen Erinnerungen beeinflußten Phantaſie: mir ſchien es, 
als ob da oben die Sterne doppelt ſo groß und doppelt ſo nah wären 
als bei uns. Mit dem geiftigen Auge habe ich ſicher recht geſehen.— 
Weil wir ſo bequem den Berg heraufgefahren waren, mußten wir 

zur Buße den Abftieg auf der, Eſelsſtraße“ wagen, die ſich an Holperig⸗ 
keit kaum übertreffen läßt; wenigſtens war es damals ſo. Don den 
bunten Bildern, die uns dann Neapel und ſeine Umgebung bot, will 
ich nur Weniges berichten. Dom Belvedere des ehemaligen kiartäuſer⸗ 
kloſters San Martino aus konnten wir beſtätigen, daß das Schiffer⸗ 
lied »Santa Lucia« nicht übertreibt, wenn es ſingt: Dove sorrider 
volle il creato, „Wo der Schöpfer ſein Lächeln zeigen wollte“. Aller⸗ 
dings ragt in dieſes Paradies die ernfte Geftalt des UDeſuv herein, der 
gerade damals „keinen uten“ rauchte, weshalb wir darauf verzich⸗ 
teten, dem Herrn einen ſpeziellen Beſuch abzuſtatten. Wir begnügten 
uns, fein Jerſtörungs- und Erhaltungswerk in Pompei zu betrachten. 
Obwohl am Eingange in die Ruinenſtadt groß angeſchrieben war, 
daß es dem ſtaatlichen Auffeher unter Strafe der Entlaſſung verboten 
fei, Trinkgelder anzunehmen, und obwohl es auf jedes Eintrittsbillett 
noch eigens gedruckt und im Reiſehandbuch zu leſen war, ſpielte ich 
den ungläubigen Thomas. Wir hatten auch kaum die Rampe paſſiert, 
als ein weißgekleideter „Custode“ mit dem Säbel an der Seite ſich 
uns vorſtellte und uns ſagte, er habe die Fremden zu führen und zu 
ſchützen. „Daß ich die Herren führe, iſt meine Pflicht; ob ich ſie raſch 
und gut führe, ift meine Sache.“ »Capisco« war die Antwort. „Wir 
verſtehen Sie.“ Weil er Wort hielt, bekam er gerne am Schluß einige 
„maccheroni für feine kinder“. Durch das Binterpförtchen, zu welchem 
er uns hinausließ, gelangten wir auf kürzeſtem Wege zum ſüdlichſten 
Punkt unferer Reife, zu dem in neueſter Zeit fo berühmt gewordenen 
Heiligtum U. 0. F. von Valle di Pompei, der wir unfere kindliche hul⸗ 
digung darbrachten. — Wie ein ſchreiender Gegenſatz zur herrlichen 


201 


Natur und Runft erſchien in Neapel die Bevölkerung ſchmutzig, zer⸗ 
lumpt, lärmend, trinkgeldſüchtig und diebiſch. Das hat uns vielfach 
den reinen Genuß verdorben. Inzwiſchen habe ich allerdings mein 
damaliges hartes Urteil ziemlich gemildert und das reiche Gemüts⸗ 
leben, den ſprudelnden Humor und die rührende Genügfamkeit der 
Neapolitaner beſſer ſchätzen gelernt. 


IV 


Mitwoch 7. November abends / 9 Uhr waren wir wieder in Rom. 
Am nächſten Tage durften wir in einer öffentlichen Nudienz bei 

St. Peter zum erſtenmal den Heiligen Dater ſehen. Monſignore Nagel, 
der damalige freundliche Rektor der Anima und ſpätere Kardinal⸗ 
erzbiſchof von Wien, hatte uns dazu Karten verſchafft. Obwohl die 
Audienz auf „ 12 angefagt war, fanden wir uns ſchon um 10 Uhr 
ein, um Platz zu bekommen, mußten aber bis 121, Uhr warten. 
beider glich der Petersdom während dieſer Zeit mehr einem Konzert- 
faal als einem Gotteshaus, und als endlich der Stellvertreter Chrifti, 
eine ehrwürdige Greiſengeſtalt, faſt eine Wachsfigur, hereingetragen 
wurde, da vergaßen die (meift italienifchen) Pilger ganz, daß fie in 
der Kirche waren. »Evviva il Papa-Re« tönte es wie aus einem 
Munde; die Menge fiel auf die Anie, viele weinten vor Freude. — 
Don den Wanderungen zu den Mufeen und heiligen Orten der Sieben⸗ 
hügelſtadt will ich ſchweigen; denn dieſe Eindrücke gehören zum Ge= 
meingut aller Rompilger und ſind ſchon oft geſchildert worden. Nur 
von dem, was man bloß einmal erleben kann, will ich reden: von 
der Einweihung des großen internationalen Rollegs unſeres Ordens, 
von St. Anfelmo und den damit zuſammenhängenden Veranſtaltungen. 
Der Name Deos XIII. wird für immer mit der Geſchichte des knſel⸗ 
mianums verknüpft bleiben. Der große Papft war fein geiſtiger Vater. 
deshalb wollte er auch am Ehrentag des Kollegs dieſem einen ganz 
beſonderen Erweis feiner huld und Liebe zukommen laſſen, indem 
er feinen Staatsſekretär Rardinal Rampolla ſandte und ihn bevoll⸗ 
mächtigte, eine »Missa papalis- zu halten. Den Kardinal hatte ich 
mir als ſelbſtbewußten, ſtramm auftretenden römiſchen Prälaten vor⸗ 
geſtellt. Wie war ich enttäuſcht, als am Dorabend der ktirchweihe 
(Samstag 10. Nov.) nachmittags 4 Uhr zur „Beſichtigung“ (recognitio) 
der heiligen Reliquien eine hohe, edle Geſtalt erſchien, die in ihren 
noch faſt jugendlichen Zügen ganz das Bepräge der Milde und Er⸗ 
gebung trug, ja beinahe einen Stich ins Müde hatte. Als es mir am 
12. November vergönnt war, den lebhaften geiſtvollen Greis Papſt 
beo XIII. aus der Nähe zu ſehen, der einen Einfchlag von Geſchäf⸗ 
tigkeit hatte, da wurde mir klar, daß die — namentlich in einem Teil 
der deutſchen Preſſe — gegen „Rampolla“ geſchleuderten Dorwürfe wohl 
weniger auf den kiardinal als auf feinen Herrn und Meiſter gemünzt 
waren. Als ich vollends hörte, der Kardinal führe ein ſehr innerliches 
beben und habe vom heiligen Vater das Privileg des hl. Philipp Neri 
erhalten, die Privatmeſſe nach der heiligen Wandlung bis zu einer 
Stunde auszudehnen, um ungeſtört mit dem euchariſtiſchen Heiland 

Benediktiniſche Monatfchrift VI (1924), 5—6. 13 


202 


reden zu können, da verehrte ich ihn im ſtillen als einen werdenden 
»Santo«. Dieſe Dorftellung wurde gerechtfertigt und ergänzt durch 
die ſpäteren Ereigniſſe. Die Tiara war Rampolla 1903 trotz des öfter- 
reichiſchen Detos ſicher, doch demütig lehnte er fie aus freien Stücken 
ab. Jurückgezogen und vergeſſen widmete er im Schatten der Peters⸗ 
kirche die letzten Lebenstage ſeiner geliebten Wiſſenſchaft, um noch im 
Tode den bitteren Kelch feines Beilandes zu leeren. Dor der Welt 
wurde Rampolla erſt 1914 voll gerechtfertigt, als in Benedikt XV. 
feine Schule die Regierung der ktirche übernahm. 

Vor den heiligen Reliquien wurde alle Stunden der Nacht von eigens 
dazu beſtimmten Mönchen die betreffende Matutin mit Daudes gebetet. 
Ich verſchlief richtig meine Stunde und kam gerade noch recht, um früh 
2 Uhr zelebrieren zu können. Der Apparat zu einer ſolch gewaltigen 
Feier war rieſenhaft. Jeder Dernünftige wird es daher entſchuldigen, wenn 
trotz ſorgfältigſter Dorbereitung und trotz der vielen Jeremonienmeiſter 
(man ſprach von 19 „päpſtlichen Jeremoniaren“) nicht alles bis aufs 
kleinſte klappte. Die eigentliche Rirchweihe begann um 8 / Uhr, die 
„Missa papalis« erft um ½ 1 Uhr, zur „ Erfriſchung“ kam man erſt um 
3 Uhr. Don unſerer Reifegefellfhaft durfte anfangs nur P. Martin 
in die ktirche, weil er das Prozeſſtonskreuz trug. Während der Bar- 
dinal den Bauptaltar, Erzbiſchof Domenico Serafini nebſt Biſchof Rude⸗ 
ſindus Salvado die beiden Nebenaltäre in der Oberkirche konſekrierten, 
weihten der Primas, die Präſtdes und einige bevorzugte Prälaten die 
Altäre in der Unterkirche. Unſeren Präfes, meinen herrn Abt Eugen 
traf der Altar des hl. Michael und der übrigen heiligen Engel. Die 
dabei verwendete vergoldete Kelle wird heute noch als koſtbares An⸗ 
denken in unſerem Kloſter aufbewahrt. Da, wie gefagt, manches nicht 
aufs Härchen ſtimmte, wurde ich unvermutet zum Erſatz⸗Reliquien⸗ 
träger befördert und freue mich heute noch, daß ich mit drei anderen 
Mitbrüdern die „teure Laft“, das »pondus pretiosum«, zum Hoch- 
altare tragen durfte. Großartig wurde die ganze Feier aber eigentlich 
erſt bei der päpſtlichen Meſſe mit der vorausgehenden Terz. Was 
bisher an vielen Orten zerſtreut war, ſammelte ſich in dem dicht⸗ 
gefüllten, neugeweihten Gotteshaus. Epiftel, Evangelium, Sanktus und 
einige andere Partien wurden lateiniſch und griechiſch geſungen. Etwa 
72 Mitren, ergänzt durch einen griechiſchen Biſchof und einen Abt 
mit &ronen, das griechiſche Rolleg mit Paramenten, Prieſter in Plu- 
vialien oder mit dem Meßkleid über den Chorrock bildeten außer dem 
lateiniſchen und griechiſchen Altardienſt die große Aſſiſtenz des päpſt⸗ 
lichen kardinallegaten — wahrhaft ein Bild der katholiſchen Einheit, 
wie man es außerhalb St. Peter ſelten ſieht. Daß an die Geduld der 
Sänger und des Klerus und namentlich des Rardinals ſehr hohe An⸗ 
forderungen geſtellt wurden, läßt ſich begreifen. Rampolla ſoll trotz 
feiner großen Liebe für St. Anſelmo (hatte er ja ktirchenfenſter geſtiftet) 
den Ausſpruch getan haben: „Meine erſte Kirchweihe, aber keine zweite 
mehr!“ Unſerm armen „Bruder Eſel“ tat nach dieſen Anſtrengungen 
natürlich auf das »Rinfrescamento« die ſpäte „Erfrifcehung” wohl not, 
die nach der kirchlichen Feier für etwa 700 Perſonen in verſchiedenen 


203 


Sälen angeboten wurde. Wenn allerdings der „Messagero“ zu be⸗ 
richten wußte, daß „ſich alle, vom Kardinal bis zum letzten Abbatino 
fatt gegeſſen hätten“, kann ich ihn nachträglich verſichern, daß wir 
wegen der mangelhaften Belieferung durch die römifchen Kaffees, die 
für die „Erfriſchungen“ zu ſorgen hatten, nicht auf unſere Rechnung 
kamen. Dagegen vereinigte uns am Abend, da wir wieder unter 
uns waren, ein gemütlicher, trauter Familientiſch. 


V. 


Uwergeßlich wie der 11. November wird allen Teilnehmern der 
12. November (Montag) bleiben. Die Hbte, deren Begleiter, die 
Profefforen von St. Anſelmo und viele andere Söhne des hl. Bene- 
diktus waren auf ½ 12 Uhr zur Audienz in den Thronfaal des Vatikan 
geladen. Nachdem der mit vielen Orden geſchmückte, von ſeinem 
Kaplan und einem blauen Bufaren begleitete Erzabt von Martins 
berg hippolut Feher eine kurze Privataudienz erhalten hatte, erſchien 
beo XIII. um 12 Uhr inmitten feiner kinder. ga, er war ganz „Vater“. 
gede ſteife Etikette war beifeite gelaſſen; wir durften im gewöhnlichen 
Anzug kommen, die kibte nur das Areuz über dem Skapulier. Der 
Neunzigjährige trippelte vorwärts gebeugt herein; die raſchen Schritt⸗ 
chen ſchienen auf die Schwächen des Alters zu deuten. Segnend ſprach 
er ungefähr: »Damus benedictionem huic præclarae coronae Abba- 
tum«, „Wir ſegnen dieſe herrliche Derſammlung von Hbten“. Nach- 
dem er ſich geſetzt, rief er »Surgite (Surdfchite), surgite« „ſteht auf“ 
und hieß uns näherkommen. „Wie Rinder um den Vater, fo ſcharten 
ſich die ſchwarzen Beftalten der Mönche um den Abt der kbte, der 
ihrem Orden wahrhaft väterliche Liebe und Güte erwieſen hat“, ſchrieben 
ſpäter die St. Benediktus⸗ Stimmen (1901, S. 30) in einer ſehr wahr- 
heitsgetreuen Schilderung dieſer Audienz. Abtprimas de hemptinne verlas 
nun lang ſam und deutlich eine warmgehaltene italieniſche Dankadreſſe, 
worauf der Papſt gerührt auf lateiniſch erwiderte. Da ich als „Statiſt“ 
große Bewegungsfreiheit hatte, eroberte ich mir ein ausgezeichnetes 
Plätzchen neben einem Schweizergardiſten, der zur Rechten des Papſtes 
dicht am Throne ſtand. So ſah ich das Bild des greifen Leo aus 
nächſter Nähe und hörte alles aufs beſte. körperlich ſchön war der 
hochbetagte eigentlich nicht. Er ſchien nur aus haut und Knochen 
zu beſtehen, die Ohren ſtanden weit ab, der Scheitel war kahl, der 
Mund auffallend breit. Aber aus den tiefen NAugenhöhlen blitzten 
noch zwei friſche geiftreiche Auglein, in welche die ganze Seele des großen 
Papftes ergoffen ſchien. Wie er vorwärts gebeugt, eine filberne Tabaks⸗ 
doſe in der hand, den Worten des Primas lauſchte und manchmal, 
ob aus Schwäche oder als Zeichen der Zuſtimmung weiß ich nicht, 
den Mund öffnete, ſah er wirklich aus wie ein liebes altes Däterchen 
inmitten feiner Rinder. Als er aber feine Rede begann, die er ih 
mit groß geſchriebenen Lettern, wie ich es gut unterſcheiden konnte, 
aufnotiert hatte, da richtete er ſich auf, ſtreckte wie ein Rhetor die 
Rechte aus und ſchien fi für einige Augenblicke wieder ganz als 
Papft zu fühlen. Der in den Annales Ecclesiasticæ (1900 p. 478) 


13* 


204 


veröffentlichte offizielle Tezt ift etwas „friſtert“; denn manches entging 
dem altersgebeugten Mann, der öfters zitternd das Manuſkript vor 
die Augen hielt: er trug nämlich keine Brille. Er wünſchte, daß die 
Ordensjugend in St. Anſelmo, das er hatte erbauen laſſen, im Sinne 
des Aquinaten ausgebildet werde und den Geiſt ihres Stifters wieder 
in ihre Alöfter zurücktrage. Darnach gab Leo mit zitternder hand, 
aber mit feſter Stimme den päpſtlichen Segen. Als nun der Primas 
die einzelnen Bifchöfe, Präſides und Äbte vorftellte, wurde es erſt 
recht gemütlich. Das Gedächtnis des Heiligen Vaters und feine Sprach— 
kenntnis legten treffliche Proben ab. Zum neuernannten Erzbiſchof 
Domenico Serafini von Spoleto, bisher Generalabt der Sublazenſer 
Kongregation, ſprach er: „Ich habe einen tüchtigen Mann auserwählt 
für dieſes Bistum; es bedarf eines ſolchen ſehr.“ Zu unſerem Präſes, 
Abt Eugen von Augsburg: »Semper floruit ordo Benedictinus in 
Bavaria et magis (madſchis) florescat«, „Immer hat der Benediktiner⸗ 
orden in Bayern geblüht und er blühe noch mehr.“ Zum zweiten 
Tiroler-Abt (von Fiecht?): »Laudavi Tirolenses et laudo«, „Ich habe 
die Tiroler ſtets gelobt und lobe fie wieder.“ Zum Abtbiſchof Sal⸗ 
vado von Neu-Nurſia in Auftralien: „Es tut mir leid, Nuſtralien nicht 
genannt zu haben, aber es war in, dissitis et longinquis regionibus‘ 
eingeſchloſſen — es liegt eben fo arg weit weg!“ Zum Abt von Monte 
Vergine (die dortigen Mönche ſind als Nachfolger der Wilhelmiten 
weißgekleidet): „Der Habit ift weiß, aber der Herkunft nach ſeid Ihr 
ſchwarz.“ Zum Abt von Marſeille: „Der Biſchof von Marſeille iſt ein 
ausgezeichneter Biſchof in Gallien. Überbringe ihm meinen Segen; 
ich liebe ihn ſehr.“ Ob der ſterbende Biſchof dieſe väterliche Botſchaft 
noch erhielt, weiß ich nicht. Zum Abte von Cava: „Dor 70 Jahren 
bin ich in Cava geweſen.“ Dem kranken Abt Benedikt Menges, der 
kein ganzes Jahr mehr leben ſollte, erteilte er einen beſonderen Aranken= 
ſegen, ebenſo dem Primatialſekretär Dom Didier⸗Caurent von Liguge 
(ſtarb ſchon 1902). Den Präſes der Engliſchen Kongregation Abt, jetzt 
ktardinal Gasquet fragte er nach dem Stand der Reform. Zum Abt 
Edmund Ford von Downfide ſagte der Papſt, er möge Sorge tragen, 
daß der alte Geiſt in den engliſchen Klöftern auflebe; die Benediktiner 
ſollten England zur Rirche zurückführen helfen. Bei den öſterreichiſchen 
Rlöftern erwähnte Leo deren „Reichtum“. Als er den Erzabt Plazidus von 
Beuron nach dem Stand feiner Kongregation fragte und ſich über 
deren großen Zuwachs freute, meinte der Erzabt: „Am Anfang waren 
wir unſer bloß zwei.“ »Dio vi ha benedetti« „Gott hat euch geſegnet“, 
antwortete der Papſt. Eine kurze, aber eindrucksvolle Illuftration für 
die Macht des Behorfams und für die Kraft des apoſtoliſchen Segens, 
den die beiden Wolter nach Deutſchland mitbekommen hatten. Nach den 
Prioren kamen auch wir übrigen an die Reihe. Für jeden hatte der 
gemeinſame Vater der Chriſtenheit ein liebes Wort oder ein kleines 
„Tätſchchen“ auf die Wange. Faſt eine Stunde hatte die Audienz 
gedauert. Die meiſten von uns ſollten den Papſt nicht wieder ſehen. 
Aber die Ereigniſſe und Umwälzungen in den zwanzig Jahren nach 
ſeinem Tode laſſen das Bild, das wir von ihm mitgenommen, nur 


205 


noch größer erfcheinen. Diele feiner herrlichen Rundfchreiben, die man 
zu feinen Lebzeiten bloß oberflächlich las, ftudiert man jetzt genau 
und erkennt, wie Geo XIII., mit außerordentlichen natürlichen Geiſtes⸗ 
gaben ausgeſtattet und dazu von Gottes Hand geführt, von hoher 
Warte aus uns fpäteren Geſchlechtern die Wege wies, die wir in den 
kommenden trüben Tagen zu gehen hättten. 

Dom großen Papſt ging es zu feinem treuen Mitarbeiter Kardinal 
Rampolla. Auf die warmen Dankesworte des Primas erwiderte er 
mit einer beredten Schilderung des Aventin und feiner Geſchichte. Er 
begrüßte „dieſe herrliche corona Abbatum“, welche den ganzen bene⸗ 
diktinifchen Erdkreis repräſentiere. »Mancano soltanto gli Abati dell’ 
Oriente«, „Es fehlen nur noch die Äbte des Oſtens“, fügte Rampolla 
mit lebhafter handbewegung hinzu. In der Tat war es ein Lieblings- 
wunſch Leos XIII., die Benediktiner in den Orient fenden zu können, 
weil ſie vor dem Schisma geſtiftet ſeien und durch ihre Pflege der 
biturgie Anknüpfungspunkte zur Wiedervereinigung der getrennten 
orthodoxen Brüder mit der Mutterkirche beſäßen. Bat der Papſt auch 
hier ſchon Wege gewieſen? Wenn die Waſſer der roten Sintflut im 
ruſſiſchen Oſten ſich verlaufen haben, wird dieſe Frage dann nicht 
vielleicht an unſeren Orden herantreten? | 

Improviſiert, aber um fo herzlicher war der dritte Beſuch, den wir 
im Datikan hierauf machten, nämlich bei dem, der das »ECce nos 
reliquimus omnia, „Sieh, wir haben alles verlaſſen“ zuerſt geſprochen 
und fo in gewiſſem Sinn der Dater des Ordenslebens geworden iſt. 
In ſtilles Gebet verſunken knieten fie da alle zwanglos untereinander 
am Grabe des hl. Petrus, junge, hoffnungsfreudige Mönchlein und 
ergraute, wetterfeſte Deteranen, die ſich in fernen Miſſionsgebieten er⸗ 
probt oder die Bitterkeiten eines heimiſchen Aulturkampfs mitgemacht 
hatten, Männer der Wiſſenſchaft, Seelſorger, Jugendbildner, Organi- 
ſatoren, tiefinnerliche Seelen. Möchten fie doch alle an dieſer einzig⸗ 
artigen Stätte neuen Mut für die Opfer ihres erhabenen Berufs ge⸗ 
ſchöpft haben und neue Liebe zu Petrus und feinem Stuhle! 

Wie eine Selbſtverſtändlichkeit fügte ſich den vorausgegangenen 
Ereigniffen das Felt aller Benediktinerheiligen am folgenden Tage 
(Dienstag, 13. Nov.) an. Abtprimas Hildebrand hielt das feierliche 
Pontifikalamt. Bei der vorausgehenden Terz erhielt das ktapitel dieſer 
hore eine ganz eigene Färbung, wenn man den Abtprimas inmitten 
ſo vieler Mitbrüder ſah. Er wurde zum Abbild des heiligen Ordens⸗ 
vaters, der da oben von ungezählten treuen Söhnen, die Gott ihm 
innerhalb 1400 gahren geſchenkt, umgeben war. Durfte nicht auch er 
mit einem gewiſſen Rechte fingen: »ECce ego et pueri mei, quos 
dedit mihi Dominus, „Sieh mich und meine Rinder, die mir der 
herr geſchenkt hat!“ Nach dem Evangelium hielt der Rektor von 
St. Anfelmo Dom Laurentius Janffens, jetzt Titularbiſchof von Beth: 
ſaida, eine prächtige lateiniſche Anſprache, in welcher er die Alumnen 
dafür zu entſchädigen ſuchte, daß ſie nicht zur Audienz hatten mit⸗ 
gehen dürfen. „Ihr habt nicht hingehen dürfen, weil der HI. Vater 
euch zu ſehr gelobt hat“, ſagte er beſänftigend. Don dem an das 


206 


Amt ſich anſchließenden »Ludus Academicus« mit feinen gediegenen 
Darbietungen möchte ich die von Prior Amelli verlefene Stelle aus 
einem Briefe ſeines in Amerika weilenden Erzabtes erwähnen, weil 
fie ein neuer Beweis der brüderlichen Befinnung war, welche die ganze 
Derfammlung erfüllte. „Obwohl“, fo hieß es, „der Erzabt von Monte⸗ 
kaffino als Nachfolger des hl. Benedikt eine Art Primat habe, fo be⸗ 
grüße er die Einſetzung eines Abtprimas doch mit freudigem herzen“. 
Unvergeßlich iſt uns auch das Klavierſpiel des Biſchofs Salvado ge⸗ 
blieben. Er war als junger Mliffionär nach Auftralien gekommen und 
da er arm war, veranftaltete er mit Hilfe guter Leute ein Klavier⸗ 
konzert, mit deſſen Ertrag er ein Paar Ochſen und einen Wagen kaufen 
konnte. So fing er an, die tiefgefunkenen Nuſtralneger zu miſſionieren 
und ihr Obdach unter freiem himmel und ihre ſeltſame Roft (Schlangen, 
Würmer etc.) zu teilen. Jetzt am Ende feiner Laufbahn konnte er als 
86jähriger Greis, als Abt und Biſchof eine blühende Abbatia nullius 
(Abtei mit Diözeſanrechten) zurücklaſſen. Für den, der dieſe Dorgefchichte 
kannte, hatte es einen eigenen Reiz, die beiden Klavierkonzerte mit⸗ 
einander zu vergleichen, als der muntere Greis ein Auftralnegerlied 
zum beſten gab und es gewandt auf dem Klavier begleitete. Das 
Thema des Liedes war allerdings nur Wilden-Poefie: Ein Tier wird 
geſchlachtet, geröſtet, verzehrt! Biſchof Salvado ſollte nicht mehr heim⸗ 
kehren. Dem getreuen Nachfolger des Dölkerapoftels wurde ſchon 
einen Monat ſpäter (29. Dez. 1900) der Troſt zuteil, am Grabe des 
hl. Paulus ſein müdes haupt zur Ruhe legen zu dürfen. Nach dem 
gemeinfamen Mittagsmahl, bei dem Abt Benedikt Bonazzi von Cava, 
zwei gahre ſpäter Erzbiſchof von Benevent, dem hl. Dater „hundert 
Jahre und darüber“ wünſchte, hielt Erzbiſchof Serafini die feierliche 
Pontifikalveſper, an die ſich die Totenveſper anſchloß. Am nächſten 
Tag (Benediktinerallerſeelen) ſang der erſt am Sonntag vor ſeiner 
Romreiſe benedizierte Abt Caurentius Garkin von Douai (Woolhampton) 
das Requiem für die verſtorbenen Mitbrüder in der Unterkirche. Die 
meiſten der damals anweſenden kibte find inzwiſchen ganz in die Gruft 
hinuntergeſtiegen, weshalb ich dem römiſchen Photographen heute noch 
etwas zürne, daß er erſt am 15. Nov. (Donnerstag) auf dem Plan 
erſchien, nachdem inzwiſchen ſchon viele Teilnehmer die ewige Stadt 
verlaſſen hatten. Gewandt war dieſer Lichtbildner, das muß ich ſagen. 
Als der kritiſche Moment des Anipfens kam, da hub er in Latiums 
Sprache an: »Dixi: unum-duo-ter!«. Die Wirkung dieſes klaſſiſchen 
Datein zittert heute noch auf manchem Geſicht des Lichtbildes nach. 

St. Anſelmo mit all feinen regelmäßigen Bewohnern hatte in den 
letzten Wochen und Tagen feine kräfte aufs höchſte angeſpannt und 
alles aufgeboten, den lieben Säſten und Mitbrüdern aus aller Welt 
ein trautes Beim zu bereiten. 8o hat es niemand dem Abtprimas 
verübeln können, wenn er an den Schluß des Feſtprogramms (Ponti⸗ 
fikalamt und Prozeſſion nebſt Mittagsmahl bei St. Paul, Defper und 
Tedeum bei St. Anfelm Sonntag, 18. Nov.) die Worte aus den Aönigs: 
büchern ſetzte: „Und am achten Tage aber zogen ſie freudig wieder heim 
in ihre Sezelte“ (1 kön. 8, 66). Jedermann begriff die Berechtigung 


8 207 


dieſes zarten Winkes. Da unſere Zeit drängte, konnten wir nicht bis 
zum 18. Nod. bleiben, ſondern verabſchiedeten uns noch am 15. Nov. 
‚geht ſollt es halt noch gut hinaufgehen“, zum Himmel hinauf, meinte 
beim Abſchied unſer hochwſt. herr Präſes. „Nun“, tröftete ihn der 
Abtprimas, „wenn jemand ein Baus baut, dann ſetzt er auch den Dach⸗ 
ſtuhl darauf; der liebe Bott macht es nicht anders“. Schon drei Jahre 
ſpäter (am 8. Auguft 1903) ſollte ſich dies Wort an meinem teuren 
Dater in Chriſto bewahrheiten. Zehn Jahre darauf (13. Auguft 1913) 
folgte ihm der Primas im Tode nach. Er hatte tatſächlich einen guten 
Teil feiner Befundheit feinem Lebenswerk zum Opfer gebracht. Den 
letzten Stoß verfegte ihm feine Reife nach Amerika, die er für St. 
Anfelmo unternommen hatte. Als er da ganz inkognito mit feinem 
treuen Sekretär P. Hilarius auf der heimreiſe nach Rom eines Abends 
in Augsburg eintraf, ſagten wir uns: „Er iſt ein gebrochener Mann.“ 
Und ſo war es auch. N 

Zum Abſchied durften wir noch dem griechiſchen Pontifikalamt im 
Griechiſchen Kolleg St. Atanafio beiwohnen, das Leo XIII. wohl aus 
den obgenannten Gründen unſerem Orden anvertraut hatte. Dort 
waren wir auch zum Mittagsmahl geladen, bei dem ich mitten unter 
den griechiſchen Alumnen aus Sizilien, Rorfika, Kalabrien uſw. zu 
fiten kam und Gelegenheit hatte, ihre ſonngeſchwärzten Geſichter, 
ihre zulinderförmige Ropfbedeckung und ihr überſprudelndes ſüdliches 
Temperament zu ſtudieren. Während eines griechiſchen humnus, 
ähnlich den Laudes Hincmari, mußten wir aufbrechen und fuhren 
zur Bahn. Unter ſtrömendem Regen bei einbrechender Dämmerung 
ſagten wir der ewigen Roma Lebewohl. Die folgenden Tage, an 
denen wir in Florenz und Genua ſchöne Stunden verlebten, brachten 
uns immer weiter nordwärts. Im Dom zu Mailand konnten wir am 
Sonntag den 18. November einer Predigt des Kardinals Ferrari lauſchen, 
der den Noͤvent, welcher im ambrofianifchen Ritus ſchon ſechs Sonn= 
tage vor Weihnachten beginnt, eröffnete. Welch großes Anfehen dieſer 
Kirchenfürſt, der ſich den hl. Karl Borromäus zum Vorbild nahm, 
genoß, zeigte ſpäter fein großartiges Leichenbegängnis, bei dem Freund 
und Feind dem ſelbſtloſen guten Hirten ungeteiltes Lob ſpendete. 
prächtig war die Prozeffion, bei welcher die Pfarrer von Mailand 
rote Pluvialien und einen Stab mit ſilbernem knopf trugen. Vor und 
nach dem Himmel mit dem klllerheiligſten gingen je zwölf Torzenträger; 
Frauen waren nur drei dabei und zwar ſchritten ſie mit ſchwarzem 
Schleier vor dem himmel einher wie altrömiſche Matronen. Am Montag 
den 19. November ging es durch den St. Sotthardtunnel hinein in das 
Reich des Nebels, der die Berge dicht einhüllte. Umſo freundlicher 
ſtrahlten die Befichter der gaſtfreundlichen Mitbrüder in Einfiedeln, 
wo wir Raſt machten. Der damalige Herr Dekan und jüngſt ver⸗ 
ſtorbene Fürſtabt Thomas Aquin Boſſart erzählte uns, daß er 1885 mit 
P. Hieronymus Hbiſcher an der Gregorianiſchen Univerfität in Rom 
ſtudiert habe. Eines Tages ſeien fie auf dem heimweg von der Gre⸗ 
goriana dem Titularabt Tofti begegnet, der aus feinem Wagen ſtieg 
und ſie fragte, woher ſie kämen. Er bedauerte, daß wir Benediktiner 


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keine eigene hochſchule hätten und verſprach zum heiligen Vater Leo 
zu gehen und ihm den Vorſchlag zur Gründung eines internationalen 
Benediktinerkollegs zu machen. Etwas ſpäter brachte Abt Fintan 
Mundwiler von St. Meinrad den beiden „Einfiedlern“ in 8. Ba⸗ 
filio, wo fie wohnten, die frohe Kunde, der Papſt habe dem gelehrten 
Abt Toſti verſprochen, er werde nicht ruhen bis dieſes Werk zuſtande 
gekommen ſei. Es hatte ja auch Abt Bonazzi von Cava in ſeiner 
Tiſchrede bei St. Anfelmo am 13. November ſich freudig gerühmt, daß 
er dabei geweſen, wie der erſte Entſchluß zur Errichtung des Anſel⸗ 
mianums gefaßt worden ſei. Da St. Anſelmo im Mittelpunkt der 
Reiſeerinnerungen ſteht, dürften dieſe kleine Einzelheiten nicht ohne 
Intereſſe fein, zumal wir Zeugen waren, wie gut Toſti und Geo XIII. 
ihr Derfprechen eingelöſt und wie herrlich mit Gottes hilfe der ein- 
fache Wunſch in die Wirklichkeit umgeſetzt wurde. 

Dienstag, 20. Nov. durften wir bei der lieben Snadenmutter das 
heilige Opfer feiern und eilten weiter über Feldkirch nach Mehrerau, 
wo wir aufs gaſtfreundlichſte von den Söhnen des hl. Berhard emp⸗ 
fangen wurden. Der Tag der Opferung Mariä (Mittwoch, 21. Nov.) 
brachte uns endlich in unſer liebes Bauernland zurück. In Buchloe 
mußten wir uns trennen. Faſt hätte der herr Abt von Metten uns 
eine böſe „Nachkirchweih“ bereitet. Nachdem der hochwürdigſte herr 
ohne Begleiter in feinem lieben Rlofter angekommen war, erkrankte 
er lebensgefährlich am Tuphus und mußte die heiligen Sterbſakramente 
empfangen. Doch Gott, der ihn für den Stuhl des hl. Willibald vorher⸗ 
beſtimmt hatte, erbarmte ſich ſeiner und ſo konnten Seine Biſchöflichen 
Gnaden von Eidhltätt im vorigen Jahre 1923 in voller Rüſtigkeit das 
goldene Prieſterjubiläum feiern. Ad multos annos! 

Mögen dieſe ſchlichten Plaudereien einen kleinen Beitrag zum kom⸗ 
menden Silberjubiläum von St. Anſelmo bilden und ihm zu den alten 
Freunden recht viele neue hinzu erwerben! 


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Paulusleſung (zum 29. Juni). 


30h. Chruſoſtomus: Homilien zum Römerbrief, Einleitung. 


Wan ich die Briefe des hl. Paulus vorleſen höre, wie das ſo häufig geſchieht 

(wöchentlich zweimal, oft drei⸗ und viermal, falls Feſte von hl. Marterern 
einfallen): dann bin ich entzückt beim Alange dieſes geiſtigen Trompetenſchalles, mein 
Herz jubelt, und ein wahres Verlangen glüht in mir, wenn ich dieſe teure Stimme 
erkenne; ja faſt wird mir die Geſtalt des Apoftels leibhaft vor die Sinne gezaubert, 
und ich ſehe ihn, wie er ſpricht. Zugleich aber ergreift mich Schmerz und Wehmut, 
daß nicht alle dieſen Mann kennen, wie er es verdient, ja daß viele ihn gar ſo 
wenig kennen. Das kommt nicht von mangelnder Begabung her, ſondern davon, daß 
man mit dieſem heiligen Mann nicht fortwährend verkehren will. Denn auch bei 
mir beruht die Bekanntſchaft mit ihm, wenn ich eine ſolche beſitze, nicht in Geiltes- 
kraft und Verſtandesſchärfe, ſondern auf beſtändigem Umgang mit dem Manne, 
auf einer heftigen Zuneigung zu ihm. Den Freund kennt vor allen andern der 
Freund: er iſt ja Gegenftand feiner herzensſorge .. (Rom. Brevier am 2. Sonntag n. erſch.) 


& & 


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Eine Schule des geiſtlichen Gebens. 


Des Abtes Garcia de Cisneros Exercitatorium spirituale. 
Don P. Benedikt Baur (Beuron). 


er moderne Menfch redet viel vom religiöfen „Erleben“. In der 

Tat hat der Ausdruck auch einen guten, ja ſehr guten Sinn. Es 
genügt nicht, daß die geoffenbarte Wahrheit leiſe, leiſe an die Türe 
unſeres Beiftes pocht und rein verſtandesmäßig von uns aufgenommen 
wird: fie muß die ganze Seele, Derftand und Willen und das tiefſte 
Innere, das Gemüt erfaſſen und mit Licht und Leben erfüllen. Die 
Seele muß in der religiöfen Wahrheit eine Quelle inneren Wachstums, 
einen Erreger neuen, höheren, fruchtbaren bebens in ſich aufnehmen; 
fie muß durch fie wachſen. Als lebendige kraft muß die fo aufge⸗ 
nommene Wahrheit dann das Handeln beſtimmen, es bereichern und 
geſtalten. Die Wahrheit muß Lebensziele zeigen und die Wege ebnen 
zu dieſen Zielen. Sie muß Entſchlüſſe wecken, Mut und Luft, die Ent» 
ſchlüſſe zu Taten werden zu laffen. 

Diefem berechtigten Streben kommt in hohem maße Garcia de 
Cisneros entgegen. Benediktiner in Valladolid, wurde er 1493 nach 
dem kiloſter Montſerrat geſandt, das altehrwürdige Heiligtum Spa⸗ 
niens vor äußerem und innerem Derfall zu bewahren. Dort leitete 
er das Klofter und machte es zu einem Deuchtturm benediktinifchen 
bebens. Um das geiftige Leben feiner Mönche zu fördern, ſchrieb er 
für fie fein »Exercitatorium spirituale«. Unter dem Titel „Schule des 
geiſtlichen Lebens auf den Wegen der Beſchauung“ ift es letztes Jahr 
in der Sammlung der „Bücher für Seelenkultur“ bei herder in Freiburg 
deutſch erſchienen. Überſetzt iſt es von M. Raphaela Schlichtner, einer 
Benediktinerin vom Nonnberg in Salzburg, eingeleitet von P. Erhard 
Drinkwelder aus St. Ottilien, der über „Garcia de Cisneros, O. 8. B. 
(+ 1510) und feine ‚Übungsfchule des geiſtlichen Lebens“ bereits im 
dritten Jahrgang diefer Zeitſchrift (8. 289 ff.) geſchrieben hat. 

Das Innerfte und Tiefſte, was Abt Garcia de Cisneros feinen geiſt⸗ 
lichen Söhnen zu bieten hat, ift in feinem Exercitatorium zufammen- 
geſtellt. Was dieſe „Schule“ für den modernen Menſchen ſo wertvoll 
macht, ift nicht fo ſehr der Inhalt, den Cisneros aus den beſten Der- 
tretern der alten Afzefe und Muſtik ſchöpft und den uns fo viele an⸗ 
dere aſzetiſche Schriften ebenfalls bieten, als die Methode. Die reli⸗ 
giöſe Wahrheit ſenkt ſich als Gebenskeim nur dann in die Seele, wenn 
fie till und ruhig auf den Menfchen einwirken kann, wie die Sonne 
mit ihrem Licht und ihrer Wärme auf das Blümlein der Au. Aber 
eben das fehlt dem religiöfen Geben unferer Tage: die Zeit, die Ruhe, 
die „Selaſſenheit“. Zum Stillhalten und zum Zeithaben, zu eben dieſer 
inneren „Ruhe und Gelaſſenheit“ erzieht uns die Weisheit, die in dieſer 
Schule wirkt. Nicht die Wahl eines Gebensftandes, auch nicht die Er⸗ 
neuerung des Geiſtes im bereits gewählten Stand bezwecken des Abtes 
„Übungen“. Sie erſtreben eine ganz allmähliche, langſam in orga— 
niſchem Wachſen den ganzen Menſchen bleibend erfaſſende und er⸗ 


210 


neuernde Umgeſtaltung des Menſchen in Bott. Der Schüler des Mei- 
ſters Cisneros ift fi ſelbſt überlaffen. Er ringt ih nicht in kurz⸗ 
befriſtetem hartem Willens kampf zu kräftigen Dorſätzen durch, er ſteckt 
ſich nicht Schritt für Schritt ein neues Ziel. Er hat von Anfang an 
nur ein Ziel vor Augen: bäuterung und Liebe. 

Die Zeit, die der Schüler täglich auf ſeine Übung zu verwenden hat, 
it nicht lang: eine halbe Stunde Betrachtung und eine Diertelftunde 
geiſtliche Leſung. Für Anfänger empfiehlt Cisneros die Zeit am Mor: 
gen, für den Fortſchreitenden die ſtille Abendſtunde „nach der Komplet“. 
Eine Woche dient der Vorbereitung und allgemeinen Orientierung in 
Form einer geiſtlichen Cefung am Morgen (Kap. 1 — 11). Dann be: 
ginnen die eigentlichen Betrachtungen des Weges der Läuterung 
(Rap. 12 - 18). geder Tag hat nur eine einzige Betrachtung. If die 


erſte Woche mit ihren ſieben Betrachtungen zu Ende, ſo wird die ganze 


* a 


Reihe der Betrachtungen Woche für Woche wiederholt, bis die bau- 


terung hinreichend fortgeſchritten iſt. Durch die Wiederholung des 
an ſich ſchon ſehr beſchränkten Stoffes unterſcheidet ſich dieſe „Schule 
des geiſtlichen Lebens“ von anderen ähnlichen Anleitungen; fie gerade 
ſichert ihr den Erfolg. Die kap. 19 — 22 bieten den Stoff für die geift- 
liche beſung. — Nach Dollendung der Betrachtungen des Weges der 
GCäuterung folgen die des Weges der Klärung. Es find wiederum 
fieben. Sie handeln von den Wohltaten Gottes (Rap. 23). Die Be⸗ 
trachtungsreihe wird beliebig oft wiederholt. Den Stoff für die geiſt⸗ 
liche Cefung liefert die Heilige Schrift und die „Nachfolge Chriſti“. In 
der letzten Woche der „Klärung“ tritt an Stelle der bisherigen fieben 
Betrachtungen die Erwägung des Daterunfers (Rap. 24). Als geiſt⸗ 
liche Cefung dienen in dieſer Woche kiap. 25 und 26. — Es folgen die 
Betrachtungen für den Weg der Einigung, wiederum ſieben, die 
Woche für Woche wiederholt werden (kap. 27). Die Rap. 28 — 48 
enthalten die geiſtliche Lefung für dieſe Zeit. Sie geben eine theo⸗ 
retiſche Einführung in die „Beſchauung“, auf die der Schüler in den 
vorausgehenden Übungen praktiſch vorbereitet worden war. 

Mit kap. 49 beginnt der zweite Teil des „ehrganges“. Er be: 
handelt „das beben und beiden geſu als Stoff der Beſchau— 
ung“. Auf ihn folgt in den Kap. 61 — 68 ein dritter Teil, der „die 


Hhinderniſſe und Hilfsmittel der Beſchauung“ beſpricht. Die 


Betrachtungen des zweiten Teiles (Rap. 49 — 60) find nicht mehr an 
einzelne Wochentage geknüpft. Als entſprechende geiſtliche Lefung 
find Rap. 61 - 68 gedacht. Ob nun der einzelne in den vorausgehen⸗ 


den Betrachtungen ſo weit gelangt iſt, daß er ſich im zweiten Teil bis 


zur Beſchauung erhebt, hängt ja nicht vom Stoff ab noch auch von der 
methode, ſondern vor allem von Gottes Gnade. Cisneros folgt auch hier 


den Grundſätzen der traditionellen Muſtik, daß man ſich durch ein geeig⸗ 


netes Gebetsleben auf die Beſchaulichkeit vorbereiten kann. Er findet es 


als den normalen Verlauf des geiſtlichen Lebens, daß das betrachtende 
Gebet, gewiſſenhaft geübt, im allgemeinen zum Affektivgebet und zum 
eigentlich beſchaulichen Gebet führt. Die Stoffe des zweiten Teiles ſollen 


den Beſchaulichen in der Übung der Beſchauung erhalten und fördern. 


211 


Wir haben hier ſomit in der Tat eine „Schule des geiſtlichen Lebens“, 
die uns erziehen will, daß wir auf dem Weg einer geſunden Betrach⸗ 
tung langſam voranſchreiten bis zu den höhen der Beſchauung. Der 
ganze Stoff, den Cisneros uns vorlegt, könnte in etwa einem Jahr 
durchgeübt werden. Bei vielen wird ein gründliches Eindringen mehr 
deit in Anſpruch nehmen, vielleicht einige Jahre. Dann kann aber 
der Stoff in Wahrheit in die Seele eingedrungen, ihr in Fleiſch und 
Blut übergegangen ſein. Dann ſind ihr auch die religiöſen Wahr⸗ 
heiten wirklich zum religiöfen „Erlebnis“ geworden. Sie „lebt“ davon 
und iſt an ihnen gewachſen. 

Des Abtes Programm lautet alſo: Vertiefung des inneren Menſchen, 
Dertiefung des Glaubensgeiſtes und des Geiſteslebens auf der Grund⸗ 
lage der Däterüberlieferungen. Wir finden in feinen Unterweiſungen 
etwas von der wohltuenden Ruhe und Milde der Alten, von ihrem 
weißen Maßhalten, ihrer gottinnigen Einfalt, ihrer Tiefe und Weite. 
Das entzückt und macht die Unterweiſungen jedem verſtändlich. 

In der wertvollen Einführung zur wohlgelungenen deutſchen Über⸗ 
ſetzung handelt P. Erhard Drinkwelder u. a. über „ die geiſtlichen Ubun⸗ 
gen des Garcia de Cisneros und das Exerzitienbüchlein des hl. Jgnatius 
von bouola“. Bier deckt er den grundlegenden Unterſchied zwiſchen 
Cisneros und Jgnatius auf. Bei Jgnatius handelt es ſich um eine 
zeitweiſe ausſchließliche Beſchäftigung mit Gebet und Betrachtung. Die 
Berufsarbeiten ſollen ſoweit wie möglich ausſcheiden. Jeder Tag um⸗ 
faßt bei ihm mehrere, zuweilen fünf Betrachtungen. Den Mittel⸗ und 
höhepunkt bildet die Wahl eines neuen Lebensftandes oder die Wahl 
einer neuen Auffaffung und Erfüllung des bereits gewählten Standes. 
Alles iſt zunächſt auf die eigene Tätigkeit des Exerzitanten unter An- 
leitung eines Exerzitienmeiſters eingeſtellt; nur ſelten kommt die, Muſtik“ 
zu ihrem Rechte, fo in der erhabenen Schlußbetrachtung über die gött⸗ 
liche biebe. Garcia de Cisneros dagegen ſucht, wie die hl. Thereſia 
um die Mitte des 16. gahrhunderts es tut, ſeinen Schüler direkt zum 
Streben nach der Beſchauung und nach muſtiſchen Gnaden zu erziehen. 
Seine Übungen zielen nicht auf beſtimmte Einzelvorſätze ab, ſondern 
auf Herzenslauterkeit und Gottesliebe, alles andere überläßt er dem 
Wirken der göttlichen Gnade. Deshalb follen die Ubungen keine bloß 
beſtimmte Zeit hindurch gehalten werden: fie ſollen dauernd und für 
immer dem täglichen Leben und der täglichen Berufsarbeit ſich ein⸗ 
gliedern. Er kennt mit dem hl. Bonaventura für einen Tag nur einen 
Betrachtungsgegenſtand, nur eine Betrachtung. Er kennt auch keine 
beſtimmte Dauer der „Betrachtung“. Eine Betrachtung am Morgen mit 
„praktifchen Dorfägen“ iſt ihm fremd. Gegenüber dieſem weſentlichen 
Unterſchied treten gewiſſe Ähnlichkeiten des Exerzitienbüchleins des hl. 
Jgnatius mit dem Exercitatorium des Cisneros als nebenſächlich zurück. 

Wir zweifeln nicht, daß die „Schule des geiſtlichen Lebens“ viele 
von ihrer Haft und Unruhe und ſeeliſchen Unfruchtbarkeit erlöſen und 
dadurch im Innenleben in hohem Maße fördern kann. Uns ſcheint, 
daß der Benediktiner von Montſerrat aus dem 15. gahrhundert mit 
ſeinem ſtillen Weſen uns Modernen nahe, ſehr nahe ſteht. 


212 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 


Mittelalterliche Buchmalerei. 


D. angeſehenſte und fruchtbarſte Schule deutſcher Buchmalerei im Mittelalter blühte 
von 970 — 1030 auf der von den grünen Wellen des Bodenſees umſpülten 
Benediktinerinſel Reichenau. Die höchſten Würdenträger beehrten die klöſterlichen 
Maler mit ihren Aufträgen: Die Erzbiſchöfe von Köln und Trier, die Kaifer Otto III. 
und heinrich II., Papſt Gregor V. Zu den Meifterwerken der Schule zählt auch die 
Bamberger Apokalypfe, ein Geſchenk der Raiferin Aunigunde an das Kollegiatftift 
St. Stephan in Bamberg, die 5. Wölfflin kürzlich in 2. Auflage herausgegeben hat!. 
Der anerkannte Deuter der neueren Runft hat ſich den beſonderen Dank aller Kunſt⸗ 
hiftoriker dadurch gefichert, daß er es unternommen hat, auch einmal ein Denkmal 
mittelalterlicher Buchmalerei form- und kunſtgeſchichtlich zu behandeln. Das Urteil 
hierüber hat ſich nämlich in den letzten hundert Jahren ſtark gewandelt. Fr. Kugler 
fand die Zeichnung der Apokalupſe „verſchroben — manieriert“ und eine verwandte 
Prachthandſchrift der Münchener Bibliothek, elm. 57, „formlos und widerwärtig“. Auch 
Döge und haſeloff konnten ſich fünfzig Jahre ſpäter in ihrer Bewertung noch nicht frei ⸗ 
machen von den Maßſtäben einer naturaliſtiſchen Kunft. Man gab der plaſtiſch⸗ 
modellierenden Darſtellung unbedingt den Vorzug vor der linear ⸗ platten und betrachtete 
eine flächenhafte Zeichnung, die die Ginie aus Überzeugung ſchematiſtert, als Verfall. 

Die mittelalterliche Malerei bewertete die dreidimenfionale Darſtellungsweiſe anders 
als wir es zu tun pflegen. Räumliche Perſpektive und plaſtiſche Körpermodellierung 
wurden bewußt abgelehnt zugunſten einer flächig linearen Zeichnung. Überall iſt 
die Wirkung nicht auf die einzelne Figur abgeſtellt, ſondern auf die Bilderſcheinung 
im Ganzen: Der Rhythmus der Flächenverteilung, die großen Richtungsgegenſätze, 
die allgemeinen Linienzufammenhänge haben das erſte Wort. Getrenntes wird 
in einheitlichem Zuge verbunden, die Figur lebt von ihrer Beziehung zur Nebenfigur 
und die Geſamtheit der Figuren von ihrer Beziehung zur Fläche. Die Beuroner Aunft 
beruht großenteils auf denſelben Stilprinzipien. 

Die monumentalen Wirkungen, worauf dieſe Malerei ausgeht, kommen auch in 
der Farbe zum Ausdruck. Durchweg ins Kühlere gebrochen und vereinfacht in der 
Wahl der Töne, beſttzt das Kolorit eine ſtrenge Einfalt und Gebundenheit. Die ver- 
wendeten Deckfarben wirken flach. Fläche ſteht gegen Fläche. 

Die Wiedergabe der Miniaturen in Originalgröße verdient ebenfofehr Anerken- 
nung wie die Derwendung des gelblichen, warm getönten Papiers der Tafeln, wodurd) 
die Wirkung der Bilder weſentlich erhöht wird. So beſitzen wir, nicht zuletzt dank 
dem Wagemut des Verlags, eine Mufterausgabe eines mittelalterlichen Meiſterwerkes 
deutſcher Buchmalerei aus der hand eines unſerer größten Runftkenner. 

Was Wölfflin formgeſchichtlich erklärt, den flächenhaften Stil der mittelalterliche 
Buchmalerei, das ſucht K. Pfiſter in feiner Schrift „Die mittelalterliche Buch; 
malerei des Abendlandes“ geiſtesgeſchichtlich zu ergründen. Leider geſchieht 
das nicht mit der wiſſenſchaftlichen Methode, die Wölfflin eigen iſt. Pfiſter betrachtet 
die mittelalterliche Buchmalerei „als Ausdruck der Ganzheit des katholiſchen Mittel ⸗ 
alters. Ein erſtes Mal foll der Derfud gewagt werden, das Schaffen eines gahr⸗ 
taufends als Ausftrahlung religiöſer Difionen zu deuten. Aus der Unbedingtheit 
der chriſtlichen Lehre hat ſich die Buchmalerei eine Form geſchaffen, die fern von 
aller Realität, jenſeits von Perſpektive und Atmoſphäre lebt und den unwirklichen 
und unirdiſchen Sinn der Offenbarung ausdrückt. Dieſe Abſtraktionen find nicht 
um ihrer ſelbſt willen geſchaffen, ſondern dienen dazu, den Geiſt der Gehre 
ſinnfällig zu machen.“ 

Es war unausbleiblich, daß die übernatürliche Weltanſchaunng der katholiſchen 
Rirche ihren Kunſtwerken einen ausgeſprochen religiöfen Charakter aufprägte, doch 


213 


geſchah das nur felten unter Derkennung der von Gott gewollten natürlichen Ord⸗ 
nung. Die von Pfiſter angeführte Auffaffung iſt einſeitig und ſtark übertrieben. 
Viel tiefer iſt M. Dvorak in feiner bekannten Abhandlung: Idealismus und Natura- 
lismus in der gotiſchen Skulptur und Malerei? in die Geiſtes verfaſſung des Mittel 
alters eingedrungen und hat ihren Einfluß auf die bildende Kunſt richtiger dargelegt. 

Ruch er betont, vielleicht etwas über Gebühr, die vorwiegend ſpiritualiſtiſche Grund⸗ 
lage der altchriſtlichen und frühmittelalterlichen Gebensauffaffung; feit dem 12. Jahrh. 
aber beginne ein bewußter Ausgleich zwiſchen der übernatürlichen und der natürlichen 
Weltoroͤnung, der beſonders in den Meiſterwerken der franzöſiſchen, deutſchen und itali⸗ 
eniſchen Skulptur des 13. Jahrh. fo großartig zum Ausdruck gekommen iſt. 

Das ganze Gebiet der deutſchen Buchmalerei von der germaniſchen Stammeszeit 
bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts faßt Fr. Jacobi in einem kurzen, ſuſtema⸗ 
tiſchen Abriß zufammen‘ An der hand von zahlreichen Bildproben legt er die 
charakteriſtiſchen Stilmerkmale in der Entwicklung der deutſchen Buchmalerei dar. 
Die anziehende Aufgabe iſt mit Sorgfalt durchgeführt. Die Stilanaluſe erſtreckt ſich 
nicht nur auf die großen Epochen und Malerſchulen, ſondern auch auf die wichtigſten 
Einzelheiten der Ornamentik, der Initialen, der Figuren, der Gewandung, des Raumes 
und der Landfchaft. Etwas einſeitig iſt die Auswahl der Bildproben, die vorwiegend 
baueriſchen und ſüddeutſchen Malerſchulen entſtammen. Als Ganzes bildet das 
Büchlein für alle Aunftliebhaber, ſeien fie Aunfthiftoriker, Künſtler, Kulturhiſtoriker 
oder Theologen eine vortreffliche Einführung in die deutſche Buchmalerei. Das umſo⸗ 
mehr, als eine reiche Bibliographie über die einſchlägige Literatur beigegeben iſt. 
Der Derlag hat mit der vornehmen Ausftattung das Werkchen zugleich zu einem 
Mufter moderner deutſcher Buchkunſt erhoben. 


Die Bamberger Apokalypfe, Eine Reichenauer Bilderhandſchrift vom Jahre 1000. 4“ (38 8. 
mit 63 bichtdrucken und 2 farbigen Tafeln). München 1921. Rurt Wolff Derlag. ° München 1922, BHolbein- 
Verlag. gr. 4° (40 8. mit 4 farbigen und 36 Schwarzdrucktafeln). ! Biftorifche Zeitfchrift, Bd. 119 (1918). Derſ., 
kunſtgeſchichte als Geiſtesgeſchichte. München 1924, R. Pieper, 5.43 ff. 1 Die deutſche Buchmalerei in 
ihren ſtiliſtiſchen Entwicklungsphaſen. 8° (136 8. mit 70 Tafeln und Abbldg.) München 1923, F. Bruckmann, 


P. Adalbert Schippers (Maria-Paach). 


Almanach catholique francais pour 1924. 


W. haben in Deutſchland ſeit 1908 unſer wiſſenſchaftlich wertvolles „Kirchliches 
Handbuch“; Frankreich veröffentlicht ſeit 1920 unter dem Patronate des Co- 
mitè catholique des amities frangaises a l’etranger« feinen äußerft geſchickt abge⸗ 
faßten „Almanach“. (Paris 6e. Bloud & Gau, 3, Rue Garanciere). Mfgr. Baudrillart 
hat ihn wieder mit der Gewandheit des Franzoſen und der Zielficherheit des Eiferers 
für feine Nation eingeleitet. Er findet feine Art „gut franzöſiſch“: „lächelnd und ernft 
zugleich“; feinen Zweck beſtimmt er dahin: er wolle Inland und Ausland bekannt 
machen mit dem gegenwärtigen katholiſchen Frankreich. Rein Zweifel, dieſes Ziel 
wirb zum guten Teil erreicht. Das religiöfe, ſoziale, künſtleriſche, literariſche Geben 
Frankreichs zieht im Flug an uns vorüber, nicht einmal Rechts- und Gefunöheits- 
pflege, Wandern und Sport find ganz vergeſſen. Das religiös-kirchliche beben wächſt 
überall und erhält ſich in den beſonderen Diözeſaneinrichtungen, das geiſtige geht 
allenthalben von einzelnen Hulturſtätten und Führergeſtalten aus. Über das eine wie 
das andere erhalten wir genügenden Auffhluß; beſonders dankbar begrüßt man das 
kleine „Biographiſche Lexikon der bedeutendſten Persönlichkeiten des katholiſchen 
Frankreich“, das Uame, Stellung, wichtigſte Werke und, klug genug, auch den Wohn- 
ort angibt. In manchem ſetzt der neueſte „Almanach“ die vier früheren voraus; in 
allem ift er lehrreich. Die fünf Franken, die er koſtet, iſt er wert. Die Aufforderung 
Baudrillarts an andere Länder durch ähnlich einfache „Kalender“ Frankreich leichten 
einblick in ihr Weſen und Wirken zu geben, verdiente ſchon deshalb auch bei uns 
Beachtung, weil wir ſo etwas brauchten, um erſt einmal einander recht kennen zu 
lernen, woran noch viel fehlt. B. Sturmius Regel (Beuron). 


214 


Bücherſchau 


Heilige Schrift und Leben geſu 


Schöpfer, Dr. Ämilian: Seſchichte des 
Alten Teftaments. Mit befonderer Rück. 
ſicht auf das Derhältnis von Bibel und 
Wiſſenſchaft. 6. Auflage. 2 Halbbände. 
gr. 8 (VIII, XVI u. 752 8.) München 1923, 
Verlag Iatur & kultur. Je M. 10.— 

Seit das gediegene „Handbuch zur bib- 
liſchen Seſchichte“ von Schuſter und Holz · 
ammer (Freiburg 7 1910) vergriffen iſt, 
hatten wir in deutſcher Sprache kein Werk 
mehr, das die gebildeten Gaien raſch und 
zuverläſſig aufklärte über den gegenwär- 
tigen Stand der zahlreichen, oft ſchwierigen 
Fragen, die bei der Schriftlefung auftauchen 
können. Mit der neueſten 6. Auflage feiner 
„Eeſchichte des Alten Teſtaments“ hat uns 
Schöpfer ein ſolches Hilfsmittel geſchenkt. 
Wieviel Detailkenntniſſe, aber auch wieviel 
Beſchränkung in der Auswahl des Stoffes 
verlangt ſolch ein Werk, das ein wirklich 
zuverläſſtger Führer durch die modernen 
Bibelfragen und ein Helfer in der Dertei- 
digung der gläubigen Nuffaſſung der Bei- 
ligen Schrift und ihrer Grenzgebiete ge⸗ 
nannt werden kann! Beſonders angenehm 
berührt bei dieſem Buch der große Zug, 
der durchs Ganze geht. Uber dem wiſſen · 
ſchaftlichen Kleinkram, mit dem ſich die 
modernen Geiſter vielfach abplagen müſſen, 
vergißt man ſonſt ſo leicht die großen 
binien, die Gottes weiſe Dorfehung der 
Geſchichte der Menſchheit, beſonders der des 
auserwählten Sottesvolkes, eingezeichnet 
hat und die das Alte mit dem Ueuen Te- 
ſtament verbinden. Schöpfer wandelt hie⸗ 
rin ſo recht in den Bahnen, die einſt Abt 
Baneberg ging in feiner immer noch wert⸗ 
vollen „Geſchichte der bibliſchen Offenba⸗ 
rung? (Regensburg 3 1876). Einen breiten 
Raum nimmt bei ihm auch das apolo- 
getiſche Moment ein. Was die mo- 
derne Geſchichts⸗ und Uaturwiſſenſchaft 
gegen die bibliſchen Berichte vorbringt, 
wird kritiſch beleuchtet und ſachgemäß 
widerlegt. aum eine wichtigere Frage 
iſt dabei überſehen. 

Es ſei geſtattet, aus dem reichen Inhalt 
des Buches einzelnes beſonders hervorzu- 


heben. Die Grund ſätze, die über das Ver · 
hältnis von Bibel und Wiſſenſchaft an 
der hand der neueſten kirchlichen Ridt- 
linien aufgeftellt werden, dienen zur Be 
ruhigung ängftlier Gemüter. Zum erſten · 
mal ift in das Werk ein anſchaulich ge 
ſchriebener Abſchnitt aufgenommen über 
den „Schauplatz der heiligen Geſchichte, 
band und Leute“. Da tauchen Dölker vor 
uns auf, die man vor 20 Jahren Raum 
dem Namen nach kannte und die doch 
uralte eigene Rulturen befaßen (die Su- 
merier, Amorrhiter, Hethiter, Mitani). Aus- 
führlich wird der Gefer über chronologiſche 
Fragen unterrichtet, meiſt auf Grund der 
Forſchungen von P. Kugler 8. J. (fiehe 
Januar - Heft 8. 72), fo über die Chrono» 
logie der Urgeſchichte, der Patriarchen, 
Richter ⸗ und Aönigszeit, wozu noch am 
Schluß „Sunchroniſtiſche Tafeln“ kommen. 
Mit Intereſſe lieſt man, was der Derfaffer 
zu ſagen weiß über die verwickelten Fra · 
gen, die mit dem Schöpfungsbericht zu 
fammenhängen (Bibel und Deſzendenz · 
theorie), über die Sintflut, die ſogenannte 
Dölkertafel, die bibliſche Urgeſchichte und 
die babuloniſch- aſſuriſchen Mythen, das 
altteſtamentliche Prophetentum im allge ; 
meinen und die Propheten Ifaias und Da- 
niel im befonderen. 

Das Buch würde an praktiſcher Braud- 
barkeit gewinnen, wenn noch mehr Stich⸗ 
wörter im Inhalts verzeichnis aufgenommen 
wären. Auch wünſchte man über manche 
Fragen mehr zu erfahren, 3. B. über den 
muſtiſchen Sinn (8. 182), die Sionsfrage 
(8. 388 f.), über die nachexkiliſchen reli 
giöfen Strömungen bei den Juden. Wären 
manche Exkurſe in den alten Grundſtock 
mehr eingearbeitet, 3. B. die inner und 
außenpolitiſche Geſchichte der Rönigszeit. 
würde das die Ülberfichtlichkeit des Buches 
erhöhen. Bei der Behandlung der Penta ; 
teuchfrage wäre heutzutage, wo das Well; 
hauſen'ſche Syftem mit feinen entwick · 
lungsgeſchichtlichen Dorausfegungen durch 
die Reſultate der neuen orientaliſchen Fot · 
ſchungen vollſtändig erſchüttert if, ein 
[härferes Auseinanderhalten zu wünfden 
zwiſchen ihm und der Quellenſcheidungs⸗ 


theorie, wie fie nur auf Grund literar- 
kritiſcher Beobachtungen angenommen 
wird. Ruch ſollte der beſer mehr Auf- 
ſchluß erhalten über die Schwierigkeiten, 
welche die ſogenannten Doppelberichte be; 
reiten, damit er auch Werken wie der 
„ gexateuch-Sunopſe“ von Eißfeldt gegen · 


über in etwa urteils fähig werde. Dieſe 


Rus ſtellungen und Wünſche wollen indes 
dem Buche als Sanzem Reinen Eintrag 
tun. Es verdient im Gegenteil in feiner 
neuen Geftalt wärmfte Empfehlung. 

D. Bius Bihlmeyer (Beuron). 


Klug, Dr. Ignaz: Der Beiland der Welt. 
Ein Chriftusbild. 7.— 12. Taufend. RI. 8° 
(IV und 696 8.) Paderborn 1923, Ferd. 
Schöningh. Seb. I. 7.80 
er, der Eine, iſt uns immer noch der 
große Unbekannte, ſo oft wir auch ſeinen 
Namen im Munde geführt und feine Ge⸗ 
ſchichte geleſen haben. Er ift ein Mlyfte- 
tum, das große Muſterium, das heute 
noch undurchſchaut unter den Menſchen 
ſteht. Seine Gebensbefchreibung wandert 
balb 2000 Jahre durch die hände der 
Menfhen, ein Seſchlecht gibt ſte dem an- 
dern weiter; aber auch wir ſtammeln noch 
hilflos die Worte der Evangeliften nach, 
ſtammeln und können nicht faſſen, nicht 
begreifen. Und doch iſt das Wort Kar- 
dinal lewmans fo wahr, das Alug mit 
Recht auf das Titelblatt feines Heiland 
buches geſetzt: „Iſt es nicht unleugbar, daß 
das wirkliche Geben perſönlicher Religion 
bei uns Ratholiken in einer inneren 
Kenntnis der Evangelien liegt? Es iſt 
Charakter und Gehaben unſeres Herrn, 
Seine Worte, Seine Taten, Seine beiden, 
Seine Werke, die wirklich Nahrung un⸗ 
ſerer Andacht ſind und Richtung unſerem 
beben.“ Ein Tropfen der Erkenntnis geſu 
ft uns größere Labfal als Ströme der 
Weltweisheil. Darum müſſen wir jedem 
Autor dankbar fein, der uns die Schale 
bietet, mit der er geſchöpft hat aus den 
ewigen Quellen der Evangelien. 
klug hat die Babe der Einfühlung in 
die Feit · und Lebens verhältniſſe Jeſu. Die 
profanen und bibliſchen Wiſſenſchaften 
in mühſeliger Forſcherarbeit Roſt⸗ 
bares Material aus den Steinbrüchen der 
verſchiedenen Wiſſensgebiete herausge- 
ſchafft und in gelehrten Werken aufge- 


215 


häuft. klug hat die harten, ungeſchlachten 
Maſſen mit ſchöpferiſcher Geſtaltungskraft 
verarbeitet und ein kunſtvolles Ganzes 
daraus geſchaffen, das uns hoch erfreut. 
Mit bilohafter Anſchaulichkeit tritt geſus 
vor uns inmitten ſeiner Umwelt. Wir 
ſehen und hören ihn auf fie einwirken 
und dieſe auf ihn. So begreifen wir man ⸗ 
ches Warum ?, das wir ſonſt ſchwer in uns 
trugen. Der Verfaſſer hat eine Muſter⸗ 
leiſtung edler Populariſterung der Wiffen- 
ſchaft vollbracht, lehrreich für geiſtliche 
Schriftſteller und Prediger. 

lug denkt ſich moderne menſchen als 
beſer der Evangelien, moderne Menfden, 
die in einer von Zweifeln und Bedenken 
gefhwängerten Atmoſphäre leben. Mit 
großem Geſchick begegnet er den Einwürfen 
der ungläubigen Kritik. So kann die aus- 
gehungerte Seele — und waren die Seelen 
je fo ausgehungert wie in unſeren Tagen? — 
in Ruhe genießen vom Brote, das vom 
Himmel gekommen iſt, und ſchöpfen aus 
den Quellen, die zum ewigen beben ſpru⸗ 
deln. Exegetiſch ſicher, pſuchologiſch fein⸗ 
fühlend verſteht er es, Wort und Beifpiel 
des Erlöſers dem ſinnenden Gemüte des 
heutigen Menfchen nahezubringen, bald in 
lockender bald in zündender Sprache. Mag 
auch der häufig pathetiſche Stil manchen 
beſer Klugſcher Schriften etwas ermüdet 
haben, wir zweifeln doch nicht, daß ſein 
Werk vom heiland viel edle Erbauung, 
geſund aufgeklärte Religiofität, erquik - 
kende Friſche des inneren Lebens und 
Strebens zu vermitteln im Stande ift. Vor 
allem möchten wir wünfchen, daß die Per⸗ 
ſon Jeſu ſelbſt dem Lefer noch lieber und 
teuer würde, da es Klug vorzüglich ge⸗ 
lungen iſt, die erſchütternde Tragik ſeines 
irdiſchen Lebenslaufes ergreifend zum 
Bewußtſein zu bringen. 


nor, goh. B.: Pauliniſche 8entenzen. 
kl. 8° (156 8.) Limburg 1922, Steffen. 
Geb. M. —.75 
— Pfalterium. Kurze Erklärung der 
Pſalmen und Rantika der Wochenoffi⸗ 
zien des römiſchen Breviers für Kleriker 
und Ordensleute. 2. Auflage. 8° (176 8.) 
Ebenda 1923. Seheftet IM. 2.—; ge⸗ 
bunden M. 2.50 

1. Sedanken des hl. Paulus zu ver- 
breiten, iſt das ſehr löbliche Bemühen 


216 


des Derfalfers. Ausgewählte Derfe aus 
deffen Briefen, in zeitlicher Aufeinander- 
folge und kurz charakterifiert, werden aus 
genützt in praktiſchen Uutzanwendungen: 
ein Beiſpiel liebevollen Derfenkens in den 
Geift des hl. Paulus, das zur Uachahmung 
beſtens empfohlen werden kann. 
2. Damit das Breviergebet nicht zur 
‚ Laft oder mechaniſchen Leiftung werde, 
ſucht der Derfaffer ihm Beift und Leben 
einzuhauchen. Er wendet dem Hauptteil 
des Brevieres, den Pfalmen, feine Auf- 
merkfamkeit zu und würdigt fie als Be⸗ 
ſtandteile des heiligen Offiziums. Ein 
Tagesgedanke ſoll den Beter begleiten, je⸗ 
doch ſo, daß weder ihm noch den Texten 
ein Zwang auferlegt wird. Schon die erſte 
Auflage des Schriftchens wurde als praktiſch 
brauchbar anerkannt; die zweite verdient 
dieſe Empfehlung in erhöhtem Maße. 
P. Laurentius Rupp (Weingarten). 


Philoſophie und Theologie 


Donat, J., 8. 9.: Logica. Ontologia. 
Psychologia. [Summa philos. christ. 
t. I., III., V.] ed. 4a & 5a emendata et 
aucta. 8° (X u. 227; VIII u. 259; VIII u. 
4748.) Innsbruck 1922, 1921, 1923, Rauch. 
poſchmann, Dr. Bernhard: Kirchen⸗ 
buße und correptio secreta bei Nu- 
guftinus. [Sonderaböruck aus den Dor- 
leſungsverzeichniſſen der Akademie zu 
Braunsberg]. gr. 8° (86 8.) Braunsberg 
1923, ermländiſche Verlagsdruckerei. 

1. Die Vorzüge des Pehrbuches der Philo; 
ſophie von P. Donat, deſſen 7. und 8. Band, 
allgemeine und beſondere Ethik, bereits im 
3. Bande dieſer Zeitſchrift (8. 400) be⸗ 
ſprochen wurde, ſind in der Ueuauflage 
gewahrt, trotzdem, bezw. weil der Derfaffer 
nicht unbedeutende Veränderungen vorge⸗ 
nommen hat. Denn dadurch hat das Werk 
an Klarheit und Dollftändigkeit nur ge= 
wonnen, ſo daß wir jetzt in ihm raſch 
auch über die neueſten philoſophiſchen 
Fragen unterrichtet werden. Dies gilt ins⸗ 
beſondere von der „Pſuchologie“. P. Do- 
nat berührt hier u. a. den Intuitionismus 
(Bergſon, Scheler), den hupnotismus, den 
Okkultismus (Theoſophie, Spiritismus, 
Telepathie, Hellfehen, Zweites Geſicht), das 
Unterbewußtſein, die Temperamente uſw. 
Überhaupt wird die experimentelle mit 


der ſcholaſtiſch⸗ rationalen Pſuchologie in 
glücklicher Weife verbunden. Wir wünſchen 
der Ueẽauflage den verdienten Erfolg. 
2. In vorliegender Schrift nimmt Poſch⸗ 
mann zu Adam: Die geheime Kirchenbuße 
nach dem hl. Ruguftin (1921; vgl. dieſe eit · 
ſchrift 1923 8. 133) Stellung. In der haupt⸗ 


ſache hält er ſeine Anſicht aufrecht: Für 


Auguftinus gibt es nur eine Art der kirch⸗ 
lichen Buße. Sie iſt in ihren Weſensbe⸗ 
ſtandteilen dieſelbe, ob öffentliche oder ge⸗ 
heime Vergehen vorliegen. Immer gehören 
zu ihr Exkommunikation und Rekonzili⸗ 
ation. lach Adam kennt Auguftinus neben 
der öffentlichen auch eine geheime Buße: 
jener iſt die Exkommunikation eigentüm ; 
lich, bei der geheimen fällt fie weg. Adam 
gibt zu, daß auch bei der geheimen Buße 
eine „Trennung vom Altar“, das iſt vom 
Empfang der heiligen Luchariſtie, ſtatt⸗ 
gehabt habe. Er meint aber, dieſe ſei nicht 
als Exkommunikation zu bewerten, weil 
ſte nicht den Charakter einer kirchlichen 
Strafe habe. So will denn P. den Beweis 
erbringen, daß dieſe Trennung vom Altar 
bei geheimen Sünden ebenſo als Exkom⸗ 
munikation zu faſſen ſei wie bei der voll⸗ 
öffentlichen Buße. 

Dem Sewichte der Gründe, die Poſch⸗ 
mann für ſeine Theſe beibringt, kann man 
ſich ſchwerlich entziehen; insbeſondere 
ſcheint er den Beweis erbracht zu haben, 
daß die Exkommunikation, das Weſens⸗ 
merkmal des öffentlichen Bußweſens, eine 
Forderung der altkirchlichen Disziplin war, 
die Auguftinus vollkommen anerkannte. 
Daß Auguftinus aus ſeelſorglichen Srün⸗ 
den von dieſer Disziplin abgewichen wäre, 
müßte durd klare pofitive Jeugniſſe un» 
zweideutig dargetan werden. Die Deutung 
der in Frage kommenden Auguftinustezte 
durch Adam iſt indes keine in dem Grade 
ſichere, daß man daraus auf eine durch 
Auguftinus eingeführte geheime Kirchen ⸗ 
buße ſchließen müßte. Die Auslegung von 
de fide et op. 26, 48, die Poſchmann gibt, 
iſt entſchieden möglich. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


Bagiographie und Biographie 


Döring, P., C. 8. 8 p.: Dom guden zum 
Ordensſtifter. Der ehrw. P. bibermann 
und die Gründung der afrikaniſchen Mif- 


fion im 19. Jahrhundert. (XII u. 351 $.) 
Druck und Verlag Miſſtonshaus. Knecht⸗ 
ſteden 1921. 

Rainer, P. Joh. Bapt., O. F. m.: Der 
hl. Franz Solan. Patron der Franzis» 
kaner-Miffionen. herausgeg. von P. Th. 
Kogler, O. F. M. 8 (352 8.) Wiesbaden 
1921, Rauch. 

1. Das Geben des P. Pibermann iſt ſchon 
mehrfach beſchrieben worden, vor allem 
von Kardinal Pitra und mehr volkstümlich 
von P. Paplace. P. Döring ſtützt fi auf 
feine Vorgänger, bringt aber auch aus 
weiteren Quellen Ergänzungen. Niemand 
wird ſein Werk aus der hand legen, ohne 
reichlich erbaut und gehoben zu ſein. Wun⸗ 
der der Gnade geſchehen zu allen Zeiten; 
ein auffallendes Beiſpiel aus neuerer zeit iſt 
die Bekehrung und das Geben des P. Piber · 
mann (+ 1852). In Zabern als Sohn des 
dortigen Rabbiners Lazarus O., eines fa- 
natiſchen Talmudiſten geboren, für das 
Rabbinat im väterlichen Geifte erzogen, 
kam Jakob (als Chrift: Franz Paul Maria) 


b., gleich vieren feiner Brüder zum chriſt⸗ 


lichen Glauben, blieb ihm im Kampf mit 
der Rindesliebe treu, ja wurde in ihm 
ein heiliger. In ſchweren körperlichen 
beiden (Fallſuchf) und vielen ſeeliſchen (bef. 
Furcht, verworfen zu ſein, Berufsängſte u. a.) 
erprobt, bei der Gründung der Genoſſenſchaft 
für die verlaſſenen Afrikaner, zu der er 
fi) innerlich angetrieben fühlte, hart be» 
drängt, erwies er fi in allem als voll» 
kommen williges Werkzeug in der Hand 
Bottes. Mit eingegoffenen Gaben ausge⸗ 
ſtattet war er ein fruchtbarer aszetiſcher 
Btiefſchreiber und geſchätzter Seelenführer, 
der durch Entſagung zur Vereinigung mit 
Bott zu führen ſuchte, und ein ſorgſamer 
beiter feiner „Genoſſenſchaft vom unbe- 
flekten herzen Mariä”, der er 1848 durch 


die Dereinigung mit der dem Erlöfchen. 


nahen Kongregation vom hl. Geiſte ſtaat⸗ 
liche Anerkennung und die ſehr nötige 
materielle Sicherung verſchaffte. Der VDer⸗ 
faſſer macht uns auch bekannt mit den 
erſten Mitarbeitern und den opfervollen 
Anfängen der Miſſton. Seite 221 heißt es 
„unendliche Miſſtonsgebiete“ ſtatt ausge- 
dehnte; 8. 225 „Gukas in Alexandrien“ 
Ratt Markus; 8. 229 unklar „ monaſtiſch 
verſchleiert , über Goreto müßte man heute 
wohl etwas anders ſchreiben als 8. 152 


Benediktinifche Monatſchriſt VI (1924), 5—6. 


217 


geſchehen iſt. Das auch reich mit Ab⸗ 
bildungen ausgeſtattete treffliche Pebens⸗ 
bild ſei warm empfohlen. | 
2. Don der nur Tatſächliches darbieten- 
den bebensbefchreibung Lieber manns fticht 
P. Rainers Werk ſtark ab. Die lebens- 
geſchichtlichen Angaben über den in Süd- 
fpanien und Südamerika (TC ukuman und 
Peru) erfolgreich wirkenden Heiligen treten 
hinter dem ſte umrahmenden Beiwerk des 
Berfaffers vielfach ſtark zurück. Gar oft 
hält er ein in der Fortführung der Lebens · 
geſchichte ſeines helden, um, wie er einmal 
ſagt, „unfer Leben nach der vorgelegten 
Elle zu meſſen, um wie viel unſere Demut 
[oder fonft eine andere Tugend] zu kurz 
ift und wie fie geſtreckt werden muß, daß 
fie das richtige himmelsmaß erlangt.” 
Seine Alban Stolz nachgebildeten morali⸗ 
ſterenden Beigaben find meiſt friſch und ge- 
wandt in bilder ⸗ und farbenreicher Sprache, 
mitunter etwas urwüchſig derb geſchrieben 
und enthalten treffliche und kernhafte as · 
zetiſche behren. 8o kann die Schrift als Er · 
bauungsbuch wohl Nutzen ſtiften; geſchicht⸗ 
lich führt Rainer nicht hinaus über Ida 
hHellinghaus (Hus allen Zonen 8. Bändchen; 
Trier 1912) und früher ſchon P. Melanius 
Binger (Wien 1877). 
P. Bieronymus Riene (Beuron). 


Rnor, goh. B.: Die hl. Cherefia. Ihr 
beben, Wirken und Charakter mit einer 
Blütenlefe aus ihren Schriften. 8° (III und 
1248.) Wiesbaden 1924, Rauch. Geb. M. 3.— 
Der Derfaffer beabſichtigte nicht, eine Bio 
graphie der großen heiligen zu ſchreiben. 
Uach einer kurzen Darſtellung ihres Ge- 
bens und Wirkens bietet er vielmehr in 
katechetiſch · homiletiſcher Art eine Überſicht 
über deren Tugenden, belegt mit Aus- 
ſprüchen und Beiſpielen. Dabei kam es 
ihm nicht darauf an, das außerordentliche 
Snadenleben der großen Muſtikerin dar- 
zulegen, ſondern zu zeigen, daß ihr ganzes 
religiõſes beben ruhte auf der zuverläf- 
ſigen Grundlage echt chriſtlicher Tugenden, 
die für alle beachtens⸗ und nachahmens⸗ 
wert find. Ganz in dieſem Sinne beſchenkt 
uns der zweite Teil des Büchleins mit einer 
Auswahl trefflicher Gedanken der heiligen, 
die dem beben und Streben des Chriſten 

Schwung und Richtung geben können. 
D. Caurentius Rupp (Weingarten). 


14 


218 


S. Augustini Confessiones. Die Ge- 
ſchichte einer Renſchenſeele. Auf Srund⸗ 
lage der Mauriner Ausgabe in Auswahl 
herausgeg. und erläutert von Oberftudien- 
direktor Dr. Wolffhläger-Münfter und 
Studienrat Aoch- Dortmund. Aſchendorffs 
Rlaffiker-Rusgaben] 2 Boch. I. Text, II. Ex- 
läuterungen. 12 (XXXII und 568. mit 
Bild u. 84 8.) Münfter 1923 und 1924, 
Aſchendorff. Kart. M. —.75; M. —.85 
AuswahlausAuguftiinsConfessiones. 
herausgegeben von A. Aurfeß. 
Quellen zum Geben Barls des Großen. 
Hrsg. Dr. 8oswin Frenken [Eclogae 
graecolatinae fascic. 1 & 2]. kl. 8° (je 
32 8.) Leipzig 1921, Teubner. 

Neben des hl. Baſilius, „Mahnworte an 
die Jugend“ (1900!) quſtins Apologien 
(1912) und einer neueften Zufammen- 
ſtellung lateiniſcher chriſtl. Hymnen (1922) 
enthalten nun die Aſchendorffſchen Schul; 
bücher auf Grundlage des Maurinertextes 
mit Heranziehung der Löwener Ausgabe 
und der beiden Anöllfhen, „wo fie eine 
Derbefferung bieten“, als viertes (Doppel) - 
bändchen chriſtlicher Literatur eine offenbar 
forgfältig abgewogene Tertauswahl aus 
Auguftins „Bekenntniffen“ und einen ver- 
hältnismäßig breit angelegten kommentar 
dazu. Die inhaltreiche, feitenlange „Ein⸗ 
leitung“, wie die weitherzig wegweiſende 
Diteraturangabe (die Tezt-Doll-Aus- 
gaben find leider nur im Vorwort ge⸗ 
ſtreift) zeigen, daß die Herausgeber, wie 
fie es auch ausdrücklich betonen, über die 
Schule hinaus einen weiteren Leferkreis 
von einzelnen und Zirkeln berückſichtigen 
und erhoffen. — Die kleine billige Auswahl 
aus den „Bekenntniſſen“ von A. Kurfeß 
war den Herausgebern bekannt. Sie be⸗ 
hält neben der Neuausgabe Verdienſt und 
Wert. Es ſpricht für ſein ſicheres Gefühl, 
daß die Ueuherausgeber kein Kapitel ſei⸗ 
ner Auswahl ganz übergehen konnten. 
Doch erlaubte ihnen der reichlicher zur 
Verfügung ſtehende Raum, bedeutend mehr 
zu bringen und Auguftins ſeeliſche Ent⸗ 
wicklung ſo beſſer aufzuzeigen. Warum ſie 
im Gegenfa zu Kurfeß den zähen Rampf 
(Buch 8, 11) geſtutzt und aus 9, 10 gerade 
den Edelftein herausgebrochen haben, 
iſt nicht recht erſichtlich. Denn in der 
ganzen Weltliteratur iſt der Aufftieg des 
Geiftes zur ewigen Wahrheit wahrſcheinlich 


nie ſo wunderbar beſchrieben worden. 
Im Zuſammenhang mit furfeß ſei auch 
auf den 2. Faſzikel der Eclogae verwie- 
fen, die Quellen zum Leben Karls d. Er. 
hrsg. von Dr. Soswin Frenken, eine recht 
ſchöne Zufammenftellung aus Einhart, 
Notker Balbulus, Alkuin, Dupus von Fer- 
rieres, die auch das oben 8. 168 genannte 
Runöfchreiben Karls über die Studien in 
den Klöftern enthält, und an der nur 
eines zu bedauern iſt, daß jede Rechen · 
ſchaft iiber die Textunterlage fehlt. 


Bierbaum, Dr. ma: Papft Pius XI. 
Ein Gebens- und Zeitbild. 8° (181 8. mit 
20 Abbildungen). Köln 1922, Bachem. 
Forbes, F. A.: Papſt Pius X. Ein 
bebensbild. Deutſche Bearbeitung. 8° 
(180 8. mit Titelbild). Freiburg 1923, 
Herder. Geb. M. 3.50 

1. Welcher gute Sohn möchte nicht um 
die bebens ſchickſale feines Vaters wiſſen, 
welcher Aatholik hörte nicht gern vom 
heiligen Dater reden? Das „Lebens- und 
Jeitbild“, das uns aus dem deutſchen 
Campo santo in Rom durch Ma Bier · 
baum zukam, ift eine Juſammenſtellung 
aus Mitteilungen, Erlebtem und Erlefenen, 
mitunter befonders in den perfönlidhen 
Erlebniffen etwas breit, aber immer unter- 
haltlich und anregend. Das gut mit 
Bildern ausgeſtatte Seſchenkwerk erfüllt 
als erfte Überfchau vollauf feinen Zweck. 

2. Der Name Pius ift ein Programm: 
Das Andenken an unſeren unvergeßlichen 
Heiligen Dater Pius X. lebt in ihm fort, 
dem der Schmerz um feine finder am be» 
ginnenden Weltkrieg das herz gebrochen 
hat. Alle Saiten unſerer Seelen Klingen 
wieder, wenn wir die deutſche Bearbeitung 
des ſchlichten, aber warmen Lebensbildes 
von F. H. Forbes zur hand nehmen. Es iſt 
mit dieſem Buche faſt wie mit ſeinem Bilde: 
Rönnen wir Pius X. ins Antlitz ſchauen, 
ohne die Reinheit ſeines Wollens und die 
Tiefe feines Wefens in uns hineinzutrinken? 
In St. Peter hat man ihm ein Denkmal 
errichtet; die einen ſagen, es fei ſchön, die 
andern, es ſei nicht der zehnte Pius. In 
unfer aller Herzen ſteht ihm ein Denkmal 
ſchöner denn Marmor, unvergänglicher 
als Erz. Eine große Freude iſt es dem 
Orden St. Benedikts, dem Papſt Pius 
äußerlich und vor allem innerlich ſo nahe 


ftand, daß einer feiner Söhne, der Dallum- 
broſanerabt D. Benedetto Pierami von 
8. Prassede, zum Poftulatur feines Selig» 
ſprechungs prozeſſes ernannt ward. Möchten 
wir an Pius X. erleben, was er ſelber 
im Sinne ältefter „Kanoniſationen“ kühn 
gewagt hat: eine Seligſprechung unter Zeit- 
genoffen! Himmel und Erde würden für 
einen Augenblick zuſammenfließen und bei 
Taufenden das Bewußtfein geftärkt, daß 
das Beiligwerden auch uns Beruf und Ziel 
ift. P. Sturmius Regel (Beuron). 


Ordensgeſchichte 


kick, O., Die ehemaligen ſtabilen RIö- 
ſter des Bistums Paſſau. 8° (367 8.) 
Baſſau 1923, Schweickelberg, Kloſterverlag. 

lach feinen eigenen Worten wollte der 
Derfaffer „die Mitglieder der ehemaligen 
ſtabilen Klöſter im Gebiete des Bistums 
Baſſau der Dergeffenheit entreißen und 
dadurch zugleich einen kleinen Beitrag zur 
Seſchichte dieſer im Jahre 1803 aufgeho- 
benen, um ſtirche und Staat hoch verdienten 
Hlöſter liefern“ (S. II. Mit emfigem Fleiße 
hat er zu dieſem Zwecke aus den verſchie⸗ 
denſten Quellen das Material zuſammen⸗ 
getragen. Die Benediktinerklöſter Asbach, 
lliederaltaich, Dornbach; das Benediktine⸗ 
tinnenkloſter Niedernburg bei Paſſau, die 
Jiſter gien ſerklõſter Aldersbach, Fürſtenzell, 
Raitenhaslach: das Chorherrenſtift St. Ti» 
kola bei Paſſau und die Prämonftratenfer- 
klöfter Oſterhofen und St. Salvator find 
in dem ſtattlichen Bande zuſammengefaßt. 
Wohl möchte man vielleicht wünſchen, daß 
dieſe klöſter noch eingehender behandelt 
worden wären, wie dies P. Lindner in 
feinen ſüddeutſchen Profeßbüchern getan 
hat. Doch auch ſo darf man ſich über das 
Bebotene nur freuen. Beſonders begrüßens⸗ 
dert iſt die Beigabe von gahreskatalogen 
der Mitglieder der einzelnen Klöſter. Diefe 
Stichproben aus verſchiedenen gahrhun⸗ 
derten geben ein anſchauliches Bild von 
dem wechſelvollen Schickſale der Kloſter⸗ 
gemeinden. So zählte z. B. Hiederaltaich, 
um nur das größte Kloſter zu nennen, im 
gahre 1256 44 Konventualen, 1335 deren 
57, 1433 noch gegen 40, 1546 dagegen nach 
den furchtbaren Stürmen der Reforma- 
tionsjahre nur noch 7. Im 17. und 18. Jahr- 


219 


hundert erholte ſich das Kloſter ſoweit, daß 
es im Jahre 1731 wieder 60 Ronventualen 
fein eigen nannte und im Jahre der Auf- 
hebung 1803 nicht weniger als 57 Mönche 
in der Gemeinde zählte. — Dieſer Kleine 
Ausſchnitt allein zeigt ſchon, welch wert⸗ 
volle Ausbeute für die Ordensgeſchichte 
aus einer [cheinbar trockenen Material- 
ſammlung, wie fie das vorliegende Werk ent- 
hält, gewonnen werden kann. Mögen uns 
daher auch für andere Diözefen unferer deut- 
ſchen Heimat ähnliche Werke in entſagungs⸗ 
vollem Sammelfleiße geſchenkt werden. Es 
diente zu einer vertieften Kenntnis unſerer 
ſtloſter - und Ordensgeſchichte. 

P. Albert Schmitt (Weingarten). 


Jeitgeſchichte 


Schlund, Dr. Erhard, O. F. m.: Ueu⸗ 
germaniſches Heidentum im heutigen 
Deutſchland. gr. 8° (72 8.) münchen 
1924, Dr. Fr. Pfeiffer & Co. 

Der Derfaffer ift der Anſicht, der Krieg, 
den das Chriſtentum gegen das altgerma⸗ 
niſche heidentum geführt hat, ſei niemals 
ganz abgeſchloſſen worden, als Kleinkrieg 
habe er nach dem allgemeinen Sieg des 
Chriftentums weitergedauert. „Männer, 
denen Wodan lieber war als Chriſtus“, 
ſagt er, „gab es wohl immer“; und er 
fügt hinzu: „Heute ſcheint es nun, daß 
dieſer Jahrhunderte dauernde Kleinkrieg 
wieder zu einer offenen Feloͤſchlacht werden 
möchte“. P. Schlund ſucht das zweite zu 
beweifen, indem er die verſchiedenſten Der- 
treter der deutſch⸗ völkiſchen Bewegung zu 
Wort kommen läßt. Da erfährt man vie⸗ 
les, was in Erſtaunen ſetzt und empört, 
manches aber auch, was zur Gewiſſens⸗ 
erforſchung antreibt. Traurig iſt es, zu 
ſehen, wieviel guter Wille und ideales 
Streben hier wieder in die Irre geht. Ob 
wir Ratholiken alles getan haben, es zu 
verhindern? Schwerlich! Daher der Rat 
des Derfaffers: „Möchten [befonders] die 
Ratholiſchen Prieſter und Theologen nicht 
bloß die nicht⸗katholiſchen Sekten, 
ſondern auch die nicht- chriſtlichen Rir- 
chengründungen ſtudieren und bekämp⸗ 
fen“. Es iſt wirklich ein Buch aus der 
Zeit für die Zeit. 

P. Willibrord Derkade (Beuron). 


K&K K 8 


14* 


- 


220 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Um die Salzburger Univerſität. 


m 12. November 1923 beging zu Salzburg die dortige theologiſche Fakultät durch 

Feſtgottesdienſt in der Kollegienkirche und Feſtakt in der Aula academica die 
Jubelfeier ihres dreihundertjährigen Beſtehens bezw. der Bründung der ehemaligen 
Salzburger Benediktiner-Univerfität. „Iſt es nicht ein fragwürdiges Unterfangen“, 
meinte bei dieſem Anlaß Domkapitular Chr. Greinz in der Salzburger „Katholiſchen 
ktirchenzeitung“ (Nr. 46 vom 15. Uov.), „das Andenken an ein der Vergangenheit 
anheimgefallenes Inſtitut wieder aufzufriſchen, das ſchon ſeit mehr als 100 Jahren 
zu beſtehen aufgehört hat und überdies noch in Wort und Schrift der Gegenwart 
geringſchätzig und abfällig beurteilt wird...“ Den Vorwurf der Bedeutungslofigkeit 
weiſt er ſelber als ungerecht zurück; die Annahme, daß die alte Univerſität über- 
haupt nicht mehr beſtehe noch auch in altem Glanze je wieder aufleben könne, wider ⸗ 
legen einmal der Fortbeſtand der theologiſchen Fakultät und dann die eifrigen Be · 
mühungen, gerade jetzt, allem Trübſinn zum Trotz, von neuem an die Nusgeſtaltung 
der alten Benediktiner -Univerſität heranzutreten. 

Rein Geringerer als der frühere Salzburger Moralprofeſſor und derzeitige Bundes ⸗ 
kanzler für öſterreich, Prälat Dr. Ignaz Seipel war es, der dieſen Optimismus in die 
Feftverfammlung hineintrug. „Als vor 300 Jahren“, fo führte er u. a. aus, „ein Salz- 
burger Fürft- und Erzbiſchof die Univerfität gegründet hat, ſtand das Heilige Römiſche 
Reich und mit ihm ganz Europa am Beginn der größten Wirren. War doch ſchon 
jener Krieg im Gange, den die ſpätere Zeit den Dreißigjährigen nennen mußte. Gott 
ſei Dank ſehen die Menſchen nicht in die Zukunft, und wenn fie auch aus der Er- 
innerung her, die ihnen die Vergangenheit bietet, ſorgenvoll ſein könnten und darum 


verzagt fein möchten, fo werden fie es nicht tun, wenn fie Vertrauen. haben auf 
Gott, der ein Werk, das mit gutem Willen begonnen iſt, ganz gewiß fegnet... Ich 


denke, Gott hat dieſe Fakultät nicht als abſterbenden Überreft der alten Univerfität 


ſolange ſtehen laſſen, ſondern als eine Keimzelle für eine neue Alma mater Salis- 3 
burgensis. Die Zeiten find vorbei, ich glaube nicht nur für den Augenblick, ſondern 


wahrſcheinlich für immer, in denen der Staat alles allein machen kann und in denen 


der Staat alles für ſich allein machen will. Auch als [der Gründer der ehemaligen 
Univerfität] Paris Lodron Salzburg regierte, hat er nicht mit feinen Kräften allein 


die Univerfität aufrichten können; er hat ſich an andere gewandt, an die Benediktiner: 
äbte des Reiches. Wieder ſtehen wir an einer Jeitenwende, wahrhaft glaube ich an 
einer Zeitenwende, nicht an einem Zeitenende! Wenn jetzt wieder von Salz 
burg aus ein Ruf erſchallt, beizutragen, daß die hieſige hochſchule wachſen und ge⸗ 
deihen kann, und wenn dieſer Ruf an Sie, hochwürdigſte Äbte, als an die erſten 


gerichtet wird, dann zeigen Sie fi würdig Ihrer Ahnen, dann verzagen Sie nicht 


in ſchwerer Zeit und helfen Sie, daß hier in Salzburg eine große rühmliche Pflanz 


ftätte für alle wiſſenſchaftliche Arbeit, aber hauptſächlich für die theologiſche Beiftes- · 


arbeit erhalten bleibe oder neu erbaut werde.“ 


Die alſo aufgerufenen Hochwürdigſten Herrn Abte, ihrer vierzehn an der Zahl: 
vier von der Bayrifchen, neun von den beiden Oſterreichiſchen Aongregationen und 
der Olivetanerabt von Tanzenberg beſchloſſen noch am gleichen 12. November 1923 


im Sinne der Aufforderung und gemäß dem Wunſche des hl. Apoſtoliſchen Stuhles 


und der Kongregation der Regularen, beim Stift St. Peter in Salzburg ein eigenes 


u 


Ordensftudienhaus für die ſtudierenden Kleriker der Benediktinerftifte Öfterreihs 


und Bayerns zu errichten und dieſes wenn möglich ſchon im Jahre 1924 zu eröffnen. ni 


Hand in Hand damit ſolle durch den Orden die Hebung der theologiſchen Fakultät 


und deren Ausgeftaltung zu einer theologiſch⸗philoſophiſchen hochſchule ins Auge gefaßt 


221 


und in engſter Fühlungnahme mit der Bundesregierung und dem beftehenden 
Trofefforen-Rollegium der Fakultät die nötigen Schritte dazu unternommen werden. 

Anläzlich der Ginzer Domweihe kamen die Abte zahlreicher öſterreichiſcher und 
reichsdeutſcher Benediktiner · und Zifterzienferklöfter zu neuen Beratungen über das 
hochbedeutſame Unternehmen zuſammen. Eine groß angelegte „Aonföderation“, die 
alle Benediktiner · und Zifterzienferklöfter deutfcher Zunge, alſo außer den beiden 
Öfterreihifchen und der Baueriſchen auch die Ottilienſtſche, Schweizeriſche und Beuroner 
fongregation umfaßt, ſoll die Gründung und den geſamten Ausbau des gemeinſamen 
Salzburger Studienkollegs ſicherſtellen. Im Geiſte der heiligen Ordensregel werden 
darin die jungen Aleriker erzogen und in den philoſophiſchen und theologiſchen Fä⸗ 
chern unterrichtet. Die neue Lehranftalt wird auch das Recht bekommen, die aka- 
demiſchen Grade zu verleihen. 

ſtirche und Staat haben aufgefordert, die alte Benediktiner - Univerſität zu neuem 
beben zu erwecken. Die deutſchen Benediktiner und Zifterzienfer werden tun, was 
in ihren ktrãften ſteht, das ſchwierige Werk zu wagen. Alles werden auch fie nicht 
leiſten können. Sie geben daher den Ruf, der an fie ergangen iſt, weiter an ihre 
Mitbrüder in allen Ländern und an ihre Freunde allüberall und fordern fie auf, 
auch ihrer ſeits mitzuhelfen beim Juſtandekommen des wichtigen Werkes, deſſen reicher 
Segen — Bott gebe es — in nicht zu ferner Zukunft mittelbar und unmittelbar Hun- 
derten und Tauſenden zugute kommen möge! Gaben für den Ausbau der Univerfität 
entgegenzunehmen und fie weiterzuleiten iſt der hochwürdigſte herr Erzabt von Beuron 
gern bereit. Nan kann ſolche Sendungen aber auch unmittelbar richten an den hoch⸗ 
würdigſten Herrn Abt von St. Peter und Präſes der St. Joſefs- Benediktiner -Ron⸗ 
gregation Dr. Petrus Klotz O. 8. B., St. Peter in Salzburg. St. K. 


Abtei vom HI. Kreuz zu Herſtelle a. d. Weſer. 


N: „monaſtiſche Frühling“ unferer Tage, fo verheißungsvoll für die Kirche, hat 
eine neue Blüte gezeitigt: Seit dem Benediktusfeſte 1924 befteht wieder eine 
Benediktinerinnenabtei an den ſchönen Ufern der Oberweſer, wo einſt in den blühend- 
ften Tagen der deutſchen Rirche fo viele Mlänner- und Frauenabteien erftanden (vgl. 
Ben. Monatſchr. Sept. 1922). Das ſchöne und ſehr warm gehaltene Breve des BI. 
Daters Pius XI., durch das die neue Abtei errichtet ward, nimmt darauf Bezug: 
Papſt Pius XI. zum ewigen Gedächtnis. Im Zachſenlande blühten einſt ſehr viele 
Klöfter von Söhnen und Töchtern des heiligen Patriarchen Benediktus. An der Spitze 
Rand das ſächſiſche Cor veu, eine Tochterabtei des galliſchen Corbeia, in den nörd⸗ 
lichen Ländern hochberühmt durch Frömmigkeit, Wiſſenſchaft und Apofteleifer. 
Alle diefe Klöfter gingen in dem ſchlimmen Sturme der lutheriſchen Reformation 
und der Säkulariſation der KRirchengüter zugrunde. Nicht weit von Corvey liegt 
herſtelle an der Weſer, an einem Orte, wo nach manchen ſchon der hl. Bonifatius, 
der Apoſtel der Deutſchen, das Evangelium gepredigt hat. Jedenfalls erbaute im 
gahre 797 ftarl der Große, als er den götzendieneriſchen Sachſen den Namen Chrifti 
brachte, auf dem Bügel von Herſtelle eine Pfalz und beging dort in feierlicher Liturgie 
die Muſterien der Weihnacht und der Oſtern. Bon jener Zeit an ſtand auf der höhe 
des Hügels eine chriſtliche Kirche, die aber im 17. Jahrhundert in den Kriegswirren, 
die das ganze Land heimſuchten, vollftändig zerſtört wurde. Später bauten aus 
hõxter vertriebene Franziskaner zu Berftelle ein Alofter und eine Kirche unter dem 
Titel des hl. Antonius von Padua. Als auch dieſe zu Beginn des 19. Jahrhunderts 
ungerechterweiſe vertrieben worden waren, zerfielen die heiligen Gebäude wieder. 
erſt im Jahre 1898 kamen Benediktinerinnen aus Duxemburg und gaben den Ort 
feiner heiligen Aufgabe zurück. Unter Führung und Leitung der vor kurzem ver- 
ſtorbenen Frau Priorin Margareta Blanchè ſtrebten fie die vollendete Durchführung 
des monaſtiſchen Lebens mit ſolchem Eifer an, daß das Klofter nach fo vielen Wechſel⸗ 
fällen, nach ſo dieler Unbild, die ihm von den Zeitläufen und Menfhen zugefügt 


222 


worden waren, in neuer Friſche ergrünte. Damit aber das fo glücklich begonnene 
Werk auf einer ſoliden Grundlage ruhe, baten die genannten Ordens frauen den Erz ⸗ 
abt von Beuron um die Eingliederung in die um den Benediktinerorden hochverdiente 
Bongregation von Beuron. Dieſer überlegte die Sache mit den Affiftenzäbten reiflichſt 
und ging dann gerne auf den Wunſch ein, nachdem er zuerſt in gebührender Weiſe 
die Zuſtimmung des Apoſtoliſchen Stuhles eingeholt hatte.“ Nach dieſer geſchichtlichen 
Darlegung folgt die feierliche Beſtimmung des BI. Vaters, durch die er das Kloſter 
der Beuroner Aongregation einverleibt und dem Biſchof von Paderborn die Erhebung 
des Kloſters zur Abtei überträgt (dies geſchah alsbald durch gütiges Schreiben des 
hochwürdigſten herrn Biſchofs Kaſpar Klein). „Diefer fo errichteten Abtei aber“, fährt 
das Breve fort, „geben wir den Titel a sancta Cruce (vom heiligen Areuz), weil 
das Areuz des Herrn von alters her in Herftelle in hoher Verehrung ſtand, und aus 
dem Wunſche heraus, daß durch dieſes Zeichen des Kreuzes das monaſtiſch⸗ bene 
diktiniſche beben in Sachſen und in der Diözefe Paderborn in neuem Glanze wieder: 
aufſtrahle“. Nach der juriſtiſchen Schlußformel folgt das Datum, das Siegel mit dem 
Fiſcherring und die Unterſchrift des Kardinalſtaatsſekretärs. | 
Dem päpftlichen Schreiben brauchen wir kaum etwas beizufügen. Doch ziemt es 
ſich, mit Kurzen Worten auf die hervorragende Frau zurückzukommen, die der BL 
Vater ſelbſt mit rühmenden Worten als die geiſtliche Gründerin des neuen Gottesbaues 
bezeichnet: die am 29. Dezember 1923 verftorbene Frau Priorin Margareta Blanche. 
Ihre Perſon trägt ja etwas Vorbildliches an ſich, vorbildlich für ihre Abtei, die nur 
in ihrem Geifte weiterleben wird, vorbildlich für alle Kinder St. Benedikts, da fie 
die ſpezifiſch : benediktiniſchen Grundzüge in feltener Reinheit verkörperte; vorbildlich 
für alle Rinder der Kirche, die ſich ja gerade in unſern Tagen wieder neu befeſtigen 
will in dem bewährten Geifte der alten Kirche und des Mönchtums. Vorbildlich war 
dies Leben nicht durch äußeren Glanz, durch eine in die Augen fallende Leuchtkraft, 
ſondern gerade durch feine Einfachheit und ſtille Sröße. Das Streben nach dem Echten, 
Weſentlichen, Kernigen war dieſer Frau angeboren und entfaltete ſich immer mehr 
“unter dem Wehen der Gnade und dem Einfluffe eines ganz reinen Strebens nach 
Gott. Gerade weil fie Zott allein ſuchte, Jah fie fo tief den Wert des benediktiniſchen 
Weges zu Gott ein, der ja auch von allem abfieht, wo ſich das Ich irgendwie täufchend 
einmiſchen könnte, und der unter „Führung des Evangeliums“ die Straßen Gottes 
zieht in Reinheit des Herzens, in Einfalt, Demut und Gehorfam. Wie St. Benedikt 
ſuchte auch die Priorin immer mehr alles Unweſentliche, bloß Gefühlsmäßige, rein 
Subjektive durch den großen, weiten, einfachen Geiſt der heiligen Regel zu erfegen. 
Wie aber der heilige Dater Benediktus neben der täglichen, nüchternen Arbeit am 
Tugendgebäude auch dem Schwunge des herzens ſein Recht läßt, aber nun allen 
Idealismus, alle Schönheitsfreude und allen Drang der Liebe in den großen Strom- 
lauf der kirchlichen Liturgie leitet, fo fand die Priorin Margareta auch den ſchönſten 
Ausdruck ihres Bebetseifers, ihrer glühenden Kottesliebe in dem kirchlichen Gebete. 
Da konnte die ſo einfache, praktiſche Frau in heiliger Beſchauung ſich ganz entzücken 
in der Betrachtung der göttlichen Weisheit und Liebe. Beſonders teuer war ihr das 
Myfterium der heiligen Meſſe, zumal der Augenblick, wo in bedeutungsvollem Schwei ⸗ 
gen das Geheimnis der Erlöfung auf dem Altare fi muſtiſch vollzieht. Da wurde 
ihre jungfräuliche Seele ſelbſt ein Altar, auf dem ihr Opfer ſich mit dem des Heilandes 
und der Kirche verſchmolz. Hier im heiligen Opfer und im göttlichen Offizium fand 
fie alle Schätze der göttlichen Wahrheit und Liebe. „0 Ifrael, wie groß ift das haus 
Gottes, und wie ungeheuer fein Beſitztum! Groß iſt es und ohne Grenzen, erhaben und 
ohne Maß!“ (Baruch 3.). Auch wir wollen hier nur andeuten, was es war, das die 
Frau Priorin zu dem Wunſch bewog, ihrem Haufe den feften Beſttz der Schätze zu 
ſichern durch den Anſchluß an eine monaſtiſche Kongregation. So wandte ſie ſich 
ſchließlich an den hochwſt. Hh. Erzabt in Beuron. Das Weitere fteht oben im Breve. 
Aber was das Breve nur leicht berührt mit den Worten „vor kurzem verſtorben“, 
muß hier noch weiter ausgeführt werden, weil es zu dem Bilde der geiſtlichen Grün» 


223 


derin von Herſtelle gehört. Uicht umſonſt wünſchte fie ſich als Titel der Abtei das 
heilige Kreuz. Bewußt hat ſte für das große Werk den Tod auf ſich genommen. 
In den beiden der letzten Monate und den furchtbaren Schmerzen ſprach fie immer 
wieder: „Alles für unſere große Sache!“ „Jetzt kommt es bald!“ Sie war eine wahr ⸗ 
hafte Mutter, die das Leben für ihr Kind hingab; fie wußte, daß ein geiſtlicher Bau 
nur auf dem Kreuze ruhen kann. 80 war der Tod die Vollendung ihres Lebens, 
beides ein Opfer für Gott. 

Wie fie es vorausgeſagt, wurde das ſchwierige Werk der Eingliederung ihres 
Rlofters bald nach ihrem Tode verwirklicht. Schon etwa 14 Tage [päter war die 


entſcheidung da. Doch dau; 


erte es noch bis zum St. Bene⸗ 


dintustage, bis das Breve 


ſelbſt aukam und der feier⸗ 


liche Akt der Eingliederung 
und Profeßübertragung ſich 
vollziehen konnte. Es war, als 
ob St. Benedikt felber feine 
neuen Töchter aufnehmen 
wollte. Hohe, heilige Freude 
ſchwebte an dieſem Tage über 
dem Haufe Gottes. Segnend 
ſchaute auch die verſtorbene 


Mutter auf ihre Töchter herab. 
Eine Granitplatte über dem 
eingang erzählt, daß an dem 
Orte, wo einſt der mächtige 
Kaiſer Rarl feine Pfalz beſaß, 
jetzt Bott ſelbſt feinen Palaſt 
gegründet und ihn St. Bene; 
dikt anvertraut hat; daß in 
ihm die Chöre gottgeweihter 


Jungfrauen dem Gamme fol» 


gend Lieder fingen. Darüber 
glänzt das Wappen der neuen 
Abtei: mit feinem Spruche, 


Super flumina præparavit eum« eine finnige Stilifierung und Symbolifierung der 
bandſchaft: die goldene, kreuzüberragte Gottesburg auf dem heiligen Berge, feſt 
gegründet über den unruhigen Gewäſſern der Welt. O. C. 


P. Maurus Rinter zum 60-jährigen Profeßiubiläum. 


m 5. April waren es 60 Jahre, daß P. Maurus Rinter die feierlichen Belübde ab- 
legte. Es iſt dies ein willkommener Anlaß. dem hochwürdigen Jubilar, der ſich 
um den Orden des hl. Benedikt große Derdienfte erworben hat, einige Zeilen zu widmen. 
einfach und ſchlicht iſt der äußere bebensgang. Geboren am 21. Februar 1842 
in Brünn (Mähren) trat Joſef inter im Jahre 1852 in das Symnafium feiner 
Daterftadt ein. Hier lernte er die Geſchichte des altehrwürdigen Benediktinerordens 
kennen und wurde für dieſen ſo begeiſtert, daß er bereits nach der ſiebten Klaſſe 
um Aufnahme in das nahe Benediktinerkloſter Raigern bat. Am 7. Auguft 1859 
wurde er von Abt Gunther Raliwoda als Fr. Maurus eingekleidet. Im Noviziate 
ſetzte er ſeine humaniſtiſchen Studien fort, ſo daß er im Juli 1860 mit ſehr gutem 
Erfolge maturierte. Am 5. April 1864 legte er die feierliche Profeß ab und emfing 
am 4. Juni 1864 die heilige Prieſterweihe. Im Oktober 1864 wurde P. Maurus 
Hk und zwei Jahre ſpäter Archivar des Stiftes, welche Ämter er bis in die 
üngſte Zeit verwaltete. 

Iberaus fleißig arbeitete P. Maurus in feiner Stellung als Bibliothekar und 
ürchivar. Der Bücherſchatz erhöhte ſich unter ihm von ungefähr 28000 Bänden 
auf 85000; er richtete durch Anlage von Katalogen die Bibliothek modern ein, fo 
daß Raigern in dieſer Beziehung den großen Alöftern kaum viel nachſteht. Don 
feiner Tätigkeit als Archivar zeugen die verſchiedenen Artikel und Schriften, die der 
Jubilar im Paufe der Zeit verfaßt hat. Es ſei nur das Buch: »Vitae monachorum« 
erwähnt, das die Biographie aller feit 1613 verſtorbenen Mitbrüder aus Raigern 
enthält, eine emſige, Fleiß und Talent beweiſende Arbeit. — Aber auch über Rai⸗ 
gerns Kloſtermauern hinaus erſtreckte ſich feine Wirkſamkeit. Bor dem Jubeljahr 
1880 tagte in Melk eine Derfammlung von Ordensbrüdern, die ſich über die Dor- 
bereitungen zur Feier der 1400. jährigen Wiederkehr des Geburtstages St. Benedikts 
berieten. Der anweſende Bibliothekar von Raigern machte den Vorſchlag, eine 


224 


Ordenszeitfchrift zu gründen. So entftanden (1880) die „Studien und Mitteilungen 
aus dem Benediktinerorden”, deren Redakteur B. Maurus durch 32 Jahre war. 
Welcher Wertſchätzung ſich der Jubilar im ganzen Orden erfreut, geht daraus her: 
vor, daß er im Jahre 1900 vom Kolleg St. Anfelm zum Ehrendoktor der Philoſophie 
ernannt wurde. Trotz all diefer Arbeiten half P. Maurus immer gern im der Seel: 
forge aus. Beſonders in jüngeren Jahren war er als Prediger bei verſchiedenen 
Anläſſen tätig. Der eifrige Prieſter wußte auch Laien für das kloſterleben zu be⸗ 
geiftern. und mehr als eine Uonne verdankt nächſt Gott ihm ihren Eintritt in ein 
Kloſter. Kirche und Staat haben durch zahlreiche Ruszeichnungen das Wirken dieſes 
tätigen Benediktiners gewürdigt. Doch vergaß P. Maurus nie, daß er in erfter 
binie ein Mönch des hl. Benedikt iſt. Über dem „Benediktinerfleiß” vergaß er nie 
den „Benediktinergeift“. 

60 gahre find ſeit der feierlichen Profeß verfloſſen. Manches hat ſich geändert. 
Mit tiefem Kummer ſah P. Maurus manches Unheil über fein Aloſter kommen. 
Denn die traurigen Ereigniffe der letzten Jahre machten vor der Kloſterpforte nicht Halt. 
Möge es dafür dem greifen Mönch vergönnt fein, in einer beſſeren Zeit das eiſerne Jubi- 
läum zu feiern. Wenn es aber einmal Abend werden will, dann möge ſich ihm jenes 
himmliſche bichtkloſter auftun, das alle Mönche umfaßt, die getreu nach der heiligen 
Regel gelebt haben. Fr. Aelted Pexa O. Ciſt. (Kloſter Heiligenkreuz, Wien). 


Siturgiſcher Rongreß in Mecheln 4.— 7. Aug. Nach der erfien „Liturg. Tagung“, 
7.— 8. Juni 1910 in der Abtei Mont Céſar (Cöwen), fanden 1912 in Maredfous, 1913 
in böwen „Liturgifhe Wochen“ ſtatt. Die für Auguſt! September 1914 angekündigten 
„Diturgiſchen Exerzitien“ verhinderte der rieg. Uach dem Waffenſtillſtand begann 
ein neues Leben. heuer, 1924 feiert die Göwener Abtei ihr 25. jähriges Gründungs · 
jubiläum; bei dieſem Anlaß ſoll vom 4.— 7. Auguſt in Mecheln, von wo ſeinerzeit die 
erſte Anregung ausging und wo Kardinal Mercier fein 50- jähriges Priefterjubiläum 
begeht, ein großer, durchaus praktifcher „Oiturgiſcher Kongreß“ ſtattfinden, der nichts 
geringeres anftrebt als eine Derbrüderung der franzöſiſchen und holländiſchen Träger 
liturgiſcher Beſtrebungen. Je ein Tag behandelt „Die religiöfe Unterweiſung durch die 
biturgie. Die Erneuerung des Pfarreilebens. Geiſtliches beben und Liturgie. Oiturgiſche 
Rünfte.” Geplant iſt eine Ausftellung kirchlicher Aunft und ein Choralkurs. Dom goſeph 
Areps, der Generalfekretär, Mont Cefar Löwen, ift zu weiteren Huskünften gern bereit. 


— — . —ů—ů 


Unſere Beilage gilt dem hl. Pirmin. Nach der Legende (Dita I Rp. 6—7 ARSS 
Nov. II pg. 38) hatte er ſich vom reichen Alemannen Sintlaz die Reiche nau für 
eine Aloftergründung erbeten. Der Grundherr hatte ihn gewarnt: fie ftarre von Se⸗ 
würm und keines Menſchen Fuß habe fie je betreten. „Dem Herrn gehört die Erde,“ 
hatte Pirmin geantwortet und „alles was darauf iſt,“ und ſchon den erſten Glaubens- 
boten hätte Gott die Gewalt verliehen, hinwegzuſchreiten über Skorpionen und gif- 
tiges Teufelszeug. Dann war er hinübergefahren auf die Inſel. Alsbald ſeien da die 
ſchauderhaften Weſen vor ihm gewichen und hätten ſich in den Bodenſee geſtürzt. 
Drei Tage und drei Nächte ſei deſſen Spiegel von ihnen bedeckt geweſen. Pirmin, 
fo erzählt die Legende weiter, habe dann die Inſel landͤſchaftlich und geiſtig in ein 
Paradies umgewandelt. — Mit betendem Munde und bebender Geſtalt ſchreitet der hei · 
lige auf unſerem Bilde machtvoll voran, Kreuz und Arummftab in den händen: ein 
ſinnreiches Symbol der Segnungen von Glaubenspredigt und chriſtlichem Mönchtum. 


2 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade, 
gedruckt und verlegt vom Kunſtverlag Beuron. 


Orcagna / Mariä Heimgang 


Relief am Tabernakel von Or San Michele zu Florenz 
Photographie: Rlinari, Florenz. 


225 


Mariens Gebensabend und ihr ſeliger Tod. 


Gedanken zum 15. Auguft. 
Bon P. Willibrord Derkade (Beuron). 


Mori mihi lucrum! — Sterben ift mir Gewinn! 


Is geſus am Kreuze ſtarb, war Mariens Dauf noch nicht vollendet. 
Sie mußte noch lange leben hier auf Erden, bis die junge Kirche, 
das Pflänzlein, das aus der offenen Seite Chriſti hervorgeſproßt war, 
ihrer entbehren konnte. Wir wollen ein wenig bei dieſem letzten Lebens- 
abſchnitt Mariens verweilen, um dann ihren ſeligen Tod zu preiſen. 
goſeph von Nrimathäa und Nikodemus nahmen mit Dorſicht und 
Ehrfurcht den Leichnam des herrn aus den Armen feiner Mutter und 
wickelten ihn in leinene Tücher. Darauf legten ſie ihn in das Grab. 
Wie innig dankbar muß Maria dieſen Männern geweſen ſein, be⸗ 
ſonders dem goſeph von Arimathäa, der fein neues Grab dem hei⸗ 
land ſchenkte. 

Das Evangelium ſpricht nicht davon, daß Chriftus nach feiner Auf» 
erſtehung auch feiner Mutter erſchienen ſei. Unſer natürliches Gefühl 
ſagt uns aber, daß dies wohl ſicher der Fall geweſen ift. Dielleicht 
hat Maria wie Magdalena den heiland nicht erkannt, bis der Herr 
das eine Wort ſprach: „Mutter“, nicht mehr „Weib“ wie noch vom 
Areuze herunter, ſondern: „Mutter“. Welche Freude, welches Glück — 
aber doch noch keine volle Freude und kein volles Glück! Dafür war 
die Todesſtunde Chriſti noch zu nah, dafür hatte die Todesnot, die 
Maria unter dem Kreuze mit ihrem Sohn durchlitten, noch zu tiefe 
Spuren in ihrem Herzen zurückgelaſſen. Manchmal wird wohl bei aller 
Freude ein tiefer Seufzer aus der Bruſt der ſchwergeprüften Mutter 
aufgeſtiegen ſein. Und welch eine Sehnſucht muß gerade in jenen 
deiten Maria nach dem himmel gehabt haben, welch ein Verlangen, 
aufgelöft und bei Chriſtus zu fein. Manchmal war wohl der Liebes- 
drang ihres Herzens fo heftig, daß fie den Sinnen entrückt wurde 
und in Verzückung geriet. Da mag Gott ſie wunderbar getröſtet und 
ihr wieder Mut zum Leben eingegoſſen haben 

Dann kam der Tag der Himmelfahrt des Herrn. Eine neue Freude 
für die Mutter, die nur an das eine dachte: das Glück ihres Sohnes, 
das Glück der erlöften Seelen, denen jetzt der himmel geöffnet wurde. 
Und darauf ſehen wir, wie Maria inmitten der Apoſtel die herab⸗ 
kunft des hl. Geiſtes erwartet. Es kommt der Tröfter, den geſus 
verſprochen hat. Er gießt auch über fie die Fülle feiner Gaben aus. 
Da ging das Wort Chrifti in Erfüllung: „Wer hat, dem wird gegeben 

Benediktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 7—8. 15 


226 


werden“, und da keiner ſo reich an Gnaden war wie die Mutter Gottes, 
erhielt auch keiner mehr als fie, und eine Gnade erhielt Maria be⸗ 
ſonders: die Kraft, zu lehren und zu lieben. 

Don nun an wuchs der Einfluß der Mutter des Herrn beſtändig 
und ihre Derehrung nahm immer mehr zu. War fie nicht die leben⸗ 
dige Überlieferung von geſu Jugendzeit und von all dem, was er 
getan und geſprochen hatte, bis er nach dem Willen des Daters fein 
öffentliches Leben antrat? hatte fie nicht alle feine Worte in ihrem 
Herzen aufbewahrt und erwogen? Und nun Chriſtus geſtorben und 
auferftanden war und der hl. Geiſt fie erleuchtet hatte, bekam ſo 
manches verhüllte Wort des Herrn erſt feinen eigentlichen, tiefen Sinn. 
80 konnte Maria aus der Fülle ſchöpfen und hatte vieles mitzuteilen 
und zu überliefern. Im übrigen fiel ihr wohl das Amt zu, überall zu 
vermitteln und manchmal auch zu verſöhnen und zu beſchwichtigen. die 
Jünger des herrn waren feurige Männer, und da tat manchmal wohl 
ein Wörtchen der weiſeſten Jungfrau und der Königin des Friedens not. 
Sicherlich wirkte ſchon ihre Gegenwart beruhigend und beſänftigend. 

Wie müſſen wir uns das innere Leben der lieben Mutter Gottes 
vorſtellen während der letzten Jahre, die fie auf Erden weilte? Jh 
meine, um davon einigermaßen einen Begriff zu bekommen, müſſen 
wir das heranziehen, was die Heiligen und die großen Meiſter des 
geiſtlichen Lebens über die höchſte Stufe der Beſchauung gelehrt und 
geſchrieben haben. Ich will verſuchen ein Bild zu geben von einer 
Seele, die bis zu jener höchſten Stufe emporgeſchritten iſt. Niemand 
erſchrecke jetzt; es kommt nichts Schweres! Auf dieſer Stufe wird dos 
Außerordentliche einfach, ja faſt natürlich. 

In einer ſolchen Seele wohnt im Tiefinnerſten ihres Geiſtes, gleich⸗ 
fam wie in einem Flammenmeer, die heiligſte Dreifaltigkeit: Vater, 
Sohn und Hl. Seiſt. Und die Seele erkennt, daß alle drei Perfonen 
nur eine Weſenheit, eine Macht, eine Weisheit und nur ein Bott 
find. Sie erkennt das aber nicht mit den Augen des Leibes oder 
mittelſt der Einbildungskraft, ſondern mit den Augen des Geiſtes. Das 
was der Heiland geſagt hat: „Wer mich liebt, wird mein Wort halten 
und mein Dater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen 
und bei ihm Wohnung nehmen“, das erfährt eine ſolche Seele an 
id) und in ſich auf handgreifliche Weiſe. Sie ſchaut Bott im Spiegel 
ihrer Seele, zwar nicht immer in der gleichen Klarheit, aber fie ver: 
liert nie das Gefühl feiner Gegenwart, auch nicht bei äußerer Tätig: 
keit. Sie gerät dadurch in vollkommene Dergelfenheit ihrer ſelbſt. Sie 
it ein Geift mit Gott geworden; nicht mehr fie lebt, ſondern Bott 


227 


lebt in ihr. Sie macht ſich keine Sorgen mehr, fie weiß, daß Gott 
ihre Angelegenheiten als die ſeinigen betrachtet. Wohl regt ſich bis⸗ 
weilen in ihr ein zärtliches Derlangen nach dem Himmel, fie will aber 
auch ganz gern noch auf Erden bleiben, wenn es Gottes Wille iſt 
und ſie den Seelen nützen kann. Sie hat nur einen Wunſch, ver⸗ 
einigt mit Bott zu fein und den Seelen zu dienen. Sie wird ſich 
immer mehr bewußt, was Gott alles für ſie getan hat, und das gibt 
ihr immer wieder neue Araft, für Bott zu wirken und für Gott zu 
leben. Sie ift nicht ohne kreuz und Leiden, doch ſtört das ihren 
Frieden nicht mehr. Es ſind ja nur kurze Stürme, die ſchnell ver⸗ 
gehen, dann tritt wieder Ruhe und Frieden ein. Eine ſolche Seele 
wird von Gott ſtändig erleuchtet, entflammt und zur Tätigkeit an- 
geregt und dann wieder in ihre Ruhe hinübergeführt. Ihr Leben 
verläuft im Wirken für Gott und im Ruhen in Gott, und das eine 
wird vom anderen nicht mehr gehemmt, ſondern ſtets gekräftigt. 

80 ähnlich muß die innere Derfaffung der Mutter des Herrn ge» 
weſen ſein. Sie war innerlich ganz beruhigt und ſtill und voll 
der Liebe zu Bott und dem Nächſten. 

Und wie war ihr Tod, ihr ſeliger heimgang? Es war ein ſchmerz⸗ 
loſes Sterben. Sie, die unter dem kireuze das herzdurchdringende 
Schwert gefühlt, die vollendete Todesnot mit ihrem Sohne gekoſtet 
hatte, ſollte nicht zum zweitenmal das Todesſchwert fühlen. Mariens 
Tod war ein Entſchlafen, ein einfaches Zurücktreten des ſinnlichen 
bebens, wodurch der Beift befreit ward und auch für den Leib ein 
beſſeres beben angebahnt wurde. 

Mariens Tod war ein Liebestod! Chriftus holte feine Mutter 
heim und lockte feine Braut mit Worten der Liebe, wie wir fie im 
hohenliede Salomos finden: 

erheb dich, meine Freundin, meine Schöne, komme bald! 

Dorüber ift die Winterszeit, der Regen ift vergangen. 

Schon zeigen ſich die Blumen, und der Gefänge Zeit ift da. 

O laß deinen Anblick mich genießen, o laß mich deine Stimme hören; 
Denn deine Stimme iſt fo füß, dein Anblick ift ſo liebevoll. 

Erheb dich, meine Freundin, meine Schöne, komm doch! 

Wer wird die Wonne ſchildern, die dieſe und ähnliche Worte in 
dem Geifte Mariens hervorriefen. Nun war alfo die Stunde des Wieder⸗ 
ſehens da. Sie war fo ganz ergeben geweſen in den Willen Gottes, 
ſo ganz die Magd des herrn, daß fie ihr Elend, ihre Derbannung 
nicht mehr ſo ſtark empfunden hatte. Aber da ſie jetzt eingeladen 
wurde zur Hochzeit des Lammes, da wurde fie ſchwach vor Liebe zu 
dem, der ihr Gott war und ihr Sohn zugleich. In der Liebe zu Chriſtus 

15˙ 


228 


wirkten bei Maria Natur und Gnade zuſammen. Stark war ihre Mutter⸗ 
liebe, das Werk der Natur, ſtärker noch ihre Gottesliebe, das Werk 
der Gnade. Auf einmal empfand fie ſo ganz, wo fie war und wo 
ſie nicht war. 

Wenn ein Schiff den hafen verläßt, dann werden nach und nach 
die Taue und kietten gelöſt, mit denen es am Ufer befeſtigt lag. Dann 
ſetzt es ſich in Bewegung, und für alle, die auf dem Schiffe ſind, ſcheint 
das Land langſam zurückzuweichen, mehr und immer mehr, bis es 
endlich ganz verſunken iſt im weiten Meere. 8o wurden auch die Bande 
allmählich gelöſt, die den Beift Mariens an ihren Körper gefeſſelt 
hielten, und langſam nahm der Beilt der Jungfrau-Mutter feinen Flug. 
Langfam, aber immer mehr verſchwand alles Irdiſche ihrem Blicke, 
bis er ſich nur noch von Ewigkeit und Ewigem umfloſſen ſah! Die 
engel ſtaunten und riefen: „Was iſt's, was dort heraufkommt aus der 
Wüſte gleich Rauchſäulen, wie Duft von Murrhe und von Weihrauch?“ 
Es war der Geift Mariens, der vom Feuer der Liebe verwandelt und 
verklärt gleich duftendem Weihrauch zum Himmel emporſtieg. Es war 
die Seele der ewigen Jungfrau, die ſich ſacht und ohne Gewalt von 
ihrem unverſehrten Leibe löſte, fo wie der Duft der Lilie feinem Kelche 
entſtrömt. Und die Erde ſandte ihre koſtbarſte Babe zum Himmel 
empor, weinend und ſchluchzend, aber in unendlicher Dankbarkeit, eine 
ſolche Frucht getragen zu haben. Maria war tot, aber durch ihre 
Liebe und Reinheit hatte fie den Sieg über den Tod davongetragen. 

Die du nie der Erde angehörteſt, 

ſondern immer voll des himmliſchen watſt, 
bitte für uns jederzeit, 

und in der Stunde unferes Todes. Amen. 


— TDßBœ dqkßL——ͤ' VVVUd-b»o- oc2ñd.LLL—ẽ doo MQBUd̃GRdQxůKu¶ßES V ñ!dͥ—o—d V—bNᷣN cꝙꝓæ⁊ x -—T—nᷣ—ÆKf——Y—YYÆ̃—E(Y—O— K— ẽddLf p ! nꝙ⸗xndũ 0 CCN „„„„„%%„%„%„%„%4% %%. „% 
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Blühende Rakteen. 


Ein Stachelkaktus, maffig, hochgewachſen, blüht in feiner Gottes: 
herrlichkeit mit prächtig aufgeſprungener, langer, leuchtender Blüte. 
Und ſieh, ein wunderſames Duften geht von dieſer Blüte aus, ſtark 
und lieblich, und durchzieht geheimnisvoll den weiten Raum. f 

Wer hätte das gedacht, daß ſolch ein ſchier häßliches Gebilde ſovie!l 
Schönheit in feinem Innern birgt! Und doch erblüht die wunderſame 
Blüte aus dem innerften Triebe des unförmigen Bemwädjles. 9 

Bald iſt die Pracht erloſchen. Wieder ſteht die Pflanze ſtill, und 
niemand ahnt ihr inneres Geben. Pflanze, ich kann dich nicht mehr 
häßlich ſehen. Pflanze, du bleibſt mir lieb: ich habe dich geſchaut in; 
deiner ſchönſten Zier. Geheimnisvolles Geben, bleib mir Symbol! 


229 
KRulturſchaffen und Chriftentum. 


Von P. Alois mager (Beuron). 
enn die Offenbarung in einer vom Glaubensleben getragenen 
Sittlichkeit der Einzelfeele wie der Bemeinfchaft ein ganz neues 
Ziel gewieſen hat, das über jede geſchaffene Natur hinausliegt, dann 
ſtellen wir uns mit Recht die Frage: Wie hat ſich der Einzelmenſch, 
der in der Gemeinſchaft der kirche die Offenbarung der Liebe durch 
den Glauben in feinem ſittlichen Derhalten auswirken läßt, zu den 
Rulturaufgaben der Menſchheit zu ſtellen: zu Aunft und Wiffen- 
(haft und zum wirtſchaftlichen Leben. Handelt es ſich hier nicht 
um Gebiete, die die Kirche vielleicht nicht gerade ausſchaltet, aber doch 
nicht fo bewußt pflegt, wie es intenfives Kulturſchaffen erfordert? 
biegt in der Abtötung, im Verzicht, den die Kirche predigt, nicht ſchon 
eine Derneinung der Natur mit Einſchluß des menſchlichen Leibes, die 
doch eigentlicher Segenſtand alles Kulturſchaffens iſt? Umgeſtaltung 
der Natur und der äußeren Lebensbedingungen, lichtvolle, logiſche 
Oroͤnung der äußeren Natur und der menſchlichen Lebensverhältniſſe 
betrachten Techuͤik, Kkunſt und Wiſſenſchaft als ihr eigenſtes Werk. 
Wenn wir uns erinnern an die eigenartige Einftellung des antik⸗ 
heidniſchen Menſchen, an fein ſchickſalhaftes Verflochtenſein in die 
Gemeinſchaft und Natur, fo werden wir begreifen, daß „Kultur“ die 
höchſte Leiftung der antik⸗heidniſchen Menſchheit war. Sie vergötterte 
die Natur. Ihr war Kulturſchaffen, wenn auch nicht gerade Kult, 
Bottesdienft, fo doch unmittelbar mit ihm verwandt. Ault und kultur 
floſſen aus einer Wurzel, ſtrömten demſelben Ziele zu. Das Chriften- 
tum verlegt den Schwerpunkt der Menſchheit aus der bloßen Natur 
in eine höhere, geiſtige, übernatürliche Welt. Das Chriſtentum iſt 
feinem Weſen nach naturabgewandt, mit dem Antlitz der Welt der Offen- 
barung zugekehrt. Dieſe Schwerpunktverfchiebung kann aber nur lang» 
ſam, organiſch vor ſich gehen. Wir ſehen denn auch, wie dort, wo 
dies nicht beachtet wurde, unter dem Einfluß des Chriſtentums die 
Dergötterung des Objekts in Dergötterung des Subjekts umſchlägt. 
Eine Betonung des Subjekts bis zur Verneinung des Objekts, wohin 
Renaiſſance und Reformation führten, iſt ebenſo unchriſtlich wie es 
die Derſklavung des Subjekts unter das Objekt im antiken Heidentum 
war. Das Chriſtentum will harmonie herſtellen zwiſchen Objekt 
und Subjekt, allerdings ſo, daß die Natur dem Geiſte, das Objekt 
dem Subjekt dient, nicht umgekehrt. Schon aus dieſer grundlegenden 
Tatſache folgt, daß die Kirche die Natur nicht verneint, alfo ihrem 
Wefen nach wenigſtens nicht kulturfeindlich fein kann. 


230 


noch mehr! Wenn das Chriftentum auch aus der übernatürlichen 
Welt des Geiſtes kommt und ſich an den Menſchen inſofern er geiſtig 
iſt wendet, fo ſchließt es damit die körperliche Erſcheinung der Menſch⸗ 
heit, die Natur nicht von ihrem Aktionsradius aus. Durch die Um⸗ 
geſtaltung der Seele ſtrebt das Chriſtentum auf eine Umgeſtaltung auch 
des Leibes, der in der Auferftehung teilnehmen ſoll am Leben und 
den Eigenfchaften des Beiltes. Ja, nach dem hl. Paulus geht dieſe 
Verklärung über auf die Außenwelt. Denn die ganze Schöpfung ſeufzt 
dem Tag des Offenbarwerdens der Kinder Gottes entgegen. Ein um: 
geſtaltendes Prinzip wirkt im Chriſtentum vom wahren We- 
fen der Gottheit her auf die geiſtige Menſchenſeele, von da 
auf den Leib und die lebloſe Schöpfung. Das Chriftentum, die 
katholiſche Kirche kann alſo ihrem Weſen nach nicht kulturfeindlich, 
fie muß vielmehr poſitiv kulturſchöpferiſch fein und das in einem ganz 
neuen, höheren Sinne. 

Und die katholiſche Kirche iſt kulturſchöpferiſch. Stehen aber damit 
die geſchichtlichen Tatſachen nicht im Widerſpruch? Trat mit dem Chriſten⸗ 
tum nicht eine Abkehr von der Welt, zum wenigſten eine Gleichgültig⸗ 
keit für alle Diesſeitskultur in die Erſcheinung. Um nur eines zu 
nennen: ſprach nicht gerade aus dem Leben derjenigen, die mit dem 
Chriftentum folgerichtig Ernſt machten, geradezu eine Derachtung alles 
Irdiſchen, vor allem auch des Leibes? Man weiſt auf die Däter der 
Wüſte, auf die Säulenſteher, die Einſiedler hin. Das Ordensleben, 
das doch eine berufsmäßige Verwirklichung der chriſtlichen Idee dar⸗ 
ſtellt, ſei aufgebaut auf dem Gedanken der Weltverachtung. Daß dieſe 
Behauptungen in der Nusſchließlichkeit, mit der fie vorgetragen wer⸗ 
den, nicht ſtimmen, läßt ſich geſchichtlich leicht beweiſen. War das 
Mönchtum, zumal das morgenländiſche, in ſeinen Anfängen, von einer 
einſeitigen Weltverachtung geleitet, fo zeigt das abendländiſche Mönch⸗ 
tum wie es der hl. Benedikt gründete, bzw. fo machtvoll förderte, 
deutlich, daß die Welt nur deshalb verneint wird, damit ſie im wahren 
Sinn bejaht werden kann. Wohl ſcheiden die Mönche St. Benedikts 
aus der Welt aus, aber nicht um in einſamen Höhlen ſich einem aus⸗ 
ſchließlichem Leben der Abtötung und Beſchauung hinzugeben. Sie 
ſchließen ſich zu einer vortrefflich organifierten Gemeinſchaft zuſammen, 
die ſich die römiſche Staatsform anpaßt. Es bildet ſich eine Welt, 
ein Staat im kleinen, aufgebaut auf den Grundſätzen des Chriſten⸗ 
tums. Nach der Benediktinerregel ſollen im kloſterbereich alle Werk⸗ 
ſtätten bis herab zur Mühle ſich befinden. Seine Klöſter bilden id 
ſelbſt genügende Semeinweſen. Die Tagesordnung iſt zwiſchen Gebet 


231 


und Arbeit fo eingeteilt, daß tagsüber möglichſt viel Zeit zur Arbeit 
bleibt. Es gibt keine Arbeit, die im Benediktinerkloſter nicht zu Ehren 
käme. 50 wurde gerade St. Benedikts Orden zu einem einzigartigen 
kiulturträger, der die Kulturſchätze vom Altertum ins Mittelalter hinüber⸗ 
rettete. Seine Klöfter wurden zu auserleſenen Aulturftätten. Schon 
allein der Benediktinerorden von der Gründung bis in die Glanzzeit 
des Mittelalters iſt alſo eine wirkſame Widerlegung der ſogenannten 
Aulturfeindlichkeit der Kirche. Wo wäre heute die europäiſche Kultur, 
wäre die Kirche nicht geweſen! 

Sobald wir das eigentliche Ziel der Kirche ins Auge faſſen und die 
Umſtände und Dorausſetzungen, an die fie anknüpfen mußte, kann 
über das Kulturverhalten der Kirche und jedes einzelnen kein Zweifel 
mehr beſtehen. Wir haben die antik⸗heidniſche Weltanſchauung bereits 
kennen gelernt. Die Außenwelt, die Natur iſt ihr das Ewig⸗ Bleibende, 
Söttliche. Ihr hat der Menfh ſich zu fügen. In der Gemeinſchaft 
hat der einzelne ewigen Beſtand und Fortdauer. Der Menſch hing 
mit allen Faſern am Objekt, an der Außenwelt. Das Subjekt war 
bedeutungslos. Die pſuchiſchen Tätigkeiten waren alle nach außen, 
auf das Objekt gerichtet. Nicht bloß das. Durch die Erbſünde war 
eine Unordnung in die menſchliche Natur gekommen. Wir haben be⸗ 
reits davon geſprochen. Die Kultur der alten Welt war in dieſem 
Bereich eingebettet. 80 hoch wir auch die antike kultur einſchätzen 
mögen, es laſtet auf ihr das Dunkel des Schickſals. Wir find ge» 
wohnt, nur die bichtſeiten dieſer Kultur zu ſehen. Und wir ſehen in 
fie unſere eigenen Jdeale hinein. Aber die Nachtſeiten dieſer Kultur! 
Diefe Abgründe von Derworfenheit, Menſchenentwürdigung, vollendeter 
Unſittlichkeit. Was menſchlich und natürlich gut war, nahm die Kirche 
in ſich auf, um es mit dem Sauerteig des Übernatürlichen zu durch⸗ 
dringen. Sie nahm das römiſche Recht, um ſich ſelber eine ge- 
ſicherte, natürliche Grundlage zu ſchaffen. Sie nahm die griechiſche 
Philoſophie, um durch fie dem Offenbarungsinhalt eine logiſch⸗ 
ſyſtematiſche Faſſung zu geben, ohne ihm den Charakter des Über⸗ 
natürlichen zu rauben. Sie eignete ih die kunſtformen der Antike 
an, um durch fie ihren Seiſt in die herzen der Menſchen zu tragen. 
War die Kirche auch nicht unmittelbar kulturſchöpferiſch, To gab fie doch 
dem menſchlichen Geiſt völlig neue, unerhörte Inhalte und Anregungen. 

Aus dieſem Beift heraus erhielten die alten Aunftformen ein ganz 
anderes Leben, das die alte Form nach und nach umbildete zu einem 
entſprechenden Ausdruck ihres neuen Gehaltes. Wir können es in 
der Entwicklung der Bauftile anſchaulich verfolgen. Auf Schritt und 


232 


Tritt gewahren wir hier die Coslöfung des Einzelmenſchen von dem 
naturhaften Zwang unter die Außenwelt, unter die Herrfchaft des 
Stoffes. Gewaltig hoch türmt der freigewordene Menſchengeiſt die 
Steinmaſſen in der Sotik empor zu einer Höhe, die beinahe einer 
Aufhebung der Schwerkraft gleichkommt. Es ift wunderbar zu ſchauen, 
wie die wuchtigen Steinmaſſen unter den Geſetzen des Geiſtes ſich 
auflöfen, man möchte ſagen, vergeiſtigen. Die Derfelbftändigung des 
Einzelmenſchen aber darf nie ſoweit gehen, daß ſie die bindende Macht 
des Objektes ganz verneint. Sie müßte ſich ins Chaos verlieren und 
von neuem in Unfreiheit geraten. In dem Augenblick überſchreitet 
die Entwicklung die Grenze, die das Chriftentum zieht. In Renaiffance 
und Barock offenbart ſich ſchon das gänzliche 8ichunabhängigmachen des 
Einzelmenſchen vor aller Bindung. Don da an nimmt die Kunſt einen 
unchriſtlichen Charakter an. Unchriſtlich aber iſt zugleich auch un⸗ 
natürlich, daher das Bizarre, Unausgeglichene der nachfolgenden Kunſt. 

Und wie war die Kirche kulturſchöpferiſch tätig auf ſozialem Be- 
biet! Sie erſt hat die Arbeit zu Ehren gebracht und ihr eine gewiſſe 
Würde, einen hohen Adel verliehen. Sie erſt zeigte, wie die Arbeit 
ein Ausfluß der Perfönlichkeit iſt, wie fie an Wert und Würde in dem 
Grad gewinnt, als der Sinzelmenſch in ihr feine Perſönlichkeit ent⸗ 
falten kann. Sie lehrte die Menſchen, wie fie auf der anderen Seite 
erſt in der Arbeit zur wahren inneren Freiheit, zur vollen Entwick⸗ 
lung der Perſönlichkeit gelangen. Die Arbeit wird zum mächtigen 
Hilfsmittel in der Miſſion der kirche, in der inneren Umwandlung der 
Einzelmenſchen und der ganzen Menſchheit. Sie konnte nicht mit einem 
Schlag die ſoziale Ordnung der Antike umſtoßen. Paulus tritt energiſch 
gegen jene auf, die aus dem Grundſatz der chriſtlichen Freiheit gegen 
die beſtehende ſtaatliche und ſoziale Ordnung ſich auflehnen! Jeder 
bleibe in dem Stand oder Beruf, in dem er zum Chriſtentum übertrat. 
Und doch zeigt ſich auch hier die umwandelnde Macht der Kirche, in⸗ 
dem ſie den Einzelmenſchen immer mehr verſelbſtändigte, ſeine Per⸗ 
ſönlichkeit zur Geltung brachte. Die Sklaverei wandelt ſich allmählich 
in Börigkeit um, und aus der Hörigkeit wird langſam Unabhängigkeit 
und Selbſtbeſtimmung. Wie überall, ſo kam es auch hier zu einem 
kritiſchen Punkt. Die Derfelbftändigung der Einzelmenſchen überſchritt 
die Grenze, artete aus in ſchrankenloſen Subjektivismus. Dagegen 
muß die kirche auftreten, weil ihre Miſſton gefährdet wird. Und die 
Welt von heute fühlt felber, daß der Subjektivismus zur Auflöfung, 
zur Gefährdung unferer ganzen Kultur, zum Untergang des Abend⸗ 
landes führt. Das Abendland wird nicht untergehen; ſeine Kultur 


233 


wird ſich weiterentwickeln. Tatſache aber ift, daß nur die Kirche 
jenes Element enthält, das eine Weiterentwicklung bewirken, das 
Abendland vom Untergang retten kann: nämlich jenen Gemeinſchafts⸗ 
gedanken, der die Einzelmenſchen zur vollen Entfaltung gelangen läßt, 
fie dabei aber fo bindet, daß fie nicht im Subjektivis mus ſich verlieren. 
Die eine große Aufgabe hat die Kirche erfüllt: fie hat den Einzel- 
menſchen erlöft von Naturzwang, vom Aufgefogenfein durch die antike 
Bemeinfhaft. Jetzt wird die Erfüllung des zweiten, viel weniger 
ſchwierigen, weniger langwierigen Teiles der Aufgabe einſetzen: Aus» 
geſtaltung der Gemeinſchaft, wie fie den innerlich verſelbſtändigten 
Einzelmenfchen entſpricht. Danach verlangt mit ungeſtümem Pochen 
unſere ganze Zeit. Sie wird nirgends anderswo die Erfüllung ihrer 
Sehnſucht finden als in der Kirche; denn nur die kirche trägt in ſich 
die Kraft zu dieſer gemeinſchaftſchöpferiſchen Tätigkeit. Im Zeitalter 
des ſchrankenloſen Individualismus war die kiirche rückſtändig; fie 
war es, weil ſie es ſein mußte. Und weil ſie es war, darum wird ſie 
in Jukunft an der Spitze marſchieren. Denn die Zukunft gehört der 
kirche. Alle diejenigen, die mit heiler meinen, die katholiſche Kirche 
hätte ihre Kraft erſchöpft, ſich ſelber überlebt, haben ſich irreführen 
laſſen durch die proteſtantiſche Auffaffung, als wäre die ſcheinbare 
Rückſtändigkeit der Kirche in der Zeit des Individualismus Schwäche 
und Unfähigkeit geweſen. Die Kirche hat in der Weltgeſchichte eine 
kulturſchöpferiſche Arbeit geleiſtet, wie ſie einzigartig, unvergleichlich 
daſteht. Wie erbärmlich nehmen ſich dagegen die Derfuche aus, die 
heute vielfach gemacht werden, den Buddhismus dem Chriſtentum eben⸗ 
bürtig an die Seite zu ſtellen! Laut wird es ausgeſprochen, daß der 
Buddhismus das Prinzip der Bruderliebe zuerſt aufgeftellt habe. Geben 
wir einmal zu, er hätte es getan — ich ſtelle es entſchieden in Abrede, 
daß er das Geheimnis der Nächſtenliede kannte — ſo blieb es bloße 
cheorie. Indien ſteht heute ſozial noch auf demfelben Niveau wie 
zur Zeit der Entſtehung des Buddhismus. Das Kaftenwefen legt heute 
noch ebenſo ſchwet die Ketten auf den Einzelmenfchen. Welch menſchen⸗ 
unwürdiges Daſein! 

Huch in der Wiſſenſchaft war das Chriſtentum bahnbrechend durch 
die Impulſe, die es dem menſchlichen Denken gab. Ich gehe nicht 
auf Einzelheiten ein. Nur folgendes möchte ich zur Erwägung geben: 
Wäre der Menfdy in der Naturgebundenheit geblieben, in die er im 
heidentum verfklant war, wie hätte er dann den Standpunkt ein⸗ 
nehmen können, von dem aus allein die neueren Wiſſenſchaften mög⸗ 
lich wurden. Dieſe Beherrſchung der Natur, wie ſie in der Wiſſenſchaft 


234 


und in der Technik der Neuzeit zum Ausdruck kommt, war nur mög: 
lich, weil der Menſch von der Natur erlöft und immer mehr auf feinen 
eigenen Geiſt geſtellt wurde. Erſt der geiſtig ſelbſtändige Standpunkt der 
natur gegenüber ermöglicht Naturbeherrſchung. Wenn auch die kirche 
mit dem Individualismus nicht die Grenze überſchritt, wo die Wiſſenſchaft 
in geiſttötendes Spezialiſtentum auszuarten beginnt, ſie war es, die 
die kraft zum Auffhwung der Wiſſenſchaften vermittelte. Es wäre 
intereſſant zu zeigen, wie die Umwandlung des phuſikaliſchen Welt- 
bildes genau der Umwandlung in der ſozialen Ordnung entſpricht. 
Auch die Geſchichts⸗ und Geiſteswiſſenſchaften im heutigen Sinn hat 
erſt der Geift des Chriſtentums geſchaffen. Nur in der Derſelbſtändi⸗ 
gung des Einzelmenſchen konnte jene Entfernung vom Menſchheits⸗ 
geſchehen gewonnen werden, ohne die innerer Zuſammenhang und 
Fortſchritt niemals geſchaut werden können. Auf allen Bebieten der 
kultur war die ktirche die Trägerin der Kraft, die den Fortſchritt ſchuf. 

Steckt aber in dem Vorwurf, es wäre die ktirche in ihrer Aſzeſe 
wenn auch nicht gerade kulturfeindlich, ſo doch kulturgleichgültig, nicht 
ein wahrer Bern? Die Einzelmenſchen und die Gemeinſchaft waren 
durch die Erbfünde in einer ungeordneten Weiſe in die Natur ver- 
flochten. Wir ſahen, wie die dreifache Luft den ganzen Menſchen be⸗ 
herrſcht und in dieſe Richtung zieht. Die große Aufgabe des Chriften- 
tums war es, die Menſchheit zunächſt von innen und außen her ſo 
zu feſtigen, daß fie, im gröbſten wenigſtens, dieſe erbſündige Richtung 
überwand. 5o ging viel Kraft der Kirche in dieſer negativen Arbeit 
auf. Und die erbſündigen Inſtinkte ſind in der Menſchheit ſo mächtig, 
daß einzelne Menſchen ihrer nicht anders herr werden konnten als durch 
den Verzicht auf den Gegenſtand der dreifachen Luft. Sie trennten 
ſich fo vollkommen wie nur möglich — ja verpflichteten ſich durch ein 
Gelübde dazu — von dem, was die böfe Luft reizen konnte. Sie 
verließen die Welt, die Familie, Beruf und Stellung im öffentlichen 
beben. Anders hätten fie das Ziel des Chriſtentums, die vollkommene 
Liebe nicht erreichen können. Nur im Hinblick auf dieſes erhabene 
Ziel erhielt ihre Feindſchaft gegen die Welt und den eigenen Leib einen 
berechtigten Sinn. Nie hat die ktirche in der Weltflucht, in der Er⸗ 
tötung des eigenen Leibes ein Ziel, ſondern immer nur ein Mittel 
geſehen. Wenn man nicht anders zur Beherrſchung der erbfündigen 
Triebe gelangen kann, iſt dieſes Mittel nicht nur erlaubt, ſondern über 
alles empfehlenswert. Solche Menſchen werden nur ſcheinbar der 
ktulturarbeit entzogen. Denn gerade in ihrem ODerzicht verfügt die 
kirche über Kräfte, die auf allen Gebieten kulturſchöpferiſch ſich 


235 


betätigen. Wären die Wüſtenväter, die Orden nicht geweſen, die 
Miffion des Chriſtentums hätte auch auf kulturellem Gebiet nie den 
großen Fortfchritt nehmen können. Die kirche kann niemals Aultur- 
beſtrebungen fördern, die zu neuen Reizmitteln der dreifachen Luft 
werden. Dagegen muß fie kämpfen, davor ihre Glieder ſchützen. Sie 
kann nie eine Aulturbewegung ſtützen, die zu ungerechten Beſitzver⸗ 
hältniffen, zur Lockerung der Sittlichkeit, zur Auflöſung der Autorität 
führt. Bier wird die Kirche „kulturfeindlich“, hier wird fie zu einem 
ehernen Damm gegen dieſe „Kulturwogen“, aber zum Segen der 
Menfchheit, zur Rettung der wahren Kultur. Sie will auch hier die 
rechte Beziehung zur Welt, zum eigenen Leib herſtellen im Sinn des 
Chriſtentums, daß nämlich das Stoffliche untergeordnet ſei. Bis die 
Kirche dieſes Ziel erreicht hat, wird fie häufig Zugeſtändniſſe machen 
müſſen. Sie wird vieles dulden müſſen, was nicht ihrem Geift gemäß 
iſt, nur um Schlimmeres zu verhüten. Die Umwandlung, die ſie in 
der menſchheit vollzieht, kann eben nur langſam, organiſch vor ſich 
gehen. 80 ließ die Kirche viele heidniſche Gebräuche beſtehen, ja 
knüpfte an fie an, erfüllte und heiligte fie aber mit chriſtlichem Sinn. 
Sie konnte es nicht hindern, daß ſich Chriſten ihnen mit noch mehr 
oder weniger heidniſcher Befinnung hingaben. Trotz alledem wirkte 
in ihnen der chriſtliche Seiſt. Anſtatt der kirche daraus einen Dor- 
wurf zu machen, müßten wir vielmehr ihr unvergleichliches pädago- 
giſches Geſchick bewundern. Auf jeden Fall bleibt es die größte Kultur- 
errungenſchaft, daß fie den Einzelmenſchen aus dem Naturzwang er⸗ 
löſte, die Quelle des Geiftes in ihm erfchloß. 

Wenn die Menfchheit aus dem Extrem des Individualismus wieder 
in die bindende Gemeinſchaft der ktirche zurückkehrt, wird die Einzel⸗ 
ſeele jene Selbſtändigkeit beſitzen, die ſie nicht mehr in die Sklaverei 
der Natur zurückfallen läßt. Dann könnte auch das Chriftentum mehr 
pofitiv feine Aufgabe verwirklichen, alles mit Liebe zu durchdringen 
und in Liebe umzuwandeln. Nicht Weltflucht, ſondern poſitives Auf- 
ſuchen der Welt, um alles mit dem Geift der Liebe zu erneuern und 
zu verklären. Rein Gebiet menſchlichen Dafeins und Wirkens ſoll es 
mehr geben, wo die werktätige Liebe nicht vordrängte. Überallhin 
ſoll die Liebe dringen. Es wurde früher bereits gefagt, daß beſon⸗ 
ders feit dem 16. Jahrhundert, vor allem ſeit dem hl. Franz von Sales, 
das Leben der chriſtlichen Vollkommenheit mitten in der Welt ſich 
immer mehr heimiſch macht. Poſitive Weltdurchdringung hat ſich das 
Frömmigkeitsleben zum Ziel geſetzt. 

Aus allen Aulturgebieten hat ſich die Entwicklung in den ſchranken⸗ 


236 


loſen Individualismus, in unfruchtbare Dereinfamung verirrt. Überall 
ertönt der Ruf nach einer überſinnlichen, höheren, geiſtigen Welt. Es 
gibt aber nur eine wahre geiſtige Welt, das Reich der Liebe, das 
nur im Glauben erſchloſſen werden kann. Für das Kulturverhalten 
des Einzelnen in der Kirche lautet die entſcheidende Frage: kann es 
überhaupt eine Kultur geben, die ihre ſchöpferiſchen Kräfte unmittel- 
bar aus der Liebe zieht? Muß die Kultur nicht als ein Gebiet des 


rein natürlichen Könnens betrachtet werden, von dem die Übernatur 
ſorgfältig zu ſcheiden iſt? Oder wird auch hier die Vollendung darin 


beftehen, daß ſich Natur und Übernatur zur innigſten Einheit ver⸗ 
ſchmelzen, ohne ſich gegenfeitig aufzuheben? Wäre alfo eine Wiſſen⸗ 
ſchaft denkbar, wo der Gegenſatz zwiſchen Glauben und Wiſſen ſo 
ausgeglichen iſt, daß die Dernunft vom Standpunkt des Übernatüt⸗ 
lichen, von dem der Liebe aus alles betrachtet? Ein ſolcher Stand- 
punkt liegt nicht nur im Bereich des Möglichen, ſondern muß in dem 
Augenblick Wirklichkeit werden, wo die Einzelmenſchen das Gebot der 
biebe in ſich und in der Semeinſchaft verwirklicht haben. Wiſſen⸗ 
ſchaft iſt eine Sache des Standpunktes. Das hat die moderne Wiſſen⸗ 
ſchaftsentwicklung tatſächlich gezeigt. ge vollkommener der Stand⸗ 
punkt ift, umſo vollkommener kann der Juſammenhang der Dinge 
und des Geſchehens begriffen werden. Wer von Liebe erfüllt überall 
nur Beziehungen der Liebe ſieht, dem muß die Schöpfung in ganz 
neuer Weiſe ſich offenbaren. Es würde die Natur nicht mehr in der 
antik⸗heidniſchen Stufenfolge erſcheinen, die vom Menſchen und der 
ſublunariſchen Welt zu den Fixſternſphären und von da zum unbe: 
wegten Beweger führt. Die ſichtbare Natur würde da nur die un⸗ 
terfte Stufe des Seins bedeuten. Don da würde man in das Geiltige 
der Menſchheit und von da in die Welt der Liebe emporſteigen. Das 
hätte zur Dorausfegung, daß Natur und Übernatur, Glauben und 
Wiſſen Einheit geworden ſind, ohne daß das eine durch das andere 
in ſeiner Eigenart aufgehoben wäre. Das ſind keine bloßen Phan⸗ 
taſien. Wer aufmerkſam die Entwicklung der Wiſſenſchaft verfolgt, 
wird zur Erkenntnis kommen, daß nur eines aus dem Chaos führen 
kann, in die die Wiſſenſchaften ſich zu verlieren beginnen. Darum 
der Ruf nach Erneuerung der Wiſſenſchaft aus der Erſtarrung und 
dem Spezialiſtentum zur großzügigen, alles zuſammenfaſſenden du: 
ſammenſchau der Dinge und des Geſchehens. Der kirche gehört die 
Zukunft der Wiſſenſchaft. Die Katholiken find mehr denn je zur poſi⸗ 
tiven Mitarbeit auf allen Gebieten des Wiſſens berufen. 

bäßt ſich auch eine Kunſt denken, die organiſch aus dem Geift der 


— 


237 


Liebe geboren wäre? Läßt ſich das Überſinnlich⸗Geiſtige überhaupt 
in ſinnlich⸗anſchauliche Formen bringen? Das ift der tiefſte Sinn des 
expreſſionismus und verwandter Richtungen, daß fie das Überſinnliche, 
innerlich Erlebte äſthetiſch zur Anſchauung bringen wollen. Gerade der 
Ezpreffionismus als unmittelbarfter Ausdruck der neueſten Entwicklung 
zeigt, wie auch die Aunft an einem Wendepunkt angelangt iſt. Alle 
Begenftandsgebiete, aus denen die kiunſt ſchöpfte, find erſchöpft. Es 
bleibt nur noch das Überſinnliche, höhere, Geiſtige. Die moderne Welt 
aber hat den Weg dorthin verloren. Was ſie für Geiſt hält, iſt bloße 
Magie, darum das Magiſch⸗Bizarre des Expreſſionismus. Die Kunſt 
verliert ſich ins Chaotiſche. Es gibt nur einen Zugang in die wahre 
Zeiſtwelt, in das Reich der Liebe, den Glauben. Wenn der Glaube 
nicht die Seele des menſchlichen Schaffens und durch ihn die Liebe 
gleichſam zur zweiten Natur, zur Übernatur des Menſchen wird, geht 
die Kunſt in die Irre. Selbſtverſtändlich kann die Aunft Geiſtiges, 
Übernatürliches nie unmittelbar zur Darſtellung bringen. Sie müßte 
zur bloßen Sumbolik werden. Das iſt auch nicht gemeint, wenn wir 
von einer Wiedererneuerung der kunſt aus dem Geiſt der Liebe ſprechen. 
Ein ktünſtler, der feine ihm eigentümliche Begenftandswelt ganz aus 
biebe, als der Seele ſeiner Seele ſchaut, ſieht eben alles neu. Es ſtrahlt 
die biebe in fie hinein, und durch fie ſchaut er die Welt erſt in ihrem 
wahren Sein und ihren eigentlichen Formen. Denn die Seele der 
Schöpfung iſt die Liebe, aus der fie hervorging. Eine Wiedererneuerung 
der Aunft kann nur von ſolchen ausgehen, die das Leben der Kirche 
zu ihrem Leben gemacht haben. Nuch hier gehört die Zukünft der 
katholiſchen ktirche. 

Daß die Erneuerung des fosialen und wirtſchaftlichen be⸗ 
bens nur von der ktirche ausgehen kann, haben wir bereits geſehen. 
die allein birgt in ihrem Schoß die gemeinſchaftsbildende Araft, die 
geiſtig ſelbſtändig gewordenen, aber im extremen Individualismus 
wieder in Anechtfchaft geratenen ESinzelmenſchen zu der Gemeinfchaft 
zuſammenzubinden, die dem einzelnen die volle Entfaltung feiner Eigen- 
art gewährleiſtet. In der Arbeiterbewegung verlangt ungeſtüm eine 
große Menſchenmaſſe noch größere Selbſtändigkeit und Geltung ihres 
Eigenwertes. Die Cöſung kann niemals von dort kommen, wo fie 
Sozialismus und ktommunismus ſuchen. Dieſe führen wie der 
ſchrankenloſe Subjektivismus nur zu neuer Sklaverei. Der Ausgleic) 
zwiſchen Arbeit und Kapital kann wiederum nur von einer Gemein- 
ſchaft kommen, deren Glieder durch die Liebe zur Einheit verbunden 
ind. Nur die katholiſche Kirche ift als emeinſchaft auf dieſem Srund- 


— 


238 


ſatz aufgebaut. Wir ſahen bereits, wie fie allein der Menſchheit die 
Gemeinſchaft bringen kann, nach der fie ſich ſehnt. Was immer für 
ſoziale Theorien man auch erſinnen mag, ſie können das ſoziale Chaos 
nicht umwandeln. Nur die Liebe kann es. Das Geheimnis der Liebe 
iſt übernatürlich. Es kann nur im Glauben erfaßt werden. Nur eine 
Semeinſchaft, die auf Glaube und Liebe gegründet iſt, vermag die 
Liebe in die Einzelfeelen zur größtmöglichen Entfaltung zu bringen.— 


Wie man über die Frauenbewegung auch immer denken mag, 


foviel iſt gewiß, daß die Frau immer noch nicht jene Selbſtändigkeit 
beſitzt, die ihre Eigenart für Gemeinſchaft und Aultur voll auswertet. 
Niemals aber kann die Stellung der Frau, wie ſie viele Vertreterinnen 


der Frauenbewegung von heute als letztes Ziel anſtreben, die Göfung 


bringen. Denn fie wäre nichts anderes als ſchrankenloſer Individua⸗ 
lismus und eine mechaniſche Gleichſtellung mit dem Mann, eine Stö⸗ 
rung ihrer Eigenart, die gerade zur Beltung gebracht werden ſoll. 
nur aus dem Beilt der Liebe heraus wird dieſe Frage gelöſt werden. 
nur die katholiſche Kirche wird das entſcheidende Wort ſprechen. 
Charakteriſtiſch für unſere Zeit iſt, daß der Subjektivismus und 
Individualismus, der über die Grenze hinausſtürmte, die das Chriſten⸗ 
tum ihm zog, auf der ganzen Linie am toten Punkt angelangt if. 
Auflöfung ift die Folge. Nur eine Gemeinſchaft, die dieſe verfelbftän- 
digten Individuen in der Liebe zuſammenzuſchließen vermag, kann 
die Rettung bringen. Nur ſie iſt die Retterin vom Untergang, auch 
für die kultur. Ja fie wird eine Aultur begründen, zu der alle ihre 
Glieder un erfter Stelle beitragen müſſen. Aulturfhaffen auf allen 
Gebieten aus dem GBeift des Glaubens und der Liebe heraus muß 
unfere Cofung fein. Dann gehört auch die Zukunft der Kultur der 
Kirche. Und die in Liebe verinnerlichten Einzelmenſchen, die in der 
Einheit der Liebe die kirche bilden, find von innen heraus zu einer 
pofitiven £ulturarbeit, wie fie noch nie geleiftet wurde, berufen. Was 
der hl. Ruguſtin in feinem Gottesftaat ſchaute, wird empiriſche Wirklich⸗ 
keit in der katholiſchen ktirche: die in Liebe gegründete Gemeinſchaft. 


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Edelmenſch und heiliger. 


Religiöſe Innerlichkeit, ſittlicher hochſtand, intellektuelle Bildung, feeli- 
ſcher Adel, künſtleriſcher Sinn, ſoziales und politiſches Derftändnis, 
geſellſchaftliche Sewandtheit, geſchäftliche Tüchtigkeit, alles dies 
überragt und verklärt von der reinſten, uneigennützigſten Bottesliebe: 


das wäre der vollendete Menſch und der vollendete heilige. 
(Rus Rademacher, Dernünftiger Glaube.) 


239 


Die Bedeutung des Humanismus 
für die Ratholifche Erziehung. 


Don P. Adefons Widnmann (Augsburg). 


N" Orden St. Benedikts find zahlreiche humaniſtiſche Bymnafien 
anvertraut und die humaniſtiſche Bildung ſpielt in ihm eine größere 
Rolle als die realiſtiſche. M das nur Zufall? Beſchäftigt ſich der 
benediktiniſche behrer mit dem Altertum nur ſo wie mit irgend einer 
anderen Wiſſenſchaft? IM ihm die Frage: humaniſtiſche oder realiſtiſche 
Bildung Herzensangelegenheit oder bloße Zweckmäßigkeitsſache? Es 
wäre reizvoll zu unterſuchen, ob ſich in der Stellung des Benediktiner⸗ 
tums, der Schöpfung des Spätrömers Benediktus, zur Antike ein 
Unterſchied gegenüber der anderer Orden aufzeigen läßt. Ich halte es 
aber für notwendiger, hier zunächſt die Bedeutung des humanismus 
für die katholiſche Erziehung überhaupt einmal zu beleuchten. 

Was iſt für den heutigen Menſchen das Altertum? Für die Re⸗ 
naiſſance und die geſuitenſchule war es weſentlich Form, für uns 
heutige iſt es faſt noch mehr Inhalt. Was wir heute klaſſiſche Bil⸗ 
dung nennen, iſt etwas weſentlich anderes als das, was im 16., 17. 
Jahrhundert getrieben wurde. Das darf man nicht überfehen, fonft 
kommt man nicht an die Wurzel der Frage. Den alten humanismus 
hat die Kirche in ſich aufgenommen; hat fie auch den neuen aufge⸗ 
nommen, kann fie ihn aufnehmen? Damals war es eine Form, die 
man als Gewand, als Zier dem eigenen Weſen beigeben konnte, jetzt 
handelt es ſich um etwas anderes. Zwiſchen uns und der Renaiſſance 
liegt die zweite Wiederbelebung, der Neuhumanismus. Ja, wenn man 
die Auffaffung des Altertums bei den heute führenden Gelehrten 
ins Ruge faßt, möchte man — ſo ſtark ift fie von der Nuffaſſung vor 
etwa hundert Jahren verſchieden — faſt von einem dritten humanis⸗ 
mus reden. Immerhin iſt er aber mit dem zweiten ſo eng verbunden, 
fo ſehr aus ihm hervorgewachſen und keimhaft in ihm ſchon ent⸗ 
halten, daß wir beide Erſcheinungen zuſammenfaſſen wollen. Immer⸗ 
mehr iſt durch dieſe neuere Entwicklung das Altertum als eine zu⸗ 
ſammenhängende Aultur vors Auge getreten. Alles hat Leben und 
Farbe bekommen, was früher nur Merkwürdigkeit und Ruine war. 
humaniſtiſche Bildung heißt heute nicht mehr: die alten Sprachen 
verſtehen, die Grammatik handhaben können, erſt recht nicht dieſer 
Sprache ſich zu praktiſchen Zwecken bedienen, ſondern: einen Blick 
tun in das, was hinter dieſen Sprachen ſteht, hinter dieſer Kunſt, 


240 


hinter der griechiſchen Wiſſenſchaft. Die Frage: follen wir huma⸗ 
niſtiſch gebildet ſein, heißt heute: ſollen wir uns mit dem griechiſchen 
Beift auseinanderſetzen oder nicht? Ganz von felber iſt mir ſtatt „antik“ 
„griechiſch“ in die Feder gefloſſen; denn das iſt ein weiterer weſent⸗ 
licher Unterſchied zwiſchen dem alten und dem neuen humanismus: 
jener war vorwiegend lateiniſch, dieſer iſt griechiſch. Für jenen war 
Rom Mittelpunkt der Welt, für dieſen iſt Rom auf vielen Gebieten 
nur eine der vielen Stätten, die von Griechenland befruchtet find. Für 
die Erziehung heißt alſo die Frage: Sollen und dürfen wir unſere 
Jugend mit griechiſchem Beift durchdringen? 

Wir müffen uns darüber klar fein, dieſer Geift iſt eine Kraft von 
elementarer Größe. Er gleicht dem Feuer, das im Dulkan ſchlummert, 
er iſt darin wohl keinem Ding auf Erden ähnlicher als dem deutſchen 
Seiſt, der auch nicht ſoviel geliebt und gehaßt und gefürchtet wäre, 
wenn er nicht eine unheimliche, aller Feſſeln fpottende Naturkroft 
wäre. Hönnen wir mit dieſem Feuer umgehen, mit dieſem Geiſt, der 
die Beftalt des Prometheus gebildet, der in Nietzſche gewirkt, der 
dem jungen Schiller den Preis der Götter Griechenlands eingegeben 
hat? Griechiſch und heidniſch: find das nicht für die hl. Schrift gleich⸗ 
lautende Worte? Täuſchen wir uns nicht! Hier handelt es ſich um 
etwas viel Pockenderes als bei dem öden Materialismus, der den 
Reim des Todes ſchon im Antlitz trägt und die viele Arbeit, die man 
feiner Bekämpfung widmet, kaum verdient. Ein Häckel gewinnt ſeichte 
menſchen, gewinnt Maſſen, allerdings. Aber auf tiefere Geiſter, die 
ja dann doch wieder als Führer von überragendem Einfluß find, üben 
nietzſche oder Horneffer, Leute, die aus den Quellen Griechenlands 
getrunken und auf die Lieder Apollos und des Dionuſos gehört haben, 
eine ganz andere Wirkung aus. Indeſſen, wenn hier die Gefahr größer 


it, wenn es ſich um einen bedeutenderen Gegner handelt, fo iſt damit 


noch nicht geſagt, daß es ſich auch ſchon um etwas dem Chriftentum 
ſtärker Entgegengeſetztes handelt als im andern Fall. Vielmehr iſt es ja 
doch die Regel, daß gerade das Derwandte ſich abſtößt. Dom Materia- 
lismus zum Chriftentum iſt der Weg vielleicht leichter als von antik: 

heidniſcher Denkweiſe aus: der Materialiſt kommt zum Gefühl feiner 
beere und möchte fie füllen. Der andere aber hat in feiner Welt 
anſchauung ſchon ſo vieles, was ihn begeiſtert, daß er nichts höheres 
mehr zu bedürfen glaubt und die Türe verſchließt. Iſt hier das Ringen 

ſchwerer, ſo iſt es hier auch nötiger und lohnender. hier gilt es nicht, 
einen leeren, wüſten Erdſtrich zu gewinnen, den man erſt mühſam 
bewäſſern und beſiedeln muß: hier lockt die Eroberung eines reichen, 


241 


— 


wertvollen Landes. Hier handelt es ſich darum, Menfchen zu ge⸗ 
winnen, die ihrer eigenen Herrlichkeit zwar gar zu ſicher ſind, die 
aber auch wirklich viel eigene Herrlichkeit in ſich tragen. Hier ſteht 
Beift gegen Beift, Sottesgeiſt gegen Menſchengeiſt, der ja nach Gottes 
Ebenbild geſchaffen iſt, der nur dadurch irrt — ob verſchuldet oder 
unverſchuldet, ſpielt hier Reine Rolle — daß er ſich der Quelle feiner 
herrlichkeit nicht oder nicht klar genug bewußt iſt. 

Das Chriftentum weiſt über den Menſchengeiſt hinaus, aber es 
leugnet nicht ſeine Herrlichkeit. Es leugnet auch nicht die Herrlichkeit 
des Menſchen an ſich, im natürlichen Zuſtand, ohne die Gnade. Der 
Stand der „bloßen“ Natur hat nach kirchlicher Lehre niemals wirklich 
beftanden. Aber der Stand der „gefallenen“ Natur iſt ja in feiner Er⸗ 
ſcheinung von dem der reinen Natur nicht wie vom Stand der gnaden⸗ 
haft „erhobenen“ Natur weſentlich verſchieden. Daher iſt es denkbar, 
daß unter beſonders günſtigen Derhältniffen auf Erden ein Zuftand 
vorkommt, welcher an den Stand der bloßen Natur, der in ſeiner 
Reinheit ſozuſagen ein Grenzfall iſt, nahe herankommt. Und es ſcheint, 
daß Sott, der ja der Bott der Natur wie der Gnade iſt, gerade über 
das Sriechenvolk den Segen feiner natürlichen Saben in einem 
ſolchen Maße ausgeſchüttet hat, daß man fie für das natürliche Bebiet 
als das „auserwählte Volk“ bezeichnen könnte. Dielleicht kommt das 
manchem übertrieben vor: aber der ganze Zauber dieſer einzigartigen 
Welt erſchließt ſich nur allmählich dem, der mühſam in ſie eindringt. 
Es iſt keineswegs bloß die ktunſt des Wortes und der Hand, was 
hier die Bewunderung des Betrachters weckt. Das Großartige an ihm 
iſt gerade die Fülle von beben und Herrlichkeit auf den verſchiedenſten 
Bebieten. Bier ſprudeln die Quellen unſerer Wiſſenſchaften, der Natur⸗ 
wiſſenſchaft und der Mathematik ſo gut wie der Philoſophie und Philo⸗ 
logie. Don hier empfängt unſer politiſches Denken mächtigſte Antriebe. 
Die Vertiefung in die Welt der Griechen iſt alfo geeignet, dem men⸗ 
ſchen einen Begriff von der Herrlichkeit der bloßen Menſchennatur zu 
geben. Die Frage iſt nun wiederum: Sollen wir unſerer Jugend zu 
dieſem Einblick verhelfen, oder iſt er für ſie zu gefährlich? Sollen 
wir unſern knaben und günglingen zeigen: das kann der Menſch 
leiſten aus eigener £raft, oder ſollen wir fie nur darauf hinweifen, 
wie menſchliche Kraft zum höchſten zu ſchwach iſt? 

Die heutige Altertumswiſſenſchaft ſieht vielfach gerade darin das 
erziehende der klaſſiſchen Bildung, daß ſie den Menſchen zur Freiheit 
von menſchlicher und kirchlicher Bindung führt und auf ſich ſelbſt ſtellt. 
Dieſer Geift iſt für den kirchlich erzogenen Jüngling, der an die hoch⸗ 

Benebiktiuiſche Monatſchriſt VI (1924), 7—8. 16 


242 


ſchule Rommt, etwas Neues. Er bereitet ihm nicht ſelten ſchwere Stun⸗ 
den. Schwierigkeiten für den Glauben entſtehen nicht allein oder auch 
nur vorzugsweiſe aus den Einwänden der Naturwiſſenſchaft; die Aus- 
einanderſetzung, namentlich auch die grundſätzliche, mit den Geiltes- 
wiſſenſchaften iſt ungleich wichtiger. hier handelt es ſich nicht um 
Stimmen, die ſagen: du brauchſt nicht zu glauben, du kannſt es dir 
bequem machen, ſondern um ſolche, die dem jungen Menſchen zurufen: 
du haſt es bisher bequem gehabt in deiner kirchlichen Bindung: du 
warſt im Treibhaus, jetzt ſollſt du heraus an die friſche Luft. Du 
darfſt dich jetzt rückhaltlos dem als richtig Angeſehenen hingeben, du 
brauchſt nicht mehr den Dogel⸗Strauß ſpielen. Wir verſprechen dir 
kein angenehmes beben. Im Gegenteil: wir führen dich in alle Qualen 
des Zweifels. Aber wenn du mutig biſt, offenen Auges vorwärts⸗ 
gehſt, kommſt du einſt zur Ruhe des Mannes, der ſich eine Über⸗ 
zeugung ſelbſt erkämpft hat. Und dieſe Stimmen wirken um ſo ver⸗ 
wirrender, als es nicht angeht, einfach ihre Vertreter als böswillig 
und ſtolz, alſo als ſittlich minderwertig abzutun. Man muß die Glut, 
mit der ſich manche der reinen, freien Wiſſenſchaft hingeben und opfern, 
nachfühlen können, um die ganze Schwere dieſer Frage zu empfinden. 
Und dieſer Geiſt, fagen fie uns, iſt der Geift Griechenlands. Ich glaube, 
daß in der Tat etwas von Griechenlands Geiſt in ihnen wirkſam iſt. 
Und wir werden nur ſo zu einer uns befriedigenden Löſung kommen, 
wenn wir zweierlei unterſuchen, ob in dieſer Begeiſterung für die Frei⸗ 
heit, für die eigene Araft nicht ein berechtigter Kern liegt, den wir 
anerkennen, ja werten können, und ob es nicht etwas nur Zufälliges, 
von dem Berechtigten, das zugrunde liegt, Trennbares iſt, was bei 
dieſen Männern zur Ablehnung jeder „Kirchlichkeit“ führt. Es han⸗ 
delt ſich hier um den Gegenſatz „kirchlich⸗ unkirchlich“, nicht um den 
Gegenſatz „gläubig⸗ ungläubig“. Man beruft ſich auf die riechen und 
ſagt: Welch herrliche, freie Menfchen! Vielleicht können wir zugeben, 
daß ſie es waren, und ſelbſt, daß es für ſie ſo ganz recht war: aber 
folgt daraus ſchon, daß auch für uns jede kirchliche Bindung abzu⸗ 
lehnen iſt? Sie waren allerdings, möchte man ſagen, ſo unkirchlich 
wie möglich; unkirchlich im Sinn von kirchenlos, nicht widerkirchlich. 
Die Religion war Sache des einzelnen, der Familie und des Staates. 
Der Priefter vertritt den Stamm oder Staat vor der Gottheit. Don 
einer die ſtaatliche oder ſtammesmäßige Gliederung ſchneidenden, rein 
religiöfen Gliederung iſt kaum etwas zu bemerken. Die Religion iſt 
national. Damit hängt zuſammen: es gibt keine „dogmatiſche Bin⸗ 
dung“. Der Staat als äußere Macht kümmert ſich allerdings darum, 


| 243 


daß MM die äußern Pflichten gegen die Staatsreligion erfüllt. er 
pepraft „Bottlofigkeit* (coc BeH. Aber niemand ift da, der dem einzelnen 
für ſeine Sefinnung Dorſchriften machte, der ſich eine Gewalt über 
ſein Gewiſſen zuſchriebe. 

Kirchliche Bindung iſt für den Menſchen doch wohl nur unter der 
Dorausfegung ein Gut, daß er den Urſtand verloren hat, dabei aber zu 
übernatürlichem Ziel berufen if. Wäre er im urſprünglichen Gnaden⸗ 
Rand, fo wäre fie, mindeftens in diefer Form, kaum notwendig. Wäre 
er gefallen, aber nur zu einem natürlichen Ziel beftimmt, fo wäre fie 
wiederum nicht unbedingt notwendig, wenn auch infolge der Schwächung 
der natur von Nutzen. Die Bedeutung kirchlicher Bindung wird ſich 
für den einzelnen umſomehr verringern, je mehr ſich fein Zuftand dem 

Stand der reinen, nicht erhöhten, aber auch nicht geſchwächten Natur 
nähert, alſo eben jenem Juſtand, der zwar auf Erden nie ganz vor⸗ 
kommt, dem ſich aber, wie geſagt, unter beſonders günſtigen Um⸗ 
ſtänden der Menfch nähern kann, und dem ſich wohl das Griechen⸗ 
volk in feinen beſten Dertretern am meiſten genähert hat. Ebenfo 
it das Auseinanderfallen, das Nebeneinander von Kirche und Staat 
wohl bloß für den Stand der gefallenen und wiederhergeſtellten Natur 
das Segebene, während im Stand der reinen Natur wie im Urſtand 
das Natürliche das wäre, daß die ſtaatliche Ordnung zugleich auch 
Trägerin des Aultes it. Wenn wir das bedenken, werden auch wir 
uns an der freien Religion der Griechen freuen können: ſie iſt eben 
für ihre Derhältniffe etwas Butes. Wir ſehen deshalb die kirchliche 
Ordnung nicht als etwas Minderwertiges an: ſie iſt ja vielmehr das 
einem höheren Stand, dem der Erlöſung Angemeſſene. Wir ſehen aber 
auch die ktirchlichkeit nicht als das höchſte, als etwas Abſolutes an: 
auch fie wird aufhören, wenn der neue himmel und die neue Erde 
kommt. Wir müffen uns klar fein über den Maßſtab, mit dem wir 
die Antike zu meſſen haben: es iſt der der Natur, nicht der der Gnade. 
Und mit dem gleichen Maßſtab müſſen wir auch die Wiſſenſchaft, die 
Wiſſenſchaft jeder Zeit meſſen: fie ift etwas Natürliches, d. h. an ſich 
it fie das. In Wirklichkeit iſt ja die Wiſſenſchaft immer die Wiſſen⸗ 
ſchaft eines Menſchen, und daher wird der Zuſtand des Menſchen, 
ſeine Stellung zur Übernatur immer auch auf ſein Wiſſen abfärben. 
Aber wenn man ſich den Begriff einer Wiſſenſchaft an ſich bildet, fo 
muß man fie ih auf ihrem Bebiet frei und unabhängig denken. Sich 
dieſen Begriff der reinen Wiſſenſchaft zu bilden iſt nicht ohne Wert für 
die Erziehung; denn was unfere Jugend bildet, ift nicht fo ſehr das beben 
wie es nun einmal ift, mit all feinen Zufälligkeiten und £leinheiten, 

16* 


, 


244 


das find vielmehr die möglichſt rein aus ihm herausgefchälten kräfte. Eine 
davon iſt die Wiſſenſchaft. Wenn wir ſie ſo als reinen Begriff nehmen, 
dann ſollen auch wir fie als eine herrliche Bottesgabe anſehen, dann 
werden auch wir den Glanz, der von der freien Wiſſenſchaft ausſtrahlt, 
nicht als einen gottfeindlichen, ſondern als einen gottgewollten be: 
greifen. Dann können auch wir ihn nutzen. 

Nutzen aber wollen wir die Wiſſenſchaft nicht als etwas, das un⸗ 
verbunden neben der Übernatur ſteht, ſondern wir wollen bedenken, 
daß alle Werke Gottes eine Einheit ſind, in der aus Natürlichem das 
Übernatürliche herauswächſt und daher mit jenem ähnliche Züge trägt. 
Die recht verſtandene Wiſſenſchaft iſt nicht nur etwas mit dem Glauben 
verträgliches, ſondern ſogar mit ihm Derwandtes. Sie ift gleichſam der 
Fuß eines Berges, der aus der Region der Natur in die der ÜUbernatur 
anſteigt. Und da die Geiſteswiſſenſchaft ſich ihrem Begenftand nach näher 
mit dem Inhalt des Glaubens berührt als die Naturwiſſenſchaft, fo 
iſt gerade ſie als Führerin zum Glauben heſonders geeignet. 

Ahnlich wie der Glaube iſt auch die Wiſſenſchaft nicht eine bloße 
Tätigkeit des ſcheidenden Derftandes, ſondern fie verlangt auch andere 
ſeeliſche Kräfte des Menſchen, namentlich auch ſittliche. Wer in der 
Wiſſenſchaft wirklich aufbauen will, der muß ein ſittlicher Menſch und 
ein Künſtler fein. Es gibt auch eine ars credendi, „eine &unft zu 
glauben“, pflegte einer meiner Univerſitätslehrer zu ſagen. Ein junger 
menſch ſtürzt ſich in die Wiſſenſchaft. Im erſten Augenblick leuchtet 
alles ſo wunderbar ein, er lieſt dieſe und jene Abhandlung, und es 
ſcheinen ihm alle Schleier von den Dingen zu fallen. Aber bald er⸗ 
fährt er, daß es kaum etwas gibt, das nicht auch beſtritten wird. 
Er fängt an abzuwägen, Bründe gegen Bründe; aber oft möchte er 
daran verzweifeln, jemals zu einer Löfung zu kommen. Die Fülle 
der Wirklichkeit, die bei einer hiſtoriſchen Wiſſenſchaft wie der Alter⸗ 
tumswiſſenſchaft auf den Menſchen einſtrömt, droht ihn zu erdrücken. 
Die Jugend übt fo gern kritik, fie möchte alles in Zweifel ſetzen, 
was nicht mathematiſch bewieſen werden kann; jetzt erfährt ſie, daß 
ſie Unmögliches verlangt: ſie lernt ſich beſcheiden. Soll ſie nicht müder 
Zweifelſucht und damit der Unfruchtbarkeit verfallen, ſo kann nur 
eine Art Glaube helfen, ein Entſchluß, trotz mancher noch bleibender 
Bedenken, einer Anſicht den Vorzug zu geben. hier ift Aunft und 
Tugend, hier wirkt richtiges Gefühl und ſittliche Kraft. Dieſes „Blau: 
ben“ in der Wiſſenſchaft iſt nicht das theologiſche „Glauben“, aber es 
it doch mit ihm verwandt und daher eine Hilfe zu ihm. Praktiſch 
genommen iſt auch im übernatürlichen Gebiet der Weg für viele Men⸗ 


245 


[hen der: fie müſſen ſich mit einer moraliſchen Sicherheit begnügen 
und ihren Weg gehen. Das iſt nicht ſittlicher Mangel, ſondern Kraft. 
Wenn fie dann tapfer fortſchreiten, dann wird ihnen als Cohn immer 
größere Sicherheit zuteil. Etwas anderes: „Es gibt auch hier eine 
Bunft und Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens“, est quædam etiam nes- 
ciendi ars et scientia, fagt einmal 8. Hermann. Darin zeigt fi) 
die Wiſſenſchaft als ausgezeichnete Erzieherin zur Demut, Wahrhaftig- 
keit, Selbſtbeherrſchung. Der Menſch möchte wiſſen; es iſt ein Opfer, 
wenn er ſagen muß: in dieſem und jenem Punkt muß ich einfach 
anerkennen, daß ich hier nichts weiß. Ich darf mir nicht irgendeine 
böſung konſtruieren, die der Sache ſcheinbar gerecht wird, ungefähr 
gerecht wird: ſolang es mir nicht wohl iſt bei irgendeiner Oöſung, 
muß ich fagen: nescio, „ich weiß es eben nicht“. Wer ſich dazu nicht 
verſteht, deſſen wiſſenſchaftliche Tätigkeit mag blenden, aber ſie iſt 
zuchtlos und unfruchtbar. Und oft muß ich nicht nur ſagen: ich weiß 
das jetzt nicht, ſondern auch: ich habe mit den mir zur Verfügung 
Rehenden Mitteln keine Möglichkeit, die Löfung je zu erreichen. Es 
bieten ſich allerlei Dermutungen dar, es lockt, dies und jenes zu ver⸗ 
ſuchen; und doch weiß ich im innerſten herzen: auf dieſem Weg komme 
ich zu keiner Cöfung, genug andere haben es nutzlos erprobt. Dann 
heißt es auch darauf verzichten, auf ſolchem Weg weiterzugehen; denn 
es wäre rein verlorene Zeit und Mühe. Dieſe „unſt des Nichtwiſſens“ 
iſt die rechte demut. Wahre Wiſſenſchaft lehrt ſie. Oft wird gegen 
fie gefehlt. Gerade auch bei apologetiſchen Schwierigkeiten ift fie nötig. 
man muß auch hier ſagen können: ich bin ſo ehrlich und bilde mir 
nicht ein, das und das, worüber die gahrhunderte nachgedacht haben, 
in ein paar Stunden mit meinem eigenen Wiſſen und Können, wenn ich 
will, zu einer befriedigenden Cöfung zu bringen. Ich ſage offen: hier 
liegt eine Schwierigkeit. Ich glaube, daß fie gelöft werden kann; aber 
ich weiß einſtweilen keine Löſung. Vielleicht auch: unfere Zeit weiß 
keine Cöfung; wir müſſen Beduld haben; vielleicht bringen kommende 
Jahrhunderte Cicht in das Dunkel. 

Bumanismus und Chriftentum verhalten ſich wie Natur und Über⸗ 
natur, wie Anftieg und Gipfel. Der Berg braucht den Unterbau. „Der 
kopf darf nicht zu den Füßen ſprechen: Ihr ſeid mir nicht nötig.“ 
Die Übernatur baut auf der Natur auf, aber fie erſetzt fie nicht; eben 
weil fie ganz anderer Art if. Nuch bei einem Aunftwerk iſt die klom⸗ 
poftion etwas höheres als die Beftaltung der einzelnen Teile, aber 
fie erſetzt fie nicht. Gerade bei einer großartigen Rompofition iſt das 
berſagen im £leinen beſonders ſchmerzlich. Es gibt Menſchen, die 


246 


durchaus ihre Sache auf Gott geftellt haben, aber in ihrer Sorge um 
die Übernatur vergeſſen fie die Sorge um die Natur, und das macht 
ſich in ihrem ganzen Weſen ſchmerzlich geltend; es ſtößt ab, und ihre 
Dorbilölichkeit verliert ſehr an Araft. Man muß ſich mühfam das 
Schöne an ihnen herausſuchen, es wirkt nicht unmittelbar. Es iſt 
wie bei einem Gebäude: der Raum als ſolcher macht einen groß⸗ 
artigen Eindruck, aber die unbefriedigenden Einzelheiten ſtören einen 
umſomehr. Gerade im ſittlichen Leben iſt die Aufgabe der Übernatur 
nicht fo ſehr die, uns einzelne Dorfchriften zu geben, als uns anzu⸗ 
leiten, gleichſam den Seſamtbau richtig herzuſtellen, alles dem über⸗ 
ragenden Gottesgedanken einzugliedern. Die Einzelheiten dagegen 
kann uns oft die weltliche Moral ganz ausgezeichnet lehren. Was 
der bloßen Natur mangelt, iſt weniger die Erkenntnis und das Gefühl 
für das Sittliche als die Kraft, es durchzuſetzen. Die Natur und die 
Antike ſoll unſerer Jugend zunächſt Begriff und Gefühl für die har⸗ 
moniſche Bildung des Menſchen (xadoxayadia) geben, die dann ins 
Übernatürliche hineinwachſen ſoll. Es gibt freilich im Chriſtentum auf 
ſittlichem Gebiet vieles, was der Jugend leicht zugänglich iſt, leichter 
als der GBeift des Altertums. Aber es bleibt doch wahr, daß das 
Tieffte im Chriftentum etwas für die Jugend Schweres iſt, zu dem 
eine Dorftufe erwünſcht iſt. Denn das Tiefſte, wodurch ein chriſtliches 
Leben ſich von einem natürlich guten unterſcheidet, iſt doch wohl das 
Bewußtfein der Snaden⸗ und Erlöſungsbedürftigkeit. Und das liegt 
der Jugend fern. Jugend iſt Zeit der kraft, fie hat ganz natürlicher⸗ 
weiſe noch kein rechtes Derftändnis für die Demut. Das kann erſt 
die bebenserfahrung geben. Wir ſollten nie der Entwicklung vor⸗ 
greifen wollen. Derftändnis für die Gnade ſetzt das Gefühl der Be⸗ 
dürftigkeit voraus. Allzuſtarkes Betonen der Unzulänglichkeit des 
menſchlichen iſt bei jungen Leuten unnatürlich und angelernt. Daraus 
ergibt ſich die Wichtigkeit der natürlichen Moral für ſie. „Solange 
es bei ihrer Jugend nicht angeht, daß fie auf die Tiefe der Weisheit 
der Heiligen Schriften hören, wollen wir ſie in anderen, aber nicht völlig 
verſchiedenen Dingen, wie in einer Art Schatten⸗ und Spiegelbilder 
einüben“, ſagt St. Baſilius (Dom Lefen heidniſcher Schriften). 

Es handelt ſich hier um den weſensmäßigen Zuſammenhang 
zwiſchen antikem und chriſtlichem Beift. Dieſer ift wichtiger als der 
geſchichtliche. Wer bloß auf das Geſchichtliche achtet, für den iſt aller ⸗ 
dings die Antike auch von Bedeutung, aber mehr die ſpätere, helle⸗ 
nismus, Raiferzeit, Neuplatonismus. Er wird daher auch in der 
Schule ſolches betont wiſſen wollen. Wem das Weſentliche am her⸗ 


247 


zen liegt, und wer glaubt, daß es für die Jugendbildung nötiger ift, 
daß ihr klare Typen vor Augen ſtehen, als daß fie ſich um Verſtehen 
verwickelter geſchichtlicher Erſcheinungen — vergebens — abmüht, für 
den bleibt das wichtigſte am Altertum doch das, was man das Klaſ⸗ 
ſſche nennt. Unſer Ziel iſt die Einfügung der Natur in die Übernatur. 
Indem eine Fülle antiken Dorftellungsguts in die junge Chriſtenheit 
einſtrömte, iſt eine ſolche Einfügung wirklich geworden. Da aber die 
antike Welt nicht auf ihrem höhepunkt, ſondern in der Derfaliszeit 
dom Chriftentum ergriffen wurde, konnte dieſe Derbindung nicht an⸗ 
ders als unvollkommen fein. Unfere Aufgabe iſt es daher, daran zu 
arbeiten, daß ſie, wenn ſie von neuem entſteht, vollmommener werde. 
Würden wir auf die Spätantike das hauptgewicht legen, fo hieße das 
eine geſchichtliche Unvollmommenheit verewigen wollen. Wenn wir in 
der Übernatur das Unvergängliche betonen, fo ziemt es ſich, daß wir 
auch in der Natur das aufſuchen, was gewiſſermaßen etwas Unver- 
gängliches iſt. Es ift gerade eine Gefahr moderner Wiſſenſchaft, daß 
fe über dem Dorübergehenden, hiſtoriſchen, das Bleibende zu ver⸗ 
geſſen droht. Sie hat mit Recht die große Bedeutung des Relativen 
herausgeſtellt; aber gerade je klarer ſie das tut, umſomehr iſt zu hoffen, 
daß auch der Begriff des Abſoluten an kilarheit gewinnt. Und dann 
wird ſich zeigen, daß auch für uns heute noch im weſentlichen gilt: 
es heißt in der Jugenderziehung die zwei Höhepunkte der Übernatur 
und der Natur, Chriſtentum und Antike zu vereinigen. Und zwar iſt 
das etwas, was uns immer wieder als Aufgabe obliegt: das iſt 
nicht irgend einmal ſchon geleiſtet worden. So oft es geleiſtet worden 
it, iſt es nur unvollkommen geſchehen, in der Kirchenväterzeit, in 
der karolingiſchen, in der barocken. Rarl den Großen und den Barock 
hat man uns neuerdings als Vorbilder vor Augen geſtellt: fie find 
es inſofern, als ſie nach dieſem Ziel geſtrebt haben. Aber ſie haben 
es nicht ſchlechthin erreicht und können uns daher nicht ohne weiteres 
die endgültige Löfung bieten. Wir dürfen nicht zufrieden fein, ihre 
fortſetzer zu ſein, ſondern müſſen immer wieder zurück zu den Quellen. 


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In Joſef Wittigs Daterhaufe hing an der Wand der Stube ein Bild von 
Sottvater, der in feinen Armen das Kreuz hielt, daran fein Sohn geheftet 
war; darunter ftand: „Alfo hat Gott die Welt geliebt, daß er feinen ein ⸗ 
geborenen Sohn für fie dahingab“. Da dachte der Dichter bei ſich, als er 
noch klein war: „80 will auch ich die Welt von ganzem Herzen lieben, 
wenn Bott fie alfo geliebt hat“. — Tat er Unrecht daran, daß er frühzeitig 
begann, deshalb die Welt zu lieben? siehe „Das Schickſal des Wenzel Böhm.“ 


248 


Abtbiſchof Waldo, 


der Begründer des goldenen Zeitalters der Reichenau. 
a Don P. Emmanuel Munding (Beuron). 
(Schluß) | 

N‘ hochblüte der Reichenau. Abt Waldo hat die Blütezeit des 
wiſſenſchaftlichen Lebens auf der Reichenau begründet. Wollen 
wir feine Derdienfte um die Förderung des geiftigen Lebens der Inſel⸗ 
abtei richtig würdigen, fo müſſen wir notwendig kurz auch einen Blick 
werfen auf die Weiterentwicklung, die fein Bemühen unter feinen gleich⸗ 

gefinnten vier nächſten Nachfolgern im äbtlichen Amte nahm. 
Heito (806 - 822) war es, der Brimald und Tatto den Urtext der 
Regel aus der Nachener Vorlage für die Reichenau abſchreiben ließ; 
er war es auch, der ſeine eigenen Bücher der Abtei vermachte. Sein 
name überſtrahlt den Waldos. Er entſtammte einem vornehmen ſchwä⸗ 
biſchen Grafengeſchlechte, vielleicht dem der Nellenburger. Er war von 
ſchlankem Wuchs, beredter Zunge, ſcharfſinnigen Beiftes, von allſeiti⸗ 
ger Bildung und feinſter Befittung. Unter ihm ſtand die Reichenauer 
Schule auf ihrer Höhe, fo daß die Großen ihre Söhne dorthin ſandten, 
um fie für ihren ſpäteren Beruf als Bifhöfe und Regenten vorbilden 
zu laſſen. Selber glänzte er nach dem Zeugnis Walahfrids als Ge⸗ 
lehrter in der Wiſſenſchaft wie ein goldener Stern. Er war der Lieb: 
ling kiarls d. Br. wie feines Abtes und Erziehers Waldo, auf deſſen 
vorſchlag hin er um 802 - 805 vom Haiſer zum Biſchof von Baſel 
und 806 auch zu ſeinem Nachfolger auf der Reichenau beſtellt wurde. 
Er genoß auch ſonſt das Vertrauen des Baifers, der ihn 811 als Ge⸗ 
ſandten zu den Griechen auserſah. Zurückgekehrt beſchrieb Heito feine 
Reife in einem leider verloren gegangenen Reiſeberichte (Hlodoëporicon), 
der zu feiner Zeit und noch zwei Jahrhunderte ſpäter berühmt und 
hochgeſchätzt war; denn Hermann der Lahme hat es der Mühe wert 
gefunden, ihn eigens in ſeiner Reichenauer Chronik wie ein wichtiges 
Ereignis zu verzeichnen. Erlebald (822 - 838), der zweite Abt nach 
Waldo, vielleicht heitos Schweſterſohn, jedenfalls auch aus ſchwäbi⸗ 
ſchem Grafengeſchlechte entſproſſen, war ſchon als Siebzehnjähriger 
in Reichenau eingetreten und dort, offenbar von Waldo, dem Lehrer 
heito zur, Ausbildung übergeben worden. Später noch von einem 
Schottenlehrer, wahrſcheinlich wie erwähnt von Alkuin, glänzend aus⸗ 
gebildet, wurde Erlebald nachmals in feinem £lofter u. a. der Lehrer 
des mit ihm wohl nahe verwandten hl. Meinrad, mit deſſen Gebens: 
geſchichte die Gründung des Klofters Einfiedeln enge n iſt. 


249 


Wie Waldo war auch Erlebald ein großer Bücherfreund. Er ließ in 
Reichenau und St. Denis Bücher abſchreiben, und wohl zumeiſt unter 
feiner Regierung wurden der Reichenau viele, beſondeks gottesdienft- 
liche Bücher geſchenkt. Ru adhelm (838 — 842) hatte vor feiner Er⸗ 
hebung zum Abte ſelbſt Bücher geſchrieben und liebte fie ſehr. Auch 
er erhielt als Abt Bücher zum Befchenke; zudem brachten unter allen 
drei Abten viele Mönche und Priefter bei ihrem Eintritt Bücher mit, die 
wir zum Teil noch heute in Karlsruhe beſitzen. Walahfrid Strabo 
(842 — 849) endlich hat ſelbſt geſchriftſtellert und wertvolle Werke ver⸗ 
faßt, darunter das liturgiegeſchichtlich wichtige über Urſprung und 
Entwicklung gottesdienſtlicher Gebräuche ſowie das Leben des hl. Gallus. 
mit ihm findet die goldene Zeit der Reichenau ihren würdigen Ab⸗ 
ſchluß; denn nach ihm ſtand keiner mehr auf aus den Reichenauer 
Mönchen, der ihm an Belehrfamkeit gleihgekommen wäre. Unter ihm 
ſtarb auch Reginbert (846), der durch Jahre hindurch die Seele des 
Reichenauer Geiſteslebens geweſen war. | 

Mit der äußeren Bereicherung des Bücherbeſtandes erweitert und 
vertieft ſich in diefer Zeit Wiſſen und Bildung im Inſelkloſter. Auf 
allen Gebieten merkt man deutlich den Fortſchritt. So mehren ſich 
nicht nur die theologiſchen Werke, ſondern auch beträchtlich die hand⸗ 
ſchriften über Philoſophie und freie Künſte, ſowie heidniſche Dichtungen. 
Es gab Rätſel⸗Gedichte, Abhandlungen über Derskunft, Werke über 
Sternkunde, Naturwiſſenſchaft im allgemeinen, Bauwefen, Heilkunde, 
Deutfches Recht. Man las gern Weltgeſchichte, jüdifche, griechiſche, 
römiſche und deutſche Geſchichte, Chroniken und Geſchlechtsbuͤcher der 
alten Römer wie der neueſten Zeit der herrſchenden ktarolinger. Dabei 
ſind uns die ſorgfältig gearbeiteten Bücherverzeichniſſe leider nicht ein⸗ 
mal mehr vollſtändig erhalten und manche Werke bloß mit ſehr all⸗ 
gemeinen Ausdrücken bezeichnet wie 3. B. Bücher über Derfchiedenes. 
Wir dürfen darum ohne Bedenken noch eine gute Anzahl Werke hinzu⸗ 
rechnen und gelangen zur Überzeugung, daß ſich das geiſtige Leben 
der Reichenau zu ſchönſter Blüte entfaltet hatte, als ihr in Walahfrid 
der größte Belehrte vorſtand, den ſie je geſehen. Über dem Inhalt 
wußten die Reichenauer Mönche auch die künſtleriſche Geſtaltung zu 
würdigen und ſchriftſtelleriſche Ereigniffe der Vorzeit auch dann zu 
retten, wenn fie ſelbſt mit deren Anſchauungen und Grundſätzen nicht in 
allem einverſtanden ſein konnten. Das ſpricht für eine Geiſtesfreiheit 
und Weitherzigkeit, die ebenſo unſterblich ſind wie die Werke ſelber. 
Wahrlich, es iſt kein geringes bob für Waldo, ſolche Geiſtesrichtung 
in feinem £lofter angebahnt zu haben. 


250 


Waldos Derdienfte um Bottesdienft und mönchtum. Doch 
kehren wir zu dem Abte ſelbſt zurück. Seine Derdienfte erſchöpfen 
ſich keineswegs in feinem Wirken für die Wiſſenſchaft. Auch um die 
hebung des Bottesdienftes und den Glanz des Gotteshauſes, ſowie um 
Förderung des Mönchtums innerhalb und außerhalb ſeiner Abtei war 
er erfolgreich bemüht. Er ließ unter anderem den Altar des hl. Petrus 
in der Reichenau reichlich mit Silber verzieren. Das nötige Silber 
dazu hatte Odilleoz von Tours durch feinen Bruder Nuno auf die Infel 
geſandt. Einmal beſuchte er mit mehreren [einer Mönche das kloſter 
Schinen, das in einem Hochtal zwiſchen Unterſee und Rhein lag. Er 
wollte dort beten und verband damit, wie es [cheint, eine Difitation 
der Mönche und des Klofters. Hier traf er auch mit Egino von Hon⸗ 
ſtanz zuſammen, zu deſſen Sprengel Schinen gehörte. Als unabhängiger 
Abt ſcheint er zu dem Biſchof in gutem Verhältnis geſtanden zu haben. 
Egino nahm dort in feierlicher Form die Rekognition d. h. die kirch⸗ 
liche Prüfung der dorthin verbrachten Reliquien des hl. Marturers 
Geneſius vor. 

Auch in die Beftaltung der Mönchsliturgie ſcheint Waldo eingegriffen 
zu haben. Wenigſtens find uns zwei Belübdeablegungsformeln unter 
feinem Namen überliefert, die eine ſehr lang aber trotzdem nur zwei⸗ 
gliedrig, enthält nur die beiden Belübde der Beftändigkeit und des Be: 
horſams; die andere ganz kurz aber dreigliedrig, fügt noch das Gelübde 
eines ſittlichen Lebenswandels hinzu. Beide Formeln gehören dem Infel- 
kloſter an. Das Reichenauer Derbrüderungsbudy, das heute auf der 
Zentralbibliothek Zürich liegt, enthält fie und zwar in jenem Teile, 
der wohl um 989 - 960 geſchrieben wurde. Die zweigliedrige Formel 
hatte aus Flavigny ihren Weg nach Deutſchland, auch nach der Reichenau 
gefunden; fie war jedoch bei Anlegung des Gelübdebuches ſchon nicht 
mehr von praktiſcher Bedeutung; denn bereits die Namen der erſten 
Mönche ſtehen hinter der neuen, kurzen, dreigliedrigen Formel. In 
Reichenau hat man alſo wohl ſchon unter Waldo nicht mehr bloß 
„Beſtändigkeit und Gehorſam“, ſondern auch „ſittlichen bebenswandel“ 
gelobt, wie es die Regel gebot (fap. 58). Vielleicht war es Waldo, 
der die neue Formel, die der hl. Benedikt von Ainiane entgültig wieder 
eingeführt hat, in der Reichenau zur Beltung brachte. Nach dieſer 
Formel legten feine Mönche ihre Belübde folgendermaßen ab: „Ich 
N. N. verſpreche Beſtändigkeit, Bekehrung meiner Sitten und Gehor⸗ 
ſam nach der Regel des hl. Benedikt vor Bott und feinen heiligen“. 
50 wollte es die Regel: „Er gelobe bei der Aufnahme im Gottes: 
hauſe in Gegenwart aller Beſtändigkeit, klöſterlichen Tugendwandel 


251 


und Behorfam vor Gott und feinen Heiligen“. Die Reform der Profeß- 
formel hängt offenbar zuſammen mit der Einführung des reinen Regel» 
tegtes aus der Nachener Muftervorlage. | 

Derbrüdung mit St. Ballen. Wie es Waldo anſcheinend gelang, 
mit Egino, feinem einſtigen Gegner, ein gutes Derhältnis anzubahnen, 
fo trat er auch mit Werdo, feinem Nachfolger in St. Gallen, in freund⸗ 
ſchaftliche Beziehung. Waldo und Werdo ſchloſſen im Jahre 800 eine 
feierliche Gebetsverbrüderung miteinander ab, die beide kilöſter aufs 
engſte verband. Sie machte den Mönchen beider Abteien zum Geſetz, 
ſich gegenſeitig beim Tode ihrer Mitglieder Mitteilung zukommen zu 
laſſen und folgende Verpflichtungen auf ſich zu nehmen: 1. Sobald 
die Nachricht vom Tode eines Mönches eingetroffen iſt, leſen die Prieſter 
drei Meffen, die übrigen Brüder aber beten für ihn den ganzen Pfalter 
und feiern die Digilien (wohl eine Art Totenoffizium, wie es heute 
noch ũblich iſt); und alle ſollen gemeinſam ein Opfer darbringen. 2. Am 
fiebten Tage beten alle dreißig Pſalmen. 3. Am dreißigſten Tage leſen 
die Priefter eine hl. Meſſe, die Übrigen beten fünfzig Pfalmen. 4. Bei 
den üblichen Totenvigilien zu Beginn jeden Monats wird aller Ver⸗ 
brüderten und beſonders noch des Oetztverſtorbenen gedacht. Dabei 
bringen alle gemeinſam für jenen Derftorbenen und für alle zuſammen 
ein Opfer dar. Danach lieſt jeder Prieſter eine hl. Meſſe, die übrigen 
beten fünfzig Pfalmen. Außerdem ſoll jährlich am 14. November noch 
ein gemeinſames gahrgedächtnis der einzelnen Derftorbenen (des ver⸗ 
floffenen Jahres) ſtatthaben, und jeder Priefter ſoll drei Meſſen lefen; die 
übrigen Brüder beten den Pſalter; endlich findet noch die Vigil und 
ein gemeinſames Opfer ſtatt. Hier liegt uns die älteſte bekannte Der- 
brüderung vor, die St. Ballen mit einem anderen Kloſter einging. Die 
Einrichtung der Bebetsverbrüderung gelangte dann gerade im 9. Jahr: 
hundert zur hoher Blüte und voller Entfaltung. Vielleicht gebührt 
Waldo und Werdo das beſondere Derdienft, durch ihr Beiſpiel einen 
kräftigen Anſtoß zur Derbreitung und Beförderung dieſer echt chrift- 
lichen und mönchiſchen Einrichtung gegeben zu haben. Jedenfalls wurde 
diefe Tat der beiden UÜbte in beiden kilöſtern ſtets als eine Broßtat 
hoch in Ehren gehalten; das Andenken daran erloſch nie und führte 
zu einer zweimaligen Erneuerung dieſer Gebetsgemeinſchaft. Erſtmals 
wurde fie 945 unter Otto d. Br. durch die Abte Alawich von Reichenau 
und Bralof von St. Gallen erneuert, das zweite Mal 1145 unter 
Frideolus von Reichenau und Werinharius von St. Gallen. Man las 
dabei die Derbrüderung vom Jahre 800 in St. Sallen vor, wohin Abt 
Frideolus eigens gekommen war. 


252 


Don äußeren Begebenheiten auf der Reichenau unter Abt 
Waldo. Nicht viel iſt davon mehr zu erzählen. Ein Jahr vor dem 
Abſchluß der Bebetsverbrüderung in St. Ballen ſah Reichenau das 
Begräbnis eines Großen, deſſen name zu feiner Zeit hochgeprieſen 
war, des ſchon genannten edlen Grafen Gerold. Er war der Bruder 
der Rönigin hildegard, Schwager, Bannerträger und Ratgeber Karls 
d. Gr. und Bannerträger von Bayern. Der kirche treu ergeben, hatte 
er voll Glaubenseifer gegen die hunnen gekämpft. Wetti ſah ihn in 
feinem Befichte in großer Herrlichkeit den Marturern beigezählt, nach⸗ 
dem er im kiampfe gegen die hunnen am 1. September 799 gefallen 
war. Da er kinderlos war, hatte er große Stiftungen der Reichenau 
zugewandt. Aus Dankbarkeit wurde er von den Mönchen in der 
dortigen Marienkirche beſtattet. Waldo hat den edlen Mann ſicher 
gekannt und wohl auch Stiftungen von ihm zu Gunſten des Kloſters 
erhalten, wie bereits fein Vorgänger, Abt Petrus, die Gunft Gerolds 
und hildegards erfahren hatte. Wir dürfen das ſchon deshalb an⸗ 
nehmen, weil Gerold auf der Reichenau [eine Grabftätte fand, und 
gerade Wetti, Waldos Derwandter, ſein beben beſungen hat. 

Im nämlichen Jahre, in dem Gerold in Reichenau begraben wurde, 
fiedelte ein vornehmer Alamanne, Biſchof Egino von Verona, auf 
die Reichenau über. Karl d. Br. heißt ihn im Jahre 811 in einer zu 
Bunften der Reichenau ausgeſtellten Urkunde feinen lieben Derwandten. 
Genauer betrachtet war er wohl mit kiarl nur verſchwägert, aber ſehr 
wahrſcheinlich mit der aus ſchwäbiſchem Edelgeſchlechte ſtammenden 
Rönigin hildegard verwandt. Er befaß in Alamannien, feiner Heimat, 
3. B. im Oberamt Riedlingen in Württemberg, Güter, die er zum Teil 
an die Reichenau vergabte. Seiner Gewohnheit gemäß war er jetzt 
wieder in feine heimat gekommen; diesmal in der Abſicht, dauernd 
dort zu bleiben und nicht mehr nach Derona zurückzukehren. Er bat 
Waldo, den Abt der Reichenau, auf der Inſel wohnen zu dürfen. Es 
wurde ihm erlaubt, und er erbaute ſich nun (799) im Nordoſten Zelle 
und Kirche, errichtete eine Probſtei mit ſechs kianonikern und weihte 
die neue kirche zu Ehren der Apoftelfürften Petrus und Paulus ein. 
Durch feine Büter in Stand geſetzt, feine Stiftung vornehm auszu⸗ 
ſtatten, bereicherte er fie mit Bold, Silber und Edelſteinen, Kirchengerät, 
gottesdienſtlichen Gewändern und aller zum Gottesdienſt erforderlichen 
Jier, mit Büchern und vielen Reliquien. Er muß überhaupt gleich Waldo 
auch ein großer Bücherfreund geweſen ſein. Noch heute befindet ſich 
eine Egino⸗Handſchrift des achten bis neunten Jahrhunderts in der 
Berliner Staatsbibliothek. Nuch in der Reichenauer Büchereigeſchichte 


253 


trafen wir auf feine Spuren in den mutmaßlichen Egino-Bandfchriften. 
nach einem frommen Einfiedlerleben ftarb er am 27. Februar 802 
und wurde in feiner Stiftung St. Peter und Paul zu Reidenau- 
niederzell begraben. Sein noch erhaltenes Grab mit Inſchrift ſichert 
ihm auf der Infel ein bleibendes Andenken. Egon nennt ihn ſelig 
und behauptet, fein Grab ſei bis auf feine Zeiten durch Wunder ver⸗ 
herrlicht worden, und die Reichenauer gahrbücher wollen wiſſen, er 
ſei der beſondere Patron aller Fieberkranken bis auf den heutigen 
Tag. Es iſt gewiß kein Zufall, daß Egino ſich gerade zur Zeit, als 
Waldo Abt der Reichenau war, dorthin zurückzog. Mit ihm war er 
wohl ſchon in Oberitalien bekannt geworden. Waldo verwaltete ja 
das Bistum Pavia, der Hauptſtadt des Langobarden=Reiches, zu einer 
Jeit, wo Egino Derona innehatte. Beide waren Männer von den 
gleichen Jdealen erfüllt, beide wie ihre Stellung beweiſt, Vertraute 
Karls d. Br. Wohl 799 war es, daß Egino fein Bistum verließ, um 
ſich auf die Reichenau zurückzuziehen. Faſt um die gleiche Zeit, wahr: 
ſcheinlich um 800 — 801, hat dann auch der Abt der Reichenau von 
der Derwaltung des Bistums Pavia ſich freigemacht; denn 801 er⸗ 
ſcheint in Pavia ein neuer Biſchof, Johannes I., wenn die Biſchofs⸗ 
liſten verläſſig ſind. Bei ſeinem Freunde konnte nun Egino die letzten 
bebensjahre auf der ſchönen Bodenſeeinſel auf heimatlichem Boden, 
fern von den Sorgen des Birtenamtes in ſtiller Muße verbringen. 
Waren fie beide auch noch mit dem karolingiſchen Rönigshaufe ver- 
wandt oder verſchwägert, Waldo durch Karl, Egino durch Hildegard, 
ſo ſchlang dies ein neues Band der Freundſchaft um die beiden Männer, 
und es wäre dann doppelt verſtändlich, warum Egino gerade auf der 
Reichenau ſich zur Ruhe ſetzen wollte. — Das Beiſpiel Eginos wünſchte 
ſpäter unter Abt Walahfrid Biſchof Ratold von Derona, Eginos 
Nachfolger, nachzuahmen. Ruch er war Alamanne und mit karl d. Er. 
verwandt. Nach Verzicht auf fein biſchöfliches Amt ſehnte er ſich gleich 
feinem Vorgänger nach der Stille klöſterlicher Einfamkeit, erhielt aber 
die Zuſtimmung des Reichenauer Abtes, auf der Inſel zu wohnen, nicht. 
Doch durfte er ſich in ihrer Nähe anſiedeln. Ratold erbaute nun eine 
delle und Kirche zu Ehren des hl. Petrus. Aus der Zelle wurde nach- 
mals jene Stadt am Bodenſee, die heute noch feinen Namen trägt: 
Radolfzell. Trotz der abſchlägigen Antwort des Abtes wurde auch 
er ein Freund und Gönner des kloſters. Im Jahre 830 brachte er 
den Leib des heiligen Evangeliften Markus unter dem Decknamen des 
bl. Dalens und die Reliquien des hl. Seneſius auf die Infel. Er ſteht als 
Wohltäter im Reichenauer Totenbuch am 13. September; Egon ſchätzt 


254 


ihn ebenſo ein wie feinen Dorgänger Egino, wenn er von feiner Regie⸗ 
rung fagt: „Ein heiliger folgte dem Heiligen im Biſchofsamte“. 

Um die Wende des achten Jahrhunderts ſoll Waldo zuſammen mit 
dem Grafen Hhunfrid von Churrätien auf den dringenden Wunſch Karls 
d. Sr. eine Seereiſe nach Rorfika unternommen haben. Niemand wollte 
die gefahrvolle Meerfahrt wagen. Da erklärte ſich der Abt bereit 
dazu und bewog ſchließlich durch langes, eindringliches Jureden auch 
den Grafen, mit ihm die Gefahren der Reife zu teilen und den Wunſch 
des Raifers zu erfüllen, die heiligen Blut⸗ Reliquien abzuholen. Sie 
brachten dann, wie es heißt, viele Reliquien, darunter eine Ampulle 
- aus Onurſtein mit dem Blute Chrifti und einen Teil feines heiligen 
ktreuzes nach Sizilien. Im dortigen kiloſter St. Anaftafia wäre das 
heilige Blut von Harl d. Gr. abgeholt und für die Überbringung ſeien 
beide reich entlohnt worden. Auf einen wahren Bern dieſer in der 
Quelle des zehnten gahrhunderts noch des weiteren ausgemalten Er⸗ 
zählung weiſt die Tatſache hin, daß im gahre 799 ein Mönch von 
geruſalem im Auftrage des dortigen Patriarchen Hönig Earl viele 
Reliquien nach Nachen überbrachte. 

noch als Abt von Reichenau erhielt Waldo ein neues Zeichen kaiſer⸗ 
lichen Dertrauens. Er gehörte zu jenen auserlefenen Großen, denen 
ktarl die ſächſiſchen Beifeln in Obhut gab, die er zur Sicherung des 
Friedens von den Aufftändifchen verlangt hatte. In Alamannien waren 
es außer dem Abte der Reichenau nur noch die Biſchöfe von Baſel, 
Ronftanz und Augsburg, denen fie anvertraut wurden. Dieſe SGeiſeln 
waren ohne Zweifel ſächſiſche Edelinge, wohl aus den mächtigſten 
und edelſten Seſchlechtern des Landes. Sonſt wären uns ſchwerlich 
ihre Namen ſo ſorgfältig überliefert worden. Waldo hatte aus den 
Oſtfalen für Hernald, den Sohn des Suithard, aus den Engern für 
Ditmann, den Sohn des Osmann, aufzukommen. An Mittfaſten 
oder ſchon im Januar 802 ſollten die Beifeln in Mainz dem Kaiſer 
vorgeſtellt werden. N 

Stiftungen und Schenkungen. — die glänzende innere Ent⸗ 
wicklung und die guten Beziehungen zur Außenwelt brachten es mit 
ſich, daß der Abtei Stiftungen und Schenkungen von Gönnern zuteil 
wurden. 80 mehrte ſich unter Abt Waldo von ſelbſt auch der äußere 
Beſitz Reichenaus. Der uns ſchon bekannte Sraf Gerold bedachte 
die Inſelabtei reich mit Schenkungen, beſonders im württembergiſchen 
Oberland und Hohenzollern, aber auch in Baden, ſo 3. B. mit den Ort⸗ 
ſchaften Unlingen, Grüningen und Altheim im württembergiſchen Ober⸗ 
amt Riedlingen, ferner mit Tuttlingen, Nendingen, Mühlheim, Irren- 


ö 255 


dorf, Troffingen im Oberamt Tuttlingen, mit Dietfurt im Oberamt 
Sigmaringen, mit Stetten am kalten Markt im Bezirksamt Meßkirch. 
Biſchof Sgino ſchenkte für den Unterhalt feiner Stiftung St. Peter 
und Paul auf Reichenau-Tliederzell die Ortſchaften Dürmentingen, Of» 
fingen, Burgau, Dietelhofen und andere mehr im Oberamt Riedlingen. 
bon den Bücherſchenkungen haben wir ſchon geſprochen. Aber 
auch andere willkommene Baben brachten die eintretenden Biſchöfe 
und Prieſter mit ins kiloſter. Biſchof Lambert aus Italien brachte kilein⸗ 
odien, Biſchof Harterich aus Sachſen allerei Schätze und Güter, der 
Priefter Ansgar einen guten ktelch mit Patene. Die ſpäten Reichenauer 
gahrbücher wollen noch wiſſen, daß „viele Weltleute, Männer und 
vornehme Frauen, unter Waldo der ſeligſten Jungfrau von Reichenau 
Reihe, Patenen, mit Bold und Silber verzierte Meßbücher ſchenkten. 
8o blühte damals in Reichenau das Ordensleben aufs herrlichſte, und 
das Lob feiner Mönche war bei Rönigen und Fürſten hochgeſchätzt“. 


IV. Biſchof von Pavia und Baſel. 

Waldos Tätigkeit beſchränkte ſich nicht auf die Reichenau. Während 
er noch auf dem Infelklofter regierte, ward er von karl d. Br. zu 
einem höheren Amte berufen, ohne daß er dabei feine äbtliche Würde 
und Bürde hätte aufgeben müſſen. Im Jahre 774 hatte Karl das 
bangobardenreich erobert und dem großen Frankenreiche als ſelbſt⸗ 
ſtändiges ktönigreich angegliedert. Nun bedurfte er eines geeigneten 
Biſchofs für Pavia, die langobardiſche hauptſtadt. Er fand ihn in dem 
Abte der Reichenau. 8o wurde Waldo, wahrſcheinlich im Jahre 791, 
von Karl zum Biſchof von Pavia ernannt und auf dringende Dor- 
Rellungen des Bönigs bei Papſt Hadrian von dieſem in Rom wohl 
auch konſekriert. Wir haben oben ſchon erwähnt, daß aus dieſer Zeit 
ſeinebe ſonderen Beziehungen zu Egino von Derona ſich herleiten mögen, 
und daß er bereits um 800 — 801 die Verwaltung des Bistums in 
andere Hände legte. 

neben Pavia hat Waldo, ebenfalls noch als Abt der Reichenau, 
auf Wunſch Barls d. Br. auch das Bistum Baſel vor 802 verwaltet. 
Hanoniſch eingeſetzter Biſchof war er hier niemals; denn die älteften 
Biſchofsliſten kennen ſeinen Namen nicht. 

In beiden Sprengeln beſorgte er nur, wie der Bericht der Über⸗ 
tragung des heiligen Blutes nach Reichenau im zehnten Jahrhundert 
erzählt, die laufenden Geſchäfte, bis eigene Biſchöfe eingeſetzt wären. 
In beiden waren ſchwierige Aufgaben zu löſen. In Pavia erlaubte 
ſich die weltliche Behörde Eingriffe in die biſchöflichen Rechte. Schlimmer 


256 


noch ſah es in Bafel aus. Hier waren die kirchlichen Derhältniffe feit 
Jahrzehnten verwildert. Zucht und Ordnung waren abhanden ge⸗ 
kommen, Glaube und Sitte in Klerus und Volk nicht einwandfrei, 
Unterricht und Gottesdienſt. vernachläſſigt. Die ſeelſorgliche Tätigkeit 
ſtand nicht auf der höhe ihrer Aufgabe. Die kirchliche Rechtspflege 
ließ ſehr zu wünſchen übrig. Zur Ausrottung fo vieler und tiefein⸗ 
gewurzelter Mißbräuche bedurfte es der ganzen kraft eines einzelnen 
Mannes. Für Waldo war die baſt zweier Bistümer neben feiner Abtei 
Reichenau auf die Dauer zu ſchwer. Deshalb bat er Barl um Ab⸗ 
nahme der beiden Bistümer. Er fand Gehör. In Pavia erſcheint dem⸗ 
gemäß im gahre 801 der Biſchof Johannes; für Baſel wurde 802 
oder etwas [päter Heito zum Biſchof erkoren. Heito wußte mit ſicherem 
Blick und kluger Tatkraft, beſonders auch durch ſeine noch heute er⸗ 
haltenen 25 trefflichen klanons den Übeln zu ſteuern. 


V. Abt von St. Denis (806 — 814). 


Auch auf der blühenden Reichenau ſollte Waldo den Abtſtab nicht 
mehr lange führen. Karl d. Sr. fand es im Jahre 806 für angezeigt, 
den verdienten Mann in die Abtei St. Denis bei Paris zu berufen, 
die Waldo dann bis zu feinem Tode innehatte. Ohne Zweifel geſchah 
dieſe Derfegung nur in vollem Einverſtändnis mit dem Erwählten 
ſelbſt. Sie war eine ehrenvolle Beförderung und ein neues Zeichen 
Raiſerlichen Dertrauens. Karl wünſchte jedenfalls durch Waldo das arg 
herabgekommene St. Denis wieder in die höhe zu bringen. Daran 
mußte ihm viel gelegen ſein. St. Denis war die erſte Abtei ſeines 
weiten Reiches und hatte feit Jahrhunderten die Bunftbezeugungen 
der herrſcher erfahren. Überdies war es Grabſtätte der Merowinger 
und Rarolinger. hier falbte Papft Stephan die neuen herrſcher des 
Frankenreiches zu Rönigen und verlieh damals der Abtei das einzig» 
artige Vorrecht, ſich einen eigenen Biſchof weihen zu laſſen. Wer alfo 
zu St. Denis die Abtswürde innehatte, gehörte zu den bedeutenſten 
Prälaten des Reiches und übte demgemäß bei den lebenden Herrſchern 
einen hohen Einfluß aus, wie er der Hüter der toten in den Königs⸗ 
gräbern war. Wir ſehen denn auch in Waldo wie in feinen unmittel- 
baren Vorgängern und Nachfolgern nur Männer, die um ihrer per⸗ 
ſönlichen Bedeutung oder Derdienſte willen oder wegen Derwandtſchaft 
mit den Barolingern an dieſen Poſten berufen wurden. Dor Waldo 
regierte Abt Fulrad, einer der einflußreichſten Männer ſeiner Zeit 
(750 - 784), nach dieſem Maginar (784 bis etwa 792), von Karl als 
Geſandter beim Papſt, Rapellan und königlicher Sendbote verwendet, 


257 


dann der Cangobarde Fardulf (792 — 806), der die Abtei von Karl 
zum bohne für die Rufdeckung der Derſchwörung Pippins des Buck⸗ 
ligen erhalten hatte. 

Als ihm 806 Waldo nachfolgte, waren die Derhältniffe nicht darnach 
angetan, daß ſie eine ruhige Regierung verſprachen. Dürfen wir Ma⸗ 
billon glauben, ſo war die klöſterliche Zucht ſchon unter Fardulf ſo 
arg zerfallen, daß die meiſten Mönche die Regel St. Benedikts gar 
nicht mehr kannten und nicht wie Mönche, ſondern wie klianoniker 
lebten. Ob Mabillon aus der alten Quelle der Übertragung des heiligen 
Blutes geſchöpft hat? Nach ihr führten die Mönche ein derart welt⸗ 
liches beben, daß Waldo ſich nur mit Waffengewalt den Eintritt ins 
kapitel des ktloſters erzwingen konnte, dann aber, nachdem er ihren 
dbermut und Trotz gebrochen hatte, fie ebenſo durch feinen frommen 
Wandel zu gewinnen, wie durch ſeine weiſen Lehren und andauernden 
mahnungen zu bereden wußte, ſich ihm willig zu unterwerfen. Dieſe 
Schilderung von Waldos raſchen und guten Erfolgen in der Kloſter⸗ 
reform ift ohne Zweifel viel zu günftig ausgefallen. Tatſächlich waren 
ſie weder allſeitig noch auch andauernd. Der eine und andere, vielleicht 
eine ganze Partei, wie die Ereigniffe unter feinem Nachfolger nahe- 
legen, ſcheint ſich nicht recht in die unbequeme Ordnung der wieder⸗ 
eingeführten Regel hineingefunden zu haben. Der Derfaſſer der Miracula 
5. Dionysii, felbft ein Mönch von St. Denis, hat uns den Namen eines 
dieser widerfpenftigen Mönche zum Andenken aufbewahrt. Er hieß 
fliroardus und führte kein klöſterliches beben, ſondern übertrat die Regel. 

Unter Waldos Nachfolger, dem Erzkaplan Hilduin (814 oder 815 
dis 839), war dann die Zucht wieder vollends zerfallen. Indeſſen hat 
hd) Abt Hilduin um die Wiederherſtellung der Ordnung mit hilfe Raiſer 
Ludwigs, feines Bönners, ernſtlich bemüht. Er ließ eine Teilung der 
Rloftergüter urkundlich feſtlegen, damit die Mönche keinen Anlaß 
hätten, ſich zu beklagen und ſo die klöſterliche Ordnung umzuſtoßen. 
In anderen klöſtern ſah es damals nicht beffer aus. Um dem allgemeinen 
Übel abzuhelfen, griff man nun zu einem allgemeinen heilmittel. Die 
Hachener Synode von 817 erließ eigene Beſchlüſſe für die Erneuerung 
des benediktiniſchen Ordenslebens. Mit St. Denis insbeſondere be⸗ 
ſchäftigten ſich zwei Sunoden, die in den Jahren 829 und 832 in der 
Abtei abgehalten wurden. Abt hilduin war für die Reform. Zu ihrer 
durchführung wurden zwei Infpektoren aufgeftellt: der hl. Benedikt 
von Aniane ſelbſt, der die Seele ganzen Erneuerungswerkes war, und 
Abt Arnulf von Bermoutier. Doch gelang es auch jetzt nicht mit einem 
Male, in dem ganz verkommenen Rlofter die Benediktinerregel und 

Benebiktinifhe Monatfchrift VI (1924). 7—8. 17 


258 


die Zucht wiederherzuſtellen. Man fieht aus dieſen Derhältniffen, daß 
die Schuld des Mißlingens der Erneuerung nicht fo fat an den Abten 
Fardulf, Waldo und hilduin lag, als in dem damals en all⸗ 
gemeinen Verfall der Ordenszucht. 

Sonſt hören wir recht wenig von Waldos Tätigkeit i in St. Denis. 
Außer den äbtlichen Rechten wird er wohl auch die biſchöflichen aus⸗ 
geübt haben. Wenigſtens nennt ihn die früher erwähnte Pfäverſer 
Urkunde von 807 ausdrücklich Biſchof und Abt von St. Denis in 
Paris. Es liegt überhaupt nahe, zu glauben, daß Karl d. Gr. dem 
Abt der Reichenau nach ſeinem Verzicht auf Paris und Baſel gerade 
wegen feiner biſchöflichen Würde die Abtei St. Denis übertragen hat. 

Daß der Kaiſer ihm auch in feiner neuen Stellung gewogen blieb, 
geht aus dem Briefwechſel hervor, den er mit ihm unterhielt. Er“ 
verlangte brieflich durch Abt Waldo von dem gelehrten Rekluſen Dun⸗ 
gal aus St. Denis eine Erklärung über die doppelte Sonnenfinfternis 
am 5. Juli und 30. November des gahres 810. Dungal ſeinerſeits gab 
die erwünſchte Erklärung in einem langen Schreiben und ſandte dies 
gleichfalls durch Waldo an den Raifer, der auch noch im ehrwürdigen 
Greiſenalter die jugendliche Freude an Wiſſenſchaft und Aunft nicht 
verloren hatte. Übrigens war man für aſtronomiſche Fragen am hofe 
überhaupt beſonders eingenommen. 

Seine alte Dorliebe für Handſchriften hat Waldo in St. Denis ge⸗ 
wiß nicht verleugnet. Hatte er früher als Abt von Reichenau viele 
Handſchriften aus Italien, Frankreich und anderswoher bezogen, fo 
hat er ſich nun wohl als Abt von St. Denis an feine früheren Abteien 
gewandt, um neue Bücher oder Abſchriften für fein neues Kloſter zu 
erhalten. Eine Spur davon ift uns in einer Pariſer Handſchrift aus 
dem neunten Jahrhundert erhalten. St. Denis erſcheint zudem im 
neunten gahrhundert, jedenfalls ſchon vor 830 und ſpäter mit Reichenau 
verbrüdert; umgekehrt ließ Reichenau unter Abt Erlebald (822 — 838) 
handſchriften in St. Denis ſchreiben. Das läßt vermuten, daß Waldo 
und Hilduin auch den Bücherbeſtand der Abtei wieder gehoben haben 
und ſchreibtüchtige Mönche, vielleicht auch eine Schreibſtube beſaßen. 
Es hat ſich auch hier wieder eine Spur erhalten, die uns auf Beziehungen 
von beſtimmten Handſchriften zwiſchen St. Denis-Reichenau⸗St. Gallen 
unter Abt Waldo von St. Denis führt. 


VI. Tod und Nachleben (29. März 813 oder 814). 
nach einer fieben- bis achtjährigen Regierung ſtarb Waldo zu St. 
Denis am 29. März 813 oder 814, zwei Monate nach ſeinem kaiſer⸗ 


259 


lichen Freund und Gönner Karl d. Gr. Er wurde daſelbſt in einer 
kleinen Apfide der Abteikirche begraben. Mit feinem Tode erloſch 
indeſſen fein Andenken nicht. Lange Zeit wurde an feinem Grabe in 
einer kleinen Niſche Tag und Nacht ein bichtlein unterhalten. 

Die kunde von feinem Tode wird wohl bald auch auf die Reichenau 
gedrungen ſein. Es iſt ſehr lehrreich zu ſehen, wie er dort in der 
Erinnerung ſeiner ehemaligen Mönche fortlebte. Mönch Wetti, ſein 
Derwandter (+ 824), ſchaute auch ihn wie er karl d. Br. und den 
Grafen Gerold ſah in feinem berühmten Befichte. Er ſah den Abt 
noch zehn Jahre nach feinem Tode zur Abbüßung feiner Nachläſſig⸗ 
keiten an einem Reinigungsorte, jedoch nicht zu ewiger Strafe leiden. 
Auf einem Berggipfel war Waldo allen Rauheiten von Wind und 
Wetter und Regengüſſen ausgeſetzt, um nach ſeiner Reinigung voll 
Freude in den Hof des ewigen Königs eingeführt zu werden. Doch 
ward ihm̃ während ſeiner Strafzeit geſtattet, einen Biſchof namens 
Adelhelm, deſſen Bifchoffig unbekannt iſt, durch einen kleriker feines 
Bistums namens Adam im Traume um Bebetshilfe zu bitten. gener 
Biſchof aber, von dem Traumgeſicht in kienntnis geſetzt, verachtete es 
als leeren gewöhnlichen Traum und kam dem Bittenden nicht zu hilfe. 
deshalb wurde er nach ſeinem bald darauf erfolgten Tode derſelben 
Strafe wie Waldo unterworfen. Man ſieht, die Reichenauer Mönche 
wußten kritik zu üben. Umſo werivoller iſt es, daß trotzdem der 
Name Waldos auf der Infel immer hoch in Ehren gehalten wurde. Im 
berbrüderungsbuche ſteht er in der Gifte der Gründer ⸗Hbte, nach Petrus 
an achter Stelle eingetragen. Auf einem alten Schnitt eines Reiche⸗ 
nauer Reliquiars des koſtbaren Blutes ſoll Waldo durch eine Infchrift 
verewigt und zugleich ſelig genannt geweſen ſein. 
die Vorzeit hat uns keine Geſchichte des Reichenauer Beiftesleben ũber⸗ 
liefert, und manches iſt durch der Zeiten Ungunſt und den Unverſtand 
der Nachwelt für immer verloren gegangen, was uns zu einem treuen 
Bild des fröhlichen Schaffens von ehemals verhelfen könnte. Aber 
auch heute noch reden die prachtvollen Hhandſchriften der Reichenau 
von Waldos erfolgreicher Tätigkeit, von dem regen wiſſenſchaftlichen 
und mönchiſchen Leben, das er zuſammen mit Reginbert ins beben 
gerufen hat. Mit vollem Recht darf er der Begründer des goldenen 
deitalters der Reichenau genannt werden. Er hat für dieſe Seite 
feines Wirkens das Cob verdient, das ihm ein Mönch der Reichenau 
ſchon vor tauſend Jahren geſungen hat, und das noch jetzt in feinen 
Werken leiſe weiterklingt: „Glückſeliger Mann! Nie wird die Welt, 
ſolange ſie ſteht, müde werden, (auch) deinen Namen zu preiſen“. 

17° 


260 


Himmliſche Buchführung. 


Don P. Bernhard Seiller (Augsburg). 


er Menſch denkt, Bott lenkt. Über allem menſchlichen Sinnen und 

Sorgen, Wünſchen und Wollen ſtehen höhere Mächte, die oft 
einen dicken Strich durch unſere Rechnungen machen, mögen wir nun 
dieſe Mächte in ſataliſtiſchem Sinn als blindes Verhängnis (fatum) 
oder in theiſtiſchem Sinn als weiſe und liebevolle Führung, als gött⸗ 
liche Dorfehung auffaſſen. Fataliſtiſch iſt die Aſtralreligion der alten 
Babulonier; Sternmächte beſtimmen die Geſchicke der Welt und der 
einzelnen Menſchen. Diefes Dorausbeftimmen wird als ein Auffchreiben 
bezeichnet; wiederholt iſt die Rede von Schickſalstafeln und von einem 
himmliſchen Schreiber (nabu). Der Sternglaube und die Sterndeutung 
der Babulonier griff auch in die helleniſtiſche und römiſche Welt über; 
auch in der chriſtlichen Zeit wucherte der aſtrologiſche Aberglaube 
noch fort, obwohl die Kirche gegen ihn ankämpfte; ja das 14. und 
15. Jahrhundert war die Glanzzeit der hofaſtrologen, von deren Aus: 
ſprüchen nicht ſelten das Wohl und Wehe eines Landes abhing. Die 
babuloniſchen Schickſalstafeln aber lebten wieder auf in der Form der 
ſibulliniſchen Bücher; die Schickſalstafeln ſind jetzt vom Himmel auf 
die Erde verlegt und künden in dunklen, prophetiſchen Sprüchen das 
Schickſal der Welt. Eine ſolche Sammlung war zu Rom im Tempel 
des kapitoliniſchen Juppiter niedergelegt und wurde in wichtigen An- 
gelegenheiten zu Rate gezogen; Tarquinius Superbus ſoll ſie von der 
Sibylle von Cumä erhalten haben. Heutzutage beſitzt man 12 Bücher 
oracula Sibyllina in griechiſchen Hhexametern, teils jüdiſchen teils chriſt⸗ 
lichen Urſprungs, worin unter der Hülle der Prophetie die Geſchicke 
von Ländern und Völkern, von Städten und Tempeln erzählt werden 
und Mahnungen, Warnungen, Verheißungen eingemiſcht find. 

Aber neben der Schickſalsaufzeichnung kannten die Babulonier 
auch noch eine andere Art himmliſcher Buchführung, nämlich die über 
die guten und böſen Taten der Menſchen. Daraus ſieht man, 
daß die Schickſalsbeſtimmung nur den äußeren Menſchen betraf, während 
das Endſchickſal der Seele von den Werken des Menſchen abhängig 
gedacht wurde; der Gerechtigkeitsgedanke trug über die Schickſals⸗ 
idee den Sieg davon. Die Texte der Bibliothek Afurbanipals reden 
von einer Tafel der guten Werke; der Sünder fleht im Gebete, 
daß die Tafeln ſeiner Sünden zerbrochen werden mögen. Der 
Gedanke an eine himmliſche Aufzeichnung der menſchlichen Werke 
lebte lange im orientaliſchen Kulturkreis fort. In der apokruphen 


261 


Aipokalypfe Pauli wird gefagt, daß in den Abendſtunden von den 
Engeln im Himmel alles aufgeſchrieben wird, was die Menſchenkinder 
am Tage getan haben. Auch nach der Apokalypfe des Sophonias 
ſczen am Himmelstor Engel und ſchreiben die Taten der Menſchen in 
Buchrollen; ein Engel trägt dann die Rolle der guten Taten zu Gott, 
damit er die Namen in das Buch der Gebendigen ſchreibe; ein 
anderer engel aber übergibt die Rolle der böſen Taten dem Ankläger, 
der die Menſchen, wenn ſie zu ihm hinabkommen, anklagen wird. 
die Taten der Menſchen, die man ſich im himmel aufgezeichnet denkt, 
find nun auch der Gegenftand des Berichtes; Bücher werden auf⸗ 
geſchlagen, und jeder wird gerichtet nach ſeinen Werken. ö 

Was find aber dieſe Schickſalsbücher und dieſe Serichtsbücher an⸗ 
ders als ein Bild der göttlichen Allwiſſenheit? Unter dem 
nämlichen Bilde wird uns das göttliche Wiſſen auch in den heiligen 
Schriften des Alten und Neuen Teſtamentes veranſchaulicht; denn 
ttoß ihrer Selbſtändigkeit lebt auch die Bibel in den Bildern des alt⸗ 
orientaliſchen Aulturkreifes und kann ihre Derwandtfchaft mit dem⸗ 
ſelben nicht verleugnen. 

Als das ifraelitifche Dolk feinen unſeligen Tanz um das goldene 
Ralb aufgeführt hatte, legte Moſes für die Derblendeten Fürbitte ein, 
indem er ſprach: „Ach, dies Dolk hat eine ſehr große Sünde begangen; 
denn es machte ſich goldene Bötter. Nun verzeihe ihnen ihre Sünde 
oder, wenn du das nicht tun willſt, löſche mich aus deinem Buche, 
das du geſchrieben haſt!“ (2. Moſ. 32, 32). Hier kann nur das Buch 
der Cebendigen gemeint fein; Moſes will in feiner Liebe zum Volke 
lieber die eigene Seligkeit verlieren, als daß das ganze Dolk von Bott 
verworfen werde. Welch rührendes Beifpiel von Birtenliebe, dem ſich 
das des hl. Paulus vergleichen läßt, wenn er (Röm. 9, 3) lieber ſelbſt 
im Banne fein will, losgetrennt von Chriftus, ftatt feiner Brüder! — 
Im 68. Pfalm (D. 29) ſagt David, das Vorbild des leidenden Meſſias, 
von den verſtockten Sündern. „Sie ſollen getilgt werden aus dem 
Buche der Lebendigen und mit den Gerechten nicht zuſammen— 
geſchrieben werden.“ — Merkwürdig iſt eine Stelle aus dem 138. pſalm 
(0.16): „Als ich noch unfertig war (im Mutterſchoße); ſahen mich deine 
Augen, und in deinem Buche find alle Menſchen aufgezeichnet; 
die Tage werden beſtimmt, ehe noch jemand darin iſt.“ Gott 
ſteht hier an Stelle der Moiren oder Parzen, die des Lebens Faden 
oͤrehen. — Der Prophet Ifaias ſchaut im Geiſte das Reich des Meſſias 
und bricht in die Worte aus: „eder, der übrig geblieben in Sion und 
übrig gelaſſen in geruſalem, wird heilig heißen, jeder, der zum 


262 


beben geſchrieben ift in geruſalem“ (4,3). Man kann hier an 
das Buch der Lebendigen denken oder auch an eine Eintragung in 
die Bürgerliften des Bottesreiches, wie auch Ezechiel (13, 9) von ſolchen 
ſpricht, die in das Derzeichnis des Hauſes Ifrael nicht werden einge: 
ſchrieben werden. — Der himmliſche Schreiber begegnet uns bei 
Szechiel (9, 2). Der Prophet fieht ein Strafgericht über Jeruſalem herein⸗ 
brechen; von Norden her nahen ſechs Männer, jeder hat ein Mord⸗ 
gerät in der hand; aber einer unter ihnen iſt gekleidet in Leinwand 
und trägt ein Schreibzeug am Gürtel; dieſer erhält den Befehl, den 
Serechten in der Stadt ein Tau (liegendes Kreuz) auf die Stirnen zu 
zeichnen, das fie vor dem Derderben retten ſolle. — Bei Malachias 
(3,16) ſagen die Bottesfürchtigen zueinander: „Der Herr merkt auf 
und hört. Und ein Denkbuch (lider monumenti) liegt geſchrieben 
vor ihm über die Gottesfürchtigen, die feines Namens gedenken.“ 
Der Herr vergißt alſo die Seinigen nicht; denn ſie ſind eingetragen in 
das Buch des Lebens. — Der Prophet Daniel verkündet „eine Zeit der 
Drangſal, dergleichen nie geweſen; aber es werden alle gerettet werden, 
die man ins Buch wird eingeſchrieben finden“ (Dan. 12, 1). 
Derfelbe Seher Rennt aber außer dem Buche des Lebens auch die 
Bücher des Cerichtes. In einer großartigen Difion ſchaut er das 
Weltgericht und die Ankunft des Mleffias. Stühle werden hingeſtellt 
und der „Alte der Tage“ und das Gericht ſetzt ſich; Bücher werden 
aufgetan; die Weltreiche werden verurteilt. Dann kommt einer in 
des Himmels Wolken, der Menſchenſohn; dieſem wird die Herrſchaft 
übertragen für alle Ewigkeit; „feine Gewalt iſt eine ewige Gewalt, 
fein Reich ein Reich, das nie zerſtört werden wird“ (Dan. 7, 9 — 27). 

Wie im Alten Teftament fo finden wir auch im Neuen die himm⸗ 
liſchen Gerichtsbücher und das Buch des Lebens erwähnt. Ein Schick⸗ 
ſals⸗ und Gerichtsbuch iſt das Buch mit den ſieben Spiegeln in 
der Seh. Offenbarung (5, 1): „Ich ſah in der Rechten deſſen, der auf dem 
Throne ſaß, ein Buch, überſchrieben von innen und außen, verfiegelt 
mit fieben Siegeln“. Nur das Lamm iſt würdig, zu nehmen das Buch 
und zu löſen ſeine Siegel; denn es iſt getötet worden und hat uns 
für Gott erkauft mit ſeinem Blute. Mit der Eröffnung der Siegel be⸗ 
ginnen die Strafgerichte. Huch das kleine Buch, das Offb. 10 er- 
wähnt ift, it ein Schickſals⸗ und Gerichtsbuch. Es ſcheint das Straf⸗ 
gericht über geruſalem zu enthalten; der Seher muß es verſchlingen, 
d. h. ſich vollmommen mit dem Inhalt desſelben bekannt machen: „Und 
ich nahm das Büchlein aus der Hand des Engels und verſchlang es, 
und es war in meinem Munde fo ſüß wie honig, und als ich es ver⸗ 


263 


ſchlungen hatte, war mein Leib mit Bitterkeit erfüllt“. Süß war es ihm, 
weil der Untergang geruſalems den Sieg des Chriftentums bedeutet, 
bitter aber, weil es großes Unglück für fein Volk enthielt. — Das 
bebensbuch begegnet uns im Evangelium des hl. Cukas (10, 20); 
der herr ſagt zu feinen Jüngern: „Freuet euch nicht darum, daß euch 
die Beifter unterworfen find, ſondern freuet euch, daß eure Namen 
im himmel geſchrieben ſtehen!“ — Der Rpoſtel Paulus ſpricht 
von ſeinen Mitarbeitern als von ſolchen, „deren Namen im Buche 
des bebens ſtehen“ (Phil. 4, 3), und die Mitglieder der jungen kirche 
nennt er die Erſtlinge, „die in den himmeln aufgezeichnet ſind“ 
(hebr. 12, 23). — Die übrigen Stellen, die für uns noch in Betracht 
kommen, gehören alle der Geheimen Offenbarung an. „Wer über: 
windet“, läßt der Herr an den Engel von Sardes ſchreiben, „der wird 
mit weißen Gewändern bekleidet werden, und ſeinen Namen werde 
ich nicht tilgen aus dem Buche des Lebens“ (de libro vitae, 
ea is Bißiou Y, Lie; Offb. 3, 5). Auch von ſolchen iſt die Rede, 
deren Namen nicht gefchrieben find im Buche des Lebens von An⸗ 
beginn der Welt (Offb. 17, 8). Im Zufammenhang mit den Gerichts- 
büchern wird das bebensbuch genannt Offb. 20, 12. „Und ich ſah die 
Toten, groß und klein, ſtehend vor dem Throne. Und die Bücher 
wurden aufgetan und wieder ein Buch ward aufgetan, das Buch des 
bebens; und die Toten wurden gerichtet aus dem, was geſchrieben 
war in den Büchern nach ihren Werken.“ Das Lebensbuch wird als 
das bebensbuch des Lammes bezeichnet Offb. 13, 8 und 21, 27. 
im Schluſſe (Offb. 22, 19) warnt der Seher, von feinen Worten etwas 
wegzutun; denn wer etwas hinwegtut, „deſſen Teil wird Bott hin⸗ 
wegtun vom Buche des Lebens“. — Dem Buche des Lebens könnte 
nun logiſch ein Buch des Todes gegenüber geſtellt werden, ſo wie 
man in der Metaphuſik dem Begriffe des Seins den Begriff des Nicht⸗ 
ſeins gegenüber ſtellt. Ein Buch des Todes iſt nicht notwendig; denn 
die Streichung aus dem Buche des Lebens iſt gleichbedeutend mit dem 
Tode der Seele, mit der Tilgung aus dem Gottesreich. Dieſe Toten in 
ein Buch zu ſchreiben hat keinen Sinn und Zweck mehr; ſie ſind die 
Ausgefchiedenen, und die Tore Jerufalems find ihnen verſchloſſen immer 
und ewig. „Denn wer nicht gefunden wurde eingeſchrieben im Buche 
des Lebens, der wurde in den Feuerpfuhl geworfen“ (Offb. 20, 15). 

Da Bott will, daß alle Menſchen ſelig werden, fo find von vorn⸗ 
herein alle zur Seligkeit beſtimmt und in das Buch des Lebens ein- 
getragen; allen ift das Reich Gottes geöffnet, für alle der Preis aus» 
geſetzt; allen iſt das Geben verheißen, allen winkt die unverwelkliche 


264 


Krone. Aber der Menſch kann aus dem Buche des Lebens geftrichen 
werden; die Eintragung ins Buch des Lebens iſt zunächſt nur eine 
bedingte, abänderliche. Dieſe Eintragung zu einer feſten, unabänder⸗ 
lichen zu machen, iſt die Lebensaufgabe des Menſchen. Nur wenn 
er ſich durch den Glauben und die Liebe an Gott anſchließt und als 
guter Baum gute Früchte bringt, bleibt es bei dieſer Eintragung, und 
fie wird von Bott als eine unwiderrufliche beſiegelt. gedem Menſchen 
gibt Gott die hinlängliche Snade, er erwartet aber die Mitwirkung 
des menſchen. Die Entſcheidung hierüber erfolgt beim Weltgerichte. 
Im dies irae ſtehen die ernſten Worte: „Und ein Buch wird auf⸗ 
geſchlagen, drinnen iſt es eingetragen, wes die Welt ift anzuklagen.“ 
Don uns ſelbſt hängt es ab, ob wir im Buche des Lebens eingetragen 
bleiben oder nicht; wir ſelbſt find es, die ihre Namen in das Buch 
des Lebens ſchreiben: 

Schreibt eure Namen in das Buch des Lebens; 

Auf Tür und Wände ſchreibt ihr fie vergebens! 


St. Johannes vom Kreuz: Die dunkle Nacht der Seele. 


In einer Nacht gar dunkel, O Nacht, die mich beglückte, 
Da ganz mein liebend Herz vor Inbrunft Wie lieb ich doch ob Morgenrotes-Scheine; 
O hochbeglückte Stunde! Iglühte, Dein Dunkel ja mich führte " 
entſchlich mit leiſem Tritte Jum ſeligſten Vereine, 
Ich meiner tief in Ruh verſunknen Hütte. Wo ich, in ihn gewandelt, ward die ſeine! 
Im ſichern Schutz des Dunkels An meinem blühnden Bufen, 
War die geheime Leiter bald erftiegen; Den unverſehrt ich ſtets für ihn bewachte. 
O hochbeglückte Stunde! Sank er in ſanften Schlummer, 
Derhüllt und tiefverſchwiegen Indeß ich für ihn wachte, lfachte. 
Sing ich, und ließ in Ruh die Hütte liegen. Und mit dem Cederzweig ihm Kühlung 
O feligfte der Nächte, Und als Aurorens Atem 
Da ich beherzt den dunkeln Pfad erklimmte, Sein lockig haar begann umherzu⸗ 
Da mich kein Blick erſpähte, Gieß ſanft um meinen Hacken [f[preiten, 
Rein Licht den Tritt beſtimmte, [glimmte. Er feine Rechte gleiten, 
Als das, das in der innern Bruſt mir Mir ſchwanden alle Sinn’ in Seligkeiten. 
In dieſes bichtes Glanze Don heilger Wonne trunken, 
Fand ſichrer ich als bei des Mittags Helle Durft ich mein haupt auf den Geliebten 
Den Ort, wo meiner harrte Die Welt war mir entfunken, (lehnen; 
Der Giebfte meiner Seele Geftillet all mein Sehnen, 
Dort in der Öd, an unbetretner Stelle. Begraben unter Gilien harm und Tränen! 


Diefe Blüte ſpaniſcher Brautmuſtik ward deutſch dargeboten von Relchlor von Dlepenbrock in feinem’ 
„dem geliebteſten Dater in Chriſto Johann Michael von Sailer“ gewidmeten „Geiſtlichen Blumenfraufß” 
(3. Aufl. Sulzbach 1854, S. 172; 1. Aufl. ebd. 1839). Im Theatinerverlag München hat Du dolg Burchard 
fieben Gedichte des Heiligen, darunter auch dieſes ſpaniſch und deutſch nach Storck und Diepenbrock geboten. 
Er fchrieb ein „Nachwort“ dazu und „Erklärungen“ des Heiligen felber. Das vornehme Bändchen in Groß 
oktav iſt eine ſinnreiche Einleitung und lockende Einladung zur angekündigten vierdändigen Ausgabe der 
Werke des ſpaniſchen Myſtikers. 


265 


miſſionspflicht, Miffionswefen und -Giteratur. 


Don P. Hieronymus Riene (Beuron). 


1 


Ene Umſchau in den Ländern der Erde und Erkundung des reli⸗ 
giöfen Bekenntniſſes der fie bewohnenden Völker ift nur zu ſehr 
geeignet, uns mit Schmerz und Trauer zu erfüllen. Dielen Millionen 
unſerer MRitmenſchen, die als heiden, Mohamedaner, Juden, Irrgläubige 
leben, iſt die Sonne der Gerechtigkeit nicht aufgegangen oder wieder 
verdunkelt worden. Liegt die Schuld einzig bei den Völkern, „wollen 
fie die Finſternis lieber als das Licht“, oder fehlte es ihnen an Der- 
kündern der frohen Botſchaft? Der herr will, „daß alle Menſchen 
gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“; die Men⸗ 
ſchen aber können ihre Herzen der Wahrheit verſchließen. Mag aber 
auch große Schuld die Un⸗ und Irrgläubigen, ihre turanniſchen Be⸗ 
herrſcher, ihre ſelbſtſüchtigen geiſtigen Führer treffen, nicht wenig Schuld 
an der beklagenswerten religiöſen Weltlage fällt doch wohl auf die 
-Chriftenheit zurück. Wie ſehr haben die Glaubens ſpaltungen und ihre 
Auswirkungen das Miſſionswerk geſchädigt und ſchädigen es noch! 
Wie verhängnisvoll wirkt der Zwieſpalt zwiſchen chriſtlicher ehre und 
dem beben fo mancher Chriften, denen auch das Wort des Apoftels 
gilt: „Durch eure Schuld wird der Name Gottes unter den Beiden 
geläſtert!“ Nicht wenig hat dem Anſehen und der Wirkſamkeit der Miſ⸗ 
fion geſchadet der Eigennutz jener Regierungen und Mliffionare, die aus 
politiſchen Zwecken und nationaliſtiſcher Sigennützigkeit miſſionierten. 
Die ktirche hat von jeher Großes geleiſtet, um allen Völkern den 
Glauben zu bringen und zu erhalten. Wer könnte die Blaubensboten 
alle zählen, welche die Kirche, zumal die Päpſte ausgeſandt, bevoll⸗ 
mächtigt und ermutigt haben! Schon das Daſein einer eigenen Miſſions⸗ 
Rongregation, der Propaganda in Rom, bekundet, daß die Kirche auch 
heute noch ihrer Miſſionspflicht ſich bewußt iſt. Aber hätte nicht noch 
mehr geſchehen, noch Größeres erreicht werden können, wenn alle 
Glieder der Kirche das Miſſionswerk mit dem ihm gebührenden Eifer 
und Opfergeiſt umfangen hätten, wenn ſie ſtets durch ein lebendiges 
Glaubens leben für ihre Mitmenſchen zu „Miſſionaren“ geworden wären? 
Der Gedanke an unſere Miffionspflicht iſt ſtets eine Gewiſſensfrage 
für uns und eine wirkſame Mahnung, den Glauben, den wir anderen 
verkündet wiſſen wollen, ſelber zu üben. 

Die Teilnahme an der Erhaltung und Verbreitung des katholiſchen 
Glaubens iſt für uns eine wahre Pflicht. Die Kirche, deren Glieder 
wir find, miffioniert auf Gottes Befehl. In feierlicher Weiſe hat ihr 
Chriftus ſelbſt den Miffionsauftrag erteilt: „Mir iſt alle Gewalt ge⸗ 
gegeben im himmel und auf Erden. Gehet alſo hin und lehret alle 
Dölker und taufet fie im Namen des Daters und des Sohnes und 
des heiligen Beiftes und lehret fie alles halten, was ich euch befohlen 
habe. Und ſiehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“. 
Den „Zwölfboten“, den Apofteln, und den anderen Jüngern geſu galt in 


266 


erfter Cinie diefer Auftrag; mit ihrem Tode erloſch er nicht. Solange 
es Dölker gibt, die zu belehren, zu taufen und in alle Wahrheit ein: 
zuführen find, ſolange hat auch dieſer Auftrag Chriſti Geltung. Die 
Kirche wäre ihrer Aufgabe untreu geworden an dem Tage, an dem fie 
das Miffionswerk einſtellte. Sie darf auch nicht warten, bis man nach 
ihr verlangt. „Wer den Auftrag hat: ‚Beht in alle Welt‘, kann nicht 
warten, bis die Welt ihn ruft“ (Rard. Faulhaber). Pflicht des Papſtes 
und der von ihm Bevollmächtigten iſt es: Blaubensboten auszuſenden; 
Aufgabe und Pflicht der Befamtkirche aber: die Auszufendenden darzu⸗ 
bieten, ihre Ausbildung und Ausſendung, ſowie ihr Wirken zu ermög⸗ 
lichen. Es beſteht ſomit eine Miſſionspflicht für die ganze kirche, für 
alle ihre Glieder. Alle können und follen dazu beitragen, niemand darf 
ſich dem Miſſionsgebote ganz entziehen. Nur die wenigſten ſind ge⸗ 
eignet und berufen, in ferne Länder zu ziehen und dort ſelbſt als 
Miffionäre tätig zu fein. Nicht Reiſe⸗ und Abenteuerluſt oder jugend: 
liche Schwärmerei, ſondern Seeleneifer und hoher Opfergeiſt tut not, 
ſowie körperliche und geiſtige Tüchtigkeit. Wenn nicht alle durch Ein⸗ 
ſetzung ihrer Perſon, ſo können doch alle am Werke der Glaubens⸗ 
verbreitung durch Bebet und Gaben teilnehmen. Ernſtlich erinnert, 
Geo XIII. in feiner Enzyklika vom 3. Dezember 1880 an die Miffions- 
pflicht: „Wir ermahnen uch dringend, Ehrwürdige Brüder, Euer Sinnen 
und Trachten mit dem Unſrigen zu vereinigen, um eifrig, einmütig 
und aus allen Kräften die apoſtoliſchen Miſſionen zu unterftügen. 
Geben wir uns alle Mühe, den Miffionen wieder jene Mittel zu ver: 
ſchaffen, welche der kirche von Anfang an zu Gebote ſtanden, nämlich 
einerſeits die Derkündigung des Evangeliums durch Glaubensboten, 
anderfeits die Gebete und Gaben frommer Gläubigen“. In ähnlicher 
Weiſe äußerten ſich die Päpſte Pius X., Benedikt XV.? und neueftens 
unſer jetziger Heiliger Dater Papſt Pius XI. 

Der erſte, wichtigſte und wirkſamſte Beitrag iſt alſo das Gebet. 
Dieſer Beitrag iſt allen möglich; er iſt zugleich ein hervorragendes Werk 
der Selbſtheiligung, und ſeine Wirkſamkeit nimmt zu mit dem Wachs⸗ 
tum der Gnade und Tugend des Betenden. Die wahren Berufe zu 
Glaubensboten und die aufrichtigen Bekehrungen ſind Wirkungen reich⸗ 
licher Snaden. Der Heiland will, daß wir bitten: „Bittet den Herrn 
der Ernte“, ſpricht er, „daß er Arbeiter in feine Ernte ſende“ . Er 
lehrte uns flehen: „Jukomme (uns) dein Reich.“ Wiederholt erſuchte 
der Dölkerapoftel die Gläubigen um ihre Bebetshilfe für feine apo⸗ 
ſtoliſche Tätigkeit; fo die Theſſalonicher: „Meine Brüder, betet für uns, 
daß das Wort des Herrn feinen Lauf habe und verherrlicht werde. 
denn nicht alle find für den Glauben empfänglich.“ Oremus et pro 
paganis, „laſſet uns beten auch für die heiden“, fordert uns in der 
ktarfreitagsliturgie die Kirche auf; fie fügt die Bitte an: „Es möge 
der allmächtige Bott die in heidniſcher Unwiſſenheit ſchmachtenden 


1 Dgl. Arens, P. Pius X. und die Weltmiffion (Aachen 1919; f. unten). 

* Dgl. Rundſchreiben unſeres hIft. D. Benedikt XV. über die Ausbreitung des Rath. 
Slaubens auf dem Erökreis (30. November 1919: Maximum illud ). Autorifterte 
Ausgabe, lateiniſch und deutſch (Freiburg 1920). ' Matth. 9, 38. II 3, 1. 


267 


Völker aus dem Götzendienſt befreien und fie vereinigen mit feiner 
heiligen Kirche zum Preiſe und zur Verherrlichung feines Namens.“ 

Zum Gebet ſoll nach Möglichkeit die Babe, das Miſſionsalmoſen 
treten. Das Miffionswerk kann nun einmal der materiellen Hilfs- 
mittel nicht entbehren. Die Miffionsanftalten der Heimat wollen er: 
halten, die Ruszuſendenden ausgeftattet fein. In den Miſſionsländern 
find Kirchen und Schulen zu errichten; der Unterhalt der Miſſionäre, 
Schweſtern, Batecheten und Lehrer erfordert, wenigſtens für den Un⸗ 
fang bedeutende Summen; für Waiſen⸗ und Krankenpflege u. a. mehr iſt 
zu ſorgen. Die dafür nötigen Mittel werden am beſten und ſicherſten 
durch die organifierte Hilfe der Miſſionsvereine beſchafft. Einem ſolchen 
anzugehören follte Liebespflicht und Ehrenſache für jeden Katholiken 
fein. Der Eifer und die Bebefreudigkeit vieler Andersgläubigen iſt 
beſchämend für uns. Die erſten Chriſten find auch hierin vorbildlich (vgl. 
Apoftg. 11, 29). Der Derzicht auf einen unnötigen Genuß, auf ein 
vielleicht ſchädliches Dergnügen und das hiedurch Erſparte brächten 
doppelten Gewinn. Übrigens bedarf es für einen guten kiatholiken 
nicht der Betonung dieſer Pflichten. Wer felber für die Bnade des 
Glaubens dankbar iſt und Bott und feinen Nächſten wahrhaft liebt, 
der kann nicht gleichgültig bleiben angeſichts der Notlage ſo vieler 
mitmenſchen. Geſchichte und Erfahrung bezeugen es, daß lebendiger 
Glaube immer und überall ſich auch in der Liebe und Pflege des 
Miffionswerkes betätigt hat. Ohne Zweifel müſſen ja die großen, 
ſchreienden Bedürfniſſe in der Diaſpora des eigenen Landes zunächſt 
Berückſichtigung finden, beſonders durch opferwillige Unterſtützung des 
Bonifatius-Dereins. Das ſoll uns aber nicht abhalten, an dem Miſ⸗ 
ſionswerk in den Beidenländern nach beſten kräften mitzuwirken. 
Dieſes Ciebeswerk wird die Sorge um die eigenen Dolksgenoffen nur 
ſteigern und ihr Erfolg ſichern. 


II. 


Das katholiſche Miffionswefen hat in den letzten Jahrzehnten 
einen fehönen, großen Hufſchwung erlebt. Neue Miſſtonsgebiete wurden 
in Angriff genommen, auf andern regte ſich friſches beben. Namentlich 
auch in Deutſchland hatte der Miſſionsgedanke von Jahr zu gahr 
weitere lireiſe erfaßt und eine geſteigerte Teilnahme und hilfsbereit 
(haft für die äußeren Miffionen gezeitigt. In Wort und Schrift, durch 
Vorträge und Dereine, auf den allgemeinen katholikentagen und be⸗ 
ſondern Miſſionstagungen wurde mit Erfolg für die Miſſionen ge- 
worben. In den akademiſchen Miſſionsvereinigungen gewann auch 
unter den Gebildeten der Miffionsgedanke immer mehr an Boden. 
An zwei Univerfitäten wurden eigene Pehrſtühle für Miſſionswiſſen⸗ 
ſchaft errichtet. Es entſtand eine eigene „ZFeitſchrift für Miſſions⸗ 
wiſſenſchaft“ und eine Fachliteratur von anderswo nicht erreichter 
Mannigfaltigkeit und Bediegenheit. Zugleich wuchs die Zahl der ein- 
heimiſchen Miſſionshäuſer und ihrer Zöglinge ſowie der ausgeſandten 
Miffionäre und Schweſtern; die von ihnen beſorgten Miſſionsbezirke 
ſtanden in erfreulicher Entwicklung, die Baben für die Miffionen floſſen j 


268 


reichlicher. Da kam der firieg. Er brachte ſchwere Hemmung und 
beklagenswerten Rückſchlag. In unferen Rolonien wurden die Miſſio⸗ 
näre aus blühenden Stationen vertrieben, in anderen Miſſtonsgebieten 
erfuhren ſie ſchuldlos vielfach eine geradezu ſchmähliche Behandlung. 
Die Miffionshäufer der Heimat verloren zahlreiche Angehörige und 
Zöglinge im Felde und kamen finanziell in große Not. Das alles 
konnte den Mliffionseifer für einen Augenblick hemmen, erſticken konnte 
es ihn nicht. Er nahm bald wieder neuen Auffhwung. Indeſſen blieben 
ungeachtet des Einſpruches des apoſtoliſchen Stuhles gegen Artikel 438 
des Derfailler Dertrages, der durch Ausfchließung der deutſchen Miſſio⸗ 
näre die kirchlichen Jurisdiktionsrechte verletzt, und ungeachtet aller 
Bemühungen unvoreingenommener wohlwollender Perſönlichkeiten des 
Auslandes die ehemaligen deutſchen Kolonien ganz und einige andere 
Miffionsgebiete für deutſche Miffionäre vorerft geſperrt. In den ihnen 
ſeither vom heiligen Stuhl zugewieſenen Arheitsfeldern in Südafrika, 
China und Japan iſt faſt alles neu zu ſchaffen. Die Neuausrüſtung 
und Neuausſendung der Miſſionäre erfordert allein ſchon hohe Sum⸗ 
men. Mutig find jedoch unſere Miſſtonäre wieder hinausgezogen, und 
vielerorts laſſen ſchöne Anſätze ein gutes Gedeihen erhoffen. Um⸗ 
ſomehr obliegt nun uns, die wir in der Heimat blieben, die Pflicht, 
die mutigen Glaubensboten nicht im Stiche zu laſſen, ſondern fie ge⸗ 
rade in dieſen ſchwierigen Zeiten tatkräftiger zu unterſtützen. „Frei⸗ 
gebigkeit für das heilige Botteswerk, die Miſſionen“, ſchrieb 1913 
Biſchof henle von Regensburg in feinem Miſſtonshirtenbrief, „darf 
auf den beſondern Segen Bottes rechnen“. Möge ſich das Lob des 
heiligen Apoftels auch an den heutigen katholiſchen Chriſten bewahr⸗ 
heiten: „Ich gebe ihnen das Zeugnis: fie waren nach Kräften, ja über 
ihre Kräfte [im Geben] willfährig.“ 

Daß der Miſſionseifer in Deutſchland erhalten blieb und ſich mehrte, 
iſt neben den Bemühungen der miffionierenden Ordensgenoſſenſchaften, 
vor allem der regen Tätigkeit des Franziskus-Xaverius-Dereins 
zu danken. Das 1822 von der hochgeſinnten Pauline Maria Jaricot 
zunächſt unter Arbeiterinnen einer Seidenfabrik zu Lyon begründete 
„Werk zur Derbreitung des Glaubens“ war 1837 in Deutſchland unter 
dem Namen „Franziskus-Xaverius-Derein“ durch den Hachener Arzt 
Dr. Heinrich hahn eingeführt worden. Bis 1922 ein Privatunternehmen 
unter franzöfifcher Leitung, ift der „Weltverein der Glaubensverbrei⸗ 
tung“ jetzt in einen kirchlich anerkannten, päpſtlichen Derein umgewan⸗ 
delt und feine Zentrale von Pius XI. nach Rom verlegt worden. Die 
Oberleitung führt ein Generalrat, deſſen Mitglieder aus allen Nationen, 
die zu dem Werke beiſteuern, von der Propaganda ernannt werden. 
Der Sekretär der Propaganda ift jeweils Präfident des Dereines. Dem 
Generalrat find die Zentralräte der einzelnen Länder unterſtellt. Alle 
nationalen Miſſionsvereine follen ſich dem allgemeinen Miſſionsverein 
anſchließen. Dieſe Weiſung befolgte alsbald der ſeit 1920 von der 
Cyoner Zentrale getrennte Deutſche Derein und 1923 auch der baue⸗ 
riſche, nach feinem erſten Protektor könig Ludwig I. von Bayern 

„benannte „Cudwig-Mliffionsverein“. Dieſer hatte fi nach erſt 


269 


fünfjährigem Beſtehen ſchon 1844 von Lyon losgelöft, und zwar auf 
auf Betreiben des Königs, der erklärte: „Der Ludwig-Mliffionsverein 
foll für unſere gemeinfame katholiſche Kirche fein und nicht ein Werk⸗ 
zeug franzöſiſcher Politik.“ Die Zufammenfaffung aller für das Wohl 
der Miſſionen tätigen Dereine unter der Oberleitung der römiſchen 
Propaganda und die neue großzügige Organiſation des Dereins der 
ſlaubens verbreitung iſt als erfreuliches und ſegenbringendes Ereignis 
zu begrüßen. 1923 fand in Rom die erfte Sitzung des Generalrates 
ſtatt. Es wurden nicht nur die Miſſionsgaben verteilt, ſondern auch 
zahlreiche praktiſche Fragen beſprochen, wichtige Grundſätze aufgeſtellt 
und dadurch ein ſtarker Anſtoß zu eifriger und ſuſtematiſcher Arbeit 
für die Miffionen gegeben. Die zweite Derfammlung im April dieſes 
Jahres beſchränkte ſich, wie es ſcheint, auf die Gabenverteilung. 

Dem großen Weltverein zur Verbreitung des Glaubens ſtehen noch 
drei weitere allgemeine, von den letzten Päpſten warm empfohlene 
miſſionsvereine als Hilfsvereine zur Seite. Zuerſt ift zu nennen der 
Rindheit-Jefu-Derein, gegründet 1843 zu Nancy-Paris, der die 
Rinder der katholiſchen Welt um das göttliche Kind ſchart, um mit 
hilfe ihres herzlichen Sifers, ihrer Gebete und Almoſen heidniſchen 
Rindern die heilige Taufe — wenn nötig den Loskauf — und chriſtliche 
Erziehung zu vermitteln. Leo XIII. wünſchte, es möchten „alle chriſt⸗ 
lichen Rinder dem Rindheit=Jefu-Derein beitreten“. In Deutſchland ift 
er ſeit Jahren in allen Diözeſen und faſt allen Pfarreien eingeführt; 
ſeit 1921 iſt mit der Sammlung für ihn die des Schutzengelvereins zum 
Beſten der Diaſporakinder und ihrer Schulen verbunden. 

Auch der dritte allgemeine Miffionsverein, das Werk des hl. Petrus 
(Opus pontificale S. Petri Ap.), entftand in Frankreich (1889). Er 
ſammelt Gaben für Heranbildung eines einheimiſchen Alerus in den 
Miffionsländern. Gutgeſtellte, opferwillige Katholiken übernehmen nicht 
ſelten die Patenſchaft und Sorge für einen Randidaten des Prieſtertums 
aus den Miſſionsländern. Es ift dies ein hervorragend ſchönes und 
empfehlenswertes Werk. Ein zahlreicher und guter einheimiſcher Klerus 
iſt den Miſſtonsländern äußerſt nötig. Mehr und mehr wird Europa 
ſeine Prieſter ſelber brauchen. Es herrſcht heute ſchon in manchen 
bändern Prieſtermangel. Prieſter aus fremden Nationen finden ſich 
zudem oft, ſelbſt wenn fie die ſchwierigen Landesſprachen ganz be⸗ 
herrſchen, in den fo anders gearteten Sitten und Lebensgewohnheiten 
weniger zurecht. Sie ſtoßen deshalb vielfach an, ohne es zu ahnen 
und zu wollen, und erwerben ſich überhaupt nur ſchwer volles Der- 
trauen. Kriege und politiſche Umwälzungen bringen, wie der Weltkrieg 
zeigte, eine hemmung, ja gänzliche Stillegung der Miſſionstätigkeit für 
auslän diſche Miſſionäre leicht mit ſich. Nur zu wahr iſt, was der Präfekt 
der Propaganda karbdinal van Roſſum 1923 an die Obern der miſſionie⸗ 
renden Orden und kiongregationen ſchrieb: „Don höchſtem Intereſſe iſt 
die Sorge für die Heranbildung eines einheimiſchen, bodenſtändigen 
kilerus und Ordensſtandes .. (Dgl. Acta Ap. Sedis 1923, S. 369 ff.). 

Der vierte allgemeine Miffionsverein ift der Prieftermiffionsbund 
(Unio cleri pro missionibus; Consociatio cleri missionaria), der 


270 


Dorläufer in Deutſchland, Italien und Holland hatte, von Papſt Bene: 
dikt XV. warm empfohlen und vom regierenden hl. Dater mit den 
vorhergehenden 1922 zu einem päpftlichen Weltverein erhoben wurde. 
Er hat zum Zweck, den kilerus mit Derftändnis und Eifer für das 
miſſionswerk zu erfüllen. Die Prieſter haben doch an erſter Stelle 
die Pflicht, den Miſſionsſinn zu wecken und zu fördern. Nur dann 
werden fie aber dieſer Aufgabe gerecht werden, wenn fie ſelber ihre 
Verpflichtung erkennen, tätige Mitarbeiter an dem großen Miſſions⸗ 
werk der ktirche zu fein. Einmal eingenommen für das große heils⸗ 
werk und begeiſtert, werden ſie Mittel und Wege zu finden wiſſen, 
um in Schule, Chriſtenlehre, Predigt, Dereinsverſammlungen für die 
Miffionen zu werben. In der Regel finden fie ein fruchtbares und 
dankbares Feld für ihre Bemühungen. 

neben dieſen vier Weltvereinen entſtanden zahlreiche beſondere 
miſſionsvereine mit weiteren oder engeren Zwecken, fo der Afrika: 
Verein, 1920 eingegangen, die St. Petrus-Claver⸗Sodalität, die Miſſions⸗ 
vereinigung katholiſcher Frauen und gungfrauen, katholiſcher Lehrer 
und Lehrerinnen, der Akademiker, der junge „Verein für miſſions⸗ 
ärztliche Fürſorge“; ferner die hilfsvereine zur beſonderen Unterſtützung 
einzelner Miſſionsorden und Miſſionshäuſer wie das Liebeswerk vom 
hl. Benediktus (St. Ottilien), vom hl. Beift (Anechtfteden), vom hlſt. 
herzen geſu (Hiltrup), vom hl. Paulus (Mariannhill), Franziskaner, 
Mariſten⸗Miſſtonsvereine, Miſſionswerk vom hl. Roſenkranz (Domi⸗ 
nikaner), Pallotiner-⸗ Mitarbeiter uſw. Man mag dieſe Zerſplitterung 
in etwa beklagen und eine ſolche Erſtarkung der allgemeinen Vereine 
wünſchen, daß fie für alle Bedürfniffe aufkommen können. Don diefem 
Ideal find wir aber noch weit entfernt, weshalb den einzelnen Unter⸗ 
ſtützungsbedürftigen nicht zu wehren iſt, zur Selbſthilfe zu ſchreiten. 
Diele Menſchen möchten auch gern wiſſen, wohin ihre Gaben fließen; 
und mancher legt ſeine Spende lieber in eine warme Hand als in 
einen gefühlloſen Opferſtock. Möchten alle das Schlußwort des ſchon 
erwähnten Schreibens des Präfekten der Propaganda beachten: „Bott 
ſegne alle, die von heiligem Eifer bewegt in irgendeiner Weiſe dazu 
beitragen, daß das Werk der Miſſionen, dieſes hervorragend apoſtoliſche 
Werk, immer mehr gedeihe und immer mehr geſchätzt und geliebt werde.“ 

Der deutſche Zweig des Weltmiſſionsvereins hat ſeit 1921 im 
Xaveriushaus zu Rachen feine Zentrale. Mit dem baueriſchen und 
öſterreichiſchen Zweige iſt eine engere Derbindung durch die gemein⸗ 
ſamen Miſſionsorgane hergeſtellt. Die deutſchen Miſſionsorden und 
miſſionsvereine find vertreten im „Miſſions ausſchuß der deutfchen 
ktatholiken“, der eine Abteilung der kiatholikentage bildet und 3. It. 
unter dem Dorſitz des Fürſten Oöwenſtein ſteht. 


III. 


Eine emſige und erfolgreiche Tätigkeit entfaltet, unterſtützt von 
eifrigen Mitarbeitern wie den Patres Däth und Schütz 8. J., Dr. Berg 
und anderen, der Generalſekretär des deutſchen Miſſionsvereins und 
der Unio cleri, Dr. Louis in Rachen. Beſondere Derdienfte erwarb 


271 


er ſich um die dortige Mliiffionszentrale und um die Neuorganiſation und 
Ausgeftaltung der Deröffentlichungen des Vereins. Dieſe ver- 
dienen ernſtliche Beachtung und größte Verbreitung. Der Hachener 
Xaverius-Derlag iſt zwar ein verhältnismäßig junger Derlag. Für die 
Miffionsliteratur iſt es aber von nicht geringer Bedeutung, daß er faſt 
ausſchließlich in ihrem Dienſte ſteht. Es iſt daher wohlbegründet, 
feine Tätigkeit eigens zu berückſichtigen. Die Derdienfte anderer Ver⸗ 
leger, vor allem des Herderſchen Verlages, der uns früher ſchon eine 
tteffliche Miſſionsbibliothek geſchenkt hat, ſeien darũber nicht vergeſſen. 


Jeitſchriften, gahrbücher und ktalender. 
1. „Die Weltmiffion der kathol. Kirche.“ Aluſtrierte Monats- 


blätter des Dereins. An Stelle der „Jahrbücher“ getreten, iſt „Die 

Weltmiſſion“ das eigentliche Dereinsorgan und bringt lebensfriſche 

mitteilungen aus den Mliffionen. Infolge der finanziellen Notlage 

erlitt die Zeitſchrift ſeit der Ruhrbeſetzung bedauerliche Einſchränkung, 
ſeit 1924 erfcheint fie jedoch wie früher. 


2. „Die katholiſchen Miffionen.” Illuftrierte Monatsſchrift des 
Dereins der Glaubensverbreitung in den Ländern deutſcher Zunge. 
seit ihrem Beſtehen von Prieſtern der Geſellſchaft geſu geleitet, lange 
gahre — faſt ein halbes Jahrhundert — bei Herder in Freiburg ver⸗ 
legt, wenden ſich die katholiſchen Miſſionen auch an gebildetere Ratho- 
liken. Sie bringen reichhaltige Berichte über Stand und Fortgang des 
geſamten Miſſionswerkes; durch gediegene miſſionsgeſchichtliche, geo⸗ 
graphiſche, ethnographiſche, kultur- und ſittengeſchichtliche Nufſätze 
und einſchlägige Mitteilungen ſind ſie eine mit Recht geſchätzte Fund⸗ 
grube von bleibendem Wert für die ktirchengeſchichte und ebenſo für 
die bänder⸗ und Dölkerkunde. 

3. „Driefter und miſſton.“ gahrbuch der Unio cleri, ein feinem 
zwecke trefflich dienendes Organ, deſſen anregende und belehrende 
Auffäße von angeſehenen ſachkundigen Mitarbeitern verfaßt find. 80 
behandeln, um ein Beiſpiel zu nennen, im gahrbuch 1923 u. a. Weih⸗ 
biſchof Dr. Sträter: Das Pfingſtrundſchreiben der Propaganda, Dr. 
Raftner, der verdienſtvolle Derfaffer des eben erſchienenen nützlichen Bre⸗ 
vier⸗Hommentars: Miſſionsgedanken in unferem Breviergebet; IIſgr. 
Dies: Extra ecclesiam nulla salus, „Außerhalb der kirche kein Heil“, 
p. huonder S. J.: Das Opus s. Petri; P. Gentrup S. D. D.: Die fiongo⸗ 
akte und ihre Reviſion durch die Alliierten; Prof. Dr. Lübeck: Euchariſtie 
und griechiſche Orthodoxie; der herausgeber Dr. Louis: Das ferne 
Oſtaſien in der katholiſchen Miſſion und Die Miſſionsvereine; Erzabt 
N. Weber von St. Ottilien: Welche Aufgaben hat die Miſſion noch 
zu löſen? 

4. „ftatholiſche miſſionsärztliche Fürſorge.“ 1. gahresheft 1924, 
hrsg. von Dr. C. Becker 8. U. D. Das erſte Heft führt ſich löblich 
ein und empfiehlt ſich gleichmäßig durch ſeine Mitarbeiter wie durch 
deren Beiträge. U. a. berichtet P. knut d' Rvernas O. 8. B. über Ko⸗ 
reaniſche Heilkunde; Chefarzt Dr. Bundſchuh über Das ktrankenhaus 


272 


im Miſſtonsbetrieb; P. Mader 5. D. 8. über den Islam Vorderaſtens 
und die miſſionsärztliche Fürſorge; Freiherr von Rechberg über Die 
Bedeutung der ärztlichen Tätigkeit für die Miffion. 

5. Ein weiteres gahrbuch „Schule und Miſſion“ ift noch für 1924 
zu erwarten. 

6. Unter den zahlreichen Miſſtonskalendern kommt dem Zaverius- 
miſſionskalender unftreitig ein Ehrenplatz zu. Inhalt und Aus- 
ſtattung find vortrefflich und in ſteigender Aufwärtsbewegung. Er 
verdient weiteſtgehende Beachtung und Derbreitung. Mögen er und 
feine Nachfolger recht vielen Cefern das Miſſionswerk ans Herz legen 
und die Begeiſterung dafür das ganze Jahr hindurch wacherhalten. 


Abhandlungen aus miſſionskunde und Miſſionsgeſchichte. 


Eine wertvolle Bereicherung der Miſſionsliteratur find die bis jetzt 
vorliegenden 42 Nummern der „Abhandlungen aus Miffionskunde 
und Miſſtonsliteratur“. In ihnen werden belangvolle Fragen und Er⸗ 
ſcheinungen der Miſſionstheorie und Miſſionsmethode, der Miſſtons⸗ 
geſchichte und des heimatlichen Miffionswefens meiſt ausführlich, teil: 
weiſe erſtmalig behandelt. Wer ſich mit Religionswiſſenſchaft und 
Miſſionsgeſchichte ernſtlich befaſſen will, kann dieſe Sammlung nicht 
unberückfichtigt laſſen. Die Abhandlungen ſchöpfen vielfach aus eigener 
Erfahrung der Derfaffer und bauen auf wiſſenſchaftlicher Grundlage 
auf, entbehren aber im allgemeinen der vollſtändigen gelehrten Bei⸗ 
gaben. Die Hefte ſind ſelbſtredend nicht alle gleich gut an Gehalt und 
Wert. Zunächſt für die Gebildeten beſtimmt, eignen ſich doch viele von 
ihnen für einen ausggdehnteren beſerkreis, dem fie reichlich Belehrung, 
Erbauung und Anregung zu bieten vermögen. In Dolksbibliotheken 
werden fie ſicherlich dankbare Deſer finden. Geſchickt hat Dr. Louis 
in ſeiner „Miſſionskunde“ (ſ. unten) die Bändchen ſachlich gruppiert; 
wir ſchließen uns feiner Überſicht an, wobei wir jedoch die Werke 
des gleichen Derfaffers tunlichſt zuſammennehmen und Werke, die ſehr 
wohl unter verſchiedenen Gruppen aufgeführt werden könnten, jeweils 
nur einmal nennen. beider müſſen wir es uns verſagen, mancherlei 
treffliche Einzelheiten beſonders hervorzuheben oder auch kleinere 
Wünſche zu äußern und Ausftellungen anzubringen!. 

1. miſſionstheorie. In Nr. 1 betont P. Hallfell die Miſſions⸗ 
aufgabe der Kirche und gibt beachtenswerte Winke für deren Erfüllung. 
Dem wichtigen Thema wäre eine eingehendere Bearbeitung zu wüͤnſchen. 
— Mit echt deutſcher Gelehrtengründlichkeit und rechtem Gelehrtenfleiß 
behandelt P. Größer (Mr. 19) die drei für die Miffionsarbeit hoch⸗ 
wichtigen Fragen: 1. Wie ſteht die Miffion ihrem Weſen und ihrer 
Beſtimmung nach zu den Nationen und ihren Beſtrebungen? 2. Welche 
Folgerungen ergeben ſich daraus für die Durchführung der Miſſtons⸗ 
werke? 3. Inwieweit entſpricht die katholiſche heidenmiſſion in Der: 
gangenheit und Gegenwart dieſen Folgerungen? Er unterſucht, in 


' Die Nummern hinter den einzelnen heften verweifen auf das Seſamtverzeichnis: 
wir bringen es aus praktiſchen 8ründen am Schluß. 


273 


welchem Anfang eine nationale Einftellung berechtigt, in welchem fie 
unberechtigt und ſchädlich ift, rügt unkluge Äußerungen und Betäti⸗ 
gungen eines unmiſſtonariſchen „Patriotismus“ und weiſt die unge⸗ 
rechten Anſchuldigungen proteſtantiſcher Miſſionsſchriftſteller (Warneck 
und Frick) zurück. Eine etwas faßlichere und ſchlichtere Darſtellungs⸗ 
weiſe wäre zumal im erſten Abſchnitt des Werkes ſehr willmommen 
und der Aufhellung dieſer heiklen Frage für einen größeren Leferkreis 
dienlich. — A. Dyroff wertet (Nr. 28) in anregender Darſtellung äſthe⸗ 
tiſch, ethiſch und metaphuſiſch die Miffionsidee, die in der Einheit aller 
menſchen in Glaube und Liebe ein Neal begrüßt. 

2. miſſion und HI. Schrift. F. Feldmann hebt (Nr. 13 und 14) 
aus dem Buche der Pſalmen und des Propheten Jſaias die Stellen aus, 
welche die Bekehrung der heiden, bzw. ihre Sammlung um Sion, 
ihre huldigung vor Gott und dem meſſias, ſowie das Gericht und 
die Züchtigung der Widerſpenſtigen ankünden. Die Überſetzung lieſt 
ſich gut, und die beigefügten Erklärungen ſind recht geeignet, Prieſter 
und Laien tiefer in das Derftändnis diefer Schriftteile einzuführen. In 
ähnlicher Weiſe verfährt A. Rich (Nr. 47) mit den kleinen Propheten, 
während P. Perger (Nr. 11) in ſchlichter Forin auf die völkerum⸗ 
foffenden Heilsgedanken hinweiſt, welche die Dorbereitungsgebete zur 
heiligen Meſſe und die eigentlichen Meßgebete dem achtſamen Beter 
nahelegen. 5 

3. Miffionsmethode. Mit großem Fleiße hat P. huonder 8. 9. 
Uachrichten geſammelt über das religiöfe Volkstheater und die Drucke⸗ 
teien in den Miffionen (Nr. 2 und 37). Das Miffionstheater erfreute 
ſich großer Beliebtheit und war im Dienfte der Glaubensverkündigung 
ein geſchätztes Hilfsmittel, das ähnlich ſegensreich wirkte wie die neu⸗ 
zeitlichen Paſſionsſpiele. Gegen Auswüchſe mußte mehrfach einge⸗ 
ſchritten werden. Die neuerfundene Buchdrucker kunſt wurde bald in 
den Dienſt der Weltmiſſion geſtellt, die durch fie ihre Aufgabe er⸗ 
leichterte und kulturfördernd wirken konnte. Erſtaunliches berichtet 
der Derfaffer nebenbei über die Aunftfertigkeit a Indianer, Be⸗ 
dauerliches über hemmende Druckverbote der Spanier und über die 
engherzige Selbſtſucht der Portugieſen, die in Brafilien gar keine 
Druckerei duldeten. Die Notwendigkeit einer guten Preſſe befteht nicht 
nur für die heimat, ſondern ebenſo, wenn nicht noch mehr, für die 
meiften Miſſtonsländer. P. Arens 8. 9. berichtet (Nr. 5) über das ka⸗ 
tholiſche Jeitungsweſen in Oftafien und Ozeanien, über entſprechende 
hoffnungsvolle, wegen mangelnden Mitteln und Kräften aber zu⸗ 
ſammengebrochene ältere Unternehmungen und über den gegen⸗ 
wärtigen beſcheidenen Stand. Hochbedeutſam find die kleinen Hefte 
nr. 22 und 23. Hußerſt beklagenswert und ſchädlich war es, daß durch 
beidenſchaftlichkeit und Eiferſucht die chineſiſche Ritenfrage zum er⸗ 
bitterten Ritenſtreite ausartete. P. huonder hebt klar und bündig 
die wichtigſten Streitpunkte hervor, ſowie deſſen Urſachen und eigent⸗ 
liche Triebkräfte. Viel Unheil hätte auch hier bei mehr Weitherzig⸗ 
keit, Klugheit und gegenſeitiger Liebe vermieden werden können. Nahe 
liegt die Frage, warum denn in den letzten vierhundert Jahren das 

Benediktinifche Monatſchriſt VI (1924) 7—8. f 18 


274 


Miffionswerk, zumal in Indien und China fo wenig weitergekommen 
‚ft. Den genugfam belegten Ausführungen P. huonders wird man 
wiederum zuſtimmen müffen, daß im Gegenſatz zu Weiſungen der 
kirche — 3. B. der Inftruktion der Propaganda vom Jahre 1659 — 
zuviel „Europäismus“ d. h. daß unter Mißachtung der Sitten, Gebräuche 
und Rechte fremder Dölker im Schulbetrieb, Kirchenbau, liturgiſchen 
Formen uſw. abendländiſche Art und Bepflogenheit zu ſehr maßgebend 
war. Er weiſt befonders hin auf die kränkende Zurückſetzung ein⸗ 
geborener Prieſter. p. Becker, der frühere apoſtoliſche Präfekt von 
Aſſam, berichtet in Heft 24 über die hochentwickelte, miffionsärztlide 
Fürſorge bei den Proteſtanten und tritt warm dafür ein, daß auch 
der katholiſchen Miſſion Hrzte beigegeben werden. Durch das 1922 
eröffnete und von ihm geleitete katholiſche miſſionsärztliche Inſtitut 
in Würzburg (fiehe oben 8. 271) find inzwiſchen hiefür gute Hoff: 
nungen gefichert. Recht anſchaulich und belangvoll ſchildert der gleiche 
P. Becker in Heft 20 das indiſche Kaftenwefen und die Schwierigkeiten, 
die hiedurch dem Miſſionswerk erwachſen. Die Stellungnahme der 
Miſſionäre in der kaſtenfrage war und iſt bis heute keine einheitliche. 
Da die kiaſte dem Inder alles gilt und an ſich nicht religiös iſt, konnte 
zumal in Südindien den Chriſten die Beobachtung der Kaſtenvorſchriften 
geftattet werden; doch traten dadurch in Kirche, Schule und Verkehr 
mehrfach ſehr unangenehme, mitunter faſt unerträgliche Zuſtände ein. 

4. miſſionsgeſchichte. Auf Grund der neueſten Forſchungen prüft 
P. Väth (Heft Nr. 4) die alte Thomaslegende mit dem Ergebnis, daß 
geſchichilich, wenn auch nicht mit voller Sicherheit, feſtſteht, der heilige 
Apoftel Thomas habe im Grenzgebiet von Indien und Afghaniſtan 
und ſehr wahrſcheinlich auch in Südindien gewirkt und in Mailapur 
den Martertod erlitten. Friſch und anſchaulich ſchildert Erzbiſchof Dö⸗ 
ring 8. 9. (Ur. 7) die ſchwierigen Anfänge und die erfreuliche, durch 
den ktrieg leider gehemmte, Entwicklung der geſuitenmiſſion Puna. Er 
nimmt den Lefer mit auf eine Miſſionsreiſe, läßt ihn teilnehmen an 
einer Feſtfeier mit religiöfem Theater und berichtet über die hoffnungs» 
volle Heranbildung einheimiſcher Prieſter und katecheten. In heft 46 
zeichnet derſelbe hohe Derfalfer auf dem hintergrund der religiöfen 
und politiſchen Zuſtände Japans im 16. und 17. Jahrhundert kurz 
die Tätigkeit des hl. Franz Xaver und anderer Miſſionäre in dem 
nunmehr ihm anvertrauten apoſtoliſchen Dikariate Hiroshima. Feſſelnd 
iſt wiederum Heft 8, in dem P. Noti das romanhafte, jedoch gut be: 
glaubigte bebensbild der tugend haften, ja heiligmäßigen Portugieſin 
D. Juliana (+ 1734 zu Agra) gibt. Außerordentliche Begabung, Schön: 
heit und Liebenswürdigkeit, dazu einige kenntniſſe der Heilkunde und 
größte Geſchicklichkeit verſchafften ihr hohes Anſehen und großen 
Einfluß am Hofe der damaligen Sroßmogule von Bindoftan. In Ur. 21 
bietet der ehemalige Miſſionär Baukhage eine reichhaltige Einführung 
in die kenntnis Indiens. Sie erhält vielfach erhöhte Anfchaulichkeit 
und Lebensfrifche durch die eigenen Erfahrungen und Beobachtungen 
des Derfallers. Seine Schrift, die beſte Empfehlung verdient, wurde nebſt 
einigen andern heften erſt nachträglich in die Sammlung übernommen. 


275 


Auf Nr. 25, B. heuvers, Buddhismus, wurde ſchon früher in diefer 
Feitſchrift (1923, 5.68) anerkennend verwieſen. Nicht geringe Gefahr 
droht dem Miſſionswerk von der im Ausland geſchöpften materia⸗ 
liſtiſchen Weltanſchauung und Sittenverderbnis, von der bolſchewiſtiſchen 
und panislamitiſchen Bewegung und endlich von den ſeit ktriegsende ver⸗ 
mehrten Anſtrengungen der Andersgläubigen, die der katholiſchen Kirche 
zuvor zukommen ſuchen. Mit Recht fordert daher P. Däth in Nr. 16 u. 27 
das opferwillige und ſeeleneifrige Juſammenwirken aller treuen Söhne 
der kirche, beſonders auch bei uns in Deutſchland. P. Arens 8. 9. 
zeigt uns (Heft 9) die eifrige hirtenſorge Pius X. auf dem Gebiete der 
Weltmiſſion. Den Orientalen die er gut kannte, blieb er trotz erfah⸗ 
tener Mißerfolge ein treubeſorgter Dater, für die Hheidenmiſſion war 
er unermüdlich in Teilnahme und hilfe. Wie er im katholiſchen 
Ordensleben keine Neuſchöpfungen, ſondern Ausbau und Aräftigung 
des Beſtehenden wünſchte, fo wollte er auch im Miffiönswefen keine 
derfplitterung der kräfte. Daher feine Vorliebe für eine große all» 
gemeine Organiſation. 

Orientmiſſion und griehifh-orthodoges Rirchenwefen. Auf 
der Grundlage der neuteſtamentlichen und altchriſtlichen Forſchung führt 
uns in anziehender Schilderung P. Dieckmann 8. 9. (heft 17) An- 
tiochien vor, die große Weltſtadt am Orontes, die eine zahlreiche Juden⸗ 
(haft und bald eine noch zahlreichere heidenchriſten⸗ Gemeinde befaß, wo 
zuerſt der lame „Chriſten“ aufkam, das ein Mittelpunkt für die Miſſions⸗ 
tätigkeit der erften Zeit, zumal auch für den hl. Paulus war. Ähnlich zeich · 
net er, bezw. P. Cladder (Heft 36) das alte Rorinth und die Tätigkeit 
des Dölkerapoftels daſelbſt. Herzog gohann Georg von Sachſen teilt 
die Erlebniſſe und Eindrücke mit, die er 1912 bei feinem Beſuche in den 
koptiſchen Alöftern der Nitriſchen Wülfte erhielt. Seinem Berichte (Heft 3) 
it ein Auszug aus der Regel des hl. Pachomius vorangeſtellt. In Heft 18 
berichtet er über altchriſtliche Bauten und Aunft in Syrien; 14 ſchöne Ab⸗ 
bildungen, darunter ſolche der kirche und des Kloſters des hl. Simeon 
Stylites veranſchaulichen feine Beſchreibungen. Seit Jahren befaßt ſich 
R. bübeck mit der Kirchengeſchichte des Orients. Seine Beiträge (Heft 6, 
10,15, 26, 32, 33) gehören zu den gediegendften und gehaltvollften der 
ganzen Sammlung. Sie verbreiten Licht über Dölker, bänder, Perſönlich⸗ 
keiten und Geſchehniſſe, die beim Geſchichtsunterricht, obwohl ſie für 
die kirchengeſchichte wichtig find, kaum berührt werden können, und 
erſchließen eine ſchwer zugängliche Literatur. Faſt überreich find die 
Quellenangaben. Beſondere Anerkennung verdienen die beigefügten 
Inhaltsverzeichniſſe und Orientierungskärtchen. Die erfte Arbeit Cü- 
becks behandelt Georgien. Raum ein anderes Volk hatte fo harte 
beidenszeiten zu beſtehen und zumal um des chriſtlichen Glaubens 
willen fo viel zu erdöulden, wie diefe Rkaukaſusbewohner. Durch Der: 
gewaltigung brachten Islam und Schisma nach und nach die große 
Mehrzahl der Seorgier auf ihre Seite. Abendländiſche Ordensleute 
retteten einen Reſt von Katholiken; allein es waren ihrer zu wenig 
und fie unterließen es, einen einheimiſchen Alerus heranzubilden. Erft 
ſeit vierzig Jahren iſt damit ernſtlich begonnen worden. In Perſien fand 


18* 


276 


das Chriftentum ſchon in den Zeiten der Apoftel Eingang und bald 
auch weite Derbreitung. Das Herrfcherhaus der Saſſaniden jedoch hing 
dem iraniſchen Feuerkult und deſſen einflußreicher Prieſterkaſte an. 
Zu dem hiemit gegebenen innern Gegenſatz trat bald noch politiſches 
Mißtrauen. Auf dieſem dunkeln Hintergrunde, der durch innere Wirren 
und vor allem durch häretiſche Sekten noch dunkler wurde, entrollen ſich 
die herben Geſchicke der perſiſchen Kirche, die zahlreiche Märtyrer und 
eine Zeit lang auch ein blühendes Mönchtum, „Söhne und Töchter des 
Bundes“, hervorbrachte. Die ſchwerſte Schädigung brachte der ſeit 457 
vom Niſibis aus eingedrungene Neſtorianismus, zu dem ſpäter noch 
der Monophuſitismus Ram. Vor dem Weltkriege gab es etwa 90000 
unierte Chaldäer; die etwas zahlreicheren armen Neſtorianer waren 
von Ruſſen, Engländern, Amerikanern ſtark umworben. Seiſt und 
Zuſtände, kirchliche und außerkirchliche Derhältniffe der orientaliſchen 
Chriften beleuchtet Uübeck vielſeitig in feinem „Maslum“. Nach ganz 
dürftiger Dorbildung, die er jedoch ſpäter in einigen Wiſſenszweigen, 
nicht aber in aſzetiſcher Schulung ergänzte, Priefter und bald als 
Günſtling ſeines Patriarchen in ungehöriger Weiſe Biſchof, gelangte 
der geſchmeidige Mazimos III. Maslum (1779 - 1855) nach einem 
längeren Aufenthalt in Rom und im Abendlande auf den Patriarchen⸗ 
ſtuhl der Melchiten. Sein Anſehen ſtieg durch Eifer in der Amtsführung, 
beſonders aber, als ihm die bürgerliche Derfelbftftändigung der „Nation 
der Melchiten“ und ihre Befreiung von der drückenden Bevormundung 
der Schismatiker gelungen war. Seither wuchs aber auch in un⸗ 
erträglichem Maße feine Selbſtherrlichkeit und Rückſichtsloſigkeit, die 
ſich um die Rechte ſeiner Mitbiſchöfe und ſelbſt Roms wenig mehr 
kümmerte. Einen ganz anders gearteten Biſchof führt uns Lübeck vor 
in dem demütigen, ſelbſtloſen und ſeeleneifrigen italieniſchen Cazariſten 
Juſtinus de gacobis (r 1860), deffen Seligſprechung bald zu er⸗ 
warten iſt. In 21jährigem opfervollen Wirken gewann dieſer auf dem 
dornenvollen Miſſionsfeld Abeſſiniens zahlreiche Butgefinnte für die 
Ratholiſche ktirche, u. a. den Mönch Sebra Michael, der als Märtyrer 
ſtarb, und den angeſehenen Naturforſcher W. Schimper, einen prote⸗ 
ſtantiſchen mit einer Ubeſſinierin verheirateten Württemberger, der 
ihn alsdann in ſeiner Miſſionstätigkeit eifrig unterſtützte. Die reli⸗ 
giöſen und politiſchen Zuftände eines Volkes, das einem erſtarrten 
Monophutismus verfallen, faſt nur dem Namen nach chriſtlich, durch 
feine guten Eigenfchaften eines beſſeren Lofes wert wäre, werden hier 
vielſeitig beleuchtet. Nicht nur für das Studium, ſondern auch zur 
erbaulichen Lefung ſei dieſe Schrift warm empfohlen. Zwei weitere 
lehr⸗ und belangreiche Arbeiten Uübecks befaſſen ſich mit Rußland. 
In einem Jahrtaufend kam die Chriftianifierung Rußlands nicht zum 
Abſchluß, allein im europäiſchen Rußland gibt es nach ihm noch etwa 
400000 Beiden. Geringer Eifer, faſt gänzlicher Mangel an Syftem 
und Ausdauer tragen Schuld an dem unvollſtändigen Ergebnis. Es 
zeigt ſich die Unfruchtbarkeit des Schismas, das die Liebe lähmt. 
Metropoliten und Patriarchen bemühten ſich im Sanzen wenig um 
die Ausbreitung des Glaubens, mehr leiſteten, aber meiſt aus bloßer 


* 


277 


Politik, Synod und Regierung. Es gab einzelne feeleneifrige Glaubens» 
boten, Mönche und Prieſter. Doch wurden die oft gar nicht oder 
ungenügend unterwieſenen Täuflinge vielfach nur durch zeitliche Vor⸗ 
teile gewonnen und zur Annahme des orthodoren Glaubens genötigt. 
Maſſenabfälle kamen daher öfters vor. Erſt die 1870 gegründete 
orthodoxe Miſſionsgeſellſchaft und ihre Kollekten weckten in weiteren 
kireiſen Miſſionsſinn. Nicht-orthodoge Miſſionäre waren vom ruſſiſchen 
Boden ausgeſchloſſen. Ift zu erwarten, daß die Stunde der Freiheit 
heit für das fromme Ruſſenvolk naht? Die ausländiſche ruſſiſche Miſſton 
beſchränkte ſich auf Länder, in denen politiſche Herrfchaft oder Einfluß 
erſtrebt wurde und auf die orthodoxen Auswanderer. kaum 100 Miſ⸗ 
fionäre wurden entſandt, obwohl Rußland an 45000 Weltpriefter, etwa 
15000 Diakone und ebenſoviele Mönche zählte. Nicht geringe Erfolge 
erzielte ſeit 1861 der bedeutendſte ruſſiſche Miſſionär Nikolai Raffat- 
kin in Japan. Er zog alsbald gapaner für das Miſſionswerk heran, 
hielt die Liturgie japaniſch, verhielt ſich im kiriege 1904 loyal. In 
Paläftina, Syrien und Perſten hatten vor dem Weltkrieg die Ruſſen 
durch die Schulen und Anſtalten ihres Paläſtinavereins bedeutenden 
Einfluß gewonnen. — Eine „Geſchichte der ruſſiſchen kirche“, eine, kirchen⸗ 
geſchichte der Ukraine“ und eine Arbeit über „Abeffinien und die ka⸗ 
tholiſche Kirche“ find von A. Lübeck vorbereitet und vom Verlage bereits 
als Heft 34, 38 und 49 angekündigt. 

5. heimatliches Miffionswefen. Auf die viel zu geringe Zahl 
katholiſcher Miſſtonäre und die reifende Ernte in vielen Miſſions⸗ 
ländern hinweiſend, ruft Dr. Louis (heft 12) eindringlich nach geiſtig 
und körperlich befähigten Arbeitern, die mit wahrem Miffionsberuf 
als Priefter, Gehrer, Brüder oder Schweſtern in die Miſſion ziehen 
wollen. Wie dieſer Beruf erkannt, in welchen Ordensgenoſſenſchaften 
er erprobt und betätigt werden kann, wird gezeigt. Die wichtige 
heimatliche Bilfsmiffion der Betenden, Werbenden, Sammelnden, Ar⸗ 
beitenden iſt nicht vergeſſen. Dankenswert iſt die reichliche Citeratur- 
angabe. Die zweite Auflage fügt der erſten nur wenige Ergänzungen bei. 

Eine allgemeine Einführung in das Miffionswerk der heiligen Kirche 
war ſchon lange Bedürfnis. In feiner Miffionskunde (heft 41) 
ſchenkt uns derſelbe Dr. Louis das erſehnte handbuch. Es zeichnet 
fi) ebenſo aus durch Kürze und kilarheit wie durch Reichhaltigkeit 
und Überſichtlichkeit. Begriffsbeſtimmung von Miffion und Miſſionär, 
Miſſtonspflicht, Träger und Leiter des heimatlichen Miſſionsweſens 
kommen in den drei erſten Abſchnitten zur Darſtellung; ausführlicher 
wird der Derfalfer naturgemäß im vierten Abſchnitt, der die katholiſche 
Weltmiſſion in ihrem Wirken zeigt, zumal in der Gegenwart. Dem 
Miffionsziel und einer warmherzigen Werbung für das katholiſche 
Weltapoſtolat gelten die beiden letzten kurzen kapitel. Ein gutes Na⸗ 
mens- und Sachverzeichnis [chließt das lehrreiche Werk, das wohlver⸗ 
dient, in die hände recht vieler beſer und Miſſionsfreunde zu kommen. 

1911 wurde zu Mainz „das Internationale Inftitut für miſſions⸗ 
wiſſenſchaftliche Forſchungen“ gegründet. Über Miſſionswiſſenſchaft im 
allgemeinen, über Gründung, Organiſation, bisherige beiſtungen und 


278 


gegenwärtige Aufgaben des Inftitutes berichtet kurz P. Streit (Heft45). 
Seine trefflichen Ausführungen verdienen ernſtliche Beachtung. 

6. Kulturpflege und Caritas in der Weltmiffion. Dielumfaf- 
fend ift das Gebiet, das Dr. Berg in lichtvoller und anſprechender 
Ausführung bearbeitet hat: Die katholiſche heidenmiſſion als Aultur 
träger (Heft 29 u. 30). Nach einer überſichtlichen Schilderung der reli⸗ 
giöfen und kulturellen age des heidentums und Bejahung der Frage: 
„Sind die primitiven Raſſen kulturfähig?“, beſpricht der Verfaſſer Ziel 
und Aufgaben, Entwicklung und Organifation der katholiſchen Heiden⸗ 
miffion, die religiös ⸗ſittliche Erziehung der Eingeborenen, deren Er- 
ziehung zur Arbeit, Miſſionsſchulen, Pflege der Wiſſenſchaft, Literatur 
und Kunſt in den Miſſionen, insbeſondere der Baukunſt, Malerei und 
Mufik. Ein noch ausſtehender Teil (Heft 31) ſoll die Miſſion als Förderin 
der heimatlichen Wiſſenſchaft (Sprachen⸗, Cänder-, Dölkerkunde, ver: 
gleichende Religionswiſſenſchaft) Miſſion und Caritas, Miſſion und 
Raſſenverſöhnung darſtellen und ein Anhang das deutſche Miſſions⸗ 
feld der Segenwart. Schon dieſe Aufzählung läßt die Reichhaltigkeit 
des Inhaltes erkennen. Für Miſſionsvorträge bietet die fleißige, ge⸗ 
haltvolle Arbeit eine faſt unerſchöpfliche Fundgrube, deren Brauchbar⸗ 
keit durch ausgiebige Belege, zahlreiche anregende Beiſpiele, kernige 
Zitate und einſchlägige Literaturangaben erhöht iſt. 

Der übrigen Deröffentlihungen des Kaverius- Verlages, insbefondere 
der umfangreichen „Bücher der Weltmiſſion“, wird im nächſten heft 
gedacht. Zugleich ſoll dann auch weitere eingegangene Miſſionslitera⸗ 
tur beſprochen werden. 


Verzeichnis der 
Abhandlungen aus Miffionskunde und Miſſtonsgeſchichte 


herausgegeben im Huftrage des Franziskus-Kaverius-Mliffionsvereins 
von Dr. P. J. Louis, Generalſekretär des Vereins. 


1. P. m. Hallfell M. A., Die Miſſton 
und die Apologie der ſtirche. M. —.30 

2. P. Anton huond er 8. ., Jur Geſchichte 
des Miffionstheaters. M. —.75 

3. Prinz Johann Georg, Herzog zu 
Sachſen, Hoptiſche Klöſter der Gegen- 
wart. m. —.30 

4. P. Alfons Däth 8. J., Der hl. Thomas, 
der Apoftel Indiens. (2. Auflage in 
Vorbereitung). 

5. P. Bernard Arens 8. J., Das Ratho- 
liſche Jeitungsweſen in Oftafien und 
Ozeanien. M. —.50 

6. Dr. Konrad Lübeck, Georgien und 
die Ratholifche Kirche. Mit einer Karte. 
m. 1.— 


7. Biſchof heinrich Döring 8. J., Bilder 
aus der deutſchen geſuitenmiſſion Pu- 
na. Mit einer ſtarte und ſieben Abb. 
ſtark kartoniert. M. 1.20 


8. P. Severin Hoti 8. J., Donna Juliana. 
bebens ſchickſale einer Frau und För; 
derin des Miſſtonswerkes am Hofe des 
Sroßmoguls. Mit 4 Bildern. M. —. 30 

9. B. Bernard Arens 8. J., Pius X. und 
die Weltmiſſton. Mit einem Bild des 
Papſtes. m. —. 60 

10. Dr. Ronrad Pü beck, patriarch Maxi · 
mos III. Maslum. Mit zwei Bildern. 
Mm. 1.30 

11. P. Ber ger C.. Sp., Miffionsgedanken 
im heiligen Meßopfer. M. —.30 

12. Dr. peter bouis, Der Beruf zur Mif 
fion. 2. Aufl. m. —.75 

13. Dr. Franz Feldmann, Laudate Do- 
minum omnes gentes. Wiſſtons- 
gedanken im Buche der Pfalmen. Mit 
einem Titelbild. M. —.30 

14. —, Die Bekehrung der heiden im Buche 
Iſaias. M. —.50 


15. Dr. Konrad Lübeck, Die altperfifche 
MiMonskirde. Mit einer Karte. . 1.20 

16. P. Alfons Däth 8. J., Eine entſchei⸗ 
dungsſtunde der Weltmiffion. 2. Aufl. 
85. Taufend. (Vergriffen). 

17. P. hermann Dieckmann 8. J., An- 
tiochien, ein Mittelpunkt urchriſtlicher 
miſſtonstätigkeit. M. —.50 

18. Prinz Johann Georg, Herzog zu 
Sachſen, Monumentale Refte frühen 
Chriftentums in Syrien. M. —.30 

19. P. ax &rößer B. S. M., Die Tleutra- 
lität der kathol. Miſſton. M. 1.20 

20. P. C. Becker 8. D. S., Indiſches Raften- 
weſen und chriſtliche Miſſton. Mit vielen 
Bildern. In Originaleinband. M. 2.—; 
geb. M. 1.50 

21. Wilh. Baukhage, Indien. Das band 
und feine Bewohner. 2. Auflage. Geh. 
M. 1.20; geb. M. 1.50 

22. P. Anton Huonder 8. J., Der dhine- 
ſiſche Ritenſtreit. M. —.40 

23.—, Der Europäismus im Miſſtons⸗ 
betrieb. M. —.40 

24. P. C. Becker 8. D. 8., Arztliche Für⸗ 
forge in den Miffionsländern. M. —.50 

W. P. heuvers 8. J., Der Budöhismus. 
nm. —.50 

26. Dr. Konrad Gübeck, guſtinus de ga- 
kobis, Npoſtel von Abeffinien. M. 1.20 

27. P. Alfons Däth 8. J., Ein neuer Mif- 
ſtonsfrühling. M. —.15 

28. Dr. Adolf Dyroff, Die Miffionsidee 
im Dichte philoſophiſcher Betrachtung. 
m. —.35 

29. Dr. Cudwig Berg, Die katholiſche Hei- 


denmilfion als Aulturträger. Mit Buch⸗ 


ſchmuck von heinrich Flaam. 

L Band (Teil 1-6): HIbd. M. 4.—. 
Jeder Teil iſt auch einzeln erhältlich 
zum Preiſe von IM. —.50 

30. II. Band (Teil 7 und 8): HIbd. M. 4.—. 
Jeder Teil einzeln geh. M. 1.50 

31. III. Band (Teil 9 und 10): (Im Druck, 
erſcheint 1924.) 

32. Dr. Konrad Lübeck, Die Chriftiani- 
ſierung Rußlands. Mit zwei Karten. 
Hart. I. 1.20 

2 —, Die ruſſiſch. Miffionen. Geh. M. —. 75 
34. —, Geſchichte der ruſſiſchen Kirche. (In 
vorbereitung.) 

35. P. Anton huonder 8. J., Der hl. Jg- 
natius von Goyola und die Miffionen. 
Geh. M. 1.20 


279 


36. B. J. Claöder, ftorinth. Die Kirche 
des hl. Paulus. Erg. und hrsg. von 
B. 5. Dieckmann. Geh. M. —. 60 

37. P. Anton huonder 8. J., Die Der- 
dienſte der katholiſchen Heiden miſſion 
um die Buchdruckerkunſt in überſee⸗ 
iſchen Ländern vom 16.— 18. Jahr · 
hundert. Geh. M. 1.20 

38. Dr. Aonrad Pübeck, Kirchengeſchichte 
der Ukraine. (In Vorbereitung.) 

39. Dr. Karl Pieper, Die Propaganda; 
ihre Entftehung und religidſe Bedeu⸗ 
tung. M. —. 40 

40. Kanonikus Paul Dies, Die Beilsfrage 
der heiden. (In Vorbereitung.) 

41. Dr. Peter Pouis. Katholiſche Miſſi⸗ 
onskunde. Ein Miſſionsſtudienbuch. 
Geh. I. 2.40; geb. M. 3.30 

42. P. Eugen Weber P. 8. m., Die por- 
tugieſiſche Reichsmiſſion im Königreich 
Kongo. (Im Druck.) N 

43. P. Robert Streit O. M. J., Im Dienſte 
der Miffion. Der Miffionsgedanke im 
beben des Stifters der Oblaten v. d. Un- 
befl. Jungfrau Maria, R. J. E. von Ma⸗ 
zenod. Zeh. M. —.65 

44. Dr. Peter Louis, Des Meiſters Wort 
und Wille. (2. Aufl. in Vorbereitung.) 

45. P. Robert Streit O. M. J., Das In» 

ternationale Inftitut für miſſionswiſ⸗ 

ſenſchaftliche Forſchungen. Ein Beitrag 
zur Geſchichte des heimatlichen Miffi- 
onslebens und der milfionswiffen- 
ſchaftlichen Bewegung in Deutſchland. 

Seh. M. —. 45 

. Erzbifhof Heinrich Döring 8. J., Die 

Miffion von Birofhima im 16. und 17. 

Jahrhundert. M. —.45 

Pfarrer Dr. Albert Rich, Die Miſſion 

der kleinen Propheten. IIR. —.55 

Dr. Fritz hüner mann, Die Miffion 

im Lichte des Ratholiſchen Glaubens. 

Die Stellung der Miffionsidee im dog⸗ 

matiſchen Gehrgebäude der Kirche. (In 

Dorbereitung.) 

49. Dr. Konrad Lübeck, Abeſſinien u. die 
katholiſche Rirdde. (In Vorbereitung.) 

50. P. Robert Streit 0. m. J., Das 
deutſche katholiſche Miſſionsbuch. Die 
geſchichtliche Entwicklung der Ratholi⸗ 
ſchen Miffionsliteratur in Deutſchland 
von 1870 - 1924. Ein Beitrag zur Se- 
ſchichte des heimatlichen Miffionlebens 
in Deutſchland. (In Vorbereitung.) 


4 


D 


47. 


48. 


280 


Jur Entzifferung der Neumen. 
| Bon P. Dominikus Johner (Beuron). 


Die Choralmelodien find in den älteften Hhandſchriften mit den ſo⸗ 

genannten Neumen aufgezeichnet. Es ſind das Akzente und Punkte, 
die in verſchiedener Weiſe miteinander verbunden werden und in ihrer 
Geſamtheit einem Stenogramme nicht unähnlich find. Das uns heute 
ſo ſelbſtverſtändliche höher⸗ oder Tieferftellen der Noten bezw. Neumen, 
je nach der Bewegung der Melodie kam zuerſt nicht in Anwendung 
oder nach einer neueren Dermutung P. Wagners! nur in einer be⸗ 
ſchränkten Zahl von Handſchriften. Die Nneumen wurden vielmehr mit 
kleinen Abweichungen faft in einer Linie geſchrieben und konnten 
fo wohl die Zahl der zu ſingenden Töne und deren gegenfeitiges Der- 
hältnis im allgemeinen angeben, nicht aber die genau abgegrenzten 
Tonſchritte oder Intervalle. Dieſem Übelftande ſuchte man ſchon in 
früheſter Zeit abzuhelfen. Man hat auch immer wieder Derfuche ge- 
macht, die Neumen aus ſich ſelbſt heraus zu erklären. Im letzten 
Jahrhundert bemühten ſich darum Fetis, Danjou, Niſard, Couſſemaker, 
Riefewetter u. a. Aber bisher ohne greifbaren Erfolg. 50 mußte man 
ſich immer noch mit der vergleichenden Methode begnügen. Man mußte 
von den Handſchriften ausgehen, in welchen die Neumen auf Linien 
ſtehen oder, der Melodie entſprechend, auch höher und tiefer geſetzt 
find oder durch Tonbuchſtaben beſtimmt werden. Nur auf Grund 
diefer Hhandſchriften konnte man die anderen leſen. Das war die 
methode eines D. Pothier und D. Mocquereau, eines Peter Wagner. 

Nun hat im letzten Jahr Oskar Fleiſcher, Profeſſor der Muſik⸗ 
wiſſenſchaft an der Univerfität Berlin ein Werk veröffentlicht, das ganz 
neue Wege weiſt?. Das Buch ift fo fein und vornehm in feiner Rus⸗ 
ſtattung und überwindet große tupographiſche Schwierigkeiten ſo ſpie; 
lend, daß der Derfalfer allen Grund hatte, der Firma C. 8. Röder in 
beipzig und der Frankfurter Derlagsanftalt einen beſonderen Dank 
zu widmen. Neben dem Kulturhiſtoriker und Muſikwiſſenſchaftler wird 
auch der Philologe in mehr als einer Hhinſicht aus ihm Anregung er⸗ 
halten. Ja die früher in St. Gallen gebräuchliche Derwendung gleicher 
neumenzeichen, um ſuntaktiſch zuſammengehörige Wörter ſofort kennt⸗ 
lich zu machen, dürfte ſogar heute noch geeignet fein, das erſte beſen 
lateiniſcher Dichter zu erleichtern (8. 92 ff.). Natürlich wird der Choral⸗ 
forſcher das Buch mit beſonderer Spannung öffnen. „Die Neumenleſung“ 
hat ja Fleiſchers „eben zu einem großen Teile ausgefüllt ... trotz 
allen harten Widerſtänden ſachlicher und perſönlicher Art von vielen 
Seiten her“ (8. 8). Er kann auch von ſich ſchreiben: „Ich danke es 
meiner wiſſenſchaftlichen Schulung und meiner unerſchütterlichen Über- 
zeugung, daß mich keine Aränkung und Jurückſetzung, auch die Mücken⸗ 
ſtiche einer durch Luftöruck von oben geſcharten Phalanx von „ fiol⸗ 
legen‘ nicht von meinem Ziele abzudrängen vermocht haben“ (ebd.). 

1 f. Neumenkunde? (Leipzig 1912) 8. 112 ff. Die Sermaniſchen leumen 
als Schlüſſel zum altchriſtlichen und gregorianiſchen Seſang (Frankfurt a. M. 1923, 


Frankfurter Derlagsanftalt). 156 8. Text, 115 8. Tabellen, eine anſchließende „ent- 
zifferungstabelle“ und ein Anhang von X Zeiten. 


281 


Seine Bemühungen find auch nicht ohne namhaften Erfolg geblieben. 
Seine Ueumenſtudien in drei Teilen (1895, 1897 und 1904 Leipzig, 
Friedrich Fleiſcher) zeugen davon. Mit aller Klarheit hat er zuerſt 
ausgeſprochen, daß die heimat der Neumen im Orient liegt. Es ift 
ihm ferner gelungen, durch Überſetzung und Erklärung einer Papa⸗ 
dike (einer Art Gefangfibel) von Mleffina, die aus dem 15. Jahrhundert 
ſtammt, die mittelbuzantiniſche Neumenſchrift inſoweit zu entziffern, 
daß das Melo diegerüſt klargelegt ift!. Das hat den Verfaſſer offen⸗ 
bar ermutigt. Auch die anderen Neumen ſollten ihre Entzifferung 
erhalten. „Die Neumenfrage ſoll nicht mehr länger ‚die Sphinz‘ fein, 
die fie nun ſchon ſeit beinahe einem gahrtauſend iſt.“ Er will den 
kiampf aufnehmen mit dem „Fafner, der die ungeheuren Schätze an 
muſik bewacht, welche die Bibliotheken uns aus dem Mittelalter ge⸗ 
treulich aufbewahren und die doch der Born find, aus dem faſt allein 
eine wahrhaftige Erkenntnis der modernen Muſtkentwicklung fließen 
kann“ (S. 7). „Unendliche Mühen und Qualen, Entſagungen, Enttäu⸗ 
ſchungen und Zweifel“ (5.10) hat er deshalb in Kauf genommen. 
Er ſchreibt: „Mit welchen geradezu ungeheuren Schwierigkeiten die 
Fmdung des Schlüſſels zu den fo verſchiedenartigen und vielgeſtaltigen 
neumen verbunden war, davon kann ſich niemand in der Welt ohne 
weiteres eine zutreffende Dorftellung machen“ (8. 8). Er iſt aber da; 
von überzeugt, daß er den Schlüſſel gefunden hat, daß „das tauſend⸗ 
jährige Rätſel jetzt gelöſt iſt“ (5.9). Mit Entſchiedenheit tritt er der 
ſo ziemlich allgemeinen Auffaffung entgegen, die in den Neumen keine 
wirklich exakte Tonſchrift ſieht, fondern. nur ein „mnemotechniſches 
hilfsmittel, um ſich ſchon bekannte Melodien ins Gedächtnis zurück⸗ 
zurufen“ (S. 10). Fleiſcher war „von vornherein von der Gewißheit 
durchdrungen, daß die Neumen den Abſichten der damaligen Muſik 
genau ſo gut zu dienen vermochten, als die heutige Tonſchrift der 
unſeigen“ (ebd.) Ihrer Entzifferung gilt nun feine Arbeit. 

Über fein Syftem erhalten wir wohl am beſten und ſchnellſten Auf- 
ſchluß, wenn wir ein Stück der von Fleiſcher übertragenen Melodien 
mit dem entſprechenden aus dem Vatikaniſchen Graduale vergleichen. 
Wir wählen dazu den erſten Satz aus der kommunio von Pfingſten. 
Die metriſchen Unterſchiede Fleiſchers geden wir alſo wieder, daß ge⸗ 
wöhnliche Buchſtaben als Diertelsnoten zu gelten haben, unterſtrichene 
Buchſtaben als halbe Noten, und kurſtoe Buchftaben als Achtelnoten. 
An erſter Stelle geben wir die Deutung Fleiſchers (S. 37, 2. Teil), 
an zweiter Stelle die Faſſung der Datikana: 

c cd d d de c d d c dd caH cH 


g dd di di d g d di ci fienfidt di 
Fa- ctus est re- pen - te de cœ- lo so- nus 
H He c cH cd d c ddceAc cd 0 


d! di dte!etd! eld! cle di ci ct Act c!d! c. 
ad - ve ni - en tis spi- ri- tus ve- he- men - tis: 


| "TE. Wellesz3, Aufgaben und Probleme auf dem Gebiete der buzantiniſchen und 
otientaliſchen Rirchenmufik (Liturgiegefhichtl. Forſchungen H. 6). Münfter 1923, 8. 75. 


282 


Schon der erfte Blick zeigt die große Derfchiedenheit beider Faffungen. 
Die Fleiſcherſche bewegt ſich innerhalb einer kleinen Terz, während 
die Gesart der Datikana, auf Handſchriften des 10.— 11. Jahrhunderts 
ſich ſtützend, in kühnen Intervallen und lebhaftem Rhythmus das 
Brauſen des gewaltigen Sturmes verſinnbildet. Der Fleiſcherſchen Deu⸗ 
tung mit den monotonen Sekundengängen und den häufigen, ſchweren 
halben Noten wird wohl niemand anmerken, daß es ſich hier um 
Sturmesbraufen handelt. Doch dürfte das in keiner Weiſe in die 
Wagſchale fallen, wenn wiſſenſchaftliche Gründe die Deutung Fleiſchers 
verlangen oder wenigſtens rechtfertigen. Iſt dem fo? 

Für feine Sekundengänge kann Fleiſcher eine einzige Stelle aus 
einem Traktate des 11.— 12. gahrhunderts geltend machen, in dem 
zu leſen iſt: „Kein Ton kann auf» und abfteigen als nur in Sekunden 
und Terzen“ (S. 53). Fleiſcher geht ja über feinen Gewährsmann hinaus, 
indem er an manchen Stellen auch Quarten, ja ſogar eine aufſteigende 
Sete gebraucht. Aber all die klaren Zeugniffe der Handſchriften aus 
derſelben Zeit, ja aus früherer Zeit, in denen Quinten nicht ſelten 
find, gelten ihm nichts. In den 115 Seiten Notenbeiſpielen des zweiten 
Teiles kommt auch nicht einmal eine Quinte vor, wenngleich theoretiſch 
die „Dermutung eines Sprunges in die Quinte“ zugegeben wird (8. 55 
und 60). Wie oft reden doch die Choraltraktate von der Derbindung 
von Grundton und Quinte, der ſogenannten Bauptreperkuffion! Fleiſcher 

iR fo ehrlich, in Tabelle 28 die Derfe des Hhermannus kiontraktus 
(+ 1054) über die Intervalle der Neumen vollſtändig anzuführen (5. 106, 
2. Teil), in denen das Unbeſtimmte der Neumen in allerdings um: 
ſtändlicher Art durch Buchſtaben wie t=tonus (Banzton), s=semitonium 
(Halbton), ts=tonus+semitonium (kleine Terz), griechiſches ö oder 
I= diapente (Quinte uſw. gehoben wird. Hier wird von der Quinte 
deutlich geſagt, daß fie crebro, alfo „oftmals“ das Ohr erquicke. Aber 
auf 115 Seiten Notenbeiſpielen begegnet uns auch nicht eine einzige 
Quinte. Wie iſt das zu erklären? 

Vielleicht beruft ſich Fleiſcher auf die urſprüngliche Zwie ſpältig⸗ 
Reit in der Entwicklung des Sregorianifchen Seſanges“. Nach ihm 
find „die linienloſen Aͤkzentneumen eben von Grund aus andere Wege 
gegangen als die räumlichen melodiſchen Neumen und haben ver⸗ 
ſchiedene Melodien zu ihrer Grundlage“ (8. 13). Das iſt ein wichtiger 
Satz, für den man eine eingehende Begründung verlangen dürfte. Sie 
wird uns aber in den „Bermanifchen Neumen“ nicht gegeben und auch 
nicht in des Derfaffers „Neumenftudien“. Gewiß haben ſich da und 
dort Varianten geltend gemacht, die auf verſchiedene Sründe zurück: 
zuführen find. Es fehlt auch nicht an klagen über mangelnde Ein⸗ 
heit. Aber waren die Unterfchiede fo groß, daß man von „verſchiedenen 
Melodien“ reden darf? Wäre es denn denkbar, daß „ſchon im 10. gahr⸗ 
hundert“ (5.13) auf einmal in den verſchiedenen Ländern der katholiſchen 
Welt ganz neue Melodien ſich hätten einbürgen können, ohne daß 
allenthalben ein Sturm der Entrüſtung losgebrochen wäre. Das kann 
nur derjenige behaupten, der die Macht der katholiſchen Tradition und 
die Liebe des Volkes zu feiner Liturgie und feinen liturgiſchen Liedern 


| 


283 


unterſchätzt. Wie zäh hängt doch das Volk an dem Überkommenen! 
Welche Mühe koſtet es, um nur ein Beiſpiel aus der neueſten Zeit 
anzuführen, die „Einheitslieder“ beim katholiſchen Dolke einzuführen; 
und doch handelt es ſich hier meiſt nur darum, daß man die eine 
oder andere Dariante annimmt. N 

Fragen wir weiter, wenn ſich ſchon im 10. Jahrhundert die „Zwie⸗ 
fpältigkeit in der Entwicklung des Gregorianiſchen Befanges“ geltend 
machte, wie kann dann Fleiſcher einen Traktat des 11. oder 12. Jahr: 
hunderts oder beſſer eine einzige Stelle dieſes Traktates zur einzigen 
Grundlage für feine monotonen Sekundendeutungen der Neumen 
machen? Warum legt Fleiſcher ferner doch großes Gewicht darauf, 
zu zeigen, daß feine Deutungen an verſchiedenen Stellen Überein- 
ſtimmung aufweiſen mit der nach feiner Auffaffung ſchon veränderten 
melodie der Handſchriften mit Linien oder mit Tonbuchſtaben? Man 
muß es anerkennen, daß er ſich feine Aufgabe nicht leicht gemacht 
hat, daß er an geſchichtlichen Tatſachen, die feiner Deutung ungünftig 
find, nicht einfach vorübergeht, ſondern ſich mit ihnen auseinander: 
ſetzt, allerdings in einer bisweilen überraſchenden Weiſe. Das gilt 
zunächſt von dem kiodez H 159 von Montpellier, der aus dem 11. 
gahrhundert ſtammt. Dieſer bringt unter den Neumen mit den Buch- 
Raben a— p die genauen Intervalle der Neumen und iſt deshalb für 
die Entzifferung der Neumen von unſchätzbarem Werte. Wie oben bei 
der ktommunio von Pfingſten, ſo weicht auch hier die von Fleiſcher 
gegebene Deutung ganz beträchtlich von der Lesart des kioder ab, 
während dieſe ganz genau mit derjenigen der Datikana übereinftimmt. 
nach Fleiſchers Auffaſſung (8. 146) „geht die Neumation in dieſem 
Antiphonar meiſt andere Wege als die Buchſtabennotation“, ja er 
ſchreibt ſogar, „es iſt mir gar nicht unwahrſcheinlich, daß ſie (Neu⸗ 
mation und Buchſtabennotation) nur mißlungene Übertragungsverſuche 
des 11. Jahrhunderts find, die eine deutliche Unkenntnis der deutſchen 
neumen verraten“ (6.146). Trotzdem iſt er glücklich, daß „an 24 Punkten 
lich habe fie mit Zahlen bezeichnet), Ueumen⸗ und Buchſtabenmelodie 
auf denſelben Tönen zuſammentreffen; bei Nr. 6— 7 iſt eine längere 
Partie von mehreren Takten in beiden gleich, und dieſelben Tongänge 
wiederholen ſich dann in 10 18. Wäre nun meine Neumenübertragung 
falſch, fo wäre ein ſolches Zuſammentreffen gänzlich ausgelchloffen ... 
Somit bildet dieſes intereſſante Dergleichungsftück ein weſentliches Glied 
in der Bette der Beweiſe für die Richtigkeit meiner Übertragungen“ 
(8. 146 f.). Das iſt nun alles ſchwer verſtändlich, um nicht mehr zu 
ſagen. Fleifcher will doch die „urſprüngliche“ Melodie geben, die von 
der ſpäteren nach feiner Auffaffung verſchieden iſt. Wie läßt ſich dieſe 
öwiefpältigkeit überbrücken? | 

Nur nebenbei fei hier bemerkt, daß der Derfaffer 8. 145 bzw. 64 
die Notenbeiſpiele nicht richtig zitiert, daß er immer ein ſenkrechtes 
i Sh) ſchreibt, auch da, wo der Rodez ein liegendes (Sb) notiert, 
was doch für die Melodie einen großen Unterſchied bedeutet; daß er in 
ſechs Befangsftücken die Buchſtaben, die im Aodez auch hier unter den 
Neumen ſtehen, ganz wegläßt, ohne dies mit einem Worte zu bemerken. 


284 


Fleiſcher ſcheut auch den direkten Dergleicdh feiner Deutungen mit 
der Faſſung des Pothierſchen Braduale von 1883 nicht. Hier hätte man 
freilich einen Dergleich mit dem authentiſchen Datikanifchen Graduale 
erwarten dürfen, das doch ſchon 1907 veröffentlicht wurde. Er meint, 
„eine Übereinſtimmung meiner Entzifferungen mit dieſen traditionellen 
Melodien dürfte wohl am eindrucksvollſten die Überzeugung ihrer 
Richtigkeit erwirken“ (8. 152). Wenn er betont, man dürfe „nicht er: 
warten, daß die Übereinſtimmungen Note für Note getreu fein ſollten“ 
(S. 152), ſo iſt das nicht zu verwundern; dagegen bleibt verwunderlich, 
was mit dieſen Übereinftimmungen gewonnen werden ſoll, wenn doch 
feine Deutung die „urſprüngliche“ Melodie geben will, wenn die Zwie- 
ſpältigkeit in der Entwicklung des gregorianiſchen Geſanges ſchon ſeit 
dem 10. Jahrhundert wirklich vorhanden iſt, wenn man berechtigt if, 
die größten Zweifel über die „behauptete Einheitlichkeit des geſamten 
katholiſchen ktirchengeſanges“ zu hegen (8. 153). Der Derfaffer ſcheint 
dieſe Schwäche gefühlt zu haben. Sein Hinweis auf den verſchiedenen 
Vortrag Beethovenſcher Sumphonien, „obgleich doch alle Dirigenten 
dieſelbe Partitur vor ſich haben“ (S. 153), iſt aber deshalb verfehlt, 
weil es ſich in unſerem Falle doch gerade darum dreht, ob wir in 
den Handſchriften ohne Linien und in den Handſchriften mit Linien 
dieſelbe Lesart, dieſelbe „Partitur“ haben. Denn 8. 25 iſt zu leſen: 
„Die melodiſche Seite der Neumen iſt und bleibt — bei aller Wichtig⸗ 

keit der menſur und Rhuthmik — doch die hauptſache.“ 
Kinige andere Schwierigkeiten feien nur angedeutet. 5. 99 ſchreibt 
er: „Das alle (Melodien) beherrſchende Hauptgeſetz liegt .. in der 
relativen Übereinſtimmung des Anfangstones mit dem Endton jedes 
Stückes. Alle beginnen ideell mit demſelben Ton, mit dem ſie endigen“. 
Eine Begründung dieſer hupotheſe folgt aber nicht. Ebenſo ift es mit 
feiner Annahme, daß in einem Torkulus (einer Neume mit drei Tönen, 
deren mittlerer höher iſt als die beiden andern) der erſte Ton vom 
zweiten immer nur den Abſtand einer großen oder kleinen Sekunde 
und der zweite vom dritten immer nur den einer großen oder kleinen 
Terz haben müffe, daß alſo die zahlreichen anderen Intervallmöglich⸗ 
keiten ganz ausgeſchloſſen find. Mit dem Porrektus (einer Neume 
mit drei Tönen, deren mittlerer tiefer iſt als die beiden andern) ver⸗ 
hält es fi ebenſo. Don ſolchen Beſchränkungen wiſſen die beften 
Handſchriften nichts. Es iſt ferner kaum zu glauben, daß die Strophen 
eines und desſelben humnus eine ganz andere Melodie aufweiſen, 
wie fie von dem Derfaffer in der erſten Tabelle notiert wird, in dem 
ftreuzeshumnus des Denantius Fortunatus: Pange lingua gloriosi 
proelium certaminis. f 

Daß dieſer hell aufjubelnde humnus mit einem „Threnus“ (einem 
kilagelied) nichts zu tun hat, wie es dem Derfaffer „unzweifelhaft“ 
iſt (8. 114), daß er auch, abgeſehen von den gleichen Anfangsworten 
und dem gleichen Dersmaß, mit dem Fronleichnamshumnus nicht iden⸗ 
tiſch iſt, wie der Derfaffer anzunehmen ſcheint (8. 712) iſt jedem, der 
mit der Liturgie einigermaßen vettraut ift, ſofort einleuchtend. 

Hier berühren wir freilich eine neue Schwierigkeit. Seite 41 iſt zu 


285 
leſen: „Hat man ſich zur Aufgabe gemacht, die Neumen zu entziffern, 
ſo iſt die Unbeeinflußtheit durch kirchentechniſche oder 5 
abſichten eine wiſſenſchaftliche Dorausfegung ſchlechthin.“ Fleiſcher 
will daher nicht bloß diejenige Mufik der alten Zeit unterſuchen, die 
der Liturgie der Kirche dient, ſondern „die damalige Muſik als ſelbſt⸗ 
ſtändige klunſt und ſogar als Wiſſenſchaft für ih betrachten“. Dieſen 
Standpunkt und dieſes Vorhaben kann man nur billigen. Aber dann 
darf man doch erwarten, daß von den neumierten Planctus Abälards, 
von den Otfriedſchen und Notkerſchen Akzentzeichen, von den Carmina 
burana und den älteſten Minneſängerhandſchriften (vgl. 8. 43) wenig⸗ 
ſtens das eine oder andere Stück uns in Entzifferung geboten werde. 
Trotzdem dieſer Stoff „nunmehr verwertbar“ ift (5. 44), werden wir 
aber nur auf des Derfalfers kommende Urgeſchichte der deutſchen 
Mufik vertröſtet. Und nur liturgiſche Stücke werden in den Tabellen 
näher unterſucht. Hätte es da ferner nicht die Klugheit geraten, nach 
vollendeter Entzifferung doch auch nach der liturgiſchen Stellung und 
Bedeutung dieſer Stücke ſich umzuſehen? Wäre dadurch für manche 
Fragen nicht neues Licht: zu erhoffen geweſen? 

Sehen wir uns nur die 14. Tabelle (S. 39 f., 2. Teil) näher an. Fleiſcher 
gibt als Quelle für fie die Nleumenkunde P. Wagners an. Er ſieht 
in ihm irrtümlicher Weiſe einen „katholiſchen Geiſtlichen“ (S. 41), deſſen 
Forſchungen er nicht hold iſt (S. 7), und zitiert noch die 1. Auflage 
dieſes Werkes, obwohl die 2. Auflage ſchon 1912 erſchienen iſt. Die 
Quelle, der auch Wagner ſein Beiſpiel entnommen hat, iſt Tafel 179 
des 3. Bandes der Paléographie musicale. Es handelt ih hier um 
einen Tropus zum Introitus In medio ecclesiae für das Feſt des 
hl. Johannes des Evangeliſten. Den einzelnen Sätzen desſelben werden 
einleitende Derfe mit Melodie vorausgeſchickt. Fleiſcher ergänzt noch 
ganz richtig die Abkürzung In med mit eingeſchlungenem d=In medio. 
Dagegen ergänzt er im 4. und 12. Suſtem die Abkürzung Et implevt, 
bei der v und et verſchlungen find, mit implebis. Wenn die Paläo⸗ 
graphie hier vielleicht verſagte, fo hätte ihm die Liturgie deutlich ge⸗ 
ſagt, daß der Introitus implevit erlangt. 

mehrere andere Ungenauigkeiten dieſer einen Tabelle dürfen leider 
nicht übergangen werden. Junächſt ift zu bedauern, daß die Neumen 
hier und bei den andern Tabellen nicht phototypiſch wiedergegeben 
werden, ſondern mit der hand umgeſchrieben wurden, was ſelten ein 
ganz treues Bild gibt. Nach dem Original gehören ſodann die erſten 
zwei Neumenzeichen zur erſten Silbe, das dritte Zeichen zur zweiten 
Silbe. Fleiſcher gibt aber der erſten Silbe nur ein Jeichen, der zweiten 
Silde aber zwei. 80 wurden in dieſer einen Tabelle nicht weniger 
als ſiebenmal Neumen, die zuſammengehören, auseinandergeriſſen, 
ſogar fo, daß das erſte Zeichen noch der vorhergehenden Silbe zu⸗ 
gewieſen wird. Zu Beginn des dritten Suſtems ift der Punkt weg⸗ 
gelaſſen oder überſehen worden und eine zweitönige Neume geſchrieben 
worden, wo eine dreitönige ſtehen muß. Im achten Suſtem wird der 
offenſichtliche Schreibfehler ad propagando archana korrigiert, aber 
keine Angabe darüber gemacht; dagegen ſteht bei Fleiſcher im zwölften 


286 


Suſtem petore, wo die Handſchrift ein klares pectore gibt. Dann darf 
man doch von einer Übertragung erwarten, daß fie dieſelben Ueumen⸗ 
zeichen ganz gleich behandelt. Nun ſteht im zweiten Suſtem über In 
medio auf der erften Silbe eine halbe Note, der eine Diertelnote 
triolenartig angeſchloſſen iſt, und auf der zweiten Silbe ſtehen drei 
halbe Noten. Im zehnten Suſtem kehren dieſelben Neumen über dem⸗ 
ſelben Tete wieder. Da ſtehen aber über der erſten Silbe zwei Viertel⸗ 
noten, über der zweiten Silbe folgen wohl drei halbe Noten, nach der 
zweiten Note kommt aber ein Taktſtrich, während oben der Taktſtrich 
nach der dritten halben Note ſteht. Solche Unregelmäßigkeiten find 
nicht geeignet, den wiſſenſchaftlichen Wert einer Arbeit zu erhöhen. 
Und ſie ſind nicht die einzigen. Man vergleiche nur Seite 83 im zweiten 
Teil den Jubilus des Alleluja mit derſelben Melodie über dem letzten 
Worte des Aileluja-Derfes, dem ibimus und wird darüber ſtaunen, 
daß die Melodie das zweite Mal eine Quarte höher ſteht, was einen 
ganz neuen Alleluja-Tupus darſtellt, der in der ganzen Choralliteratur 
bisher völlig unbekannt war. Ebenſo ſtaunen wird man über die 
verſchiedene rhuthmiſche Behandlung der Neumen. 

Die metriſch⸗rhuthmiſche Deutung, die Fleiſcher den Neumen gibt, 
iſt überhaupt eigenartig. Sie ſpiegelt ſich in folgenden Sätzen: „Die 
ganze Menge der Neumenſtücke ſcheidet ſich in taktloſe und taktierte“ 
(S. 78). „Die Mufik der Neumenzeit iſt taktiſch und zwar herrſcht 
größtenteils die gerade Taktart“ (5.73). „ede ein- oder mehrtönige 
Tleume, die für ſich ſteht, iſt auch als eine Einheit für ſich zu zählen. 
Dieſe Einheit nenne ich Taktfuß und ſetze fie mit dem Zeitwerte einer 
‚ halben Taktnote an. Treten mehrere Neumen zuſammen, fo gelten 
ſie zuſammen auch nur einen Taktfuß... Punkte, die ſich mit an⸗ 
deren Neumen verbinden, zählen... überhaupt nicht mit.“ „Jeder 
Ton wird umſo kürzer gemeſſen, je mehr Töne feine Gruppe hat“ 
(5. 81). „Durch Auflöfung der Neumengruppen in einzelne Neumen 
werden eben dieſe Einzelneumen rhuthmiſch ſelbſtändig, d. h. jede 
Einzelneume erhält für fi den Wert einer halben Taktnote“ (S. 80). 
Trotz der verſuchten Erklärung und Begründung bleiben dieſe Sätze 
überraſchend, und erſt recht der folgende Satz: „Welch lebendiger Geiſt, 
welches ſprühende Leben... jenem alten Geſange zu eigen war, zeigen 
meine Entzifferungen ſchon beim bloßen beſen. Man ſetze fie in tönendes 
beben um — ich glaube, auch der rhuthmiſch⸗metriſche Feinſchmecker 
wird nicht mehr verlangen können an feingliedriger kunſt und Mannig⸗ 
faltigkeit“ (S. 39). Man finge nur einmal den erſten Satz der Pfingſt⸗ 
kommunio oben nach dem Fleiſcherſchen Rhythmus! 

In der ganzen Rhuthmusfrage bleibt Fleiſcher im Banne einer „europa: 
zentriſchen“ Auffaſſung. Und doch war es gerade er, der in ganz 
hervorragender Weiſe dazu beigetragen hat, der Neumenforſchung weite 
Horizonte zu erſchließen und den Orient, Indien und China mit Europa 
zu verbinden. Dieſer Weitblick hätte ihn davor bewahren ſollen, ſich 
in der Neumenrhuthmik auf das Metrum der griechiſchen Antike zu 
beſchränken, hätte ihn auch davor bewahren ſollen, zu ſchreiben: „Die 
ganze Neumenmaſſe hat ſich gebildet aus einer glatten Addition der 


287 


altgriechiſchen Profodien oder Akzente mit einem urgermaniſchen Buch- 
ſtabenalphabete“ (8. 110). Es iſt ſchade, daß Fleiſcher fo wieder preis⸗ 
gibt, was er errungen hat, ja daß ſein Geſichtswinkel nicht bloß 
europa⸗zentriſch wird, ſondern ſich, wie ſchon der nicht glückliche Titel 
des ganzen Werkes bekundet, noch mehr verengert. 

Aus dieſer Einftellung heraus iſt auch zu erklären, daß Fleiſcher 
auf die reiche Entwicklung und Gliederung der Melodie, wie ſie die 
Welt der Kirchentonarten bietet, fo gut wie ganz verzichtet und 
dadurch ſeine ohnehin arme Melodie noch dürftiger geſtaltet. Der un⸗ 
bewiefene Satz: „Alle Stücke beginnen mit D oder a. .. und endigen 
ebenſo“ (8. 33) erfährt ja glücklicher Weiſe einige Ausnahmen. Aber 
nicht im Anfangston und nicht im Endtone liegt das Weſen der Ton 
arten. Don all dem Tiefen und Schönen, was uns die Theoretiker 
über die Eigenart der einzelnen Tonarten, ihre äſthetiſche Bedeutung 
und ihr inneres beben mit großer Übereinſtimmung zu ſagen wiſſen, 
wird niemand, der die Fleiſcherſchen Deutungen ſingt, auch nur eine 
Ahnung bekommen. Das iſt umſo auffallender, als der Derfalfer doch 
ſonſt dann und wann die Theoretiker zitiert, auch in ſeinem kapitel 
„die Tonarten“, um einige tonartliche Unregelmäßigkeiten geltend 
zu machen. Selbſt die klaren Angaben in manchen ſehr wertvollen 
handſchriften, von denen einige auf Seite 27 genannt werden, haben 
auf den Derfaffer keinen Eindruck gemacht. Eine Nachprüfung ſeiner 
Ergebniffe an der Hand dieſer Handſchriften mit ihren ſorgfältigen 
Angaben über die Tonarten der einzelnen Geſangsſtücke hätte dazu 
beigetragen, ihn vor feiner Sieges ſicherheit zu bewahren, die ſich u. a. 
in folgenden Sätzen äußert: „Jetzt, wo das taufendjährige Rätfel ge⸗ 
löſt iſt, erſcheint das Heumenfyftem einfach und natürlich“ (8. 9) und 
„Ich bin mir des wiſſenſchaftlichen Wertes meiner Arbeit wohl be⸗ 
wußt“ (S. 39). 

Es ſei dankbar anerkannt, daß Fleiſcher einen erſtaunlichen Fleiß 
für fein Suſtem aufgebracht hat, daß er auch vor ernſten Schwierig- 
keiten nicht zurückgeſchreckt ift. wenngleich da und dort mehr Genauig⸗ 
Reit zu wünſchen wäre und das Druckfehler verzeichnis um mindeftens 
dreißig Nummern ſich vermehren ließe. Es ſei dankbar anerkannt, daß 
eine Reihe von Fragen ganz neu aufgeworfen worden ſind und andere 
zum Teil eine neue Beleuchtung erhalten haben, daß nicht ſelten ein 
warmer Ton für die Kunft des Mittelalters und ihre Bedeutung für 
die ganze Mufikentwicklung an unſer Ohr ſchlägt. Iſt aber das Rätfel 
der Neumenentzifferung nunmehr gelöſt und haben die Fleiſcherſchen 
Deutungen überzeugende Kraft in ſich? 

Die katholiſche Liturgie hat jedenfalls keinen Anlaß, ihre Seſänge 
nach der Fleiſcherſchen Methode zu revidieren. Das hieße Edelfteine 
mit Glasperlen vertauſchen. Sie darf ſich auch fernerhin darüber 
freuen, daß ihre ieder in der authentiſchen Faſſung des Datikanifchen 
Eraduale und Antiphonale ſeit dem 10.— 11. Jahrhundert auf das beſte 
beglaubigt find und das Diadem einer wahren, heiligen Runſt tragen. 


K „ „ 


288 


kleine Beiträge und Hinweiſe 
nikolaus Sihr. 


Nr dem Redaktionstifch liegt ſeit kurzer Zeit ein kleines Büchlein mit der Auf: 
ſchrift: Dies irae. Im Vorwort heißt es: „Da der Derfaffer dieſe Neuauflage 

des kleinen Büchleins im einundachzigſten Lebensjahr und zur Zeit ſchwerer krank ⸗ 
heit beſorgt, darf er wohl auch an dieſer Stelle feiner Seelenftimmung mit den ſchlich ⸗ 
ten Worten des Dichters Ausdruck geben: 

Wohlauf, wohlauf! du Pilgerherz! 

vergiß nun allen Harm. 

Schau himmelwärts, ſchau himmelwärts, 

Fühlſt du dich denn ſo arm? 

Die Uacht ift ſtill, der Tag nicht weit, 

Uicht weit der ewige Tag — 

Bald, bald verfliegt die Erdenzeit, 

Bald ſchweigt des Herzens Schlag. 

Ein Wandrer auf dem Kirchhof fteht, 

Allwo der Pilger ruht — 

Andächtig ſpricht er ein Gebet, 

Und ‚jest ift alles gut“.“ 


Subregens Dr. Nikolaus Bihr von St. Peter, der diefe Worte vor nicht langer 
Jeit geſchrieben hat, ruht feit dem 27. Juni in der kühlen Gruft. Wenn unfere Monat 
ſchrift an feinem Grabe nicht ſtillſchweigend vorübergeht, fo iſt der Grund nicht allein 
darin zu ſuchen, daß der Schreiber diefer Zeilen einſt als gelehriger Schüler dem hoch 
geſchätzten herrn Subregens zu Füßen ſaß, auch nicht bloß darin, daß der Derewigte 
zu den Benediktinern in perſönlicher Beziehung ſtand — fein Bruder war Mitglied 
des Kloſters Engelberg, wo Sihr oft weilte; auch nicht bloß darin, daß er in dem 
Beuron naheliegenden Dorfe Aulfingen am 5. Dezember 1839 geboren war. Tlikolaus 
Sihr ſtand uns durch Seiſtes verwandtſchaft näher, durch feine Liebe zum Opus Dei, 
dem der Benediktiner nichts vorzieht. Im Jahre 1872 war der dreiundöreißigjährige 
junge Priefter als Spiritual an das Seminar nach St. Peter gekommen. Raum war 
er fünf Jahre oben tätig geweſen, als fein Erftlingswerk erſchien: „Das heilige 
meßopfer, dogmatiſch, liturgiſch und aſßzetiſch erklärt.“ Dieſes herrliche heute in 
der ganzen Welt geleſene Buch begründete den wiſſenſchaftlichen Ruf des jungen Ge⸗ 
lehrten. Es charakteriſtert aber auch fein ganzes Weſen, fein Denken, fein Lehren 
und fein Geben. Es iſt nicht bloß eine tiefeindringende dogmatiſche Abhandlung über 
das Seheimnis unferer Altäre, fondern es ift zugleich eine gemütvolle, fromme, Geiſt 
und Herz anregende, zum Studieren wie zum Beten und Betrachten gleihmäßig ge 
eignete Einführung in das Allerheiligſte unferer heiligen Liturgie. Wie vielen Tau- 
ſenden hat der demütige, kindlich beſcheidene und liebenswürdige Selehrte mit dieſem 
Buche das tiefere Derftändnis für das übernatürliche Weſen und die zentrale Gebens- 
bedeutung der hl. Meſſe erſchloſſen! Wenn der Alerus der Erzdiözeſe Freiburg an 
kirchlichem Sinn hinter keiner deutſchen Diözeſe zurückſteht, fo hat auch Sihr ein 
großes Stück des Derdienftes daran. Während mehr als fünfzig Jahren hat er durch 
feine lichtvolle und warmherzige Erklärung der Opfer-, Sakramenten- und Gebets 
liturgie den Sinn für die opfernde, ſegnende und betende Kirche geweckt. Zehn Jahre 
nach dem erftmaligen Erſcheinen feines „Meßopfers“ ſchenkte er uns das Werk über 
„Die Sequenzen des römiſchen Reßbuchs“, deſſen dritte und vierte Auflage ſoeben 
in Form handlicher Einzelausgaben der Sequenzen von Pfingſten (Veni sancte Spiri- 
tus) und Allerſeelen (Dies irae) gewiß noch viele Freunde finden wird. Wiederum 
vergingen etwa zehn Jahre, da erſchien das am meiſten wiſſenſchaftlichen Charakter 


' 289 


tragende Werk des unermüdliche Gelehrten: „Die hl. Sakramente der katholiſchen 
Kirche, für die Seelſorger dogmatiſch dargeſtellt“. Auch hier ift der liturgiſchen Seite 
viel Diebe und viel Raum gewidmet. Mit Recht! Strahlt doch der tiefe Bedanken- 
gehalt, der unſerem kultiſchen Leben zugrunde liegt, und den das ewige Wort Gottes 
in unſer kultiſches Geben hineingelegt hat, am unmittelbarften und reinften aus dem 
wunderbaren ‚Aranz von Bebeten und Symbolen uns entgegen, den ein tauſend⸗ 
jähriges Walten des Gottesgeiſtes in der Geſchichte der Kirche um ihr Roftbarftes 
ſchmückend gewunden hat. Sihr blieb ſeiner Gewohnheit treu. Etwa zehn Jahre 
dauerte fein literariſches Schweigen, dann erfreute er uns mit einer köſtlichen Gabe. 
Im Jahre 1907 erſchien: „Prim und Komplet des römiſchen Breviers liturgiſch 
und aſzetiſch erklärt.“ Der opfernden Rirche hatte er den Morgen feines Priefter- 
lebens geweiht. Der ſegnenden Kirche gehörte der Mittag. Am Lebensabend faltete 
der ſeeliſch nie alternde kindliche Greis feine hände mit der betenden Kirche. „Das 
vorliegende Buch“, To ſchrieb er am Roſenkranzfeſt 1907, „Toll die reichen Gnaden · 
ſchätze des kirchlichen Morgen ⸗ und Abend gebetes für ein volleres und tieferes Ver · 
ſtändnis erſchließen. Die Erklärung ift fo ausführlich und eingehend, daß ſie dem 
Brevierbeter Stoff bietet zu öfters wiederholter Betrachtung des jahraus jahrein und 
Tag um Tag wiederkehrenden Teztes. Solche Betrachtung iſt das wirkſamſte Mittel, 
um bei ſteter Wiederholung der nämlichen Bebetsformnlare eine oberflächliche Routine 
fernezuhalten.“ 1914 folgten als letzte Frucht feiner Beſchäftigung mit der Gebets- 
liturgie der kirche die „Sedbanken über das Rkatholiſche Sebetsleben im An⸗ 
ſchluß an das Daterunfer und Ave Maria“. 

Am Feſte Areuzerhöhung 1919 hatte der Derewigte geglaubt, der neueſten, 17.— 19. 
Auflage, dem 31.— 35. Tauſend feines „Meßopfers“ ein „Abſchiebswort“ vorausſchicken 
zu ſollen: „Schier achtzig Winter geh’ ich durch die Welt' fo kann auch ich jetzt ſprechen 
mit dem Sänger von ‚Dreizehnlinden‘. Deshalb dürfen dieſe Zeilen wohl als Ab⸗ 
ſchiedswort zu meiner Jugendarbeit betrachtet und bezeichnet werden. Und was anderes 
könnte oder ſollte dieſes Abſchiedswort ſein, als ein Wort tiefgefühlten Dankes gegen 
den Allmächtigen, der Gewalt hat über Leben und Tod (Weish. 16, 13), gegen den 
erbarmungsvollen Vater der Lichter, von dem jede gute Babe und jedes vollkommene 
Seſchenk Kommt (Jak. 1,17)? Zum Ausdruck freudigen, innigen Dankes auch an 
dieſer Stelle drängt mich der Rückblick auf die Tage der Vergangenheit. der Hinblick 
auf die reichen Segnungen, mit welchen der herr feit mehr als vierzig Jahren dieſes 
Buch begleitet hat. Im Ausblick auf die Nähe der Ewigkeit möchte ich hier nur 
nochmals den im Vorwort zur erften Auflage ausgeſprochenen Wunſch wiederholen — 
den Wunſch, durch Gottes huld und Segen möge das Buch auch fernerhin ‚in vielen 
herzen die Liebe zum euchariſtiſchen Opfer ſowie frendigen Opferfinn und Opfermut 
wecken und fördern‘. 

mit einem Wort des achzigjährigen Dichters darf und will ich dieſes Abſchieds⸗ 
wort auch ſchließen: 

Die Abendglocken, die Abendͤglocken, 
O wie fie laden, o wie fie locken! 
Der Tag vergeht, 
Die Uachtluft weht, 
Bald werd' ich ſchlafen, es ift [don ſpät.“ 

Nun ſchläft er droben auf ſonniger Schwarzwald höhe. Die reine Bergluft zieht 
oͤurch die dunkeln Tannen und die herdenglocken grüßen melodiſch von allen Seiten. 
Die toten Benediktinermönche der alten Jähringerabtei St. Peter warten mit ihm 
zuſammen auf das Anftimmen der himmliſchen Bebetsliturgie nach dem jüngſten Tage. 
Die Vertreter der liturgiſchen Bewegung aber falten dankbar ihre hände und beten 
ein inniges Requiescat in pace über dem friſchen Grabe, dankbar für die reichen 
Seſchenke feines Seiſtes, dankbar für vielfache Anregung und Belehrung, dankbar 
für Röſtliche Freude des perſönlichen und geiſtigen Umgangs mit einem edeln Men⸗ 
ſchen und Priefter. D. Fidelis Böſer (Beuron). 


290 


Bücherfchau 


Theologie und Philoſophie 


Aus Gehre und Geben des hl. Thomas 
von Aquin. 

Seit Jahrhunderten drängen ſich die ka⸗ 
tholiſchen Philoſophen und Theologen um 
den hl. Thomas von Aquin als um ihren 
Meifter und Führer. Die kirche ehrt ihn 
als einen ihrer vorzüglichſten Lehrer der 
Glaubenswiſſenſchaft. Die Derleumdung, 
welche die Janfeniften gegen die 6naden⸗ 
lehre des heiligen erhoben, als ſei dieſe 
in der Bulle Unigenitus vom Jahre 1713 
von der Kirche verworfen worden, weift 
Benedikt XIII. im Breve Demissas pre- 
ces 1724 zurück. Im Jahre 1727 feiert 
derſelbe Papſt die Lehre des hl. Thomas, 
„an die der Predigerorden ſich heilſamer⸗ 
weiſe anſchließt“. Er verbietet Angriffe 
auf die behre des Aquinaten und „feine 
in der Kirche hervorgegangene Schule, zu⸗ 
mal wo es ſich in dieſer Schule um die 
göttliche, aus ſich und von innen heraus 
wirkſame Gnade handelt“. (Konſtitution 
Pretiosus vom 26. Mai 1727). Klemens XII. 
ſchloß ſich am 12. Okt. 1733 dieſen Lob- 
ſprüchen an, erklärte aber zugleich, daß 
die übrigen katholiſchen Snaden⸗ 
ſuſteme dadurch nicht herabgeſetzt werden 
ſollten. In der neueren Zeit weiſen die 
Bäpſte die katholiſchen Schulen immer 
wieder auf Thomas als ihren vorzüglichen 
behrer hin. 80 Geo XIII. in der Enzuk⸗ 
lika Aeterni Patris vom 4. Nuguſt 1879; 
Pius X. in der Enzuklika Pascendi vom 
7. September 1907, im motu proprio Sac- 
rorum Antistitum vom 1. Sept. 1910 und 
Doctoris Angelici vom 29. Juni 1914. 
Benedikt XV. beftätigte die Antwort der 
Studienkongregation vom 3. März 1916, 
wonach die von dieſer Kongregation gut- 
geheißenen 24 Hauptſätze der Philoſophie 
des Aquinaten „als ſichere beitſätze“, ve- 
luti tutae normae directivae vorgetragen 
werden ſollen. 1916 erklärt er: „heilig 
und heilſam, ja geradezu notwendig iſt 
es, daß in den katholiſchen Schulen der 
hl. Thomas von Aquin als höchſter Gehrer 
(summus magister) gilt.“ Er ftellt dem 
Dominikanerorden das Zeugnis aus, daß 


er „niemals, auch nicht einen Finger breit, 
(ne latum quidem unguem), von feiner 
(des hl. Thomas) Lehre abgewichen if” 
(29. Oktober 1916). Pius XI. weiſt in ſeinet 
neueſten Thomasenzuklika ausdrücklich 
darauf hin, wie [ehr das Konzil von Trient 
und das Datikanifhe Ronzil den hl. Tho⸗ 
mas als Autorität anerkennen und an 
feine Lehre anknüpfen, fo ſehr er im 
übrigen die Freiheit betont. — Und trotz · 
dem haben wir die merkwürdige Tatſache, 
daß man ſich ſeit mehr denn dreihundert 
Jahren in entſcheidenden und tiefgreifen: 
den Punkten um den Sinn und die; wahre 
behre des hl. Thomas ſtreitet. Da fragt 
DB. Stufler, ob man bisher Thomas über: 
haupt recht verſtanden habe? 


Stufler, Dr. 9oh., 8. J., Divi Thomae 
Aquinatis doctrina de Deo operante. 
8° (XX u. 423 8.) Innsbruck 1923, Tyrolia. 

B. Stufler vertritt die Anſicht, weder 
die Verfechter der phuſiſchen Vorausbewe⸗ 
gung (praemotio physica), d. h. die cho ⸗ 
miſten, noch die Verfechter der bloß gleich 
zeitigen Mitwirkung (concursus simul- 
taneus) Gottes mit dem freien Willen des 
menſchen, d. h. die Moliniſten hätten The 
mas richtig verftanden. Wohl fei Gott nach 
St. Thomas der erſte Beweger aller ge 
ſchaffenen Dinge, aber keineswegs mittels 
einer Dorausbewegung oder mittels einer 
gleichzeitigen Mitwirkung, ſondern einzig 
dadurch, daß er den Geſchöpfen bleibende, 
innere, zur Uaturausſtattung gehörige 
Prinzipien und Kräfte gebe, infolge derer 
fie von ſelbſt aus ſich, ohne irgend eine 
weitere Anregung von außen, d. h. von 
Bott, in Tätigkeit übergehen, ſobald die 
äußeren Bedingungen zum Handeln ge 
geben find. Gott „bewegt“ die geſchaffenen 
Urſachen in ähnlicher Weiſe, wie nach Ar 
ſtoteles derjenige den Stein nach unten 
„bewegt“, der ihn bildet und in ihn die 
naturhafte Schwere (das Schwerfein) legt. 
Stufler glaubt u. a. gezeigt zu haben, daß 
St. Thomas der Sache nach die scientia 
media kenne und annehme, das heißt ein 
„Mittel- Wiſſen“, kraft deſſen Gott ver 
jedem Akte feines freien Willens die voll 


kommen ſichere kenntnis aller bedingt 
zukünftigen freien handlungen der Be» 
ſchöpfe beſttze; ferner, daß 8t. Thomas nur 
jene Akte für innerlich übernatürlich er ⸗ 
kläre, welche aus einem übernatürlich ein- 
gegoffenen habitus, nämlich aus der heilig; 
machenden Gnade, aus der Tugend des 
Slaubens oder aus einer anderen über⸗ 
natürlichen Tugend hervorgehen. Die auf 
die heiligmachende Bnade (Rechtfertigung) 
vorbereitenden Akte ſeien in ſich rein na⸗ 
türliche Akte; fie ſeien nur inſofern über- 
natürlich, als Bott den Menſchen zu den⸗ 
ſelben aus Barmherzigkeit und aus be⸗ 
ſonderem Wohlwollen anregt. 

Stuflers Werk umfaßt drei Teile: 1. Das 
Wirken Gottes in den Haturdingen, 2. bei 
der Derftandes- und 3. bei der Willens 
tätigkeit des Menſchen, dies ſowohl in der 
natürlichen als auch in der übernatürlichen 
Ordnung. Am Schluß faßt er die weſent⸗ 
lichen Punkte noch einmal kurz zuſammen 
und fügt eine genaue und wohlgeordnete 
Überfiht über die Tegte an, die er aus 
den verſchiedenen Werken des hl. Thomas 
benützt und erklärt hat. 

es iſt hier nicht der Ort, zu den ein⸗ 
zelnen Ergebniſſen Stellung zu nehmen, 
zu denen P. Stufler gelangt iſt, noch auch 
ſeine Beweiſe zu prüfen. Wir anerkennen 
das Beſtreben, das P. Stufler zu ſeiner 
Arbeit beſtimmt hat. Wir anerkennen die 
Mühe, die er aufgewandt hat. Gleichwohl 
können ſeine Darlegungen uns in unſerer 
Überzeugung nicht wankend machen, daß 
eine Reihe von hervorragenden Erklärern 
des hl. Thomas, vorzüglich jene, die der 
Dominikanerſchule angehören, die Bedan- 
ken des Aquinaten über das Einwirken 
Bottes auf die Befchöpfe vollkommen rich» 
tig erfaßt haben, und daß Benedikt XV. 
im Recht if, wenn er vom Dominikaner 
orden ſagt, er fei niemals von der Lehre 
des hl. Thomas abgewichen. Uns ſcheint 
der Aquinate einen würdigeren Gottes- 
begriff und eine geſundere Metaphuſik zu 
haben als B. Stufler fie ihm zuſchreibt.— 

icht jedem wird es gegeben fein, ſich 
an hand von P. Stufler in Grundgedanken 
der Pehre des hl. Thomas einzuarbeiten, 
auch wenn ſein Werk nicht lateiniſch ge⸗ 
ſchrieben wäre — übrigens in einem wirk⸗ 
lich lesbaren Patein. Umſo lieber werden 
dafür weite Areife zu zwei kleinen Büchlein 


291 


greifen, die recht geeignet ſind, in das 
innere Streben und Leben des heiligen 
einzuführen, zu: 


könig, Dr. Walter, „Zurück zu Thomas 
von Aquin“. Zur Renaiſſance der philo⸗ 
ſophiſchen Bildung. Gedanken zu den 
Reformvorſchlägen der legten Päpſte. Kl. 80 
(56 8.) Einfiedeln u. Köln 1924, Benziger. 
Brabmann, Martin, Das Seelenleben 
des hl. Thomas von Aquin. Nach feinen . 
Werken und den heiligſprechungsakten 
dargeſtellt. [Der Katholiſche Gedanke 
Bö. 7J. kl. 8 (118 8.) München 1924. 
M. 1.50; kart. M. 2.— 

1. In das Jahr des Kantjubiläums reicht 
das Thomasjubiläum herein, die Feier des 
600. Jahrestages feiner heiligſprechung 
(18. Juli 1323). Aant oder Thomas iſt die 
Frage, die ſich Studienrat Dr. König vom 
Alouſianum in Opladen (hl.) ſtellt; mo⸗ 
dern · ſubjektive oder katholiſch- objektive 
Philoſophie und Weltauffaffung? König 
ſucht darzutun, daß in dem Abfall von 
den leitenden Gedanken der ariſtoteliſch⸗ 
thomiſtiſchen Weltbetrachtung eine der 
Haupturſachen, ja die tiefſte und letzte Ur · 
ſache, unſeres Juſammenbruches auf den 
verſchiedenen Gebieten des Lebens gelegen 
iſt. Daraus leitet er ab, daß eine Er⸗ 
neuerung und Geſundung des abendlän⸗ 
diſchen Seiſteslebens und die Rettung 
vor dem unaufhaltſamen Abgleiten in 
das Chaos des Unglaubens und des Bol: 
ſchewismus nur dann möglich iſt, wenn 
das Abendland zur gefunden Seinsphilo- 
fophie eines Thomas von Aquin zurück- 
kehrt und ſo den Weg einſchlägt, den die 
Däpfte Peo XIII., Pius X., Benedikt XV. 
und Pius XI. gewieſen haben. Die Seins - 
philoſophie des Aquinaten ſoll den Unter: 
bau der ganzen Univerſtitätsbildung und 
des Fachſtudiums bilden, ähnlich wie dies 
im Mittelalter der Fall war. Dann erſt 
kann auf dem Boden einer Bildung, die 
von der chriſtlichen Philoſophie getragen 
iſt, eine neue intellektuelle und ethiſche 
Kultur, eine neue Weltzeit erblühen. König 
beweift feine Aufftellungen mit viel Ge» 
ſchick aus den Tatſachen der geſchichtlichen 
Entwicklung, insbefondere feit den Tagen 
der Renaiſſance, aus dem Schwinden der 
wahren Rulturellen Bildung und idealen 


Geſinnung, aus dem Mangel an klarbe⸗ 


292 


gründeten ſittlich : religiõſen Begriffen und 
aus der Gefährdung des moraliſchen Cha- 
takters in unſerer Zeit. Daneben deckt 
er auf, was die chriſtliche Philoſophie und 
eine philoſophiſche Bildung, die auf die 
Srundſätze des hl. Thomas zurückgeht, zu 
leiſten vermag. Die inhalts volle Broſchüre 
verdient alle Beachtung, vor allem von 
ſeiten der katholiſchen Kreiſe Deutſchlands 
und der katholiſchen gebildeten Jugend. 
2. Martin Grabmann hat auf der Ulmer 
Akademikertagung im Auguft 1923, ſpäter 
auch in Leipzig und in Olten einen Thomas» 
vortrag gehalten. Aus ihm ift die vor- 
liegende Schrift erwachſen. Sie ſoll ein 
opus pietatis ſein, ein Tribut ehrfürchtiger 
Dankbarkeit an den heiligen, und möchte 
weitere Areife mit dem reinen, eölen Seelen 
leben des hl. Thomas, vor allem auch mit 
feiner religiöfen Perſönlichkeit vertraut 
machen. Die Hauptquellen find einerfeits 
die Akten des heiligſprechungsprozeſſes, 
andererſeits die Werke des heiligen ſelbſt. 
Grabmann ſtellt aus dieſen beiden Quellen 
zunächſt die verſchiedenen Charakterzüge 
des hl. Thomas zuſammen. Er ſchließt 
dieſen Teil mit den Worten der Ranoni« 
ſationsbulle ab. Dieſe hebt vor allem her- 
vor, daß St. Thomas ein Mann war, ganz 
losgelöft vom Irdiſchen, nur auf die Er⸗ 
langung der himmliſchen Güter gerichtet. 
In ſeiner hingabe an das Studium ſtellte 
er das Göttliche voran, indem er treu den 
Pflichten der Frömmigkeit nachkam. Er 
war keuſch, demütig, mäßig; im Verkehr 
mit andern war er mild, wohlwollend, 
teilnehmend; er verachtete den Glanz ir⸗ 
difher Ehren. Er widmete ſich fo [ehr 
dem Studium der Hl. Schrift, dem Gebete 
und dem Unterrichte, daß er keinen Augen- 
blick unbenützt vorübergehen ließ. — In 
einem zweiten Teil hebt der Derfaffer die 
Weſenszüge im Seelenleben des hl. Thomas 
heraus: tiefe Weisheit, Liebe, Friede, 
sapientia, charitas, pax. Thomas iſt ein 
durch und durch beſchaulicher Seiſt, der ganz 
und gar in der Welt des Überſinnlichen 
(als Metaphuſiker), des Übernatürlichen 
(als Theologe) und Göttlichen (als Myfti- 
ker) lebt. Er erſcheint voll glühender 
Gottes liebe, die ſich namentlich in feinem 
Gebetsleben und der Weihe feines ganzen 
bebens an Bott, in der Gotthingegeben⸗ 
heit feines Innen- und Außenlebens aus- 


ſpricht. Endlich erſtrahlt in ihm eine ſeltene 
Harmonie undfflusgeglichenheit des Cha- 
rakters, der durch Reinerlei ungeordnete 
beidenſchaft getrübt oder geſtört wird. 
Dieſe drei Weſenszüge im Charakterbild 
des hl. Thomas ſind vorzüglich aus den 
verſchiedenen Schriften des heiligen Lehrers 
ſelbſt herausgeſtellt. Nicht mit Umecht 
wird des öfteren betont, daß Thomas in 
manchen theologiſchen Abhandlungen z. B. 
über die Kardinaltugenden, über die Won⸗ 
nen der hl. Kommunion, ein Bild feines 
eigenen Seelenlebens gibt. &rabmann 
ſpricht von einem euchariſtiſchen und von 
einem benediktiniſchen Jug (8.70 u. 76 f.) in 
der Pſuche des Aquinaten. — Ein dritter 
Teil trägt den Titel: Chriſtus und das 
Seelenleben des hl. Thomas. „Wir 
können das Seelenleben des hl. Thomas am 
tiefſten verſtehen, wenn wir es in der 
inneren Lebens» und Liebesbeziehung zu 
geſus Chriſtus auffaffen” (8. 101). Chriſtus 
iſt „für den hl. Thomas Urquell und In- 
begriff aller Weisheit“. Insbeſondere iſt 
das „Kreuz des Herrn für Thomas wie 
der Quell der Weisheit, ſo der Flammen⸗ 
herd der glühenden Sottes- und Chriftus- 
liebe“. „Aus der Derfenkung in das hei ⸗ 
lige, Seelenleben Jeſu Chriſti“ hat Thomas 
„den Frieden feiner eigenen Seele, der 
aus der Nachfolge Chriſti in der harmo- 
niſchen Übung, der von Liebe beſtrahlten 
und erwärmten chriſtlichen Tugenden quillt, 
in ſich aufgenommen“ (108). 

Srabmann zeichnet das Seelenleben des 
hl. Thomas mit ebenſoviel Liebe als Sach; 
lihkeit. Man fühlt aus jeder Zeile den 
Renner des hl. Thomas heraus. Das Stu- 
dium des in edler, einfacher Sprache gehal · 
tenen Schriftchens bietet dem Verehrer des 
großen Heiligen vielen Genuß. Unſeret 
ſtudierenden Jugend ſtellt der Derfaffer 
in St. Thomas ein herrliches Vorbild für 
die eigene Seelenhaltung auf, ein Bild, 
an dem jedermann erſehen kann, wie ſeht 
Uatur und Übernatur, Wiſſen und Glaube, 
Religion und Bildung, harmoniſch geeint, 
die Seele befruchten und adeln. 

Jubiläen mögen manchmal bloße Mode⸗ 
ſache fein. Wenn fie großen Perſönlich 
keiten und Ereigniſſen gelten, werden ſie 
ihre aneifernde Wirkung nie verfehlen. 
vorausgeſetzt, daß wir gewillt ſind, uns 
aneifern zu laſſen. 


Maynage, P. Th., O. P., Univerfitäts- 
profeſſor in Paris, Die Religion des 


Spiritismus. Aus dem Franzöſiſchen 


überſetzt von Jakob Hoffmann. kl. 8° 
(120 8.) Limburg 1924, Gebr. Steffen. 
Geb. M. 1.20 

Ein neuzeitlicher Ordensbruder des hl. 
Thomas behandelt hier in ſechs Kapiteln 
die Themata: Spiritismus und Chriften- 
tum, die wiſſenſchaftliche Beweisführung 
des Spiritismus, Prüfung der ſpiritiſtiſchen 
Tatſachen, der Aſtralleib, Spiritismus ohne 
Seiſter, die Botſchaften, die Kirche und der 
Spiritismus. 

nach einer kurzen Darſtellung der Be- 
ſchichte des Spiritismus kennzeichnet er 
den Spiritis mus als Theorie, als ein Glau- 
bensſuſtem und ſtellt dieſer Religion die 
katholiſche Lehre entgegen. „Ein Ratholik 
kann nicht zugleich Spiritift fein“. Die 
Rernfrage lautet: Exiſtieren die [Zeugen 
der neuen Offenbarung oder exiſtieren fie 
nicht? Die Spiritiſten antworten mit einer 
Fülle von Tatſachen: dieſe könnten ihre Er⸗ 
klärung nur in dem Einwirken vernunft« 
begabter und tätiger Weſen finden, welche 
von uns verſchieden ſind und nur der Welt 
der „Entfleifhten” angehören könnten. 
Ift dieſe Schlußfolgerung berechtigt? „Unter 
Berũckſichtigung des Fehlens einer ſtrengen 
Kontrolle, der Unbeſtimmtheit der Berichte 
und der erwieſenen Betrügereien müſſen 
wir annehmen, daß ſpiritiſtiſche Tatſachen 
ſeltener find, als die Spiritiften angeben“ 
(56). „ad dem Spiritismus iſt die neue 
Offenbarung abhängig vom Vorhanden. 
ſein des Aſtralleibes. Dieſer Aſtralleib iſt 
nicht vorhanden. Wenn der Spiritismus 
durchaus an der Behauptung feſthält, daß 
der Aſtralleib exiſtiert, fo ſteht gerade 
der Hſtralleib der klaren Erkenntnis der 
Beifterbotfchaften hindernd im Wege“ (74). 
Somit ſcheint, „daß die Spiritiſten in ihrem 
Wahn, mit Seiſtern zu verkehren, nur 
den Widerhall ihrer eigenen Gedanken oder 
derjenigen ihrer ſuggeſtionierten Medien 
wahrnehmen“ (94). Die Kirche lehnt den 
Spiritismus mit Recht ab. (Die letzte kirch · 
liche entſcheidung fiel erſt am 24. April 
1917.) Sie ſpricht ſich über das Weſen der 
ſpiritiſtiſchen Dorgänge nicht aus; fie 
verbietet den Gläubigen, an den ſpiriti⸗ 
ſtiſchen Derſuchen teilzunehmen; fie ver- 
mutet bei den ſpiritiſtiſchen Kundgebungen 


293 


ein mögliches Einwirken hölliſcher Sei⸗ 
ſter (110). | 

P. Maynage verfügt über eine klare, 
treffſichere Cogik. Er zeigt, wie die Lehren 
des Spiritismus mit der Dernunft im Wider- 
ſpruch ſtehen und wie insbefondere die 
ſpiritiſtiſchen Cat ſachen ſoweit fie be; 
ſtehen, auf ganz natürliche Urſachen zu⸗ 
rückzuführen find. Er gibt zu, das einzelne 
von den Spiritiften berichtete Tatſachen 
auf Wahrheit beruhen, ein Seſtändnis, 
das nicht einmal alle machen werden; vgl. 
P. N. Brühl C. Ss. R., Gibt es okkulte 
Kräfte? Linzer Theol. Prakt. Quartal - 
ſchrift 1924 8. 35 ff. 

Die ÜÜberfegung ift verſtändlich und lieſt 
ſich leicht. Wie im Original, fo find auch 
in der Überſetzung die Fundftellen leider. 
fo gut wie nicht angegeben. Der Über ⸗ 
ſetzer fühlt und bedauert dieſen Mangel 
(4), dem er der Verkehrs ſchwierigkeiten 
wegen nicht abhelfen konnte. Im übrigen 
war die Überſetzung der Schrift wohlbe- 
rechtigt; fie verdient weiteſte Derbreitung. 

P. Benedikt Baur (Beuron). 


Paſtoral und Aſgzeſe 


Chrift, Joſ., 8. 9., Der Laienapoftel. 
I. Des Mannes Aredo. Ausgewählte 
Rerngedanken aus allen Jahrgängen des 
„Männerapoftolats“ zur religiös - wiffen- 
ſchaftlichen Weiterbildung des Mannes. 8° 
(294 8.) Aevelaer 1923, Joſeph Bercker. 
Kartoniert M. 2.—, Peinenerſatz M. 3.—, 
beinen II. 4.— 

Seit 1912 arbeitet das von den Päpſten 
Pius X. und Benedikt XV. warm emp- 
fohlene „Männerapoſtolat“ ; unermüdlich 
und mit beſtem Erfolg an der religiös- 
ſittlichen Feſtigung und Vertiefung der 
katholiſchen Männerwelt. Es wäre ſchade 
geweſen, wenn die in dieſer Monatſchrift 
gebotenen Gedanken und Anregungen der 
Dergeffenheit anheim gefallen wären. Des- 
halb unterzieht fich der eifrige erſte Heraus» 
geber, der hochwürdige P. goſ. Chriſt, der 
verdienftlihen Mühe, das Wertvollſte und 
Schönſte aus allen Jahrgängen auszu⸗ 
wählen, nach fachlichen Seſichtspunkten 
zu ordnen und in handlichen Bändchen zu 
vereinigen. Der erſte bis jetzt erſchienene 
Band, des Mannes Aredo, enthält Be- 
lehrungen „über die Glaubenswelt des 


294 


Mannes, damit er fein Kredo wieder über- 
zeugungstreuer bete“. Es find keine trok- 
kenen abftrakten Abhandlungen, ſondern 
kurze anſchauliche und packende Dar⸗ 
ſtellungen, die durch zahlreiche Beiſpiele 
und ſpannende Erzählungen belebt werden. 
Welcher Mann hätte nicht ein ſtarkes 
Rüſtzeug nötig in dem furchtbaren Kampf, 
der heute um die Sache Chriſti und ſeiner 
kirche entbrannt iſt? Jeder, der dieſes 
Bändchen langſam und beſinnlich lieſt, 
wird in tieffter Seele ergriffen, mit feuriger, 
tätiger Chriſtusliebe erfüllt und kämpft 
entſchloſſen in der vorderſten Reihe „die 
Kämpfe des Herrn“. Auch der akademiſch 
Sebildete wird aus dem Bude, das den 
koſtbaren Inhalt in vornehmer, ſprach⸗ 
gewandter Form bietet, reiche Anregung 
ſchöpfen. Mit freudiger Erwartung ſehen 
wir den beiden folgenden Bändchen ent- 
gegen, die des Laienapoftels Wirken und 
eingreifen in Welt und Kirche ſchildern 
werden. 

P. Ignatius Stützle (Maria-Paach). 


Anor, 9. b., Das Coienapoftolat. Pre- 
digten auf die Sonntage des Kirchenjahres. 
8° (267 8.) Aachen 1923, Xaverius-Derlag. 

M. 2.50 
mehr als in anderen Zeiten tut heute not 
gegenüber den Apofteln, die Böſes ſäen, 
an gute Saat zu denken. Dazu fordert nor 
auf. Es iſt keine feurige, hinreißende Be⸗ 
redſamkeit, die uns in den 45 Predigten 
Anors geboten wird; reoͤneriſche Auswer- 
tung der Texte, durchſchlagende, packende 
Beweisführung geht ihnen ab. Dennoch 
verdient der Derfaffer diefer [lichten Pre⸗ 
digten Anerkennung; einmal für die plan» 
mäßige Behandlung des Daienapoſtolates 
und Hervorhebung zahlreicher Möglichkei⸗ 
ten feiner Betätigung, ſodann für das mit 
ſo großem Fleiß für die einzelnen Themata 
geſammelte, reichliche Material und für die 
weiteren LGiteraturangaben. Der Benutzer 
des Werkes, der, wie der Derfaffer es emp» 
fiehlt, vom „Adoptieren“ abſehend, ſich auf 
das „Adaptieren“ verſteht, wird in ihm 
viele gute Anregung und recht brauchbaren 
Stoff finden. Für die Faſtenſonntage ſind 
Reine Predigten angeſetzt; am Ofterfonntag 
ift unpaffend das Apoftolat der Frau im 
allgemeinen behandelt. 
P. Hieronymus Riene (Beuron). 


v. Hirſcher, Dr. Joh. Bapt., Betrach⸗ 
tungen über die ſonntäglichen Evan. 
gelien des Kirchenjahres in zeitgemäßer 
Ueubearbeitung von Dr. Auguftin Wib- 
belt. 2. Aufl. 8° (432 8.) Limburg 1923, 
Steffen. Broſch. I. 5.—; geb. I. 6.— 
bieſt man des Herausgebers Dormort 
(8. 7), daß es ſich hier um eine fo , dutch · 
greifende Umarbeitung“ handle, daß „kein 
Satz des Originals ſtehen geblieben if”, 
ſo möchte man über ſolche Pietätlofigkei: 
faſt erſchrecken oder zürnen. Zum Glüch 
iſt aber Wibbelt nicht ſo rückſichtslos vor · 
gegangen. Er gibt auch ſelbſt zu, daß 
die Gedankenfolge des Originals in allen 
Einzelheiten, unverändert“ gewahrt wurde, 
ja auch „der Charakter der Sprache, ſoweit 
als möglich“. Wir hätten es lieber gefehen, 
wenn er in letzteren Punkte weiter ge · 
gangen wäre und da und dort die friſche 
und anſchauliche Sprache Hirfchers hätte 
fortklingen laſſen, ohne ſie durch Umſchrei⸗ 
bungen und Kürzungen zu erfegen, die 
matt wirken. Huch hätten wir dem Buche 
eine gefälligere Ausftattung gewünſcht und 
eine forgfältigere Durchſicht der Druckbogen. 
Wenn auf 8.145 — 149, alfo auf vier Seiten 
nicht weniger als ſechs Druckfehler ftehen, fo 
ift diefer Fall leider nicht ganz vereinzelt. 
Don herzen wollen wir aber dem Heraus: 
geber dafür dankbar fein, daß er Hirſchers 
Betrachtungen einem großen Geferkreife zu 
verhältnis mäßig billigem Preiſe wieder zu: 
gänglich gemacht hat. Mag auch manche 
Ausführung des Derfaffers etwas zu fehr 
in die Breite gehen, mögen einige Züge 
der Parabeln eine etwas geſuchte Deutung 
erhalten, ſo leuchtet doch der Reichtum det 
heiligen Evangelien wunderbar vor uns 
auf, und in eindringlicher Weiſe wird uns 
gezeigt, wie vielſeitig die Beziehungen der 
Worte Chriſti zu unſerem Deben find. Eine 
wohltuende, dem Ganzen entſtrömende 
Wärme trägt dazu bei, daß wir die Winke 
und Mahnungen mit bereitwilligem Her: 
zen aufnehmen. 
B. Dominikus Johner (Beuron). 


Dom hl. Kaiſer heinrich (+ 13. Juli 1023) 
und feinem Jubiläum ſoll noch die Rede fein. 
Inzwiſchen fei u. a. das!, St. Heinrichsheft“ 
die Ur. 27 der Münchener „Allgemeinen 
Rundſchau“ und das charakterfeſte Blatt 
ſelber einmal allgemein empfohlen. 


295 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Papſt Pius XI. an feinen geliebten Sohn Fidelis von Stotzingen, 
Abt⸗ Primas des geeinten Benediktinerordens. 


Seliebter Sohn, 
Sruß und Apoftolifhen Segen! 


Eingetenk der Worte, mit denen der Erlöfer des Menſchengeſchlechtes im Angeficht 
des Todes feinen Dater anflehte, daß alle eins ſeien, wünſchen wir nichts 
ſehnlicher, als daß aller Iwieſpalt ein Ende habe und ſämtliche Dölker ſich wieder 
zur Einheit der katholifhen Kirche zurückfinden, damit fo ſchließlich eine Hürde 
und ein Hirte werde. heute richtet ih unſer Sinn vor allem in Liebe auf die 
großen Dölkermaffen Rußlands. Uns ſcheint, die unerhörten Leiden, die (wie wohl 
nie zuvor) über fie hereingebrochen find, riefen fie zurück in die Arme der Mutter- 
kirche. Wer könnte uns aber bei dieſem Werk der wiederherzuftellenden Einheit 
ſchätzens wertere Hilfe leiſten als die eifrigen Mönche des Abendlandes, die ih um 
die chriſtliche Kultur ſtets fo verdient gemacht haben? Aus dem Oſten nahm ja das 
Mönchtum feinen Urſprung, und [don vor dem traurigen Schisma ſtand es in 
ſchönſter Blüte, vor allem unter St. Benedikts Führung, den auch der Oſten als den 
Patriarchen des abendländiſchen Mönchtums hoch verehrt. Dazu hält das Mönchtum 
heute noch feſt an den Lehren, die es von den Vätern überkommen hat, an feinem 
Eifer für die heilige Liturgie und an den weſentlichen Formen älteſten mönchiſchen 
bebens. Das alles ebnet gewiß den Benediktinermönchen die Wege zu diefem Apoſtolat 
und zur Wiedergewinung unferer verlorenen Brüder. Damit nun ein fo heiliges 
Unternehmen in monaſtiſcher Weiſe verwirklicht werde, tragen wir Dir auf, geliebter 
Sohn, ein Rundſchreiben an alle Äbte und Mönche des Ordens zu richten, fie ein ⸗ 
zuladen zu inſtändigem Gebet zu Bott um die Einheit, ſowie zu tätiger Inangriff- 
nahme zweckdienlicher Werke. Es wäre wünſchenswert, daß die Äbte in gemein⸗ 
ſamer Beratung je eine Abtei in ihrer Kongregation oder wenigſtens Uation eigens 
hiefür beſtimmten, die unterſtützt von den übrigen Alöftern ihre befondere Liebe 
und Mühe diefem edlen Plane weihte. Dieſe Abteien ſollen beſtehen aus einer Schar 
ſorgſam auserlefener Mönche, die entſprechend gründlich ausgebildet — in Sprache, 
Beſchichte, Charakter und Beiftesart, beſonders aber Theologie und Liturgie jener 
Dölker — recht befähigt wären, das Werk der Einheit zu fördern. Das wird Luch 
um fo eher gelingen, wenn ihr die talentvollſten Euerer Mönche nach Rom an das 
Orientaliſche Inſtitut ſendet und durch Wort und Schrift dazu beitragt, daß auch 
im Abendland die Sehnſucht nach Einheit und die Aenntnis der Hontroverspunkte 
zwiſchen dem Oſten und uns ſich erweitert. Schließlich wünſchen wir ſehr, geliebter Sohn, 
daß alle Mitglieder dieſer Abteien den Slaben aus Rußland, die bei uns fern der 
heimat weilen, alle Liebe und Freundlichkeit entgegenbringen. Wenn fie den ka⸗ 
tholiſchen Glauben kennen lernen oder — ſchon zur Blaubenseinheit zurückgekehrt — 
in das mönchiſche Geben eingeführt werden wollen, dann nehmt fie auf in brüder⸗ 
licher Gaſtlichkeit, die ihr ja ſo ſchätzt, und lehrt ſie, wie ſie fromme Söhne der Kirche 
und, fo Sott will, gute Mönche werden. Deshalb laß es Dich nicht verdrießen, ge⸗ 
liebter Sohn, dieſen neuen Plan mit allem Uachoͤruck zu verfolgen, mit dem ſich 
verheißungsvoll die Hoffnung auf beffere Zeiten verbindet. Denn wenn Bott feine 
Gnade dazu gibt, wird auf diefe Weiſe einmal ein Kloſterverband des flaviſchen 
Ritus entſtehen, deſſen Erzkloſter Mönche des Oſtens und Weftens in dieſer Stadt 
(Rom), dem Haupt des chriſtlichen Namens, zu einer gemeinſamen Familie umſchließt. 
Dies Kloſter würde dann wieder zum Ausgangs- und Mittelpunkt neuer Klöſter 
werden, die ſich zu feiner Zeit in Rußland felber bilden würden. Unterdeſſen leben 
wir der frohen Hoffnung und erflehen Euch von Bott die nötige hilfe. Des zum 
Unterpfand und zum Zeichen unſeres beſonderen Wohlwollens erteilen wir Dir, 


296 


geliebter Sohn und allen Äbten und Angehörigen des Ordens aus ganzem herzen 
den apoſtoliſchen Segen. 

Gegeben zu Rom bei St. Peter, den 21. März, am Feſte St. Benedikts im Jahre 
1924, dem dritten unſereres Ponifikates. Papſt Pius XI. 


Brief aus Ungarn. 


Sitursits Woche in Budapeft. Im Januar dieſes Jahres hatte der Verein 
der Religionslehrer und Katecheten in der Aula des Seminars von Budapeſt 
unter Mitwirkung der Benediktiner P. Xaverius 8zunuogh, P. Hildebrandus Dar ⸗ 
konyi und P. Florian Kühaͤr einen liturgiſchen Kurs abgehalten, welcher vorläufig die 
Srundlage zur weiteren Bewegung bildet. Eröffnet hat den Kurs P. Cſernoch, Rar- 
dinal und Fürſtprimas von Esztergom; beendet wurde die Woche durch das vom 
Nuntius 6. Schioppa abgehaltene Hochamt. Es fanden täglich zwei Vorträge Ttatt; 
einer wurde jedesmal den Benediktinerpatres vorbehalten. Jahlreiche Prieſter aus 
dem Welt- und Ordensklerus haben aus den Vorträgen Sinn und Bedeutung der 
Liturgie kennen gelernt; es wurde beſchloſſen, in den Seminarien eigene LGehrftühle 
für Giturgie zu errichten und Kurſe auch für Laien abzuhalten. Die Dorträge wur⸗ 
den im Druck veröffentlicht. 

Dolksmiſſion in der Diafpora von Alföld. Zeit der türkiſchen Zeit 
(1526 - 1687) blieb die Kirche in den fruchtbaren Gegenden zwiſchen Donau und 
Theiß und jenſeits der Theiß (Tiſza) ziemlich verwahrloſt. Die Bevölkerung wurde 
proteſtantiſiert; die Katholiken lebten mancherorts in riefiger Entfetnung von den 
Pfarreien einſam auf ihrer Tampa (Bauernhof), ohne Religionsunterricht, ohne So⸗ 
kramente. Baronin von Ifeer in Tifzany, die ſich unter die Oblatinnen des hl. Bene 
diktus aufnehmen ließ, arbeitet feit zwei Jahren mit ihren tüchtigen Oblatenkateche⸗ 
tinnen auf einer am meiſten gefährdeten Diaſpora. Voriges Jahr hat P. Florian 
Kühär eine Dolksmiffion dort abgehalten; im März dieſes Jahres ſtanden ſchon vier 
Patres (P. qacobus Blazovich, Theodofius Tlifzler, Benediktus Jung, Paulus Saͤrközu) 
in der Miffionsarbeit, die ſchöne Früchte erzielte und das ſchlummernde katholiſche 
Bewußtſein wieder zu neuem beben erweckte. Die Miſſionen mußten größtenteils 
in Shulzimmern abgehalten werden, da andere Räume nicht zur Verfügung ſtehen. 
beute, die früher lebenslang kaum einen katholiſchen Prieſter geſehen haben, wur- 
den in den Wahrheiten des Katechismus unterrichtet und zum Beichtſtuhl (oft das 
erftemal in ihrem Leben) geführt. Dieſe Seelforgsarbeiten unſerer durch ihre Schul 
tätigkeit ohnehin ſehr in Anſpruch genommenen Patres hat viel Anerkennung ſeitens 
der Biſchõöfe gefunden. 

Literatur. P. Dr. Xaver 8zunyogh gab in ungariſcher Überſetzung Jörgenſens 
„Unſere Liebe Frau von Dänemark“ heraus; P. Dr. Egidius Schermann, General 
vikar des Erzabtes von Pannonhalma, veröffentlichte ein treffliches Büchlein über 
die öftere, tägliche kommunion, ein Werk, das ſich durch Fülle der theologiſchen 6e 
lehrſamkeit, weiſes Maßhalten, ſowie großen praktiſchen Sinn auszeichnet und die 
liturgiſche Bewegung ſchön mit dem Aommuniongedanken verbindet. P. Dr. Florian 
KRühär veröffentlichte eine eingehende Würdigung des Foerſterproblems in der Zeit- 
ſchrift „Magyar Kultura“. B. Dr. Hildebrand Därkonyi ſchrieb ein gediegenes Werk 
über Thomas von Aquin. 

es ließe ſich noch manches berichten, aber es ſei für diesmal genug. Es weht 
ein Oſtergeiſt in Ungarn, ein Beift der Auferſtehung; da möchten wir Benediktiner, 
deren Ahnen bei der Geburt der ungariſchen katholiſchen Kirche faſt ausſchließlich 
mitgewirkt haben, auch bei der Wiedergeburt das Unſere mittun. 

B. Florianus Rühär (Pannonhalma). 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: B. Willibrord Derkade, 
gedruckt und verlegt vom Runſtverlag Beuron. 


DEN Google 


"Singejog ne Sısguuoy ug 


297 


Die literariſche Bekämpfung 
des Chriſtentums in der Antike. 


Don P. Friedri Anwander (St. Ottilien). 


as katholiſche Chriftentum hat die Welt für ſich gewonnen. In 

dem gewaltigen Einſchmelzungsprozeß, aus dem ſchließlich die 
antik mittelalterliche chriſtliche Rultur ſich emporhob, iſt eine Fülle 
jüdiſchen, orientaliſchen und helleniſtiſchen Metalls verwertet worden. 
80 wichtig und lockend es iſt, dieſes religiöfe Urgut nach Gehalt und 
gewicht abzuſchätzen, noch ſchöner iſt es, die göttliche Feuerkraft zu 
bewundern, die den ungeheuren Stoff durchglühte und bezwang, und 
hinzuhorchen auf den hellen Blockenton der Frohbotſchaft geſu Chrifti, 
der aus dem umgeſchmolzenen ſchwarzen, ſchweren Metall der Reli- 
gionsgeſchichte tröſtlich an unſer dürſtendes Ohr dringt. Wir ſind es 
gewohnt, vom Sieg des Chriftentums zu ſprechen. Aber von der 
Bröße dieſes Sieges machen wir uns kaum einen vollen Begriff. Es 
wäre eine erhabene Lebensarbeit für einen katholiſchen Gelehrten, 
uns einmal ein Bild der ſtreitenden Kirche von Paulus bis Boethius 
und Caſſiodor zu entwerfen und uns in der Rüftung der modernen 
Wiſſenſchaft und in der But erleuchteter Glaubensüberzeugung auf die 
vier Ariegsfhaupläße zu führen, auf denen die Kirche vielfach 
gleichzeitig kämpfen und fiegen mußte, follte das Werk geſu Chriſti 
nicht umſonſt getan ſein. 

Wie ſchwer war der jungen Gemeinde die boslöſung vom Juden« 
tum. Der konflikt zwiſchen Petrus und Paulus in Antiochia (Sal. 2) 
läßt uns blitzartig ſchauen, was auf dem Spiele ſtand. Bebräerbrief 
und Barnabasbrief werfen Schlaglichter auf den Bang der Entwicklung. 
Im zweiten Jahrhundert mußte Juſtin im „Dialog mit dem Juden 
cruphon“ ſich des reorganifierten Judentums erwehren, und immer 
wieder bekamen die Chriſten den Haß dieſes Volkes zu fühlen, das 
zudem dem heidentum die erſten Waffen gegen die „Abtrünnigen“ 
lieferte. Aber unterdeſſen hatten ſich die brauenden Nebel des all⸗ 
gemeinen Sunkretismus zu einer religiöfen Bewegung verdichtet, die 
durch kultiſches Wiſſen Selbſterlöſung zu gewinnen hoffte und die, 
obwohl im Dualismus und in der Magie des Orients wurzelnd, auch 
die griechiſche Philoſophie und die chriſtliche Religion ſich dienſtbar 
machen wollte, einer Bewegung von ſo unheimlicher Werbekraft und 
ſo irreführenden, bezaubernden Reizen, daß es unmöglich ſchien, das 
klar gerichtete katholiſche Chriſtentum ihr gegenüber durchzuſetzen. 

senebiktniſche Mionatſchrin VI (1924) 910. 19 


298 


Und während die kirche mit dieſem furchtbaren Aberglauben, dem 
Snoftizismus, auf beben und Tod rang!, drohte ihr die Häreſie 
die Wahrheit vom Dreieinigen Gott und vom Gottmenſchen geſus 
Chriftus zu verderben. Man wollte es nicht wahr haben, daß die 
Wahrheit gerade in dem polaren Spannungsverhältnis liegt, daß in 
Gott ein Drei-Eins und in Chriftus ein Zwei-Eins „unvermiſcht und 
unzertrennt“ in realer Wirklichkeit exiſtiert. In jahrhundertelanger 
Arbeit hat die theologiſche Schule von Alexandria, treu unterftüßt von 
den kappadoziſchen Dätern, aber auch von Tertullian und Rom, eine 
Grundlage geſchaffen, auf der Auguſtinus und Thomas den Dom des 
katholiſchen Slaubensfyftems errichten konnten, nachdem die Antike 
ihre beſten Güter in den Schoß der Kirche gelegt hatte, ehe fie felber 
ſtarb. Plato und Plotin, die Stoa und der Cunismus, Cicero und Dergil, 
endlich, wenn auch ſpät gebührend geſchätzt, Ariftoteles — wer zählt 
all die tauſend Fäden, die ſich von griechiſcher Philoſophie und tö- 
miſchem Recht, von Geift und Sprache, von Dichtung und Leben der 
alten Welt in die neue chriſtliche Welt hinüberſpinnen? Und doch hat 
die helleniſtiſch⸗-römiſche Kultur eine vierte und vielleicht die ge⸗ 
waltigfte Auseinanderfeßung mit der Predigt des galiläifhen Rabbi 
gehabt. Denn in dem Mittelmeerbecken, nicht in dem ſemitiſchen 
Mutterboden, hat das Chriſtentum zunächſt Wurzel geſchlagen, und es 
gab hier wirklich nur ein „Entweder⸗Oder“, ſobald Staat und Befell- 
ſchaft einmal erkannt hatten, daß Dunamit an ihre alten, heidniſchen 
Fundamente gelegt war. Entweder man befolgte das große keravosite, 
denket um und bekehret euch zu mir von eurem ganzen herzen, — oder 
man mußte das Chriftentum ausrotten, durch Deradytung, Hohn, Witz, 
Verleumdung, Verführung, geiftige Anechtung, Marter, Tod — gleich⸗ 
viel, es durfte nur nicht leben. Der Hellenismus iſt zunächſt den zweiten 
Weg gegangen. Er hat das Chriftentum verſchmäht. Als um die Mitte 
des erſten Jahrhunderts die Juden ihre heidniſchen Mitbürger auf die 
verhaßte Chriſtenbrut aufmerkſam machten, da haben führende kireiſe 
kaum etwas anderes als hodymütige UDerachtung und unſäglichen Wider: 
willen übrig gehabt für dieſen „Ekel des Menſchengeſchlechtes“, odium 
generis humani (Tacitus), für dieſe neue Sekte von Zauberern secta 
nova et malefica (Sueton), und ſelbſt geſcheite beute haben ſich nicht 
entblödet, die Chriſten mit dem Kot der ZSaſſe zu bewerfen: die Chriſten 
find Eſelsanbeter, Kindsſchlächter, Sodomiten, Hochverräter — ach, bei 
diefem Sklavenpack war ja alles möglich! Ihre Lehren und ihr Geben 
ernſtlich zu prüfen, das wäre wahrlich zu viel verlangt für einen edlen 
Hellenen. Der Staat hielt mit ſeiner Stellungnahme noch zurück. Wie 


299 


unſicher iſt das Urteil des Statthalters von Bythinien, Plinius, wie 
vorſichtig, im runde inkonſequent erſt recht die Antwort des 
Baifers Trajan auf deſſen Brief! Der Staat hat eher die Dolkswut 
gezügelt, er wollte wenigſtens die Miene des Unparteiiſchen aufſetzen. 
Das wurde freilich anders ſeit dem berühmten Derfolgungsedikt des 
Raifers Decius. Nun war der Staat nicht mehr der unparteiiſche 
Richter vermeintlicher chriſtlicher Derbrechen, nun war er ſelbſt Partei, 
nun fühlte er die Derweigerung des Raiferopfers als Stoß in fein 
eigenes Herz:. Der zielbewußte Angriff eines immer noch fehr 
mächtigen, wohlorganifierten und kalt berechnenden Imperiums ließ 
den Chriſten kaum zum Bewußtſein kommen, daß jetzt dafür breite 
Schichten der Geſellſchaft nicht mehr eine ſchroff abweiſende, ja ſogar 
eine teilnehmende und verſöhnliche haltung an den Tag legten. Wer 
aus dieſen hätte auch für die Chriften Ehre, Dermögen und Leben 
wagen wollen? Ruch trat dem Staat ein neuer Bundesgenoſſe zur 
Seite: die Wiſſenſchaft, genauer: die Philoſophie und die Rhetorik. 
Wir können beweiſen, daß es vielfach niedere Motive waren, die den 
Sophiſten und Philoſophen die Feder in die hand gedrückt haben; 
aber gerade die wichtigſten Rampffchriften gegen das Chriftentum find 
damit nicht erklärt. In ihnen ſpricht ſich vielmehr ein ſtarker, keine 
Mühe ſcheuender Wille aus, das Chriſtentum aus inneren Gründen als 
unhaltbar zu erweiſen. Für uns aber bringen ſie die Schwäche jedes 
heidentums und die Stärke des chriſtlichen Gedankens überzeugender, 
klarer, unmittelbarer zum Ausdruck als viele Rpologien der Chriften 
jener Zeit, die in der Hitze des Hahkampfes die Probleme nicht über- 
ſchauten und an die uns ſo wenig befriedigenden Beweismethoden der 
Antike gebunden waren’. Inſofern verdienen die ktampfſchriften des 
alten heidentums einiges allgemeine Intereſſe, zumal fie noch nicht in 
dem Maße wie die apologetiſchen Leiftungen der Dñäter“ zufammen- 
faſſend gewürdigt worden ſind. 

nach dieſer aufklärenden Einleitung darf ich mich nun über die Be⸗ 
ſchränkung meines Themas kurz faſſen: Es kann nicht mein Beſtreben 
fein, die ganze Rampftätigkeit des Hellenismus zu entrollen. Kundige 
beſer wiſſen, welch erdrückende Fülle von Material hierfür zu be⸗ 
rückſichtigen wäre. Huch nicht alle die Formen, unter denen ein 
geiſtiger krieg im Altertum ausgefochten zu werden pflegte, finden 
Berückſichtigung. Bei der Bedeutung, welche in der Antike die Runſt 
der Beredſamkeit hatte, bei der marktſchreieriſchen Art, wie alle mög; 
lichen Wanderphiloſophen ihre Weisheit ausboten und öffentliche Kritik 
übten, mußten ſich die Chriften zur Rettung ihrer Sache oft in ge⸗ 

19* 


300 


legentliche oder feierlich angefagte Disputationen einlaffen. 50 er⸗ 
fahren wir, daß dem hl. Juſtinus im Rom der Cyniker Crescens ins 
Angeſicht widerftand. Dieſe Wortgefechte hörten auch ſpäter, nach dem 
äußeren Sieg des Chriſtentums nicht auf. da das gelehrte Heidentum 
noch ein langes, zähes Leben friſtetes. Ebenſowenig iſt es meine Ab» 
ſicht, die gelegentlichen feindſeligen Äußerungen oder die indirekt ab⸗ 
lehnende Stellungnahme gegen das Chriſtentum in der heidniſchen 
Literatur genau zu regiſtrieren und zu unterſuchen. Nur die Aampf- 
ſchriften im engeren Sinn möchte ich ins Geſichtsfeld rücken. 

Das ſind nun freilich nicht viele, und die, deren Namen uns kund 
geworden ſind, haben ſich nur teilweiſe durch Scharfſinn und mühevolle 
Arbeit, dabei doch lückenhaft und häufig unſicher wiederherſtellen 
laſſen. Nur was ſich in chriſtlichen Widerlegungsſchriften erhalten — 
ſo weiß ſchon Chruſoſtomus — nur das iſt auf uns gekommen. Die 
Orginale hat der Zorn der Sieger und kaiſerlicher Machtwille ver⸗ 
nichtet. Die 15 Bücher des Porphurius gegen die Chriſten hat The⸗ 
odofius II. ausdrücklich dem Feuer überantwortet, und der Code 
guſtiniani fügt allgemein bei: „oder wer fonft Chriftenfeindliches ge⸗ 
ſchrieben hat.“ Sogar die chriſtlichen Derteidigungen find großenteils 
und nicht bloß aus den allgemeinen Gründen der Zeit zum Opfer ge⸗ 
fallen. man wollte die böſen, gefährlichen Namen überhaupt nicht 
mehr in Erinnerung gebracht haben. Für uns ſind die alten haſſer 
ins kühle bicht der Seſchichte gerückt. Aber indem ich fie mit dem 
Wahrheitsauge des hiſtorikers betrachte, hoffe ich der göttlichen Wahre 
heit auch in der Gegenwart einen Dienſt zu tun. 

Nicht eigentlich polemiſche Literatur gegen das Chriſtentum, obwohl es manchmal 
dafür gilt, iſt folgendes: Die abträglichen Außerungen eines Tacitus (Ann. 15, 44), 
Sueton (Nero 16; Claud. 25), Plinius (Ep. 10, 96 f.), Iürc Aurel (Monol. 11, 3), 
Epiktet (Arrian., Epict. diss. IV, 7, 6), Galen (De puls. diff. 2, 4; 3, 3 — doch 
ſtammt von Galenus auch ein hohes Lob der chriſtlichen Reufchheit, wie überhaupt 
vereinzelt eine unbefangene Anerkennung chriſtlicher Tugenden ausgeſprochen wird); 
die Reſte kaiſerlicher Reſkripte gegen die Chriften, die groben Verwechslungen, die 
den heiden bei ihrer oberflächlichen Kenntnis des Chriſtentums mitunterliefen. 80 
verwechſelt Dopiscus (Vita Saturn. 8) die Chriften mit den Verehrern des Serapis; 
Phlegon (bei Orig. Contra Cels. 2, 14) verwechſelt Chriſtus mit Petrus!“ Mit dieſer 
Oberflächlichkeit hängt es zuſammen, daß man zuweilen nicht weiß, ob ein biſſiges 
Wort wirklich den Chriſten zugedacht iſt. Des Apuleius Spott über eine Monotheiſtin 
(Metamorph. 11, 14) könnte auch gegen eine Jüdin gehen, des Ariftides Unwille 
über das bettelhafte Dolk, das mit feiner Entfagung groß tut und Unverſchämtheit 
für Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit hält (Or. 46), will vielleicht eher die Cuniker 
treffen’. Ebenfo ift es unklar, ob bei Pfeudo-Dio Chruſoſtomus (Or. Corinth. 37) 
die Chriſten getroffen werden wollen. Jedenfalls handelt es ſich an all diefen Stellen 


nur um gelegentliche Ausfälle. Auch der große Spötter Lucian kann nicht unter 
die literariſchen Gegner der Chriſten eingereiht werden. Was er über die Chriften 


801 


fagt (Peregrinus 11. 12/3. 16. 39; vgl. Alex. s. Pseudomantis 25. 28) iſt freilich nicht 
ſchmeichelhaft. Er ſtreut zwar ungewollt das wichtige Lob ein, daß die Chriften mit nur 
wenigen den Erzgaukler Alexander durchſchaut haben. Aber fonft find fie ihm leicht» 
gläubige, gutmütige Tollköpfe, die aus Derehrung für ihren gekreuzigten „Sophiſten“ 

und fein Liebesgebot einer Kreatur wie jenem Peregrinus Glauben ſchenken, ihm 
wichtige Ämter anvertrauen, ihn im Gefängnis freigebig unterftügen und ihn ſchließ 
lich nur des halb preisgeben, weil „er etwas Derbotenes aß“. Das. find Urteile eines 
menſchen, der bloß für die Oberfläche der Dinge ein ſcharfes, mitleidsloſes Auge hat. 
Man fieht nicht einmal aus ihnen, ob es häretiſches oder kirchliches Chriſtentum war, 
dem fi Peregrinus angeſchloſſen hatte. Hur der perſönliche Widerwille gegen dieſen 
Mann ſpitzt dem Samofatener die Feder. Zu einer eindringlichen Kritik der cuniſchen 
Philoſophie oder der chriſtlichen Religion fehlt dem Sophiſten und Skeptiker hier jede 
buſt. — Die Perſönlichkeit des Apollonius von Tyana, an deren Geſchichtlichkeit nicht 
gezweifelt wird, hat jedenfalls noch keine Beziehung zu Chriſtus und ſeinem Werk. 
Die Apollonius- Biographie des Philoſtratus iſt freilich als Konkurenzroman zum 
beben Jefu aufgefaßt worden und könnte in ſolchen Kreiſen, die dem Wundertäter 
von Hazareth, wenn auch nur aus Mode ſchon näher getreten waren, wie vielleicht 
die hofdbamen der Raiferin Julia Domna und ſicher Alexander Severus und Julia 
Mamaea, auch fo gewirkt haben. Aber daß die Schreiberſeele eines Philoſtratus ge⸗ 
meint habe, mit ſeinem Roman der Welt eine Schrift gegen das Chriſtentum zu 
ſchenken, iſt mir nicht wahrſcheinlich'. Die ſpätere Polemik, Porphurius und nament- 
lich hierokles, haben ſich allerdings die populäre Geſtalt des Hpollonius nicht entgehen 
laſſen. Darüber am gegebenen Orte. — Anders ſteht es um die neuplatoniſche Philo- 
ſophie. Schon ihr erſter namhafter Vertreter, von dem uns literariſche Denkmäler 
hinterlaſſen find, Plotin, wendet ſich (Ennead. II, 9; III, 2—3) „gegen die, welche 
ſagen, der Weltbildner ſei ſchlecht und Welt fei ſchlecht) .. Was er hier gegen die 
Schöpfungslehre, gegen die zentrale Stellung des Menfchen, den Untergang der Welt 
und namentlich gegen die Erlöſung fagt, trifft chriſtliche Dogmen. Da aber die Front 
Plotins nicht gegen die Kirche, ſondern gegen gnoſtiſche Sektierer gerichtet ift, die in 
feine philoſophiſche Schule ſich einzudrängen ſuchten, da wir dieſe Snoſtiker keines ⸗ 
wegs als Vertreter des echten Chriſtentums anerkennen und Plotin bei feiner Kritik 
in wichtigen Stücken wieder mit dem kirchlichen Chriſtentum gegen den gnoſtiſchen 
Dualismus zuſammengeht, ſo wollen wir auch Plotin noch nicht unter die eigent⸗ 
lichen chriſtusfeindlichen Kämpfer rechnen. Aber aus der Schule Plotins ging nun 
der Hauptangriff hervor; und der ſuriſche Neuplatoniker Jamblichus hat den letzten 
verzweifelten Derſuch, das Chriſtentum geiſtig zu töten, eingegeben. Julians be» 
geiſterter Anhänger Libanius war natürlich auch ein Chriſtenfeind und wurde von 
den Chriſten auch fo empfunden. Gelegentlich hielt der mächtige Mann mit feinem 
Widerwillen gegen den heiligenkult, gegen den Klerus und gegen dieſes ganze „gott⸗ 
loſe“ Chriſtenweſen nicht zurück (Or. 2. 18. 60). Aber er war doch zu ſehr der Pflege 
der Form ergeben, zu ſehr einem »rationalisme amateur«? verfallen, als daß er 
dem Chriſtentum hätte gefährlich werden können. Er blieb Heide, wie übrigens auch 
viele andere, aus konfervativem Anftand, Mannestrog und eiferſüchtigem Mißtrauen. 
Perſönlich war er wie Themiſtius und Himerius verſtändig, wechſelte mit dem hl. Ba- 
ſilius höfliche Billette und ließ es ſich gerne gefallen, daß fein beſter Schüler in 
Antiochia ein frommer Chrift, der nachmals fo berühmte hl. Chruſoſtomus war. 
Uoch weniger hat der vornehme Römer Symmadus, der peinliche Hüter alter, ver⸗ 
ſtaubter Traditionen, der ſich glücklich ſchätzte, wenn ihm ein Brieflein nach den Regeln 
des guten Gefhmackes gelang, einen literariſchen Feldzug gegen das Chriftentum 
eröffnen wollen. Es war ja auch nicht mehr möglich. Denn die Reaktion unter 
Julian war vorüber. Hur als Gratian und Theodofius aufs neue mit entſchiedenen 
Maßregeln vorgingen und den Altar der Viktoria aus der Senatskurie entfernen 
ließen, da bebte fein altes heidenherz; und er fand innige und mutige Worte, um 


— 


302 


den Aaifer umzuſtimmen. Doch wagt er beileibe keine Anklage gegen die chriſtliche 
Religion, nur Luft zum Leben erbittet er für feine Götter: „fie ſollen eure Beſchirmer, 
wir ihre Derehrer fein“, vos defendant, a nobis colantur! (Relat. 3 ad Theodos.) — 
Erwähnen muß ich noch den unter den Werken Gucians überlieferten Dialog Philo- 
patris, weil er bis in die Gegenwart als heidniſche Tendenzſchrift etwa aus der Zeit 
Julians gegolten hat. Arumbadjer!? hat aber gezeigt, daß wir es mit einer lite⸗ 
rariſchen Spiegelfechterei buzantiniſcher Art zu tun haben und daß feine Abfaſſung 
in den Sommer 969 fällt, eine Zeit, in der natürlich niemand mehr in Ronſtantinopel 
daran dachte, das heidentum wieder einzuführen“. 

Die chriſtenfeindliche polemiſche Literatur der Antike hat vielleicht der Rhetor 
Fronto von Cirta in Afrika eröffnet. Aus den Geſprächen des heiden Caecilius in 
der Apologie des Minucius Feli Frontos eigene Stimme herauszuhören find wir nicht 
berechtigt; eben dieſer chriſtliche Schriftfteller bürgt uns aber dafür (Octav. 9, 6; 31, 2), 
daß Fronto gegen die Chriſten geredet hat. Es fragt ſich nur, ob in eigener Rede. 
Inhaltlich bedeutend kann die Leiftung dieſes abſchreckend nichtigen Rhetorikers wohl 
kaum geweſen ſein. Aber kurz vorher war ein wirklich großer Streiter, Celſus, 
aufgetreten, den ſpäter Porhpurius, zwei von Gactantius und Eufebius genannte 
Polemiker und endlich Julian abgelöſt haben. Damit ift aber auch alles erſchöpft, 
was uns aus antiken Aampffchriften irgendwie zugänglich iſt. Wir haben fie nun 
zu würdigen! 

I. 


Celſus taucht als ein großer Unbekannter in der Seſchichte auf und 
geht ebenſo rätfelhaft in ihr wieder unter. Zur Zeit als Marc Aurel, 
ſchon bedeutend ſchärfer als Trajan, gegen jede religiöfe Neuerung 
einzufchreiten befahl, die das Dolk beunruhige, alſo etwa in den 
gahren 160 - 180, hat dieſer ſtaats kundige Mann, der die Sorge feines 
Raifers um das Reich wohl verftand, einen „wahrheitsgemäßen Be⸗ 
weis“, Aung Adyos, wider die Chriften auf den Büchermarkt ge- 
worfen, und das iſt der erſte uns bekannte Fall, daß ein römiſcher 
Citerat, Staatsmann und Philoſoph das Chriftentum als einen Partner 
betrachtet, dem man ernſte Beachtung ſchuldet. Durch die noch im 
Original vorhandene Apologie des Origenes Contra Celsum!? find 
wir in der Cage, neun Zehntel des Werkes des Celſus dem Sinne 
nach, drei Diertel ſogar dem Wortlaut nach wiederherzuſtellen — ein 
ausnehmend günftiges, ſonſt nirgens erreichtes Derhältnis. Das ent⸗ 
ſchädigt uns für ſo manches Dunkel, das über dieſer Celſusſchrift lagert. 
Vor allem iſt es undurchdringlich, warum dieſer gewaltige Gegner erſt 
fiebzig Jahre ſpäter einen chriſtlichen Apologeten und nur dieſen einen 
gefunden hat, während man doch meinen ſollte, die Chriſten hätten 
ſich in vereintem Angriff auf ihn geſtürzt und ihn immer wieder in 
ihren Apologien in den Mittelpunkt gerückt. Aber vielleicht bietet 
uns das folgende einige Erklärung hierfür. 

Der wahre Sinn einer Schrift erſchließt ſich erſt, wenn man den Bo⸗ 
den kennt, auf dem fie gewachſen iſt. Auch rein wiſſenſchaftliche Werke, 
fobald fie den Areis der unmittelbaren, ſinnlichen Erfahrung über⸗ 


303 


ſchreiten, find nicht vorurteilslos, ſondern voll geſchichtlicher Bedingt⸗ 
heiten, auch die „reine Dernunft“ eines Rant, auch der ſouveräne 
Peſſimismus eines Spengler. Um wie viel mehr müſſen wir bei Werken, 
die nicht dem Erkenninisdrang, ſondern dem Bedürfnis des praktiſchen 
bebens ihr Dafein verdanken, auf den Zweck und die Umſtände achten. 
nur ſo können wir das einzelne richtig einſchätzen und werden davor 
bewahrt, vorgelagerte „ſachliche“ Gründe abſolut zu nehmen. Manche 
Forſcher haben dem Celfus, dem fie ſich verwandt fühlen, zu viel Tole⸗ 
ranz zugemutet. „Belehren“ wollte Celſus die Chriſten nicht, nicht durch 
feine „maßvolle, ernft wiſſenſchaftliche kritik“ den Fanatismus des 
Pöbels lahmlegen oder die Gewaltpolitik des Staates bekämpfen. Nein, 
daran dachte er wahrlich nicht; eine mittlere Linie, einen Ausgleich 
zwiſchen den Forderungen des Chriſtentums und der Welt ſuchen, das 
hat er nicht in Erwägung gezogen, und hätte er es, er hätte es getan 
nach der Methode des 18. Jahrhunderts! Celſus iſt aufgeklärter Patriot, 
tömiſcher Realpolitiker, der Religion ſchätzt, weil „man Religion 
braucht“, weil es eines Bebildeten würdig iſt, dem Volk die Religion 
zu erhalten, weil der römiſche Staat unauflöslich mit religio verknüpft 
it. Don der Inbrunſt eines Porphurius, von dem Fanatismus eines 
Julian iſt bei ihm keine Spur zu entdecken. Celſus iſt Agnoſtiker; 
es iſt immerhin keine Schande, ſich ein Hintertürchen offen zu laſſen, 
und „jeder mag nach feiner Fagon ſelig werden“. Mögen es auch die 
Chriften tun, wie fie es für gut finden. Davon verſteht er nicht viel. 
Aber das verſteht er, daß ſie aufhören müſſen, dabei ein Staat im 
Staate zu ſein. Dieſe Abſperrung von den anderen Staatsbürgern, 
dieſe verrückte Raiferkultfheul!? Der Staat hat genug an den Juden, 
er braucht nicht noch eine weitere Sorte Menfchen, ein tertium genus. 
In feinem Ärger droht Celfus den Chriften einmal mit dem baldigen Unter⸗ 
gang (C. C. 8, 69), heißt fie einandermal ohne Rinder von hinnen 
fahren und die Welt von ſich erlöſen, wenn ſie nicht in und mit der Welt 
leben wollen, ſpottet über ihr trauriges Los in ſtändiger Todesfurcht 
(C. C. 8, 39) und macht die Raifer gegen fie mobil (C. C. 8, 71). 
Das alles, um ſchließlich doch wieder einzuſehen, daß es das Ge- 
ſcheiteſte wäre, wenn die Chriſten gütlich mit ſich reden ließen. Die 
Bebildeten unter ihnen follten mit den heiden zuſammenſtehen und 
gemeinſam die kultur gegen die Barbaren verteidigen (C. C. 8, 72 ff.). 
Der „Untergang des Abendlandes“ droht! Schon ſtehen an den Grenzen 
des Reiches kriegsluſtige Scharen. Nichts als eine ſtarke Staatsgewalt, 
ein Raifer kann hier hilfe bringen. Das müſſen doch die Chriften 
einſehen! Sie haben doch auch nur Vorteil von einem geordneten 


304 


Staatswefen. Rönnen fie im allgemeinen Intereffe der Aulturmenfchheit 
nicht die äußere Form erfüllen? IM ein Köproc Kaioap, ein „Rirchgang 
an Baifers Geburtstag” wirklich fo ſchwer, fo gewiſſensbedrückend? 
Bei allen Göttern, wenn fie nicht hören wollen, diefe Tollköpfe, dann 
will er ihnen einmal heiß machen! Und fo läßt er denn feine Se⸗ 
(hüße auffahren, Philoſophie, Theologie und Rhetorik: er ſpeit Gift 
und Galle, Derleumdung und Bohn, gewürzt mit manchem Salz 
körnlein nicht übler Denkſchärfe und kritiſchen Talents. Sie follen 
ſich nicht einbilden, dieſe Toren, man wiſſe nichts gegen ſie zu ſagen. 
Allein bei all dem war man ja bereit, Frieden zu machen, wenn nur 
die Chriſten wollten. Aber die Chriſten wollten eben nicht. Sie ahnten 
prophetiſchen Beiftes, daß ihnen der Sieg zufallen mußte. Der „kaum 
verſteckte Friedensantrag des Celſus“ (Harnack) iſt von der Gewalt 
der Tatſachen zu nichte gemacht geworden. 

Das Urteil über Celſus hat ſich deshalb vor dem Fehler zu hüten, 
feine einzelnen Angriffe und Begengründe allzu ſchlimm anzukreiden. 
Gewiß will Celſus nicht bloß zum Scheine fechten. Gewiß trennen ihn 
Abgründe von der Weltanſchauung des Chriſtentums. Im Grunde ſind 
es die beiden großen neuplatoniſchen Dogmen, die wir bald wieder⸗ 
treffen werden: die Welt hat den Grund ihres Seins in ſich ſelbſt und 
iſt unverbeſſerlich; der Beift kann ſich nicht an die Materie binden, 
darum kann Bott nicht Menſch werden und das Fleiſch nicht auf⸗ 
erſtehen. Sewiß hat Celfus eine für feine Zeit ungewöhnlich große 
kenntnis von den chriſtlichen Offenbarungsurkunden. Er hat namentlich 
die Sunoptiker genau gelefen!* und ift das Vorbild aller jener, die 
im Babel-Bibel-Streit ihre Weisheit an dem bibliſchen Schöpfungs⸗ 
und Sintflutbericht haben leuchten laſſen (C. C. 6, 60; 1, 20. 19). Auch 
ſchwingt er die Waffe Marcions und ſpricht von einem Widerſpruch 
zwiſchen Altem und Neuem Teſtament (C. C. 7, 18). Bewiß geht er 
mit heftigkeit gegen den chriſtlichen Slaubensbegriff und Glaubens- 
gehorſam vor: je unſinniger etwas iſt, deſto lieber glauben es die 
Chriften (C. C. 1, 9; 6, 10 f.). Aber man hat doch den Eindruck, daß 
die gehäuften Bosheiten, mit denen er die Perſon geſu und dieſen 
Verein von Sündern und Dummen, die Chriften, überfchüttet, nicht aus 
ſeinem herzen kommen, ſondern ihm Mittel zum Zwecke ſind. Und 
dieſer Zweck war kein philoſophiſcher, ſondern ein ſtaatspolitſcher. 
Wenn uns die Eignung feiner Mittel zu dieſem Zweck freilich recht 
zweifelhaft erſcheint, ſo müſſen wir bedenken, daß Celſus nicht für 
unſern Seſchmack, ſondern nach den Regeln der antiken Rhetorik ge 
ſchrieben hat. 


305 


Bei aller Mangelhaftigkeit feiner Apologetik im einzelnen hat ſchon 
Origenes den ſpringenden Punkt erfaßt: Celſus hat die Lebens- 
macht des Chriſtentums nicht geſehen. Er, der ſolchen Eifer für den 
Beſtand des römiſchen Reiches entwickelt, iſt der Pſuche des Volkes 
fremd gewefen. In feinem Gelehrtenhochmut wußte er nichts von der 
inneren Not der breiten Schichten, dachte er nicht, daß in tauſenden 
von Sklaven und Cohnarbeitern, von Frauen und Barbaren eine Sehn- 
ſucht brannte, echter und ftärker als feine erleuchtete Staats moral und 
feine patriotiſche Religion, eine 8Sehnſucht nach dem Gott des Herzens 
und des himmels, der nicht ein Gebilde von Menfchenhand iſt. „Ohren 
haben fie und hören nicht, Augen und ſehen nicht!“ Und er ahnte 
und glaubte es nicht, daß dieſe Religion, die er als Rusbund von 
Torheit und Unmoral verfpottete, wirklich ſchon am Werke war, ein 
reineres, beſſeres, höheres Leben in dieſen einfachen Menſchen zu 
entzünden, denen Celſus gar nicht vom reinen, höchſten Weſen ſprechen 
wollte (C. C. 6, 6 f.); denn nach Plato, fo zitiert er (wie fpäter Julian), 
erkennt es ja kaum der Weiſe ſelber, wie viel weniger kann er es 
anderen verſtändlich machen. Er, der „alles weiß“, iſt blind für die 
ungemein bedeutſame Tatſache, das ſich von dem häretiſchen und gno⸗ 
ſtiſchen Chriſtentum eine fefte Organiſation, die katholiſche Kirche, ab⸗ 
hob, die in ſtrenger Diſziplin ihre Anhänger gliederte und ſchulte für 
den Entſcheidungskampf mit dem antiken Heidentum in Staat und 
Befellfchaft. Celſus hat auch die Schätze des Chriſtentums keineswegs 
oͤurchſchaut. Er beſaß deſſen Heilige Schriften nur unvollſtändig, er war 
nicht eingeweiht in die zarteften Beheimniffe, in Trinität und Eudhariftie, 
er wußte auch nicht, welche Perlen die chriſtliche Literatur damals 
ſchon aufzuweiſen hatte. Origenes konnte im Bewußtſein der Über⸗ 
legenheit mit Ruhe auf die ärgſten Beſchimpfungen antworten. Die 
guwelen des Chriſtentums, Menſchwerdung und Erlöfungstod, er⸗ 
ſtrahlen unter feinen händen nur in umſo hellerem Glanze!“. 


II. 

Erf hundert Jahre nach Celſus erſcheint ein anderer antiker Menſch 
am horizont der Geſchichte, der das Chriſtentum in einem umfaſſenden, 
grogen Fleiß und ebenſo große Erbitterung verratenden Werk bekämpft: 
Porphurius, ſemitiſcher Abſtammung und urſprünglich Malchus ge⸗ 
heißen. Die Zeitlage war eine verſchärfte geworden. Der Staat hatte 
den offenen £irieg erklärt und hielt trotz einiger chriſtenfreundlicher 
oder notgedrungen nachgiebiger Raifer das Prinzip aufrecht, daß er 
befugt und imſtande ſei, eine religio illicita ſchlankweg auszurotten, 


306 


wenn es das Staatsintereffe fordere. Aber neben dem Staat hatte 
ſich eine Philoſophie aus der allgemeinen Zweifelſucht und ſpieleriſchen 
Wählerei emporgerungen, die eine ſittliche Pflicht in ſich fühlte, an 
der Rettung der antiken Welt mitzuarbeiten. Die neuphuthagoräiſche 
und neuplatoniſche Schule hatte eine entſchiedene Wendung zur Re- 
ligion genommen und ſah in ihr ganz mit Recht die einzige Kraft, 
welche die unheimlich zentrifugale Bewegung der rationalifierten Welt 
noch einmal umbiegen und in eine allumſpannende Harmonie ver⸗ 
wandeln könnte. Mit unendlicher Liebe und Geduld wurden nun alle 
Fäſerchen Wahrheit, alle Splitterchen reiner Sitte, mochten ſie noch ſo 
tief im Wuſt griechiſch⸗ römiſcher Böttergefhichten und orientaliſcher 
Mythen, im Volk und in der Literatur verborgen liegen, zuſammen⸗ 
geſucht und dem Bau der platoniſchen Philoſophie, wie man ſie da⸗ 
mals verftand, eingefügt. Bei dieſer großen Uereinheitlichungs⸗Hrbeit 
mußte man auch das Chriſtentum berückſichtigen, das ſchon eine be» 
deutende geiſtige Macht darſtellte, mit der die Philoſophie zu rechnen 
hatte wie der Staat mit der realen Macht ſeiner Bekennerzahl. Dieſe 
Begegnung der Religionsphiloſophie des dritten Jahrhunderts mit dem 
Chriftentum hätte durchaus keine feindliche werden ſollen. Man hätte 
dankbar die Schätze anerkannt, die ſich in den heiligen Büchern der 
Chriften, befonders in den johanneiſchen Schriften fanden. Man wollte 
auch Chriſtus willig alle Ehren eines religiöfen heros, eines Weiſen, 
eines Bottesfreundes und — warum nicht? — auch eines Gottes ein⸗ 
räumen; nur mußte er und feine Lehre ſich ebenſo in das Schema der 
helleniſtiſchen Ideenwelt einfügen wie die Chriftengemeinden in den 
heidniſchen Staat. Aber Plotin erlebte es zu feinem Ärger, daß dieſe 
chriſtlichen Snofiker ganz unbrauchbare Befellen waren. Freilich waren 
die ſtreitluſtigen Deute, die er in feiner Schule in Rom nicht länger 
dulden wollte, keine echten Söhne der Offenbarungsreligion; allein im 
Kampf gegen fie hat Plotin doch auch die echten Srundlehren des 
Chriftentums über Bott und Welt, Seele und Leib ins herz getroffen. 
Es iſt darum auch wohl möglich, obwohl wir von einem Zuſammen⸗ 
ſtoß Plotins mit dem kirchlichen Chriſtentum nichts wiſſen, daß gerade 
er ſeinem Schüler Porphurius die Anregung zu einem großen Werk 
gegen die Chriften gegeben hat. Und Porphurius ging mit grimmiger 
Jähigkeit in Sizilien an die Arbeit. War er doch ſelbſt einmal den 
Chriften nahe geſtanden, hatte er doch in feiner „Philoſophie aus den 
Orakelſprüchen“!' gezeigt, wie eine gemeinſame Grundlage für Chriſten⸗ 
tum und Philoſophie zu gewinnen wäre. Aber die katholiſche Kirche 
blieb in trotziger Feſtigkeit, ſich berufend auf ihre untrũglichen und 


307 


älteften Wahrheitsquellen, abfeits ſtehen. Es mußte ihnen alſo dieſe 
Waffe aus der hand geſchlagen werden. Porphurius ftudierte das 
Alte und Neue Teftament auf das genaueſte und zerſtörte in feinen 
15 Büchern gegen die Chriften !“ in erfter Linie das Anſehen der heiligen 
Schrift. mit kalter Dialektik zerpflückte er fie, oft Ders für Ders: fie 
it geſchichtlich unzuverläſſig, widerſpruchsvoll, anſtößig, minderwertig. 
es war dann von verhältnismäßig geringem Belang, daß er auch 
vor der Perſon geſu, Petri und Pauli, vor dem chriſtlichen Glaubens- 
begriff und einzelnen Glaubenslehren, wie vor dem tatſächlichen Chriſten⸗ 
tum feiner Zeit mit feiner beißenden Kritik keineswegs zurückhielt. 

Die Streitſchrift des Porphurius hat die Chriſten viel tiefer als die 
des Celſus getroffen. Und man wird nicht irre gehen, wenn man an⸗ 
nimmt, es war weniger der Spott wider die heiligen Perſonen und 
behren, der ſo tödlich verletzte, als der Angriff auf das Fundament, 
auf das inſpirierte Sotteswort. Sofort rũſtete man ſich zur Gegenwehr: 
methodius von Olympus, Eufebius von Caefarea, ganz ausführlich 
Apollinaris von LCaodicea und vielleicht noch Philoſtorgius ſchrie⸗ 
ben ausdrücklich gegen Porphurius. Aber die Erbitterung gegen dieſen 
Erzfeind war fo ſtark, daß fein Rampfbuch mitſamt den dagegen 
gerichteten Apologien ausgemerzt wurde aus den Bibliotheken, und 
es müßte ein beſonders glücklicher Zufall fein, wenn uns noch. eine 
handſchrift erheblich mehr über Porphurius zutrüge, als was Harnack 
in jahrelanger Suche gefunden hat. An eine Wiederherſtellung der 
15 Bücher des Neuplatonikers wie des „Wahren Wortes“ des Celſus iſt 
nicht zu denken. Huch die chriſtlichen Begenfchriften find nicht mehr zu 
umreißen. Aber weder das eine noch das andere iſt für die Allgemein⸗ 
heit ein allzu großer Derluft, wenngleich wir natürlich jede Einbuße 
geſchichtlichen Materials bedauern. Des Porphurius Art iſt uns immer- 
hin klar erkennbar und die genannten chriſtlichen Kontroverstheologen 
haben trotz oder vielmehr wegen ihres leidenſchaftlichen Eifers den 
Wider ſacher ſchwerlich fo gerecht und großzügig gewürdigt wie der 
hl. Auguftinus. Dieſer hatte ja frei und bewußt die Wanderung 
vom Dualismus und Skeptizismus über den NHeuplatonismus zur 
katholiſchen Kirche gemacht. Er kannte die breite Brücke, die von 
Plotin und Porphurius zum Chriſtentum führt, er hat auch den Ab⸗ 
grund ermeſſen, der zwiſchen beiden liegt: die behre von der Menſch⸗ 
werdung Gottes und von der gottgeſetzten kirchlichen Autorität!?. Und 
Ruguftin ift wie fo häufig auch in der Beurteilung des Porphurius der 
Führer geworden. Die kirche rottete das böſe Werk des irregeleiteten 
Chriftenfeindes aus, um den Philoſophen deſto unbefangener ſchätzen 


308 


zu können. Porphurius blieb durchs ganze Mittelalter, das ja den 
Areopagiten fo verehrte, ein angeſehener Name; und es iſt in der Tat 
eine Pflicht der Dankbarkeit, die Derdienfte nicht zu vergeſſen, die der 
ältere, geſündere Neuplatonismus eines Plotin und Porphurius dem 
Chriftentum auf feinem Gang durch die Welt geleiſtet hat, umſomehr 
als gar nicht ausgemacht iſt, ob die chriſtenfeindliche Schrift des 
Porphurius ſeine letzte und perſönlichſte Antwort auf das kirchliche 
Chriftentum war, mit dem er ſich trotz allem verwandt fühlen mußte! ?. 

Auf uns wirken die ÜÜberrefte der porphurianiſchen Polemik weit 
mehr peinlich und enttäuſchend als verletzend oder gar beunruhigend. 
man hat zu oft den Eindruck, daß nur geplänkelt wird, daß dieſe 
oberflächlich rationaliſierenden Einwendungen gegen die Möglichkeit 
einer bibliſchen Erzählung, dieſe mit den haaren herbeigezogenen 
Widerſprüche zwiſchen Altem und Neuen Teftament, zwiſchen Chriftus 
und den Apofteln, Petrus und Paulus, Synoptikern und Johannes, 
dieſe dicht wie hagelkörner niederpraſſelnden Vorwürfe chriſtlicher 
Charakterlofigkeit nicht aus der Seele kommen. Es ift eine Polemik 
um jeden Preis, wie wir ſie ſchon bei Celſus geſehen haben und wie 
ſie in der aktuellen Polemik und keineswegs bloß in der antiken 
üblich iſt?». Aus Mt. 9, 9 folgert Porphurius, daß die Apoftel leicht⸗ 
fertige Leute waren, die aufs geratewohl dem nächſten beſten nach- 
liefen; aber er behält ſich gleich den zweiten hieb vor, daß die ganze 
Apoſtelberufung überhaupt nur eine erfundene Geſchichte iſt (H. P. n. 6). 
Wie hilflos und armſelig ſtand geſus feinen Richtern gegenüber, ſtatt 
feine Weisheit glänzen zu laſſen! (5. P. n. 63). Nach feiner Auf- 
erſtehung hätte er maßgebenden Perſönlichkeiten erſcheinen ſollen, 
nicht bloß zweifelhaften Frauen; dann hätte er von feinen Jüngern 
alle Verfolgung abgewandt. 80 wie er handelte, war es weder ver- 
nünftig noch gottgefällig (8. P. n. 64; vgl. C. C. 2, 55 ff.). Die Bott= 
verlaſſenheit und Sottergebenheit Chrifti am Kreuz find ihm ebenfo 
unvereinbare Gegenfäge wie der Betäubungsbecher und der Eſſig⸗ 
ſchwamm (8. P. n. 15). Und ift es nicht ſophiſtiſch, wenn unfer 
Kritiker MR. 10, 18 und CR. 6, 45 gegen die Glaubwürdigkeit der 
Evangeliften ausſchlachtet, weil es einmal heiße, Bott allein fei gut, 
und dann doch wieder von einem guten Menſchen die Rede ſei? (n. 59). 
Aber ob man nicht einmal über den Widerſpruch zwiſchen IIK. 10, 18 
und Mt. 19, 17, den die Modernen gefunden haben, ebenſo urteilen 
wird? Ein Muſterſtũck iſt die porphurianiſche Dialektik an Joh. 8, 43 f.: 
fürs erſte find die Juden überhaupt nicht ſchuldig, wenn ihr Dater 
der Teufel (dic go og) iſt. Und warum bekommt er den Namen eines 


309 


böswilligen Angebers? Sind nicht die Übeltäter, die er angibt, oder 
die beichtgläubigen, die feine Nusſage annehmen, viel ſchuldiger als 
er, der Teufel? War er dabei leidenſchaftslos, ſo war er überhaupt 
kein Angeber im üblichen Sinn; war er aber von Leidenfchaften be⸗ 
ſeſſen, fo braucht er wie ein kranker Mitleid. Auf alle Fälle: das 
Wort geſus bei Johannes ift Unſinn (n. 71). In ähnlich gehäffiger, 
kleinlicher Weiſe zerpflückt Porphurius das gohannes⸗- Evangelium auch 
font. Darin würde ihm auch die radikalſte Bibelkritik unferer Tage, 
die gern auf Porphurius zurückblickt, nicht nachfolgen wollen. — 
Segen den jüdiſch⸗- chriſtlichen Monotheismus führt er ins Feld, daß 
doch das Alte und Neue Teftament genugſam von anderen Göttern 
ſpreche. Und im nu hat Porphurius den Schluß zur Hand, daß dieſe 
Bötter eben dann auch als Bötter zu verehren ſeien, obwohl doch die 
heilige Schrift überall mit Schärfe das Gegenteil verlangt! (n. 78). 
Segen die chriſtliche Auferſtehungslehre, die ihm als Griechen be⸗ 
ſonders unſumpatiſch war, wie wir ſchon aus der Nreopagrede des 
hl. Paulus wilfen, rückt er mit Bründen der Schuldialektik vor: Wenn 
einer ins Meer ſtürzt und von einem Fiſch gefreſſen wird und dieſer 
wieder von einem Menſchen gefangen und verſpeiſt wird, welche Der- 
legenheit muß da die Auferftehung bereiten! (n. 92). Ebenfo wenig 
kommt es Phorphurius darauf an, die allegoriſche Schriftauslegung, 
die er an den Chriſten tadelt (n. 39; vgl. C. C. 4, 50), in dem nämlichen 
Werke ſelber anzuwenden (n. 43 W.). Dieſe Proben mögen genügen. 
Es iſt merkwürdig, wie man die Lädyerlichkeit folder Beweisführung 
ſogleich erfaßt, wenn man ſie mit entſprechendem geſchichtlichen Abſtand 
betrachtet, und es ift eine wohlbegreifliche Anfiht der Moraltheologen, 
daß die kirchlichen Verbote gegen die Bücher der alten Bäretiker von 
ſelbft ihre Kraft verloren hätten, weil fie niemand mehr ſchadeten. 

Ich will damit freilich nicht ſagen, daß Porphurius uns heutigen 
Chriften keine Aufgabe mehr zu ſtellen habe. Vergeſſen wir nicht, 
das helleniſche Brunddogma über das Verhältnis von Bott und Welt, 
das wir ſchon bei Celſus durchſcheinen ſahen und das in Porphurius 
einen ſcharfſinnigen Anwalt gefunden ?!, hat überall da, wo der leben; 
dige Bott=Dater-Blaube des Chriſtentums verloren geht, begeiſterte 
Freunde; und der Monismus, der zwar fein Kleid wechſelt, aber nicht 
ſtirbt, bringt uns in eine ähnliche Cage wie den hl. Auguftin gegenüber 
Porphurius. Wir werden, raftlos ſtrebend wie Nuguſtinus, unſere 
philoſophiſchen Grundlagen und unfere Bibelezegefe immer wieder 
darauf prüfen müffen, ob fie der „griechiſchen Vernunft“ keine be⸗ 
rechtigten Angriffsflächen bietet. 


310 


III. 

Porphurius hatte in einer relativen Rampfpaufe zwiſchen dem rö⸗ 
miſchen Imperium und der chriſtlichen Kirche geſchrieben, er hatte den 
Dank der Cäfaren nicht gebraucht und befaß, wie es ſcheint, über⸗ 
haupt kein inneres Verhältnis zu den ſtaatspolitiſchen Sorgen der Zeit. 
Ein Philoſoph, nicht ein Raifer, hatte feine Schrift veranlaßt. Als aber 
unter Diocletian noch einmal mit raſender Wut der Wille des Staates 
aufflackerte, ſich des Chriſtentums zu entledigen, da erinnerte man 
ſich ſehr wohl des gewaltigen Bundesgenoſſen, den man an Porphurius 
hatte. War auch ſein gelehrtes, fünfzehn Bücher ſtarkes Werk eine zu 
ſchwerfällige Waffe für den kampf des Tages, es fand ſich einer, der 
es auszog und den ungeduldig harrenden Sophiſten in ihrer eigenen 
Armut mit einem brauchbaren „Handbuch“ der Chriſtenbekämpfung 
aus der Not half. Wir haben Grund zu der Annahme, daß ſich die⸗ 
fer Mann feine Sache nicht allzu ſchwer machte und die Sedanken 
des großen Werkes im weſentlichen unverändert wiedergab. Darum 
iſt es für uns wertvoll, daß es Makarius Magnes für nötig hielt, 
auch dieſen Rus zug aus Porphurius zu widerlegen und ſomit fein 
Apocriticus, der 1876 ans Tageslicht gefördert wurde, unſere ktenni⸗ 
nis von Porphurius erheblich erweiterte. Nun war aber der Exzerptor 
des Porphurius nicht der einzige, der im letzten Entſcheidungskampf 
der Staatsmacht mit dem Chriſtentum auch die literariſche Fehde wieder 
aufnahm. Cactantius berichtet (Instit. 5, 2—3), daß damals, als 
die Chriften verfolgt und verſprengt waren, der Mangel an tüchtigen 
behrern gewiſſe Leute aufgereizt habe, gegen die chriſtliche Wahrheit 
zu ſchreiben. Er zweifelt nicht, daß es ſehr viele vielerorts ge⸗ 
weſen ſeien, die Denkmäler ihrer Ungerechtigkeit in lateiniſcher und 
griechiſcher Sprache geſetzt hätten, weiß aber ſelbſt nur zwei zu nennen; 
und auch dieſe find ſchwächliche Vertreter des heidentums und in⸗ 
ſofern die beſten Zeugen feines geiſtigen Verfalls. Der eine, deſſen 
namen Lactantius vielleicht aus Rückſicht verſchweigt, war Philo⸗ 
ſophenhaupt; aber in feinem Verhalten gegen die Chriften merkt man 
nichts von philoſophiſcher Würde. Schrieb er doch wider einen wehr⸗ 
loſen Feind und dachte, habgierig und ruhmſüchtig wie er war, trotz 
aller ſchönen Worte, die feine angenommene wohlwollende Unparteilich⸗ 
Reit gegen die Chriſten machte, nur daran, die kaiſerliche Zunſt zu er⸗ 
haſchen. Dactantius ſtellt indes feſt, daß dieſer Ochmeichler den Undank 
der Welt erfahren mußte und damit ſeine gerechte Strafe fand. — 
Etwas ernfter müſſen wir den zweiten Literaten nehmen, den Lactantius 
iudex nennt und den wir wohl mit dem Statthalter Hierocles gleich⸗ 


311 


fegen dürfen, gegen den Eufebius ein eigenes, noch vorhandenes 
Buch gerichtet hat. Eufebius und Lactantius beſchreiben den Mann 
übereinſtimmend: Er hat wacker feine Vorgänger ausgeſchrieben. — 
Eufebius nennt Celfus und aus Lactantius erkennt man recht gut den 
Finger des Porphurius. Er kann nur in dem einen Punkt Originalität 
beanſpruchen, daß er eine ausführliche Parallele zwiſchen Chriſtus und 
Rpollonius von Tyana gezogen hat, die als ſolche ja auch nicht neu 
war (vgl. Harnack, Porph. n. 4. 46. 60. 63). Natürlich kam es ihm darauf 
an, alles bicht auf Apollonius und allen Schatten auf Chriſtus zu 
bringen: Chriſtus habe fi), von den Juden verjagt, zum Räuber⸗ 
hauptmann über 900 Geſellen aufgeworfen ??. Nach feiner Derurteilung 
ſei es ihm nicht gelungen, den Bänden feiner Gegner zu entrinnen, 
während Npollonius aus dem Gefängnis des Domitian wunderbar 
verſchwunden fei. Überhaupt hielten die paar Wunder geſu gar keinen 
Vergleich mit denen des Wundermannes von Tuana aus; doch habe es 
dieſer nicht gewagt, ſich für einen Gott auszugeben wie Chriſtus! 
nun hat aber Philoſtratus (Vita Apoll. 2, 1; 8, 19) feinen Helden tat⸗ 
ſächlich vergöttlicht, wie das ja auch im Hellenismus gar nicht anders 
geſchehen konnte. Der Unwert der Polemik dieſes auf kaiſerlichen 
Befehl arbeitenden Politikers ergibt ſich daraus zur Genüge. Übrigens 
hat auch er wie der Anonymus und ſpäter Julian die Maske des 
wohlwollenden Beraters ſchlecht getragen, der nicht contra „gegen“ 
ſondern ad Christianos „an die Chriſten“ ſchreiben wollte, ſich aber in 
dem Amte des praefectus Aegypti als ſehr grauſamer Verfolger zeigte. 


IV. 

gulian der Rpoſtat — wenn wir uns mit ihm dem letzten antiken 
menſchen zuwenden, der es wagte, das Chriſtentum offen und rück⸗ 
ſichtslos literariſch zu bekämpfen, fo wird unſer Intereſſe neu er⸗ 
wachen. Denn wer hätte ſich noch nicht mit dieſem rätſelhaften Geiſt 
in ſeinem Innern beſchäftigt? Die Chriſten ſeiner Zeit ſahen in ihm 
einen Fallftrick des Teufels und eine Juchtrute Gottes, und fein tragiſches 
Ende feierten fie als den Triumph des Sieges Chrifti über das Heiden⸗ 
tum. NUoch im Jahre 363, bevor die Chriſten aus Niſibis vertrieben 
waren ??, fang der hl. Ephrem feine vier uns erhaltenen humnen 
gegen Julian, die für den gottesdienſtlichen Gebrauch beſtimmt waren. 
Ebenfalls unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereigniffe find die 
beiden Streitreden (orationes invectivae) des hl. Gregor von Nazianz 
entſtanden; und der hl. Chruſoſtomus fand in Antiochia öfters, zumal 
in ſeiner apologetiſchen Abhandlung De s. Babyla contra lulianum 


312 


et gentiles Gelegenheit, die Stadt davon zu überzeugen, daß Julian 
einer verlorenen Sache gedient habe, wenn ſie das aus dem gegen 
fie gerichteten Pamphlet Julians, dem „Barthaſſer“, nicht längſt ge⸗ 
wußt hätten?“. Aber auch der Widerlegung [eines literariſchen Angriffs 
aufs Chriſtentum wandte man ſich zu. Theodor von Mopſueſtia 
war der erfte Rufer im Streit. Er wurde bald übertönt und wohl 
abſichtlich ausgeſchaltet durch die ausführliche kampfſchrift des hl. Cu⸗ 
rillus von Alexandrien, von der uns wenigſtens die erſten zehn 
Bücher erhalten ſind, die uns erlauben, das erſte Buch der Schrift 
Julians „gegen die Galiläer“ fo weit wiederherzuſtellen, daß wir uns 
ein Bild von ihr machen können, während das zweite und dritte Buch 
nur ganz fragmentariſch auf uns gekommen iſt. Aber ſelbſt nach 
400 Jahren hat Photius, in deſſen Stadt das Werk Curills noch 
vorhanden war, wieder gegen Julian geſchrieben; und im zehnten Jahr: 
hundert hat der rührige Erzbiſchof Rreihas von Cäfarea nochmals 
mit Hilfe Cyrills eine Gegenfchrift verfaßt, aus der Neumanns kundige 
Hand ein neues, wertvolles Fragment des Originalwerkes Julians 
herausſchälen konnte. Die chriſtlichen und heidniſchen Schriftſteller des 
Altertums, die fi) mit der Reaktion Yulians als Ganzes beſchäftigten, 
ſind natürlich noch viel zahlreicher, und auf Grund dieſer Nachrichten 
find wir im kirchengeſchichtlichen Unterricht mit der Perſönlichkeit 
Julians vertraut gemacht worden. Es ginge weit über das Ziel 
meiner Arbeit hinaus, dieſen widerſpruchsvollen, verblendeten, eitlen 
und trotzdem nicht abftoßenden Menſchen eingehend zu würdigen, zu⸗ 
mal er in der alten und neuen Zeit, von kiatholiken und Freidenkern, 
von Biftorikern und Politikern, von Dichtern und Philoſophen eine 
überreiche Beurteilung erfahren hat!“. 

Uns geht hier nur der literariſche Krieg Julians gegen das Chriften- 
tum an?‘ Allerdings kann man gerade bei Julian den Menſchen 
nicht von feinem Werke trennen und kampf gegen das Chriſtentum 
atmet nicht nur ſeine Galiläerſchrift, auch ſeine Briefe, ſein Misopogon 
(Barthaſſer), fein Convivium (Saſtmahl), feine Reden gegen die falſchen 
Cuniker und vereinzelt auch ſeine religionsphiloſophiſchen Reden zeigen 
deutlich den inneren Gegenfa zum Evangelium, ja ereifern ſich fort- 
während wider das „Schandmal der Gottloſigkeit“ (Hertlein 232, 25 f.), 
wider die wüſtenflüchtigen, menſchenhaſſenden Galiläer (Hertlein 371 f.), 
wider die troſtloſe „Finſternis“ (Hertlein 169, 9), in der er ſelbſt zwanzig 
Jahre lang geſteckt ſei (Ep. 51). Die Kritik Julians am Chriftentum 
bietet ſachlich nicht viel Neues. Sie zehrt von den Vorgängern und 
iſt wie die ganze Perſönlichkeit unausgeglichen, haſtig, ſprunghaft. 


Statue der hl. Erentrud 
Alteſte bekanntefte Darftellung (altgotifch). 


St. Rupert und Erentrud 
vom Portal der Stiftskirche Nonnberg (1489). 


313 


* 


Und doch iſt fie aus feiner tiefſten Seele geboren, von Leben durch⸗ 
glüht, echt und ernſt. Obſchon er die uns jetzt ſattſam bekannten 
Mittel der Rhetorik keineswegs verſchmäht, um den Gegner ins Unrecht 
zu ſetzen — man denke nur an den Titel: gegen die „Galiläer“! — 
ſo fühlt man doch überall heraus, wie nahe ihm alles ging, was die 
große, herrliche helleniſtiſche Welt ausmachte, wie er ſie verſtand. Da⸗ 
rum wurde ihm ſelbſt die Waffe des kämpfenden Wortes ein heiliger 
Speer, die tauſenden feiner Yeitgenoffen und zwar gerade denen, für 
die er ſie ſchwang, nur zu einem Schutzmittel diente, mit dem ſie 
ihre Hohlheit und Unwahrhaftigkeit verbargen. Weil ihm alles aus 
dem Herzen kam, ſo lieſt ſich ſeine grundverkehrte Polemik auch heute 
noch erträglich und bietet doch manches Lehrreiche. Alles was die 
alte Welt geliebt und gehaßt hatte, was ſie gedacht und phantaſiert, 
was fie geftaltet und erreicht hatte, das rang in Julian zu einem 
letzten, erſchöpfenden ideellen Ausdruck. Er kannte keine Geſchichte, 
er ſtellte das Ältefte neben das Jüngere, das Urwüchſige neben das 
Ausgeklügelte und ſchuf ſich daraus ein Programm, für das ihm die 
heiden ſelbſt die Befolgfchaft verweigerten, weil es jenes Hhellenentum 
ja gar nicht gab und nie gegeben hatte, für das der Unglückliche 
ſich fo maßlos ereiferte. 

Julian bekämpft die Religion aus Religion. In ihm ift der Neu⸗ 
platonismus vollends zu einer religiöfen Bewegung geworden, die 
innerlich ſehr viel Ahnlichkeit mit dem Bnoftizismus hat:“. Julian 
ſchwärmt für den Theofophen und Theurgen gamblichus von Chalcis 
in Coelefyrien?®, und Männer wie der Schwindler Maximus betören 
leicht fein herz. Die dunkle Religionsphiloſophie Julians iſt aufgebaut 
auf den beiden mächtigſten Aulten des ſinkenden Heidentums, auf 
Mithras-⸗ und Aybeledienft. Helios ſollte Chriftus?” und die Götter⸗ 
mutter die Bottesgebärerin aus dem Felde ſchlagen. Er weiß wie 
unſere neueſten Chriſtusfeinde, daß man Religion nicht durch negative 
Rritik, die er freilich nicht verſäumt (3. B. an Maria, Nr. 214, 5 ff.), 
ſondern nur durch poſitive religiöfe Gegenwerte zu erſetzen verſuchen 
kann. Er will überhaupt alles, was irgendwo und irgendwann an 
Opfern, Aulten und Feſten exiſtiert hat, in vollem Ernſte wiederauf⸗ 
leben laffen?®. Ja feine Sophiſtik bringt es fertig, das Judentum als 
Parallelentwicklung und gahwe nur als anderen Namen für das neu= 
platoniſche höchſte Weſen anzuerkennen? !. Nur die Chriften, dieſes 
„dritte Geſchlecht“, dieſes Fwittergebilde, nicht Juden und nicht Heiden, 
die den Leichtſinn der Griechen und die Beſchränktheit der Juden ge⸗ 
erbt haben, dieſer Haufe von Arämern, Jöllnern, Tänzern und Zu⸗ 

Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 9-10. 1 20 


314 


hältern ohne jeden völkiſchen Rückhalt, dieſe fahnenflüchtigen Derächter 
des Geſetzes ihrer Däter, dieſe Opferſcheuen, dieſe Drei⸗Götter⸗Anbeter““, 
die wollen ſich feinem Bonfervativismus und Synkretismus nicht 
fügen — fo wenig als fie es im zweiten Jahrhundert taten. In der 
ktritik der bibliſchen Urgeſchichten und chriſtlichen Dogmen hat er Ge⸗ 
legenheit, feine neuplatoniſche Weisheit zu entfalten, und das Evan« 
gelium wird ihm ein Tummelplatz für die Technik der „Widerſprüche“, 
die wir aus Porphurius kennen. Beſonders aber gefällt er ſich darin, 
den Chriften ihre Rückſtändigkeit, minderwertige Sittlichkeit und ab; 
ſchreckende kiulturloſigkeit vorzuwerfen (N. 198, 7 ff.; 200, 5 ff.; 202, 
16 ff.; 204, 12 ff.; 206, 10 ff.). Durch fein Verbot chriſtlicher hoch; 
ſchullehrer (Ep. 42) wollte er ſchon dafür ſorgen, daß ihm dieſes 
Kampfmittel ſtets erhalten bliebe. 

Julians literariſche Feindſchaft greift ſomit ins praktiſche beben über. 
Er war eben nicht bloß Literat, ſondern auch Kaifer, und feine Bemer⸗ 
kungen gegen die Chriften waren keine Schulübung machtloſer Gelehr⸗ 
ſamkeit, ſondern energiſcher, ungeduldiger und ſehr bald grauſamer 
Vernichtungswille. Athanaſtus und Titus von Boſtra, die chriſtlichen 
Märturergräber (Ep. 58) und Leichenbegängniffe (Ep. 77), ſtreitende 
chriſtliche Parteien und chriſtliche Berufungen an die Gerechtigkeit be⸗ 
kamen ſeinen höhnenden haß zu fühlen. Julian triefte von Toleranz. 
Aber ſeine ſchönen Worte wurden ſehr bald von der realen Entwicklung 
bügen geſtraft. Und daran war er ſelber nicht unſchuldig; denn er ſtellte 
ſeine heidniſche Begeiſterung ſtets höher als jene Tugenden, die einen 
Herrſcher vor allem zieren: Billigkeit, Maßhaltung und Menſchen⸗ 
kenntnis. Er war ein Mann des ſogenannten „guten Willens“, über 
den der Lauf der Welt ſchnell zur Tagesordnung übergeht. Wie trefflich 
verſteht er in den Briefen an die heidniſchen Oberprieſter Arſarcius und 
Theodor (Epp. 49. 62. 63 und das hochintereſſante Fragment Bertlein 
371 - 392, das in letzteren Brief gehört) über die Pflichten eines Götter- 
prieſters mit deutlichem Seitenblick auf chriſtliche gute und ſchlimme 
Beiſpiele zu moralifieren. Wie viel ſchöner wäre es in der Tat die 
menſchen auf dieſe Weiſe zu erziehen ftatt durch Geſetze und Strafen — 
wenn die Menſchen das ertrügen! Yulian lebte in einer eigenen Welt, 
jenfeits der Natur und Geſchichte. Sobald er den Boden der Wirklich- 
Reit betritt, wird er klein. Es war ein Derhängnis, daß ihm feine ſoldatiſche 
Tüchtigkeit feine bebensuntüchtigkeit verbarg — innerhalb feiner eigenen 
Welt kann ihm eine gewiſſe ideale Größe nicht abgeſprochen werden. 

Es iſt doch eine erſchütternde Tragik, an der die Chriſten jener Zeit 
nicht unſchuldig find, daß diefer Kaifer, der den alten Cäfarenwahnftnn 


2 


315 


beffer als Conftantius überwunden hats, daß diefer Brübler, der feinem 
Feinde viel näher fteht als er weiß und will, der die Armenpflege, 
den Bemeinfinn, die Sittenſtrenge, ja die Feindesliebe“, allerdings 
nach ſtoiſch⸗ cuniſchem Muſter, aber doch chriſtlich beeinflußt empfohlen 
hat, daß dieſer Mann am Ende feines Lebens geſtehen muß: „Ich 
habe mir ſelbſt jede Wohltat in Plage verwandelt“ (Misop. Hertlein 
479), daß er bekennt, er habe eigentlich keinen zu ſeiner Meinung 
bekehren können (Ep. 27 Bertlein 516, 15). Julian ift der lauteſte 
Prediger des chriſtlichen Gottes. Er hatte ſich ein fo ſchönes heidentum 
zurechtgezimmert, und es fiel in nichts zuſammen. Flavit et dissipati 
sunt! Aber vielleicht gilt auch von ihm: „Die mich dir überliefert, die 
haben eine größere Sünde als du“ (goh. 19, 11). 


Der Kampf der Antike gegen die neue Religion war nicht der 
kampf eines Geiftes gegen einen zweiten, ſondern der Zuſammen⸗ 
prall zweier Welten. So war ein Sich - verbunden⸗fũhlen, eine gewiſſe 
Inmtereſſen⸗ und Jdeengemeinfchaft aller gebildeten Heiden felbftver- 
ſtändlich. Der von bucian mit der Widmung feines Hleander s. Pſeudo⸗ 
mantis beehrte Celſus kann ſehr wohl unſer Beſtreiter ſein, und der 
heide im Dialog des Minucius Felix ift ein aufgeklärter Patriot ganz 
wie jener. Auch zwiſchen Celſus, Porphurius, Hierocles, Julian ergibt 
ſich von ſelbſt eine innige Derwandtfchaft, weil fie eben alle antike 
heiden waren. Es drängt ſich aber noch die Frage auf, ob die von 
uns betrachteten eigentlichen Angriffe auf das Chriſtentum nicht in 
einem beſonderen Abhängigkeitsverhältnis zueinander ſtehen. Jedem 
beſer wird ſchon aus dem wenigen, was hier geboten wurde, die 
große Strukturähnlichkeit dieſer Schriften aufgefallen fein. Ihre philo⸗ 
ſophiſchen Waffen entnehmen fie alle dem Arſenal des Neuplatgnis»_ 
mus, ihre theologiſchen Renntniſſe ſtützen fie alle auf die Bibel, und 
ihre Dialektik arbeitet nach der gleichen Methode: dieſelbe Ausfpielung 
der Chriften und Juden gegeneinander und bedingte Anerkennung der 
letzteren, derſelbe Spott über den blinden Glauben, den gekreuzigten 
Bott, die Arme-Sünder-Moral und Aulturlofigkeit der neuen Winkel- 
ſekte, dieſelbe Technik der Widerſprüche, dieſelbe häufung gar nicht 
zuſammenſtimmender Argumente, die ſchon wegen ihrer Menge viel⸗ 
fach die gleichen fein mußten. Haben fie einander auch direkt benützt 
und ausgeſchrieben? Für Bierocles und den anderen S kribenten diefer 
Sorte ift das ja ziemlich erwiefen, für Celſus — Porphurius — Julian 
20* 


316 


ift die Unterſuchung noch nicht ab[hließend?? durchgeführt und kann an 
dieſer Stelle auch nicht angeſtellt werden. Es iſt auffallend, daß weder 
Porphurius den Celfus, nach Julian die beiden anderen nennt — nur 
an zwei unverfänglichen Stellen zitiert er Porphurius als Philoſophen — 
aber das beweiſt noch keineswegs, daß der folgende den früheren 
nicht ausgiebig ausgeſchrieben hat. Wenn Libanius Julian ſchmeichelt 
(Or. 18), er habe weiſer als der Alte von Tyrus (SPorphurius) die 
Lächerlichkeit des Chriſtentums gezeigt, fo heißt das doch in unſerer 
Sprache, daß gulian den Porphurius für fein Pamphlet zugrunde 
gelegt hat, auch wenn wir mit R. Aſmus annehmen wollen, daß die 
Saliläerſchrift in den früheren Werken Julians ſchon wohlvorbereitet 
iſt. Ein ſittlicher Mangel iſt mit einem ſolchen ſchweigſamen Zurate⸗ 
ziehen, ja Ausplündern fremder Autoren nach antiken Begriffen nicht 
verbunden, und es bleibt ja auch trotz allem n der drei Baupt- 
kämpfer fein charakteriſtiſches Gepräge. 

Celfus Ram als reiner Heide ans Chriftentum 19 er war philo⸗ 
ſophiſch und ſophiſtiſch gut gebildet, hatte für einen Außenftehenden 
erſtaunliche Dertrautheit mit den chriſtlichen Offenbarungsquellen, 
wenigftens mit den Evangelien, war aber der Mann des realen Lebens, 
dem es einzig um den Beſtand des römiſchen Reiches ging, wenn er 
ſich fo viel Mühe mit den Chriſten machte. Porphurius war nach 
glaubwürdiger Nachricht in feiner Jugend ſchon ktatechumene geweſen, 
es drängte ihn aber auf die Bahn der großen Reſtauration, die der 
Nneuplatonismus verſuchte. So ging er als Philoſoph der widerſtreben⸗ 
den chriſtlichen Seiſtesrichtung entgegen, wußte indeſſen ſehr gut, wo 
er die Chriſten am empfindlichſten treffen konnte, erwarb ſich deshalb 
eine umfaſſende Kenntnis der Bibel und griff fie dann mit ſchneiden⸗ 
der Kritik an. Klagen und Drohungen über die Staatsfeindlichkeit 
der Chriſten finden wir bei ihm nicht; denn er war ſelbſt nicht mehr 
mit dem herzen Bürger des irdiſchen Staates, ſondern ſchaute nach 
höheren Yielen aus. Und eben dieſe höheren Ziele der zur Theofophie 
verzerrten Theologie ſind es, die den getauften, ja im kirchlichen 
Lektorat verwendeten Julian zum Apoftaten und grimmigſten Baffer 
und hetzer werden ließen. Denn immer gilt: corruptio optimi pes- 
sima, „verdirbt der Befte, wird er der Schlimmſte“. Am Ende jeder 
Empörung wider den heiligen Beilt ſteht die Tragik des Untergangs. 

Zum Schluſſe möchte der Derfaffer bekennen, daß die traurige poli⸗ 
tiſche und religiöfe Lage der Gegenwart ihn beſonders zu dieſen Studien 
angeſpornt hat, deren Ergebnis, losgelöſt von wiſſenſchaftlichen Einzel⸗ 
fragen, hier vorliegt. Die Anwendung dieſer, wie er hofft, richtigen 


317 


geſchichtlichen Betrachtung auf die Zeit und das Volk, um die wir 
ſiebend uns bemühen, überläßt er dem Lefer. Tröſtlich in all den Schat⸗ 
ten, die uns umringen, iſt das Bewußtſein: den erſten Weltſieg der 
Frohbotſchaft geſu Chriſti hat nicht die Tugend der Chriſten, nicht der 
„gefunde Menſchenverſtand“, nicht die Kultur, auch nicht der religiöfe 
Trieb als ſolcher entſchieden, ſondern der Dater, vor dem „ich meine 
linie beuge, daß er euch gewähre nach dem Reichtum feiner Herrlich⸗ 
keit in kiraft zu erſtarken durch feinen Beift für den inneren Menſchen“ 
(ogl. Eph. 3, 16). 


Anmerkungen. 


Die Gegenſätze zwiſchen gnoſtiſchem und kirchlichem Chriſtentum find jetzt durch 
das Buch von J. P. Steffes, Das Weſen des Bnoftizismus und fein Verhältnis zum 
kath. Dogma (Paderborn 1922), dem gebildeten Katholiken dargeboten. Es ſei dieſes 
Werk allen empfohlen, die den religiöſen Strömungen der Gegenwart, welche den 
gnoſtiſchen oft aufs haar gleichen, ihre Aufmerkfamkeit widmen. 

? Den Kaiſerkult zu würdigen liegt nicht in der Abſicht dieſer Zeilen. Aber das 
mag geſagt werden, daß die Kenntnis dieſer letzten großen Schöpfung der Antike das 
meifte beiträgt zur Einfühlung in die geiſtige Page, in der ſich das Chriſtentum dem 
rõmiſchen Reich gegenüber befand. 

Das ſagt [ehr offen und deutlich Hieronymus (Ep. 48, 13 ad Pammachium). 

gl. die kathol. Arbeiten: W. Koch, Die altchr. Apologetik des Chriſtentums 
(Akademiſche Antrittsrede enth. in der Tübinger Theol. A8. 1908); J. Zahn, Die 
apolog. Grundgedanken in der Lit. der erſten 3 Jh. ſuſtematiſch dargeſtellt (Würz⸗ 
burg 1899); m. Faulhaber, Die griech. Apologeten der klaſſ. Däterzeit. L. Eufebius 
(Würzbg. 1895); f. Seitz, Die Apologie des Chriſtentums bei den Griechen des 4. 
und 5. Jh. in hiſt.⸗ſuſtem. Darſtellung (Würzbg. 1895). 

5 Ein intereffantes Beifpiel find die von Harnack überſetzten Responsiones ad 
Orthodoxos, Quaestiones Gentilium ad Christianos und Quaestiones Christia- 
nae ad Gentiles (Tegte u. Unterſuchungen 21, 3). Dieſe Literatur der „Fragen und 
Antworten“ war überhaupt beliebt. In ſpäterer Zeit war fie wohl nicht mehr ernft 
gemeint; aus den älteren dialogiſchen Apologien der Väter aber ließe ſich viel in- 
direktes Material für die Geiſtesverfaſſung des Baganismus beibringen. 

*° Mißverftändniffe gröbfter Art werden wir auch bei denen kennen lernen, die 
ſich ex officio der Bekämpfung des Chriſtentums wiömen. Vor allem fällt bei Gucian, 
Celfus (vgl. C. Celsum 5, 54; 6, 53), aber auch bei Plotin und ſelbſt bei Julian 
(vgl. Ep. 43, 52; bef. Or. 7: chriſtliche „Apotaktiker“ : Enkratiten) auf, daß fie den 
Snoſtizis mus und das kirchliche Chriſtentum mangelhaft unterſcheiden. Für 
celſus mag das noch verſtändlich ſein, bei Julian iſt es unverzeihlich. Der entſchei⸗ 
dende Grund liegt aber bei all dieſen gelehrten Bücherſchreibern wohl darin, daß fie 
das Jdeal der Kirche als den fortlebenden Chriſtus, das corpus Christi mysticum, 
überhaupt nicht verſtanden. Übrigens beklagt ſich ſchon Tertullian (Apol. 1f.), daß 
man ſich keine Mühe gebe nachzuforſchen, was eigentlich Chriſtentum ſei. 

s Der cuniſch · ſtoiſche und der chriſtliche Wanderprediger waren freilich im 2. Jh. 
noch nicht ſo leicht zu unterſcheiden. Manches, was wir für rein chriſtlich halten, 
findet ſich auch bei Seneca, Epictet oder Marc Aurel in ſchönen Worten ausgeſprochen. 
Trotzdem liegt zwiſchen der ſtoiſch⸗ cuniſchen Diatribe und dem Evangelium eine tiefe 
Kluft. Erſtere ift allerdings populäre Philoſophie, aber nur letzteres ift Religion der 
biebe, die ſich zum Geringſten herabneigt und ihm den Bruderkuß gibt. Darüber 
ogl. man das gewiß unparteiiſche Urteil Wendland's, Die helleniſtiſch - römiſche 


318 


Kultur (Tübingen? 1912) 232. Die Stimmung des 2. Jhs, hat P. Dörfler in feinem 
Roman „Ueue Götter“ weiteren Kreiſen zugänglich gemacht; für die Zeit Julians 
wäre an Ibfens Drama „Aaifer und Saliläer“ zu erinnern. Wenn Julian in feinen 
zwei Reden gegen die Aftercyniker im Grunde die Chriften treffen wollte, fo wäre 
das nur ein Beweis, wie wenig er und viele feiner Zeitgenoffen das Chriftentum 
verftanden haben, obwohl inzwiſchen zwei Jahrhunderte verſtrichen waren. 

® Dgl. v. Chriſt, Seſchichte d. griech. Literatur, II 1.380; II 2° 612. Anders dagegen 
B. Allard, Hist. des persecutions II 68; IV 219° und viele andere mit Berufung 
auf die Anklänge an chriſtliche Schriften. Ich muß mich hier eines beſtimmten Ur- 
teils enthalten. 

° Miffon 8. J., Recherches sur le paganisme de Libanios (Louvain 1914) 157. 

10 Geſchichte der buzantiniſchen Literatur? 459f. 

1% Selbft Proclus glaube ich nicht unter die Polemiker rechnen zu dürfen. Seine 
„18 Beweiſe für die Unvergänglichkeit der Welt“ trugen kaum im Titel eine Spitze 
gegen die Chriſten (vgl. Zeller, Philoſophie der Griechen III, 2“ 838”); Proclus iſt 
ja erſt 410 geboren! Jedenfalls handelt es ſich nur um einen gelehrten Streitpunkt, 
von einer allgemeinen, offenen chriſtenfeindlichen Stellungnahme konnte nicht mehr 
die Rede ſein. 

1 Daß eine ſolche zuſammenfaſſende Würdigung überhaupt möglich iſt, verdanken 
wir vor allem folgenden Arbeiten: Keim, Celfus’ Wahres Wort (deutſcher Rekon 
ſtruktionsverſuch). Jürich 1873. Roetſchau Jahrbuch für prot. Theologie 18, 604 ff. 
(genaue Dispofition des Wahren Wortes), vgl. auch feine Ausgabe von Origenes 
Contra Celsum in: Die griech. chriſtl. Schriftfteller der erſten 3 Jhe (Berlin 1899). 
harnack, Die Bücher des Porphurius gegen die Chriſten. Sitzungsberichte der preuß. 
Akad. der Wiſſenſchaften in Berlin 1919 (auch Sonderdruck), dazu Sitzungsb. 1921, 
266 ff., 834 f. C. J. Heumann, Juliani librorum contra Christianos quae super- 
sunt. Lipsiae 1880 (auch deutſch überſetzt in eigener Ausgabe); dazu eine kleine aber 
wichtige Ergänzung: Theol. Git. Jeitung. 1899 Ur. 10 Sp. 301. Ich beſchränke mich 
auf dieſe Nennung der Texte. Wie viele Fragen damit zuſammenhängen, welche Hilfs⸗ 
mittel zu ihrer Löfung uns die wiſſenſchaftliche Literatur bietet und was der Der- 
faſſer dieſen Werken verdankt, wird der Tieferöringende bald gewahr werden. 

1 Im folgenden C. C. mit Buch und Kapitel zitiert. Deutſch von J. Röhm in 
der alten Kemptener „Bibl. der Kirchenväter“ (1876/77); in der neuen ſteht Origenes 
noch aus. 

1 Pgl. C. C. 8, 2: e dau co e xaldroppnyvuvres And d Aoınav Avdpwrwv. 
Daß das Chriftentum ungeſetzlich, revolutionär iſt, ift das Leitmotiv der ganzen 
Schrift: C. C. 1, 1. 

1 Fr. 8. Muth, Der kampf des Philoſophen Celſus gegen das Chriſtentum (Mainz 
1899), eine gute katholiſche Monographie, zählt 8. 176 ff. achtund fünfzig Evangelien; 
ſtellen auf, die Celſus berückſichtigt. 

15 Das befte, was Origenes Celfus entgegenſetzt: Jeſus braucht ſich nicht zu ver; 
teidigen, das Leben feiner wahren Jünger ſpricht für ihn (C. C. Prooemium u. d. 
3, 29) konnten freilich ſchon Chruſoſtomus und Gregor von Hazianz nicht mehr 
ſo leicht Julian erwidern. 

1s Die in Betracht kommenden Texte bei C. Wolff, De philosophia ex oraculis 
haurienda (Berol. 1856) 141“. 180f 183 f. (aus Hugſtinus De civ. Dei 19, 23). Ich 
kann Wendland, Poeſche und Harnack (vgl. miſſton und Ausbreitung des Chr.“ 
1 415) nicht recht geben, daß Porphurius hier günftiger über Chriſtus urteile. Er 
wird doch eben nur unter der Dorausfegung von den Orakeln und Porphurius an- 
erkannt, daß er — die Orakel anerkennt. Und dann merkt man deutlich die Abſicht: 
Chriſtus wird gelobt, um feine unwürdigen Anhänger deſto beffer ſchmähen zu können. 
Beftätigt wird meine Unſicht durch Firmicus Maternus De errore prof. rel. 13, 4, 
der gegen dieſe Schrift des Porphurius dieſelben Dorwürfe erhebt, wie fie ſonſt gegen 
ihn gerichtet werden. Ugl. Chrift II 2° 6821. 


319 


1 Auch in einem großen, nurmehr bruchſtückweiſe erhaltenen chronologiſchen Werk 
war wohl fein hintergedanke, den Prioritätsbeweis der Chriſten für die Offenbarungs- 
weisheit zu entkräftigen. Uergl. die oben angegebene Arbeit harnacks über die 
Bücher des Porphurins gegen die Chriften 8. 12“. Dieſe Arbeit wird im folgenden 
zitiert 5. P. mit der Hummer der dort geſammelten Fragmente der Schrift des Por · 
phurius gegen die Chriſten. 

Grundlegend für Auguſtins Kritik am Ueuplatonis mus: De civitate Dei 9, 
15-17; 10, 29 ff.; 12, 2. 13 fl.; 22; vgl. auch Conf. 7, 9 ff.; Retract. 1, 4, 7. Über 
Porphyrius fagt er De civ. Dei 10, 9 treffend, er ſchwanke zwiſchen Philoſophie 
und Theurgie. Gegen deſſen Evangelienkritik richtet er fein De consensu evange- 
listarum. Aber trotz aller Ausſtände, die er an ihm macht, hält er ihn wert, 3. B. 
De civ. Dei 19, 22. 23; 22, 27. 

» Gactanz Inst. 5, 3 erwidert dem Bierocles, aus dem eigentlich Porphurius ſpricht: 
affirmans deos esse et illos tamen subicis et mancipas ei Deo, cuius religionem 
conaris evertere: „Du behaupteſt es gebe Götter und mußt fie doch dem Gotte unter- 
oroͤnen und dienſtbar machen, deſſen Bekenntis du zu unterwühlen verſuchſt“. 

Unrecht hat Seffcken, Raifer Julian und die Streitſchriften feiner Gegner (eue 
hb. f. d. klaſſ. Altertum 11 [1908] 194 f.) nicht, wenn er ſagt, die antiken Streitſchriften 
für und wider Chriſtus ſtelten einen Typus dar. man wundere ſich nicht, wenn 
man die hier an chriftenfeindlichen Erzeugniffen nachgewieſene Methode auch bei den 
ſtirchenvãtern findet. Aber ihre tatſächliche innere Uberlegenheit bleibt dabei beftehen. 

* Solche Stellen, die einer ernften Kritik wohl würdig find, wären etwa h. P. 
n. 35. 90. 91. 94. Es darf aber auch nicht verſchwiegen werden, daß ſich ſchon bei 
Plotin und noch mehr bei Porphurius trotz allen Monismus orientaliſcher Dualismus 
eingeſchlichen hat, der im ſpäteren UHeuplatonis mus eine fo üble Rolle ſpielt. Dgl. 
oben, was Huguſtin über Porphurius ſagt! 

n Pact. a. a. O. Dieſe hier ganz neu auftauchende Injurie ift ſonderbar. Geht fie 
auf eine Derwedhslung Chrifti mit dem flüchtigen David zurück? (vgl. Allard, Hist. 
IV 219). Das wäre dann freilich die denkbar ſchlechteſte Empfehlung für Bierocles. 
boeſche weiſt auf C. C. 2, 12; 8, 14 als Parallelen hin. — Uebenbuhler Chriſt auf- 
zuſtellen hat übrigens ſchon Celſus beliebt C. C. 3, 42 u. ö. 

n Hiſibis war dreimal von den Perſern berannt worden. Die Einwohner der 
Stadt, großenteils überzeugte Chriften, haben fie dem römiſchen Reich erhalten. Julians 
zwar von langer Hand vorbereiteter, aber von Opferſchauern übelberatener und wie 
eine Derzweiflungstat durchgeführter Feldzug hat einen ungünſtigen Frieden nötig 
gemacht, der die Stadt den Perſern aus lieferte. 

* Ein Vergleich etwa zwiſchen den „Säulenhomilien“ des hl. Chruſoſtomus und 
dem „Barthaffer” qulians wäre ungemein anziehend und würde das Kräftenerhältnis 
zwiſchen Chriſtentum und Heidentum grell beleuchten. 

”» Das oben zitierte Werk Neumanns über Julians Bücher gegen die Chriſten 
iſt im folgenden abgekürzt mit U., Seitenzahl und Zeile. Außerdem ift unumgäng⸗ 
lich: F. C. Hhertlein, Juliani Imp. quae supersunt praeter reliquias apud Cyrillum 
omnia. 2 voll. Lips. 1875 - 1876, (zitiert: &ertlein nur mit Seitenzahl und Zeile; 
denn der 2. Band iſt fortlaufend paginiert). Julians philoſ. Werke ſind in deutſcher 
Überf. von AT mus zugänglich in der „Philoſophiſchen Bibliothek“ Ur. 116 (Leipzig 
1908), ſämtliche Werke in franzöſiſcher Uberſetzung von Talbot (Paris 1863). 

Eg iſt [ehr wohl möglich, daß Julians Beifpiel raſch Nachahmer gefunden hat. 
Der hl. Hilarius ſchrieb einen (uns verlorenen) Libellus contra Dioscurum medi- 
cum ad Sallustium praefectum. Dieſer Dioscurus war ein Gefinnungsgenoffe 97s. 
Aber dergleichen Ableger mußten natürlich ebenſo wie 9's Stammbaum zugrunde gehen. 

” Bol. Wendland die helleniſtiſch⸗ rõmiſche Kultur 179 f. Es mag hier wenig; 
ſtens angemerkt werden, daß die helleniſtiſche kritik am Alten Teftament ſehr an 
Marcion erinnert. Ein genauer Vergleich wäre jetzt oͤurch harnacks neue Arbeit 
über Marcion bedeutend erleichtert. 


* 


320 


” Die 6 Briefe an ihn unter Julians Briefen find aus äußeren Gründen ftark 
verdächtig, ſprechen aber ganz die Pſuche 9's aus. 

gl. die ſchwächliche, moralifierende Empfehlung der Naturreligion in Ep. 51: 
die Sonne, den allen erkennbaren Wohltäter Helios, wollen die Alegandriner nicht 
göttlich verehren, dafür aber den unſeren Dätern ganz unbekannten Jeſus! Ahnliche 
klagen leſen wir aber auch ſchon C. C. 8, 14. 

0 Die Antiochener ſpotten über feine huperfrömmigkeit (Misopogon, Bertlein 446; 
Julian Ronterfeit fi ſelbſt: 467, 5). Chruſoſtomus nennt ihn „Opferfleifhhändler“, 
und ſelbſt der nüchterne heide Ammianus Marcellinus findet, daß Julian des Guten 
zuviel getan habe, während Libanius feinen Helden verherrlicht, daß er fo vielen 
Göttern opfere. . 

1 Man darf ſich nicht beirren laſſen, daß in den geringen Reften von Julians 
Saliläerſchrift gerade die Polemik gegen die Juden einen fo breiten Raum einnimmt. 
Das gehörte zum alten Rüſtzeug der antichriſtlichen Literatur (vgl. C. C. 5, 2 ff.) 
J. hat anderwärts deutlich genug gezeigt, wieviel ihm an dem Wohlwollen der Juden 
gelegen iſt. Sein Tempelbauverſuch wird von ihm felbft verkündet: Ep. 25 und 
Fragm. ep. Bertl. 379; in der Galiläerſchrift Ur. 216 ſpricht er nicht mehr davon, 
wohl weil die Tatſachen ſchon geſprochen hatten! 

5 Nx. 164,16; 207, 9 ff.; 216, 16 ff.; 226,16; ep. 63, 51; die Gedanken find auch hier 
nicht neu: C. C. 3, 5. 59 ff. u. a. harnack Porph. n. 27 f. 38. 73. 87; dagegen ſpricht 
Porph. n. 79 von einem chriſtlichen Kult. Das chriſtliche Opfer kennt natürlich auch 
J., aber abſichtlich, dAywvırrıxas ſchweigt er davon. | 

Pas belege ich gerade mit dem autobiographiſchen humnus in feiner Or. 7 ad 
Heraclium (Bertl 294 — 304). Julian hofft durch die Gnade und die Nachfolge der 
Götter einmal felbft ein „Bott“, Yeds zu werden und den Dater aller Götter und 
menſchen, das neuplatoniſche Ur -Eine zu ſchauen. klingt das nicht an die Dergött- 
lichungslehre des von ihm beſtgehaßten Athanaſtus an? IM er damit nicht weit 
entfernt von den Anſprüchen eines Domitian? Und ſteht das buzantiniſche Hof- 
zeremoniell nicht Domitian näher als Julian? Als Mittel zum Iweck war ihm ge⸗ 
wiß auch der Raiſerkult recht, da müßte er ja nicht der widerſpruchsvolle, traditions- 
freundliche Julian fein. Aber der Gegenſatz iſt nicht „Kaifer und Galiläer“ (Jbſen), 
ſondern viel eher „Sonne und kireuz“! 

” Diefe beſ. in einem allerdings beſtrittenen Brief, den Papadopulos Kerameus 
im Rhein. Muſeum (Ileue Folge 42 [1887] 25 ff. an erſter Stelle) veröffentlicht hat. 

gl. die gründliche aber ſchon noch ergänzungsfähige Studie von 8. Poeſche 
„Haben die ſpäteren neuplatoniſchen Polemiker gegen die Chriſten das Werk des 
Celfus benutzt?“ in der Zeitſchr. für wiſſenſchaftl. Theologie 27 [1883] 257 302. 


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Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. 


Uicht viele Jahre ſind's her, da betrachtete ich als Student von der großen Säulen- 
halle des Borromäums (Pavia) aus an dieſem Tage (2. Februar) einen wundervollen 
Sonnenuntergang hinter der im Winterſchnee weiß ſchimmernden Kette der pen ⸗ 
ninen. Wie lieblich iſt ein ſolcher Untergang! Lieblich, weil die Sonne, die von uns 
ſcheidet, morgen mit all ihren Schätzen an Licht wiederkehrt. Allein jener Untergang, 
dem wir alle Tage beiwohnen müſſen, der Untergang jener Sonne, die da geſetzt iſt 
zur Erleuchtung der Dölker, und die ſich mehr und mehr in der Geſellſchaft verbirgt, 
er hinterläßt nur bittere Trauer. Wird wohl dieſe Sonne aufs neue wieder aufgehen, 
wird die Seſellſchaft wieder chriſtlich werden, werden Güte, Reinheit und Glauben 
wiederkehren? Dieſe füße hoffnung mag ich nicht fahren laſſen 

entnommen dem Büchlein „Gedanken und Gebete des Prof. Contardo Ferrini“ heg. von Mut - Pellegrini 
(Dillingen 1924). Die Aufzeichnungen des edlen Mailänders (1859, 1 1902) zeigen einen offenen Blick 
für menſchennot, Rulturwert und Haturfchönheit; fein Gebetsleben it an Meffe und Kirchenjahr mit- 


gebildet. Ferrini war zwei gahre (1880/82) als Auslandfiipendiat in Berlin der unfere, und if der erſte 
Derbindungftudent und neuzeitliche Hochſchullehrer, dem die Ehre der Altäre in Ausſicht ſteht. 


321 


Die Derle als religiöfes Symbol. 


Don P. 080 Cafel (Maria Paach). 


er Hellenismus, dieſer köſtliche „Silberblick“ der Weltgeſchichte, in 
dem eine weder vorher noch nachher erreichte Verſchmelzung 
morgen- und abendländiſchen Geiftes eintrat, iſt, wie der Mutterboden 
unferer geſamten abendländiſch⸗chriſtlichen Kultur, fo auch der Quell- 
punkt unferer religiöfen Formenſprache in Liturgie und Muſtik ge⸗ 
worden. Nicht aus einem geſchichtlichen „Zufall“, ſondern aus dem 
innern Weſen einer gottgewollten Entwicklung heraus ſprechen wir 
noch heute in der kirche die Sprache, die der chriſtliche Genius aus 
dem unvergleichlichen Material, das der Hellenismus ihm darbot, ge⸗ 
ſchaffen hat. Wo die Kirche in ihrer Liturgie in geheimnisvollen Sum⸗ 
bolen von ihrer Liebe zu Chriſtus ſpricht, tut fie es meiſt in Formen, 
Bildern und Zeichen, die das Evangelium aus dem Schatze der helle⸗ 
niſtiſchen Religiöfität ausgewählt und auf den wahren Beſitzer und 
münzherrn umgeprägt hatte, fo wie einſt die Juden, als fie aus Agup⸗ 
ten zogen, das heidniſche Bold zu Geräten ihres wahren Gottes um⸗ 
ſchmolzen. Der Orient mit ſeinem Tiefblick für das Göttliche, das in 
Worten und Begriffen ſich nicht ausdrücken läßt, ſchuf die Sinnbilder; 
der griechiſche Beift goß fie in klare, durchſichtige Form; das Evan- 
gelium gab ihnen ihren letzten, wahrſten Sinn. 8o ging es auch mit 
dem Bilde von der Perle, das wir im Anſchluß an die Forſchungen 
h. Ufeners! und R. Reitzenſteins? kurz betrachten wollen. 

Die Perle wächſt im Meeresgrund, fern von den Augen der Men- 
ſchen, verſchloſſen in eine Mufchel, die in Schlamm gebettet iſt. Dort 
im Dunkel reift ſie heran und entfaltet ihre ſchimmernde Schönheit. 
Taucher müffen unter Lebensgefahr, oft lange Zeit vergebens, in die 
Tiefen hinabſteigen, um fie zu gewinnen. Wenn fie aber gefunden iſt, 
von der Mufchel befreit wird und ans Licht der Sonne kommt, fängt 
die Beſcheidene an, edel zu leuchten. Sie wird hochgeſchätzt von den 
menſchen, mit vielem Golde erkauft und ſchmückt den Hals der ktönigin. 
im ewig unruhigen Meere geboren, leuchtet fie jetzt ſtetig im Lichte 
der Sonne. 

Wie kam dies milde Licht in die dunkle Tiefe? Es konnte nur aus 
dem Lichtſchatze des Himmels hinabgeſtiegen fein. Die Alten erzählten 
ih, die Mufchel öffne zur Frühlingszeit ihre Schalen und empfange 
vom Mondgott den Bimmelstau (fo Sudines und Alexander Poluhiſtor); 


Die Perle. Aus der Geſchichte eines Bildes. Vorträge u. Ruffäge (1907) 219 — 231. 
’ Befonders: Das iraniſche Erlöſungsmuſterium (1921). 


322 


oder aber der Blitz, das himmliſche Feuer, den on Lichtkeim in 
das meer (Ifidor von Charag). 

Dom himmel ftammt alfo das Feuer der Perle. Dom Himmel ſtammt 
aber nach altorientaliſcher Anſchauung auch die Seele. Bei den Man⸗ 
däern und Manichäern finden wir eine geheimnisvolle Seelenlehre, 
die auf ältere orientaliſche Theologie zurückgeht. Danach ift die 
menſchenſeele ein Bötterkind, ja nach manchen eine Gottheit. Sie ſtieg 
vom himmel herab, um den Rönig der Finſternis unten in der Materie 
zu bekämpfen; oder ſie ward von jenem geraubt und in ſein finſteres 
Reich entführt. Nun liegt ſie da im Schlamm und Unrat der Materie, 
verſtrickt in die niedrigen Feſſeln dieſer Welt, wird trunken vom 
Schlummertrank der Finſternis und ſchläft ein. Sie wäre verloren, wenn 
nicht ihr beſſeres Ih, das im himmel zurückgeblieben ift, herabſtiege 
und fie aus dem Schlummer erweckte. 50 kommt denn der Erlöfer, 
ihr eigenes beſſeres Selbſt, ihr „Abbild“, der „Urmenſch“, herab und 
ruft ihr zu: „Erwache, Glanzſeele, aus dem Schlummer der Trunken- 
heit, worin du entſchlummert biſt ... Ich will dich ſchmücken laſſen 
Folge mir zur Stätte der gebetgepriefenen Erde, wo du geweſen bift 
von Anbeginn.“ Oder: „Schüttle ab die Trunkenheit, in die du ent⸗ 
ſchlummert biſt; wach auf und ſieh auf mich. heil über dich aus der 
Welt der Freude, aus der ich deinetwegen geſandt bin.“ „Die Seele 
erwidert: „Ich bin ich, der Sohn der Jarten (d. h. der Götter); ver⸗ 
miſcht bin ich und Wehklagen ſeh ich; führe mich hinaus aus der 
Umklammerung des Todes.“ Der Erlöfer: „O mein KHörper! Der be⸗ 
bendigen Kraft und der größten Welt Heil über dich aus deiner heimat. 
Folge mir, Sohn der Sanftmut; den Lichtkranz ſetze auf das Haupt.“ 
Der Erlöfer betrachtet ſomit die Seele als feinen Körper; er ift alfo ihr 
beſſerer Teil, die eigentliche Seele. Er kommt aus der heimat und 
führt die Derirrte dorthin zurück. Er iſt das Abbild der Einzelſeele, 
aber auch die Befamtheit aller Seelen. Er wird bald männlich ge⸗ 
dacht als der Urmenſch, bald weiblich als die Urfeele, die Lichtjungfrau, 
die Göttin Seele (Pſuche). Weil im Grunde die vom himmel kommende 
und die in die Materie gebannte Seele identiſch find, fo gilt ſchliehlich 
der Erlöſer ſelbſt als in die Materie verſenkt; er muß zuerſt ſelber 
erlöft werden, um die andern erlöfen zu können. Ormuzd, der Schöpfer⸗ 
gott, gilt ſelber zuweilen als der Urmenſch. Das ganze Suſtem iſt 
ſtark pantheiſtiſch. Der Erlöfer iſt eine Art Sottmenſch, wenn auch 
in einem ganz andern Sinne als im Chriſtentum. Unerkannt ſteigt 
er aus dem Lichtreich in die Weltfinſternis hinab, um die Gefangenen 
zu befreien; aber wenn er dann ſiegreich emporſteigt, zerbricht er die 


323 
macht der dämoniſchen Archonten dieſer Welt mit ihren Planeten⸗ 
ſphären in offenbarer Majeftät. 80 wird fein Sieg, das . 
aller Seelen, zugleich zum Weltuntergang. 

Dieſe behre wird im kult für den einzelnen Gläubigen dargeſtellt 
und im Sumbole gefeiert, als Unterpfand dafür, daß der Gläubige 
einſt vom Erlöfer ſterbend befreit werden wird. 50 wird die Lehre 
zu Gebet und Handlung, zum Myfterium. 

Wie ſehr paßte auf dies Schickſal der Seele das Bild von der Perle! 

In der Tat wird bei Mandäern und Manichäern die Seele „Perle“ 
genannt. Das Manvahmed, das „himmliſche Abbild des Menſchen“, 
iſt die Perle. In einem manichäiſchen Liede! heißt es als Überſchrift: 
„Der Angeſprochene iſt die Perle...” Das Gedicht ift die Anſprache 
des Erlöſers an die Seele, die er zum bichtreiche emporführt. Nach dem 
mandäiſchen Genzabuch fühlt ſich die Seele ſchutzlos, bis er kommt, 
der Hönig. der Uthras (Engel); wenn er gekommen iſt, iſt fie als fein 
Sklave edler als alle Edeln. Er begrüßt fie „als die Perle, die aus 
dem Schatz des Lebens geſchaffen wurde, die duftſpendende, die den 
ſtinkenden Körper duftig machte, die lichtſpendende, die das finſtere 
Haus erleuchtete, die edelgeborene, die in dem hauſe des Böſen eine 
magd genannt wurde. Scheidet ſie aus der Welt, ſo fragen deren 
Schatzmeiſter, wer die Perle herausgebracht hat, die das hinfällige 
Haus erleuchtete .. Ganz ähnlich heißt es in den von Lidzbarski 
herausgegebenen mandäiſchen Liturgien:“ 

Die Seele löſte die Kette, 
fie ſprengte die Bande. 
Sie legte den körperlichen Rock ab, 
ſie wandte ſich um, erblickte ihn und erbebte. 
Sie flucht dann dem Bildner des Körpers; der Erlöſer aber [pricht zu ihr: 
„Geh in Frieden, du Edelgeborene, 
die man in der Wohnung der Böſen eine Magd genannt. 
Geh in Frieden, du reine Perle, 
die du aus dem Schatze des Lebens geholt wurdeſt. 
Geh in Frieden, du Duftſpendende, 
die du den ſtinkenden Körper duftend machteſt. 
Geh in Frieden, du Lichtfpendende, 
die du das finſtere haus erleuchteteſt. 
Geh in Frieden, Erwählte, Reine, 
Sündenlofe, ohne Fehl.“ 


! Reigenftein 22. Ebd. 55. ° Mandäiſche Liturgien, mitgeteilt, überſetzt und 
erklärt (1920), 8. 101 ff. 


324 


Die Seele fliegt und zieht dahin, bis fie zum Haufe des Gebens kommt. 
Und die Uthras ſprechen zu ihr: 


„Nimm, zieh dein Gewand des Glanzes an 
und ſetze deinen prangenden Aranz auf. 
Steig empor, wohne in den Skinas, 
der Stätte, an der die Uthras weilen.“ 


So iſt die Perle dem Schatze Gottes wiedergegeben, und in Glanz 
gehüllt, leuchtet fie im bichtreiche. Doch ſchon vorher war fie ein 
bichtfunke, ein Teilchen vom göttlichen Lichte, aber wie die Perle noch 
im Schlamme liegend. Pſ.-Hieronumus de haeresibus 51 berichtet als 
behre der Manichäer: „In dem obern Quell, dem Flußbett des himm⸗ 
liſchen Stromes, ſei alles und allgemein miteinander vermiſcht und 
habe ein Weſen mit Gott. Ein Teilchen dieſes Lichtes, das einſt von 
den Finſterniſſen feſtgehalten worden ſei, wolle Gott befreien; dieſes 
nennen ſie Margarita (Perle).“ Das Johannesbuch der Mandäer er: 
zählt, wie der Sohn des Lebens die Saat von Perlen und Edelfteinen 
in den vom Pflug (einem Gottwefen) aufgeriffenen Boden fät:. 

Die Snoſis, die ja ganz mit orientaliſcher Muſtik in helleniſtiſcher 
Aufmachung gefättigt iſt und dieſe bald mehr bald weniger mit chriſt⸗ 
lichen Zutaten verſetzte, übernahm auch das Bild von der Seelenperle. 
Aus der mandäiſch-manichäiſchen Lehre von der Perle als der Urſeele 
erklärt ſich reſtlos der Seelenhumnus der gnoſtiſchen Thomasakten’. 
Aus dem Oſten, der Heimat des Lichts, ſchickt der König feinen Sohn 
nach Ägypten, um dort die koſtbare, von dem Drachen bewachte Perle 
zu holen. Dieſer aber läßt ſich von dem Böſen betören, von ihrem 
Brote zu eſſen und ihrem Tranke zu trinken; er ſinkt in Schlaf und 
vergißt der Perle. Ein Brief des Daters weckt ihn; er nimmt die 
Perle und ſteigt zum Dater empor, der ihn in das bichtkleid, fein 
eigenes beſſeres Ich, hüllt. So iſt im Grunde der königsſohn ſelbſt, 
der erlöfte Erlöſer, die Perle. 

So verſtehen wir es nun, wenn ſchon in der Bnofis der Erlöfer 
Chriftus, auf den die Gnoftiker manche orientaliſchen Lehren über⸗ 
trugen, Perle genannt wird. Im Humnus der gnoſtiſchen gohannes · 
akten Rap. 109 heißt es: „Wir preiſen deinen Sproſſen, den Logos, 


Bei Ohler, Corpus haeresiol. 1, 286 f. (Uſener 229 Anmerkung 1). Jgohannes⸗- 
buch der Mandäer herausgegeben von M. Gidözbarski (1915) Kap. 49 Der Pflug. — 
Das von Uſener 223 — 225 über Aphrodite als Perlengöttin und ihre angebliche 
Nachfolgerin Pelagia- Margarita Geſagte ift abzulehnen: vgl. auch Reitzenſtein 8. XI. 
® Dgl. Keitzenſtein 70f. 


325 


die Gnade, den Glauben, das Salz, die unausſprechliche Perle 
(roy Mexröv napyaplımv), den Schatz, den Pflug, das Netz, die Maje⸗ 
ſtät, das Diadem.“ Alle dieſe Bilder bezeichnen den Erlöſer!; er ift der 
göttliche Margarites (uxpyapiıns iſt männlich). 

Die katholiſchen Chriſten brauchten ſich nicht zu ſcheuen, das 
ſchöne Bild von der Perle auf ihren Heiland anzuwenden. Es geſchah 
vor allem durch die katholiſchen „Bnoftiker“, den tiefſinnigen Clemens 
von Nlexandreia und Origenes. Clemens ſagt im Paidagogos (II & 63, 5): 
„Die Perle ſumboliſtert den Cogos“. Im ſelben Buche (II 8 118, 4f.) ta- 
delt er die Frauen, die ſich mit Perlen ſchmücken: „Die koſtbare Perle 
hat ſich ganz beſonders in den Frauengemächern eingebürgert. Sie 
wächſt in einer Mufchel, die den Steckmuſcheln ähnlich iſt; an Größe 
ift fie einem großen Fiſchauge gleich. Jene Unſeligen ſchämen ſich nicht, 
um einer kleinen Muſchel willen ſich ſoviel Arbeit zu machen. Und 
ſie hätten doch die Möglichkeit, ſich mit einem heiligen Steine zu 
ſchmücken, dem Logos Gottes, den die heilige Schrift einmal Perle 
nennt, dem durchſichtig reinen Jefus, dem im Fleiſche beſchauenden 
Auge, dem durchſcheinenden Logos, durch den das Fleiſch koſtbar iſt, 
wenn es im Waſſer wiedergeboren wird. Denn jene Muſchel, die im 
Waſſer wächſt, bedeckt rings das Fleiſch, aus dieſem aber geht die Perle 
hervor“. Clemens findet alſo im Bilde der Muſchel, in deren Fleiſch 
die Perle wächſt, einen hinweis auf den menſchgewordenen Logos, 
geſus; nach dem Dorbild dieſer himmliſchen Perle werden die Chriſten 
auch im Waſſer der Taufe wiedergeboren. geſus die Perle, die in 
geſu Wiedergeborenen Perlen — das ift wohl der Gedanke des Schrift- 
ſtellers. Eine ähnliche Clemensftelle wird angeführt in der Nicetas⸗ 
catena zu Matth. 13, 46 (von der koſtbaren Perle) bei Corderius?: 
„Aus Clemens: Eine Perle ift auch der durchleuchtende und reinſte 
defus, den die Jungfrau aus dem göttlichen Blitze geboren hat. Denn 
wie die Perle, in Fleiſch und Muſchel und Feuchtigkeit geboren, ein 
Rörper iſt, feucht und durchſcheinend von Licht und voll von Pneuma, 
fo iſt auch der fleiſchgewordene Bott:Logos geiſtiges Licht, hindurch⸗ 
ſcheinend durch [Licht und]? feuchten Körper“. Wenn oben ſchon die 
bichtperle, die in dem Fleiſch der Muſchel ruht, ein Bild der Menſch⸗ 
werdung Gottes war, ſo wird hier auch die orientaliſche Anſchauung 
von dem perlenzeugenden Blitz auf die Inkarnation angewandt. Wir 
werden gleich dies Bild wiederfinden und fügen nur noch eine Stelle 


ı Dgl. Reitzenſtein 8. XI. ' Symb. in Matth. tom. alter p. 492, zitiert bei Stählin 
zur oben beſprochenen Stelle. Dieſe beiden Worte ſind m. E. zu tilgen. 


326 


aus Clemens ein, die für ihn jedenfalls auch eine Beziehung auf Chri- 
ftus enthält (Stromatal 816,3): „Unter den vielen kleinen Perlen ift 
die eine, unter dem großen Fiſchfang der Schönfiſch“. Wie IXO 
(der Fiſch) ein Sinnbild Chriſti iſt, ſo auch die eine Perle. 

Am häufigſten und genaueſten hat der Surer Ephrem das Bild von 
der Entſtehung der Perle ausgeführt, um aus ihm gegenüber den Do⸗ 
keten die Menſchwerdung Gottes und die jungfräuliche Geburt Chrifti 
aus Maria zu erweifen!. „Ich kenne“, ſagt er einmal, „Chriftus als 
die Wahrheit, und in der Perle bewundere ich ihn als Gott, der aus 
der Jungfrau den Menſchen angenommen hat“. Der Blitz, der die 
Perle zeugt, bedeutet die Gottheit, Blitz und Waſſer miſchen ſich und 
dringen in die im Waſſer wachſende Muſchel ein, die ſich ſchließt und 
aus Feuer und Waſſer die Perle entwickelt; fo iſt in Chriſtus die Gott⸗ 
heit mit dem aus Maria genommenen Fleiſche vereint. Die Perle löft 
ſich zu ihrer Jeit von dem Tiere ab, ohne deſſen Weſen zu ändern; fo 
hat Chriſtus das Siegel der Jungfräulichkeit Mariens nicht zerbrochen. 

All dies führte dazu, daß man ohne weiteres den Heiland den Mar⸗ 
garites, die Perle, nannte. Gregor von Nazianz fagt (in der 39. Rede 
816): „geſus wird genannt amm und Perle und Tropfen uſw.“ 

Zu dieſer Gleichung hatte der himmliſche Margarites ſelbſt beige⸗ 
tragen, als er (Matth. 13, 45 f.) das Himmelreich mit der Perle ver: 
glich, und zwar mit der einen koſtbaren (vgl. oben das Sprichwort 
bei Clemens): „Mit dem Himmelreiche iſt es, wie wenn ein Kaufmann 
ſchöne Perlen ſucht. Wenn er die eine koſtbare Perle gefunden 
hat, geht er hin, verkauft alles, was er hat und kauft ſte“. Da die 
Chriften das Himmelreich in dem könig dieſes Reiches ſahen, wurde 
er die „eine koſtbare Perle“, der Margarites. Die erwähnten orien⸗ 
taliſchen Bilder ſtärkten nur dieſe Gleichung. In der römiſchen Liturgie 
fand der Gedanke zeitweilig einen Ausdruck darin, daß am 1. Januar, 
der Circumcisio Domini, die als Marienfeſt gefeiert wurde, jene Stelle 
aus Matthäus auf die Geburt geſu bezogen wurdes. 

Der Heiland hatte (Matth. 7, 6) geraten, nicht die Perlen den 
Schweinen vorzuwerfen, d. h. die Myfterien des Himmelreichs nicht 
Unwürdigen preiszugeben. Schon früh wurde das in der Arkandisziplin 
auf die Euchariftie angewandt, ſo ſchon in gewiſſem Grade in der 
Iwölfapoſtellehre (um 100) £ap. 9, 5: „Don dieſem (d. h. der Eudya- 
riftie) hat der Herr geſagt: ‚Gebet das heilige nicht den Hunden“. 
Hier konnte man leicht die folgenden Worte von der Perle ergänzen 


8. Uſener 220 f. Ebd. 220 Ur. 1, wo noch mehr Belege; ferner 227. Ebd. 210. 


327 


und dies Bild auf die Euchariſtie anwenden, die damit als Perle be⸗ 
zeichnet wäre. Das geſchieht tatſächlich in der im 6. Jahrhundert ver⸗ 
faßten Paſſio Stephans I, wo erzählt wird, Tarficius habe „die Perlen 
nicht den Schweinen übergeben“ wollen (porcis prodere margaritas). 
Diefe Anwendung auf die Eudariftie it nur ein Ausfluß der An⸗ 
wendung auf Chriftus!. 

Da der Heiland das Himmelreich als die Roftbare Derle d 
hatte, lag es nahe, den Weg der Heiligkeit, der zum Himmelreich 
führt, als Perle zu verehren, beſonders den engen, ſteilen Weg des 
marturiums und der Jungfräulichkeit. Ignatios von Antiocheia 
nennt im Briefe an die Epheſer 11,2 feine Feſſeln „pneumatifche Perlen“: 
„In ihm (Chriftus) trage ich die Feſſeln, die pneumatiſchen Perlen; in 
ihnen möge es mir zuteil werden, aufzuerſtehen durch euer Gebet“. 
fihnlich ſchreibt Polukarp an die Philipper 1, 1: „Die Feſſeln find Dia- 
deme der Auserwählten“ (die Diademe waren mit Perlen gefhmückt). 
In dem unter dem Namen des hl. Athanaſios gehenden Buche über 
die Jungfräulichkeit Rap. 24 wird dieſe Tugend geprieſen: „O Jung» 
fräulichkeit, koſtbare Perle, für viele unſichtbar, nur von wenigen ge⸗ 
funden!“ hier iſt alſo das Bild noch lebendig gefühlt. Im 9. Kapitel 
werden die „Lehren Gottes“ im Anſchluß an Matth. 7,6 als „koſtbare 
Perlen“ bezeichnet, „die nur den Würdigen gegeben werden“. Die rö- 
miſche Liturgie fingt von den Jungfrauen (und Witwen): „Gleich iſt 
das Himmelreich einem Raufmann, der gute Perlen ſucht; nachdem er 
die eine koſtbare gefunden, gibt er alles hin und kauft fie”. So wird 
Margarita zu einem inhaltsreichen Frauennamen, der beſonders Mar- 
turinnen und Jungfrauen ſchmückt. Rus dem Margarites wurde im 
bateiniſchen margarita, wegen feiner Endung bald als weiblich be⸗ 
trachtet und deshalb als Frauennamen verwandt'. 

Unſere kurze Betrachtung hat uns gezeigt, wie tief der Sinn des 
namens iſt, der erſt im Chriſtentum feinen vollſten Klang erhielt: 
Margarites - Chriftus - Himmelreich Wiedergeburt - Gichtfeele - Mar: 
tyrium - Jungfräulichkeit — all das deutet ſich geheimnisvoll an in 
dem Sumbol der Perle, der Margarita. 


In den orientaliſchen biturgien wird zuweilen eine Partikel der Hhoſtie als Mar- 
garita bezeichnet; ſo z. B. bei Joh. von Tella, Quaestiones de rebus variis, ed. 
Th. J. Lamy, Diss. de Syrorum fide 70 f. 

Es wäre wichtig, das Fortleben des Bildes im Mittelalter zu verfolgen. — 
Aus fpäterer orientaliſcher Poeſte mache ich aufmerkſam auf die Hymnen des 
manikka⸗Daſagar aus dem Indien des 9. Jahrhunderts nach Chr. (herausgegeben 
von W. Schomerus, Jena 1923), der feinen Gott Schiwa auch als Perle befingt, 
3. B. 8. 23, 26, 126, 155 uſw. 


328 


Der Wandel in der Gegenwart Gottes 
und die hl. Thereſia. 


Zum Tag der heiligen, den 15. Oktober.“ 
Don P. Alois Mager (Beuron). 


W man über die religiöfe Lage unferer Zeit auch denken mag, es 
offenbart ſich doch in vielen Seelen ein unbeſchreibliches Der- 
langen nach innerem beben, nach Gottesliebe, nach Heiligkeit. Aber 
trotz ernſten Wollens und edlen Strebens will kein greifbarer Fort- 
ſchritt ſich einſtellen. Sie ſind bereit, alle Opfer zu bringen, um den 
Schatz im himmliſchen Acker zu heben; ſie werden unruhig und mutlos 
und leben ſich nach und nach in die Überzeugung ein, als wäre inner⸗ 
liches Gebet, Heiligkeit nur der Anteil einiger weniger Auserwählter. 
Es wird daher nur erwünſcht fein, einmal die große Lehrmeifterin 
des geiſtlichen Lebens, die hl. Therefia, in einer Frage zu hören, die 
nicht bloß nach ihr, ſondern nach allen Muſtikern und heiligen im 
Mittelpunkt des chriſtlichen Dollmommenheitsſtrebens ſteht, über den 
Wandel in der Gegenwart Gottes. 

Wer vom Wandel in der Gegenwart Gottes bei der hl. Thereſia 
ſprechen will, muß gleichſam ihr ganzes inneres Gebetsleben vor uns 
entfalten. Und das Gebetsleben der großen Reformatorin des kar⸗ 
meliterordens bringt vielleicht am wahrſten und tiefſten das katholiſche 
Frömmigkeitsideal der nachtridentiniſchen Reform überhaupt zur Aus» 
prägung. Es umſchließt den ganzen Reichtum und die unerſchöpfliche 
Mannigfaltigkeit katholiſchen Betens, angefangen von den unterſten 
Stufen des ſchlichten mündlichen Gebetes bis hinauf zu den letzten in 
dieſem Erdenleben überhaupt erreichbaren höhen muſtiſcher Beſchauung. 
Wir können aber die Lehre der Heiligen von Avila über den Wandel 
in der Gegenwart Gottes und über ihr innerliches Gebet erſt dann 
in ihrer vollen Bedeutung würdigen, wenn wir die Geiſtesart der 
hl. Thereſia im allgemeinen. Rennen. 

Wenn auch Gott und Göttliches ewig unveränderlich bleiben, wenn 
das Beiligkeitsideal ſomit zu allen Zeiten, im chriſtlichen Altertum, 
im Mittelalter und in der Neuzeit im Grunde dasſelbe iſt, ſo ſind 
doch die Menſchen, die das Göttliche empfangen und das heilige in 
ſich verwirklichen, der Entwicklung unterworfen. Daß eine Entwick⸗ 
lung in der Menſchheit ftattgefunden hat und fortwährend ſtattfindet, 


* Dogl. aus früheren Auffäten des Derfaffers in dieſer Zeitfchr. zur Muſtik der 
hl. Thereſia: beſ. die Jahrgänge 1919, 129 ff.; 1920 40 ff. — zum Wandel in der 
Gegenwart Gottes: Jahrgang 1921, 1 ff. und 96ff. Anm. d. Schriftl. 


329 


it wohl außer Zweifel. Wenn wir von kenntnis der Beiftesart der 
hl. Thereſia ſprechen, fo meinen wir damit, daß ihre ſeeliſche Einftel- 
lung aus der geiſtigen Entwicklungsſtufe heraus erklärt werden muß, 
auf der die Menſchheit zu ihrer Zeit ſtand. Es war die beginnende 
Neuzeit, in der die ſpaniſche Kultur mit die größte Rolle ſpielte. Wäre 
das Wort „modern“ nicht ſo abgegriffen, ſo vielſeitig erblich be⸗ 
laſtet, fo ſagten wir am einfachſten: die Seiſtesart der hl. Therefia 
iſt durch und durch modern. 

Ein Hauptmerkmal für die Eigenart der Neuzeit ift es, daß ihr 
Intereffe vor allem dem Einzelfeelenleben, der Einzelperſönlichkeit zu⸗ 
gewendet iſt. Wie ſie die Neue Welt entdeckte, ſo entdeckte ſie in 
gewiſſer hinſicht auch erſt die Eigenwertigkeit und einzigartige Würde 
der menſchlichen Perſönlichkeit. Ich enthalte mich jeden Werturteils 
über dieſe Entwicklung. Es ſoll nur eine Tatſache feſtgeſtellt ſein. 
Und dieſe Tatſache iſt von der größten Bedeutung für das Derftändnis 
der Geiſtesart der hl. Thereſia. 

Im übernatürlichen religiöfen Leben wirken immer zwei Faktoren 
zuſammen: Natur und Gnade. Unter Natur verſtehen wir hier alles, 
was in einem Geſchöpfe vorausgeſetzt wird, damit die Gnade ihre Wirk⸗ 
ſamkeit entfalten kann: geiftige Seele, beſtimmte Anlagen und Vor⸗ 
bereitungen des inneren Menſchen, vor allem freie Willensbetätigung 
und Mitwirkung des Willens. Ohne freie Willenstat wird der erwach⸗ 
ſene Menſch Gnaden weder empfangen noch bewahren, noch auch fie 
wiedergewinnen und ſteigern. Unter Gnade verſtehen wir alles, was 
von der überſtrömenden Liebe und Barmherzigkeit Gottes geſchehen 
muß, damit die in Freiheit mitwirkende Seele zur Anteilnahme am 
innerdreifaltigen beben Gottes und zur innigften Dereinigung mit den 
drei göttlichen Perſonen erhoben werden kann. Es bedarf keiner 
langen Ausführungen, daß die Gnade immer das Erfte, Anſtoßgebende, 
das unendlich über alles Befchöpfliche Erhabene iſt. Gott und Gnade 
können nie von Menſchenwillkür und Menſchenwillen abhängen. Gott 
liebt und gibt ſich hin in abſoluter Freiheit. Ewig wahr bleibt das 
Rpoftelwort: „Wir könnten Gott nicht lieben, wenn er uns nicht zuvor 
liebte.“ Damit aber iſt die Bedeutung des freien Mitwirkens des 
menſchen in keiner Weiſe geſchmälert. 

Frühere Jahrhunderte waren theologiſch fo von der göttlichen Güte 
und Gnade gefangen, daß ihnen gegenüber Natur und Seelenleben als un- 
wichtig, ja nichtig erſchien. Auch die behrbücher über das geiſtliche beben 
bringen faſt ausſchließlich ſolche theologiſche Erwägungen und Betrach⸗ 
tungen. Die Bedeutung des freien Mitwirkens des Menſchen wurde 

Bene biktiniſche Monatfchrift VI (1924) 9— 10. 21 


330 

zwar nie verkannt, vielmehr mit aller Schärfe betont; aber man dachte 
nicht daran, den feelifhen Aufbau und die pfychologifche Bedeutung 
des freien Mitwirkens in der Wirklichkeit des Einzelſeelenlebens zu 
erforſchen und all die Einzelheiten und Zuſammenhänge klar zu legen, 
die hiebei zu beachten find. Das nun iſt gerade das Kennzeichnende 
jener Frömmigkeit, die mit dem Zeitalter der hl. Therefia einſetzt, daß 
ihre Aufmerkfamkeit vor allem der Natur und dem ſeeliſchen Geben 
zugewendet ift. Die Frage nach dem Derhältnis von Natur und Gnade, 
die im Auserwählungsproblem gipfelt, ſtand als treibende ftraft im 
Mittelpunkt des Reformationszeitalters. Die Reformatoren wollten 
die Natur aus der Erdrückung durch die Gnade befreien. Sie wurden 
dabei vom Geiſt der Zeit geleitet. Die Coslöfung wurde aber fo gründ- 
lich vollzogen, daß alle Brücken zwiſchen Natur und Gnade zerbrachen. 
Das freie Mitwirken des Menſchen wurde geleugnet. Das Recht der 
Natur, nach den ihr innewohnenden, doch erbſündig belaſteten Trieben 
ſich auszuleben, wurde ausgerufen. Das war die Befreiung der Natur: 
in Wirklichkeit der Reim zur ſchlimmſten Verſklavung. 

Das Gnadenproblem beſchäftigte auch die katholiſche Theologie. Es 
war im Land und im Zeitalter der hl. Therefia, wo die Gnadenlehre 
der ktirche ihre heute noch gültige Formulierung fand. Auf der einen 
Seite war man, vom Geiſte der Seit erfaßt, auf die Natur, das Seelen- 
leben, die Einzelperfönlichkeit eingeſtellt. Man mußte dieſer Tatſache 
Rechnung tragen. Auf der anderen Seite galt es der Freilaſſung der 
Natur durch die Reformatoren eine Schranke entgegen zu ſetzen. Mit 
allem Nachdruck mußte die Freiheit des menſchlichen Willens betont 
werden. Nus dieſen beiden Erwägungen heraus wuchs die Bnaden- 
lehre des Molinis mus, der vor allem an die freie Mitwirkung des 
menſchen dachte. Der Molinismus war eine zeitgeſchichtliche Not⸗ 
wendigkeit. Damit das Gleichgewicht des Verhältniſſes zwiſchen Gnade 
und Natur ja nicht zu gunſten der Natur verſchoben würde — nach 
dieſer Richtung zog ohnedies der Zeitgeiſt — erhob ſich eine Begen- 
bewegung, die mit Eifer für das Erſtlingsrecht der Gnade gegenüber 
der Natur im Sinne der früheren Zeiten eintrat, der ſogenannte Tho- 
mismus. Beide ſcheinbar einander widerſprechenden Bnadenlehren 
hat die Kirche gelten laſſen, ein Zeichen, daß beide einen Weſensfaktor 
im Heilswerk betonen. Jede für ſich genommen wäre einſeitig und 
bliebe, wie der hl. Franz von Sales meint, nicht fern von den Grenzen 
des Irrtums. Die Vertreter des Molinismus waren die Däter der 
Seſellſchaft geſu, die Dertreter des Thomismus die Dominikaner. Be- 
merkenswert iſt, daß die Seelenführer und Beichtväter, die einen 


331 


entſcheidenden Einfluß auf das Leben der hl. Therefia ausübten, aus 
diefen beiden Orden waren. Es iſt auch bezeichnend, wie der beider- 
ſeitige Einfluß nach verſchiedenen Richtungen ſich geltend machte. Die 
Dominikaner, insbeſondere der Begründer des Thomismus, P. Banez, 
der treue Freund und Seelenratgeber der Heiligen durch lange Jahre 
hindurch, trug vor allem zur theologiſchen Klärung und Rechtfertigung 
ihres muſtiſchen Gebetslebens und zur Verteidigung ihrer Kirchlichkeit 
vor der Inquiſttion und der öffentlichen Meinung bei. Die Anleitung und 
Führung im innneren Bebetsleben bis hinauf zu den höhen der muſti⸗ 
ſchen Beſchauung empfing fie aber von Dätern der Geſellſchaft geſu. 

Es wird wohl nie gelingen, die Schriften der hl. Therefia einer 
der beiden Snadenlehren einzureihen. Inhalt und Lehren ſtehen über 
beiden. Das Leben der Heiligkeit wie es Therefia führte umſchlingt 
beide Gegenſätze in vollendeter Einheit. Was der theologiſchen Wilfen- 
ſchaft nicht gelingen wollte, löſte fie praktiſch durch ihr Leben. Eines 
iſt dabei unverkennbar, jede Seite ihrer Schriften beſtätigt es, die 
hl. Therefia war in der praktiſchen Durchführung des Beiligkeitsideals 
modern eingeſtellt. Ihr Hauptaugenmerk iſt auf die Natur, auf die 
ſeeliſchen Dorgänge im Gebetsleben gerichtet. 

Die hat ein Heiliger oder eine Heilige vor ihr die ſeeliſche Seite im 
Gnadenleben fo in die kleinſten Beſtandteile zergliedert, die Bedeutung 
des freien Mitwirkens der Seele, ihre natürlichen Hemmungen und 
Förderungen fo tief erfaßt wie Therefia. Papſt Pius X. rühmt fie in 
feinem Schreiben an den kiarmelitergeneral mit Recht als die unver⸗ 
gleichliche Meiſterin der Pſuchologie der Muſtik. Die hl. Thereſia bleibt 
der lebendige Beweis dafür, wie die Natur faſt ausſchließlich betont 
werden kann, ohne daß der Gnade irgendwie Eintrag geſchieht. Wer 
hat jemals ergreifender, mit glũhenderer Liebe, mit unbedingterer hin⸗ 
gabe Gottes Liebe, Weisheit und Majeſtät und die Wunder feiner 
Gnade beſungen als fie? Ihre eigene Lebensbefchreibung betitelt fie 
„Das Buch von den Erbarmungen Gottes“. Wenn im Credo der hei- 
ligen Meſſe, fo erzählt fie felber, das cuius regni non erit finis, „feines 
Reiches wird kein Ende fein“, erklang, da war das Innerfte ihrer Seele 
erſchüttert ob der unendlichen Herrfhermadt und alles umfaſſenden 
Oberherrlichkeit Gottes. kann fie jemals Naturaliſt fein, die einen 
ſo heroiſchen Glauben und eine ſo unergründliche Ehrfurcht für alles 
Übernatürliche, für die Gnade hatte? Bann fie Subjektiviſt und In- 
dividualift heißen, die mit einer fo reſtloſen hingabe die Gemeinſchaft 
umfing, daß ſie bereit war, für die geringſte Zeremonie der heiligen 
kirche ihr beben zu laſſen? 

21° 


332 


Und doch ift dieſe hl. Therefia in ihren Schriften faſt ausſchließlich 
im Bann der ſeeliſchen Seite des Gebetslebens. Sie ſchildert, wie die 
Seele und ihre einzelnen Fähigkeiten im Gebet und Gnadenleben ſich 
verhalten und verhalten ſollen. Sie befchreibt die qualvollen Nächte, 
die dunklen Täler, die lichten Tage und die wonnetrunkenen Höhen= 
wanderungen der Seele, die nach Gott und feiner Dereinigung ſtrebt. 
Sie kennt genau die feelifchen Hemmungen und Förderungen im Gebets⸗ 
leben. Sie durchſchaut tief den Einfluß des beiblichen, des Phuſiſchen 
und Phuſiologiſchen auf das Seelenleben. So ſchreibt fie einmal: „Die 
Veränderungen der Witterung und der Umlauf der Körperfäfte üben 
oftmals einen ſolchen Einfluß auf die Seele aus, daß fie ohne ihre 
Schuld nicht tun kann, was ſie will, ſondern auf alle Weiſe leidet; 
je mehr man zu ſolchem Zweck der Seele Gewalt antut, deſto mehr 
verſchlimmert ſich das Übel und deſto länger hält es an.“ Sie gibt 
den Rat, in ſolchen Fällen die Gebetsſtunde zu verlegen, ſich äußeren 
Beſchäftigungen und Ferſtreuungen im guten Sinn hinzugeben. Ihre 
moderne Geiſtesart zeigt ſich vor allem auch darin, daß ſie ſich nicht 
auf Lehren und Theorien ſtützt, wie 3. B. der hl. Johannes vom kreuz, 
ſondern auf Erfahrung und auf Beobachtungen, die ſie an ſich oder 
anderen gemacht hat. Ohne Erfahrung, fo wiederholt fie unzählige 
male, kann niemand die Zuſtände des inneren Gebetslebens begreifen. 
Aus dieſer Einſtellung heraus beſteht die Heilige fo ſehr auf indivi⸗ 
dueller, perſönlicher Seelenbehandlung. Immer wieder betont fie die 
Notwendigkeit perſönlicher Seelenausſprache und individueller Seelen⸗ 
führung. Wohl niemand vor ihr hat die Notwendigkeit einer Seelen⸗ 
leitung ſo nachdrücklich betont. Sie hält nicht zurück mit ſcharfer 
Britik, wenn es ſich um Unfähigkeit und Derftändnislofigkeit der 
Beichtväter handelt. Sie ſtellt hohe Anforderungen an Beichtväter 
und Seelenführer. Sie fordert von ihnen nicht ſo ſehr perſönliche 
Frömmigkeit, fo erwünſcht dieſe ihr auch iſt, ſondern wie auch der 
hl. Ignatius vor allem Gelehrfamkeit. Es berührt ganz eigenartig, 
dieſes unbedingte Dertrauen der Heiligen auf Wiſſenſchaft und Gelehr⸗ 
ſamkeit. „Ein echter Gelehrter“, ruft ſie begeiſtert aus, „hat mich noch 
nie getäuſcht.“ Es kann aber den nicht überraſchen, der die moderne 
Geiftesart der Heiligen Rennt. Sie felber hält ſich mit Vorliebe und 
faſt ausſchließlich an die großen zeitgenöſſiſchen Gelehrten aus dem 
geſuiten⸗ und Dominikanerorden. Mit ſicherem Gefühl und heiligem 
Freimut geht Thereſia von dem theologiſch richtigen Gedanken aus, 
von ſeiten Gottes könne im Gnaden- und Gebetsleben kein Fehler 
begangen werden. Gott liebt alle Seelen mit unausſprechlicher Liebe 


333 


und will, daß alle Menſchen ſelig werden. Fehler können aber auf 
Seite des Menfchen unterlaufen. Sie ſtammen meift aus Unkenntnis 
über Eigenart und Aufbau des Seelenlebens, über die Geſetze, Art und 
Deife ſich zu betätigen, über die zahlreichen phuſtkaliſchen, biolo⸗ 
giſchen und phuſtologiſchen Bedingungen des Seelenlebens, über Natur 
und Wirkungsweife des Willens uſw., überhaupt über das feelifche Der=- 
halten im allgemeinen. Aus dieſer Quelle ſtrömen die hemmungen 
und Förderungen, die dem Gnadenwirken Gottes in der Seele werden. 
bon Ausnahmefällen abgeſehen, wird dieſe Erkenntnis nicht auf dem 
Dege himmliſcher Erleuchtungen, ſondern auf dem Wege der Wilfen- 
(haft erworben. Darum die hohe Bedeutung, die die hl. Therefia der 
Wiſſenſchaft für das Geiſtliche beilegt. Noch einmal ſei es übrigens 
wiederholt: dieſe Betonung des Natürlichen, des allgemein Menſch⸗ 
lichen verkennt oder beeinträchtigt das Übernatürliche in keiner Weife. 
Das Geheimnis des geiſtigen Lebens, ſoweit es entſchleiert werden foll, 
it nicht das Geheimnis der Gnade — wer wollte dieſes jemals er⸗ 
gründen! — es iſt das Geheimnis der menſchlichen Seele. hier liegt der 
Schlüſſel verborgen zu Fortſchritt und Rückgang, zu Tod und beben, zu 
Wohl und Wehe des geiſtlichen Lebens. Dabei bleibt doch wahr, daß 
die Bnade immer das Erſte, Schöpferifch-Wirkende iſt. Däs Geheimnis 
der menſchlichen Seele iſt ein natürliches; es kann mit natürlichen 
erkenntnis mitteln enthüllt werden. Es geſchieht in der Wiſſenſchaft. 

Wenn ſcheinbar bis jetzt nur wenig die Rede vom Wandel in der 
Begenwart Gottes war, fo. konnten wir doch die bisherigen Nus⸗ 
führungen nicht umgehen, wenn wir Weſen, Sinn und Bedeutung des 
Wandels in der Gegenwart Bottes bei der hl. Therefia verſtehen 
wollen. etzt können wir ohne lange ſtörende Erklärungen und Neben⸗ 
bemerkungen in kurzen Strichen ein Bild von dieſer Übung des gei⸗ 
ſtigen Lebens entwerfen. 

Der Wandel in der Gegenwart Gottes iſt für die hl. Thereſia gleich 
bedeutend mit innerlichem Gebet. Innerliches Gebet aber ift jene Sebets⸗ 
weiſe, die in organiſcher Entfaltung und Vollendung übergeht in das 
muſtiſche Geben. 80 erhält die ehre vom Wandel in der Gegenwart 
Gottes auch bei ihr jene überragende Stellung, die fie bei allen frũ⸗ 
heren Schriftſtellern des geiſtigen Lebens einnimmt. In der Gefamt- 
ausgabe der Werke der hl. Thereſia findet ſich eine Zuſammenſtellung 
der Lehren und Ermahnungen, die die Heilige nach ihrem Tode einigen 
ihrer geiſtlichen Söhne und Töchter gab. Eine von ihnen lautet: „Be⸗ 
fleißt Euch, die Tugenden zu üben und zu erlangen, die mir während 
meines Gebens am meiſten gefallen haben, an erſter Stelle den Wandel 


834 


in der Gegenwart Gottes verbunden mit dem Bemühen, alle Werke 
in Dereinigung mit Chriftus zu vollbringen.“ Wandel in der Gegenwart 
Gottes in Dereinigung mit Chriftus, das empfiehlt fie ſomit als Gebenssiel. 
Was bedeutet nun diefer Wandel in der Gegenwart Gottes im Sinne 
der. hl. Thereſia? Warum mißt fie ihm eine fo hohe Bedeutung bei? 

Die heilige iſt tief durchdrungen von der Wahrheit unſeres Glaubens, 
daß Gott als Schöpfer und Erhalter allüberall, in allen Dingen gegen⸗ 
wärtig iſt. In einer beſonderen Weiſe ſind die drei göttlichen Perſonen 
gegenwärtig in den Seelen, die durch die Gnade teilhaben am Leben 
der heiligſten Dreifaltigkeit. Dieſe Tatſache unſeres Glaubens iſt es 
nicht allein, was Therefia und andere aſzetiſche und muſtiſche Schrift⸗ 
ſteller unter dem Wandel in der Gegenwart Gottes verſtehen. Alle 
Geſchöpfe, auch die lebloſe Natur wandeln auf dieſe Weiſe natürlich 
und alle Seelen im Stande der Gnade auch übernatürlich in der Zegen⸗ 
wart Gottes. Die hl. Therefia verſteht mehr darunter. Darüber hat 
fie ſich an verſchiedenen Stellen ihrer Schriften klar ausgeſprochen. 
In der Gegenwart Gottes wandeln heißt, daß man ſich der Tatſache 
der Allgegenwart Gottes und der Einwohnung der drei göttlichen Per⸗ 
ſonen in der begnadeten Menſchenſeele recht oft und lebhaft bewußt 
wird. Dieſes häufige, möglichſt immerwährende Denken an Gott ſoll 
unſeren Willen anregen, unſer ganzes beben nach dem Willen Gottes 
umzugeſtalten. Sittliche Umwandlung des inneren Menſchen, Ablegung 
des alten Menſchen und Antun des neuen, das Erwerben von Tugend 
und eine gewiſſe beichtigkeit, auf alle Anregungen des Geiſtes Gottes 
zu antworten, das iſt es, worauf der Wandel in der Gegenwart Gottes 
abzielt. In übernatürlicher Beziehung ſollen wir angeſpornt werden, 
uns dem Ideal zu nähern, das wir im Begriff der Heiligkeit zuſammen⸗ 
faſſen. heiligkeit ift nichts anderes als die möglichſt vollkommene 
Läuterung und Dergeiftigung unferer durch die Erbſünde geſtörten und 
in das Sinnliche verſtrickten Natur. Es iſt die innere Fertigkeit zu 
heroiſcher Tugendhandlung, ein Seelenzuſtand, der uns im denfeits 
zur Teilnahme an jener göttlichen Lebensfülle befähigt, die von den 
Theologen visio beata, „felige Anſchauung“, genannt wird. Es iſt jene 
Dergeiftigung, die in der Auferſtehung des Fleiſches ihren Höhepunkt 
erhalten wird, wo nicht bloß der Leib an den Eigenfchaften des ver- 
klärten, Gott ſchauenden Geiſtes teilhaben, ſondern der Widerſchein 
göttlicher Derklärung auch die vernunft- und leblofe Schöpfung zu 
einem neuen himmel und einer neuen Erde umgeſtalten wird. 80 wird 
der Wandel in der Gegenwart Gottes zum pſuchologiſch wirkſamſten 
mittel, das chriſtliche bebens- und heiligkeitsideal zu verwirklichen. 


335 


Werden aber durch diefe ftarke Betonung des Wandels in der Gegen⸗ 
wart Gottes die von Chriſtus eingeſetzten Sakramente und der von ihm 
geſtiftete Aultus in ihrer Bedeutung nicht zu leicht beeinträchtigt? Diefe 
Gefahr beſtand zur Zeit der hl. Therefia und führte eine gewiſſe Muſtik 
auf bedauerliche Abwege. Die heilige und ihre Lehrer vermieden dieſe 
Rlippe. Das Sakramentale und Kultiſche erſtrahlt bei ihnen in der ganzen 
Einzigartigkeit göttlicher Wirkungsweiſe. Wir kommen hier wieder auf 
einen Gedanken zurück, der oben ſchon berührt wurde. Entſprechend 
ihrer Zeit hat die hl. Therefia vor allem den ſeeliſchen Anteil, das freie 
mitwirken des Menfhen am Heilswerke im Auge. Unbeſchadet der 
überragenden Bedeutung der Sakramente bildet der Wandel in der. 
Gegenwart Gottes die eigentliche Triebkraft im Mitwirken von feiten 
des Menfchen. Das Mitwirken des Menfchen vollzieht ſich in der Be⸗ 
tätigung der geiftigen Bräfte: Derftand, Wille, Gedächtnis. Der Wille 
gibt den Rusſchlag. Denn nur in freier Willenstat vollzieht ſich die 
innere Umwandlung des Menfchen. Der Wille kann aber, wie die 
Heilige einmal treffend bemerkt, nicht tätig ſein, wenn das Erkennen 
verfagt. Der Wandel in der Gegenwart Gottes, der Gedanke an Gott 
und Göttliches ſoll den Willen veranlaſſen, nie anders zu handeln als 
dem Willen Gottes gemäß. Die Hemmungen, denen unſer Wille unter⸗ 
worfen iſt, ſind ſo groß und mannigfaltig, daß das Erkennen ſie nicht 
ohneweiteres beſeitigen kann. Sie liegen vor allem in den Strebungen 
und Neigungen des niederen Menſchen, in den verkehrten Beziehungen, 
in denen er zur Außenwelt, zu feinem Leib und zu feinem eigenen 
Ich ſteht. Der Wandel in der Gegenwart Gottes muß, ſoll der Wille 
immer freier wollen können, dieſe hemmungen überwinden helfen. 
Wie recht hat die hl. Therefia, wenn fie betont, daß der Wandel in 
der Gegenwart Gottes in der vollen inneren Losfchälung, in der beſtän⸗ 
ſtändigen Selbſtzucht, in ernſter Abtötung ſich auswirken müſſe. Der 
Wandel in der Gegenwart Gottes wird ſinnlos und wertlos, wenn er 
nicht in dieſer Richtung zielt. 

Die hl. Thereſia verſteht noch mehr inter dem Wandel in der Gegen» 
wart Gottes; er ift nicht bloß der einfache Gedanke an Bott, der uns 
zum Guten anregt. Gott iſt Beift. Er iſt allgegenwärtig; wir nehmen 
ihn aber nicht unmittelbar als gegenwärtig war. Unſere kenntnis 
von Gott iſt nur mittelbar, nämlich durch die ſichtbar geſchaffene Welt. 
Aus ihr erſchließen wir Bott. Auch unfere Glaubenserkenntnis von 
Bott baut auf dieſem mittelbaren, ſchlußfolgernden Erkennen auf. Die 
hl. Therefia ſpricht in klaren, unzweideutigen Ausdrücken, und damit 
befindet fie ſich in Übereinſtimmung mit allen großen Muſtikern, von 


336 


einem unmittelbaren, erfahrungsmäßigen Wahrnehmen der Gegenwart 
Gottes. Eine große Anzahl von Stellen ließe ih anführen, wo fie 
mit aller Beſtimmtheit davon als von einer Tatſache ſpricht. Aus der 
ſichtbaren Welt ſchließt der menſchliche Gedanke auf den unſichtbaren 
Schöpfer. Und aus dem Weſen des Schöpfers ſchließt er, daß Gott 
in allen Dingen gegenwärtig iſt und ſie ſo im Sein erhält. Am meiſten 
und innigſten gegenwärtig ift er in der geiſtigen Menſchenſeele. Durch 
die Gnade iſt Gott in einer ganz einzigartigen Weiſe in den getauften 
Seelen gegenwärtig, nämlich in der Dreiheit der Perſonen. Nach der 
hl. Therefia gibt es von dieſer natürlichen und übernatürlichen Gegen⸗ 
wart Gottes ein erfahrungsmäßiges Wahrnehmen. Wie der Tempera⸗ 
turſinn die Wärme empfindet, ſo wird Gott als Wirklichkeit wahr⸗ 
genommen. Dieſe neue Erkenntnisweiſe Gottes übt eine entſprechend 
gewaltige Macht auf den Willen aus. Die Akte der Beziehung zu 
Gott erfahren eine unvergleichliche Dertiefung. Ein neues ſtarkes beben 
bricht aus der Seele hervor. Die Dergeiftigung und Heiligung des 
inneren Menſchen ſchreitet in ganz neuer Weiſe voran. Gott wird 
als gegenwärtige Wirklichkeit gefühlt und empfunden. Die heilige 
berichtet einmal, wie ſie in Wirklichkeit wahrnahm und ſchaute, was 
ihr ein berühmter Theologe aus dem Dominikanerorden erklärte, daß 
nämlich Gott in allen Dingen durch feine Gegenwart, per praesentiam, 
durch ſeine Macht, per potentiam, und durch ſein Weſen, per essentiam, 
zugegen ſei. Ein andermal ereifert ſie ſich gegen einen Ungelehrten, 
wie fie ihn nennt, der ihr ſagte, Gott ſei bloß durch feine Gnade in der 
Seele gegenwärtig, während ihre innere Erfahrung ihn als perſönlich 
gegenwärtig wahrnahm. Es war ihr wie eine Erlöfung, als wiederum 
ein Dominikanertheologe ihr erklärte, Gott ſei in allen Dingen weſentlich 
gegenwärtig. Aus allem geht hervor, daß Therefia ein unmittelbares 
Wahrnehmen der Gegenwart Gottes kennt, nicht bloß das gewöhnliche 
ſchlußfolgernde Erkennen. Dieſes Wahrnehmen Gottes aber iſt nicht 
das Schauen der Seligen, eg kann daher der Grundlage des Glaubens 
nie entbehren. Nur iſt hier der Glaube nicht vom ſchlußfolgernden 
Denken, ſondern von der neuen Erkenntnisweiſe des unmittelbaren 
Wahrnehmens der Gegenwart Gottes getragen. Hier erſt beginnt nach 
der hl. Therefia der Wandel in der Gegenwart Gottes zur vollen Wirk⸗ 
lichkeit ſich zu entfalten. Hier erſt öffnet ſich fein tiefſter Sinn. Dieſes 
Wahrnehmen und Wandeln in der Gegenwart Gottes vollzieht ſich im 
„innerſten“, im „oberſten“ Teil der Seele, wie die heilige ſagt, dort 
wo das Beiftige, dieſe „feine Spitze der Seele“, Gott als Geiſt berührt. 
Hier iſt tatſächlich die Möglichkeit zum erfahrungsmäßigen Wahrnehmen 


337 


Gottes gegeben, von dem die Heilige mit ſolcher Beſtimmtheit ſpricht. 
hier iſt auch der Punkt, wo Wandel in der Gegenwart Gottes, inner- 
liches Gebet und muſtiſche Beſchauung ineinanderfließen. Denn Muſtik 
beginnt in dem Augenblick, wo jenes erfahrungsmäßige Wahrnehmen 
der Gegenwart Gottes einſetzt. hier hebt denn auch tatſächlich nach 
der hl. Therefia die Muſtik an. Sie ſteigert ih von einem einfachen 
Gefühl der Begenwart Gottes zu einem vorübergehenden, mit ruhe- 
voller Wonne verbundenen Schauen Gottes, das immer ſtärker werden 
kann bis zu einem bleibenden, ſchauenden Wahrnehmen der Aller- 
heiligſten Dreifaltigkeit. Das war der Seelenzuſtand der heiligen in 
ihren letzten Lebensjahren. Damit find zugleich auch die drei Stufen 
des muſtiſchen Gebetes angegeben: Das Gebet der Ruhe, das Gebet 
der Vereinigung und die geiſtige Dermählung. Es braucht kaum 
betont zu werden, daß das Gefühl und Wahrnehmen der Gegenwart 
Gottes nichts zu tun hat mit ſinnlichen Gefühlen, ſentimentalem Ahnen. 
Alles Sinnliche iſt durch das Körperliche bedingt; das Gefühl der Nähe 
Bottes aber ift rein geiſtig. | 

Vielleicht könnte man fragen: Gibt denn die hl. Therefia keine An⸗ 
weiſungen, wie der Wandel in der Gegenwart Gottes erlernt und geübt 
werden ſoll? Nichts wäre leichter, als den Wandel in der Gegenwart 
Gottes zu üben, beſtünde er in einem bloßen Denken an Gott; er iſt 
aber mehr. Er iſt ſittliche Umwandlung, Heiligung, und dieſer Um⸗ 
wandlung ſetzt die durch die Erbſünde verderbte menſchliche Natur 
große Hinderniſſe entgegen. Dieſe müſſen ſtetig, eines nach dem an- 
deren, überwunden werden. Das iſt eine langwierige, mühevolle Arbeit 
mit all den Rückſchlägen und Enttäuſchungen, wie fie in der Geſetz⸗ 
lichkeit unſeres Seelenlebens begründet find. Wandel in der Gegen⸗ 
wart Gottes bedeutet die Entfaltung des innerlichen Lebens ſelber; 
innerliches beben ift innerliches Gebet. Don der praktiſchen Seite her 
it der Wandel in der Begenwart Gottes nach der hl. Therefia das 
innerliche Gebet. Gibt es eine praktiſchere Anleitung zum Wandel 
in der Gegenwart Gottes als die Geſchichte des Bebetslebens der 
hl. Therefia ſelber? 

Was ift denn das innerliche Gebet? Es herrſchen darüber vielfach 
fo falſche Anſchauungen, daß es wiederum gut fein dürfte, hier die 
anerkannte Gehrmeifterin zu hören. Weit ift die Meinung verbreitet, 
innerliches Gebet fei jedes Gebet, das mit einer gewiſſen Andacht und 
Sammlung verrichtet wird. Nein, innerliches Gebet iſt eine beſtimmte 
Bebetsweife. Die Heilige erzählt, wie fie das innerliche Gebet noch 
nicht kannte und noch nicht übte, wie ſie es zu üben anfing und wieder 


338 


aufhörte und es von Neuem wieder aufnahm. Damit will fie aber 
nicht ſagen, daß fie das andächtige Gebet noch nicht kannte oder übte, 
es wieder unterließ und dann wieder aufnahm. Innerliches Beten heißt, 
fo fagt Therefia, ſich Chriftum unſerem Herrn in uns vergegenwärtigen, 
ihn im Innern der Seele ſuchen und finden. Innerliches Gebet, ſagt 
ſie anderswo, iſt nichts anderes als ein Freundſchaftsverkehr, bei dem 
wir uns oft im geheimen unterreden mit dem, von dem wir wiſſen, 
daß er uns liebt. Es iſt alfo die nach innen gerichtete Gebetsweiſe, 
die gleichbedeutend ift mit dem Wandel in der Gegenwart Gottes. Das 
innerliche Gebet muß ſuſtematiſch geübt werden. man muß ſich für 
eine kurze Zeit gleichſam in die Sinſamkeit zurückziehen, die äußeren 
Sinne ſchließen, um ganz in ſich geſammelt zu ſein, ungeſtört auf Gott 
oder auf eine religiöfe Wahrheit ſich konzentrieren. Die heilige gibt 
den Rat, mit der beſung eines Buches zu beginnen, um dann langſam 
zu dieſer inneren Dergegenwärtigung Gottes überzugehen. Mit ergrei⸗ 
fender Offenheit erzählt fie, wie ſchwer dieſe Übung ihrem Tempe⸗ 
rament fiel. Angſt und Traurigkeit befiel ſie, wenn ſie den Ort des 
Gebetes betrat. Sie geſteht, kein Bußwerk hätte für fie größer fein 
können, als ſich zum Gebet ſammeln zu müſſen. Einige Jahre hin⸗ 
durch, ſagt fie im gleichen FJuſammenhang, beſchäftigte ich mich da 
mehr mit dem Ende der Gebetsſtunde, die zu halten ich mir vorge⸗ 
nommen hatte und mit Horchen auf den Schlag der Uhr als mit ans 
deren guten Gedanken. Eine Hauptgefahr ſieht fie darin, daß die 
meiſten fliegen wollen, ehe Gott ihnen Flügel gibt. Geduld und Aus» 
dauer find die erſten Dorausfegungen für das innerliche Gebet. Am 
meiften warnt fie vor Mutloſigkeit und zu großem Selbſtvertrauen. 
Es iſt klar, daß die innere Umwandlung, wie ſie das innerliche Gebet 
vollziehen ſoll, mit Schwierigkeiten und Rückſchlägen verbunden if. 
Die heilige berichtet, wie fie von den achtundzwanzig Jahren, ſeit 
denen fie das innerliche Bebet übte, achtzehn Jahre in dieſem hin 
und Ber, in fortwährendem innerem Kampfe verbrachte. Sie redet 
von Juſtänden innerer Troſtloſigkeit, wo fie keine Freude an Gott, 
aber auch keine Freude an der Welt empfinden konnte. Es war eine 
volle innere Freudloſigkeit und noch in ſpäteren Jahren ſchildert fie 
uns Juſtände, von denen fie ſagt: zuweilen ift meine Seele ganz blöde. 
Ja blöde; denn ich tue da, wie mir ſcheint, weder Gutes noch Böſes, 
ſondern laufe, wie man zu ſagen pflegt, dem gemeinen haufen nach. 
Ich empfinde weder Leid noch Freude; ich bin gleichgültig gegen beben 
und Tod; es iſt mir weder wohl noch wehe; es ſcheint mir alles ge⸗ 
fühllos zu fein. Und die heilige in ihrer Einftellung auf die ſeeliſche 


339 


Seite des Bebetslebens ift ſich wohl bewußt, daß alle dieſe Schwierig» 
keiten nicht vom Snadenwirken Bottes herrühren, fondern ihre Wurzel 
in der menſchlichen Natur, in der Seele haben. Tauſenderlei Fädchen 
und Fäſerchen ungeordneter Anhänglichkeiten halten die Seele gefeſſelt. 
Immer wieder verſichert Therefia, wie Anhänglichkeit an beſtimmte 
Freund ſchaften fie im Fortſchreiten hinderte und doch brachte fie jahre⸗ 
lang den mut nicht auf, damit zu brechen. Dann erkannte ſie die 
Wurzel alles Übels; fie erfparte ihren damaligen Beichtvätern den 
Dorwurf nicht, fie hätten fie noch beftärkt in ihrer Sorgloſigkeit. Wir 
begreifen, daß Therefia ohne Unterlaß die Notwendigkeit der inneren 
bosſchälung, Abtötung, des Sich⸗Coslöſens, um ganz für Gott frei 
zu ſein, predigt. | 

hier haben wir das getreue Abbild einer Seele, die den Wandel 
in der Gegenwart Bottes, das innere Gebet übte. Therefia iſt ein 
typifches Beiſpiel. War die heilige auch eine große und für das Reli- 
göfe reich veranlagte Seele, fo trägt fie doch bis in kleinſte Einzel- 
heiten allgemein menſchliche Züge. Don haus aus war fie eine vor⸗ 
nehme, allem Gemeinen abholde, zum Heroiſchen neigende Natur. Es 
lebte von Anfang an in ihr der Zug zu Sroßem. Er war verbunden 
mit ſtolzem Selbftvertrauen und einem ausgeprägten Freiheitsdrang, 
mit der Neigung zu Ruhm und Gefallſucht. Schon frühzeitig regte 
ſich in ihr ein ſtarker Weltſinn. Er überwucherte den tiefreligiöſen 
Sinn der kindheit. Der Gedanke, ins kiloſter zu gehen, machte fie 
erſchaudern. An eine Heirat aber dachte ſie auch nicht; beides, weil 
fie ihre Freiheit nicht preisgeben wollte. Eine Nonne Maria Briceno 
im Auguftinerinnenklofter, wo fie erzogen war, wurde Anlaß zur erſten 
tiefreligiöfen Beſinnung. Die außerordentlich ftarke religiöfe Empfäng- 
lichkeit erwachte; fie vermehrte ihre Andachtsübungen. Zur völligen Ge⸗ 
neſung von einer ſchweren Krankheit begab ſie ſich zu ihrer Schweſter 
aufs band; unterwegs kehrte fie bei einem heiligmäßigem Onkel ein. 
Er bat fie, ihm aus feiner. für die damalige Zeit reichhaltigen aſze⸗ 
tiſchen Bibliothek vorzuleſen. Mit bezaubernder Offenheit geſteht fie, 
daß es gar nicht nach ihrem Geſchmack war; die beſung aber machte 
auf fie, ohne daß fie es wollte, ſchließlich doch tiefen Eindruck. In 
der Furcht vor der hölle und in der Sorge um die Rettung ihrer Seele 
reifte der Entſchluß, in ein Klofter einzutreten. Sie trat ein. Die ver⸗ 
änderte Cebensweife wirkte fo ungünftig auf ihre Geſundheit, daß fie 
zur Wiederherſtellung nach auswärts geſchickt wurde. Wieder kehrte 
fie bei ihrem Onkel ein. Er gab ihr das berühmte Abe des Franz von 
Oſuna, eine praktifche Anleitung zum innerlichen Gebet, insbeſondere 


340 


zur inneren Sammlung. Therefia madte neun Monate mit großer 
Begeifterung die Ubungen und erzielte ſolche Fortſchritte, daß vorüber- 
gehend das Gebet der Ruhe und der Vereinigung ſich einſtellte in der 
Länge von einem Ave Maria. Während der Zeit ihrer kur aber gab 
Re ſich allerlei Jerſtreuungen hin, die zwar harmlos waren, fie aber 
dem innerlichen Gebet entzogen. Die beſung der Moralia des hl. Gre= 
gor machte tiefen Eindruck auf fie. Ins Kloſter zurückgekehrt, begann 
ſie mit neuem Eifer nach Tugend zu ſtreben ohne aber die Übung 
des innerlichen Gebets wieder aufzunehmen. Dor allem hütete ſie ſich, 
von anderen Böſes zu reden. Mit großem Derlangen las fie geiſtliche 
Bücher. Don der Übung des innerlichen Gebets ließ fie ſich durch den 
Gedanken abhalten, daß ſie deſſen nicht würdig ſei. Sie fing wieder 
an, ſich allerlei, wenn auch noch fo unſchuldigen Eitelkeit und Zeit⸗ 
vertreib hinzugeben. Freundſchaftliche Beziehungen nahmen fie viel in 
Anſpruch. Sie kam zwar zur Erkenntnis der Derkehrtheit ihrer Lebens 
weiſe, aber ſie vermochte nicht damit zu brechen. Der Beichtvater ihres 
verftorbenen Daters, der Dominikaner Darron, bei dem fie beichtete, 
forderte fie wieder zur Übung des innerlichen Gebets auf. Achtzehn 
gahre waren inzwiſchen verfloſſen; ihr Eifer wurde durch große Fort- 
ſchritte belohnt. Sie brach mit ihren Eitelkeiten und Freundſchaften, 
geraden Weges ohne Unterbrechung wanderte ſie jetzt den Weg des 
inneren Gebets bis hinauf zu den höchſten Gipfeln myftifchen Lebens. 
Sie übte das innerliche Gebet, wie wir es bereits kennen. Bald trat 
die muſtiſche Gebetsweife, das Gefühl der Nähe Bottes, das Gebet der 
Ruhe und der Vereinigung ein. Diel Anregung ſchöpfte fie damals 
aus der Lefung der Bekenntniſſe des hl. Auguftinus. Der große Hero⸗ 
ismus ihrer Naturanlage kannte nur mehr das eine Ziel: Bott- 
vereinigung in vollendeter Bottesliebe. Innere Rückſchläge, 
Prüfungen und Läuterungen blieben nicht aus. Sie vermochten fie 
aber nicht mehr abzudrängen vom endgültig beſchrittenen Weg. Ob 
der Möglichkeit, alles wäre nur Täuſchung, geriet ſie in große Seelen⸗ 
ängfte. Dabei hatte fie Seelenführer, die dieſe ihre Angſte nur noch 
ſteigerten. Franz von Borgias endlich beruhigte ſie über die Echtheit 
ihrer Gebetszuftände. Der erſt fünfundzwanzig Jahre alte geſuiten⸗ 
pater Balthaſar Alvarez nahm ſich ihrer Seelenführung mit hinge ⸗ 
bender Liebe und vollem Derftändnis an. Unter feiner Leitung löſten 
ſich noch die letzten Anhänglichkeiten ihrer Seele. Neue Prüfungen 
kamen über fie. Man nötigte fie, gegen die muſtiſchen Gnaden anzu⸗ 
kämpfen. Petrus von Alkantara aus dem Franziskenerorden erlöfte 
fie aus dieſer Qual. Der innere Weg war jetzt geſichert. Sie befaß 


341 


jenen Srad von Innerlichkeit, die von Bott beftimmte Wirkfamkeit 
nach außen, die Reform des £armeliterordens zu beginnen. Dieſe 
füllt die Zeit bis zu ihrem Tode (1582) aus. 

Das wäre der Wandel in der Gegenwart Gottes, das innerliche 
Gebet in feiner praktiſchen Durchführung. Die hl. Therefia iſt Füh- 
rerin und Wegweiſerin für alle, die das heimweh nach Gott auf den 
Weg der Vollkommenheit zieht. Ihr Leben und Beten iſt felber der 
beſte Beweis für die Richtigkeit ihrer geiſtigen Einſtellung. Wenn auch 
alles im übernatürlichen Leben wirkurſächlich aus der Gnade ſtrömt, 
fo liegt doch der Grund für Hemmung und Förderung im geiſtigen 
beben in der ſeeliſchen Eigenart des Menſchen. Gott iſt die Liebe und 
feine Liebe umfängt alle Seelen, wie die Luft alle Dinge umgibt. Bei 
geftörter Atmung liegt die Störung nicht an der Luft, ſondern an den 
Atmungsorganen. So fehlt es im Gnadenleben niemals an Bott. Selbſt 
wenn Menſchen vom Sündenleben ſich plötzlich zu Bott bekehren und 
heilig werden, ſo iſt es ohne Zweifel ſicher, daß es ein Werk der 
Gnade war. Es gibt ein Geheimnis der Gnade. Aber war es bloß 
Gnade? Birgt das Seelenleben in feinen Tiefen und Abgründen nicht 
auch Geheimniffe? kann es die Gnade beeinträchtigen, wenn man 
auch von einem Geheimnis der ſeeliſchen Mitwirkung ſpricht? If die 
Seele mit ihren Fähigkeiten und Anlagen und Geſetzen nicht das herr⸗ 
liche Wunderwerk Gottes? Bing ſie nicht aus derſelben Liebe hervor, 
aus der auch alle Gnade ſtrömt? Das Geheimnis der Gnade werden 
wir nie entſchleiern, wir können es nur in Glauben erfaſſen; in die Tiefe 
der ſeeliſchen Geheimniſſe aber können wir immer tiefer eindringen. 

Es zeugt von dem gnadenerleuchteten Beift der hl. Therefia, daß 
ſie die Bedeutung des natürlichen Wiſſens für das geiſtige beben mit 
ſo ſicherem Blick erkannte. Sie ſteht jedenfalls nicht auf ſeiten derer, 
die in dem Bemühen, die ſeeliſche Brundlage des geiſtigen Lebens zu 
vertiefen, eine Gefahr für das Übernatürliche ſehen. Wir Katholiken 
fehlen nicht dadurch, daß wir etwa dieſe Seite zu ſehr betonen; aber 
wir fehlen dadurch, daß wir es immer der Wiſſenſchaft ohne Gott 
und ohne Sinn für das Übernatürliche überlaffen, die Beheimniffe der 
natur und des Seelenlebens tiefer zu erforſchen. Erſt wenn es zu 
ſpät iſt, kommen auch wir und machen Anleihen bei der allen Sinnes 
für das Übernatürliche baren Wiſſenſchaft. Dadurch leidet das Über⸗ 
natürliche unter der Berührung mit dem gottfremden Wiſſen. Die 
Scheu vor Wiſſenſchaft und Seelenforſchung muß fernbleiben von allen 
jenen, die nach Vollkommenheit ſtreben. Das lehrt uns die größte 
behrmeiſterin des innerlichen Lebens, die Gott der Neuzeit ſchenkte, 


342 


die hl. Therefia durch ihre Lehre und vor allem durch ihr Leben. 50 
verftehen wir, warum fie den Wandel in der Gegenwart Gottes als 
den Schlüſſel zum innerlichen Gebet und zu den höchſten Stufen mu⸗ 
ſtiſchen Schauens anſah. | 

nach der hl. Therefia iſt der Wandel in der Gegenwart Gottes, das 
innerliche Gebet, das muſtiſche Leben nichts Hußergewöhnliches. Es 
iſt organiſch in der Aufgabe beſchloſſen, die das Chriſtentum an den 
Menſchen und an der Menſchheit zu erfüllen hat. Angeſichts der menſch⸗ 
lichen Schwäche und Gleichgültigkeit werden es allerdings immer nur 
wenige ſein, die den heroismus zur Tat aufbringen, alle aber ſind 
berufen, wenn auch nur wenige zur Nuserwählung gelangen. Daß 
nur wenige zur Auserwählung gelangen, liegt auf ſeiten des Men⸗ 
ſchen. Die hl. Therefia gehört nicht zu jenen, die da meinen, jeder 
Chrift im Stand der heiligmachenden Gnade, der fo recht und ſchlecht 
feine religiöfen Pflichten erfüllt, ſei ein Muſtiker. Nein, nach ihr ſetzt 
das erfahrungsmäßige Wahrnehmen der Begenwart Gottes, das Mu⸗ 
ſtiſche, eine ſolche innere Umwandlung voraus, daß die Seele in einer 
ganz neuen Erkenntnisweiſe ſich betätigen Kann. Es ſetzt eine innere 
bos ſchälung voraus, die von allen Anhänglichkeiten trennt, um ſich 
Bott in allem aus reiner Liebe hingeben zu können. Das himmel⸗ 
reich leidet Sewalt. Es ift aber die ſanfte Bewalt der Gottesliebe, 
deren doch ſüß und deren Bürde leicht iſt. Folgen wir einer hl. The- 
reſia nach! Auf dem Wege des Wandels in der Gegenwart Gottes, 
des innerlichen Gebetes wird uns die erſehnte Sättigung werden. 
Suchen wir zuerſt das Reich Sottes und feine Gerechtigkeit und alles 
andere wird uns obendrein gegeben werden. Das iſt der Wandel in 
der Gegenwart Gottes nach der hl. Thereſia. 


Aufſtiege zu Gott. So ward uns dieſer innerliche Beift verliehen, der ſich von 
allen Dingen zu Gott erhebt, der bald an deſſen Güte, bald an feine Weisheit oder 
an ſeine Schönheit denkt; der bedenkt, wie fröhlich das Reich der Auserwählten ſein 
wird, wenn fo viel Lächeln des Himmels dieſe Erde verſchönert. Und von Stufe zu 
Stufe in der ſüßen Beſchauung aufſteigend, wiederholt die Seele die wunderbaren 
Worte des Thomas a Rempis: „Dor deinem Angeſicht, o mein Geliebter, mögen 
ſchweigen himmel und Erde und all ihre Pracht; denn was fie Schönes und gerr⸗ 
liches haben, ift ein Seſchenk deiner huld und Liebe und reicht nicht heran an die 
Slorie deines Namens, deſſen Weisheit unausſprechlich iſt“ (Nachf. Chr. 4, 3). 

Don einer heiligen Seele erzählt man (wie viele himmliſche Dramen erleben nicht 
dieſe Seelen !), daß fie beim Genuß einer ſüßen Frucht Tränen vergoß, indem fie an 
die zarte Aufmerkfamkeit Gottes dachte, der ihr dieſe Befriedigung verſchaffen wollte. 
O, die heilige Gegende lügt nicht! Das find erhabene, aber unleugbare Wahrheiten; 
dieſe Gefühle find bewundernswert, aber fie koſten ein vollſtändiges Opferleben, die 
gänzliche Hingabe feiner ſelbſt an Gott. c. Ferrini, Gedanken und Gebete. 


843 


Die Heiligen im Bewußtfein des Mittelalters 


und der Neuzeit. 
Gedanken zum heinrich und ftorbinian⸗ Jubiläum Juli 1924. 
Bon P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn). ö 


I 


Die beiden bauriſchen Erzdiözeſen Bamberg und München ⸗Freiſing 

haben in den Frühſommertagen des heurigen Jahres mit feſtlichem 
Bepränge ihrer heiligen Stifter gedacht: Bambergs ehrwürdiges 
Raifermünfter ftand im Feierſchmuck, um den 900 jährigen Todestag 
St. heinrichs zu begehen; und vom Freiſinger Domberg ſcholl durch 
eine geſegnete qubelwoche hindurch täglich der Klang der Korbinians⸗ 
glocke über Aitbayerns Baue hin, um an den Tag zu erinnern, da 
vor 1200 Jahren St. Korbinian aus dem beben ſchied. 

Wer die glänzenden Feſttage voll inniger Andacht und voll begei⸗ 
ſterter Freude miterleben durfte, an denen ſich Tag für Tag neue 
Taufende von Gläubigen aus Nah und Fern ablöften, um jubelnd ihrer 
großen Patrone zu gedenken; wer es ſah, daß die Rieſendome zu klein 
wurden, ja daß nicht einmal die weiten Domplätze mehr ausreichten, 
um den Maſſen Raum zu geben; und wer vollends im Gefolge ehr⸗ 
würdiger Biſchöfe und Prälaten, ſingender Kleriker und betenden Volkes 
in der Reliquienprozeſſion einherſchreiten durfte, der konnte ſich leicht 
an die glaubensfrohen hHeiligenfeſte erinnert fühlen, von denen wir in 
den Büchern des frommen Mittelalters leſen. Und doch beſteht ein 
ſehr weſentlicher Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Gedächtnisfeſt un⸗ 
ſerer Tage und der Zeit unferer Dorfahren. Wenn wir problematiſchen 
menſchen von heute, deren Frömmigkeit ſo feinnervig und grübleriſch 
it wie unſere Kultur, ſolche gahrhundertfeiern begehen, fo ſteht uns 
die Perſon des verherrlichten Heiligen ſelbſt nicht mehr in dem Sinne 
und Umfang im Mittelpunkt der vielleicht nicht weniger tiefen Feftes- 
freude wie früheren Befchledhtern; uns iſt eher die beſondere Aufgabe 
die jene heiligen Männer nach Bottes Ratſchluß im Geſamtgefüge der 
Geſchichte unſerer kirche erfüllen durften, das Beſtimmende, vielleicht 
auch die unſterblich bleibende Jdee, die fie verkörpern oder zu deren 
Dertretern wir fie machen. Das Mittelalter, dem frommer Glaube und 
katholiſches Leben noch nicht ſo ſehr wie uns Sache einer grund⸗ 
ſätzlichen Weltanſchauung war, dachte da unmittelbarer und urſprüng⸗ 
licher. Es feierte fein Beiligenfeft in rechter Rinderfreude durchaus um 
feines Heiligen willen. Jene Menſchen hatten nicht bloß den theore⸗ 
tiſchen Glauben, daß ein allmächtiger Bott Sroßes und Wunderſames 
in ſeinen auserwählten Dienern wirken könne; ihnen war ihr heiliger 
tatſächlich fo ein wunderftarker Mann Gottes. Und Bott, der in Ge⸗ 
duld fein Dolk in langſamem Wachstum heranreifen läßt zum vollen 
geiſtigen Mannesalter, hat den Jugendglauben. jener Tage ſicherlich 
geſegnet. Es war wirklich eine Zeit, in der viele Wunder geſchahen 


344 


im chriſtlichen Dolke. Das zu leugnen wäre ungeſchichtlich, hochmütige 
Freigeiſterei. Das gröbere Denken jener Menſchen brauchte das ſinn⸗ 
fällige religiöfe Erziehungsmittel des Wunders noch weit notwendiger 
als wir, an denen das ſeeliſche Erleben fo vieler Jahrhunderte nicht 
ſpurlos vorübergegangen fein ſollte. Daß wir Chriſten von heute reif 
genug wären, uns mit den Wundern der Snade zu begnügen, die 
Bott ſtündlich an unſeren Seelen wirkt! | 

Die breite Maffe des frommen mittelalterlichen Dolkes war jeden⸗ 
falls für einen Glauben an ein ſolches Wunderwirken Gottes noch 
nicht reif. Uns bedeutet heute Heiligkeit mehr einen beſonderen Grad 
des Bottähnlichwerdens eines unſerer menſchlichen Brüder oder Schwe⸗ 
ſtern, das wir ſtaunend bewundern und deſſen geheimnisvollen Ur⸗ 
ſachen wir nachzuſpüren ſuchen, um ein ähnliches Ziel in uns ſelbſt 
zu verwirklichen. Dem mittelalterlichen Menſchen dagegen war das 
Beiligfein mehr ein Ausfluß göttlicher Kraft nach außen, ein Wirken 
Gottes durch feinen bevorzugten Diener. Mittelalterliche Heiligenleben 
berichten uns darum faſt nie, wie ein Menſchenkind auf meiſt ſteilem 
Tugendweg zu ſeinem Gotte fand, wie es unter Gottes Führung und 
Fügung zum heiligen wurde, ſondern meiſt nur, wie der Liebling 
Gottes im Genuß der himmliſchen Minne erbarmend feiner weniger 
begnadeten Erdenbrüder helfend gedenkt. 8o werden die heiligen 
faſt ausnahmslos zu Wunderheiligen und das heiligenleben zu einer 
liebevoll geführten Lifte von außerordentlichen Seſchehniſſen. Ein hei⸗ 
liger, von dem feine darob beneidete Kirche nicht mannigfache Wunder: 
taten hätte berichten können, wäre jenen Seiten kaum verehrungs⸗ 
würdig erſchienen. Daß ihr Bottesmann ſchließlich auch Bein von 
ihrem Bein geweſen fei mit oft gar ſchwerem menſchlichem Leid und 
bitterem Kampf gegen menſchliche Armfeligkeit, das hätten die meiſten 
beute jener Tage nur ſchwer verſtanden. War aber das ſicher oft 
klar zu erkennende Wunder erſt einmal in aller Munde, dann wurde 
das einfache Wundergeſchehen nur zu leicht zu der vom fabulierenden 
Volke ausgeſchmückten und unbedenklich erweiterten Degende. Die 
vom Dolksbewußtfein meiſt ſowieſo nur unklar erkannte hiſtoriſche 
Perſon des Heiligen ward von ihr bald nicht mehr bloß geſchmückt und 
Röſtlich umrahmt wie die ſchönen Statuen der lieben Bottesmänner 
an den Kirchen und kiapellenwänden von duftendem Roſengewinde, 
ſondern förmlich überwuchert, ja ganz verdeckt von immer dichter 
werdendem Efeu. Bei aller Freude, die eine in unſerer Zeit liegende 
Romantik für den feinen Zauber alter Gegenden wieder allenthalben 
geweckt hat, bedauern wir doch ſolch unhiſtoriſche Frömmigkeit, weil 
durch fie uns Nachgeborenen oft unwiderbringlich die wahre Kunde 
ſelbſt von ſolchen Heiligengeſtalten verloren gegangen iſt, die als über: 
ragende Geſtalten ihrer Zeit in perſönlichſter Arbeit ein ganz eigen⸗ 
artiges Gepräge aufgedrückt haben. 

Daß die Vergangenheit in dem heiligenleben, das fie ſelber ſchuf 
und das ihr gefiel, nicht ſo faſt geſchichtliche Unterweiſung für den 
Derftand als vielmehr fromme Erbauung für das Gemüt ſuchte, darob 
können wir fie nicht anklagen. Bedauerlich ift nur, daß ſich der mitel⸗ 


8 345 
alterliche Heiligkeitsbegriff in weitem Umfang bis in eine Zeit herein 
erhielt, der der fromme Rinderglaube längſt verloren gegangen war. 
Und tief bedauerlich iſt auch, daß die katholiſche Wiſſenſchaft den 
Zeitpunkt überſah, wo man einem geiſtig reifer gewordenen Volk 
den wirklichen Zuſammenhang zwiſchen dem von der Legende über⸗ 
lieferten und dem von einer jungen hiſtoriſchen Wiſſenſchaft neu er⸗ 
arbeiteten Heiligenbild hätte zeigen ſollen. 80 war es leider eine an- 
fänglich faſt ausſchließlich in den händen rationaliſtiſcher und vielfach 
recht pietätlofer Gelehrter liegende Seſchichtsforſchung, die rauh den 
Schleier von den oft fo zarten Gebilden mittelalterlicher Legende zerrte. 
Es gab eine Jeit, wo man ſich nicht genug tun konnte im Aufdecken 
„mönchiſchen Truges“ und im Deradhten eines, ſchwarzen Aberglaubens“. 
Sie wußten mit fo lauter Entrüftung von dieſem finfteren Aberwitz zu 
ſprechen und mit ſchallendem Laden über die törichte Leichtgläubig- 
keit eines bewußt in Verdummung gehaltenen Volkes zu [potten, daß 
fie auf lange Zeit hinaus ſelbſt die katholiſche Hagiographie in einer 
ängſtlichen Befangenheit zu erhalten vermochten. Dieſe Zeit iſt ja 
heute gottlob ſo gut wie vorüber. Der ſeichte Rationalismus in der 
ſeſchichtsforſchung iſt von einer ernft arbeitenden Wiſſenſchaft ab⸗ 
gelöſt worden, die man vielleicht nicht immer chriſtentumsfreundlich, 
jedenfalls aber auch nicht bewußt chriſtentumsfeindlich nennen darf; 
und die eigentlich katholiſche Forſchung hat die bange Furcht vor den 
neuen Methoden verloren und eingeſehen, daß wirkliche geſchichtliche 
Wahrheit der Wahrheit unſerer Kirche niemals ſchaden kann. Seit⸗ 
dem iſt zwar der bloße „Wunderheilige“ aus der ernſten katholiſchen 
Geſchichtswiſſenſchaft faſt gänzlich und aus dem Volksbewußtſein in 
weitem Umfang verſchwunden, aber der echte Heilige von Fleiſch und 
Blut, der feinen von Gott beſtimmten Weg meiſt nicht ohne Kämpfe 
und Irrungen, aber immer voll heiligen Mutes und oft geſegneten 
Erfolges ſchritt, trat aus feiner nebelhaften Sun um ſo leuch⸗ 
tender hervor. 


Dem hl. Heinrich des Biſchofs Thietmar von Merſeburg und anderer, 
namentlich mönchiſcher hagiographen des Mittelalters würden wir 
kaum ein ſo feſtliches Jubiläum gefeiert haben und auch der hl. Kor- 
binian des Biſchofs Arbeo ift ein ganz anderer als der der Freiſinger 
Sedächtniswoche. 

Der kraftvolle Bayernherzog Heinrich, der 1002 mit bewunderns⸗ 
wert ftarker hand die Regierung über ein politiſch und kulturell ver⸗ 
wahrloſtes Deutſchland an ſich riß, trug zeitlebens nichts von jenem 
weltflüchtigen und wirklichkeitsfremden Heiligen auf dem Thron an 
ſich, als den ihn die Legende ſchon bald nach feinem Tode ſchildert. 
Wohl gehörte fein weites und großes Herz nicht weniger wie fein 
kluger Derftand und fein ftarker Wille völlig dem Dienſte der Kirche; 
aber er war in allen kirchlichen Fragen ein ſo nüchterner Realpolitiker 
wie kaum ein anderer Raifer. Bewiß hat heinrich gerade in einer 
ſtarken kirchlichen Macht die hauptſtütze feiner herrſchaft geſehen und 
in folgerichtiger Anwendung diefes Grundſatzes mit königlicher Frei⸗ 

Beneblktiniſche Monatfchrift VI (1924), 9— 10. 22 


— 


346 


gebigkeit Bistümer und &löfter gefördert, ja neu geſchaffen; aber feine 
Kirchlichkeit ging nie fo weit, daß er jemals die Zügel eines ſehr 
ſtrammen Rirdyenregimentes aus der hand gegeben hätte. heinrich 
verfügte unbedingt über Biſchofsſtühle. Er beförderte ganz nach freier, 
freilich vom tiefſten Glauben geleiteter Wahl den ihm geeigneten Mann 
zum Biſchofsamt. Ohne Bedenken konnte er in den Beſtand eines 
Kloſters eingreifen und über jedes ktirchenvermögen verfügen zu 
Zwecken, die ihm fein Gewilfen als gut erklärte. Für einen „Heiligen“ 
von fo nüchterner Sachlichkeit hatte das 11. Jahrhundert kein Der- 
ſtändnis. Es iſt ſehr bemerkenswert, wie der zielbewußte Ratholifche 
könig im Dolksbewußtfein gar bald zum Wunderheiligen der Legende 
wurde. Aus den erſten Quellen kann man noch vor allem die dank⸗ 
bare Freude an dem gütigen Freund der Armen und Bedrängten und 
den bewundernden Stolz auf den freigebigen königlichen Gönner der 
kirche heraushören. Bald ſchon genügte dieſe Art von Frömmigkeit, 
die fo prunklos und kernig den beliebten Kaiſer ſchmückte, dem ver⸗ 
ehrenden DolR nicht mehr. Ein fo kirchlich geſinnter Mann mußte 
doch gewiß mehr als gewöhnlich begnadet ſein! Es läßt ſich an der 
Hand der ſchriftlichen Denkmäler noch ſehr gut verfolgen, wie ſich 
die fruchtbare Legende in ſtets wachſendem Maße um die Geftalt 
Heinrichs rankte, zumal einige Umſtände gerade feines Lebens, wie 
3. B. feine mit keiner Nachkommenſchaft geſegnete Ehe und feine ſtän⸗ 
dige Kränklichkeit, zur begendenbildung förmlich heraus forderten. 
5. Günter hat an den bekannteſten Heinrichslegenden überzeugend 
gezeigt, wie um den ktönig langſam jenes Blütengeranke wuchs, das 
bis zur mitte des 12. gahrhunderts die klare Geſtalt des ſtarken 
deutſchen Herrfchers bis zur Unkenntlichkeit verdeckte. Heinrich iſt nicht 
mehr der kriegeriſche Raifer der Befchichte, deſſen Regierungszeit mit 
wechſelvollen Ariegsfahrten ausgefüllt war wie die nur weniger an= 
derer Fürften. Er iſt auch nicht mehr der ftarke Lenker der deutſchen 
Kirchengeſchichte, der mit größter Selbſtändigkeit, wenn auch aus tief⸗ 
ſter katholiſcher Derantwortlichkeit heraus, die Kirchenpolitik feiner 
Zeit leitete. heinrich wird immer mehr zum bloßen Wunderheiligen 
und dies bis zu einem Grade, daß der geſchichtliche hl. Heinrich II. 
dem Andenken der Nachwelt förmlich in einem unerfreulichen Jerr⸗ 
bild überliefert wurde. Dieſer Heinrich der Legende — in dem deutſchen 
Beinrihslied Ebernands von Erfurt ift er dann erſt recht ſeit dem 
13. Jahrhundert volkstümlich geworden — verführte. felbft ernſt zu 
nehmende Biftoriker, in unſerem Hönig einen ſchwachſinnigen, un⸗ 
felbftändigen Frömmling auf dem kiaiſerthron zu ſehen, der von einer 
mehr oder minder huſteriſchen Semahlin ſchlimm beraten das Reichs- 
gut an eine ihn ſkrupellos beherrſchende, habſüchtige Kirche ver⸗ 
ſchwendete, und der ſich den frommen Übungen ſeiner unmännlichen 
Andacht nur ungern entzog, um widerwillig die ihm läftigen Gefchäfte 
ſeines Amtes zu beſorgen. Wir können es wirklich nur begrüßen, 


1 Raifer Heinrich II. der Heilige. Köſelſche Sammlung illuſtrierter Heiligenleben. 
1904 4. Kap. 


347 


daß eine fachlich arbeitende Geſchichtsforſchung uns wieder den wahren 
hl. Heinrich zurückgeſchenkt hat. Dieſen Heinrich II. haben wir auch 
in den Feſttagen des heurigen Juli gefeiert. Und er wurde uns ſogar 
noch mehr als bloß der zielbewußte, fromme Gründer der Bamberger 
Diözeſe, wir erkannten darüber hinaus in unſerem heinrich den heute 
mehr als je notwendigen Typus des katholiſchen Staatenlenkers über- 
haupt. Weil er, nicht obwohl er mit Bewußtſein ein ausgeſprochen 
kat holiſcher Hherrſcher war, hat er fo große Erfolge im Reiche gehabt. 
Freilich war es ein anderes katholiſches Rönigtum als das Schwärmer⸗ 
tum der letzten Oitonen oder als das ſtarr⸗fanatiſche Chriſtentum 
manches ſpaniſchen Königs. Der echte kiatholizismus, der Gott über 
alles liebt und zugleich an der Welt ſich freut, der bei aller gern er⸗ 
tragenen Jucht und Grenze eine gnadenhafte Leichtigkeit und heiterkeit 
genießt, belebte Heinrichs Denken vollſtändig und beherrſchte lenkend 
und führend, norm⸗ und formgebend auch fein politiſches Wirken. 


Um das Bild des hiſtoriſchen hl. Korbinian zu zeichnen, ſtehen uns 
nicht wie beim deutſchen Raifer Heinrich unſchätzbare Profanquellen 
zur Verfügung. Was ſich über den Heiligen der Freiſinger Jubiläums- 
woche beſtimmt ausfagen läßt, muß aus der kiorbiniansvita des Bi⸗ 
ſchofs Arbeo geſchöpft werden. Entſprechend dem geſchilderten Cha⸗ 
rakter dieſer mittelalterlichen Heiligenleben iſt die herausſchälung des 
lebendigen Heiligen ſchwierig und in vielen Punkten von dem ſubjek⸗ 
tiven Urteil der einzelnen Forſcher abhängig. Die korbiniansvita gehört 
allerdings erfreulicherweiſe zu denen, die den Heiligen nicht gar zu ſehr 
hinter unperſönlichen oder un verhältnismäßig breit ausgeſponnenen 
Gegenden verſchwinden laſſen. Daher haben die ſeit Riezler! und 
Arufch? einſetzenden mannigfachen Unterſuchungen in Einzelfragen 
zwar ein reichlich buntes Bild verſchiedener Anſichten gezeitigt; aber 
immerhin iſt man ſich heute über die hauptrichtung feines Charakters 
und vor allem über ſeine Beziehungen zu Freiſing ziemlich einig ge⸗ 
worden. Es kann wohl nicht mehr bezweifelt werden, daß der hl. Kor- 
binian nie gern in Freiſing lebte, ja daß er gewiſſermaßen ſein mög⸗ 
lichſtes getan hat, um nicht der Patron dieſer Stadt und Diözeſe zu 
werden. Daß der Bauernherzog Grimoald ſchon politiſch ein großes 
Intereſſe daran hatte, ſeiner nicht gerade unbedeutenden Reſidenz in 
Freiſing durch die Derbindung mit einem Biſchofsſitz einen großen ide⸗ 
ellen Machtzuwachs zu verſchaffen, iſt begreiflich. Begreiflich iſt aber 
auch, daß ein fo ausgeprägter Charakter wie der fränkiſche Biſchof 
Rorbinian die ungeſtüme Art, mit der ihn der Herzog an Freiſing ketten 
wollte, zum wenigſten ſehr ſonderbar fand. Korbinian iſt 722 faſt wie 
ein Gefangener in Freiſing eingezogen. Arbeo läßt keinen Zweifel da⸗ 
rüber, daß Korbinian darum auch Freiſing nie anders denn als vor- 
übergehenden Aufenthalt betrachtete. Seine ganze Liebe galt dem 


8. Riezler, Arbeos Vita Corbiniani in der urſprünglichen Faſſung. Abh. d. k. 
b. Akad. d. W. III. CI. XVIII. Bö. I. Abt. Seite 219— 274 (München 1888). 
* B. &rufd, Vita Corbiniani. (Mon. Germ. SS. Rer. Merow. VI. 497 — 635) 


22° 


348 


tiroliſchen Hains (Cainina) bei Mais, wo er in einer ihm zuſagenden 
Gegend die feit lang erſehnte Ruhe in einem klöſterlichen Derband zu 
finden hoffte. Rains blieb feine eigentliche heimat, auch als er auf 
einige Zeit nach Freiſing überfiedelte. Dieſe Stätte baute er wirt: 
ſchaftlich mit Unterſtützung des Bayernherzogs aus. Bieher zog er ſich 
ſofort zurück, als er in Freiſing in bedenklichen Streit mit der her⸗ 
zogin Piltrudis geriet; hier, nicht in Freiſing, wollte er auch begraben 
ſein, und er traf alle möglichen Vorbereitungen für eine ungehinderte 
Überführung feiner Leiche nach Tirol, falls ihn der Tod in Freiſing 
überraſchen ſollte. Don einer Organiſation der Diözeſe Freiſing durch 
£orbinian kann wohl keine Rede fein. Die gelegentliche Ausübung 
prieſterlicher und biſchöflicher Funktionen kann man ſo wenig als amt⸗ 
liche handlungen eines Diözeſanbiſchofes bezeichnen, wie die Marien⸗ 
kirche in Freiſing als feine Kathedrale; und das Benediktinerklofter 
auf dem Domberg hat Korbinian wohl ebenſowenig erbaut wie die 
Benediktuskirche dortſelbſt. Der eigentliche Begründer und Organifator 
der Diözeſe iſt nicht er, ſondern erſt der hl. Bonifatius. Arbeo, der 
kaum ein Menſchenalter nach Korbinians Tod feine Dita ſchrieb und 
dem die hiſtoriſchen Dorgänge der Freiſinger Diözeſangründung noch 
in perſönlicher Erinnerung fein mußten, läßt denn auch den Bifchof 
Korbinian vor dem heiligen, der im Leben und nach dem Tod fo viele 
Wunder wirken konnte, durchaus zurücktreten. Man lieſt aus jeder 
Zeile feines Werkes die frohe Freude des mittelalterlichen Menſchen 
heraus, daß feit der durch ihn bewerkftelligten Übertragung der hei: 
ligen Gebeine die Freiſinger Domkirche in den Beſitz der ihr nach feiner 
Anſicht mit Recht zugehörigen Reliquien des heiligen Wundermannes 
geraten war. Dieſem heiligen ktorbinan galt die heurige Jubelwoche 
nicht. Es ſtand auch tatſächlich nicht fo faſt feine Derehrung im Mittel⸗ 
punkt aller kirchlichen Deranftaltungen als vielmehr die allſeitige 
Herausarbeitung der großen Idee, zu deren Träger ihn die Tradition 
gemacht hat. Er war der erfte Biſchof, der längere Zeit in Freiftug 
geweilt hatte: Korbinian gilt uns in unferer Diözeſe als Derkörperung 
der kirchlichen Hierarchie, letzten Endes der Rirche ſelbſt. Don den ſech⸗ 
zehn Feſtanſprachen im Programm der Jubelwoche behandelte nicht 
eine ausſchließlich die Perſon des heiligen, der doch der Feier ſeinen 
namen lieh. Wohl aber hatten fie faſt ausſchließlich die Idee der 
Kirche zum Thema. Das war auch der tiefere Grund, warum hier das 
Rorbiniansjubiläum fo gut wie dort das heinrichsjubiläum 
zu einem wirklich bedeutſamen religiöfen Ereignis für die beteiligten 
beiden bayrifhen Erzdiözeſen wurde. 

Dort in Bamberg ſchwang die Jdee mit, daß der Begriff eines katho⸗ 
liſchen Chriſten wohl vereinbar iſt mit dem des Staatsmannes und 
guten Bürgers. hier in München⸗Freiſing leuchtete — in einer Zeit und 
Diözeſe, die nach ſolch freudiger Kundgebung doppelt verlangte — zu⸗ 
gleich die ganze Liebe und Derehrung auf, die für unſere Kirche und 
die von Bott beſtellten Hirten in unſeren Herzen lebt. 


& K 


349 


die hl. Erentrudis. 
erſte Äbtiffin der Frauenabtei Uonnberg zu Salzburg. 
Don D. Maria Raphaela Schlichtner (Nonnberg). 


Dreierlei mag Berechtigung geben zu nachfolgendem kurzen Gebensbild: Unter 
den deutſchen Nonnenklöſtern des Benediktinerordens iſt das Liebfrauenklofter am 
Nonnberg zu Salzburg eines der älteften und zugleich eines der wenigen, die auf 
einen 1300-jährigen ununterbrochenen Fortbeſtand zurückblicken können. — Zudem 
feiert heuer die Abtei am 4. September, dem Tage der Translatio S. Erentrudis ein 
Jubelfeſt. 300 Jahre find es her, daß von Erzbiſchof Paris bodron die Gebeine der 
heiligen haus ⸗ und Pandes mutter unter großen Feierlichkeiten aus der Niſche der 
frypta erhoben und in koſtbarem Schreine beigeſetzt wurden; 600 Jahre vorher 
ſchon hatte Erzbifhof Hartwik am ſelben Tage die heiligen Uberreſte zum erſtenmal 
dem Felſengrab entnommen und in die Krupta des neuerbauteu biebfrauenmünſters, 
der ſogenannten Heinrichsbaſilika (weil von heinrich IL dem heiligen erbaut), über ⸗ 
tragen. — Ein dritter Grund ift die Errichtung eines neuen Alofters St. Erentrud 
zu Rellenried bei Weingarten in Württemberg, dem jüngſten Reis am alten jung⸗ 
friſchen Stamm der Nunburg. So ſei das Bild der heiligen gezeichnet, ſchlicht und 
einfach wie die alten Miniaturen: auf dem Soldögrund der Geſchichte in den unver⸗ 
blaßten Farben liebgewonnener Traditionen, wie fie von Geſchlecht zu Geſchlecht in 
den hausannalen von Honnberg ſich vererbten. 


er „Münich in der Cell“ Caeſarius mit Namen, achtundzwanzig 
gahre Kaplan und kiuſtos (Sakriſtan) auf Nunburg ſchrieb von 
1309 — 1320 das Leben feiner „gottfeligen frawen Erendrudis“. Samt 
den Wundern, die die Hälfte der Schrift einnehmen, ſind es nur acht⸗ 
zehn mittelgroße Pergamentblätter; wenige Anhaltspunkte, aber doch 
genug, um die Größe eines Frauenlebens ahnen zu laſſen, das zwar 
ganz in Stille und Derborgenheit dahinfloß, aber wahre Charakter- 
ſtärke und echt apoſtoliſchen Geiſt offenbart. 
es mag befremden, daß erſt aus fo fpäter Zeit die »vita« sanctae 
Erentrudis ſtammt. Doch iſt einerfeits zu vermuten, daß bei den 
großen Bränden, die mehrmals das Kloſter heimſuchten, mit den mei⸗ 
ſten Urkunden und Schätzen aus der älteſten Epoche auch alte Diten 
zugrunde gingen. Anderſeits ift das Leben der hl. Erentraud fo eng 
mit dem des hl. Rupert verflochten, daß man es in frühen Zeiten, 
wo man Zahlen und Buchſtaben faſt noch mehr als heute Gold und 
Silber ſparte, für überflüffig hielt, eine eigene bebensbeſchreibung zu 
verfaſſen. Daher ſind wir ſchon betreffs der Zeitangabe nicht im kla⸗ 
ren. Die viel umſtrittene „Rupertusfrage“ wird ſich wohl nie reſtlos 
löſen laſſen, und fo müſſen Schlüffe und Dermutungen ergänzen, was 
an hiſtoriſchen Belegen fehlt. Die älteften Nachrichten find enthalten 
in den Breves notitiae vom Jahre 791 oder 798, der notitia (auch indi- 
culus, congestum) Arnonis vom Jahre 788 - 790, der Vita S. Hrod- 
berti authentica aus der erſten hälfte oder Mitte des neunten gahr⸗ 
hunderts, der Vita S. Ruperti primigenia um 873 verfaßt und anderen 


350 


mehr, abgeſehen von den fpäteren!. Danach beftehen zwei Richtungen: 
die ſogenannte St. Peter- oder Salzburger Tradition ſetzt das Auftreten 
des hl. Rupert in Norikum ſchon mit dem Jahre 585 an (unter Child- 
bert I.) und den Tod der hl. Erentrudis um 630. Neuere Forſchung 
nimmt feit Dallefius und Mabillon erſt die Wende des ſiebten und 
achten Jahrhunderts an, zirka 696 - 718 (unter Chilöbert III.). Beide 
Annahmen hatten bedeutende Namen auf ihrer Seite. Die gelehrte For. 
ſchung neigt jetzt zwar mehr der zweiten zu; unſere Haustradition als 
ſolche hält wie die St. Peters an der älteren Zeitangabe feſt. 

„Wie ein reichprangender Fruchtbaum“, ſagt einleitend Caeſarius, 
„ward Broudbert (Rupert) von Gott gepflanzt; tiefwurzelnd brei⸗ 
tete er fein Beäfte weit über die Trümmer und Abgründe heidniſchen 
Irwahnes.“ Herzog Theodo aus dem baueriſchen Regentenhaus der 
Agilulfinger war durch Bemühen feiner frommen Gemahlin Regindrud 
vom hl. Rupertus im Chriſtentum geftärkt (nach einigen „getauft“ 
worden. Zum Dank dafür ließ der Bayernfürft dem ſeelendurſtigen, 
eifervollen Wanderbiſchof volle Freiheit, neue Gebiete für Chriſti Froh⸗ 
botſchaft zu gewinnen, Klöſter und kirchen und Zellen zu errichten. 
So zog denn Hrouöbert mit einigen Genoſſen, darunter die hll. Sislar 
und Chuniald von ſeinem Biſchofſitze Worms, von wo er durch Feinde 
vertrieben ward, füdwärts gen Norikum, die römiſche Albenprovinz. 
Er kam, dem Lauf der Salzaha (jetzt Salzach, von den kielten Igonta, 
von den Römern lvara genannt) folgend zu der ſchon im erſten chriſt⸗ 
lichen Jahrhundert in Hochblüte ſtehenden römiſchen Munizipalſtadt 
Juvavum oder Juvavia. Freilich jetzt, im ſechſten Jahrhundert, war 
die glänzende Römerſtadt von ihrer höhe herabgeſunken. Statt reicher 
Kaufleute von Denedig und Ravenna, die ſonſt ihre Waren nach dem 
germanifchen Norden brachten, zogen zur Zeit der Dölkerwanderung 
wilde Horden ſengend und brennend ihre Straßen. Ihre Marmortempel 
und Paläſte waren zerfallen, und um geborſtene Säulen blühte der 
Efeu. Auch das Chriſtentum, von römiſchen Soldaten hieher verpflanzt, 
ging zu Grabe; das heidentum kroch aus allen lüften wieder hervor. 
Und doch! Ruperts Blick blieb wie gebannt entzückt an diefer Stätte 
haften. Sein herz jubelte: haec requies mea! „Bier ift meines Blei⸗ 
bens Ort!“ Wie geſchaffen ſchien dem Gottesmann jedenfalls die Sicher⸗ 
heit der ganzen Cage: eingebettet zwiſchen zwei Bergen — jetzt Mönchs⸗ 
und kiapuzinerberg —, deren Steilwände faſt ſenkrecht zur Salzach 
abfallen; ſo umſtehen ſie wie zwei mächtige Torpylonen das enge 
Becken, in dem die Stadt gefriedet liegt und gewähren doch freien 
Ausblick in die herrliche Umgebung, die wie ein kleines Paradies ſich 
ringsum breitet. Don Weſten dehnt der Blick ſich weit in die baue⸗ 

Die Giteratur findet ſich zuſammengeſtellt in: P. Karner, O. Ciſt., Austria sancta. 


Die Heiligen und Seligen Salzburgs (Stud. u. Mitteil. aus der ktirchengeſch. Sem. der 
theol. Fakultät Wien, Heft 12) Wien 1913 8. 46 ff. 


351 


riſche Ebene, und weichwogend verſchwimmen am horizont feine 
Linien ineinander. Südwärts umrahmen die ſtolzragenden Tauern⸗ 
gipfel mit ihren ſcharfen Felſenzinken und gletſcherweißen Scheiteln 
das weite waldgrüne Tal und löſen ſich gen Oſten in ſanft ſchwellende 
Hügelketten auf, mittendurch ſchimmert grünblau das Band der Jgonta. 

Dicht an der Mönchsbergwand baute Rupertus feine Zelle. Warum 
am Bergesfuß gen Norden? Wohl aus Pietät; denn der Boden war 
heiliges Land, durch Marturerblut getränkt und fo zur Wiege neuen 
Lebens geweiht. Hoch an der fteilen Wand ſieht man noch jetzt in 
Fels gehauen kirchlein und Zelle des hl. Maximus, der hier mit 
feinen Senoſſen um 430, beim Überfall der Beruler den Tod erlitt. 
8o war St. Rupert dieſe Stätte doppelt teuer. Und geſchützt war fie 
auch; denn droben auf der höhe des Berges ſtand noch ſtolz und un⸗ 
gebrochen die Salzburg, das Römerkaſtell und drunten ein maſſiger 
quaderngebauter Wachturm als bug ins⸗Cand und als Hüter des 
nebenſtehenden Castrum superius, dem Rupert eine ganz eigene Be⸗ 
ſtimmung zugedacht hatte. 

Der Slaubensbote ſah ein, daß feine Kraft allein einem ſo großen 
Arbeitsfeld nicht genügen könne. Darum brach er nochmals auf. Er 
zog feiner Heimat zu, um ſich Mitarbeiter zu holen und vor allem — 
ein forgendes Mutterherz für die vielen Armen, kranken und Rinder; 
eine Frauenhand, die nach dem Geſetze der Ergänzung in ftiller klein- 
arbeit des Mannes großzügiges Schaffen unterſtützen und vollenden 
ſollte. „Seine Nichte, die gottgeweihte Jungfrau Erendrud holte er 
von ihrem Eigenſitz und Heimatland zu ſich“, ſagt kurz Caefarius. 

Erendrud, fränkiſch Arindrud, aus dem ſich ſpäter die verſchie⸗ 
denen Schreibweiſen entwickelten als Erindrud, heute Erentrud, Ehren⸗ 
trud oder Ehrentraud, war gleich ihrem Oheim fränkiſchen Geſchlechtes 
und wohl dem Merowinger⸗Hönigshauſe ſtammverwandt. Sie hatte 
auch ähnliche Gebensfhickungen wie er erfahren. „Anfänglich verwaltete 
die hl. Jungfrau das Amt einer Hbtiſſin im Frankenland und leitete 
die ihr untergebenen Nonnen mit aller Milde und Weisheit“, cum omni 
suavitate et sapientia. Sie war, wie Caeſarius weiterfährt, beſonders 
bemüht um Eintracht und Einmütigkeit und kannte weder Lift noch 
Trug noch Geiz. 

Aber der Feind alles Zuten ſäte Unkraut unter den Weizen, erzeugte 
böſe Zwietracht, ſodaß Bosheit, Ungerechtigkeit und Hader die Ober- 
hand gewannen: praevaluit iniquitas. Ein langer, bitterer Leidens- 
weg mag in dieſen Zeilen angedeutet liegen. Erendrudis wußte zu 
ſchweigen. „Demut iſt der Mut der heiligen.“ 

nun war ihre Erlöfungsftunde gekommen. Wie frohgemut mochte 
die Hbtiſſin der neuen Heimat, den neuen Zielen entgegenſehen, als die 
Fähr flußaufwärts rudernd, fi) quvavum näherte. Wie freudig über- 
raſcht war fie, als Rupert fie und ihre Genoffinnen den Berg hinan 


352 


zum ſichern Felſenneſtlein, dem Castrum superius, geleitete, allwo die 
Turteltaube in Frieden niſten ſollte. 

Das altehrwürdige Derbrüderungsbuch der Abtei St. Peter, vom 
heiligen Abt⸗Biſchof Virgil (745— 789) angelegt, weiſt nach dem erſten 
namen Arindrud eine Reihe ebenfalls fränkiſcher Namen auf, in denen 
wir wohl nichts anderes als Arindruds Begleiterinnen ſehen können. 
Es find u. a. Baerlind, Hiltrud, Coteslin, Meginhilt, Hraitun, Teotrat 
und einige hiftorifhe Seſtalten, wie Waldrada, Herzog Theodoalds 
junge Waiſe; Cotani, Herzog Taffilos Töchterlein, das, nachdem ihr 
Vater feit der Abdankung hinter Kloſtermauern verſchwand, denfelben 
Weg einſchlug; Rodrud endlich, die unglückliche Gattin Karl Martells, die 
von ihrem rauhen Gemahl verftoßen unter Arindruds Arummftab nach 
heißem Ringen des herzens Ruh und Frieden fand. So die Traditionen. 

Es mag ein kleiner, aber trauter Kreis gleichgeſinnter, ſeelenverwand⸗ 
ter herzen gewefen fein, denen Arindrud nun Mutter, Führerin und 
Vorbild ward und wo ſich die Benediktinerloſung zur Tat geſtaltete: 
Ora et labora! Ob Erentrudis ſchon die Benediktinerregel befolgte? 
Manche Forſcher bezweifeln es, mit der ſpäteren Zeitannahme wäre 
es leicht vereinbar, mit der früheren aber Raum. Immerhin, ſelbſt 
wenn fie vielleicht wie die hl. Radegund und ſoviele andere die Regel 
des hl. Caeſarius von Arles beobachtete, ſo war ſie jedenfalls dem 
Beilte nach dem heiligen Dater Benedikt innig verwandt. Die beiden 
Pole ihres Lebens ſtehen uns klar vor Augen; Rindespietät hat fie von 
Jahrhundert zu Jahrhundert unverrückt überliefert, fortgeerbt weil 
fortgeübt. Es find: Gotteslob und Nächſtenliebe. Beinen Zug hebt 
der Lebensbefchreiber fo ſcharf hervor wie dieſe beiden. „Die weile 
Jungfrau wußte ſich zu laben an dem Buch der Hl. Schriften; da ſaß 
fie mit Maria zu den Füßen des Mleifters und hörte fein Wort in 
heiliger Beſchauung. Nach außen aber ging fie gleich Martha auf 
in dem Dienſt der Armen“. Caefarius führt dieſe Liebesdienfte weiter 
aus: Sie wuſch den Armen die Füße und diente den kranken. Kinder 
und Breſthafte reinigte fie mit eigener Band, gleich einer emſigen Biene 
unterließ fie nichts, womit fie ihrem Bräutigam und König in feinen 
Gliedern dienen konnte. 80 ward Arindrud nicht nur ihren Töchtern, 
ſondern weithin für Stadt und Land all den ſchlichten Bergbewohnern, 
kielten, Franken oder Romanen Mutter, Helferin und Lehrerin. 

Im ſtillumfriedeten Kreuzgärtlein, dem Pferzer, ſproßten Heilkräuter; 
Obſt und Bodenkultur nicht minder wie Nähen, Spinnen, Weben lehr⸗ 
ten fromme Nonnenhände die umwohnenden Frauen. Noch mehr: die 
Mägdlein lernten auch die vom Frankenlande mitgebrachten Bücher 
entziffern, lernten ſelber auf feinem Pergament zierlich ſchreiben und 
leuchtende Initialen und Bildchen malen und auf weiche Seide für 
des Botteshaufes Zier köſtliche Stickereien zaubern. Don morgens 
früh bis abends ſpät, ja ſelbſt in ſtiller Nacht ertönte vom St. Martins» 


. 353 


kirchlein her das helle Gotteslob, der frohe Pfalmengefang weit hinaus 
ſegentauend über Berge, Schluchten, Täler, hinein in gotthungrige, dunkle 
menſchenherzen wegweiſend, Glaube vermittelnd, Friede, Glück. 

Auch äußerlich ward die Gründung ſichergeſtellt durch Herzog Theo⸗ 
dos Freigebigkeit — d. h. noch mehr durch feine Gemahlin Regindrud. 
Dieſe ſchenkte den Nonnen das Gebiet von Tillmanning, 43 Manſen 
famt Eigenleuten (Holden), dazu weite Gebiete Norikums mit Jagd- 
und Fiſchrecht, Wald und Almen, ſowie die Salzpfannen von Reichen- 
hall, die der „Salzburg“ nicht nur Name gaben, ſondern Unterhalt und 
Anſehen. Das ganze Mittelalter hindurch verſah Salzburg ganz Bauern 
mit Salz — aber dem Kloſter erwuchſen damit, freilich ſpäter, auch 
manche Schwierigkeiten. Regindrud, die edle Fürſtin trat nach dem 
Tode ihres Bemahls als einfache Nonne ein und fand in der Arypta 
ihre Srabftätte — jetzt leider nur mehr kenotaph. 

So konnte Arindrud ruhig ihrem heimgang entgegenſehen. Was 
fie begonnen, das Gotteswerk es wuchs und blühte, ſtill verborgen 
aber ſtetig. Ob ihr Seherblick ahnend hinausſchauen durfte in ferne 
Zeiten? Ob fie die vielbewegten Schickſale der Nunburg im Geiſte ſah? 
Diel Schweres, viel Leid und Sorgen, Wandlungen und Stürme, Heim- 
ſuchungen mit Peſt und ktrieg und allem Ungemach, Brände, Hungers⸗ 
nöte! Das alles zog vorbei; es hat die Nunburg arg bedroht, doch 
auf Fels gegründet hielt fie allem ſtand und hält dieſelben Ziele, 
denſelben Geiſt in feinen Mauern feſt wie einſt. Ob das nicht Arin» 
druds Gebet den ſpäten Rindern wohl erwirkt hat? 

Tauſende haben nach ihr, der erſten, ſich geheiligt an dieſer Stätte. 
Die ehrwürdigen, altersgrauen Mauern, was könnten fie erzählen von 
ſtillem Heldentum! geder Raum in dem vielwinkligen, mittelalterlichen 
Bau hat feine Geſchichte, ja jeder Stein! „Die frommen Frauen ver- 
laſſen nie das Stift“, fagt irgendwo einmal Hermann Bahr, „wozu 
denn auch? Es enthält Salzburg ganz“. 

Ja, die Geſchichte Nonnbergs, äußerlich betrachtet, iſt in der Tat die 
Zeſchichte des Hochſtiftes Salzburgs, und die reichbewegten Schickſale 
des erzbiſchöflichen Fürftentums warfen ihre Wogen hinein ins ſtille 
Heiligtum. Da gäbe es vieles zu berichten. Doch für diesmal möge 
nur St. Erentrudis Bild wieder neu aufleben im deutſchen UDolk und 
unſerem heiligen Orden, dem fie nicht wenige Abteien ſchenkte. Nonn⸗ 
berg ward Pflanzſtätte der meiſten Klöſter Süddeutſchlands. Möge ſich 
erfüllen, was täglich vor ihrem Schreine ihre ſpäten Töchter beten: 
O Erentrudis, Christi virgo, nos ovile tuum peculiare et omnem 
plebem fidelium Domino semper commenda! — O Erentrudis, qung- 
frau Chriſti, uns, die Schäflein deiner herde und das ganze Volk der 
Gläubigen empfiehl dem Herrn allezeit! 


3 „ „ 


354 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 


Die Myftik des hl. Bernhard von Clairvaux. 


J. feinem „Oehrbuch der hiſtoriſchen Methode“ (Leipzig, 4. Aufl. 1903 8. 723 ff.) 
erklärt E. Bernheim als wichtigſte Aufgabe der hiſtoriſchen Darſtellungskunſt 
die „Konzentration oder Verdichtung“, d. h. die „Umwandlung einer größeren Menge 
von Dorftellungsreihen in wenige, kürzere Dorftellungsreihen, und zwar ſo, daß die 
weſentlichen Inhalte jener Menge doch gewahrt bleiben,“ und die Bildung von „Ver · 
tretungen“, d. h. von „Einzelvorſtellungen, die mehrere Vorſtellungen oder ganze 
Dorftellungsmaffen in ſich einſchließen, ohne jene mehreren ausdrücklich einzeln 
wiederzugeben“. Es iſt von vornherein klar, daß es da keine kleine Geiftung vor⸗ 
ſtellt, das umfangreiche Schrifttum eines hl. Bernhard von Clairvaug zu, ver- 
dichten“ und in „Dertretungsbegriffe” zu faſſen. Für das beben des heiligen hat 
dies wohl Dacandard (Geben des hl. B. v. Cl., deutſch Mainz 1897 f.) im Ganzen 
unübertrefflich geleiſtet. Nun hat ein Schüler Grabmanns, Robert Pin hardt ein 
gleiches für das theologiſche Suſtem des Rirchenvaters gewagt. Schon das Wagnis 
ſcheint uns eine eingehende Würdigung feines Buches: „Die Myftik des hl. Bern⸗ 
hard von Clairvaux“ (Verlag Natur und Aultur, München 1923, 247 8. in kl. 8°) 
nahezulegen, nicht weniger aber deſſen ſchönes Gelingen. 

Ein ähnliches hatte ſchon 9. Ries 1907 unternommen; diefer aber verzweifelte 
daran, feine „Dertretungsbegriffe” aus bernhardiniſchen Gedankenreihen ſelbſt ge⸗ 
winnen zu können und begnügte ſich damit, fie „an der ſtrengen Suſtematik der 
ſpäteren Theologie zu orientieren.“ (Ries, „Das geiſtliche Geben in feinen Entwick⸗ 
lungsſtufen nach der Lehren des hl. Bernhard“, Freiburg 1907, 8. 6.) Joh. Schuck 
aber analyfiert „Das religiöfe Erlebnis beim hl. Bernhard von Clairvaux“ (Würzb. 
1922), alſo die ſeeliſchen Wege feiner Gotteserfahrung, ſchlankweg an den Schemata 
der modernen amerikaniſchen Religionspſuchologie. In ſeiner Beſprechung des vor⸗ 
liegenden Buches (Git. Beilage der Augsburger Poſtzeitung 1924, Ur. 10) ſcheint ſelbſt 
P. Alois Nager der Gefahr nicht ganz entgangen zu fein, fein Intereſſe an der 
Muyftik des heiligen darauf zu beſchränken, wieweit dieſe feiner anderweitig, aus 
ſpäteren Autoren gewonnen Seſamtauffaſſung von Muſtik entgegenkommt. Das 
Butler ſche Buch „Western Musticism“ (London 1922) ſucht und hat feine Stärke 
in der Aufzeigung großer Entwicklungslinien und weniger in der Einzelegegefe. Die 
ſtrengſte Bäumker- Grabmannſche Schule hingegen würde gerade auf die peinlichſte 
quellenanalutiſche Ableitung des einzelnen dringen. Methodiſche Grundfragen dieſer 
Art werden ja bei der Behandlung eines jeden mittelalterlichen Autors aufſtehen; 
kaum einer aber dürfte fo ſehr der Verdichtungsarbeit widerſtreben als Bernhard, 
deſſen Werke faſt durchwegs Gelegenheitsſchriften ausgeſprochen aphoriſtiſcher For⸗ 
mung find. Linharöt ſcheint nun den rechten Weg zur Auffindung des doch zweifel⸗ 
los zugrundeliegenden theologiſchen Bedankenfyftems zu gehen. Mit außerordent- 
licher Kenntnis feines Autors läßt er zunächſt dieſen ſelbſt, ſoviel als nur irgend 
möglich, zum beſer ſprechen, ſodaß ſich fein Buch ſtreckenweiſe wie ein Moſaik aus 
Bernhardſtellen lieſt, ähnlich wie etwa des heiligen Reden und Abhandlungen ihrer- 
feits ein Moſaik von Schriftzitaten bilden. Wer Ginhardts Arbeit kennt, ſoll damit 
Bernhard felber im weſentlichen kennen gelernt haben. Mit dem wiſſenſchaftlich 
wie künſtleriſch gleich berechtigten Hilfsmittel einer weitmaſchigen, allgemein theolo- 
giſchen Topik ordnet er ſodann die Maſſe des Stoffes. 

So kommt er zur Unterſcheidung zweier verſchiedener Ströme, „in denen Bern- 
hards Muſtik dem Ieere der Gottheit zueilt.“ Der eine iſt der mehr intellektuell 
geartete, aus auguſtiniſch - areopagitiſchen Quellen geſpeiſte, der Gottes muſtik: der 
andere, ihm ureigen, mehr affektiv⸗voluntariſtiſch, iſt der die monaſtiſche Aſzeſe fort · 
ſetzende und krönende, ſchließlich die Seſtalt des Sottmenſchen unverwandt umkrei- 


355 


ſende der Chriftusmyftik. Im erften Teil, die Sottesmuſtik überſchrieben, bringt Gin- 
hardt die Lehre des heiligen über die entwicklung des religiödſen Erkennens, des 
niederen, allgemeinchriſtlichen ſowohl, wie des höheren, kontemplativen. In ſeiner 
Auffaſſung des Formalen in beiden Erkenntnisſphären zeigt ſich Bernhard durchaus 
der Tradition verhaftet. Im zweiten Teil wird das gefamte Gehrgebäude inhaltlich, 
gegliedert in einen anthropologiſchen, kos mologiſchen und theologiſchen Bedankenktreis, 
betrachtet. Aus dem Ganzen wird als eigentlich bernhardiniſche Schöpfung die Chriftns- 
muſtik herausgelöſt, in der das übermächtige Bild geſu Chriſti und die muſtiſche 
Veranlagung der Menſchenſeele durch die Bottebenbildlichkeit, geweckt durch die Sal- 
bung des BI. Geiftes, zuſammenwirken, um in drei Stufen von der Bekehrung, über 
die Schulung in Betrachtung und Nachfolge des Lebens Chriſti hinaufzuführen zur 
krönenden Giebeseinigung mit dem bräutlichen „Worte“. Voraus geht bei Linhardt 
eine kurze Einführung in das beben und die perſönliche Art des heiligen, den Schluß 
ſeines Werkes bildet ein knapper Bericht über die Rolle der bernhardiniſchen Muſtik 
in der Seſchichte der Theologie und Frömmigkeit. Man ſieht, die Architektonik des 
Buches iſt mit feiner Scheu vor Vergewaltigung des Materials und mit einem ge⸗ 
wiſſen künſtleriſchen Takt durchgeführt. Auf dieſe Weiſe ſcheint der Verfaſſer ein 
Doppeltes erreicht zu haben: Der Peſer fteht erſtens nicht vor einer lockeren Folge 
von [pinöfen Einzelunterſuchungen, ſondern hat ein klares, dabei unmittelbar herz ⸗ 
bewegendes Befamtbild. Das Buch wirkt daher im beſten Sinne als Erbauungsbuch 
und ift auch dem Seelforger ſofort dienlich, wie es das Dorwort wünſcht. Der Pre⸗ 
diger 3. B., der ad patres gehen will, wird hier vom jüngſten Kirchenvater (novis- 
simus patrum) in reichſtem maße angeregt werden. Schade, daß viele Zitate un- 
über ſetzt blieben, und fo der Geferkreis mehr oder weniger auf Theologen beſchränkt 
bleiben wird. Zu einem allgemein verſtändlichen Erbauungsbud von der wiſſen ; 
ſchaftlichen Bediegenheit des „Beiftlihen Lebens” von Denifle wäre von hier aus kein 
weiter Schritt zu tun. Die Sprache des Werkes iſt nämlich von einem für gelehrte 
beiſtungen ungewöhnlichen, ſtellenweiſe eben noch angängigen Schwung; fie erhebt 
ſich zu ſchönem Pathos, wobei die Freude am Wortklang zuzeiten zu Wortgeklingel 
verleitet, was aber der Eleganz des tupiſchen Frühfranzoſen Bernhard ſelber nicht 
ganz unangemeſſen iſt. Der zweite Vorteil der vom Autor gewählten Behandlungs- 
weiſe iſt der, in etwa allen Teilgeſichtspunkten gerecht werden zu können, die in den 
oben genannten Spezialarbeiten einſeitig Beachtung fanden. 

Es ift zweifellos den nachhaltigen hinweiſen P. A. Magers beſonders zu verdanken, 
wenn heute kaum mehr verſucht werden kann, anders als aus den Selbftbekennt- 
niſſen der Myftiker eine Theorie der Myftik zu gewinnen. Aus Bernhard ergibt 
ſich nun nach der vorliegenden Unterſuchung, daß er eine gewiſſe Freiſtändigkeit der 
muſtiſchen Begnadung gegenüber jeder Art menſchlicher Vorbereitung lehrt, ähnlich 
wie fie ſchon der übernatürliche Slaubensakt gegenüber einer natürlichen Glaubens- 
begründung beſitzt. Sehr glücklich ſcheint uns dieſe Beobachtung auf 8. 168 gefaßt: 

„So hätte denn jeder Menfh in ſich die Difpofition und Möglichkeit zur Muſtik. 
Die Ausführung dieſer Difpofition, die Überführung der Möglichkeit in die Wirk- 
lichkeit aber ſteht nicht in feiner, ſondern in Gottes hand“. Der Derfaffer bedauert 
angeſichts der bernhardiniſchen Forderung einer ethiſch⸗religiöſen Diſponierung durch 
Aſzeſe, daß deffen theologiſch Klare Antwort nicht auch pfuchologiſch ausgebaut ift, 
„ſonſt könnte fie uns manche moderne Debatte zu dieſer Frage erſetzen“ (8. 169). 
Befonders dankenswert ift ferner der Hinweis, die chriſtliche Ruſtik ſei nicht „ego- 
iſtiſch“, „weil die muſtiſche Sottesliebe ohne weiteres zur leidenſchaftlichen Sorge wird 
für Alles, was Gottes iſt“, was ſich in einem apoſtoliſchen Zug und ſtarkem Ver⸗ 
kündigungsörang zeigt bei aller keuſchen Scheu des unbegreiflich Begnadeten, und 
fie ſei ebenſowenig „quietiſtiſch“, ſodaß „der weltabgeſchiedene Myftiker zum einfluß- 
reichſten Mann jener Tage wird, der dem Jahrhundert den Namen gibt“ (S. 10). 
Nicht in den ſtarren Begriffen des wiſſenſchaftlich intereffierten Syftematikers, ſon⸗ 
dern in der blühenden Bilderpracht von „Liedern eines Liebenden” hat der heilige 


356 


nach Ausweis der vorliegenden Studie zu rein allen Fragen der muſtiſchen Erlebnis ⸗ 
und Erkenntniswelt ſeinen nicht immer originellen, aber ſtets bezeichnenden, in der 
Folge ſtets als magiſtral gewerteten Beitrag geliefert. In der Zweiteilung: Betrach⸗ 
tung und Beſchauung, fieht Linhardt eine bedeutſame Teuaufftellung Bernhards. 
Daß er fi des Grenzwertes der Terminologie des Heiligen dabei nüchtern genug 
bewußt bleibt, zeigt Anmerkung 3 der 8. 75 gegen Ries. 

Wenn auch dem Autor die Individualſtudie“ mehr am herzen liegt als die „quellen- 
analutiſche Unterſuchung“ (8. 6), fo find doch die hiſtoriſchen Bedingtheiten der 
bernhardiniſchen Muſtik in den weſentlichen Zügen ausreichend dargeſtellt und belegt. 
In einem wichtigen Punkte aber bleiben Wünſche unerfüllt. Da die Schrifen Bern · 
hards faſt durchwegs gebieteriſchen Berufspflichten und Zeitbedürfniffen ihre Ent 
ſtehung verdanken, hätte der geſamten Umwelt, der Pebensweiſe, den einzelnen 
Wirkens phaſen mehr Aufmerkfamkeit geſchenkt werden müſſen. Wir denken da vor 
allem an die Tatſache, daß die meiſten opuscula fi an einen ausſchließlich geiſt⸗ 
lichen, näherhin mönchiſchen Leferkreis wenden (was ja auch beiſpielsweiſe bei der 
„Nachfolge Chriſti“ zu wenig beachtet wird). Wenn es nun auch nach Butler (a. a. 0. 
8. 190) keine eigentümlich benediktiniſche, ſondern nur eine allgemein „weſtländiſche“ 
Mmuſtik gibt, fo erklären fi) doch viele Einzellehren Bernhards einfach als Über⸗ 
nahme oder Fortführung von Gedanken des Ordens vaters Benediktus, die auch von 
den Aöͤreſſaten der Reden, Abhandlungen und Briefe nur als ſolche verſtanden wer- 
den ſollten. Ohne dieſe einfache Beobachtung iſt manches bei Bernhard entweder gar 
nicht, oder nicht in feinem gefättigten Sinn zu verſtehen. Schon der grundlegende 
Begriff der »conversio- iſt zunächſt nicht im religionspſuchologiſchen Sinn zu faſſen, 
ſondern als Eintritt in den Mönchsſtand und als mönchiſche bebensführung überhaupt. 
Biezu hätten die Arbeiten von Rothenhäusler und herwegen in den „Beiträgen 
zur Geſchichte des alten Möndtums und des Benediktinerordens“, Heft 3, (Münſter 
1912) verglichen werden müſſen. Die Auffaffung der »discretio« als mater vir- 
tutum«, die Aufftellung von Stufen der Demut, die für die eigentlich muſtiſche Stufen ⸗ 
lehre nicht belanglos find, die Betonung des Wertes der Däter- und Schriftlektüre, 
der Beobachtung der Faſtenzeit und vieles andere ſind benediktiniſches Erbgut aus 
der Regel. Huch die etwas ſchroff tupiſterende Behauptung, die eigentliche Chriftus- 
muſtik ſei originale Peiſtung Bernhards, dürfte ſich angeſichts der immer wieder 
kehrenden Hinweiſe der heiligen Regel auf die Vorbildlichkeit der menſchlichen Perſon 
Jeſu (vgl. nur Rap. 4, „Chriftus überhaupt nichts vorziehen !“) weniger anfechtbar 
als eine befonders energiſche Derfchiebung des Tones, der Klangfarbe gegenüber der 
übergeiftigen Art des Pfeudo-Dionyfius faſſen laſſen. Gelegentlich (8. 159) befindet 
ſich der Autor diesbezüglich auf der rechten Fährte; St. Bernhards Originalität if 
auch hierin gewiß mehr eine Tat des herzens als des Derftandes. In dieſer und 
in der herrlichen Einformung durch alle Mittel der Sprachkunſt ſehen wir faſt aus- 
ſchließlich die „Originalität“ des Heiligen. Der wiſſenſchaftliche Eifer, Neues zu bringen 
lag ihm ja völlig fern. Gerne ſähen wir auch häufigere Rückweiſe auf bibliſche 
Quellen, die Gehalt und Form feiner Werke auf ganze Strecken hin beftimmen, 
und auf Anklänge an die ihm wohlvertrauten Texte der Piturgie. Freilich werden 
auch dann noch die ganz unfaßbaren und unbelegbaren Einflüffe der Tradition die 
erfaßten überwiegen. Hingegen ſcheint es ziemlich belanglos, noch mehr wortgenaue 
Jeugniſſe für feine Abhängigkeit von früheren oder zeitgenöſſiſchen Autoren zu bringen, 
weil der heilige dieſe mehr als „geiſtliche Lefung” im Sinne der Regel betrachtete, 
denn als Unterlage für theologiſche Forſchung, ſodaß ihm ſelbſt an kritiſchem Zitieren 
nichts liegen konnte. Mit dem Verfaſſer find wir der (auf S8. 34 ausgeſprochenen) 
Anſicht, daß dogmengeſchichtliches Intereſſe Bernhard fremd war, wie er auch keinerlei 
Berſtändnis für dialektiſche Behandlung der Glaubensgegenſtände aufbrachte. Die 
Quellennachweiſe (auf 8. 22) ſcheinen uns vollauf genügend. 

dum Inhaltlichen möchten wir noch das Bedauern äußern, daß der muſtiſchen 
Begründung der Kirche kein Augenmerk geſchenkt wurde, und daß der „Marien ; 


357 


muſtik“, fowie der Heiligenverehrung gar nicht gedacht wurde. Es iſt zwar 
darüber die Arbeit des Zifterzienfers B. häns ler „Die Marienlehre des hl. Bern - 
hard, Abtes und Kirchenlehrers” (Regensburg 1917) vorhanden. Doch hätte gegen · 
über den durch heiler leider wieder ſehr beliebt gewordenen Mißdeutungen der Marien- 
minne des Mittelalters nicht durch Schweigen, ſondern durch klare Belege darauf 
hingewieſen werden ſollen, daß ſelbſt das Andachtsverhältnis diefes glühendſten 
Marienverehrers zur Gottesmutter nur in analogem Sinn ein muſtiſches genannt 
werden kann. In dem Kapitel über die Nachwirkungen der bernhardiniſchen Myftik 
hätte die im proteſtantiſchen Pietismus eine Erwähnung verdient, welche uns Paul 
Gerhardts „O haupt voll Blut und Wunden“ ſchenkte, ſowie diejenige in der bilden- 
den Aunft, die ikonographiſch ſehr viel Intereſſantes bietet, worüber erft Kürzlich 
Prinz Johann Georg von Sachſen in einem Vortrag berichtete. Dann und wann 
drängen ſich dei den Aphoriftikern Franz von Sales und Pascal nicht nur formelle 
Anklänge auf. Die ſchöne Stelle in ep. 11, 4: „Die Liebe iſt das ewige Geſetz, Schöp- 
ferin und Penkerin des Univerſums“, ſcheint für den grandioſen Schlußvers der Dante- 
[hen „Göttlichen Komödie“ vorbildlich geweſen zu fein. 

beider ift der Druck nicht frei von ſtörenden Fehlern; korrigiert muß 3. B. wer- 
den auf 8. 40: »sientire< in »scientiae:, auf S. 55: O felix saeculum« in »O felix 
osculum«. Auch den Wunſch nach einem Namenregiſter fügen wir hier an, nicht 
nur, weil es ſo Rezenſentenbrauch iſt. 

Wenn wir nun unſere Wünſche ſo ausführlich dargelegt haben, möge dies nur 
als Zeichen des felbftverftändlidy regen Intereſſes gewertet werden, das eine’ Bene- 
diktinerzeitſchrift an dem Werke nimmt. Gegen feine erfreulich hohen Qualitäten 
ſprechen fie ja alle nicht und kommen gegenüber der Fülle des ſachlichen Inhaltes 
kaum auf. Wiſſenſchaftlicher Klärung, ſeelſorglicher Derwertung und innerfter Er⸗ 
bauung dient es gleichermaßen in ſeltenem Grade. Wie der Derfaffer augenſcheinlich 
ſelbſt durch die liebevolle Hingabe an den ktirchenvater von deſſen edler Seelenart 
mitgeformt wurde, wird fein Buch den empfänglichen Peſer nicht nur einen hauch 
bernhardiniſchen Beiftes verfpüren laſſen. Ein wiſſenſchaftliches Buch, das nicht bloß 
geſcheiter, ſondern auch beſſer macht, verdient um deſſentwillen eigens gerühmt zu 
werden, ſcholaſtiſch geſprochen: Mag einer sapientia von sapere oder von sapor 
herleiten, in jedem Sinn wird er durch dieſes liebenswürdige Buch weiſer werden. 

P. hugo Pang (St. Bonifaz- München). 


Dom 27. Euchariſtiſchen Kongreß zu Amſterdam. 


| ännerapoftolat, Sonntagsheiligung, Deutfchenfeelforge in Holland, häufige hei⸗ 
lige Rommunion, Winfrieöbund, darauf bezogen ſich heuer die Beſchlüſſe der 
Deutſchen Sektion. „In einer Zeit, in der die Sonntagsentheiligung erſchreckend zu⸗ 
nimmt“, betont fie „mit allem Nachdruck die Notwendigkeit der Sonntagsheiligung 
in unſerem Volke. Da die treue und andächtige Beiwohnnng der heiligen Meſſe der 
Mittelpunkt wahrer Sonntagsfeier iſt, muß fie von allen tatholiken als erſte und 
heiligſte Pflicht angeſehen und befolgt werden. Insbeſondere iſt dazu notwendig, die 
Kinder rechtzeitig in das tiefere Derftändnis der heiligen Meſſe einzuführen, den 
Erwachſenen die Giturgie der Sonn» und Feiertage durch ausführliche Erklärung 
und durch das Benützen der liturgiſchen Bücher näherzubringen.“ Weiterhin gelte: Erſt 
gewiſſenhafte Erfüllung der 8onntagspflicht, dann Spiel und Sport! — Sie wünſcht ferner, 
„daß die Worte des erſten Papſtes (1 Petrus 2, 9) an alle Chriftgläubigen: ‚Ihr ſeid ein 
auserwähltes Geſchlecht, ein königliches Prieſtertum“, dadurch zur Tat werden, daß 
alle Chriſtgläubigen, namentlich aber jene, die vor Bott durch höhere Bildung und 
höheren Stand auch höhere Verantwortung haben, ſich auszeichnen durch ein gutes 
euchariſtiſches Beiſpiel, durch ihr Sicheingliedern in das kirchliche Geben, beſonders durch 
Zicheinordnen in die Einrichtungen und Deranftaltungen der eigenen Pfarrgemeinde.“ 


& * 


358 


Bücherſchau 


Hagiographie 


Jum 1200. jährigen Jubiläum des hl. Kor- 
binian, erſten Biſchofs von Freiſing, ſind 
an Gaben erſchienen: 
Wiſſenſchaftliche Feſtgabe zum zwölf. 
hundertjährigen Jubiläum des heiligen 
forbinian. Berausg. von Dr. Joſeph 
Schlecht, Hochſchulprof. in Freifing. gr. 8°. 
(XVI u. 5518. Mit 29 Tafeln, 61 Textab- 
bildung. u. 1 Karte). München 1924, Graph. 
Runftanft. A. huber. Geb. in beinw. M. 30.— 
Das Leben des heiligen Korbinian, 
dem Biſchof Arbeo von Freiſing (770) nach⸗ 
erzählt von Balth. Arnold, Prieſter der 
Erzdiözefe Münden-Freifing. (152 8. und 
5 Dolfbilder). Freiſing 1924, Datterer & Cie. 
Broſch. M. 2.—; Ganzl. M. 3.— 
Die Corbinianslegende nach der hand. 
ſchrift des kloſters Weihenſtephan vom 
Jahre 1475. Hrsg v. Dr. Joſ. Schlecht. 8° 
(XVIII u. 72 8.) Ebö. 1924. Broſch. M. 3.— 
Dorzugsausg. M.75.—; in Peder M. 100.— 
Abele, Eugen, Der Dom zu Freifing. 
Ein Führer durch feine Monumente und 
Runſtſchätze nebſt Abriß der Baugeſchichte. 
2. Aufl. (127 8. mit 1 Farbendruck und 
49 Abbildungen im Text). Ebend. 1924. 
Broſch. M. 2.—; geb. M. 3.50 

1. Man hat beim Berannahen des Ror⸗ 
binianjubiläums wiederholt den Bedanken 
erwogen, ob nicht die Feſtgabe von 1724, 
die bahnbrechende Historia Frisingensis 
des Benediktbeurer Mönches P. karl Mei- 
chelbeck, in der Form einer den neu⸗ 
zeitlichen Forderungen entſprechenden „Se⸗ 
ſchichte der Erzöiözefe München⸗Freiſing“ 
eine Neuausgabe erleben könne Man 
mußte aber dieſen Plan von vornherein 
aufgeben, weil für eine halbwegs erfchöp- 
fende Geſchichte einer 1200 Jahre alten 
Diözeſe von der kulturellen Bedeutung 
Freiſings noch ſo ziemlich alle Vorarbeiten 
fehlen. So gab denn Profeſſor J. Schlecht, 
der Hiſtoriker des Freifinger Klerikalſemi⸗ 
nars, unter ſtützt von 26 Forſchern, zum 
Teil ſeinen Schülern, ihrer Mehrzahl nach 
Prieſtern der Erzöiözefe, eine andere Feft- 
ſchrift heraus, die nach dem Wunſche des 
Herrn Kardinals und Erzbiſchofs auch als 


ein literariſches Denkmal kommenden Ge- 
ſchlechtern verkünden ſollte, wie man ſich 
trotz der ſchwerſten Not der Nachkriegszeit 
der alten Traditionen würdig zu machen 
ſuchte. Was nun wirklich in den zahl» 
reichen, mehr oder minder langen und 
naturgemäß auch nicht gleichwertigen Auf- 
ſätzen der Feſtſchrift geboten worden iſt, 
nennt ihr Herausgeber in ſeinem Vorwort 
ſelber „nur Stichproben aus Freiſings 1200 
jähriger Kulturgeſchichte“, auf die im ein- 
zelnen einzugehen nicht im Rahmen dieſer 
Buchanzeige liegen kann. Im Mittelpunkt 
dieſer Studien ſteht die Perſon des hl. Kor; 
binian: es find aber auch in diefen Arbeiten 
brauchbare Bauſteine für die noch dunkle 
Urgeſchichte der Freifinger Diözefe und der 
frühbauriſchen Rirche überhaupt geboten 
und zwar umſo feltenere und wertvollere, 
weil vor allem die geiſtesgeſchichtlichen Mo 
mente betont werden, z. B. Grundlagen der 
kirchlichen Organiſation, frühbauriſches 
Miffionswefen, Ordens ⸗ und Weltklerus, 
Bibliotheksgeſchichte, Mufikpflege und got⸗ 
tesdienſtliches beben und dergleichen. Was 
weiterhin über die oft Jo bewegte Diözefan- 
geſchichte des Mittelalters und der Ueuzeit 
geboten wird 3. B. Otto der Große, Biſchof 
Otto II., die Wittelsbacher Prinzen auf dem 
FreiſingerBiſchofsſtuhl, der weltliche Grund · 
befig des Hochſtiftes, die Bartholomäer in 
der Erzdiözefe, Säkularifation und an⸗ 
deres trägt noch weniger als die die Ur- 
geſchichte behandelnden Auffäge den Cha⸗ 
rakter des innerlich Juſammenhängenden 
und weckt bei der Tleuartigkeit der Auf- 
ſchlüſſe nur umſomehr das Verlangen nach 
einer umfaſſenden Geſchichte unſerer Diö- 
zeſe. Könnten nicht vielleicht enger zu⸗ 
ſammengeſchloſſene Semeinſchaften von 
wiſſenſchaftlich Arbeitenden darangehen. 
die notwendigen Einzelvorarbeiten für 
dieſe Diözeſangeſchichte zu ſchaffen, etwa 
die kirchenhiſtoriſchen Seminare der Uni⸗ 
verfität München und des Gyzeums in 
Freiſing und auch die erſt ſeit zwei Jahren 
wieder zuſammengetretene Academia Be- 
nedictina der baueriſchen Benediktiner - 
kongregation? Ein Meichelbeck würde ſich 
dann wohl finden, der das ſo bereitgeſtellte 


Material zu dem in allen Teilen wohl⸗ 
gefügten Geſamtbau verarbeitete. 

2. B. Arnold fand bei der Abfaſſung 
feines Korbinianslebens ähnliche litera⸗ 
riſche Derhältniffe vor wie etwa Abt Ber- 
wegen bei feinem Buch über den hl. Bene» 
dikt oder bau bei feiner Geſchichte des 
hl. Kolumban. Bei dem legendären Cha⸗ 
rakter dieſer mittelalterlichen Diten müſſen 
Arbeiten über ſolche Heilige immer etwas 
Subjektives an ſich haben; ſie zwingen 
aber erfreulicherweiſe den Biftoriker ganz 
von ſelber, ihrem heiligen durch weitge⸗ 
hende Einbeziehung in die zeitgenöſſiſche 
Drofan- und tirchengeſchichte einigermaßen 
individuelles Geben zu geben. Vorteilhaft 
für Arnold war, daß die Rorbinianvita 
des Biſchofs Arbeo viel perſönlicher ge⸗ 
halten ift als die meiſten anderen Heiligen 
leben jener Tage; nachteilig, daß Korbinian 
bei weitem nicht in dem Maße ſeiner Zeit 
den Stempel ſeiner Größe oder ſeiner Ideen 
aufgedrückt hat wie ein hl. Benedikt oder 
ein hl. Kolumban und daß dem Zwecke 
des Schriftchens nach gerade der heilige 
Biſchof der Wunderlegende und der erſte 
der Diözeſe zu ſchildern war. Wie vielerlei 
Ronflikts möglichkeiten aber gerade in die- 
ſem doppelten Iwang gelegen find, das 
wußte der Verfaſſer ſelber nur zu gut. Auf 
manche hiſtoriſche Fragen, die er im Rah⸗ 
men ſeines volkstümlichen Büchleins nicht 
erörtern konnte, kam er darum eigens in 
der wiſſenſchaftlichen Feſtgabe (8. 61 ff.) 
zu ſprechen. Trotz aller Schwierigkeiten iſt 
aber ein Buch entſtanden, das im weſent⸗ 
lichen gewiß ein geſchichtlich treues Bild 
des Heiligen entwirft, und das ſich ebenfo 
fern hält von allzu feiner Kritik wie von 
allzu weitgehenden Zugeſtändniſſen an die 
Dolkstümlichkeit. — Uneingeſchränkte An- 
erkennung verdient der Verlag dafür, daß 
er zum Jubeljahr die Ausgabe eines mit fo 
Ihönen Bildern geſchmückten und äußerft 
gediegen gedruckten und gebundenen Bu; 
ches ermöglichte. 

3. J. Schlecht, deſſen unermüdlichem 
Eifer vor allem die umfangreiche äußerft 
wertvolle „wiſſenſchaftliche Feſtgabe“ zu 
verdanken ift, wollte auch perſönlich eine 
literariſche Spende zur Feiert darbringen. 
Da lebte zu Ausgang des 15. Jahrhunderts 
in Freiſing ein frommer, durch feine Runſt⸗ 
fertigkeit noch heute bekannter Boldfchmied, 


389 


Mleifter Sixt Schmalermel; da er des Gefens, 
Schreibens und Malens wohl Rundig war, 
legte er ſich aus verſchiedenen Quellen eine 
große Legende der lieben Heiligen an, die er 
ſelbſt mit frommen Jeichnungen ſchmückte. 
Bei ſeinem Tod hinterließ er das von ihm 
hochgeſchätzte Werk dem benachbarten klo⸗ 
ſter Weihenſtephan, von wo es bei der 
Säkularifation in die Münchener Staats» 
bibliothek Ram. In dieſer Gegendenfamm- 
lung ſteht nun die einzige uns erhaltene 
deutſche Bearbeitung der kiorbiniansle⸗ 
gende. Dieſen mittelalterlichen Text ver» 
öffentlicht Schlecht; er ſchickt ihm eine die 
literariſchen Fragen kurz zuſammenfaſ⸗ 
ſende wiſſenſchaftliche Einleitung voraus. 
Für Bücherfreunde hat Otto Hhupp eine 
künſtleriſch wertvolle Dorzugsausgabe be- 
ſorgt, die in bloß hundert numerierten 
Exemplaren hergeſtellt wurde und wegen 
ihres hohen Preiſes von 75 (100. —) M. wohl 
nur wenigen Glücklichen erſchwinglich ſein 
wird. Der Verlag hat aber auch die wohl⸗ 
feile Uolmsausgabe nach Druck und Aus« 
ſtattung zu einem ſo gefälligen Büchlein 
geſtaltet, daß wirklich eine hübſche Feſtgabe 
zum ſtorbinians jubiläum zuftande kam. 

4. Wohl die vornehmſte Jubiläumsgabe, 
die man erfinnen konnte, war die groß⸗ 
zügige Reſtauration des ehrwürdigen Frei ; 
finger Domes, durch die das fo viele Jahr- 
hunderte alte Korbiniansmünfter in feinem 
ihm von einer form- und farbenfrohen 
Barockzeit angelegten Feſtgewand in neuem 
Glanze wieder erftand. Erſt jetzt begreift 
man fo recht, welch unſchätzbares Denk- 
mal heimatlicher Befhichte und Kunſt uns 
in dieſer Kathedrale mit genauer Not aus 
den gefahroͤrohenden und kunſtvernich⸗ 
tenden Zeiten der Säkularifation erhalten 
blieb. Wer wäre berufen geweſen, uns 
dieſes durch die Weihe des Alters, der 
Kunſt und großer Erinnerungen ehrwür⸗ 
dige Gotteshaus mit ehrfürchtiger Giebe zu 
beſchreiben als E. Abele, der feit langen 
gahren als Subregens des Klerikalſemi⸗ 
nars und Infpektor des Anabenfeminars 
mit dem Dome vertraut geworden iſt wie 
wenige fonft. Was er uns in feinem Büch⸗ 
lein ſchenkt, iſt nicht ein trockener Führer 
voll ermüdender Aufzählungen, ſondern 
das lebendige Wort eines Prieſters, der 
einem Freunde aus überquellendem Herzen 
erzählt, was durch gründliches Studium 


360 


und perſönliches Einfühlen in feiner eige- 
nen Seele Geben und Liebe geweckt hat. 
Man möchte den vielen anderen denkwür⸗ 
digen Botteshäufern landauf und landab 
einen ähnlichen „Führer“ wünſchen. 

Eine „Illuftrierte Chronik des Korbi- 
niansfeltes“ enthaltend ſämtliche Predigten 
der Feſtwoche kündet der Verlag des 
„Freiſinger Tagblattes“ für „längftens bis 
anfangs Oktober” an. Sie foll nad Er- 
[deinen eine kurze Würdigung finden. 

P. Sigisbert Mitterer (Schäftlarn). 


Rundſchreiben u. hlſt. Daters Pius XI. 
zum 300. Todestag des heiligen Mar. 
tyrers goſaphat. (12. Nov. 1923: »Ec- 
clesiam Dei). Aut. Ausgabe, lateiniſcher 
und deutſcher Text. gr. 8° (25 8.) Freiburg 
1924, Herder. M. —.80 

In der gleich vornehmen Ausftattung wie 
das päpſtliche Rundſchreiben zum Thomas; 
Jubiläum iſt jetzt bei Herder die Joſaphat⸗ 
Enzyklika erſchienen. Die 300. Wiederkehr 
des Todestages dieſes [lavifchen Martyrer- 
Biſchofes gibt unſerem Hl. Vater eine er- 
wünſchte Gelegenheit, feine große Liebe 
gegen die Orientalen wieder zu beweiſen 
und die getrennten, durch die heilige Eu- 
chariſtie und die Verehrung der Gottes- 
mutter uns aber ſo nahe ſtehenden Brüder 
zur Einigung mit der Mutterkirche einzu⸗ 
laden. Nach kurzer geſchichtlicher Darle⸗ 
gung des Schismas und der Einigungs- 
verſuche ſchildert das Rundſchreiben die 
Bemühungen des heiligen Erzbiſchofes von 
Polozk um die Einheit, der goſaphat durch 
feinen Martertod noch mehr nützte als 
durch fein heiliges Geben und Wirken. 
Vorbildliches Leben, gegenſeitiger Der- 
ſtändniswille und inniges Gebet ſollen 
nach feinem Beifpiel der göttlichen Gnade 
die Wege bereiten; denn in Wahrheit: 
„nicht Menſchenweisheit wird das Werk 
der Einigung zu Ende führen, ſondern 
allein die Güte Gottes“. 

Die Überfegung gibt den Sinn des Urtex⸗ 
tes gut und in wirklich deutſchem Sprach- 
gewand wieder, wenn mir auch ſcheinen 
möchte, daß durch die Auflöfung der latei⸗ 
niſchen Perioden in Einzelfäge mitunter 
der Bedankenzufammenhang etwas ge ; 
litten hat. 8. 6, Zeile 7 von unten lies 
aliquid ſtatt alipuid. 

P. Röalbert von Tleipperg (Beuron). 


Religion und Leben 


Boutryve van, D. IJdesbald, O. 8. B., 
La Vie dans la Paix. Vie mystique 
et liturgique 2. serie. 8° (IV u. 312 8.) 
Brüffel 1924, Action catholique. 

Diefe zweite Reihe von »La Vie dans 
la Paix : [chließt ſich würdig an die erfte 
an. Mit viel Takt und vornehmer Zurüc- 
haltung tritt der Derfaffer an die ſchwie⸗ 
rige Aufgabe heran, die Muſtik in ihrer 
reichen Entfaltung in das liturgiſche beben 
einzubauen oder vielmehr den muſtiſchen 
Gehalt aus der Liturgie herauszuholen. 
Wir billigen die ausgezeichneten Grund⸗ 
ſätze, die Dom van houtruve in der Ein 
leitung für das Studium der Muſtik ent ⸗ 
wickelt. Ihn intereffiert mehr die theolo- 
giſche Seite der Fragen. Jede Theologie der 
Muſtik wird von der Pehre der Gaben des 
Hl. Seiſtes ausgehen müſſen. Ich habe 
ſelten etwas fo Anſprechendes über die 8a; 
ben des hl. Geiftes geleſen, wie in dieſem 
Buch. Der Derfaffer hält feine Ausfüh⸗ 
rungen ſtreng im Rahmen der Theologie 
des hl. Thomas. Es ſind aber nicht bloß 
ddgmatiſch⸗wiſſenſchaftliche Erörterungen, 
ſondern es ſind Seiten voll Salbung des 
Hl. Geiftes. Wer fie lieſt, wird davon er: 
griffen. Und wer in und mit der Viturgie 
nach innigerer Bottvereinigung ſtrebt wie 
fie die Myftik aller Zeiten kennt, der 
möge zu dieſem Buche greifen. Es wird 
ihm zum trauten Freund in den innerſten 
Ausſprachen der Seele werden. Wir be 
glückwünſchen unſeren Mitbruder zu den 
Perlen, die er uns in den beiden Reihen 
der »Vie dans la Paix« geſchenkt hat. 


Rrebs, Dr. engelb., Dogma und Leben. 
Die kirchliche Slaubenslehre als Wertquelle 
für das Geiftesleben. (Rath. Lebenswerte. 
5. Bö., 1. Teil) 8° (XIV u. 490 $.) Paber- 
born 1923, Bonifacius - Druckerei. 
— Die Rirde und das neue Europa. 
Sechs Vorträge für gläubige und ſuchende 
menſchen. 8° (VIII und 192 8.) Freiburg 
1924, Herder. Kart. M. 3.50 

Noch ehe der zweite Band v. Krebs, Dog · 
ma und Leben erſcheinen konnte, wurde 
eine zweite Auflage des erſten notwendig. 
Wir dürfen aber wohl hoffen, daß der mit 
Arbeit überladene Derfaffer uns recht bald 
auch den zweiten Band ſchenkt. Das Werk 


erfüllt eine Miffion der Gegenwart. Was 
wir feiner Zeit über die erfte Auflage des 
erften Bandes in dieſer Zeitfhrift ſagten, 
gilt ungeſchwãcht auch von der neuen Auf- 
lage. Wir anerkenneu es dankbar, daß 
ſich der Derfaffer die Zeit nahm, den fo 
wichtigen Abſchnitt über Slaubensgehalt 
und Glaubenswert einer ſorgfältigen Durch; 
ſicht zu unterziehen. In dieſem Punkt kann 
nie genug geſchehen. Wir halten die Ge- 
danken, die der Derfaffer hier formuliert, 
für ſo wichtig, daß wir ſie am liebſten 
wörtlich wiedergäben. 

Eben erſcheinen auch bei Herder in Frei⸗ 
burg eine Anzahl von Vorträgen, die Pro⸗ 
feſſor Krebs in der Martinskirche in Frei⸗ 
burg hielt. Dieſe neueſte Veröffentlichung 
des hochgeſchätzten Derfalfers behandelt in 
gemein verſtändlicher Darſtellung Fragen 
mehr praktiſcher Natur, die im übrigen 
eng zuſammenhängen mit denen, die in 
„Dogma und Geben” eine breitere mehr 
wiſſenſchaftliche erfahren und es beſonders 
im zweiten Band erfahren werden. 


Schlund, E., u. Schmoll, P., O. F. ., Der 
moderne n und feine religiöfen 
Probleme. 5 Vorträge. 8 (79 8.) Mainz 
1924, M. Grünewald Derlag. Seb. M. 2.— 

Wie kaum in einem anderen Orden 
herrſcht zur Zeit bei den deutſchen Fran⸗ 
ziskanern ein intenfio wiſſenſchaftliches 
Streben und Schaffen. Beredtes Jeugnis 
legen davon ab die Pektorenkonferenzen, 
die ſeit 1922 alljährlich abgehalten wer⸗ 
den, deren Berichte (von 1922 und 1923) 
in je einem Band bei Aſchendorff in 
Münfter erſchienen find. Es liegt in der 
Eigenart des Franziskaners, die Wiſſen⸗ 
ſchaft nicht bloß um der Wiſſenſchaft willen 
zu betreiben, ſondern deren Ergebniſſe in 
den Dienft der Seelforge zu ſtellen. Eine 
reife Frucht dieſes Strebens liegt in den 
Vorträgen vor, die die bekannten Patres 
Schmoll und Schlund während der Faften- 
zeit vor der gebildeten Männerwelt Mün⸗ 
chens hielten. P. Schmoll ſprach über 
„Dogma, Erleben, Glauben“, über „Form, 
Seiſt, Sakrament“. Es find dogmatiſch 
tiefe und doch leicht verſtändliche Einfüh- 
rungen in religiöfe Fragen, die heute die 
Welt der Bebildeten bewegen. Die Sprache 
iſt vornehm und von wirklichem Er⸗ 
leben durchwärmt. Meifterhaft behandelt 


361 


P. Schlund „Die religiöfe Seele des mo⸗ 
dernen Menfchen”, „Bott, menſch und 
Religion“ und „Individuum, Semeinſchaft, 
Rirhe*. P. Schlund iſt ſcharfer Denker 
und feiner Analytiker. Die Begriffe find 
klar und rein geſchliffen. Die Vorträge 
ſollten nicht bloß geleſen, ſondern recht 
erwogen werden. 


Scheurlen, Paul, Die Sekten der Ge⸗ 
genwart. 3. Aufl. gr. 8° (187 8.) Stutt- 
gart 1923, Quell-Derlag. M. 2.— 

Der evangeliſche Dekan von Biberach 
gibt in dritter Auflage „Die Sekten der 
Gegenwart“ heraus. Behandelt werden der 
Reihe nach: Die Aöͤventiſten, Internatio- 
nale Vereinigung ernfter Bibelforſcher, die 
neuapoſtoliſche Gemeinde, der Darbusmus, 
die Tempelgeſellſchaft, die Pfingſtbewe⸗ 
gung, „Chriſtliche Wiſſenſchaft“ (christian 
science), die Anthropoſophie, der Spiri⸗- 
tismus, die Mormonen, die Bahai-Welt- 
religion, der evangeliſche Brüderverein. 
Es ift eine ſorgfältige, gründliche Arbeit. 
Sie orientiert ſachlich ausgezeichnet über 
die verſchiedenen Sekten. Die jedem Ab- 
ſchnitt beigefügten Literaturangaben er⸗ 
ſchließen weiteres Material. Allerdings 
vermißt man manche wichtige Werke; auch 
müſſen wir von unſerem Standpunkt dieſe 
Sekten vielfach anders werten, als es der 
Derfaffer von feinem aus tut. 


RBlafiker katholiſcher Sozialphilofo- 
phie. Herausgegeben von Dr. Theodor 
Brauer und Dr. Theodor Steinbüchel: 
1. Bö. Schwer, Dr. Wilh., Papſt Geo XIII. 
RI. 8° (VIII und 64 8.) Freiburg 1923, 
Herder. M. 2.20 
2. Bd. Brauer, Dr. Cheod., Adolf Rol- 
ping. kl. 8° (VIII u. 123 8.) ebö. 1923. 
M. 2.90 

Heute ſteht die ſoziale Frage im Dorder- 
grund des öffentlichen und privaten Inte» 
reſſes. Diele mühen ſich um ihre Löfung. 
Von ſelbſt treibt es uns, auch die Männer 
zu befragen, die ſich aus tiefen Erfah⸗ 
rungen heraus mit der Frage ſchon ehe; 
mals befaßten. Pietät gegen die Der» 
gangenheit war immer ein charakteriſtiſcher 
Zug katholiſchen Empfindens. Wir be⸗ 
grüßen daher als ſehr zeitgemäß ein Unter⸗ 
nehmen, das ſich zur Aufgabe feßt, die 
„laffiker Ratholifcher Sozialphilofophie” 


362 


der Gegenwart wieder zugänglich zu ma⸗ 
chen. Der Name der Hetausgeber und des 
Verlages verbürgen ihm Erfolg. Mit Recht 
wird hervorgehoben, daß die ſoziale Frage 
auf weltanſchaulichen, beſtimmten philo⸗ 
ſophiſchen, ethiſchen und religiöfen Srund- 
lagen beruht. Es geht gerade heute um eine 
grundſätzliche Löfung der ſozialen Frage. 
Bezeichnenderweiſe wird die Sammlung 
eröffnet mit einer Würdigung des Sozial- 
philoſophens auf dem päpſtlichen Stuhl. 
Schwer verfteht es meiſterhaft, die ſo⸗ 
ziale Perſönlichkeit Deos XIII. vor uns 
aufleben zu laſſen. In klaren Linien 
zeichnet er ſeine Perſönlichkeit und ſoziale 
Umwelt. Dann wird die Soziallehre Leos 
in ihren Grundlagen und in ihrem Auf- 
bau dargelegt. In einem dritten Abſchnitt 
wird gezeigt, wie der ſoziale Papſt auf 
Umwelt und UHachwelt eingewirkt hat. In 
Deutſchland fanden feine ſozialen undge⸗ 
bungen verſtändnisvolle Aufnahme. Auch 
in England fand das päpſtliche Rund⸗ 
ſchreiben über die Arbeiterfrage bereiten 
Boden. In Frankreich und Belgien da⸗ 
gegen rief die Arbeiterenzuklika große Er⸗ 
regung hervor. Andere ſagten, Leo habe 
die Zeiten begriffen. In den päpftlichen 
Rundſchreiben wird man vergebens nach 
philoſophiſchen Darlegungen über Berfön- 
lichkeit und Semeinſchaft ſuchen. Da läßt 
der Papſt für philoſophiſche Erörterungen 
weiten Spielraum. Umſo eindringlicher 
behandeln fie die konkreten Gemeinſchafts⸗ 
gebilde, Familie und Staat. Es ſind da 
Grundſätze entwickelt, die für alle Zeiten 
maßgebend bleiben werden. Wir wiſſen 
dem Uerfaſſer Dank, daß er uns dieſe treff ⸗ 
liche überſichtliche Darſtellung der Sozial- 
lehren des großen Papſtes gegeben hat. 
War Geo XIII. mehr der Mann der groß- 
zügigen Theorien, ſo führt uns Brauer 
einen der größten Männer der Praxis vor. 
Kolping war es, der in einer ſozial ver» 
worrenen Jeit mit ſicherem Griff einen 
wichtigen Teil der ſozialen Frage erfaßte. 
Er ſchuf den Befellenverein, deſſen Brün- 
dung ſeinen Namen verewigt. Beruf und 
religiöfes Leben hatten ſich im Lauf der 
deit ſo weit voneinander entfernt, daß 
beide ſich gegenſeitig auszuſchließen ſchie⸗ 
nen. Der Beruf drängte zu perſönlicher 
Ertüchtigung auf allen Gebieten, zu poſi⸗ 
tiver Wertung von Welt und Kultur. 


Das religiöfe Geben in feiner landläufigen 
Auffaffung war mehr weltflüchtig. Indem 
es die Blicke zu ſehr dem genſeits zu⸗ 
kehrte, verlor es den richtigen Maßſtab 
für die Diesſeitswerte. Kolping erkannte, 
daß man die jugendlichen handwerker für 


die Religion nur gewinnen könne, wenn 


es gelang, die Berufsauffaſſung wieder mit 
dem religiöfen Leben zu vereinigen. Er 
fand die praktiſche böſung. Da prakti- 
tiſche böſungen auch irgendwie auf Theo» 
rien beruhen müſſen, ſo ſtoßen wir bei 
Rolping immer wieder auf theoretiſche 
Erwägungen. Dieſe zu einem ſuſtemati⸗ 
[hen Ganzen zuſammengeſtellt zu haben, 
iſt das Derdienft des Derfaffers. Er hat 
es in einer anſprechenden, überſichtlichen, 
nahezu lückenloſen Weiſe getan. Auerft 
werden wir in Rolpings Werdegang und 
Werk eingeführt. Dann erfteht der große 
Sozialpraktiker vor uns als fozialer Den- 
ker und Gehrer. Es ift weiter der Reihe 
nach die Rede von der Gefellfhaft, ihren 
Beftimmungen und ihren Grundlagen, 
vom Grundprinzip der geſellſchaftlichen 
Ordnung, von Individualität und Se- 
meinſchaft, von Obrigkeit, Autorität, Frei- 
heit und Revolution, von ſozialer hierar⸗ 
chie, von Eigentum und Beſitz. Es wird 
die ſoziale Frage und die Urbeiterfrage 
aufgerollt. Es wird die ſoziale Ordnung 
des geſellſchaftlichen Lebens in Familie, 
Stand nnd Beruf, im Frauenberuf, Er- 
ziehung und Bildung und in der Gefellig- 
Reit gewertet. Das Andenken des „Be- 
ſellenvaters“ bleibe für und für geſegnet! 
P. Alois Mager (Beuron). 


„Was kein Auge geſehen“, Engel- 
bert Krebs hat uns feiner Zeit, fo tröft- 
lich davon geredet; es freut uns herzlich, 
daß er nun ſchon das achte ⸗ und zehntemal 
„Die Ewigkeitshoffnung der kirche nach 
ihren behrentſcheidungen und Gebeten“ uns 
darlegt. (Frbg. Herder 1923. M. 2.80) — 
Auch P. Peter Dipperts Briefe finden 
„Don Seele zu Seele“ raſch weiter ihren 
Weg, ſelbſt der hinzugenommene „Brief 
ins Feld“, wenn er auch weh tut. Nur 
der Einband der neuen Aufl. (4.— 6. ebd. 
1924. M. 3.40) dringt uns ſo gar nicht 
zu herzen; da ſprach uns die beſcheidene 
Schlichtheit der Erftauflage weit mehr an. 

P. Sturmius Regel (Beuron). 


363 


Aus dem Orden des hl. Benediktus 


Ein letzter 8ruß dem + Dr. theol. P. Felix Hintemeyer, 
Prior und Generalvikar von Belmont, North Carol. 


er hätte geahnt, daß unſer lieber Mitbruder, der eben auf einer Reife zu den 

Gräbern der Apoftelfürften und in feine alte heimat war, fo jäh von dem 
unerbittlichen Tode dahingeriſſen würde. Zu Donauftauf in Bayern ftand feine Wiege; 
am 22. April 1862 war er allda geboren. Beſchwert mit Liebesgaben für die Armen 
feiner Heimat und voller Freude, die alten Freunde und Bekannten wieder zu ſehen, 
landete er im ſchönen Napoli und wurde ſogleich vom Todesengel berührt (28. Juni 1924). 
Sein Weg ging nicht nach Bayern, ſondern nad) Montekaffino, wo feine irdiſche Hülle 
geborgen wurde. Der Dahingeſchiedene war ein großer Wohltäter feiner heimat in 
den Tagen der Not. Nur der Allwiſſende weiß, was er für die Armen, namentlich 
für die Kinderwelt getan hat. Tauſende von Dollars find durch feine Vermittlung 
herübergekommen und haben der bitterſten Not geſteuert. Im Hamen aller feiner 
Landsleute fei ihm hiemit noch der innigſte Dank und ein herzliches „Dergelts Bott“ 
ins rab nachgerufen! Möge er in der Ewigkeit ernten, was er auf Erden im Geben 
an Barmherzigkeit gefät hat! Seit 1881 war P. Feli Profeß, ſeit 1886 Prieſter. Er 
war eine Sonnennatur und verbreitete bicht und Freude, wo er nur hinkam. So 
bedeutet fein Tod auch einen ſchweren Derluft für feine Mitbrüder, die in ihm einen 
der Liebenswürdigften ihres Konventes verloren, ganz abgeſehen von den verant- 
wortungsvollen Ämtern, die er im Kloſter bekleidete. Er war Stab und Stütze feines 
greifen Abtbiſchofs, der in ihm unſagbar viel verlor. Er hatte reichen Anteil an dem 
Sedeihen Belmonts, das zu den blühendften Abteien Amerikas gehört. Ein Schweſtern⸗ 
haus mit weiblichem Erziehungsinſtitut iſt ſeine Schöpfung. Unzählige, jung und alt, 
werden ihm nachtrauern, die das Glück hatten, mit dem edlen Mann in Berührung 
zu kommen. Andern helfen und fie erfreuen war der Hauptinhalt feines Lebens. 
So ruhe denn ſanft an der Seite deines heiligen Ordens vaters, teurer Mitbruder und 
lieber Freund! Senieße die Frucht deiner Erdenmühen! Wir aber wollen dir immer 
ein frommes, dankbares Andenken bewahren und nie vergeſſen, was du uns in den 
Jahren der Not und des Elendes geweſen biſt. P. Bernhard Seiller (Augsburg). 


Abtbiſchof Leo Haid von Belmont }. 


Re vollen Monat nach dem Tode feines Generalvikars iſt (am 24. quli des Jahres) 

75- jährig der Abtbiſchof ſelber geſtorben. Lettes Jahr konnte er noch fein 
50. jähriges Prieſterjubilänm feiern (ſ. Jahrg. 1923 8. 216). Das nächſte Jahr hätte 
fein 40-jähriges Jubiläum als erſter Abt von Belmont gebracht. Seit 1887 war er 
ernannter, ſeit 1. Juli 1888 geweihter Apoſtoliſcher Dikar von North Carolina, geweiht 
von Kardinal Gibbons, ehemals ſelber Ap. Dikar dieſes Bezirkes. Seit 1910 war er 
zugleich Abt Ordinarius von Belmont, d. h. er hatte einen eigenen „Abteiſprengel“ 
als Abt feines zur Abbatia nullius erhobenen Kloſters. Die kleine Totenchronik 
rühmt ihm beſonderen Eifer in der Pflege des Unterrichtsweſens nach. Belmont 
erhielt Seminar und Sumnaſium; in Savannah (Georg.) errichtete er eine Akademie, 
ebenfo in Richmond (Dirg.), desgl. viele Pfarrſchulen in feinem Dikariate. Mit großem 
Bottvertrauen ſei er an all diefe Werke herangetreten und habe daneben noch Heu» 
gründungen errichtet, darunter beſonders die Abtei des hl. Leo zu Florida (Flor.). 
Er war ein unermüdlicher Prediger und eifriger Exerzitienmeiſter; im Verkehr mit 
Andersgläubigen gewinnend durch fein ganzes Weſen. „Obwohl Biſchof lebte er wie 
ein einfacher Mönch, und leuchtete allen voran in muſterhafter Regelbeobachtung. 
Er lehrte ſtets durch Wort und Tat den Grundſatz der hl. Regel: ‚Nichts ſoll dem 
Dienfte Gottes vorgehen“.“ 


364 N 
Abtei Grüſſau in Schleſten. 


D. Ereigniffe des Oktober 1918 zogen auch die Abtei E maus - Prag in Mitleiden- 
ſchaft. Die neue nationaliſtiſche Regierung übte auf das kloſter einen derar⸗ 
tigen Druck aus, daß die Mehrzahl der deutſchen Mönche ein neues heim ſuchen 
mußte. Durch das Entgegenkommen Seiner Eminenz des Herrn Rardinals Adolf 
Bertram, Fürſtbiſchofs von Breslau, und der preußiſchen Regierung fand ein Teil 
von ihnen im Bannkreis des ſagenreichen Riefengebirges, in der ehemaligen Ziſter⸗ 
zienſerabtei Srüffau bei Gandeshut in Schleſten vorläufige Unterkunft. In der Be⸗ 
völkerung war die Liebe zum alten Kloſter noch wach. So erfuhren die mittellofen 
Ankömmlinge in ſchwerſter Zeit freundliches entgegenkommen und tatkräftige Unter⸗ 
ſtützung. Die uralte Wallfahrt, feit der Säkularifation völlig ruhend, begann ſich 
fofort wieder zu heben (1918: 3600 kommunikanten, 1923 [yon 34000). Prozeffionen 
mit 1000 und 2000 Teilnehmern aus allen Teilen des Landes, zumal aus dem treu 
katholiſchen Oberſchleſien und aus Nordböhmen kommen wieder regelmäßig wie vor 
dem Rlofterfturm. Es war uns ein Zeichen, daß Sott uns hier haben wolle. Viele 
und große Schwierigkeiten, die unſerer Abſicht, das Kloſter als dauernde Heimat zu 
erwerben, ſich entgegenſtellten, konnten uns in diefem unſerem Glauben nur beftärken. 
mehr als einmal erſchienen dieſe Schwierigkeiten unüberwindlich. Aber wie ein 
Mann ſtellte fi das gläubige Volk hinter uns. Es hatte die einzige Stätte monafti- 
ſchen Botteslobes im deutſchen Oſten raſch liebgewonnen, es hatte auch bei zahlreichen 
Exerzitienkurſen, Dolksmiffionen und liturgiſchen Vorträgen den Frieden St. Benedikts 
bereits verfpürt. Am 14. September 1923 fanden in Berlin die Schlußverhandlungen 
Ratt. Ihr günftiges Ergebnis konnte dem eben in Brüffau unter maſſenhafter Be- 
teiligung ftattfindenden Ratholikentag der Nachbarkreiſe mitgeteilt werden. Begeiſterte 
Rundgebungen der Freude wurden ausgelöſt. Der endgültige Vertrag ward am 
3. Dezember 1923 unterzeichnet. 

So ſtand der Erneuerung des titulus abbatialis, der Errichtung der Abtei, nichts 
mehr im Wege. Seit dem 25. April 1922 war Grüffau bereits ftonventualpriorat. 
Mit Breve vom 19. Juni 1924 ſtellte der BI. Vater die alte Abtei unter ihrem früheren 
Uamen eines „Snadenhaufes St. Mariens“: domus gratiae S. Mariae, mit allen 
Rechten und Privilegien wieder her und gliederte ſie der Beuroner Kongregation an. 
Ein neuerliches Geſuch erwirkte ihr das Recht der ſofortigen Abts wahl. Dieſe fand 
am 30. Juli 1924 ftatt. Aus ihr ging P. Albert Schmitt, Profeß von Weingarten 
in Württemberg, hervor. Er iſt der 50. Abt von Grüſſau. 

Der neue hochwürdigſte Abt wurde am 5. Januar 1894 in Mannheim geboren. 
Nach Beendigung feiner Sumnaſtalſtudien trat er neunzehnjährig in Beuron ins 
Noviziat ein, meldete ſich aber ſchon während desſelben freiwillig nach Erdington 
bei Birmingham, um dem leutearmen Rlofter in England feine Kräfte zu weihen. 
Am 21. Mai 1914 legte er dort feine Ordensgelübde ab und begann alsbald feine 
philoſophiſchen und thedlogiſchen Studien. Hoch vor deren völliger Beendigung mußte 
er nach dem Weltkriege mit feinem Abt und den deutſchen Mitbrüdern England ver⸗ 
laſſen. Zunächſt fand er vorübergehend ein heim in der Abtei St. Joſeph bei Gerleve 
in Weſtfalen. Nach feiner Prieſterweihe daſelbſt, am 12. Juni 1920, kam der nun- 
mehrige B. Albert bald nach Srüſſau, wo er bis Weihnachten 1921 verblieb. In diefer 
deit erwarb er ſich die Liebe und das Vertrauen der Kloſtergemeinde und die dank⸗ 
bare Verehrung der Bevölkerung. Schweren Herzens ſchied er von dem ihm lieb» 
gewordenen ſchleſiſchen kloſter, um nach Weingarten zu ziehen, wo ſich mittlerweile 
feinen Mitbrüdern aus England ein neues heim eröffnet hatte. Bier entfalte er bis 
heute eine umfaſſende, ſeelſorgliche Tätigkeit, fand aber nebenbei noch Jeit zu manchen 
wiſſenſchaftlichen Arbeiten, beſonders auf feinem Gieblingsgebiet, der Ordensgeſchichte. 

Das Wappen des neuen Abtes zeigt drei goldene Lilien im blauen Feld. Sie find 
ihm keine bloße Heraldik, ſondern ein Sinnbild des Bottvertrauens, anſpielend an 
das Heilanöswort Matth. 6, 28 f.: „Und warum ſeid ihr ängſtlich beſorgt .. Betrachtet 
die Lilien des Feldes.. Gottvertrauen benötigt wahrhaftig der Abt einer armen 


365 


Deugründung in unferen Tagen. Als Wahlſpruch gilt ihm das Wort des Liebes» 
jüngers: Deus caritas est«.— Die Weihe vollzog am St. Laurentiusfeft der Diözefan- 
biſchof Kardinal Bertram. Affiftenten waren die hochwürdigſten Abte Raphael Molitor 
von St. Joſeph in Weſtfalen und Wilhelm Rudolph von Braunau, unſer nächſter 
nachbar. Außerdem erſchienen der hochwürdigſte herr Erzabt von Beuron, Abt Ansgar 
Böckelmann von Weingarten, P. Prior Ernft Dykoukal, Aöminiftrator der Abtei Emaus 
und mehr als 40 Vertreter des Welt- und Ordensklerus; vom Adel: Herzog Albrecht 
Eugen von Württemberg, die Grafen Schaffgotſch, Praſchma, Balleftrem, Czernin und 
FJedlitz. Die Pilgermenge wurde auf 9— 10000 geſchätzt. Wohl felten hat die ge» 
waltige Abteikirche ſolche Scharen geſehen. Bis auf den weiten Kloſterhof ſtanden 
die Andächtigen Kopf an Kopf. Am Abend huldigten die Gemeinden der Umgebung 
mit einem Fackelzug. Sanz Srüffau war feſtlich beleuchtet. 
Die neue Abtei hat nun Wurzeln geſchlagen im ſchleſiſchen Land, gewaltige Auf- 
gaben bleiben aber noch zu löſen. Gott helfe dabei dem neuen Abte! 
P. Nikolaus von Lutterotti (Srüſſau.) 


St. Erentrud zu kiellenried in Oberſchwaben. 


En Stück Mittelalter in unferer Zeit, ſo möchte man mit einem anderen fagen, 
wenn man erzählen ſoll von den Einweihungsfeierlichkeiten des Benediktinerinnen⸗ 
kloſters St. Erentrud zu Kellenried. Die „Vereinigten Oberſchwäbiſchen (Derbo-) 
Feitungen“ berichteten zweimal in je drei vollen Spalten ausführlich, am Samstag 
ſogar mit Bild, über Vorgeſchichte, Anlage und Zweck des Hauſes, am Montag über 
die am Sonntag den 7. September erfolgte hochfeſtliche Einführung: ein Beweis, welch 
frohen Anteil ganz Oberſchwaben an dem Ereignis nahm. 

Das neue Rlofter der hl. Erentrud liegt in der Pfarrgemeinde Blitzenreute und 
der bürgerlichen Gemeinde Berg, auf einer Anhöhe etwa 1¼ Wegftunden von Stadt 
und Abtei Weingarten entfernt. Wenn der Bau einmal vollendet iſt, wird er 
von Süd nach Nord eine Geſamtlänge von hundert, von Oft nach Weſt eine Tiefe 
von fünfzig Metern befigen. Mit feiner Oſtfront wird er, eine doppeltürmige kirche 
in der Mitte, hinuntergrüßen nach der mächtigen Bruderabtei Weingarten, von der 
er — genau zweihundert Jahre nach Erbauung der Abteikirche — bewußt den Barock 
des Stiles übernahm, freilich in kleineren Rusmaßen und in fraulicher Zartheit. 
Eine herrliche Fernſicht hat das haus auf die Alpenkette von der Jugſpitze bis zum 
Säntis, das Schuffental hinunter und weithin über Oberſchwaben. Das neue Bene- 
diktinerinnenkloſter iſt das einzige in Württemberg. Neben Habstal in Hohenzollern, 
St. Walburg zu Eichftätt, Frauenwörth im Chiemfee und St. Gertrud zu Tettenweis 
bei Paſſau das fünfte in ganz Süddeutſchland, nicht zu vergeſſen freilich die rührige 
Miffonskongregation von St. Ottilien-Tuging. Im Gegenſatz zu dem geſegneten 
Wirken der bauriſchen Nonnenklöſter kennt Kellenried weder Unterrichts ⸗ noch ſon⸗ 
ſtige Außen Tätigkeit. Feierliches Gottes lob, Studium und weibliche Handarbeiten für 
die Chorfrauen, haus- und Feldarbeit für die Daienſchweſtern, das iſt ihr einziger 
ſichtbarer Beruf. Es iſt alfo in dieſem Sinn ein „rein beſchauliches“ Kloſter. Die 
Bewohnerinnen des hauſes kommen zum kleineren Teil von 8t. Gabriel ⸗Berthold⸗ 
ſtein, dem Aſul der nach Kriegsende aus ihrem herrlichen heim zu Prag Smichow 
ausgewanderten deutſchen Uonnen, zum größeren Teil aus Gurk in kärnten. Gurk 
war einft (1043) erfte Siedelung von Nonnberg in Salzburg; bald wurde es für den 
Biſchof und fein Kapitel geräumt. Erft im letzten Jahrhundert (1898) ward es von 
Salzburg aus wieder bevölkert. Aber es wollte ſich nicht mehr entwickeln; und weil 
die ebens bedingungen immer ſchwieriger wurden und die Nonnen ohnehin den An⸗ 
ſchluß an die Beuroner Kongregation anſtrebten, er ſuchten fie ſchließlich Erzabt Raphael 
von Beuron, ihnen, wenn es ginge, in Süddeutſchland zu einem neuen heim zu ver ⸗ 
helfen. Nach mancherlei nutzloſen anderen Bemühungen gelang es dieſem endlich, 
durch das Entgegenkommen eines kinderloſen Ehepaares gegen Ende 1922 an der 


366 


Stätte des jetzigen Alofters einen Baugrund zu erwerben. Hur die Scherflein der Armen, 
Gaben von Bönnern und die Hilfe amerikaniſcher Mitbrüder, ſowie nie gebrochenes 
Sottvertrauen machten es möglich, im Frühling des bitterböfen Jahres 1923 mit den 
Bauarbeiten zu beginnen. In hochherziger Weiſe hat ein edler Architekt, Baurat 
H. Lorenz von Freiburg, dieſem Werke aus reinem Jdealismus alle Kraft und Zeit 
gewidmet, die er neben feinem anſtrengenden Beamtenberuf noch aufbrachte. So 
konnte die ganze Zeit hindurch bis heute hunderten von Kräften Arbeit und Brot 
verſchafft werden. Der Bau iſt noch lange nicht vollendet und wird es auch fo ſchnell 
nicht ſein. Was aber ſteht, ſchien zu genügen, daß am 7. September dieſes Jahres 
die Nonnen das Gaſtrecht in Berthold ſtein nicht weiter in Anſpruch nähmen und in 
ihr eigenes heim im Schwabenland zögen. 

Es war wie wenn der Himmel ſagen wollte: „Imber abiit; surge, propera amica 
mea, et veni: ſiehe die Regengüffe find vorbei; mach dich eilends auf, meine Freun⸗ 
din, und komm!“ Nach langen Regentagen ſetzte das herrlichſte Herbſtwetter ein; 
es lockte Taufende aus der näheren und ferneren Umgebung auf die Kellenrieder 
höhe. In Weingarten war am Sonntagmorgen gemeinſame ſtommunionmeſſe des 
hochwürdigſten herrn Erzabtes für die Nonnen. Dann ging es in langer Wagen- 
reihe — Bauern hatten bereitwilligft die Fuhrwerke geftellt — gegen Mittag nach 
Blitzenreute und von dort nach Beſuch der Pfarrkirche, und Begrüßung durch den 
Pfarrer in ihr, ſowie kurzer Mittagsraſt im Schwefternklöfterlein hinauf nach Kellen- 
ried. Es war ſchon ein langer Zug geworden. Die Frau Priorin trug in zierlichem Schrein 
Reliquien der Salzburger Rirchenpatrone Rupertus und Dirgilius und eine beſonders 
bedeutende von der hl. Erentrud. ergreifend war es zu denken, daß zu gleicher 
deit Örunten in Salzburg die große Reliquienprozeſſton der heiligen vom Nonnberg 
nach St. Peter, von da zum Dom und zurück ins Stift ziehen ſollte. Viel Volk, 
Adel und SGeiſtlichkeit war zugegen (u. a., von einer Beratung in Beuron kommend, 
der Abtprimas des Ordens, ſowie die Äbte von Weingarten, Seckau ⸗Trier und Grüſſau), 
als der Diözeſanbiſchof, Paul Wilhelm von Keppler, der Bitte des den Zug in Ponti⸗ 
fikalgewändern geleitenden Erzabtes entſprechend die heraufziehenden Nonnen droben 
am Berge empfing, ſie in ihr neues Heim geleitete, dieſes einſegnete und nach dem 
Gefang des kirchweihevangeliums (Luk. 19, 1 — 10) durch den H. Erzabt die Klauſur 
für immer ſchloß. Mit dem ſofortigen Geſang der feierlichen erſten Defper von Mariä 
Geburt begannen auch die Uonnen ihr neues eben. Die Defper ſchloß mit dem 
ſakramentalen Segen und einer ergreifenden Feftpredigt des hochwſt. herrn Biſchof 
v. Keppler, in der er die Kellenrieder höhe als den Berg der Seligkeiten pries. 

Ehe Mönche nach Weingarten kamen, ſtand in Altdorf- Weingarten ein Frauen 
Rlofter, wie auch Hohenhuſen⸗Ochſenhauſen erſt ein ſolches war, das wohl älteſte. 
ebenfalls vom UNonnberg aus gegründete Benediktinerinnenkloſter Württembergs. 
heute ift das jüngſte Frauenkloſter wieder eine Tochter Lonnbergs, nahe der alten 
Siedellungsſtelle gelegen. Der hochwſt. Herr Biſchof hieß St. Erentrud den „Schluß 
ring in der Kette der klöſterlichen Niederlaſſungen“; möge es zugleich im Ring der 
Abteien der Edelftein fein und immer mehr werden! 


Dom heiligen &aifer heinrich und feiner Fahrhundertfeier 1924. 


aifer heinrich und feine heilige Gemahlin haben vielfältige Beziehungen zum Orden 

St. Benedikts. Sie find noch heute hochgeehrt als Patrone der „Oblaten St. Bene 
dikts“. Da ift es wohl in der Ordnung, fein Feſt auch als Ordensſache zu betrachten. 
Viel Schönes über ihn und feine Feier in Bamberg 1924 lieſt man in den zehn Nummern 
„Heinrich der heilige, Feſtſchrift zur Neunjahrhundertfeier unſeres heiligen Bistums 
patrons“, als Feſtzeitung in Pexikonformat mit guten Bildern in Bamberg vom 6. bis 
29. Juli herausgegeben von Losgar und beim St. Ottoverlag zu beziehen. Sie iſt nicht zu 
verwechſeln mit der gelehrten Feſtſchrift, die als „Heimatblätter für das Jahr 19247 
der hiſtoriſche Derein Bamberg im Verlag von C. Buchner erſcheinen ließ. Dagegen 


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gab der Ottoverlag ein äußerlich zwar befcheidenes, inhaltlich aber reiches Schriftchen 
heraus: „St. heinrichs⸗Pob, Lebenslauf, Gebete und Lieder aus alter und neuer 
Zeit gef. von Dr. Ludwig Fiſcher“, manchem Träger des Namens heinrich gewiß eine 
Freude. Das „Bamberger Volksblatt“ mit feinen „Bamberger Blättern” und ſo- und⸗ 
foviel Zeitungen und Feitſchriften redeten uns vom hl. Heinrich. Eine dauernde Ehrung 
hat der hl. Dater dem heiligen zuteil werden laffen: er hat fein Feſt für ganz 
Deutſchland zum Range eines Duplextages erhoben. Solcher Ehre erachtet er in feinem 
Breve vom 4. Dezember (AHB XVI, 5) „durchaus würdig, dieſen einzigen herrſcher 
des Hl. Röm. Reiches, der in das Verzeichnis der heiligen aufgenommen wurde, und 
zwar zugleich mit feiner heiligen frommen Gemahlin KRaiſerin Kunigunde“. Uns 
ſelber ward von einem Mitbruder und Augenzeugen folgender Bericht zuteil: 

Die Tage vom 6.— 13. Juli in der altehrwürdigen Babenberg zu Ehren des hei- 
ligen Kaiſers heinrich waren Tage mächtiger Wirkung und überreichſten Bottes- 
ſegens. Aufgebaut auf glänzender äußerer Organiſation und wärmſter innerer Teil- 
nahme von Stadt und Diözeſe wurden ſie zu einem unvergänglichen Denkmal der 
biebe und Verehrung, mit der Bamberg feinem heiligen Patrone anhängt. 

Der Herr Erzbiſchof eröffnete ſelbſt am Vorabend der Jahrhundertfeier das Feſt 
mit ſeinem hohenprieſterlichen Wort. Eine endloſe Uenſchenmenge ſtrömte dem Dom- 
berg zu. Mit brennenden Kerzen ſtanden die Alumnen am Veits portal und harrten 
ihtes Oberhirten. Dann gings zum Grabe des heiligen, das von Lilien überſchüttet 
war. Tief bewegt ift jedes herz: hier ruht ein großer deutſcher Raifer mit feiner 
heiligen Gemahlin. Des Erzbiſchofs Worte weifen hin auf St. heinrich als chriſtlichen 
Slaubenshelden, er ſpricht von feinem Ringen um die Krone der Beiligkeit und des 
ewigen Gebens, feinem freudigen beiden und mutigen Ertragen, feinem hilfsbereiten 
Eintreten für Armut und Not. Eines noch will und muß er an dieſem Abend laut 
hinausverkünden aus tief bewegtem herzen: den Dank des Biſchofs für die Stiftung 
des Bistums und für den unſchätzbaren Segen, der durch die Jahrhunderte aus dieſem 
Werk des heiligen Raifers erfloffen iſt. lach dem herrn Erzbiſchof beſtieg Tag für 
Tag ein anderer Biſchof die Ranzel des Raiferdöomes. Am erſten Tag ſprach der herr 
Weihbiſchof von Bamberg über die Blaubenswärme des hl. Heinrich in feinem pri⸗ 
daten und öffentlichen beben. Das Pontifikalamt zelebrierte der Herr Erzbiſchof. 
Am zweiten Tag ſchilderte Biſchof Gudwig Sebaftian von Speyer den heiligen als 
Schirmherrn der Kirche, die er in Reinhaltung der Gehre und des Lebens tatkräftig 
unterſtützte. Das Amt hielt der herr Weihbiſchof von Regensburg. Am dritten Feſt⸗ 
tag riß der Herr Weihbiſchof von Paderborn in glanzvoller Rede die Tauſende im 
heinrichsdome mit ſich fort, indem er den heiligen Kaiſer als echten deutſchen Mann 
voll Eifer für fein Land, voll Klugheit des heiligen Beiftes und auch im Glanz der 
Raiferkrone voll Treue gegen feine tirche und Kindlichkeit gegen Gott zeichnete. 
Biſchof Leo von Eichſtätt hielt das Amt. Anderen Tages ſprach Propſt Steinmann 
von Stettin über die Frömmigkeit des hl. heinrich und wies hin auf die Bistumsgrün⸗ 
dung als ein dauerndes und beredtes Zeichen dieſer feiner Seſinnung. Der herr 
Weihbiſchof von Paderborn feierte das Amt. Der fünfte Tag führte den herrn 
Biſchof von Linz auf die Domkanzel; er ſchildert zu herzen dringend den heiligen 
als den Wohltäter der Armen und Notleidenden. Biſchof Felix von Paſſau hielt das 
Amt. Selber ſprach dieſer dann am Freitag zu den 20000 Pilgern an St. heinrichs 
Grab über ihn als Vorkämpfer der chriſtlichen Kultur und wies an feinem Beiſpiel 
nach, daß wahre Kultur keine mächtigere Förderung finden kann als im treuen An- 
ſchluß an die Kirche. Der herr Biſchof von Hildesheim zelebrierte das Amt. Am 
Samstag ſprach dieſer dann in der dichtgefüllten Baſilika über den hl. heinrich als 
den treuen Diener Gottes im privaten und öffentlichen Leben. Seine Worte hinterließen 
tiefſten eindruck: Biſchof Petrus von Duxemburg hielt danach das Pontifikalamt. 

Nun kam der Sterbetag des heiligen, Sonntag, der 13. Juli, der letzte Tag der 
Heinrichswoche. Aber zunächſt eine Frage: Wie ſtand das katholiſche Volk zum 
Heinrichsjubiläum? Die ganze große Erzdiözeſe bis hinein ins letzte Dörfchen war 


868 


von ihm erfaßt. Jedes Dekanat hat feinen eigenen Pilgertag gehabt. Gleich am 
erften führten fieben Sonderzüge die Pilger aus Nürnberg und Fürth herbei: eine 
mächtige Blaubenskundgebung für jeden, der den Zug miterleben durfte! Und fo 
Tag für Tag das immer wechſelnde und immer gleich ergreifende Schaufpiel! Stadt 
und Land, alle Stände, Alter und Berufe, alle Trachten und Uniformen zogen vor: 
über; man zählte ſchließlich bis zu 30000 Pilger. Um nur eines zu nennen: wie 
zogen fie daher die Bergarbeiter von Stockheim und Auerbad in ihren ſchmucken 
Uniformen, ſingend und betend, die brennenden Brubenlampen in den Händen, mit 
wehenden Fahnen, Mufikkapellen und eigenen Sanitätsmannfdhaften. Da wurde 
manches herz warm und manches Auge tränenfeucht! Peuchtendes Sonnengold lag 
über allem und ungetrübter himmel, wahres heinrichswetter. Und der innere Erfolg? 
Gott weiß es wie fie hinzutraten Taufende und Yehntaufende zu dem Tiſch des herrn, 
wie die Beichtſtühle umlagert, die Tabernakel umkniet waren. Als der Schreiber dieſer 
Jeilen am Freitagmorgen vom Altare in die Sakriſtei zurückkam, da bat ihn der 
Sakriftan beſcheiden und innig: „Hochwürden, es zieht gleich ein Pilgerzug von 17000 
Leuten ein, gelt Sie helfen doch auch mit aus im Beichtſtuhl“: mit Freuden tat er 
es, er konnte ſich kaum der Tränen erwehren. — Der Sonntag war alſo da: bei 
anbrechender Dunkelheit war er am Samstag mit allen Glocken der heinrichsſtadt 
eingeläutet worden. Die Jugend Bambergs hatte ſchon am Samstag ihre heinrichs⸗ 
feiern gehalten. Jetzt traten in aller Morgenfrühe im Dom die Männer und güng⸗ 
linge, in St. Martin die Frauen, in St. Michael droben die Jungfrauen zum Gaſt⸗ 
mahl der Liebe zuſammen. Zwei Biſchöfe und ein Abt (von Hildesheim, Guzemburg 
und Münſterſchwarzach) brachen ihnen mit dem Brot des Pebens das der Lehre. 
Um neun Uhr zog der Vertreter des HI. Vaters, Nuntius Erzbiſchof Pacelli, unter 
dem Jubel aller Slocken ſegnend zum feierlichen Pontifikalamt in den Dom ein. 
Domkapitular Origer, Gugemburg, ſprach alsbald (an Stelle feines leidenden Biſchofs) 
mit Wärme über St. Kunigunde und St. heinrich: „Beffer zwei zuſammen als einer 
allein; denn fie haben doch Vorteil von der Semeinſchaft“ (Pr. 4, 9). Auf dem Dom⸗ 
Kranz fand für die MRaſſen, die das Münſter nicht mehr faffen konnte, eigens eine 
heilige Meffe im Freien ſtatt. Die äußerlich großartigſte Kundgebung der Tage folgte 
dann am Sonntagnachmittag: die überwältigend ſchöne Reliquienprozeſſion. Die hei · 
ligen ÜÜberrefte des großen Raiſerpaares wurden in einem Triumph durch die Straßen 
der Stadt geleitet, wie ihn im beben Raifer und Raiferin wohl nie geſehen. — Ein 
großer „Feſtabend der Stadt Bamberg“ beſchloß den Tag und die Woche. Abend 
predigten waren Tag für Tag gehalten worden, eine Armenſpeiſung, äußere Feiern, 
Feſtſpiel, koſtbare Ausftellungen; der Raum reicht nicht aus, von allem zu reden — 
und würde er es, nie könnte er den Eindruck voll wiedergeben, der lebendig im Herzen 
aller Teilnehmer für immer fortlebt. P. Maurus Padenburger (Beuron). 


Unſere Bildbeilagen entſtammen der „öſterr. Runfttopographie Bd. VII“, die 
Druckſtöcke wurden uns durch Vermittlung der hochw. Frau Äbtiffin vom Nonnberg 
vom Kunſthiſt. Inftitut beim Bundesdenkmalamt Wien freundlich zur Verfügung ge⸗ 
ftellt, wofür wir hiermit aufrichtig danken. Die Bilder finden ihre Erklärung zum 
Teil in ſich, zum Teil im Erentrudis-Aufſatz des Heftes. Die Statuette der heiligen if, 
mit IM. Regintrudis (Salzburg. Rath. Kirchenztg. Ur. 36 8. 309) zu reden, „gewiß eine 
der intereſſanteſten“, ſteht heute im Archiv zu Nonnberg und entftand als Begenftük 
einer Regintrudisdarftellung im 14. Jahrhundert. Zeigen unfere zwei aus den vielen 
Darftellungen der Heiligen für unſer Empfinden auch faſt fo etwas wie Rünſtler · 
launen — oder iſt es bei der Statuette wirklich nur naives önnen? — ſo haben 
beide doch auch wieder ihren beſonderen Wert ſchon durch Alter und Standort. 


Herausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade, 
gedruckt und verlegt vom Runftverlag Beuron. 


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Jur Pſuchologie der Orden. 


Don P. Alois Mager (Beuron). 


W. ſoll eine Pſuchologie der Orden bedeuten? Pſuchologie ift zu 
einem Modewort geworden, das bald überall, aber nur ſelten 
mit Sinn angewendet wird. Dielleicht wäre es richtiger, vom Weſen 
anſtatt von der Pſuchologie der Dinge zu reden. Unter Weſen ver- 
ſteht man gewöhnlich den phuſiſch-einzeldinglichen oder den meta- 
phuſiſch⸗allgemeindinglichen Aufbau der Dinge. Unter der Pſuchologie 
eines Dinges aber verſtehen wir mehr: etwas, das weder in dem einen 
noch in dem anderen enthalten iſt. Die Pſuchologie eines Dinges iſt 
feine Daſeinsweiſe, inſofern es in einem ſelbſtbewußten Seelenleben er- 
lebt und verwirklicht wird. Darin erhalten die Dinge ihre Vollendung. 

Pſuchologie iſt an erſter Stelle die Wirklichkeit eines ſeeliſchen be— 
bens, wie es tatſächlich ſich vollzieht. An zweiter Stelle können wir 
von einer Pſuchologie aller Dinge ſprechen, inſofern ſie ſeeliſch irgend⸗ 
wie erlebt werden. In der Pſuchologie menſchlicher Gemeinſchaften 
kommt ein neues hinzu. Gemeinſchaft iſt ein Gebilde, das nur von 
ſelbſtbewußten ſeeliſchen Weſen verwirklicht werden kann. Unabhängig 
von Einzelmenſchen hätte ſie kein Daſein. Sie iſt aber nicht ſchon 
gegeben mit beſtimmten Einzelmenſchen. Ein Einzelglied einer Gemein⸗ 
ſchaft kann nicht der Träger der Pfychologie dieſer Gemeinſchaft fein. 
nur alle Einzelglieder, die zur Gemeinſchaft zuſammengeſchloſſen find, 
können es ſein. Als Pſuchologie kann ſie nur dargeſtellt werden wie 
die Pſuchologie anderer Dinge auch, nämlich infofern die Gemeinſchaft 
von einem ſelbſtbewußten Seelenweſen erlebt wird. Im allgemeinen 
wird niemand fo geeignet fein, die Pfychologie einer Gemeinſchaft 
darzuſtellen, als ein Glied dieſer Semeinſchaft ſelber. Allerdings wäre 
hier, wie wir ſehen werden, eine Einſchränkung zu machen. 

P. Cippert 5. g. ſchrieb eine Pfychologie des Jefuitenordens. Sie 
erſchien bereits in zweiter Auflage!. Der Derfaffer ift als Redner und 
Schriftſteller ſo allgemein bekannt und anerkannt, daß wir nur Be⸗ 
deutendes von ihm erwarten dürfen. Mit einer ſelten künſtleriſchen 
Sprachgeſtaltung begabt, weiß P. Lippert auch den ſprödeſten, un= 
dankbarſten Stoff in packende Anſchaulichkeit zu formen. Don ihm 
geſchaut und geſehen erhalten Menſchen, Dinge und Vorgänge neue 
Prägung. Der Blick feines beweglichen, einfühlenden Geiſtes trifft 


1 Gippert, P. Peter, 8. J.: Zur Pſuchologie des geſuitenordens. Studien. 2. Aufl. 
gr. 8° (VI u. 128 8.) Kempten 1923, Köſel & Puſtet. 


Benedinktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11 — 12. 23 


370 


immer dort, wo auch die gewöhnlichſten Dinge in überraſchend neu⸗ 
artigem Anblick aufleuchten. Er beſitzt ein feinempfindſames Organ 
gerade für die verwickelten, fließenden ſeeliſchen Geſtaltungen und 
Vorgänge. Eigentümlichkeit dieſer geiſtigen Anlage ift es, alles nur 
in der Bewegung, an der Oberfläche — Oberfläche hier nur im beften 
Sinn als Spiegel der See — im Mannigfaltigen der konkreten Wirklich 
keit, nichts in bloß innerer Abgeſchloſſenheit, im Rahmen ewig un⸗ 
verrückbarer Grenzen, im letzten Weſenskern zu ſchauen. Sie wird 
nie ein Syftem ſchaffen. Weil es nur ganz Gegenwart iſt, wird es 
bald nur noch Dergangenheitswert haben. Sie iſt dafür aber Herrin 
des lebendig gegenwärtigen, des fliehenden Augenblickes. Wie kein 
anderer beſitzt vielleicht P. Lippert die Dorausfegungen, uns die Pſucho⸗ 
logie feines Ordens zu erſchließen. Allerdings wird auch fie die Geiſtes⸗ 
art ihres Derfaffers widerſpiegeln. Ob die Art, wie er feinen Orden 
erlebt, ſich mit der Art deckt, wie ihn die anderen Glieder ſeines Ordens 
oder auch nur die Mehrzahl ſchauen, mag ſchwer zu beantworten ſein. 
Wir dürfen keine Pſuchologie von Allgemeingiltigkeit erwarten. Es 
it auch für einen geſuiten ſchwer, die Pſuchologie feines Ordens zu 
ſchreiben. Vielleicht kann es überhaupt nicht Aufgabe eines einzelnen 
fein. Wenn aber ein einzelner fie löfen will, könnte er keinen beſſeren 
Weg einſchlagen als ihn P. ippert wählte, nämlich den Orden ſchildern, 
wie er ihn eben perfönlich erlebt. Der Derfaffer bietet kein in ſich 
abgeſchloſſenes Bild ſeines Ordens. Es ſind vielmehr eine Reihe lebender 
Bilder, in denen der Orden vor uns hintritt. P. Lippert betitelt darum 
fein Werk vorſichtig nur „Zur Pſuchologie des geſuitenordens“ und 
fügt ihm, noch mehr einſchränkend, den Untertitel „Studien“ bei. 

Wohltuend berühren die Unvoreingenommenheit, Unparteilichkeit, 
die Aufgefchloffenheit, die fachliche Ruhe, der vornehme Takt, mit denen 
die Ausführungen vorgetragen werden. Der Derfaffer iſt ſich wohl 
bewußt, daß in jedem irdiſchen Gebilde, auch denjenigen, die aus einer 
übernatürlichen Urſache hervorgehen, Licht und Schatten, Göttliches 
und menſchliches, Dollkommenes und Unvollkommenes in verſchiede⸗ 
nem Grade ſich miſchen. Allerdings ſpricht hier der Derfaffer nur in 
Bedingungsſätzen, die offen laſſen, ob in der geſchichtlichen Wirklich⸗ 
keit gelegentlich einmal die Schatten das Licht überwogen. Nur weil 
P. Lippert „zur“ Pſuchologie und nicht die Pſuchologie des geſuiten⸗ 
ordens ſchreibt, durfte er 3. B. ſchweigend an den Dorgängen vorũber⸗ 
gehen, die zur Aufhebung des Ordens unter Ailemens XIV. führten. 
nur auf pſuchologiſchem Weg könnten unſeres Erachtens die immer 
noch dunklen Fragen aufgehellt werden. 


371 


p. Cippert hatte wohl zunächſt nicht katholiſche Rreiſe im Auge, als 
er feine Studien niederſchrieb. Denn nur fo können viele Ausführungen 
verſtanden werden, die nicht bloß von den geſuiten, ſondern von allen 
Ordensleuten, ja von allen Chriften gelten. Es wird einen Katholiken 
eigentümlich berühren, wenn an erſter Stelle die Frage aufgeworfen 
wird, „inwieweit das Chriſtentum der Geſellſchaft geſu chriſtlich iſt ...“ 
Was im Abſchnitt „Buchſtabe und Geiſt“ in feiner Problematik und 
geiſtreichen Gegenüberſtellungen als „Geſetz der Liebe” zuſammengefaßt 
iſt, kann und muß jeder Orden von ſich, jeder chriſtliche Schriftſteller 
vom chriſtlichen beben ſagen. Vielleicht dürfte man nicht ohne weiteres 
einen Satz wie dieſen unterfchreiben: „Daß jeder Beurteiler des geſuiten⸗ 
ordens die innere Anſchauung, in der dem geſuiten fein Orden ſich 
zeigt, in ſich nachzubilden vermag, iſt unumgänglich notwendig zu 
einer objektiven, gerechten Schätzung“. Weit mehr als andere Orden 
tritt ja gerade die Geſellſchaft geſu aus der inneren Abgeſchloſſenheit 
ihrer Mitglieder ins öffentliche beben. Bewußt und planmäßig ſucht 
fie auf alle Cebensfphären beſtimmenden Einfluß zu gewinnen. Darum 
ift die Frage, wie der Orden von der Außenwelt, an die er ſich wendet, 
empfunden wird, kaum weniger wichtig als die Frage, wie er von 
den eigenen Mitgliedern erlebt wird. Eine eigentliche „Pſuchologie“ 
des Jeſuitenordens müßte dieſen weſentlichen Punkt mitberückfichtigen. 
Es wäre wertvoll, zu wiſſen, nicht wie er von außen geſehen werden 
könnte, ſondern wie er im Lauf der Geſchichte tatſächlich geſehen 
worden iſt, und zwar nicht fo ſehr von feinen Gegnern, als von 
kirchlichen kireiſen felber. 

Auch im zweiten Abfchnitt „Herr der Seele“ begegnen uns eine Reihe 
von Gedanken, die nicht Artmerkmale gerade des geſuitenordens bilden, 
ſondern allen anderen Orden ebenſo eignen. Wie ſteht z. B. der Chriftus- 
gedanke in der Regel des hl. Benedikt im Mittelpunkt! An den, der 
„Chriſtus, dem Herrn, dem wahren könig, Rriegsdienfte leiſten will“, 
richtet er ſchon fein Dorwort. Der Abt vertritt „Chrifti Stelle im kilo⸗ 
ſter“ (kiap. 2). Er trägt den „Dornamen Chrifti: Abba, Dater” (ebd.). 
Der Abt heißt herr und Dater „Chrifto zu Ehren und aus Liebe zu 
Chriftus” (63). Die Bäfte ſollen wie Chriftus aufgenommen, er foll 
in ihnen fußfällig geehrt werden (53). In den Pilgern und Armen 
wird Chriftus beſonders aufgenommen (ebd.) und vor allen in den 
kranken ihm gedient (36; vgl. 31). In der Abtötung, im Gehorſam 
ſoll der Mönch „Chriſtus nachahmen“. Böſe Gedanken und Derſuch⸗ 
ungen foll er „an Chriſtus zerſchmettern“ (Prolog, 4 und 7). „Nichts 
ſoll der biebe zu Chriſtus vorgezogen werden“, „die Liebe zu Chriſtus 

23° 


372 


foll einem über alles gehen“ (4; 5 und 7). Eucdhariftifhe „Beſuchungen“, 
mögen fie immerhin ſpäter entftanden fein, find auch keineswegs etwas 
den geſuiten Eigentümliches. Darin wetteifern alle Ordensleute mit- 
einander und alle frommen Chriſten in der Welt. 

Im Fuſammenhang mit den euchariſtiſchen Beſuchungen ftreift P. Lip» 
pert die Frage der Muſtik. Er meint, der Derkehr mit dem lebendigen 
Bott hätte „nichts Ekſtatiſches, nichts Difionäres“ an ſich. Er ſei weit 
entfernt von den Zuſtänden „höherer Muſtik“. Er ſei kein Erlöſchen und 
Schweigen der ſeeliſchen Fähigkeiten und Tätigkeiten. Die Perſönlich⸗ 
keit geſu und feine Gegenwart werde nicht in Erſcheinungen erfaßt, 
ſondern nur in einer vernünftigen, auf den Glauben gegründeten Se- 
wißheit. Die ſeeliſchen Akte, die Dorftellungen, Affekte und Entfchlüffe, 
welche dieſe Gewißheit auslöſe, unterſchieden ſich pſuchologiſch in nichts 
von den Tätigkeiten des religiöfen Lebens, wie wir fie bei jedem beten⸗ 
den menſchen wahrnähmen. hätte irgend ein moderner Schriftſteller 
dieſe Gedanken niedergeſchrieben, fo könnte man es aus der allgemei- 
nen Unklarheit und Verſchwommenheit der Ideen verſtehen, die heute 
das Gebiet der Muſtik umgeben. Daß ein Theologe und Beiftesmann 
wie P. Lippert fo reden kann, erſcheint uns wie ein Rätſel, zu deſſen 
Oöſung vorläufig die Schlüffel fehlen. Seit wann verdienen Quietismus 
und „höhere Muſtik“ einander gleichgeſetzt zu werden? Wer aus dem 
Frömmigkeitsleben alles Quietiſtiſche verbannt wiſſen will, der ſpricht 
damit nur etwas Selbſtverſtändliches aus. Wer aber die Muſtik mit 
demſelben Bann belegt, der ſetzt ſich in Widerſpruch mit unſeren großen 
Heiligen und ihren behren und dadurch mit der Auffaffung der Kirche 
ſelber, die uns dieſe Heiligen zur Nachahmung und ihre Lehren zur 
Richtſchnur für unfer eigenes geiſtliches beben aufſtellt. Zum wenig⸗ 
ſten muß zwiſchen einer wahren, von der Kirche anerkannten und 
gebilligten und einer falſchen. Krankhaften „Muſtik“ unterſchieden und 
dieſer Unterſchied auf „Ekſtaſen und Difionen“ übertragen werden. 
Alle Ratholifhen Schriftfteller der Muſtik find heute darin einig, daß 
„Difionen und Ekſtaſen“ außergewöhnliche Erſcheinungen des muſti⸗ 
ſchen Lebens find. Sie find charismatiſcher Natur. Über die Bedeu⸗ 
tung der Charismen herrſcht auch allgemein Übereinſtimmung. Der 
verehrte Derfaffer will doch ſicher dem übernatürlichen Wirken Gottes 
in den Seelen keine Schranken ſetzen? Sollen die Beſuchungen vor 
dem euchariſtiſchen Heiland Gebet ſein, dann werden ſie eine Vertiefung 
des innerlichen bebens anſtreben müffen. Beten iſt die höchſtgeſteigerte 
Tätigkeit, die es hienieden geben kann. ge mehr das Gebetsleben ſich 
vertieft, umſo ſtärker wird der Tätigkeitscharakter. Bei fortſchreitender 


373 
Verinnerlichung gibt es einen Punkt, wo die Seele zu einer Art Selbſt⸗ 
wahrnehmung und damit auch zu einer Wahrnehmung des in der 
Seele natürlich und übernatürlich wirkenden Gottes kommt. Das läßt 
ſich pſuchologiſch feſtſtellen auf Grund der von der ktirche gebilligten 
Schriften heiliger Muſtiker. Das und nichts anderes iſt Myftik. Don 
einem Schweigen und Erlöfchen der Seelenkräfte iſt da keine Rede. 
Das muſtiſche Wahrnehmen einer oder aller drei der Seele einwohnen- 
den göttlichen Perſonen ſchließt niemals die Glaubensgewißheit aus, 
ſondern ſetzt fie ebenſo voraus wie jede andere religiöfe Erkenntnis. 
Das muſtiſche Schauen übernatürlicher Dinge trägt ſeine Gewißheit 
nicht in ſich ſelber, ſondern empfängt ſie vom objektiven Glauben. 
Myfik iſt die letzte, hienieden mögliche Entfaltung des chriſtlichen 
Lebens überhaupt. Eine andere Frage iſt, ob ein Chriſt oder auch ein 
Ordensmann verpflichtet ift, dieſen Grad religiöfen Lebens anzuſtreben. 
Sie wird wohl nicht bejaht werden können. Man darf aber die Muſtik 
nicht in einer Weiſe ablehnen, wie der Derfaffer es tut. Amerikaniſcher 
Aktivismus in religiöfer Form ift allerdings die Muſtik nicht. Es 
wäre aber ein wahres Unheil, wenn die geſchäftige Betriebſamkeit 
und Leiftungsverhimmelung unſerer Zeit auch in das religiöſe Le- 
ben eindringen ſollte. 

P. Lippert hat recht, wenn er als ein beſonders auszeichnendes 
Merkmal des geſuitenordens die Betrachtung nennt. Tatſächlich war 
es der Jefuitenorden und fein Stifter, die die Betrachtung, wie fie 
heute meiſt verſtanden wird, ſchufen und in das religiöfe Geben der 
ktirche einführten. Die „Betrachtung“ iſt für die Art von Wirkſamkeit, 
die der geſuitenorden entfaltet, ſicherſter halt und unerſchöpfliche Quelle 
neuer Araft. Und weil das moderne Berufsleben pſuchologiſch den- 
ſelben inneren Aufbau aufweiſt wie die befondere Betätigung der 
Seſellſchaft geſu, gibt es kaum ein wirkſameres Mittel, um es religiös 
zu durchdringen, als die ſuſtematiſche Pflege der Betrachtung. Es hätte 
einen beſonderen Reiz, hier auf die Pſuchologie der Betrachtung gerade 
unter dieſem Geſichtspunkt näher einzugehen. 

Der Chriſtusgedanke, ſo ſahen wir, ſteht im Mittelpunkt allen 
Ordenslebens. Wir geben aber gern zu, daß jeder Orden ſich ſein 
eigenes Chriſtusbild ſchuf. In ein paar meiſterhaften Strichen ent= 
wirft P. Lippert den liturgiſchen Gottkönig der Benediktiner, das Kind 
von Bethlehem und den ſterbenden Heiland der Franziskaner, Chriſtus, 
den geiſtlichen Welteroberer der geſuiten. Wie Paulus mit Feuermut 
allen Binderniffen trotzend Chriſti namen und Reich bis an die Grenzen 
der Erde trug, fo ſehen die geſuiten in einem den neugeitlichen Der- 


« 


374 


hältniſſen angepaßten Pauliniſchen Apoftolat ihre eigentliche und wefent- 
lichſte Aufgabe. Angriffs⸗ und Eroberungsgeift fehlten denn auch zu 
keiner Zeit unter den eigentümlichen Merkmalen des geſuitenordens. 
Wenn übrigens P. Lippert den hl. Jgnatius das Heilandsbild des ge⸗ 
ſuitenordens in ſeiner eigenen Seele Tiefen ſchauen läßt, ſo legt ſich 
unmittelbar die Frage nahe, wie dieſes innerliche Schauen und Er⸗ 
faſſen pſuchologiſch zu denken iſt. Wir haben geſchichtliche Zeugniſſe, 
die unwiderleglich dartun, daß Ignatius mit muſtiſchen Zuſtänden 
reich geſegnet war. Wer wollte es kategoriſch verneinen, daß muſti⸗ 
ſches Schauen die weſentlichen Züge in fein Chriftusbild eintrug? Der 
heilige ſtünde damit nur auf derſelben Stufe, wie andere Ordensſtifter 
und heilige Männer und Frauen, die ſchöpferiſch in das religiöfe und 
kirchliche eben eingriffen. Es handelt ſich hier nicht etwa um bloße 
Mutmaßungen, willkürliche Annahmen oder fromme Wünſche, ſondern 


um geſchichtliche Tatſachen. Die größte Zeit des geſuitenordens war 


jene, wo er die meiſten muſtiſchen Perſönlichkeiten hervorbrachte. 
Man leſe nur nach bei Bremond (Histoire litt. etc.). Es fällt auf, wie 
der Derfaffer ſich beeilt, in dem Abſchnitt „Der Orden von Manreſa“ 
Verwahrung einzulegen, daß die geiſtlichen Übungen „höhere Muſtik“ 
enthielten. Iſt damit ſchon bewieſen, daß Ignatius „höhere Muſtik“ 
nicht gekannt hat und aus ſeinem Orden ausgeſchloſſen wiſſen will? 
Wohl war er ein zu tiefer Seelenkenner, als daß er das muſtiſche 
beben zum unmittelbaren Ziel der religiöfen Erziehung gemacht hätte. 
Das tat auch St. Benedikt in ſeiner Regel nicht. 

Ohne Zweifel find die Egerzitien die formſchaffende Seele des geſuiten⸗ 
ordens. Dieſe Seele bedarf aber eines Körpers, der zur Bildung des 
Ganzen in der geſchichtlichen Wirklichkeit ebenſo weſenhaft iſt. Der die 
Seele bindende körper der Gefellfchaft geſu iſt die Derfaffung, wie fie in 
den Ronftitutionen und in den Instituta niedergelegt iſt. Die Exerzitien 
find das Neue, das Ignatius der Kirche brachte und fein Orden der 
Kirche immer wieder aufs neue bringt. Das hat Papft Pius XI. in 
feiner Constitutio Apostolica vom 22. Juli 1922 wiederum anerkannt. 
Auch wenn geſchichtlich nachgewieſen würde, daß Jgnatius von Vor- 
bildern abhinge, fo wären die Exerzitien doch als etwas Neues anzu⸗ 
ſprechen. Betrachtung und Exerzitien hat es ſchon vor Ignatius ge⸗ 
geben. Ignatius aber hauchte ihnen einen neuen Geift ein. Letzten 
Endes beruht das Neue in einem unmittelbaren tiefen Erfaſſen der 
modernen religiöfen Seele, wie fie im Zeitalter der Renaiſſance und 
Reformation ſich in fertigen Umriſſen zeigt. Um ſie religiös zu er⸗ 
faſſen, reichten die bisherigen Mittel und Methoden nicht mehr aus. 


375 


Die Exerzitien und die Betrachtung im ignatianiſchen Sinne waren 
das wundervolle pſuchologiſche Werkzeug, um der Übernatur die Wege 
in dieſe neuen Gebiete zu bahnen. Es iſt hier nicht der Ort, die Pſucho⸗ 
logie der Exerzitien aufzuzeigen. P. Lippert hat darüber ſoviel Schönes 
und Richtiges geſagt, daß wir es vorläufig dabei bewenden laſſen 
können. Nur eines darf nicht vergeſſen werden — und doch beſteht Ge⸗ 
fahr, daß es gerade heute vergeſſen wird — die Exerzitien find nicht 
ein Selbſtzweck. Sie ſind nur ein Mittel, einen beſtimmten Zweck 
wirkſam zu erreichen. Dieſes Ziel iſt zwar überzeitlich, aber doch 
wieder zeitgeſchichtlich bedingt. Die ignatianiſchen Exerzitien haben 
konkret die katholiſche Pſuche des Renaiſſance⸗ und Reformations- 
zeitalters im Auge. Seitdem haben ſich die Zeiten geändert und die 
menſchen in ihnen. Es wäre unpſuchologiſch, in den Exerzitien, ſo 
wie ſie ſind, ein ewig unveränderliches Allheilmittel für alle religiöſen 
Bedürfniffe zu ſehen. Unſer Augenmerk muß immer und an erſter Stelle 
auf die Seelen in ihrer konkreten Wirklichkeit gerichtet ſein und erſt 
im Anſchluß daran auf die Mittel, die helfen ſollen. Nichts wäre ver⸗ 
kehrter, als um eines Mittels willen die Seelen zu etwas zwingen zu 
wollen, was dieſes Mittel heutzutage einfach nicht mehr geben kann. 
Für einen aufmerkſamen Beobachter melden ſich in der Pſuche der 
Gegenwart neuartige Bedürfniſſe, die durch die Exerzitien allein nicht 
mehr befriedigt werden können. Das Prinzip der Renaiſſance und 
Reformation lebt ſich aus. Es erwacht eine elementare Sehnſucht nach 
Gütern, die die alten Orden im beſcheidenen hintergrund ſorgfältig 
gehütet haben. Nach dieſem Eigengut verlangt die Gegenwart wieder, 
Rund zwar in dem Grad ſtärker, als das urchriſtliche und urkirchliche 
Element den Reformkatholizismus der nachtridentiniſchen Jeit von 
innen heraus zu erneuern ſtrebt. 

In einer weiteren Studie „Die Kompagnie geſu“ umſchreibt P. Lip- 
pert das Ideal der Geſellſchaft geſu als „ein organifiertes Streben zu 
einem ganz beſtimmten, rein religiöfen bebensideal“. Wenn er hier ſagt, 
daß Ignatius nicht ein neues Jdeal erfunden, ſondern nur das ewig 
alte mit beſonderer Klarheit erfaßt und bis in die letzten Folgerungen 
ausgebildet habe, ſo ſcheint das nur bis zu einem gewiſſen Grad richtig 
zu fein. Es waren tiefgreifende, für die damalige Zeit noch kaum 
faßbare Neuerungen, daß die Jefuiten weder das gemeinſame Chor- 
gebet noch das gemeinſame Familienleben im Sinn der älteren Orden 
übten. Sie trugen auch keine beſondere Ordenstracht. Das ſcheinen 
belangloſe Außerlichkeiten zu fein. In Wirklichkeit aber ift der trei⸗ 
bende Gedanke, aus dem alle dieſe Neuerungen hervorgingen, etwas 
ganz Neues, bisher nie Dageweſenes. j 


376 


In der „Muſtik der Tat“ kehren Gedanken wieder, zu denen wir 
bereits geſagt haben, daß wir fie durchaus ablehnen müſſen. Es 
handelt ſich hier eben nicht um Dinge, die man willkürlich annehmen 
oder ablehnen oder gar ins Oächerliche ziehen darf, ſondern um Lebens» 
erſcheinungen, die nur aus den Schriften der von der kirche aner⸗ 
kannten Muſtiker beftimmt werden können. hier hat einzig die Er⸗ 
fahrung das Wort; ſie iſt zu hören. Es wäre nicht abzuſehen wie⸗ 
viel Derwirrung und Unheil irrige und ſachlich ungerechtfertigte Auf- 
faſſungen über Muſtik ſonſt anrichten könnten. 

Ebenfo packend wie zutreffend werden „Rampfplatz und Waffen- 
rüftung“ des geſuitenordens geſchildert. Es ift plaſtiſch herausgeſtellt, 
wie ſcharf der Orden zwiſchen Mittel und Zweck unterſcheidet und wie 
die Mittel nach ihrer Brauchbarkeit abgeſtuft werden, wie letztlich das 
entſcheidet, was ſich lohnt. In dieſem ausgeſprochenen Charakterzug 
mag es liegen, daß man dem Orden die in ſich haltloſe Anſchuldigung 
machte, als lehre er, der Zweck heilige die Mittel. Der geſuitenorden 
hätte der reformbedürftigen Kirche des 16. Jahrhunderts nie die unver- 
gänglichen Dienſte leiſten können, wenn er nicht von ſeiner Stiftung 
her ſo eingeſtellt geweſen wäre. Menſchlich geſprochen war es vor 
allem die Geſellſchaft Jefu, die damals das katholiſche Leben rettete 
und langſam wiedererneuerte. Und dieſe Erneuerungstätigkeit erſtreckte 
ſich ſelbſt auf die älteren Orden. Es wird aber wohl zugegeben werden 
müſſen, daß dieſe geiſtige Einſtellung unter Umſtänden eine Gefahr 
werden kann, dann nämlich, wenn die kirchlichen Derhältniffe einmal 
anders gelagert ſein werden, als ſie es in den letzten gahrhunderten 
waren. Dann könnte jenes „utilitariſtiſche“ Prinzip zu einem zwei⸗ 
ſchneidigen Schwerte werden. Wir zweifeln nicht, daß der geſuiten⸗ 
orden innere Lebenskraft genug beſitzt, ſich mit der Zeit der äußeren 
Entwicklung völlig anzupaſſen. Gemeinſchaften find zwar Unperſön⸗ 
lichkeiten, die oft nur allzu ſtark vom Trägheitsgeſetz beherrſcht find; fie 
kommen daher innerlich der äußeren Veränderung nicht immer genũ⸗ 
gend nach. Bei der außerordentlichen Beweglichkeit und Anpaſſungs⸗ 
fähigkeit des geſuitenordens wird indeſſen dieſe Gefahr für ihn am 
geringften fein. Ähnliches ließe ſich von der Stellung des Ordens 
und der Orden allgemein zur Kultur und zu den natürlichen und 
weltlichen Werten ſagen. 

Am tiefſten dringt der Derfalfer im Kapitel über „Die Ordensobern“. 
Der einzigartige Individualismus, den gerade die Geſellſchaft geſu bei 
ihren Mitgliedern nicht nur ausbilden, ſondern bereits vorausſetzen 
muß, ift das Beſondere, in dem der geſuitenorden weit über die 


377 


alten Orden hinausging. Es ift eine feine Pſuchologie, wenn der Der- 
faſſer bemerkt: „Der geſuitenorden kann maſchinelle Charaktere, un= 
ſelbſtändige Weſen, die nur in ftarrer Bindung wirken können und zu 
eigener Auffaffung und Entſchließung unfähig find, am allerwenigſten 
gebrauchen, wenn fie auch unfähigen Obern willkommen fein werden“ 
(73). Ohne dieſen ſtarken Individualismus hätte die Renaiſſance⸗ und 
Reformationszeit religiös nicht gemeiſtert werden können. Einen katho⸗ 
liſchen Individualismus geſtaltet zu haben, iſt das unſterbliche Der- 
dienſt des hl. Ignatius und feines Ordens. Die älteren Orden, ſelbſt 
die weniger alten der Dominikaner und Franziskaner, waren viel zu 
ſtark in der urſprünglichen Gemeinſchaftsidee verwurzelt, als daß ſolch 
ein Individualismus aus ihnen hätte herauswachſen können. Es be⸗ 
durfte einer Neuſchöpfung. Und das Wunderbare an dieſer Heu« 
ſchöpfung war, daß der Individualismus des hl. Jgnatius und feines 
Ordens von der verhängnisvollen Entartung der Renaiffance und Re⸗ 
formation von vornherein bewahrt blieb. Das Geheimnis war die 
ſtraffe Zentralleitung des Ordens. Dieſe beiden äußerſten Gegenſätze zu 
reibungsloſem, organiſchen Jneinanderwirken gebracht zu haben, war 
nicht Menſchenwerk, ſondern ein Werk übernatürlicher Erleuchtung. 
Das iſt das Größte an der Stiftung des hl. Ignatius. Er wollte feine 
Söhne bis zum äußerſten Individualismus ſich entwickeln laſſen, um 
die im äußerſten Individualismus Derirrten zu retten, und fie doch 
durch die unbeugſame Gewalt des Gehorſams ſicher und ſtark im Bann 
der Semeinſchaft zu halten. Wir ſtehen hier vor einem Wunder Gottes. 
hier liegt die Quelle, aus der letztlich alle Pſuchologie des Jefuiten- 
ordens fließt. Wenn etwas das immerwährende Wirken des hl. Geiftes 
in der ktirche Gottes beweiſt, dann ſicher der Umſtand, daß fie im Tief» 
ſtand des 16. Jahrhunderts den geſuitenorden aus ihrem Schoß gebar. 
Das war Gottes Geiſt; Gottes Beift, der die Natur nicht vergewaltigt, 
ſondern ſich wunderbar an ihre Gefege anpaßt. Er mußte fi, wenn 
man ſo fagen darf, eines Werkzeuges bedienen, wie es ihm St. Igna⸗ 
tius in ſeiner Stiftung bereitete. Es erfüllt mich immer mit tiefer Ehr⸗ 
furcht, ſooft dieſes Wunderwerk von Natur und Gnade an meinem 
geiſtigen Auge vorüberzieht. Nicht die Exerzitien find das eigentlich 
Schöpferiſche, fondern die Löfung, wie vollendeter Individualismus 
durch eine einzigartige Semeinſchaftsbindung zu einem fo wirkſam 
arbeitenden Werkzeug werden konnte. Das Schwergewicht liegt in 
der Ausbildung vollendeter Individualitäten. Dem gegenüber tritt die 
ſtraffe Semeinſchaftsbindung an zweite Stelle, als eine Art Mittel 
zum Zweck. hier liegen die Wurzeln des Ruswahlprinzipes, das für 


378 


Uneingeweihte leicht den Anſchein eines kalten, rückſichtsloſen Nüßlich- 
keitsſtandpunktes erwecken kann. Es ſoll auch nicht geleugnet wer⸗ 
den, daß darin Klippen liegen, an denen ungezählte innere und äußere 
Werte zerſchellen können. Der Orden aber gäbe ſich in feiner Eigen; 
art ſelber auf, wenn er in dieſem Punkt eine Umkehr vollzöge. Unheil 
kann entſtehen und vermieden werden, je nachdem die leitenden Per⸗ 
ſönlichkeiten Seelenweite und Seelengröße genug befigen, um nicht den 
Buchſtaben, ſondern den Geiſt walten zu laſſen. P. Lippert findet be⸗ 
ſonders treffende Worte, wo er das Bild des Oberen zeichnet. Vieles 
klingt mehr als Wunſch, daß es ſo ſein möchte, denn als Wiedergabe 
wirklicher Derhältniffe. Es gilt auch hier der Erfahrungsſatz, daß es 
leichter iſt, gut zu gehorchen, als gut zu befehlen. 

„Im dienſte des Papſttums“ enthält geiſtreiche Ausführungen über 
das vierte Gelübde, über jenen befonderen Gehorfam der geſuiten 
gegen den Papſt. Kraft des vierten Gelübdes find die Mitglieder der 
Geſellſchaft geſu verpflichtet, überall dorthin zu gehen, wohin der 
Papſt zum Wohl der Religion fie ſendet. Auch dieſes Gelübde hängt 
aufs innigſte zuſammen mit jenem Individualismus, von dem wir 
bereits geſprochen haben. Gemeinſchaften find bodenſtändig. Sie laſſen 
ſich nicht ohne weiteres von Ort zu Ort übertragen. Die Cage der 
kirche im Reformationszeitalter erheiſchte aber Werkzeuge, die mit 
der örtlichen Beweglichkeit, Raſchheit und Sicherheit von fertigen In⸗ 
dividualitäten verfügbar ſtanden. Das Verfügungsrecht des Papſtes 
über die einzelnen Jeſuiten mit dem vierten Gelübde bildet, gleich ⸗ 
zeitig mit der ſtraffen Zentralleitung, eine ſtarke Sicherung gegen Hus⸗ 
wüchſe eines einſeitigen Individualismus. Wir können nur wieder⸗ 
holen, daß der geſuitenorden kraft feiner Grundidee das geeignetſte 
mittel in der hand der göttlichen Dorfehung war, um die Rirche und 
ihre Gläubigen aus den Tiefen des 16. Jahrhunderts wieder auf die 
Höhen alten Glanzes zurückzuführen. Es war der Geiſt des Angriffes 
und der Eroberung für das Reich Chrifti, der den Orden zu allen 
Zeiten erfüllte. Er mußte von Andersgläubigen natürlich wie eine 
feindliche Nacht empfunden werden. Daher die heftigen Gegenſtöße, 
die der Orden immer auslöſte. Daß auch Gefahren in dieſer eigen 
artigen Struktur des geſuitenordens liegen, hat P. Lippert weder 
überſehen noch verſchwiegen. 

Eine ſolche Gefahr wird berührt in der Studie „Perſönlichkeit und 
Dienſtbarkeit“. Individualitäten, wie fie der Orden zur Verwirklichung 
feiner Ziele braucht, ſtehen nicht immer fertig zur Derfügung. Sie 
müffen erzogen, herangebildet werden. Nur innerlich freie Menſchen 


* 


379 


können Perſönlichkeiten fein. Wir wiſſen aber, wie ſeit der Erbſünde 
das Innere des Menſchen von zahlloſen Hemmungen und ungeregelten 
Strebungen überwuchert iſt. Um den kiern von Perſönlichkeiten und 
wahrer Individualitäten aus diefen VDerſchüttungen und Derkruftungen 
herauszuarbeiten, bedarf es eines harten und langwierigen Säube⸗ 
rungswerkes. Es wäre weiter nicht verwunderlich, wenn bei dieſem 
Vorgang oft das vernichtet wird, was eigentlich erſtehen ſoll. Der 
Derfaffer zeigt, wie diefen Gefahren von einer klugen Leitung begegnet 
werden kann. Manches klingt wie eine Gewiſſenserforſchung für jene, 
die die Derantwortung dafür tragen, daß „Perſönlichkeit und Dienſt⸗ 
barkeit“ in den einzelnen Mitgliedern ſich gegenſeitig nicht aufreiben, 
ſondern erſt recht zur Entfaltung bringen. Einmal iſt auch die Rede 
von dem intellektualiſtiſchen Jug, der der Ausbildung des geſuiten 
anhaftet. Bier birgt ſich eine andere Gefahr. Intellektuelle Erkennt- 
niſſe dürfen und können nicht Selbſtzweck ſein. Sie ſollen dem Willen 
die Motive zum Handeln vermitteln. Denn nur in der Willenstätigkeit 
wird die Individualität, die Perſönlichkeit, der ſittlich vollendete Menſch. 
Bloße Erkenntniſſe können nie Träger des Sittlichen ſein. Das iſt der 
Wille allein. Dieſe Pſuchologie liegt ja auch der „Betrachtung“ zu⸗ 
grunde; Erkenntniſſe, die Selbſtzweck ſein wollten, verfälſchten die 
Perſönlichkeit. 

Es iſt ein Genuß, P. Lippert zu folgen, wo er die Wurzeln der 
natürlichen Faktoren im Werden des geſuitenordens aufdeckt. Er zeigt, 
wie gerade Spanien im allgemeinen und Jgnatius im beſonderen die 
natürlichen Dorausfegungen beſaßen, um das einzigartige Gebilde der 
Geſellſchaft geſu zu ſchaffen. Der Derfaffer glaubt Halt machen zu 
müffen vor einem betzten und Tiefſten im Weſen des heiligen Stifters 
als vor einem Geheimnis. In den beiden letzten Abſchnitten „Die 
Stunde der Berufung“ und „Gegenwart und Zukunft“ lüftet er ein 
wenig den Schleier von dem Geheimnis: er weiſt über die natürlichen 
ſchöpferiſchen kträfte hinaus auf eine übernatürlich wirkende Urſache, 
auf die Dorfehung Gottes. In der Tat, Ignatius und fein Orden 
blieben letztlich ein Buch mit ſieben Siegeln, wenn man nicht das 
Wirken übernatürlicher kräfte zugeben wollte. 

Mit unnachahmlicher Meiſterſchaft gebraucht P. Lippert Licht und 
Farben, um in einem bezaubernden Bild voll Poefie die Zeiten und Auf» 
gaben uns vorzuführen, in die die Gefellfhaft Jefu hineingeboren wurde. 
Ja, der geſuitenorden war das Ereignis feiner Zeit. Es ift nur ſchade, 
daß die herrlichen Rus führungen wiederum geftört werden durch Bemer⸗ 
kungen über Muſtik, Ekſtaſen, Difionen, die weder nötig noch richtig find. 


380 


Mit Recht ſtellt der Derfaffer zum Abſchluß die Frage, ob der geſuiten⸗ 
orden auch in Zukunft der Kirche Gottes dieſelben Dienſte leiſten werde, 
wie in der Dergangenheit. P. Lippert ift ein zu ruhiger Beobachter, als 
daß es ihm entgehen könnte, wie die Aufgabe, die mit dem aus⸗ 
gehenden Mittelalter einſetzte, heute ſich ihrem höhepunkt nähert. 
Man kann wohl getroſt behaupten, daß ſie ihren höhepunkt bereits 
überfchritten hat. Das Zeitalter des Subjektivismus und des Indivi⸗ 
dualismus neigt ſeinem Ende zu. Der Pfeil der Entwicklung zeigt in 
der Richtung auf eine neue Gemeinſchaftsidee. Die urchriſtlichen 
und urkirchlichen Elemente werden auf einmal wieder flüffig, nachdem 
fie jahrhundertelang nahezu ſtill gelagert waren. Eine Entwicklung geht 
zwar nie rückwärts. Das unverlierbare Gute, das uns das Zeitalter 
des Individualismus gebracht hat, wird ſicher weiter leben. Die Frage 
iſt nur, ob mit den neuen Zielen nicht auch neue Mittel gegeben 
werden müſſen. Die Zukunft, die vor uns liegt, weiſt andere Züge 
auf, als jene Zeit, die für das 16. Jahrhundert Zukunft war. Es 
müßte darum wohl auch der geſuitenorden ſich innerlich umſtellen, 
wenn er der Zukunft das fein wollte, was er der Vergangenheit war. 
Ob er dieſe außergewöhnliche Lebenskraft in ſich trägt, das können 
wir zwar nicht entſcheiden, wohl aber hoffen. Noch viel weniger 
können wir vorausſagen, ob Bott der Kirche einen neuen heiligen 
und Ordensſtifter ſchenken wird, der an der Zukunft dieſelbe Miſſton 
zu erfüllen hätte, wie fie Ignatius und fein Orden in der Neuzeit 
erfüllt haben. Die beſtehenden Orden können dieſer Aufgabe nur in 
dem Grad gewachſen fein, als fie den Geift der Zukunft und den Beift 
der Kirche zu einem organiſchen Ganzen in ſich zu verſchmelzen ver⸗ 
mögen. Dieles deutet darauf hin, daß der Geiſt des Urchriſtentums 
wiederum zu neuem Leben erwachen will, wenn auch entſprechend dem 
Stand der heutigen Menſchheitsentwickhlung. Darum werden gerade 
die Orden der Zukunft etwas bieten können, die den Geiſt der Ur⸗ 
kirche am treueſten gehütet haben oder neu zu erwerben verſtehen. 

Es wäre zu begrüßen, wenn wir nach und nach die Pfüchologie jedes 
Ordens dargeſtellt bekämen. Nus der Pſuchologie der Orden würde die 
Pſuchologie der kirche überhaupt am tiefſten verſtanden werden; aber 
es vermag kein Orden für ſich allein, nur alle zuſammengenommen 
vermögen das innerſte Weſen der kirche zum Nusdruck zu bringen. 
Wie das Samenkorn aus ſich eine beſtimmte Pflanze entwickelt, ſo 
bringt auch die ktirche mit Weſensnotwendigkeit alles aus ſich hervor, 
was zu ihrer Erhaltung, Entfaltung und Vollendung notwendig iſt. 


& * „ 


381 


Geſunde Frömmigkeit. 
Don P. Wolfgang von Czernin (Beuron). 


Se einigen Jahren üben die Benediktinerklöfter auf Ereife, die 
unferem Leben ferner ftanden, eine eigentümliche Anziehungskraft 
aus. Das ift u.a. zurückzuführen einerfeits auf das Streben der Klöfter, 
die religiöfen Werte, die fie wahren, weiteren Areifen zugänglich zu 
machen, andererfeits auf ein wirkliches Unbefriedigtſein der Laienwelt, 
beſonders der gebildeten, mit der ihnen bislang faſt einzig bekannten 
Art, die Frömmigkeit zu pflegen. Die Frömmigkeit, fo wie fie ge⸗ 
wöhnlich aufgefaßt wird, iſt bei vielen in Verruf geraten. 

Man will ja ordentlich katholiſch fein, aber beileibe nicht fromm. 
Das ſcheint zum wirklichen beben in der Welt nicht recht zu paſſen. 
Unwillkürlich treten einem gewiſſe Vertreter „frommer“ Menſchen vor 
Augen. Dieſe will man auf keinen Fall nachahmen. Dieſe „Frömmigkeit“, 
die in der Derrichtung langer Andachten befteht, in niedergeſchlagenen 
Augen, in der Verachtung unſchuldiger Freuden, in beftändiger Angſt 
vor Sünden, hat allerdings nichts Anziehendes. Eine Frömmigkeit, 
die den Menſchen in ſeiner Perſönlichkeit nicht zur vollen Entfaltung 
kommen läßt, kann aber auch nicht die richtige ſein. Fromm ſein 
heißt Gott dienen mit allen Kräften, die der gütige Schöpfer in den 
menſchen hineingelegt hat, und heißt weiter, dieſe Kräfte der Per⸗ 
ſönlichkeit zur höchſten Vollkommenheit ſteigern. 

Es mag eine Zeit gegeben haben, in der man bei der Frömmigkeit 
mehr die Weltflucht betonte, vielleicht auch betonen mußte; heute 
ringt ſich die Erkenntnis durch, daß nicht zwar Nietzſches „Übermenſch“, 
aber dafür der ganz chriſtliche „Übermenſch“ mit feiner Araftfülle, mit 
ſeiner geiſtigen Weltdurchdringung und Weltbeherrſchung zugleich der 
eigentlich Fromme ſein kann und ſoll. Es war die Jugendzeit des 
Chriſtentums, als es noch mit den niedrigen Gelüften des heidentums 
ringend ſich vorzüglich in der Abwehr und in der äußeren Abtötung 
behaupten mußte; heute aber muß das immer reifer werdende Chriften- 
tum aus ſeiner Abwehrſtellung heraustreten und zum Angriff auf der 
ganzen Linie übergehen, es darf nicht mehr die Welt fliehen, es muß 
ſie ſich erobern, es darf nicht mehr zögern, ſeinen neuen Wein in die 
neuen Schläuche, die ihm unſere Zeit bietet, zu gießen. 

Ein lauter Derkünder diefer neuen Zeit redet gegenwärtig eine ganz 
neue Sprache, eine Sprache, die den modernen Menſchen, den Wirk⸗ 
lihkeitsmenfchen, der aller rein abſtrakten Geiftesbildung den Rücken 
gekehrt hat, unmittelbar ergreift. Er hat vielleicht wie kein anderer 


382 


erkannt, daß die Derkündigung der ewig wahren Beilslehre auf einem 
toten Punkt angelangt iſt, daß von den Predigern der Religion die 
heiligen Urkunden, wie er ſich ausdrückt, „bis auf den Grund und 
bis zur Langweile ausgeſchöpft erſcheinen“, fo daß die chriſtliche 
Frömmigkeit ſich an ihnen nicht mehr erwärmen kann. Vor lauter 
Sucht, auch das ganze Frömmigkeitsleben rein begrifflich zu faſſen, 
hat man auf das Erlebnis vergeſſen, auf die inneren Sefühlswerte, 
ohne die eine lebendige Frömmigkeit nicht beſtehen kann. 50 kommt 
es auch, daß die meiſten Menſchen, wie er fagt, auf die Frage, 
ob fie wohl heilige werden wollten, ſich geradezu ſchütteln, als ob 
ihnen etwas ganz Widernatürliches zugemutet werden ſolle, etwa ſo 
wie wenn einer Wermuttee trinken muß, und dann antworten: „In den 
Himmel wollen wir wohl kommen, aber heilige, nein, das wollen wir 
nicht werden.“ Das kommt daher, weil man von heiligen, von ganz 
Frommen, eine unrichtige Auffaffung hat. Würde aber die Erkenntnis 
allgemein werden, daß der heilige der echte Vollmenſch ift, der 

„Erlöſte“ im ſtrengſten Sinn des Wortes, der durch die Erlöfung ſeine 
volle urſprüngliche menſchenwürde wiedererlangt hat, dann würde 
ſich wohl niemand lange befinnen und jeder freudig rufen: „Ja, ich 
will ein Heiliger werden.“ 

Und nun kommen die Klöfter mit ihrer Liturgie, mit ihrer heiligen 
Altargemeinſchaft. Die katholiſche Laienwelt hört den Weckruf. Es 
geht ein Ahnen durch ihre Reihen, daß hier vielleicht die Waſſer fließen 
möchten, an denen ſich das verwelkende religiöfe Leben wieder er⸗ 
friſchen könnte. Man hat es empfunden, daß die Frömmigkeit ihre 
nahrung allzuſehr in Andachtsbüchern ſuchte, die, autoritätslos wie 
fie faft alle find, trotzdem das geiſtige beben in feinen fo mannig- 
faltigen, immer wechſelnden Gefühlen und Stimmungen von oben 
herab ſchabloniſteren wollen und damit zugleich ertöten. Die Liturgie 
hat die Autorität der kirche für ſich, die Autorität des hl. Seiſtes 
ſelbſt, der in ihr betet. Es iſt, im Glauben aufgefaßt, die Sprache 
des Hl. Beiftes, die die Kirche in ihrer Liturgie redet. Man darf nun 
allerdings nicht beim menſchlichen Beiwerk ſtehen bleiben, ſich mit der 
äußeren Schale begnügen, ſonſt gibt es nicht eine neu anhebende 
Frömmigkeit, ſondern ein bloßes Äfthetifieren, ein Jeremonienmachen, 
oder ein Stück Archäologie und ktirchengeſchichte. Man muß zum 
fern vordringen, da findet man den Geiſt, den hl. Beift, der alles 
lebendig macht. Der hl. Seiſt, der haßt im Grunde die Schablone, der 
haßt Suſteme und Methoden, wenigſtens wo fie Selbſtzweck werden, 
der haßt die Derallgemeinerungen. Der Bl. Beift allein kennt das 


383 


Menſchenherz bis in feine tiefften Tiefen, der HI. Beift, wird darum 
auch allein allen Gefühlen, allen Stimmungen des Menſchenherzens 
gerecht. Der BI. Geift vergewaltigt nie die Perſönlichkeit, er ftußt fie 
nicht zurecht, er ſtreckt ſie nicht auf ein Folterbett; er bringt vielmehr 
die Perſönlichkeit zur höchſten Vollendung, indem er fie ganz frei 
macht, frei von allen Bindungen der Selbſtſucht, frei vom Beſtimmt⸗ 
werden durch Fremdes, außerhalb der Seele Liegendes, frei in der 
Bindung und Freiheit der Kinder Gottes. 

Das alles tut der HI. Seiſt, weil er Geben ift. Nur Leben kann 
wieder beben wecken, und fo ift die vom hl. Beift belebte Frömmigkeit 
die Frömmigkeit ſchlechthin, bei der das ganze Menſchſein mitſchwingt, 
bei der die Perſönlichkeit nicht eingeengt wird durch äußere und äußer⸗ 
liche Geſetze, ſondern aus ihrem eigenen Mittelpunkt heraus lebt und 
fo ganz frei wird. Zu dieſer wahrhaften Frömmigkeit, zu dieſer Geift- 
frömmigkeit will und kann die Liturgie der kirche führen. 

Es gibt nun zwar, Gott ſei Dank, noch Seelen genug auf der Welt, 
die der HI. Geilt unmittelbar in feine Schule nimmt. Die wiſſen viel- 
leicht herzlich wenig von „Liturgie“, und doch leben fie das volle herz⸗ 
liche beben der Freiheit der kinder Bottes. Sie brauchen keine Bücher, 
um ihre Andacht zu nähren, und gebrauchen ſte ſolche, ſo genügt 
ihnen ſelbſt das Armſeligſte. Sie finden und ſchauen Bott überall. Es 
find das die gottbegnadeten „Künſtlerſeelen“, die eine fo tiefe Schau 
in das Weſen aller Dinge haben, daß für fie die ganze Welt nichts 
anderes ift als eine herrliche Offenbarung der Schönheit Bottes. Es 
find das Hienfchen, bei denen das ganze Frömmigkeitsleben aus einem 
Guß ift, bei denen es nichts Angelerntes, nichts Eingeübtes gibt, bei 
denen es eben aus der innerſten Seele hervorquillt und ihrem ganzen 
beben Form und Inhalt gibt, ſodaß fie fromm find eben dadurch, 
daß fie ihr beben leben und nicht anders leben können, als eben 
in dieſer Frömmigkeit. Aber nur wenigen iſt dieſe von Anfang an 
lebendige, mit ihrem innerſten Sein verwachſene Frömmigkeit gegeben. 
Die meiſten müſſen zur wahren Frömmigkeit der Rinder Gottes erft 
allmählich erzogen werden, bezw. ſich erziehen. hierin kann die bi- 
turgie eine große hilfe ſein. 

Huf welche Weiſe wird die wahre Frömmigkeit gerade durch ein 
Leben aus der Liturgie und in ihr gefördert? 

Es kommt hiebei nicht fo ſehr auf liturgiegeſchichtliche und exege⸗ 
tiſche kenntniſſe an, obwohl auch dieſe, in ihrem kiern erfaßt, große 
Hilfe ſind, wenn fie Eigenbefiß und koſtbares Seelengut werden. Es 
kommt auch nicht auf das ganze Derftändnis aller Einzelheiten an; 


384 


wichtig ift nur für die Erziehung zur wahren Frömmigkeit die Er« 
faſſung der großen Wahrheiten, die uns die Liturgie nahelegt. 

Die Frömmigkeit vieler Frommen iſt deshalb in Derruf geraten, 
weil ſie zu kleinlich, zu engherzig, zu weltabgewandt erſcheint. 

Die Liturgie iſt großzügig; wer mit der Liturgie betet, der muß 
deshalb ſelbſt großzügig werden. Die Liturgie iſt großzügig, weil ſie 
dem armen Menſchenherzen nicht ganz beſtimmte Gefühle aufzwingt 
und ſeine Perſönlichkeit vergewaltigt und das innere beben ſchablo⸗ 
nifiert; fie läßt dem individuellen Leben große Freihheit, jeder kann 
bei ihr auf ſeine Rechnung kommen, mag er was immer für ein 
Temperament haben. Und weil es der Geiſt Gottes ſelber ift, der in 
der Liturgie betet, der Beilt, der alles ergründet, fo weiß er auch 
jeder einzelnen Seele ſich zu offenbaren, als wäre er behrmeiſter und 
Führer und Freund nur für fie allein, wie es im Pſalm heißt: „Er, 
der die Herzen aller ſchuf, er Rennt auch all ihr Tun.“ Die Liturgie 
bindet nicht, verpflichtet nicht auf ein Suſtem, fie läßt der individuellen 
Veranlagung des Einzelnen volle Freiheit, fie iſt mit einem Wort groß ⸗ 
zügig. Weil fie eben vom hl. Beift, dem Debendigmacher, erfüllt iſt, 
iſt fie ganz beben und verſteht das beben und weiß das Leben in 
feiner ganzen Mannigfaltigkeit zu befruchten. Ein Menſch alfo, der 
ſich wahrhaft in die Liturgie einlebt, wird von ſelbſt großzügig in 
ſeiner Frömmigkeit. Er wird nicht dem erſten beſten aſzetiſchen Schriſt⸗ 
ſteller, der eine beſtimmte Bahn vorſchreibt und genaue Derhaltungs- 
maßregeln gibt, ohne weiteres glauben und fi ihm mit Leib und 
beben verfchreiben. Er wird aber doch wiederum jede Koft annehmen, 
die er ſich vollſtändig anzueignen vermag. Er wird niemals das tieffte 
Wefen der Frömmigkeit, die bewußte Gottverbundenheit, mit den 
Mitteln zur Frömmigkeit zu gelangen, verwechſeln. Er wird über: 
haupt nur ſolche Mittel gebrauchen und ſie nur ſolange gebrauchen, als 
ſie dieſe Frömmigkeit wirklich fördern. Er wird nicht als Grundſatz 
aufſtellen: Fromm iſt ſchon, wer nur täglich eine beſtimmte Anzahl von 
Gebeten verrichtet, pedantiſch genau feine Kirchenbeſuchungen macht, 
wer mit niedergeſchlagenen Augen einhergeht. Seine Vebensregel if 
vielmehr ganz einfach, und in der Einfachheit groß: Fromm iſt, wer 
ſeine Arbeit, ſeinen Beruf im Glauben anſieht, d. h. auf Gott hinſchaut 
und in dieſem Geiſt mit allen feinen von Gott verliehenen Kräften 
arbeitet, fo daß in der ganzen Berufsarbeit die reſtloſe Sottzugehörig⸗ 
keit zum Ausdruck kommt. Frömmigkeit iſt, wie einer geſagt hat, 
Gebet, Pflicht, Arbeit, Freude, Erfolg, Derluft, beiden, alles vor, in 
und für Bott. Die wahre Frömmigkeit iſt nicht einſeitige Gebets: 


385 


frömmigkeit, die leicht in Kleinlichkeit ausarten kann, ſondern fie ift 
die innere Befamthaltung vor Gott. Man kann ruhig ſagen, daß die 
menſchen, die in ihrem Tun und Laffen von dem Gedanken: „Ich bin 
ein Kind Gottes“ beherrſcht werden und alle Folgerungen daraus zie- 
hen, alſo ruhig, vertrauensſelig, berufstreu, mutig, unternehmungs⸗ 
luſtig find, weil fie ſich immer und überall in Gottes Daterarmen ge- 
borgen wiſſen, daß dieſe einfachen, großzügigen, lieben Menſchen die 
eigentlich Frommen ſind. Sie ſind ſo erleuchtet, daß ſie unter allen 
Umſtänden der Tat der Liebe den Dorrang vor jedweder [pezififch- 
religiöfen Betätigung einräumen, und damit zeigen fie, daß fie das 
Weſen der Frömmigkeit erfaßt haben. Zu diefer Freiheit und Broß- 
zügigkeit im inneren Leben ſoll gerade die Liturgie mit ihrem reich 
ausgebildeten, feſtgefügten Gebetsleben mit Sakrament und Opfer 
durchs ganze Rirdyenjahr hindurch erziehen. 

Und nun zur Weitherzigkeit. Engherzige Fromme gehen mit 
Scheuklappen durch die Welt. Überall wittern ſie Gefahren für ihre 
Tugend, ſie wagen kaum, ihre fünf Sinne zu gebrauchen aus lauter 
Angſt, das mühſam errichtete Tugendgebäude möchte zuſammenbrechen. 
Sie ſehen bei den Dingen des Lebens leicht nur die eine dunkle Seite, 
die irgend eine Berührung mit Sünde haben kann, und all das helle 
und Gute und Große der drei anderen Seiten liegt für ſie im Schatten. 
Das Beten mit der Liturgie hingegen vermag weitherzig zu machen; 
denn die Liturgie iſt weitherzig. Sie nimmt auch das Sinnenleben 
für ſich in Anſpruch, um es zu veredeln. Sie fürchtet nicht oder doch 
nicht mehr, daß etwa durch ſchöne Muſik, durch Poefie und Aunft, 
durch koſtbare Gewänder, reichen Kirchenſchmuck, ein prächtiges Gottes⸗ 
haus der reine Dienſt Gottes, die Frömmigkeit irgendwie Schaden leide. 
Ihr Grundſatz iſt, alles das gehört zur Frömmigkeit, der ganze Menſch, 
wie er leibt und lebt, der volle Wirklichkeitsmenſch, nicht bloß ſein 
trockener Derftand. Und bei der Auswahl der Texte, die ja Seelen⸗ 
nahrung fein ſollen, zeigt die Liturgie wahrlich keine Engherzigkeit. 
Es gibt Fromme, die reden von „anſtößigen Stellen“ in der HI. Schrift, 
über die fie bei ihren geiftlichen beſungen züchtig hinweggleiten. Ge⸗ 
wiß, Rückſicht auf die „Schwachen“ nehmen auch die heiligen. St. 
Paulus mahnte in dieſem Sinne, und auch St. Benedikt will 3. B. den 
Heptateuch und die Bücher der Könige nicht gerade abends gelefen 
wiſſen, „denn für ſchwache Gemüter wäre es nicht gut, zu dieſer Zeit 
jene Teile der Hl. Schrift zu hören; zu anderer Zeit aber ſollen ſie 
geleſen werden“ (Kap. 42). Unſere Zeit ift in dieſem Punkte oft noch 
arg empfindlich. Die Liturgie kennt ſolche Empfindlichkeiten nicht. 


Benediktinifche Monaiſchriſt VI (1924) 11— 12. 24 


386 


Sie weiß, daß alles, was vom Geiſte Gottes kommt, feinen provi⸗ 
dentiellen Zweck in der Beilsökonomie hat. Und fo wird 3. B. das 
Hohelied in der Liturgie ausgiebig benützt mit all ſeinen Ausdrücken 
überſchwänglicher orientaliſcher Phantafie, und viele andere Schrift- 
ſtellen werden von der Liturgie mit heiliger. Würde in entzückender 
Einfalt und Selbſtverſtändlichkeit gebraucht. Das iſt wohltuende Weit⸗ 
herzigkeit, die, wenn fie in das Frömmigkeitsleben des Einzelnen Ein⸗ 
gang findet, dieſem ſelbſt das Schreckhafte, Abſtoßende nimmt, ihm 
Seele einhaucht und wahre Weihe verleiht. 

Die Liturgie lehrt weiter auch geſundes Derftändnis für die Welt. 
Sie ift nicht weltfremd. Sie befingt Sonne, Mond und Sterne und 
die Erde mit ihrer ganzen Pracht in ihrem Verhältnis zum Schöpfer. 
Ein Hinweis auf das geſchichtliche Weltgeſchehen, dem die Liturgie 
mit offenem Auge entgegentritt, liegt in dem Umſtand, daß viele Einzel⸗ 
heiten der Liturgie die Frage nach ihrer Geſchichte, nach der Umwelt, 
aus der ſie entſtanden ſind, geradezu herausfordern. In den Büchern 
der hl. Schrift, die in der Liturgie zur Derlefung kommen, leuchtet 
uns die geſamte Weltgeſchichte von der Schöpfung bis zur Vollendung, 
von der Geneſis bis zur Geheimen Offenbarung entgegen. Schließlich 
bergen die liturgiſchen Bücher eine große Zahl von Gebeten und Seg⸗ 
nungen, durch die rein weltliche Dinge in den heiligen Dienſt Gottes 
gezogen werden. Frömmigkeit, die ſich an der Liturgie der Kirche 
bildet, iſt daher notgedrungen weltdurchdringend, weltbeſeelend, welt- 
weihend, nicht aber weltabſtoßend, weltverachtend. a 

Die Frömmigneit mancher Frommen kann insbeſondere auch des⸗ 
halb nicht recht befriedigen, weil ihr Unterbau zu ſchwach iſt. Man 
vermißt in ihr die entſprechende Würdigung der großen heilstatſachen. 
Der Zuſamenhang mit Chriſti Heilswerk ift zu loſe, zu ſehr nach oben⸗ 
hin, die Frömmigkeit ift in dem Gottmenſchen nicht recht verwurzelt, 
und deshalb mangelt es ihr an innerer Gediegenheit und Feſtigkeit; 
fie nährt ſich mehr von einer menſchlich geſtimmten Jefusliebe als 
von dem pauliniſchen „Ey Xarorw. Schlimmer wäre es noch, wenn 
der Heiland ſelbſt vor einer unerleuchteten Heiligenverehrung in den' 
hintergrund gerückt würde. Das iſt nun gewiß der größte Gewinn 
eines weifen Miterlebens der Liturgie und eines liebenden Sichver⸗ 
ſenkens in das liturgiſche Gebet, daß dadurch wie von ſelbſt die 
Frömmigkeit auf die im Kirchenjahr zu Tage tretenden Beilstatfachen 
aufgebaut und ganz auf Chriſtus und durch ihn auf den dreieinigen 
Gott gerichtet wird. Die Frömmigkeit äußert ſich anders in der Faften« 
zeit und anders im Oſterjubel, ſie hat am hl. Weihnachtsfeſt eine ganz 


— 


i 387 


eigene Prägung, die ſich deutlich von der an Chriſti Himmelfahrt ab⸗ 
hebt. Es iſt traurig, manchmal ſehen zu müſſen, wie oftmals gerade 
an fonft wirklich frommen Menſchen das kiirchenjahr mit feiner le⸗ 
bendigen Aufeinanderfolge der Beilsgeheimniffe faſt ſpurlos vorüber- 
geht. Sie beten, was fie zu beten gewohnt find, Tag für Tag, jahr⸗ 
aus jahrein, ohne viel Rückſicht darauf, ob die tirche am Aſcher⸗ 
mittwoch ihr Memento homo, quia pulvis es, den Gläubigen ans 
Herz legt oder ob ſie zu Oſtern ihr Alleluja ſingt. Der Anſchluß an 
das liturgiſche Beten dagegen bringt ganz von ſelbſt den nötigen Wechſel 
bei aller Gleichheit des Wollens. Er befreit von der Turannei, die 
ſelbſtgewählte Andachten und Gebete und vielleicht eine ganze afzetifche 
Bibliothek über viele Seelen ausüben. 

Da die Liturgie Darſtellung und euchariſtiſche Wiederholung und 
Dergegenwärtigung der Erlöfungstat Chrifti iſt, und auch die heiligen⸗ 
fefte, vorab die Feſte der allerſeligſten Jungfrau Maria, nur auf dieſem 
Grund ihren Wert gewinnen und ihren ſchönſten Glanz erlangen, fo 
wird auch die Frömmigkeit, die ſich an der Liturgie zu erwärmen ſucht, 
Chriftus den herrn ganz in den Vordergrund rücken. Es wäre un⸗ 
recht, wollte man behaupten, innige Chriftusliebe konne nur im vollen 
Anſchluß an die ‚Liturgie gefunden werden. Auch [ei entſchieden be⸗ 
tont, daß eine große Heiligenverehrung und da wieder eine glühende 
Marienverehrung keineswegs ungeſunde Frömmigkeit genannt werden 
darf. Wir müſſen die lieben Heiligen, dieſe Wunderwerke der Gnade, 
die Chriſtus dem Herrn am nächſten ſtehen, ſehr verehren. Was be⸗ 
ſonders die Gottesmutter angeht, ſo können wir in ihrer richtigen 
Verehrung kaum zu weit gehen; wir ſind gar nicht imſtande, ihr in 
wirklich gebührender Weiſe unſere huldigung darzubringen. Aber die 
Heiligen werden leider von manchen Frommen in einer Weiſe verehrt, 
durch die gerade deren Beziehungen zu Chriſtus, in deſſen Licht fie ſtrah⸗ 
len, nicht gewürdigt werden, fo daß man tatſächlich faſt von einer Der- 
unehrung ftatt einer Derehrung der heiligen reden müßte. Nirgends 
wird die allerſeligſte Jungfrau und werden die heiligen mit erhabe⸗ 
neren Ausdrücken gepriefen als in der Liturgie; nirgends abet ſteht 
auch Chriftus als der „Hönig der Apoftel, der könig der Marturer und 
Bekenner, der könig der Jungfrauen“ mehr im Dordergrund als ge⸗ 
rade in ihr. Alle Herrlichkeiten und Vorzüge der Gottesmutter und 
der Heiligen werden in ihr auf Chriſtus zurückgeleitet; er iſt es, deſſen 
Sroßtaten in den heiligen verherrlicht werden. Don dieſer Auffaffung 
muß auch die Frömmigkeit des einzelnen getragen ſein. Dann iſt es 
gefunde Frömmigkeit. 

24° 


388 


Es ift nicht genug, daß Chriftus der herr ein Gegenſtand und 
auch ein Begenftand der Andacht bleibt, er foll vielmehr das ganze 
Frömmigkeitsleben beherrſchen. Sein beben und ſeine Geheimniſſe, 
die nicht nur in der Erinnerung oder in der himmliſchen Derklärung 
aufbewahrt, ſondern in der allerwirklichſten Weiſe in der Euchariſtie 
gegenwärtig ſind, bringen dem Menſchenherzen Troſt, erfüllen die 
Seele mit göttlichem icht und entzünden in ihr das Feuer der Liebe. 
Wenn wir die ſchier endloſe Reihe der Heiligen, dieſer Muſter wahrer 
Frömmigkeit, an dem Ruge unſeres Geiſtes vorüberziehen laſſen, ſo 
erkennen wir, wie tief ihre Frömmigkeit in Chriftus verwurzelt if, 
wie gerade das beſondere Verhältnis, in dem je zu Chriftus ſtehen, 
ihnen das eigentümliche Gepräge gibt. 

So iſt es bei einem hl. Stephanus, der unter den Steinwürfen der 
guden zu geſus aufblickt, den er zur Rechten der Araft Gottes ſtehen 
ſieht. 50 war es bei einem hl. Paulus, der ganz in Chriſtus lebt, 
fo bei einer hl. Agnes, die keine andere bräutliche Liebe kennt als 
die Liebe zu geſus, fo bei einem hl. Auguftinus, der mit der Schärfe 
feines Beiftes die Geheimniſſe des Bottmenfchen erforſcht, fo bei einem 
hl. Ambroſius, der überall im Alten wie im Neuen Teſtament Chriftus 
ſucht und ſieht, fo bei einem hl. Gregor, dem es die Hirtenliebe feines 
meiſters angetan hat, fo bei dem hl. Benedikt, für den Chriſtus König, 
Führer, Dater ift, bei einem hl. Bernhard, der von geſusminne trunken 
iſt, bei einem hl. Franziskus, der nichts anderes will als buchſtäblich 
in geſu Fußtapfen wandeln, bei einem hl. Thomas von Aquin, der 
es ſelbſt aus dem Munde des Gekreuzigten vernehmen durfte, daß er 
gut über ihn geſchrieben habe, fo bei einer hl. Gertrud, Mechtild, 
Thereſia, Margareta Alacoque, dieſen Chriſtusbräuten, die der herr in 
die Geheimniſſe feines heiligſten Herzens hat tief hineinſchauen laſſen, 
fo bei den heiligen Franz von Sales, Paul vom kireuz, Alphons von 
Giguori, die Chrifti Apoftolat, Chriſti Jüngerfchaft, fo wunderbar, aber 
jeder wieder in feiner eigenen Weiſe in ſich ausgeprägt haben. 

Das iſt alfo auch ein reicher ſeeliſcher Gewinn, den man aus der 
Heiligenverehrung ziehen kann, wenn man erkennt, wie Chriftus im 
Mittelpunkt ihres Sinnens und Trachtens, ihres Liebens und Wün⸗ 
ſchens, ihres Intereſſes und ihrer Freude ſteht. Alle die früher auf⸗ 
gezählten Mängel wahrer Frömmigkeit find in letzter Linie darauf 
zurückzuführen, daß Chriſtus dem Herrn nicht die alles beherrſchende 
Stellung eingeräumt wird. Unwillkürlich muß man an die alten 
ftoloſſer denken, denen der hl. Paulus in einem feiner Briefe fo fehr 
ins Gewiſſen redet, weil fie ſich mit allen möglichen abſonderlichen 


389 


Dingen abgeben, u. a. auch einem eigentümlichen Engelkult huldigen, 
das einzig Notwendige aber verabſäumen: „ſie halten“, wie er ſagt, 
„nicht am haupte feſt“ (Bol. 2, 19), ihre Frömmigkeit ruht nicht auf 
Chriftus. Ift einmal die Frömmigkeit vom Chriſtusgedanken befeelt, 
dann iſt es ganz unmöglich, daß ſie eckig und widerlich ausſieht. Im 
Gegenteil, fie wird überaus liebenswürdig fein. „Ciebenswürdigkeit iſt 
auf deinen Lippen ausgegoſſen“, ſingt der Pſalmiſt prophetiſch vom 
Erlöfer; liebenswürdig muß auch die Frömmigkeit derer fein, die wahre 
Abbilder Chriſti ſein wollen. A 


Adspiciens a longe... 


In Fernen ſchaue ich aus 
Siehe, die Macht Gottes naht 
Wolken breiten ſich über die ganze erde 
Gehet hinaus 
Gehet ihm entgegen und ſprechet: 

„Sage uns, biſt Du es 
Der herrſchen ſoll über Jfrael?“ 

O ihr Erdgeborenen alle, ihr Menſchenſöhne 
Ihr Reichen und Armen alleſamt 
Gehet hinaus 
Geht ihm entgegen und ſprechet: 

„Du Lenker Ifraels 

Bomm! 

Der goſeph führt, wie ein Hirt feine Herde 
O fage uns, bift Du es?“ 

Schlagt eure Flügel auseinander, ihr ragenden Pforten 
hebet euch, ewige Tore f 
Daß der König der Herrlichkeit einziehe 
Der herrſchen ſoll im Volke Ifrael! 

Ehre ſei dem Dater 
Und dem Sohn 
Und dem heiligen Geift 

In Fernen ſchaue ich aus 
Siehe, die Macht Gottes naht 
Wolken breiten ſich über die ganze Erde 
Gehet hinaus 
Geht ihm entgegen und [predet: 

„Sage uns, bift Du es 
Der herrſchen ſoll über Jſrael?“ 


Reſponſorium vom 1. Adventſonntag; wer hebr. 11, 13; Sir. 24, 6; If. 30, 27; Mt. 25, 6; Pf. 79, 3; Mt. 11, 3; 
Pk. 1, 33; Pf. 48, 3; 79,2; 23,2 und Parallelen einfieht, ahnt den Quell der Araft diefes Stückes. R. Guar - 
dinis Überſetzung erſchlen in den „Schildgenoſſen“ 4, 2 (1923) und erſcheint in einem Bändchen „Advent“ 
Verlag Deutſches Qulckbornhaus, Burg Rothenfels am Main). 


390 


Die liturgiſche Weltſprache. 
Don P. Fidelis Böſer (Beuron). 


ie vielen Millionen Menſchen, welche die Erde bevölkern, bilden 
kraft ihrer Abſtammung von einem Menfchenpaare eine natür- 
liche Einheit, eine große Familie. 50 lautet die Blaubenslehre. Aber 
das iſt leider nur Theorie. In der Tat iſt von dieſer Einheit wenig zu 
fpüren. Zu einer wirklichen Bemeinfchaft hat es die natürliche Zivili⸗ 
fation nicht gebracht, und Reine rein natürliche Kultur wird die zer⸗ 
ſplitterten Geifter zu einer Dölkerfamilie zuſammenzubringen vermögen. 
Aber was die Natur nicht zu leiſten imſtande iſt, vermögen die 
Aräfte der Übernatur. Im liturgiſchen Morgengebet der Weihnachts⸗ 
vigil ſingt der Kantor, wenn er aus dem Marturologium dem er⸗ 
wartungsvoll harrenden Chor das Feſtgeheimnis des kommenden Tages 
verkündet: jesus Christus, aeternus Deus, aeternique Patris filius, 
mundum volens adventu suo piissimo consecrare ... in Bethlehem 
juda nascitur ex Maria Virgine factus homo. „ geſus Chriſtus, ewiger 
Bott und des ewigen Daters Sohn wird — die Welt zu weihen 
durch feine gnadenvolle Ankunft — in Bethlehem geboren im Lande 
Juda, menſch geworden aus Maria, der Jungfrau.“ Mundum con- 
secrare, „die Welt konſekrieren“, heißt hier ſoviel als die Welt, die 
menſchheit entſündigen, vergöttlichen, die Menfchheit aus ihrer natür- 
lichen und noch mehr aus ihrer ſündigen Niedrigkeit und Yerriffenheit 
zur Teilnahme an der göttlichen Lebensfülle und Gebenseinheit erheben. 
„Der menſch iſt etwas, was überwunden werden muß“, ſagt Nietzſche 
mit Recht. Der Menſch mit feiner trennenden Jchſucht und die Menſch⸗ 
heit mit ihrem zerſplitternden, ichſüchtigen Nationalismus muß über: 
wunden werden durch die vergöttlichende Ronſekrationsgewalt des 
Chriftentums. „Die Dergöttlichung und heiligung vollzieht ſich auf dem 
Wege des Kultus“, ſchreibt Abt Adefons herwegen. Dieſelbe Liturgie, 
die unſere Opfergaben im Meßopfer „konſekriert“, konſekriert auch 
die zerriſſene Menfchheit zu einer gottmenſchlichen Einheit, zu dem 
einen und einigen muſtiſchen Chriſtus. Dieſer wahre Gedanke findet 
einen Ausdruck im römiſchen Papſttum als dem ſichtbaren Weltmittel- 
punkt und in der römiſchen Sprache als der liturgiſchen Weltſprache. 
Wer in der liturgiſchen Kultſprache nur eine hiſtoriſche Erinnerung, 
nur eine Reliquie aus vergangenen Tagen ſieht, an der konſer⸗ 
vative Zähigkeit feſthält, wird den Gedanken der Kirche nicht gerecht. 
Wer die Beibehaltung der Römerſprache nur mit äſthetiſchen oder 
muſikaliſchen Erwägungen motiviert, täufcht ſich und andere ebenſo, 


391 


wie P. Walter Straßer 5.9., der kürzlich in der Linzer Quartalſchrift 
(1924, I. 319) meinte, die Forderung eines engeren Anſchluſſes ter 
Meßteilnehmer an das Gebet des opfernden Prieſters könne nur durch 
Stilrückſichten geſtützt werden. Rein hiſtoriſche oder äſthetiſche Gründe 
wären nie imſtande geweſen, die ſeit dem Ende des Mittelalters immer 
wieder laut werdenden Forderungen nach Liturgie in der Landes ſprache 
wirkungslos verklingen zu laſſen. 

nikolaus Gihr ſagt: Dieſe Forderungen nach der bandesſprache in 
der Liturgie entſtammten „meiſt einem häretiſchen oder ſchismatiſchen 
kirchen feindlichen Geift oder einem flachen Rationalismus, dem Sinn 
und Derftänönis für Weſen und Zweck der katholiſchen Liturgie völlig 
abgeht“. Im Weſen und Zweck der Liturgie iſt die Beibehaltung 
des Latein durch die betende, opfernde und ſegnende Kirche begründet. 
Die Liturgie iſt keine Privatandacht. Das Subjekt der Liturgie iſt 
nicht der einzelne Prieſter oder Beter, auch nicht eine räumlich durch 
die Mauern des Botteshaufes umgrenzte Gemeinfchaft, auch nicht ein 
Volk, das zu einer ſtaatlichen und ſprachlichen Einheit zuſammen- 
gewachſen und durch nationale Grenzpfähle von anderen Dölkern ge= 
ſchieden iſt. Dieſes alle politiſchen Schranken überragende über⸗ 
nationale Subjekt der Liturgie hat ſich im Laufe der Jahrhunderte 
im Kirchenlatein eine eigene übernationale Weltſprache geſchaffen, die 
mit dem einheitlichen Glauben und dem einen Opfer unſerer Altäre 
und dem einen römiſchen Papſttum ein Band der Einheit iſt, das alle 
Ratholiken des Erdkreiſes umſchlingt. 

Auch der Katholik iſt ein kind feiner engeren heimat und liebt 
das Land, das ihn geboren hat, und die Berge, die fein Daterhaus 
umgeben, und das Volk, deſſen Sprache er im gewöhnlichen Leben 
redet, mit deſſen Charakter, Sitte und Literatur er vertraut iſt, und 
deffen Gefchichte ihn mit edlem Stolze erfüllt. Aber der Katholik kennt 
und liebt auch die hohe Aufgabe, die fein Dolk unter den Völkern 
der Erde zu erfüllen hat, und er weiß, daß dieſe Aufgabe nur erfüllt 
werden kann, wenn die übernationalen Güter einer alle Schranken 
überragenden Wahrheit und Sittlichkeit, Religiofität und Gerechtigkeit 
die getrennten Brüder vereinigen, und wenn eine höchſte Autorität 
anerkannt wird, vor der auch die Träger der ktrone und die Staats- 
lenker verantwortlich find, und in deren Tempel die babylonifche Sprach⸗ 
verwirrung ſich nicht ſtörend in die übernationale liturgiſche Gebets- 
und Opfergemeinſchaft eindrängt. 

Genug, wenn draußen vor den heiligen Toren die Wege auseinander- 
gehen. Genug, wenn draußen außerhalb des liturgiſchen Raumes die 


392 


politiſchen, wirtſchaftlichen und ſprachlichen Intereffen die Menſchheit 
ſpalten. Drinnen im Heiligtum ſchweige, was trennt, und rede nur, 
was verbindet! Wenn ein deutſches Candeskind während des Welt⸗ 
krieges in der Fremde gefangen ſaß und nur fremdländiſche Laute 
fein Ohr trafen, dann mochte es wehmütig und ſehnſuchtsvoll der 
Heimat gedenken. Wenn dann am Sonntag auch noch der Gottes- 
dienſt in der fremden Landes[prache gefeiert worden wäre, dann hätte 
ſich die Seele auch vor Bott nicht daheim gefühlt. Dann hätten die 
trennenden Schranken ſich in den Verkehr mit dem Allerhöchſten ein⸗ 
gedrängt und hätten den leuchtenden Friedensbogen über dem Opfer- 
altar nicht ſchauen laſſen. Wenn aber in der vertrauten heiligen hand- 
lung auch die von Kindheit auf vertraute liturgiſche Sprache erklang, 
dann kam Troft und Freude ins herz. Wie eine weiche, fanfte Mutter» 
hand legte ſich der Segen der ktirche auf das haupt. Die liturgiſche 
Mutterſprache ließ für eine Stunde das Leid der Gefangenſchaft ver⸗ 
geffen und die ideale Einheit des chriſtlichen Dölkerbundes empfinden. 

Guardini nennt gelegentlich die kirche „das objektive Reich Gottes 
ohne Grenzen und Enden, das unter dem Rreuze ſtehende Alles“. 
Das fireuz ſteht im Mittelpunkt des Reiches. Am kireuze orientiert 
ſich alles. Don der höhe des hiſtoriſchen Kreuzes glänzt ſchon 
die lateiniſche Weltſprache und kündet allen Bürgern des neuen Reiches 
die Mundart der neuen Weltliturgie. Das hiſtoriſche kreuzesopfer iſt 
in GCatein gefeiert worden. Pilatus war ein Römer. Die Sprache der 
blutigen Opferliturgie auf Golgatha war alfo Latein. Das Todes- 
urteil, ibis ad crucem, wurde in lateiniſchen Worten von demjenigen 
ausgeſprochen, der nach Chriſti Wort von oben die Macht über den 
menſchenſohn erhalten, dem alfo von oben der Auftrag gegeben war, 
die blutige Liturgie zu vollziehen. In derſelben römiſchen Weltſprache 
feiert nun die römiſche Weltkirche die unblutige Opferliturgie der hei- 
ligen Meſſe und wird fie feiern ſolange bis dem letzten katholiſchen 
Driefter vor dem jüngften Tage mit dem Wanderſtab des Lebens auch 
der Opferkelch aus der ſterbenden Hand entfällt. 

Daß zeitweilig die Citurgieſprache griechiſch war und daß im Orient 
die abendländifche biturgieſprache kaum Verbreitung fand, ſpricht ebenſo⸗ 
wenig gegen unſere lateiniſche Weltſprache wie daß einige kleinere 
Dölkerfchaften vom Papſte das Zugeſtändnis einer nationalen Ault= 
ſprache erhalten haben. Auch da, wo vor Jahrhunderten eine nationale 
Kultſprache bewilligt wurde, iſt heute aus der damaligen lebendigen 
Sprache eine tote Sprache geworden. Das Volk fpricht dort heute 
anders im gewöhnlichen Umgang als der Prieſter am Altare. 50 ſehr 


893 


iſt die Forderung einer un veränderlichen, der Umdeutung durch 
das gewöhnliche profane Leben entzogenen liturgiſchen 
Sprache naturgemäß, daß ſie ſich immer wieder durchſetzt. Es er⸗ 
ſcheint uns natürlich, daß der Prieſter nicht im Alltagsgewand der 
Straße an den Altar tritt. Und ebenſo entſpricht es auch dem natür⸗ 
lichen Gefühl, daß er mit feinem Gott und Herrn im offiziellen Gottes- 
dienfte nicht die Sprache des gewöhnlichen Verkehrs redet. 

Zu allen Zeiten haben die Dol metſcher auch im religiöfen und 
kultiſchen beben eine Rolle geſpielt. Schon Epiphanius ſpricht von 
den „Überſetzern“, zounvsural, im Bottesdienft. Eufebius berichtet von 
einem Märturer aus der diokletianiſchen Derfolgungszeit, der Lektor, 
exorziſt und „Dolmetſch“ war. Ahnliches erzählt die abendländiſche 
Pilgerin Atheria vom Bottesdienft in Jerufalem im 4. Jahrhundert. 
Heutzutage iſt das alles wefentlich einfacher, wo jeder Rirdyenbefucher 
ohne allzugroße kioſten eine Überſetzung der Meßtezte und Defper- 
pſalmen in der hand haben kann und ſo in der Lage iſt, Schritt für 
Schritt der liturgiſchen Handlung zu folgen und ſich dem betenden und 
opfernden Prieſter anzuſchließen. ö 

Dieſer Anſchluß an die Ecclesia orans et sacrificans, die betende 
und opfernde Kirche, wäre noch inniger, innerlicher und allgemeiner, 
wenn die Schule mehr zum Derftändnis der Liturgie erziehen würde. 
In den Richtlinien für Erteilung des Religionsunterrichtes, die un⸗ 
längft für die preußifchen Bistümer veröffentlicht wurden, wird als 
Ziel feſtgeſetzt: „die religiös⸗ſittliche entwicklung der Rinder zu einer 
ſolchen Reife zu bringen, daß fie beim Austritt aus der Schule fähig, 
geneigt und gewillt ind, ihre religiös⸗ſittlichen Pflichten nach der Lehre 
und dem Vorbild Chriſti als lebendige Glieder der Kirche zu erfüllen.“ 

Die ktirche iſt nach dem Ausdruck Buerangers „die Geſellſchaft vom 
Gotteslob“ und ſtellt in erſter Linie nach der Lehre St. Auguſtins eine 
Opfergemeinſchaft dar. Als lebendige Glieder dieſer Kirche müſſen 
die Rinder beſonders fähig, geneigt und gewillt fein, mindeſtens alle 
Sonntage Bott im Derein mit dem hoheprieſter geſus Chriftus das 
Opfer des Lobes und der Anbetung darzubringen. Sicher wären unfere 
Schulkinder und unſere ſchulentlaſſenen gungen und Mädchen noch 
viel mehr als gewöhnlich „fähig, geneigt und gewillt“, wenn ſie im 
Religionsunterricht etwas weniger intellektualiſtiſch, dafür aber mehr 
praktiſch in das kirchliche Leben eingeführt worden wären. 
Dazu gehört aber in erfter Linie das Derftändnis auch für den Wort- 
laut, für den reichen Inhalt und die wunderbare Schönheit der Gebete, 
mit denen die kirche ihre heiligen handlungen umgibt. 


394 


Unfere Schulkinder haben eine große Freude, wenn fie die latei⸗ 
niſchen Gebete und Gefänge der heiligen Meſſe lernen und zwar latei⸗ 
niſch lernen und beten dürfen. Wenn fie dazu von den unteren Volks- 
ſchulklaſſen an ſtufenweiſe angeleitet würden, wäre die Arbeit keine 
allzuſchwere, aber eine ſehr lohnende. Der ſchönſte Lohn für den 
kiatecheten wäre ſicher die Wahrnehmung, daß die kinder lieber in 
die heilige meſſe gehen und während derſelben ſich nicht fo unan⸗ 
dächtig benehmen und dann einmal als gungmänner und Jungfrauen 
nicht klagen über das lateiniſche Beten und Singen und genau wiſſen, 
welch ein weſentlicher Unterſchied beſteht zwiſchen' einer proteftan- 
tiſchen Erbauungsſtunde und dem katholiſchen Opfergottesdienſt. 

In den fünf unteren Schulklaſſen wäre ohne allzu große Schwierig⸗ 
Reit zu erreichen, daß alle Kinder die Miniftrantengebete dem 
lateiniſchen Wortlaut ſowie der liturgiſchen Bedeutung und dem 
inneren Derftändnis nach fi) zu eigen machten. Dazu könnten noch 
die Tete des Ordinarium missae treten, foweit fie die Rinder 
jeden Sonntag vom Kirchenchor fingen hören, alſo das Kurie, das 
Gloria und Credo, ferner das Sanctus mit dem Benedictus und das 
Agnus Dei, das Asperges me, das Deni creator Spiritus und das 
Tantum ergo mit dem Reſponſorium des ſakramentalen Segens. Dieſe 
Texte könnten in den Schulmeſſen gemeinſam mit dem zelebrierenden 
Prieſter laut gebetet werden!. Wenn die Meßgebete nicht bloß me⸗ 
chaniſch auswendig gelernt, ſondern auch erklärt, die wichtigſten Aus- 
drücke wie Köpios, Dominus, Deus, gloria, terra, coelum, saeculum, 
gratia, peccatum u. a. m. mit ihrer Überſetzung dem kindlichen Be- 
dächtnis eingeprägt und die Stellung der Texte im Rahmen der Meß⸗ 
liturgie genügend durchgeſprochen wären, dann hätte der Religions- 
unterricht den Rindern einen ſehr guten Erſatz geboten für all das, 
was ihnen zum Beten innerhalb der Meſſe vorgeleſen oder in die 
Hand gegeben wird. | 


Die Abtei Maria-Laad hat ſoeben als 8. Heft ihrer „Giturgifchen Dolks- 
büdjlein” bei Herder in Freiburg eine empfehlenswerte Anleitung zu diefer Form der 
Meßandacht herausgegeben unter dem Titel „Die Chormeſſe“. Im Dorwort wird das 
Weſen und die Berechtigung dieſer zwiſchen hochamt und Privatmeſſe ſtehenden Ge- 
meinſchafts meſſe klargelegt und eine mit den kirchlichen Dorfchriften übereinſtimmende 
Form des „Opfergangs“ beſchrieben. Im lateiniſchen Text find die Teile, die gemein · 
ſam geſprochen werden ſollen, durch Fettöruck hervorgehoben. Paufezeichen erleichtern 
das einheitliche Beten. Die Gratiarum actio des Priefters iſt als gemeinſames Dank- 
gebet nach dem letzten Evangelium beigefügt. Eine ähnliche Anleitung bietet gleich; 
zeitig P. J. Aramp 8. q. mit feiner »Missa« (Regensburg, Röõſel u. Puſtet). Das ſchmucke 
Büchlein ift der neudeutſchen Jugend gewidmet. R. Suardinis, „Semeinſchaftliche 
Andacht zur Feier der heiligen Meffe” (88.— 110. Taufend; Düſſeldorf, Schwann 1924) 
war ein Weg zur „Chormeſſe“; fie bringt die Gebete nur deutſch. 


395 


Die drei oberen Schuljahre könnten in die handhabung eines 
deutfch-lateinifhen NMeßbuches einführen. Die wechſelnden 
Beftandteile der ſonn- und feſttäglichen Meſſen könnten durch- 
geſprochen werden. Die Anfänge der Introitus ſollten die Kinder aus⸗ 
wendig wiſſen, jo daß die Sonntage mit dieſen echt liturgiſchen Be⸗ 
zeichnungen nicht nur bei den Proteſtanten und in Jagdfprüdjlein, 
ſondern allgemein wieder im Volksmund bekannt würden. Für dieſe 
Dorfchule wären dem kiatecheten namentlich auch unſere Kirchenchor⸗ 
dirigenten dankbar; denn die Einübung der Gefänge aus den Pro- 
perium de tempore würde ihnen ſo weſentlich erleichtert. 

Für unſere Gebildeten aber, worunter ich nicht bloß unfere 
Akademiker und die Abiturienten unſerer humaniſtiſchen Symnafien, 
ſondern auch u. a. unſere behrer und Lehrerinnen verſtehe, möchte ich 
ein ernſtes Wort hieher ſetzen, das nicht meinem Kopfe entſprungen, 
und auch ſonſt nicht von irgend einem unmaßgeblichen Geiſte aus- 
geſprochen worden, ſondern einem offiziellen Aktenſtücke des gegen⸗ 
wärtigen hl. Daters entnommen ift. In den Acta apostolicae Sedis vom 
Jahre 1922 (S. 453) ſteht der Satz: In quopiam homine laico, qui 
quidem sit tinctus litteris, latinae linguae, quam dicere 
catholicam vere possumus, ignoratio quemdam amoris 
erga ecclesiam languorem indicat. „Jeder Laie, der von 
Bildung einigermaßen berührt ift, verrät eine gewiſſe Kälte 
und Gleichgültigkeit gegen die kirche, wenn er die lateiniſche 
Sprache nicht verſteht, die man mit Recht als die Sprache der 
Katholiken bezeichnen kann.“ 

Die lateiniſche Sprache iſt für den Katholiken eine Art Mutter- 
ſprache. mit dieſer Sprache iſt er in den Mutterſchoß der Kirche 
aufgenommen worden. In dieſer Sprache wurden und werden ihm die 
heiligen Sakramente geſpendet. Die wichtigſten Schritte feines Lebens 
ſind mit Worten dieſer Sprache geſegnet worden. Dieſe Sprache klingt 
an fein Ohr beim Muſterium des heiligen Meßopfers, alſo in dem 
heiligſten Augenblick, auf dem höhepunkt unferer irdiſchen Wander⸗ 
(haft. In dieſer Sprache redet der Dater der Chriſtenheit, der Papſt 
in Rom, zu feinen Rindern in der ganzen Welt. Wer alſo Anſpruch 
darauf macht, daß er zu denen gehört, von denen Pius XI. den be⸗ 
zeichnenden Rusdruck braucht tinctus litteris, wer alſo ſich zu den 
gebildeteren Dolkskreifen rechnet, wer mehr zu lernen Gelegenheit und 
Fähigkeit beſitzt als der Dolksſchulbeſucher im allgemeinen, der ſollte 
foviel Liebe zu feiner Mutter, der Kirche, und ſoviel Intereſſe 
an ihren offiziellen &undgebungen, namentlich in der Liturgie, zeigen, 


396 


daß er die Sprache feiner Mutter einigermaßen zu verſtehen ſich bemüht. 
So ſchwer iſt das nicht, und das lockende Ziel lohnt die kleine Mühe. 

Das Ziel wäre ſchon lockend und lohnend genug, wenn es bloß im 
beſſeren Derftändnis der Liturgie und in der Möglichkeit engeren An⸗ 
ſchluſſes an die betende, opfernde und ſegnende kirche beſtünde. Aber 
die kenntnis der lateiniſchen Sprache bietet — von allen anderen Vor- 
teilen abgeſehen — einen doppelten reichen Gewinn, die niemand unter 
ſchätzen darf: Junächſt bildet die klenntnis des Latein den Schlüſſel 
zu den Quellen aller höheren Bildung. Rein Bildungszweig läßt 
ſich eingehend ftudieren, ohne daß man immer wieder auf die latei⸗ 
niſche Sprache ſtößt. Die lateiniſche Kultur ift eben die Durchgangs- 
pforte für die gegenwärtige Kultur aller europäiſchen Nationen ge⸗ 
weſen. Daran kann keine politiſche Macht und keine techniſche, wirt⸗ 
ſchaftliche oder wiſſenſchaftliche Entwicklung etwas ändern. 

Den andern Gewinn, den uns eine allgemeinere Derbreitung der 
Oateinkenntnis brächte, wäre der Beſitz einer Weltſprache. Wenn 
eine Sprache nach ihrem Weſen und nach ihrer Geſchichte berufen iſt, 
Weltſprache zu ſein, dann iſt es die lateiniſche. Sie iſt Weltſprache 
geweſen in der Zeit, als Rom durch feine begionen das Abendland und 
das Morgenland beherrſchte und durch ſeinen Derwaltungsapparat einte. 
Und als das Rom der Cäſaren zum Rom der Päpſte geworden war 
und die Wogen der Völkerwanderung ſich verlaufen hatten, da war 
die Römerſprache die Sprache der geſamten gebildeten Welt. Als 
Wurzelſprache liegt ſie heute noch einer ganzen Reihe von lebendigen 
Sprachen zu Grunde. War das Latein eines Cäfar und Cicero ſchon 
fähig, in allen bändern geſprochen zu werden, fo ift die Sprache der 
Liturgie, die Sprache der Dulgata, die Sprache der Rirchenväter und 
die Sprache der mittelalterlichen Wiſſenſchaft, die Sprache, die wir in 
den Denkmälern der nachklaffifhen lateiniſchen Literatur vor uns 
haben, noch viel vollkommener für den Beruf als Weltſprache geeignet. 
Das klaſſiſche Latein war die Sprache der Tat und der herrſchaft, die 
Sprache der Geſetzgebung und des Rechtes. In der Zeit des Hellenismus 


ı Das Kirchenlatein ift weſentlich leichter als das klaſſiſche Patein, das auf dem 
Sumnaſtum den Gegenftand neunjährigen Studiums bildet. Zur Einführung dienen 
u. a. Bauer, B., „Praktiſches handbuch zum Erlernen der lateiniſchen Kirchen ſprache“ 
(Baden- Baden 1899); Zwior, J. und Ries, J. je eine „Einführung in die lateiniſche 
Kirchenſprache“ (Freiburg, 1923 bezw. Regensburg“, 1923); auch von P. F. X. 
Brors ſoll (bei Bercker in Aevelaer) eine ſolche erſchienen fein. Schließlich gibt [o- 
eben E. Peitl den erften Teil feines auf drei Bändchen berechneten vorzüglichen Werkes: 
„bateinbudy für Erwachſene“ heraus (München 1924, Köfel und Puſtet, Gehrmittel- 
abteilung; nähere Beſprechung folgt). 


397 


und der Kirchenväter verband ſich mit dieſem altrömiſchen Geiſte der 
Genius des Griechentums und der Genius des Orientes. Der griechiſche 
Geift ift der Geift der Philoſophie und der Spekulation. Ihm ver⸗ 
dankt das Kirchenlatein die klaren, beſtimmten und zutreffenden Aus- 
drücke für alle Beziehungen des menſchlichen Gedankens und für alle 
Bedürfniſſe der Dergangenheit und Gegenwart. Der orientaliſche Beift 
iſt der Geift der Betrachtung, der de p, der Beift des Symbolismus, 
der Phantaſte und Poeſie. Sollte die Sprache der Tat und des Rechtes 
und der Herrfchaft eine Sprache des Glaubens und der Liturgie werden, 
dann mußte fie befruchtet werden von dem Genius des Orientes, und in 
der Tat wurde unter feinem Einfluß das Rirchenlatein wunderbar geeignet 
für den Ausdruck einer idealen Betrachtung der Welt, für die Ausfprache 
einer gottmenſchlichen Anſchauung der irdiſchen Dinge. Die Sprache 
der Zeit nahm auf die deen der Ewigkeit. Das ſcharfgeſchliffene 
Römerſchwert umwand ſich mit dem Blütenranken orientaliſcher Poeſie 
und ward aus einer kriegs waffe welterobernder Herrfchfucht zu einem 
Friedens werkzeug weltüberwindender und länderverbindender Liebe. 
Die lateiniſche Sprache iſt die providentielle liturgiſche 
Weltſprache. Eine Weltſprache wird nicht gemacht wie Dolapük und 
Esperanto (vgl. Salzb. kirchenztg. 1924, 26 u. 28); fie iſt ein Natur⸗ 
gewächs. Wenn nun die Dorfehung ein ſolch herrliches Naturgewächs, 
eine ſolch reiche, wohlklingende, philoſophiſch und künſtleriſch gleich 
wertvolle Sprache zum Organ der Weltkonſekration und tatſächlich in 
der Liturgie und in der theologiſchen und philoſophiſchen Gelehrtenwelt 
zur Weltſprache hat werden laſſen, ſo liegt doch die Frage nahe: Wozu 
denn in die Ferne ſchweifen? Wozu ſollen katholiken und katholiſche 
Prieſter ſich um andere Weltſprachen bemühen? heißt das nicht von 
vornherein verzweifeln am Hohenpriefter der Menſchheit, der vom litur⸗ 
giſchen Opferaltar aus durch ſeine Kirche die Weihe der Welt durch⸗ 
führen will? Verzweifeln am hl. Beifte, von dem die Kirche ſingt: 
qui per diversitatem linguarum cunctarum gentes in unitate fidei 
congregasti, „der Du über alle 8prachverſchiedenheiten hin die Dölker in 
dem einen Glauben geeint haft“? Wir alle, Priefter und Laien, können 
und ſollen mitarbeiten, daß die liturgiſche Weltſprache auch außerhalb 
des liturgiſchen Heiligtums zu einem Bande des Friedens und der Ein- 
heit werde. Daß vom liturgiſchen Muſterium, das eine neue Zeit und 
eine weiter verbreitete Kenntnis des Latein tiefer erfaßt und inniger mit⸗ 
erlebt, immer mehr ausſtrahle die welterobernde Macht des katholiſchen 
Gedankens und die weltüberwindende Araft der chriſtlichen Liebe. 


& * 


398 


dur Geſchichte des Kloſterſeminars in Scheuern 
vor dem Jahre 1803. 


Don Oberftudiendirektor a. D. M. Rottmanner (München). 


n feiner verdienſtvollen Schrift „Seminar und Studienanſtalt im 

Benediktinerſtifte Scheuern“ (Rempten 1904) beklagt es P. Anfelm 
neubauer, daß über das genannte Seminar, wie es vor der Säku⸗ 
lariſation beſtand, die Quellen nur ſehr ſpärlich fließen. War doch der 
Derfaffer in dieſer Hinſicht faſt ausſchließlich auf „Thaddäus Sibers 
Selbſtbiographie bis 18037“ (München 1896) angewieſen. Nun aber 
barg das kloſterarchiv in Andechs, wie eine Unterſuchung ergab, bis 
vor wenig Jahren eine vollftändige, bis in fein Todesjahr fortgeſetzte 
Selbſtbiographie Sibers. Dieſe iſt zwar mittlerweile auf eine nicht ganz 
unerklärliche Weiſe verſchwunden; aber eine glücklicherweiſe vorher 
genommene Abſchrift des Manuskripts ſetzt uns in den Stand, über 
das Seminar in Scheuern und ſeine Einrichtungen vor 1803 durch einen 
vertrauenswürdigen Jeugen Nuthentiſches und mehr zu erfahren, als 
es bisher möglich war. . 

Thaddäus Siber, geboren den 8. September 1774 als der Sohn 
des Stadtſchreibers Johann Kafpar Siber zu Schrobenhauſen, kam zu 
Weihnachten 1783 als Zögling in das kloſterſeminar von Scheyern, 
wo er bis zum Herbft 1786 blieb. Hierauf bezog er das Gumnaſium 
zu St. Salvator in Augsburg 1785— 91, trat dann zu Scheyern in den 
Benediktinerorden, ward 1801 Profeſſor der Mathematik und Phuſik 
am biſchöflichen Cyceum in Freifing, lehrte des weitern in Paſſau und 
München und beſchloß in letzterer Stadt als Univerſitätsprofeſſor (ſeit 
1826) fein beben am 30. März 1854. 

Dem Seminar in Scheyern und ſeiner beitung zollte der einſtige 
Schüler zeitlebens Dank und Anerkennung, wie auch aus folgenden 
Stellen feiner vollſtändigen, noch ungedruckten Selbſtbiographie hervor- 


geht. 1 

„Dor meinem ſiebenten bebensjahre mußte ich ſchon anfangen latei⸗ 
niſch zu lernen und zwar bei demſelben Geiſtlichen Zaubzer, der auch 
mein Religionslehrer war!. Ich weiß nicht mehr, welche Grammatik 
zu Grunde gelegt wurde, und erinnere mich nur ſoviel, daß bei dem 
Unterrichte mit vieler Strenge verfahren wurde. Indeſſen muß ich ge⸗ 
ſtehen, daß ich einige Fortſchritte gemacht habe; denn als ich 9 / Jahre 
alt an das Seminar des kiloſters Scheyern verpflanzt wurde, war ich 
ſchon imſtande mit den mittleren gleichen Schritt zu halten. 


399 


Diefem Seminar und dem eifrigen Lehrer an demfelben, Benedik⸗ 
tiner Otto Enhueber?, verdanke ich meine ganze wiſſenſchaftliche 
baufbahn. Ich bin zwar den Seminarien nicht hold, aber von dem 
unſeren muß ich geſtehen, daß es alles Lob verdiente. Aber auch nur 
deswegen, weil die Anzahl der Yöglinge nur klein, nämlich nur 12 war 
und daher von einem Manne überſehen werden konnte und weil dieſer 
Mann gerade die Eigenfchaften befaß, die ihn hiezu geeignet machten. 

Die Ordnung des Hauſes war eine ſtrenge und außer den kurzen 
Erholungszeiten war kein Augenblick, der nicht feine beſtimmte Be⸗ 
ſchäftigung hatte. Morgens 4½% Uhr wurden wir durch das »Lau- 
detur Jesus Christus« unſeres Lehrers aufgeweckt, machten ſchnell 
unſere Toilette und verſammelten uns in dem (im Winter ſchon ge⸗ 
heizten) Schulzimmer, um uns dann unter einem bedeckten Gange zu 
einer ungefähr 1000 Schritte entfernten Kapelle zu begeben, wo um 
5 Uhr alle Dienſtboten des kloſters mit dem Pater Großkellerer zu⸗ 
ſammenkamen, denen einer von uns das Morgengebet vorleſen mußte. 
In 15 Minuten war alles geendet und wir kehrten wieder in unſer 
Schulzimmer zurück, wo wir unſern Anzug etwas verbeſſerten, bis 
/ auf 6 Uhr, wo nach einem neuen Gebete unſere Studierzeit begann, 
die nur um ungefähr ½8 Uhr durch den Genuß eines Frühſtücks (aufs 
geſchmelzte Waſſerſuppe) unterbrochen wurde. 

Um 9 Uhr kam der Lehrer aus feinem Zimmer, um, wie man es 
nannte, Lektion zu halten, d. h. uns über das Gelernte auszufragen 
u. dgl. Nach der Sitte der damaligen Zeit konnte dies ohne Strafe 
nicht abgehen und ich muß geſtehen, daß vielleicht keine Lektion vorüber⸗ 
ging, ohne daß die Ochſenſehne auf dem Poder der Unwiſſenden ihr 
Spiel zu treiben hatte. Schläge wurden daher ſehr viele, aber ich muß 
auch geſtehen, nicht ſehr mächtige verteilt. 

Um 10 Uhr gingen wir zum täglichen Hochamte in der Kloſterkirche, 
bei dem wir entweder auf dem Chore fingen oder, wenn das Amt, 
wie man's nannte, nicht figuriert war, in der kirche knieen mußten, 
wovon wir gegen / auf 11 Uhr zurückkamen und die Zeit bis zum 
Mittagseſſen (/ über 11 Uhr) zur Mufikübung verwenden konnten. 

Das Mittagseſſen dauerte bis 12 Uhr. Dabei waren wir aber nicht 
müßig. Abwechſelnd hatte einer von uns die Aufgabe, dem an un⸗ 
ſerem Tiſche ſpeiſenden Lehrer die Überſetzung eines kurzen Stückes 
aus der bibliſchen Geſchichte vorzutragen, wobei er und auch wir 
übrigen das Richteramt verſahen. Zugleich hatten wir jedesmal eine 
Seite von Schellers kleinem Wörterbuch' auswendig zu lernen und 
uns wechſelſeitig auszufragen. Nach Tiſch war kurze Erholungszeit; 


400 


denn bald nach 12 Uhr kam entweder der Pater Chorregent oder der 
ktammerdiener des Herrn Prälaten“, um Singunterricht zu geben, der 
bis 2 Uhr währte. 

nun verfügte ſich wieder jeder an ſeinen Platz, um ſich entweder 
auf die an Schultagen (an Dakanztagen hatten wir Erholung bis 4 Uhr) 
um 3 Uhr beginnende Lektion vorzubereiten oder das diktierte Thema 
zu bearbeiten. 

Um 4 Uhr kam abermals der Muſiklehrer bis / auf 5 Uhr, wo 
Zubereitungen zum Abendmahle gemacht wurden, welches wieder bis 
6 Uhr dauerte und uns wieder Zeit ließ, eine Seite des Wörterbuches 
auswendig zu lernen und darüber zu examinieren. 

Um 6 Uhr waren wir ganz frei und unſerem jugendlichen Genius 
im Schulzimmer, das mit dem des Lehrers verbunden war, überlaffen. 
Ich leugne nicht, daß es in dieſer Zeit oft ziemlich luſtig herging. 

Um 7 Uhr bereiteten wir uns wieder auf die Lektion des kommenden 
Tages vor, um / auf 8 Uhr wurden wir zum Nachtgebete gerufen und 
gingen ſodann um 8 Uhr unter ſtrengem Stillſchweigen zu Bette. 

Don dieſer täglichen Ordnung erlaubten nur die Dakanztage (Diens» 
tag und Donnerstag) und Feiertage eine Abweichung. An hohen Feſt⸗ 
tagen ward uns auch die Erlaubnis nach dem Abendmahle bis 9 Uhr 
zuſammen zu bleiben, wobei uns ſelbſt noch für jeden ein Quart weißes 
Gerſtenbier zugeſtanden wurde. 

Ich glaubte dieſe Tagesordnung hier anführen zu müſſen, teils um 
den damaligen Geiſt der Seminarien und die erfahrene Behandlung, 
teils um die Art und Weiſe kennen zu lehren, wie man die folgenden 
Reſultate hat erreichen können. 

mir wollte anfangs die ſtrenge Ordnung nicht ſehr gefallen. Ich 
hatte einen lebendigen Beift und ein gutes Gedächtnis, daher war 
meine Aufgabe im väterlichen Haufe immer bald gelöft. Die übrige Zeit 
war mir anheimgegeben, ich konnte ſie verwenden, wie's mir eben be⸗ 
liebte. Die Strenge, mit welcher nun die Ordnung hergehalten wurde, 
ſprach mich nicht ſehr an. Als daher meine liebe Mutter am 25. Jän- 
ner [1784] zu ihrer Schweſter nach Pfaffenhofen, das eine Stunde 
von Scheyern, gekommen war und mich zu ſich gerufen hatte, bat ich 
fie mich einem anderen Stande, etwa der Bartfchererei zu widmen. 
Allein meine Mutter und meine Tante beſchwichtigten mich mit der 
Außerung, ich müſſe erſt Catein lernen; dann könne ich werden, was 
ich wolle. 80 kehrte ich voll hoffnung wieder zurück und gewöhnte 
mich in kurzer Zeit auch in die mir anfangs ſo läſtige Ordnung. 

Die Gegenſtände, die uns beſchäftigten, waren lateiniſche Sprache nach 


401 


Schellers kleiner Grammatik, Arithmetik nach Spengler‘, deutfche 
Sprache nach einem mir nicht mehr bekannten Buche, Religionslehre 
nach Felbigers“ fiatechismus, Bibliſche Geſchichte und Singen. Im 
letzteren machte ich nie Fortſchritte. Die Natur hat mir muſikaliſches 
Gehör verſagt und meine ganze Stärke beſtand darin, ein Tutti mitzu⸗ 
ſchreien, nie aber konnte ich ein Solo zuſtande bringen. Ein einziges, 
zu dem man mich dreſſiert hatte, war richtig verfehlt, ſobald das Acco- 
pagnement auf dem Chore mich ſtörte, obſchon ich es außerdem ziem⸗ 
lich ordentlich herabſingen konnte. Die Muſiklehrer gaben mich daher 
auch bald auf und ich gewann dadurch den Vorteil, daß ich von m 
Singunterrichte freigeſprochen wurde. 

Man ſieht aus den angeführten behrbüchern, daß ſich unſer Gehrer 
(don damals, das ift 1782, von den jeſuitiſchen Lehrbüchern, die an 
mancher Schulanftalt noch herrſchend waren!“, ferne gehalten und das 
Beſte ohne Vorurteil und £onfeffionsabneigung gewählt hat. 

neben dieſen behrbüchern waren uns anfangs Schellers Lectiones 
breves ii, dann Cornelii Nepotis Vitae und fpäter Ciceronis Epistolae 
selectae, wie ſie, wenn ich nicht irre, Stockhauſen!“ herausgegeben 
hat, vorgeſchrieben. 

Ich muß dabei bemerken, daß es ſich unfer behrer zum Geſetz ge⸗ 
macht, nichts vorzuerklären, ſondern die Erklärung ganz unſerem 
Fleiße und Nachdenken zu überlaſſen. Es iſt wohl wahr, daß ſich 
dadurch manche lächerliche Interpretation ergab; aber ſie war doch die 
Folge unſeres Nachdenkens und darum wohltätig auf die Entwicklung 
unferes Denkvermögens und auf die Einprägung lateiniſcher Wörter. 
Da wir zugleich die überſetzten Stellen auswendig lernen mußten, ſo 
gewannen wir unvermerkt und zuſehends eine bedeutende Copia ver- 
borum. Wer Ciceros Briefe auch in diefer Ruswahl ſtudiert hat, weiß, 
daß ſchon bedeutende Gewandtheit dazu gehört, um ſie richtig über⸗ 
ſetzen zu können. 

Ich muß noch manchmal lachen, wenn ich mich erinnere, wie es 
mir mit der Überſetzung eines dieſer Briefe ergangen iſt. Er fängt ſo 
an: »Permagni interest, quo tempore literae tradantur is. Nach der 
Regel, daß interest den Genitig der Perſon, welcher daran liegt, for⸗ 
dert und daß ein großer Buchſtabe im Latein einer Perſon zugehöre, 
erklärte ich in der Lektion ganz gutmütig und in voller Sicherheit 
meiner Sache: „Es liegt dem Permagnus daran“ etc. Welches Ge⸗ 
lächter über meine Erklärung ausbrach und wie ich länger als ein 
halbes gahr den Spitznamen eines Permagnus tragen mußte, habe 
ich nie vergeſſen. 

Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11— 12. 25 


402 


Um uns im Datein auf alle Weife zu üben, wurde von unferem 
Cehrer auch lateiniſches Sprechen eingeführt und da ich, goſeph Furt⸗ 
mayr!* und Andreas Wedl! die beften unter unſern Mitſchülern 
waren, wurde uns unter Strafe eines Pfennigs für jedes deutſche Wort, 
das wir in feſtgeſetzten Zeiten ſprachen, das lateiniſche Reden zur 
Pflicht gemacht. Nun entwickelte ſich dadurch wohl manchmal ein 
Datein, das ins Lächerliche fiel, aber wir gewannen Gewandtheit und 
Auverfiht. Die Patres unferes Kloſters und vorzüglich der alte herr 
Prälat Michael!“, der ein großer Freund der Jugend war, ergötzten 
ſich oft an unſerer Derlegenheit und hatten ihren Spaß mit uns, wenn 
wir einem derſelben begegneten, indem ſie uns lateiniſch anredeten und 
über unſere nicht ſelten ungereimten Antworten herzlich lachen mußten. 

Ich gewann dadurch auch fo viele Fertigkeit, daß ſich mein Lehrer 
darauf etwas zugute zu tun ſchien; denn er introducierte mich überall, 
wo ihm daran lag, für die Refultate feines Unterrichtes und feiner 
Schule eine vorteilhafte Meinung zu erzeugen, unter andern auch in 
dem Stifte St. Emmeram in Regensburg und vor dem gefürſteten Abte 
desſelben Frobenius Forſter!“, bekannt durch feine herausgabe von 
Alcuins Werken. Dahin führte er mich in den Ferien [1785] und muß 
wahrſcheinlich von meinem Latein großes Aufhebens gemacht haben; 
denn ich wurde zu dem Herrn Fürftabt gerufen, der mich ſogleich in 
lateiniſcher Sprache anredete und das ganze Geſpräch auf dieſe Weiſe 
fortführte. Im Stifte verbreitete ſich die Wunderſage, daß ein finabe 
von 11 Jahren hier fei, der ohne Verlegenheit latein ſpreche. Dies 
brachte mir manche Bunftbezeigung von Seite der 8. h. Konventualen 
zuwege, aber verurſachte auch, daß ich von jedem, der mir begegnete, 
lateiniſch angeſprochen wurde. Daß ich mir ſelbſt darauf nicht wenig 
einbildete, ließ ſich von meinem Alter erwarten. 

Ahnliche Fortſchritte hatten auch meine beiden Kommilitonen ge⸗ 
macht und als wir das nächſte Studienjahr verſchiedene Symnafien 
bezogen, konnte uns ein ausgezeichneter Fortgang nicht fehlen. Und 
wirklich behauptete ich am Bymnafium zu Augsburg den erften, Jo» 
ſeph Furtmaur in Regensburg den zweiten, Andreas Wedl in Heu» 
burg den erſten Platz. Dieſe beiden hatten vor mir noch den Vorzug, 
daß ſie gute Sänger waren, was, wie geſagt, mir gänzlich mangelte.“ 

* 

Aus den weiteren Aufzeichnungen Sibers erfahren wir, daß auch 
in Scheyern an die beften Schüler des kloſterſeminars am Schluß des 
Schuljahres Preifebücher verteilt wurden. 50 erhielt Siber einmal 
Riopftocks Meſſias, das Werk eines Proteſtanten, woraus hervorgeht, 


403 


daß ſchon die damaligen Benediktiner nicht bloß in der Wahl der 
behr⸗ und Unterrichtsbücher von Ronfeffioneller Ausfchließlichkeit un⸗ 
beeinflußt waren. Hatte doch auch die Philoſophie Kants in baye= 
riſchen Klöftern Eingang gefunden. 

In einem andern Jahr erhielt Siber als Preis eine von Leo Peter⸗ 
nader, einem Benediktiner von Kremsmünſter, 1776 herausgegebene 
griechiſche Grammatik, die auch in Bayern Eingang fand. Peternader 
war am 6. Nov. 1734 zu Kitzbühel geboren und ſtarb am 16. Juni 1808. 


Anmerkungen. 


Franz Xaver Jaubzer aus Donauwörth, 1772 in Ingolſtadt als cand. theol. 
immatrikuliert, war 1778 — 1785 Kaplan in Schrobenhaufen. 

Otto Enhueber, geb. den 17. nov. 1738 zu Nabburg, Inſpektor des Seminars 
in Scheyern, zweimal Prior, dann Subprior, + den 19. Juli 1808 zu Euernbach bei 
Scheuern. Seine Vorgänger als Inſpektoren des Seminars waren Angelus Merz 
+ 1784, Gudwig Alteneder + 1776 und Joh. Ev. Manikor 1 1769. 

Immanuel Scheller, geb. 1735 zu Ihlow, + 1803 als Rektor in Brieg, ließ 
fein „Kleines lateiniſches Wörterbuch“ und feine „Kurzgefaßte lateiniſche Sprachlehre“ 
zuer ft 1780 erſcheinen. 

Abt von Scheyern war damals ſeit 1775 michael Brillmayr, geb. 1718 zu 
Dilsbiburg, + den 22. März 1793. 

Anna Maria, geborene Kappeller, geb. am 1. April 1748 zu Förnbach. Sie 
Wehe ate ſich 1784 nach dem Tode ihres erſten Mannes mit deſſen Amtsnachfolger 
Joſeph Grätz (Are) und ſtarb am 27. Mai 1788 zu Schrobenhauſen. 

° Dies war ein Sonntag. 

’ Maria Regina, geborene Rappeller, geb. am 24. Nov. 1745 zu Förnbach, war 
mit einem Elementenfärber in Pfaffenhofen verheiratet. 

Jgoſeph Spengler S8. J., geb. den 6. Dez. 1736 zu Ronftanz, feit 1773 Profeffor 
5 * an der Univerfität zu Dillingen, + dafelbft am 28. Nov. 1776, ſchrieb 

„Anfangsgründe der Rechenkunſt und Algebra“, Augsburg 1772, 2. Aufl. 1773. 

5 gohann Ignaz von Felbiger, geb. den 6. Januar 1724 zu Großglogay, Abt 
des Auguftinerftiftes zu Sagan, 1774 Generaldirektor des Schulwefens der k. R. Staaten 
in Dien, 1779 Propſt in Preßburg, wo er am 17. Mai 1788 ſtarb. Er verfaßte zahl- 
reiche Schriften, darunter Katechismen der kath. Religion. 

10 An Stelle der geſuiten waren die kurbaueriſchen Studienanſtalten ſchon 1781 
Rloftergeiftlihen übergeben worden. Die von geſuiten verfaßten behrbücher kamen 
dann mit der Zeit außer Gebrauch. 

* Hierüber ließ ſich nichts feſtſtellen. 

1 Johann Chriſtoph Stockhauſen, geb. den 20. Okt. 1725 zu Gladenbach bei Mar- 
burg, 1761 Rektor des Johanneums zu Lüneburg, 1767 Rektor des Pädagogiums 
zu Darmftaö}, 1769 Superintendent und erfter Stadtpfarrer in Hanau, + daſelbſt 
am 1. Sept. 1784. 

15 Gemeint ift wohl die Stelle Cic. Epist. ad div. XI 16, 1, die jedoch fo beginnt: 
«Permagni interest, quo tibi haec tempore epistula reddita sit.“ 

„ fgoſeph Furtmayr, geb. am 9. März 1772 zu Scheuern, trat daſelbſt in den 
Benediktinerorden, bezog 1797 die Univerfität Ingolftadt als Hörer des kanoniſchen 
Rechts, war 1805 - 38 Pfarrer von Scheyern. Dort [tarb er auch am 14. Aug. 1845 
als freireſignierter Pfarrer und Ruraldekan. 

* Andreas Wedl, geb. am 9. Juni 1773 zu hirſchau, Weltgeiſtlicher, 1798 Pro- 
feſſor der liaturwiſſenſchaften am Puceum in Regensburg, 1812 - 24 Rektor des 
buceums. Seit 1826 Senior und Kuſtos am eee St. Johann ſtarb er zu 
Regensburg am 13. Juni 1855. s 8. Anm. 4 

7 Frobenius Forſter, geb. am 30. Aug. 1709 zu Königsfeld in Oberbayern, ſeit 
1762 Fürſtabt des Benediktinerftifts St. Emmeram in Regensburg, + am 11. Oktober 
1791, gab zuerſt Beati Flacci Albuini seu Alcuini Abbatis Opera vollſtändig 
heraus (Regensburg 1777). 


257 


404 
Miſſionspflicht, Miſſionsweſen und -Literatur. 


Don P. Hieronymus Riene (Beuron). . 
(Schluß). 


6 den erwähnten! Zeitfchriften, Jahrbüchern, falendern und den 

reichhaltigen „Abhandlungen zur Miſſionskunde und Mliffions- 
geſchichte“ find die Deröffentlichungen des Franziskus-Xaverius-Uerlags 
erſt zum kleineren Teile aufgeführt. Der rührige Unternehmungsgeiſt 
und der forgende Eifer, den Miſſtonsgeiſt in die weiteſten reife zu 
tragen und ihn auf jede Weile zu fördern, bewog feine Leiter zur 
Herausgabe einer Reihe weiterer Werke. Junächſt ſeien genannt die: 


Pioniere der Weltmiſſion. 


Dieſe Sammlung bringt das beben und Wirken hervorragender, um 
das katholiſche Miſſionswerk verdienter Männer und Frauen in aus» 
führlicherer Darſtellung. Bisher erſchienen fünf Uummern. 

P. Schurhammer eröffnet die Reihe durch ſein wohlgelungenes 
kurzes bebensbild: „Der hl. Franziskus Xaverius. Der Rpoſtel 
des Oſtens. Blicke in feine Seele.“ (80 S. M. —. 75). Debensgeſchicke, 
innere Entwicklung, Miſſionstätigkeit des heiligen, hemmniſſe und 
Förderungen derſelben durch die portugieſiſchen Roloniften, Regierung 
und fonftige Derhältniffe und Befchehniffe werden in kürze mit guter 
Kritik in warmer lebhafter Schilderung vorgeführt. Niemand wird 
ohne Nutzen das Büchlein aus der hand legen. — P. Noti“s Schrift⸗ 
chen „gofeph Tieffentaller 8. 9. Miſſionar und Geograph im groß⸗ 
moguliſchen Reiche in Indien. 1710 - 1785.“ (64 8. M. —.60) gilt 
einem Südtiroler geſuiten, der feit 1734 in Indien als Wandermilfionär 
und Geograph tätig war. 1759 befand er ſich am hofe zu Narwar 
und entging ſo der allgemeinen gewaltſamen Wegführung der geſuiten 
durch die portugieſiſche Regierung. In der Folgezeit, [päter von den 
Engländern unterſtützt, nahm er den bauf des Ganges und mehrerer 
nebenflüſſe kartographiſch auf und zeichnete ſich bis ins Breifenalter 
durch bewunderungswürdige Arbeitsluft und Willens ſtärke, ſowie durch 
große Sprachenkenntnis aus. — Der Rheinländer Kratz (Lüdenbach f., 
„Joh. Rafpar Kratz 8. 9., Märtyrermiffionar von Tongking“. 648. 
Mm. —. 40) zog erſt als Reiſebegleiter, dann als Abenteuerer in die weite 
Welt. Im holländifchen Kolonialdienſt wirkte er, in laſterhafter Umge⸗ 
bung einen muſterhaften Lebenswandel führend, zu Batavia ſegensreich 
als katholiſcher Caienapoftel. Deshalb von der kalviniſchen Behörde 
zur Prügelftrafe verurteilt und ausgewieſen fand er in ſchwerer trank⸗ 
heit in Macao feinen Beruf als geſuit und Prieſter. Er ſtarb als 
miſſionär in Tonking nach langen und qualvollen Gefängnisleiden 
1737 den Martertod durch Enthauptung. Ein anziehendes und er⸗ 
bauliches Lebensbild! 

heft 7/8 8. 271 ff. — Die Fortfegung des Auffages: Chriſtus im Gleichnis der 
Sonne von P. Anſelm Man ſer (heft 1/2) 8. 39 ff. hoffen wir im nächſten Jahre 
erhalten und bringen zu können. (Anmerkung der Schriftleitung.) 


405 


Einen Apoftel, der lebte wie ein Heiliger, führt uns in ausführlicher, 
manchmal faft zu weit ausholender und doch wieder lebensfriſcher 
Darſtellung P. Becker vor im 4. Bändchen: „P. Otto hopfenmüller, 
8. D. 8. Ein deutſcher Pionier einer indiſchen Miſſton“ (XII u. 366 8. 
M. 1.80). Schon in der Heimat wirkte der einer kinderreichen Land- 
wirtsfamilie des fränkiſchen Städtchens Wismain entſproſſene talent= 
volle und redegewandte Dr. Hopfenmüller auf den ihm übertragenen 
Seelſorgspoſten mit apoſtoliſchem Eifer und größter Selbſtaufopferung 
und errang ſich durch Wiſſen, durch vielſeitige raftlofe Tätigkeit, Sitten⸗ 
reinheit, bewunderungswürdiges beben des Gebetes und der Abtötung, 
Freigebigkeit, ſoziales Wirken (u. a. Rampf gegen Bettelei und herum⸗ 
ziehen) Liebe und Hochſchätzung in weiten ktreiſen. Als Stadtkaplan 
in Bamberg zugleich Schriftleiter des von ihm ins Leben gerufenen 
Bamberger Tageblattes, zog er ſich gehäſſige Anfeindungen einfluß⸗ 
reicher liberaler Gegner zu und erfuhr in wiederholten Verurteilungen 
das mehr als fonderbare guſtizverfahren der Hra Putz. 43 Jahre alt 
trat er 1887 der katholiſchen Lehrgefellfhaft (Seſellſchaft vom gött⸗ 
lichen Heiland) in Rom bei und wurde ihr nach abgekürztem Noviziat 
eine gute Stütze. Im ganuar 1890 als Superior in die im Vorjahr der 
Gefellfhaft übertragene apoſtoliſche Präfektur Aſſam entſandt, erlag 
der durch feinen Übereifer Befhwädhte, in emſiger Vorbereitung auf die 
heißerſehnte Miſſionstätigkeit unter den &hafi begriffen ſchon im Auguft 
zu Schillong den Folgen eines Sonnenſtiches. Das reichlich Erbauung 
und beherzigenswerte Belehrungen bietende Gebensbild verdient viele 
achtſame beſer. Das gleiche gilt von Nr. 5, „Schw. Euſtachig 8. D. S. 
Ein Mufter einer Miſſions⸗ und Ordensſchweſter“ (84 8. M. 1.20), einem 
kurzen bebensabriß, den wir dem gleichen Derfaffer verdanken. Schon 
in der heimat nach dem frühen Tode ihrer Mutter als hausmütterchen 
und Erzieherin ihrer jüngeren Befchwifter bewährt und vorbildlich, war 
ſie dies noch mehr als Ordensſchweſter. In der aſſameſiſchen Miſſion 
zeichnete ſie ſich, brauchbar und willig zu jeder Betätigung, ebenſo aus 
in der Waiſenerziehung und kirankenpflege wie als Lehrerin, kiate⸗ 
chiſtin und Meiſterin der eingeborenen Schweſtern. Ihre aufopfernde 
Liebe und ſonnige Heiterkeit, ihr Befchick und ihre Klugheit gewannen 
ihr die Zuneigung und das Dertrauen aller. Der krieg bereitete ihrer 
erfolgreichen Miffionstätigkeit ein ſchmerzendes Ende. In der heimat 
widmete fie, von den Patienten und Pfleglingen hochgeſchätzt, den Reſt 
ihrer kträfte Kranken Soldaten und Waiſenkindern. In langer Leidens» 
zeit übte die ſonſt raſtlos Tätige bewundernswerte Geduld und großen 
Bebetseifer. Sie ſtarb 1921. — Weitere Bändchen find in Vorbereitung. 
Gegenüber dieſen Einzelleben behandeln größere Stoffgebiete die 


Bücher der Weltmiſſion. 


Don den bisher erſchienenen 7 Bänden liegen uns 6 vor. Es find 
recht gehalt⸗ und belangvolle Schriften, die dem Unternehmen alle 
Chre machen und den Wunſch nahe legen, daß ihnen weitere Arbeiten 

folgen und daß befonders ſämtliche von deutſchen Miſſionären beſtellte 
Mliffionsfelder bald ähnliche Darſtellungen erhalten möchten wie Inner- 


406 


kamerun und Aſſam. Etwas ftörend wirkt die für eine „Sammlung“ 
viel zu große Derfchiedenheit des Formates. 

PB. N. Däth 8. 9. bietet im erften Bande der Sammlung „Die 
Frauenorden in den Miffionen“ (VIII u. 130 8. M. 1.30) „eine 
Unterſuchung über die Beteiligung der katholiſchen Ordens ſchweſtern 
am Weltapoftolat der Kirche vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart“. 
Erſt ſeit etwa 100 gahren beteiligen ſich Ordensſchweſtern in größerer 
Zahl am katholiſchen Miffionswerk. Im frühen Mittelalter hatten fie, 
wie an den vom hl. Bonifatius aus England berufenen Benediktinerinnen 
zu erſehen ift, an der Ausbreitung des Glaubens und der Heranbildung 
eines chriſtlichen Seſchlechtes eifrig mitgewirkt. P. Väth berückſichtigt 
jedoch nur die letzten vier Jahrhunderte. Auffallend iſt es, aber wohl 
erklärlich aus den damals zumal in Spanien und Portugal vorherr= 
ſchenden Sitten und Anſchauungen über die Aufgaben der Frau und 
Ordensfrau, daß in der großen Miſſtonszeit des 16. und 17. gahr⸗ 
hunderts die Ordensfrauen vom unmittelbaren Miſſionswerk fo ziemlich 
ausgeſchloſſen blieben. Auch die in den neuentdeckten Ländern Amerikas 
und Aſiens errichteten Frauenklöſter übten keine oder nur unbedeu- 
tende Mliffionstätigkeit aus. Erſt durch die in Frankreich und Italien 
für Unterricht und Krankenpflege geſtifteten freieren Genoſſenſchaften 
bahnte fi eine Änderung an. Franzöſiſche Urfulinen und hoſpita⸗ 
literinnen, die 1639 nach kannda zogen, find als die erſten eigentlichen 
Miſſionsſchweſtern der Neuzeit anzuſehen. Im 17. und 18. Jahrhundert 
entſtanden in Binterindien, China und Japan einheimiſche Benoffen= 
ſchaften mit dem ausgeſprochenen Zweck, den Miſſionären in dem 
Bekehrungswerk hilfe zu leiſten. Dasſelbe taten in China zahlreiche 
einzeln in ihren Familien oder gemeinſam lebende gottgeweihte Jung- 
frauen. Im 19. gahrhundert, das dem weiblichen Ordensweſen in der 
Heimat eine große unb faſt zu vielgeſtaltige Entfaltung brachte, zogen 
zahlreiche europäiſche Schweſtern in die Miffionsländer, was durch die 
zunehmende Sicherheit in denſelben und den erleichterten Reiſeverkehr 
ermöglicht wurde. Nach P. Arens arbeiten etwa 170 Schweſternſchaften 
in den Mliffionen; P. Däth, der nur für die deutſchen Schweſtern Voll- 
ſtändigkeit anſtrebt, zählt deren 90 auf mit über 20000 Mitgliedern. 
Der Opfer: und Leidensmut dieſer Miſſtonsſchweſtern, von dem er⸗ 
greifende Beiſpiele angeführt werden, iſt dewunderungswürdig. Ihre 
ſittliche Überlegenheit macht auf die tief geſunkene heidniſche und moha⸗ 
medaniſche Frauenwelt, die vielfach nur ihnen zugänglich iſt, nach⸗ 
haltigen Eindruck; ihr Beifpiel, ihre vielfeitige Liebestätigkeit verſchafft 
der katholiſchen Miſſian hohes Anſehen, ihr Mitwirken in Schule und 
Erziehung iſt der Miſſion jetzt unentbehrlich. Sie ſind eine lebendige 
und nicht zu überſehende Apologie für die Kirche Gottes: auch das iſt 
aus der vorſtehenden Schrift des verdienten Derfaffers klar zu entnehmen. 

Dom 7.—14. Oktober 1919 fand in Düffeldorf ein von 110 Teil- 
nehmern beſuchter Miffionskurfus ſtatt. Seine „Vorträge, Aus- 
ſprachen und Befchlüffe” wurden herausgegeben von P. Fr. Schwager 
S. DU. D. in Band 2 unter dem Titel „Der Düſſeldorfer Miſſions- 
kurſus für miſſionare“ (XVI u. 304 5. M. 3.—). Durch die Teil- 


407 


nahme zahlreicher von ihren Arbeitsfeldern vertriebenen Miſſionäre 
war eine nicht leicht wiederkehrende Gelegenheit zur Beſprechung der 
Miffionsaufgaben und zum Nustauſch der Erfahrungen geboten. Die 
inhaltsreichen Vorträge und die anſchließenden Rusſprachen der Tagung 
verdienten wahrhaft die Veröffentlichung; es tritt uns in ihnen befte 
. Quälitätsarbeit entgegen. Don vielen Vorträgen gilt, was der Vor- 
ſitzende von einem ausſprach: „Der Vortrag war ein Muſter, wie 
in Kürze und kilarheit die ſchweren Probleme des Themas dargelegt 
werden können.“ Erfreuend wirkt das löbliche Zuſammenwirken, die 
brüderliche Eintracht, die die ganze Tagung beherrſchten, ſowie der 
entſchloſſene Mut und die große Arbeitsfreudigkeit der ſchwer geprüften 
deutfchen Mliffionäre, die keine müde und lähmende Derzagtheit kennen. 
Miffionären bieten die Derhandlungen viele brauchbare Richtlinien für 
ihre ſchwierige Aufgabe. Nichtmiſſionäre erhalten außer lichtvollen 
Einblicken in die Bedürfniſſe, Schwierigkeiten, Erfolge und Ideale des 
Mmiſſionswerkes und vielſeitigen Nufſchlüſſen über die Zuftände der 
miſſionsländer mannigfache auch für die heimatliche Seelſorge be= 
achtenswerte Fingerzeige und Anregungen. Nuch Ethnologen, Kirchen- 
rechtler und Kirchenhiſtoriker finden hier allerlei in ihr Fach einfchla= 
gende bedeutſame Probleme und Mitteilungen. Es genügt, die er⸗ 
örterten Themata aufzuführen: Miſſionswiſſenſchaft und Miſſtons⸗ 
pragis; Anforderungen und kiriterien für die Zulaſſung zur Taufe; 
fiatechefe, Predigt in der heidenmiſſion; Pflege der andesſprache in 
Kirche und Schule; Erziehung zur ſtandesgemäßen Reufchheit; Ehe 
ſchließungsformen bei den nichtchriſtlichen Dölkern; kampf gegen den 
Aberglauben; Öffentliche Sünder und Kirchenzucht; Raiffeifenkaſſen im 
Dienſte der indiſchen Miſſion; ktrankenpflege; Miſſion und Politik 
unter beſonderer Berückſichtigung der gegenwärtigen Gage der deutſchen 
miſſionen (Erzabt Weber); Spaniſche Miſſionsmethoden; Miſſions⸗ 
grundſätze des Kard. Cavigerie; Pflege des einheimiſchen Dolkstums; 
miſſionsſtatiſtik; Berufliche Fortbildung der Miffionare; Der hl. Paulus 
als Vorbild ...; Methode der Dölkerkunde; Wirtſchaftsethnologie 
und Soziologie; Tonſprachen; Indianerſtämme am Amazonas. 
Durch mühevolle, ſorgſame Zufammenftellung einer trefflichen „An⸗ 
leitung für Miſſionare zum Beobachten und Sammeln von Material 
auf dem Gebiete der Miſſions- und Dölkerkunde und deren Grenz⸗ 
gebieten“ hat P. Cudwig Wolff 8. C. J. der Miffion und Wiſſenſchaft 
einen großen Dienſt erwieſen (Der Miffionar als Forſcher. VI u. 
183 5. Durchſchoſſen geb. M. 2.50). Die Taufende ins einzelne gehenden 
Fragen aus dem Gebiete der Geographie und Naturgeſchichte, Ethno⸗ 
graphie (Anthropologie, Ethnologie), Oinguiſtik, Religion und Miſſion, 
die der Derfalfer ſtellt, machen auf die verſchiedenſten Dinge und Vor- 
kommniſſe anfmerkſam und find wohl geeignet, auch weniger Findige 
zur Beobachtung anzuregen. Die Miſſionsarbeit wird durch eigene 
Erkundigungen, mitgeteilte Erfahrungen und erlangte Erkenntniſſe 
. anderer Miſſionäre vor Mißgriffen bewahrt und vielfach erleichtert. 
Die Wiſſenſchaft darf von einer durch den Leitfaden angeregten und 
geleiteten Beobachtungs- und Sammeltätigkeit der Miſſionäre reichliche 


408 


Förderung erwarten, beſonders auf ethnologiſchem und religiöfem 8e⸗ 
biete, da den Miſſionären erfahrungsgemäß allein fonft ſorgfältig 
Geheimgehaltenes anvertraut wird. Diele Fragen wird ein achtſamer 
Miffionär oder ein anderer Beobachter ohne Schwierigkeiten beant- 
worten können; die zuverläſſige Beantwortung zahlreicher anderer 
Fragen und die vollkommene Ausfüllung der Tabellen ſetzt jedoch 
große Fachkenntniſſe und gute Ausftattung mit Hilfsmittel voraus, 
die nur wenigen zu Gebote ſtehen werden. Es iſt ja zu wünſchen 
und wird auch ernſtlich angeſtrebt, daß die Ausbildung der Miſſtonäre 
eine möglichſt vielſeitige ſei; aber das primum necessarium, die eigent- 
liche Berufsbildung darf nicht darunter leiden. In jeder größeren 
miſſion werden mit der Zeit ſich Spezialiſten finden und fo wird es 
möglich ſein, nach und nach die geſamten Fragepunkte aufzuhellen. 
„Ins Steppen- und Bergland Innerkameruns“ führt uns im 
4. Bande P. goh. Emonts S. C. g., um uns „aus dem beben und Wirken 
deutſcher Afrika⸗Miſſionare“ einiges mitzuteilen. (gr. 8° VIII und 
332 5. mit 200 Abb. M. 5.—). Als Miffionär und nicht als Wiſſen⸗ 
ſchaftler, für die Miffionsfreunde in der heimat, nicht für Gelehrte 
erklärt er allzubeſcheiden ſein Werk geſchrieben zu haben. In Wirk⸗ 
lichkeit bietet es eine ebenſo angenehme als belehrende und anregende 
beſung und gewiß auch dem Gelehrten reiche Ausbeute. Es iſt eine 
Mufterleiftung. Der Derfalfer bekundet eine feine Beobachtungsgabe 
und entfpricht in ausgedehntem Maße den Forſchungsfragen feines 
Mitbruders P. Wolff. Seine Beobachtungen und Erlebniffe weiß er 
in einfacher und ſchlichter Sprache fo anſchaulich, warm und lebens- 
voll, vielleicht manchmal zu optimiſtiſch zu ſchildern, daß es eine Freude 
iſt, feinem ſpannenden Berichte zu folgen. Der ſeeleneifrige Miffionär 
nimmt von Dictoria und Duala aus den beſer mit ins Innere von 
Kamerun, erft. auf der 180 Kilometer langen Eifenbahn in den Ur- 
wald, dann auf mühevoller Wanderung durch Steppen und Gebirgs- 
land bis ins Gebiet der Banßo. — Unterwegs erfährt er die Geſchicke 
des trefflichen Ueuchriſten Peter Wame, der aus dem Innern ſtammend 
der Miffion fortan als Dolmetſch und kltatechet unſchätzbare Dienfte 
leiſtet, und hört von der gefährlichen Propaganda der mohamedaniſchen 
Hauſſah. Bei dem zahlreichen Banßoſtamm errichteten die Herz⸗geſu⸗ 
Miffionäre ihre erſte hauptniederlaſſung. Candſchaft und klima, Dörfer 
und Bewohner, Sitten und Gebräuche der Banßo werden eingehend 
vorgeführt, beſonders auch ihr Häuptling, der unter Entwicklung des 
überaus klugen und rückſichtsvollen Derhaltens der Miſſionäre der 
Miffion ſtets gewogen blieb. Wir erfahren, daß die Banßo — wie auch 
andere Stämme — nur einen Gott kennen, keine Götzenbilder haben, 
an ein Fortleben der Seele, aber auch an ſchädigende Geiſter und 
Zauber glauben und furchtſam unter deren Banne ſtehen. Die Männer 
ergeben ſich meiſt dem Nichtstun und Palmweintrinken, die Frauen find 
die reinſten Arbeits- und Daſttiere. Mufik, Tanz und Spiel werden 
eifrig geübt; hierin ſowie im hüttenbau zeigt fi hoher Aunftfinn 
und Schönheitsgefühl; es gibt wahre Aünftler. Auf dem Umweg der 
Schule und durch Krankenpflege nahm das eigentliche Miſſtonswerk 


409 


feinen Anfang. Gelungen war bei der Unkenntnis der Sprache die 
erſte Unterrichtsmethode des B. Emonts. Die Gewöhnung der Schüler 
an Arbeit und Ordnung koſtete viele Mühe. Ergreifend weiß er die 
Teilnahme und Freude der Heidenkinder am chriſtlichen Unterricht und 
an der Weihnachtsfeier zu ſchildern. Zur erften Hauptſtation kumbo 
waren zwei weitere und mehrere Debenftationen mit Außenfchulen 
getreten, weitere Miſſtonäre waren gekommen und fünf Schweſtern, 
die ſich der Erziehung der Mädchen und der Arankenpflege widmeten, 
die Ausbildung zahlreicher Ratecheten und Lehrer war ihrem Abſchluß 
nahe und ebenſo der Unterricht vieler Taufbewerber, die Stimmung 
der Banßo und anderer Stämme war der Miſſion ſehr günftig, viele 
Bauten waren erſtellt, 8ärten und Felder mühſam angelegt und be⸗ 
baut, hoffnungsvolle Kulturen angebahnt; da kam der Weltkrieg, in 
deſſen Derlauf die eingezogenen Miſſtonäre mit der Schutztruppe ins 
ſpaniſche Gebiet flüchten mußten, die übrigen ſamt den Schweſtern 
von den Engländern gefangen genommen wurden. So erlag nach kaum 
dreijährigem Beſtand die im erſten Aufblühen begriffene hoffnungs⸗ 
volle Miſſion, die 1914 zur Apoſtoliſchen Präfektur Adamaua er- 
hoben worden war und nach dem Kriege an franzöfifche und belgiſche 
Herz⸗Qeſu⸗Miſſtonäre überging. Das auch mit Bildern reichlich aus; 
geſtattete Werk Emonts verdient weiteſte Verbreitung. 

„helden der Weltmiſſion. 227 Lebensbelchreibungen hervor- 
ragender, um die Blaubensverbreitung verdienter Männer und Frauen“ 
führt uns im 6. Bande — der 5. ſteht in 2. Auflage noch aus — Franz 
Bäumker vor (ber. 8° XXIV u. 372 8. Halbleinw. III. 8.—). Sein 
Werk ermöglicht eine raſche und zuverläſſige Orientierung über zahl⸗ 
reiche Miſſionäre und Miſſtonsförderer. Es iſt eine ſtaatliche Reihe 
ſeeleneifriger, heiliger und hochverdienter Blaubensgenoffen, die er uns 
kurz und doch lebensvoll in ihrem geſegneten Wirken ſchildert. Was 
die Auswahl der behandelten „Helden“ betrifft, möchten wir dem Der- 
faſſer für eine neue Auflage nahelegen, die Miſſionsförderer (3. B. Raiſer 
Franz goſeph von Gſterreich) nicht unter die eigentlichen Miſſionäre 
einzureihen, und da die Aufführung ſämtlicher Slaubensboten kaum 
möglich iſt, nur möglichſte Vollſtändigkeit bei den früher bei uns in 
Deutſchland wirkenden oder aus den Ländern deutſcher Zunge ſtam⸗ 
menden Mliffionären anzuſtreben. Ungern vermißt man im alphabe⸗ 
tiſchen Hauptteile u. a. die heiligen Adalbert, Burkhard, die beiden 
Ewalde, Kilian, ktorbinian, Rupert, Severin, Dirgilius, Willehad, Wizelin, 
Wolfgang und aus neuerer Zeit Erzabt Wimmer von St. Vincent, 
P. Weishaupt 5. J., von denen allerdings manche noch im Anhang 
erwähnt werden. Die Brauchbarkeit des Werkes ift durch gute Grup» 
pierungen und Inhaltsverzeichniſſe erhöht. Stichproben ergaben die 
Genauigkeit der Angaben und die Sorgfalt des Derfallers; wir be= 
gegneten nur wenigen Unrichtigkeiten und Derfehen. 

Erneut führt uns mit Band 7 in die Miſſion ſelbſt hinaus, diesmal 
nicht nach Afrika, ſondern nach Nordindien P. D. C. Becker 8. D. S., 
ehemaliger Rpoſt. Präfekt von Aſſam, durch fein reich ausgeſtattetes 
Werk: „Im Stromtal des Brahmaputra“ (XXX und 512 S. mit 


410 


172 Bildern und 1 Rarte. Halbleinw. M.8.—). P. Becker macht uns 
bekannt mit dem etwa 1650 Rilometer langen gewaltigen, in feinem 
Oberlauf noch unerforſchten Brahmaputra, feinen landſchaftlichen Schön⸗ 
heiten, feiner Flora und Fauna, feinen Derheerungen, ſowie mit den 
wilden Bergvölkern der Abors, Miſchmis u. a. Wir erfahren Einzel» 
heiten aus der politiſchen Geſchichte Aſſams, über religiöfe und ſittliche 
Zuſtände verſchiedener Dolksftämme, namentlich auch über den blutigen 
und unſittlichen Kult der Göttin Rali, über Kopfjägerei, Schlangen- und 
Thlenkult, ferner über Teekultur. Lange war Aſſam von der katho⸗ 
liſchen Miffion ganz ſtiefmütterlich behandelt; die erſten Miffionäre, 
Prieſter des Parifer Miſſtonshauſes, wollten nicht in Aſſam wirken, 
ſondern nach Tibet vordringen und machten hiezu mehrere opfervolle, 
jedoch erfolgloſe UDerſuche. Ein paar Mailänder Miffionäre, die ihnen 
folgten, konnten auf dem weiten Bebiete nur wenig erreichen. Rechtes 
beben begann erſt, ſeitdem 1890 die Miſſton von Aſſam den (deutfchen) 
Salvatorianern übertragen wurde. Jet kann auch der Derfalfer aus 
dem Vollen ſchöpfen, aus den Berichten feiner Mitbrüder und aus der 
eigenen Erfahrung, ſeine Darſtellung wird lebensvoller, anſchaulicher, 
reichhaltiger. Mühfam und opferreich waren auch hier die erſten An⸗ 
fänge. Der erfte Miſſionsobere B. hopfenmüller (ſ. o.) erlag vorzeitig 
dem Alima und den übermäßigen Anſtrengungen. Die Mühen der Salva- 
torianer galten zunächſt dem Stamme der Khaſi. Dieſe gutmütigen 
heitern Bergbewohner lernen wir mit ihrem eigentümlichen Mutter- 
rechte, bei dem der Familienbeſitz jeweils auf die jüngſte Tochter über⸗ 
geht und auch eine hoheprieſterin den Prieſtern vorſteht, mit ihrem 
Marktweſen, ihren Spielen und Unterhaltungen, Jagd und Betelkauen 
eingehend kennen. Während die Einfachheit und Natürlichkeit der 
Sitten, die (zwar etwas lockere) Einheit der Ehe, das Fehlen der 
Raften das Miſſionswerk erleichterten, fand es Hemmung durch die 
Unzahl der in Aſſam geſprochenen Sprachen (63 bzw. 167), die Geifter- 
furcht und den den Bekehrten drohenden Familien- und Rechtsverluſt. 
Erfchwert wurde es ferner nicht wenig durch die furchtbaren Regen- 
güffe (in Cherraponje 12—15 m jährlicher Regenfall!) die häufigen 
ſtarken Erdbeben und die Jerſtörungswut der weißen Ameiſen, die 
wiederholte Tleuerftellung der Miſſionsgebäude erforderten, wo doch 
die ſpärlichen Mittel fo notwendig waren für den Unterhalt der Lehrer 
und kliatechiſten. Dennoch ging es durch opfervolle Kleinarbeit vor⸗ 
wärts. P. Becker, der ſeit 1906 als Apoftol. Präfekt dem Gediete vor- 
ſtand, verſtand es, in der Folge unterſtützt durch die Hilfe und Erbſchaft 
eines engliſchen Teepflanzers, ihr eine großzügige und vielverſprechende 
Entwicklung zu geben, zumal durch ein vorbildliches Schulweſen in 
Schillong. Sehr ſegensreich wirkten auch ſeit 1896 die Salvatoria⸗ 
nerinnen. Da bereitete der Weltkrieg allen Rusſichten und Hoffnungen 
ein unerwartetes Ende. Patres und Schweltern wurden trotz aller Aner⸗ 
kennung, die ſie und ihr Wirken bisher bei der engliſchen Behörde ge⸗ 
funden, ins Lager von Ahmednagar abgeführt, bzw. auf der Bolconda 
heimbefördert. gebt iſt die Miſſion den Salefianern unterftellt. 


411 


Die „Jeitfragen aus der Weltmiffion“, herausgegeben beſonders 
für Studierende von Dr. Geo, Mergentheim, erörtern in Kürze, in einem 
Umfang von je 8 Seiten, wichtige allgemeine Themata des Miſſions⸗ 
werkes oder ſchildern belangvolle Derhältniffe und Perſönlichkeiten in 
Einzelbildern. Es find anſprechende Vorträge oder Dortragsftoffe für 
miſſionstagungen. Die vorliegenden 12, bezw. 13 Nummern behandeln: 
Weltpropaganda ift allgemeine Chriſtenpflicht; Gegenwartskultur und 
Weltmiffion; Ein Tag aus dem Bymnafialleben Indiens; Sieben Jahre 
Miffionsarbeit in ßamerun; Die Miffion in Deutſch⸗Südweſt⸗ Afrika; 
Ein Abend in der urchriſtlichen Gemeinde zu Korinth (A. Steinmann); 
Hus den Anfängen der geſuitenmiſſton in Mexiko; Die Propaganda 
in Rom; Wanderungen durch die nordiſchen Miffionen; Deutſche Miſſio⸗ 
nare im Reiche des Mikado; Roque Gonſalez, der Begründer der. Re⸗ 
duktionen; Mliffionspflege echt katholiſch und kulturfördernd. 


Don den zwei Prachtwerken“ des Derlages liegt uns das erſte vor: 
„Franziskus Xaverius, ein beben in Bildern“ von 6. Schurhammer 
8. J. u. Hiſtorienmaler R. E. Kepler. (halbl. . 4 -; Dolksausg. M. —. 75). 
Die 24 Zeichnungen find recht gute Leiftungen, die der Zeit und Umgebung 
der Darftellungen wohl entſprechen. Der friſch und warm gefchriebene 
Begleittet, Bilder aus der Feder des verdienten Xaveriusforſchers P. 
Schurhammer (ſ. o. 8 404) ſtellt fie trefflich in die Lebensgeſchichte des 
heiligen ein, der angefügte kommentar erläutert ſie und reichhaltige 
kritiſche Anmerkungen geben aus den Quellen Belege und Beweiſe für 
Text und Bilder. — Die Dolksausgabe bietet auf gewöhnlichem Druck⸗ 
papier die Bilder und den Begleittert der Prachtausgabe ohne deren 
Anhang. — Hhingewieſen fei auch auf die Bühnenſtücke und Lieder 
des Derlags, die ſich für Miſſionsverſammlungen eignen, ſowie auf 
die Kunſtblätter, Heiligenbildchen und Miſſions karten. 

Erzählungsbücher. | 

Es ift fehr zu begrüßen, daß der Verlag ſich entſchloß, auch Miſſions⸗ 
erzählungen herauszugeben. Nach Geſchichten dürſtet ja ſtets die 
Jugend, ſie greift nach minderwertigen und ſchädlichen, wenn ihr keine 
guten geboten find; aber auch Ältere leſen immer wieder gern eine 
gutgefchriebene und gehaltvolle Erzählung. Teils erfundene, bzw. frei 
bearbeitete Dorwürfe, teils wahrheitsgetreue Berichte über auffallende 
Begebniſſe enthaltend, bieten dieſe Bücher auf dem hintergrunde des 
Fremdartigen eine feſſelnde, nützliche und nicht ſelten erbauliche Unter⸗ 
haltung, machen fie doch bekannt mit fremden Ländern und Dölkern, 
deren Sitten und Gebräuche, Tugenden und Untugenden, mit der Not 
und dem Elend, dem Unſegen und Aberglauben des heidentums und 
den Segnungen und Deredelungen, die das Chriſtentum ſolchen bringt, die 
guten Willens find. In Volks- u. Schulbibliotheken ſollten fie nicht fehlen. 

Als gewandten Erzähler erweiſt ſich zunächſt mit vier Bändchen der 
uns ſchon bekannte B. Emonts. In feinem „Hhäuptlingsſohne der 
Bandari, der Roman eines Schwarzen.“ (404 8. Halbl. M. 4.50), 
führt er uns einen mutigen, gutherzigen heidniſchen Jüngling vor, der, 


412 


wenngleich tief verftrickt im Aberglauben, an Rohheiten und Gemein» 
heiten kein Wohlgefallen fand, infolge einer Seuche Daterhaus und 
Stamm verlor, auf der Flucht durch mohamedaniſche hauſſahs auch 
noch der Freiheit und des gleichgeſinnten Freundes beraubt wurde. 
Als er nach harten Leiden das Sklabenjoch abſchütteln konnte, ward 
er Soldat der deutſchen Schutztruppe, nach Überwindung ſeiner aber⸗ 
gläubiſchen Vorurteile und vielfacher gehäſſiger Gegen wirkungen Chriſt 
und nach weiterem harten Leidensweg ein eifriger Miſſionsgehilfe. 
Gute Charakterzeichnung, reicher Wechſel der Handlung, zeitgeſchicht⸗ 
licher Einſchlag erhöhen Belang und Spannung des beſers. Dasſelbe 
gilt vom „Geiſt des Schreckens, Eine Erzählung aus Mittelkamerun.“ 
(2. Aufl. 176 5. Halbl. M. 2.50). Dem ſeeleneifrigen P. Wildhof ge» 
lingt es, zwei verfeindete, ſich an Graufamkeit überbietende Ueger⸗ 
ſtämme auszuſöhnen, nachdem er mit hilfe einiger mutiger ihm er⸗ 
gebener helfer die Ränke des Jauberers Bindabo und deſſen großen 
Betrug mit dem Geiſte des Schreckens aufgedeckt hatte. 

In der Sammlung: „Bereitet den Weg“, 5 Bändchen von je 120 bis 
190 5. mit Bildern (Halbl. in 1 Bd. m. 5.50), legen uns die Patres 
Emonts und Maffman 8. C. J. eine Fülle lehrreicher Erlebniſſe und 
Beobachtungen aus ihrem Miſſionsleben vor. Einiges hat P. Emonts 
feinem genannten Werke: „Ins Steppen- und Bergland Innerkame⸗ 
runs“ entnommen. Don dem bunten reichhaltigen Inhalt ſeien erwähnt 
die Berichte über erſtaunliche beiſtungen heidniſcher Zauberer, ſowie 
über Zauberei im allgemeinen, über Fetiſche, Götzendienſt und Gottes: 
glaube, über Totenklage und Totenkult, Beifterfurcht und Beifterdienft, 
die dem Miſſionär manche Anknüpfungspunkte bieten. Ein Abſchnitt 
enthält gruſelige Schlangengeſchichten. In kindlich ſchlichter Sprache 
teilen mehrere von grauſamen Menſchenjägern der Heimat und Freiheit 
beraubte, ſchließlich aber zur Miffion gelangte Negerkinder ihre harten 
mitleiderregenden Gefchicke mit; wohltuend wirkt die daraus erſicht⸗ 
liche große Mutter- und Rindesliebe und die dankbare Anhänglichkeit 
an die Miffion, abſtoßend aber die entſetzlich herzloſe Sraufamkeit und 
baſterhaftigkeit ihrer mohamedaniſchen Quäler und der ihre Stellung 
und macht mißbrauchenden ſchwarzen Agenten und Soldaten. — Recht 
anſchaulich und ergreifend weiß P. Emonts ſchließlich in „Der armen 
Heidenkinder Freud und beid“ (2. Aufl. 168 S. mit vielen Bildern 
Halbl. M. 1.80) die beklagenswerte Gage heidniſcher Negerkinder und 
ihr glückliches beben als Miffionskinder zu ſchildern. Beigefügte Er- 
zählungen und Briefe vertiefen die Eindrücke. — In feinem „Weih⸗ 
nachtsmiſſtonbuch für das katholiſche Volk“ betitelt „Ehre ſei Gott 
in der höhe“ (VIII und 182 8. M. 1.30) gibt P. Gruber O. F. m. 
ſchlichte fromme Erwägungen und Erzählungen im Anſchluß an die 
ktrippe und das Weihnachtsgeheimnis, die zur Weckung und Pflege des 
Miffionsfinnes dienen. — Schlicht und doch ſpannend erzählt Therefe 
köhler in dem Bändchen „Der ſchwarze Finger“ (120 8. Pappb. 
m. —.75), wie ein junger feeleneifriger Miſſtonsprieſter in wilder 
amerikaniſcher Gebirgsgegend durch beharrliche Hingabe verwilderte 
Arbeiter, die im „ſchwarzen Finger“ einen religions und geſellſchafts⸗ 


413 


feindlichen Bund geſchloſſen hatten, und namentlich einen gutveran⸗ 
lagten, aber teligions= und zuchtlos aufgewachſenen kinaben für Glaube 
und Gottt gewann. 

„Eine Erſtkommunion im Urwald“ ſchildert einem alten Miffions- 
bericht folgend Dr. Couis (104 5. mit vielen Bildern. Pappb. IM. —. 75); 
eine kindlich fromme und rührende Erzählung, wie die kleine ſchiffbrüchige 
Angelina von einem Indianer gerettet, in der Wildnis aufwächſt, auf 
einer Kahnfahrt eine Miffionsftation auffindet, ihrem totkranken Pflege» 
vater die Hilfe des Miſſionärs verſchafft, alsdann auf der Miffion 
tugendhaft lebt und als Opfer der Liebe ſtirbt. Beſonders für Mäd- 
chen zu empfehlen. — Schweſter Paula teilt „aus der Miffionsmappe 
der Franzis kanerinnen von Nonnenwerth“ Erlebniffe ihrer Mitſchweſtern, 
zumal der bei den Indianern Nordamerikas und den Malaien der 
. Sundainfeln tätigen, ſowie Beifpiele belohnter Opferliebe und gnädiger 
Fügung und hilfe Gottes mit in „Cajuta die Indianerin“ und „Sei 
ſtertänze der Indianer“ (je 2. Aufl, 128 8. und M. —. 60). Einem 
Werke, das die Sklaverei in ihrer Ungerechtigkeit, Schmach und härte 
anſchaulich nach ihrer Wirklichkeit beleuchtet und darſtellt, gebührt 
auch heute noch ein Platz in einer Miſſionsbücherei. Noch iſt Sklaven⸗ 
handel und Sklaverei nicht völlig vom Erdboden verſchwunden, und 
wenn fie auch ganz der Dergangenheit angehörten, wäre die enntnis⸗ 
nahme ihrer entſetzlichen Greuel von Nutzen. Stowe-Beecher's welt⸗ 
bekanntes Werk „Onkel Toms hütte“ liegt hier neubearbeitet von 
P. Couis mit 40 Bildern v. 6. Bachem in 2. Aufl. vor. (440 S. Halbl. 
M. 4.—). Es ſchildert Juſtände in den nordamerikaniſchen Südftaaten 
vor 1868 und ſteht auf bibelgläubigem Standpunkt; das Bibelleſen 
wird öfters etwas aufdringlich erwähnt. Die Darſtellung ſelber erfüllt 
mit Teilnahme und Mitleid für die Entrechteten und Geknechteten und 
mit Unwillen und Entſetzen über ihr Los und ihre Peiniger. Es werden 
uns gütige und hartherzige Herren, treu anhängliche und nichtsnutzige, 
verrohte Sklaven, Reden und Züge echt chriſtlicher Liebe edler Men⸗ 
ſchen und Ausfprüche und Taten unmenſchlicher Braufamkeit herzloſer 
Sklavenhalter und habgieriger Sklavenhändler vorgeführt und all dies 
ſpannend verwoben in die Geſchicke der zahlreichen gutgezeichneten 
auftretenden Perſönlichkeiten. Der vom Bearbeiter gebotene Text lieſt 
ſich gut; die bildliche Ausftattung iſt lobenswert. 

Unter Mithilfe zahlreicher Miſſtonsorganiſationen und Ordens» 
genoſſenſchaften hat Dr. Couis einen prächtigen Blockkalender „Welt 
und Wiſſen“ als „Deutſchen Kulturkalender für 1925“ (184 Aluſtr., 
8°, 368 8., M. 4. —) herausgegeben. Dieſes religiöfe Kunſtwerk, zu 
deſſen verſchiedenartigen Bildern ein reichhaltiger belehrender Text tritt, 
eignet ſich ſehr als Weihnachtsgeſchenk für Miffions- und Runſtfreunde. 

Über die Bibliotheca Missionum des P. Streit, dieſes für die 
ktenntnis der Miffionsliteratur hochwichtige Werk, deſſen erſter, 877 8. 
ſtarker Band in Sroßoktab 1916 in Münſter bei Aſchendorff erfchienen 
und deſſen zweiter Band aus dem XKaveriusverlag demnächſt zu er⸗ 
warten iſt, werden wir ſ. 4. eingehend berichten, wie wir auch ſpäter 
einmal die fonftige deutſche Mliffionsliteratur vorführen möchten. 


414 


Dom alten „Snadenhaus Mariä zu Grüſſau“. 


Don P. Nikolaus von Lutterotti (Srüſſau). 


tille mönche und berühmte Klöſter in großer Zahl haben einſt das 

Cand jenſeits der Elbe dem Chriftentum, der Kultur und dem 
Deutſchtum erſchloſſen. heute noch reden mächtige Bauwerke und 
klangvolle Namen von vergangenen Zeiten. Aber an keiner einzigen 
dieſer ehrwürdigen Stätten wandelten bis jetzt die alten Bewohner. 
Wenn darum heute im Lande Schlefien eine der großen Abteien zu 
neuem beben erwacht iſt, ſo ſcheint das uns ein Ereignis der Beach⸗ 
tung weiterer Breife wert. 8rüſſau zählt nicht zu den uralten klö⸗ 
ſtern, immerhin zu den alten. Andere Abteien haben weiterhin Be⸗ 
deutung gewonnen, weithin reichte auch ſein Einfluß. Es kann nun 
nicht unſere Aufgabe fein, dies erſchöpfend zu belegen. Nur ein kleiner 
erſter Überblick über feine äußeren Schickſale ſei heute gegeben. Aus 
feiner reichen Kunſt und Geſchichte ſoll ſpäter einmal mit Bildern 
mehr geboten werden. N 

Schwere Zeiten lafteten auf Schlefien, als Srüſſaus Geburtsſtunde 
ſchlug. Auf der blutigen Wahlſtatt bei Liegnitz lag St. hedwigs Sohn, 
Herzog Heinrich II. der Fromme, verſtümmelt von den Tartaren, deren 
Anſturm er ſich todes mutig entgegengeſtellt hatte. Städte und Dörfer 
in Trümmer, die Felder verödet, das Volk tot oder geflohen, ſo ſah 
das band nach dem Abzug der Horden aus. Am 9. Mai 1242 ſtiftete 
Anna, die Witwe heinrichs II. ein Alofter zu Ehren des hl. Laurentius 
für Mönche des Benediktinerordens. Es lag im Walde Griffobor, 
zwanzig Minuten vom heutigen Kloſter, am Eingang des Dorfes Neuen. 
Pietät und praktiſcher Sinn waren bei der Gründung maßgebend. Die 
Mönche follten des toten Gatten im Gebete gedenken, aber auch das 
verwüſtete band neu beſiedeln. Sie unterzogen ſich freudig beiden 
Aufgaben. Wie urkundlich feſtſteht, entftanden durch ihre Arbeit die 
meiſten Dörfer und Siedelungen zwiſchen bandeshut und Friedland. 
Schwere Bedrängniſſe ihres Stammkloſters Opatowitz in Böhmen be⸗ 
wogen jedoch die Benediktiner, dorthin zurückzukehren, um ihrer alten 
Heimat zu dienen. Im Jahre 1289 übergaben fie ihre Ländereien 
Herzog Bolko I. von Schweidnitz und Jauer, einem Enkel der Stifterin 
Anna, mit der Bitte, ſie ihrem kirchlichen Zwecke zu erhalten. 

Als echtes Rind feiner glaubensſtarken Zeit wollte Bolko I. feinem 
namen ein dauerndes Denkmal ſetzen, das zugleich ein Gnadenquell 
für ſeine Untertanen ſein ſolle. Die Gebäude des alten Kloſters ſchienen 
ihm zu dürftig; darum baute er unweit davon eine ſtattliche Abtei. 


415 


Er übergab fie den um Schlefiens Kultur hochverdienten Zifterzienfer- 
Mönchen. Heinrichau (de linea Morimundi) ſtellte die Gründungs- 
kolonie. Am 10. Auguft, dem St. Caurentiusfefte 1292 eröffnete Abt 
cheodorich mit zwölf Mönchen das feierliche Gotteslob. Bolko liebte 
feine Stifiung wie ein Dater. Die Urkunden zeigen, daß er die Hoch» 
feſte des Kirchenjahres meiſt bei feinen Mönchen in Grüſſau verlebte. 
Da erflehte er beim Chorgebete von Goit jene Weisheit und kraft, 
die ihm in der Seſchichte den Ehrennamen „der Glorreiche“ eintrugen. 
nie verließ er das Kloſter, ohne ihm durch eine reiche Stiftung ſeine 
huld zu erzeigen. Wohl der köſtlichſte Schatz, den er ſchenkte, war das 
altehrwürdige Gnadenbild der Gottesmutter. Bald kamen Pilger in 
Scharen, ſelbſt aus weiter Ferne. Viel Segen ging von dieſer heiligen 
Stätte aus und man begreift es, daß der Volksmund bald nur vom 
„Bnadenhaus Mariä“ ſprach. hier wollte Bolko auch im Tode ruhen, 
mitten unter den pfallierenden Mönchen. Wie er, dachte auch Herzog 
Bernhard, fein Sohn, und Balko II., fein Enkel. Ihre Gaben mehrten 
den Beſitz des kloſters. Bis vor die Tore von Reichenbach und Schweid⸗ 
nitz erſtreckten ſich feine Güter und auch ins hirſchberger Tal dehnte 
fi das Kloſterland aus. 300 Quadratkilometer mit zwei Städten 
(Schömberg und biebau) und 42 Dorfſchaften gehorchten ſchließlich 
dem „Abt und Herrn des hochfürſtlichen Geſtiftes Brüffau“. Das war 
kein toter Beſitz. Die Untertanen erfuhren die Wahrheit des Spruches, 
daß unter dem Arummftab gut wohnen ſei. Allenthalben erhoben ſich 
Kirchen, das Kloſter richtete Schulen ein, die Steuern, die es einzog, 
blieben weit hinter den baſten zurück, die von den weltlichen Herren 
aufgelegt wurden. Kultur und Wohlſtand verbreiteten ſich. Der reiche 
Urkundenſchatz des 14. gahrhunderts zeigt uns eine glückliche und 
wohlhabende Bevölkerung, die im Abte von Brüffau mehr den guten 
Dater als den ſtrengen Herrn ſah. 

Da fegte in den Jahren 1426 — 1430 wie ein verheerender Sturm 
der Buffiteneinfall über Schleſien hinweg. Die religiös⸗politiſche Revo⸗ 
lution des Fanatikers hus ſchwoll über die Grenzen Böhmens hinaus. 
Raubſcharen drangen ſengend und brennend bis ins herz von Deutſch⸗ 
land vor. Grüſſau ſank damals in Schutt und Aſche, zahlreiche Mönche 
vergoſſen für Chriftus ihr Blut. In jenen Tagen ging auch das Gnaden⸗ 
bild verloren. Ein Mönch hatte es in einem unterirdiſchen Gewölbe 
der Sakriſtei verborgen und nahm das Geheimnis mit in fein Mär⸗ 
tyrergrab. 50 lag der koſtbare Schatz durch 200 Jahre unter dem 
Brandſchutt verborgen. Das Kloſterland, eben noch ein blühendes 
Paradies, wurde aufs neue zur entvölkerten Einöde. 


416 


nach dem Abzug des Feindes ſammelten ſich die überlebenden Mönche 
in Schweidnitz und wählten 1431 Michael I. zu ihrem Abte. Der tat⸗ 
kräftige Mann hob das Stift aus Schutt und Aſche. Durch Vermittlung 
der Jiſterzienſerklöſter des Weſtens erhielt er neue Boloniften auf feine 
Güter, meiſt aus heſſen und Franken, die bald durchgreifende Wieder⸗ 
aufbauarbeit leiſteten. Das Derdienft, die ſchweren Wunden der kiriegs⸗ 
jahre endgültig geheilt zu haben, darf Abt Nikolaus IV. (1460 — 1490) 
für ſich in Anſpruch nehmen, ein wahrer Vater ſeiner Untertanen. 

Schweren Schaden erlitt das Blofter zur Zeit des großen Glaubens- 
abfalles im 16. Jahrhundert. Die religiös⸗politiſche Revolution feiner 
Untertanen entriß ihm manch wichtigen Beſitz. Aber alle Stürme ver⸗ 
mochten den lebensſtarken Baum nicht zu entwurzeln. Nur ganz ſelten 
hören wir, daß ein Mönch feinem Glauben und feinen Gelübden un⸗ 
treu wurde; die überwältigende Mehrheit blieb mit muſterhafter Treue 
beim Glauben der Däter. Auch damals iſt Märturerblut gefloffen. 
Am Feſte des hl. Thomas von Canterbury 1620 las Abt Martin Clavaei 
in der heiligen Meſſe das Evangelium vom guten hirten, der fein Leben 
für ſeine Schafe gibt. Da gedachte er der Abtrünnigen im Städtlein 
Schömberg, und wehr- und waffenlos machte er ih auf, um fie zur 
Kirche zurückzuführen. Am Abend des Feftes brachte man ihn zurück 
wie St. Thomas, das Haupt geſpalten von den Axthieben feiner irre- 
geleiteten Untertanen. Sein Blut iſt nicht umſonſt gefloſſen. Heute iſt 
Schömberg eine der treueſten katholiſchen Städte Schlefiens. Das waren 
ſchwere Zeiten für Grüffau. Es ſchien dem Untergange nahe. Da ſandte 
der Herr einen bichtſtrahl. Am 18. Dezember 1622 fand Abt Adam 
Wolffgang unter dem Fußboden der Sahkriſtei das ſeit zwei gahrhun⸗ 
derten verſchollene Gnadenbild wieder auf. Bald ſetzte die alte, groß⸗ 
zügige Wallfahrt von neuem ein. 

namenloſes Weh brachte der Dreißigjährige Krieg über das Grũſſauer 
Kloſterland. Dreimal wurde das Stift aus geplündert. Den Bettelſtab 
in der hand mußte Abt Valentin Rüling mit feinen Mönchen nach 
Mähren flüchten; andere wurden gefangen weggeſchleppt. Am 4 Juni 
1633 ſank das Rlofter in Aſche. B. Heinrich Faber, der für feine armen 
Grüſſauer Pfarrkinder vor den Schweden einen Fußfall tat, wurde mit 
vier Bürgern an der ktirchenmauer erſchoſſen. Als Abt Valentin in 
fein von Mord, Brand und Peſt verwüſtetes Brüffau zurückkehrte, 
verkaufte er den geretteten kiirchenſchatz, um den Hunger feiner Unter- 
tanen zu ſtillen. Das gemeinſam ertragene Leid ſchloß Kloſter und 
Volk zu wahrer Schickſalsgemeinſchaft zuſammen. 


417 


Zum drittenmal hob die ftarke Band der Äabte Valentin Rüling 
(1632 — 1653) und Andreas Michaelis (1653 — 1660) das tiefgeſunkene 
Land zu beſcheidenem Wohlſtand. Abt Andreas fiedelte auf den verwülte» 
ten Stellen und Gütern Bauern aus feiner Heimat, dem Eichsfelde, an. 

Dann begann Grüſſaus Glanzzeit. Abt Bernard Rofa (1660 — 1690) 
führte es zu höchſter Blüte. Zuerſt innerlich. Er hob das Ordens 
leben zu einer ſolchen höhe, daß Brüffauer Mönche in viele andere 
Klöſter als behrer berufen wurden. Unter ihm war das Rlofter ein 
Garten echter Tugend. Wie eine heiligenlegende leſen ſich die Berichte 
des Totenbuches über das fromme hinſcheiden der Mönche jener Zeit. 
Bott fegnete ſolch frommes Walten. Trotz ſeiner geradezu verſchwen⸗ 
deriſchen Almoſen war Abt Bernard nie um Geld verlegen. Er ließ 
talentierte Jünglinge ſtudieren, hoffnungsvolle Hünſtler ausbilden, 
ktrankenhäuſer bauen. An den hochfeſten des Kirchenjahres ließ er oft 
bis zu 1200 Arme mit Fleiſch, Brot und Bier bewirten. 800 - 1000 
Reichstaler wurden laut den Rechnungsbüchern alljährlich an der 
Kloſterpforte an Almoſen verteilt (damals Roftete eine Kuh 8 — 10 
Reichstaler). Daneben entwickelte er eine ſtaunenswerte Tätigkeit als 
Bauherr. nach dem Brande von 1677 erſtanden kirche und Kloſter 
in neuem Glanze. Er baute die herrliche goſephskirche zu Grüſſau, 
die Pfarrkirchen in Schömberg, Liebau, Altreichenau, Abendorf, Oppau, 
Würben und Warmbrunn, die Annakapellen in Brüffau und Liebau, 
die Nothelferkirche in Ullersdorf, die Kapelle in Reichhennersdorf, dazu 
die 33 Kreuzwegkapellen und Feldkirchlein um Grüffau. Nur erſtklaſſige 
Architekten, Bildhauer und Maler wurden berufen. Als Mäzen wurde 
Abt Bernard der geiſtige Vater der ſchleſiſchen Malerſchule, die Michael 
Willmann begründete. Wer Schleſiens Renaiffance und Barock ſtu⸗ 
dieren will, muß ins Brüffauer Kloſterland kommen. Die Baufreudig- 
keit des Abtes kannte kein Hindernis; ſelbſt auf die Spitze der Schnee- 
koppe ſetzte er eine St. Laurentiuskapelle. In Grüſſau blühte unter 
ihm das Aunfthandwerk in hervorragender Weiſe. Eine Reihe nam⸗ 
hafter Maler und Bildhauer ließen ſich dauernd hier nieder, wo der 
kunftliebende Abt für lohnende Arbeit ſorgte. Über ganz Schlefien zer⸗ 
ſtreut finden ſich Altäre und Bilder, die in Srüſſau geſchaffen wurden. 

Durch Dolksmiffionen führte Abt Bernard feine Untertanen zum 
katholiſchen Glauben zurück. Freilich wandte er dabei auch, wie um⸗ 
gekehrt andere Fürſten, Gewalt an. Segen 2000 Proteſtanten mußten 
auswandern, dafür fiedelte er auf dem Kloſterland Katholiken an, 
die aus Brandenburg und der Dauſitz um ihres Glaubens willen ver⸗ 
trieben waren. Er handelte alſo in etwa auf dem Repreſſalienwege. 

Benediktiniſche Monatſchrift VI (1924), 11— 12. 26 


413 


Übrigens entließ er die Proteſtanten mit ihrem ganzen Dermögen, 
während die Katholiken mit dem Bettelftab Ramen!. 

Grüffaus innerer und äußerer Glanz dauerte auch unter den nächſten 
bten Dominikus Beyer (1696— 1726) und Innozenz Fritſch (1727 bis 
1734) an. Abt Dominikus war ein kluger Derwalter. Er kaufte die 
ausgedehnten Burggüter zu Bolkenhain und ſammelte einen reichen 
Schatz für den Bau der herrlichen Klofterkirhe. Dieſe wurde unter 
Abt Innozenz vom Architekten Anton goſeph gentſch aus Birfchberg 
1728 - 1784 erbaut und am 3. Juli 1735 von ktardinal⸗Fürſtbiſchof 
von Sinzendorf feierlich konſekriert, der gleichzeitig dem neuen klbte 
Benedikt II. die äbtliche Weihe erteilte. 

Benedikt II. Seidel (1734 1763) hatte viel Areuz zu tragen. Unter 
ihm begann der langſame, ſchmerzliche Todeskampf des Rlofters. Der 
neue Landesherr Friedrich II. von Preußen war ihm nicht Freund. Abt 
Benedikt weilte faſt ein Jahr lang um eines falſchen Derdachtes willen 
in Breslau in Haft, während Huſaren ins Kloſter gelegt und die Mönche 
im kalten Winter auf die Straße gedrängt wurden. Alle Schrecken 
der Schleſiſchen Kriege mußte die hart an der böhmiſchen Grenze ge⸗ 
legene Abtei durchkoſten. Oft wechſelte fie im Jahre drei- bis vier- 
mal den Landesherrn. gede Beſatzung ſuchte zu plündern, was fie 
noch vorfand. Dazu kamen geradezu unerſchwingliche Steuern, die 
das arme Stift beinahe erdroſſelten. Und doch blieb es eine Segens» 
quelle für das Land, vor allem durch feine vorzügliche Lateinfchule, 
die zahlreichen Kindern des Volkes den Weg zur Bildung öffnete, 
der ihnen heute durch finanzielle Schwierigkeiten verſchloſſen iſt. Am 
ſchwerſten mußte Abt Malachias Schönwieſe (1763 - 1767) die un- 
verdiente Ungnade feines Königs fühlen, fo daß er bald vor Kummer 
in die ſtille Gruft ſank. Beſſer erging es Abt Plazidus Mundfering 
(1768 - 1787), einem klugen Diplomaten, an dem der kiönig Gefallen 
fand. Er ift der Erbauer des neuen Kloſterflügels. Petrus II. Reylid 
(1787 - 1797) mußte den Bau wieder einftellen. Es ging einfach nicht 
mehr. Bis zu 80 Prozent der Einkünfte wanderten unter den ver⸗ 
ſchiedenſten Titeln in die Staatskaſſe. Man nannte das „die Säkulari⸗ 
ſation der Einkünfte”. Den Reſt benötigte das Volk, das in diefen 
Jahren viel Not litt. 

Abt Adephons Reuſchel, der 49. in der Reihe der Übte, erlebte die 
Vernichtung feines Kloſters. Er ahnte das kommende Unheil voraus 
und ſchenkte den armen Landwirten die kleinen Hypotheken, die fie 


ı Ein Lebensbild des Abtes Bernard Roſa, des bedeutendften unter den ſchleſt⸗ 
[hen Ordensprälaten, iſt in Vorbereitung. 


419 


beim kiloſter aufgenommen hatten. Im Jahre 1810 ſtreckte der Staat 
feine hand nach dem Eigentum Bottes aus. Mit einem Federſtrich 
wurden die altehrwürdigen Segensftätten zerfiört. Was damit dem 
Volke genommen wurde, vermochte keine ſtaatliche Wohlfahrtspflege 
zu erſetzen. Wer aus den Urkunden und Dokumenten der Vorzeit das 
einſtige Geben im Ziedertale kennt, muß feinen bisherigen Zuftand als 
Dornröschenſchlaf bezeichnen. Das Bymnafium wurde geſchloſſen, der 
Verkehr hörte auf, das Kunſthandwerk verfiel, das Volk verarmte. 
ftloſter Brüffau ſtarb in Ehren. keinerlei Anzeichen von Verfall der 
klöſterlichen Jucht hatten ſich bemerkbar gemacht. Die noch erhaltenen 
Bapitelsanfpradhen des letzten Abtes erweiſen, daß im Rlofter muſter⸗ 
hafte Ordnung herrſchte. Die vertriebenen Mönche lebten, ſo gut es 
ging, auch in der Welt nach ihren Ordensgelübden und blieben mit 
ihrem greifen Abt bis zu deſſen Tod in regem Verkehr, brieflich feinen 
Rat und Segen für jedes wichtigere Werk erbittend. Abt Adephons lebte 
im verödeten Rlofter bis zum Jahre 1823. Täglich wankte der Achtzig⸗ 
jährige auf feinen Stock geſtützt in die kirche hinab, wo Chorftühle und 
Altäre verwaift ſtanden. Dor dem Kreuzaltar betete er, Gott möge fein 
liebes Rlofter zu neuem Leben erwecken. Gott hat ihn erhört. Genau 
100 Jahre nach feinem Tode, am heiligen ktreuzfeſt des Jahres 1923, 
ward Rlofter Srüſſau feinem gottgewollten Zweck zurückgegeben. 
Neues Leben regt ſich wieder in den weiten Ballen. Zu Tauſenden 
kommen die Wallfahrer auf den alten Pilgerftraßen. In der gewal⸗ 
tigen Abteikirche knien ſie und lauſchen wieder fromm und andächtig 
den Klängen des monaſtiſchen Sotteslobes. Nie gehörte Weiſen und 
doch altvertraut, weil fie ihr Innerſtes treffen, ihre katholiſche Seele, 
die fie von ihren Ahnen ererbt, die einſt zu den Füßen der Mönche 
faßen. In eine neue, ſchaffensfreudige hand iſt nunmehr der hirten⸗ 
ſtab des letzten Abtes gelegt. Unter dem Jubel von 10000 freudig 
bewegten Pilgersleuten hat als 50. Abt von Grüffau ein Sohn St. Bene⸗ 
dikts die alten Traditionen wieder aufgenommen. Die Runde von diefen 
Vorgängen iſt den beſern dieſer Zeitſchrift ſchon das letztemal geworden. 
In der Art der alten Abte dem Tale Fürſt und Dater zu werden, 
das kann das Ziel des neuen Abtes nicht ſein; dazu fehlen ihm alle 
‚ Mittel. Die Zeiten haben ſich eben gewandelt. Nicht gewandelt aber 
hat ſich der Wille der Mönche, allen zunächſt indeſſen ihrer Umgebung, 
in Liebe alles zu fein. 8o möge die erfte erftandene Abtei jenfeits der 
Elbe wieder zu dem werden, was ihr ſinniger Name beſagt, zu einem 
„Hauſe der Gnade“, aus dem ein Born reichſten Segens ausgeht für 
unſer Segen bedürftiges, Segen erſehnendes Volk! | 
26° 


420 


Wie der gottfelige Thomas von Kempen 
mit dem Kirchenjahr lebte. 


Bon P. Sturmius Aegel (Beuron). 


ls Thomas von Kempen geſtorben war, da ſetzte ein anderer feine 
„Chronik des Agnetenberges“ fort. Er hub alſo an: „Im näm: 
lichen Jahre (1471) ſtarb am Feſte Jakobus des Älteren (25. Juli) 
unſer herzlieber Fr. Thomas Hemerken, aus kiempen gebürtig, einer 
Stadt der Diözeſe Köln, im 92. Jahre feines Lebens, dem 63. feiner 
Einkleidung, dem 58. feines Prieſtertums ... Seit den Anfängen des 
Kloſters litt er viel Not, Anfechtungen und Mühſale. Er ſchrieb uns 
die Bibel ganz und viel andere Bücher für das haus und zum Verkaufe. 
Dazu verfaßte er zur Erbauung der gugend in klarem, einfachem Stil 
verſchiedene Schriften, klein an Umfang, aber groß an Inhalt und 
nachhaltiger Wirkung. Er war auch voll Minne gegen das Leiden des 
herrn und wunderbar tröſtlich gegen Derfuchte und Betrübte.”! 

Seit uns M. 9. Pohl eine fo handliche Befamtausgabe der Werke 
des gottſeligen Thomas geſchenkt hat — es wird hier vorausgefeßt, 
daß die opera omnia feine ſämtlichen und ſämtlich feine Werke find’ — 
iſt es uns nicht ſchwer, dieſe und ähnliche Urteile über den Auguftiner 
vom Agnetenberge nachzuprüfen und beſtätigt zu finden. Freilich follte 
man Thomas eigentlich nur lateiniſch leſen; denn wenn man auch 
Übertreibungen wie dieſe nicht teilt, daß „ſelbſt in der beſten Über⸗ 
ſetzung drei Dierteile verloren gehen und das vierte ſeelenlos bleibt“, 
ſo muß man doch bekennen, daß es nicht einfach iſt, das ganz Der- 
ſönliche, die tiefe, liebevolle Wärme wiederzugeben, die Thomas fogar 
dem Latein feiner Schriften vielfach einzuhauchen verftanden hat, wenn 
er im übrigen auch ganz deutſch denkt und fühlt. 

„Der ganze Reichtum religiös⸗geiſtiger Werte, welchen die deutſche, 
mittelalterliche Muſtik in ſorgſamer, Jahrhunderte langer Pflege des 
inneren Lebens geſchaffen, kommt noch einmal zuſammenfaſſend und 
doch in ſelten einfacher Form zur Darſtellung in den vier Büchern der 
nachfolge Chriſti des ſel. Thomas von kiempen“, ſchrieb jüngſt in feiner 
aufſchlußreichen Studie „Die Euchariſtielehre der deutſchen Muſtiker 
des Mittelalters“ C. Boekl?. Was hier von der „Luchariſtielehre“ 
und der „Nachfolge Chriſti“ bezw. dem 4.(3.) Buch im befonderen ge: 
fagt ift, wird man ruhig im allgemeinen auf das Geſamtſchrifttum des 


a. a. O. Pohl opera omnia VII 466f. Wir hoffen fpäter einmal den Der- 
ſuch einer Dorführung der Befamtwerke in dieſer Jeitſchrift machen zu können. 
’ Münden 1923, hübſchmann; jetzt übergegangen in den Verlag von Herder, Frei⸗ 
burg 8° (XIV u. 136 8.) M. 3.50. Die Schrift behandelt in gedrängter Juſammen⸗ 
faſſung das Titelthema, den dogmatiſchen Slauben der genannten Myftiker aus dem 
Benediktiner -, Franziskaner, Zifterzienfer- und Dominikanerorden ſowie bei Ruus - 
broeck und Thomas von Rempen. Sie will bewußt eine dogmatiſche Arbeit fein, aber 
auf hiſtoriſchem Untergrund. Nicht ihr letzter Vorzug iſt es, daß fie wie ähnliche zut 
beſung der gedruckten Quellen förmlich nötigt, denen ſie ſelber ungedructe a 
Und was kann es Beglückenderes geben, als mit dem Beben ſelber in Fühlung zu 
treten, das ſich in der Lehre nur abfchattet. 


421 


Gottfeligen ausdehnen können. Es iſt ſchwer verſtändlich, wie man 
zu Boeckls Buch ſchreiben Ronnte!: „Daß die Muſtiker innerhalb des⸗ 
jenigen Segments ihres Sedankenkreiſes, der ſtofflich der Kirchenlehre 
kongruent iſt, an das kirchliche Dogma gebunden find und den ktirchen⸗ 
pätern und Scholaftikern folgen, wird doch nicht bezweifelt. Aber wohl 
wird ihnen erſt, wenn fie ſich auf Gebiete begeben, wo ihnen nicht 
die Route vorgezeichnet iſt. Dieſe Bewegungsfreiheit ſetzt in unſerem 
Falle da ein, wo ſie ſich über die Segenswirkungen, die ſie von dem 
häufigen Genuß auf ihr Innenleben verſpüren, auslaſſen.“ Wie würde 
ihnen wohl, wenn fie nicht glaubend wüßten, was ihnen im Sakra⸗ 
mente zuteil wird, und wiſſend hofften, daß „der ewige Genuß deiner 
Bottheit uns ſättigen möge, den der zeitliche Empfang deines koſt⸗ 
baren beibes und Blutes vorbildet?“? Und wo hat je eine äußere Macht 
dem freien Willen ſtreng genommen „die Route vorſchreiben“ können? 
Haben nicht eben dieſe Scholaſtiker ſchon gelehrt, daß in den freien 
Willen des Befchöpfes niemand eingreifen kann als Gott allein? Und 
it es nicht Erbgut aller chriſtlichen Jahrhunderte, ja ſchließlich aller 
Religion, was die Altväter in faſt überſchroffer Form fo formulierten: 
„Ehe der menſch nicht in feinem herzen ſagt: Gott und ich allein, 
nur wir ſind auf der Welt, hat er keine Ruhe“? 

Doch bleiben wir bei Thomas! Durch lange Jahre hat er fingend 
und betend im Chore geſtanden. Da liegt die Frage nahe, welche 
Rückwirkung denn Chor und Kirchenjahr auf fein Gemüt gehabt haben 
mögen und wie das etwa in ſeinen Schriften zum Ausdruck kommt. 
Er kannte die Schwierigkeiten des Chorlebens und redet gelegentlich 
in wohltuender Einfalt davon: vom Frühaufſtehen, der Anſtrengung 
des vielen Singens und langen Leſens, von Pſalmen, die mitunter 
nicht leicht verſtändlich find u. a. — Das hindert ihn nicht im geringſten, 
aus tiefſtem Herzen fein Ach, pie Deus, „ach guter Bott“ | auszurufen, 
als fie ihre „Gefänge unterbrechen“ mußten, damals nämlich, da ihnen 
wegen der Streitigkeiten um Beſetzung des Lütticher Bistums das Inter- 
dikt angeſagt wurde?. Ja an einer anderen Stelle feiner Werke verfteigt 
er ſich vollends zu dieſem bob des Chores, wenn er hiebei vielleicht 
auch zunächſt deſſen Nachhall in der ſtillen „Betrachtung“ post Ma- 
tutinas im Auge haben mag: „Engelsleben iſt es, mit Andacht und 
Ehrfurcht den Chor beſuchen; denn dort haben viele Fromme (Ordens⸗ 
leute; devoti) Engelsgeſichte gehabt. Oft wurden fie dort im Beifte 
entrückt, häufig erleuchtet, ſüß getröſtet und mächtig entflammt”*. - 

Wollte man ein voll zutreffendes Bild von feiner Stellung zu Gottes- 
dienſt und Kirche gewinnen, ſo müßte man ſämtliche ſieben Bändchen 
wie ſie uns Pohl geſchenkt hat, daraufhin durchgehen. Thomas war 
eben in keiner Weife Suſtematiker, auch kein Syftematiker der Liturgie. 
Immerhin hat er uns in feinen sermones de vita et passione Christi“ 
ein Werk hinterlaſſen, das bewußt für Feſte gefchrieben ift und von 
Feſten ausgeht. Es hat fein ganz ähnliches, in manchem aber wieder 

Theol. Giteraturzeitung 1924 Ur. 8 Sp. 157 (O. Clemen). Misssale Romanum 


Poftcommunio an Fronleichnam. Chronik des Agnetenberges Kap. 20. VII 399. 
Brevis admonitio II 425. Pohl III (1904) 61 ff. Titel nicht von Thomas. 


422 


von ihnen verſchiedenes Gegenftück in den orationes et meditationes 
de vita Christi!. Beide offenbaren ein ſtarkes perfönliches Erleben 
des Lebens und Leidens geſu Chrifti von dem Ratſchluß der Erlöfung an 
bis zur einmütigen Feier feiner heiligen Beheimniffe in der Urkirche zu 
derufalem und der Predigt des Evangeliums in aller Welt. Aber dieſe 
urperſönlichen Betrachtungen — in den sermones ſcheint Thomas un⸗ 
geftümer, in den orationes et meditationes geklärter nE fein — zeigen 
mit aller Deutlichkeit, daß fie nicht oder doch nicht allein in ſtiller 
Zelle und ſchweigender Betrachtung entſtanden ſind. Sie ſind ganz 
offenſichtlich Feſtfrüchte und der Ertrag kirchlicher Feiern. Beide ſind 
durchſetzt mit Anfpielungen auf liturgiſche Texte; immer wieder redet 
er in beiden Büchlein von dem „heutigen Feſt“ und der „gegenwärtigen 
Feier“. Ein eigenes Gebet „um die Gnade der Andacht beim göttlichen 
Offizium und vom freudigen Lobe der Engel im himmel“, als deren 
Gegenchor alter Überlieferung gemäß er den Chor der Mönche anſtieht, 
findet ſich in den orationes?. Der Erdenchor läßt ihn mit Entzücken 
des himmliſchen Chores gedenken, wo es keine Disharmonien gibt, 
keine Müdigkeit und Schläfrigkeit: „O wäre ich ſchon im himmel einer 
aus ihnen, um da mit ihnen zu ſingen, heilig, Heilig, Heilig“ in ihrem 
Chore! Sie ermüden nicht, fie hören nicht auf, ihren Schöpfer zu preifen; 
denn voll des Heiligen Beiltes glühen fie von Liebe, leuchten fie weiß 
wie der Schnee, hauchen ſie lieblichen Duft aus, ſingen ſie freudig, 
getragen und lieblich. Semeinſam heben fie an, mächtig ſtimmen fie 
ein, gleichmäßig halten fie ihre Pauſen, wonniglich jubeln fie und 
geraten in Verzückung unſagbar in Gott.“ 

Es wäre der Mühe wert, Thomas’ Schriften einmal unter dieſem 
Geſichtspunkte durchzugehen. Es gäbe das nicht geringe Auffchlüffe 
über Thomas ſelbſt und die Umwelt, in der er lebte. Es bliebe auch 
nicht ohne nachhaltigen Einfluß auf uns, wie das jeder nachprüfen 
kann, der die Schriften des ſeligen Mannes nicht nur lieſt, ſondern 
bewußt auf ſich wirken läßt. Da es nun bald Advent und Weihnacht 
wird, fo iſt es vielleicht nicht ohne Nutzen, auf feine Advents- und 
Weihnachts frömmigkeit befonders einzugehen. Wir müſſen uns hier 
freilich auf bloße Andeutungen beſchränken; wir können nicht ein⸗ 
dringen in die Muſtik, die hier verborgen liegt, noch weniger können 
wir die mannigfache unmittelbare Benützung liturgiſcher Texte nach⸗ 
weiſen. Vielleicht vermag indeſſen auch das wenige, das wir bieten 
werden, den einen oder andern zur Lefung der Schriften anzuregen. 
Wem es möglich iſt, der leſe die Schriften, noch einmal ſei es geſagt, 
unbedingt lateiniſch, nicht in Überſetzung. 

Seine „Gebete und Betrachtungen“ beginnt Thomas mit einem 
dankbaren Lobpreis auf das Leben geſu, des Mittlers zwiſchen Gott 

Pohl V (1902) 1 ff. Beide Büchlein find überſetzt. Das erſte „von einem Priefter 
der Diözeſe Rottenburg“ (Schaffhauſen 1857) wurde „genau wieder durchgeſehen und 
bevorwortet“ 1907 neu herausgegeben von J. Müllendorf 8. J.: Thomas v. Hempen. 
Reden und Betrachtungen (Regensburg, Manz). Das zweite ward überſetzt von 
Heinrich Pohl, dem Sohn des Herausgebers der Opera omnia: Th. v. f 


. Kempen 
Gebete und Betrachtungen. 1. Aufl. Köln 1904, 3. Aufl. Paderborn 1913. V 35ff. 
Heinrich Pohl 1. Aufl. 366 ff. 


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und den Menfchen, und einem Bebet zum Lobe des Herrn. Er denkt 
der Erſchaffung des erſten Menſchen und ſeines jämmerlichen Falles. 
Er erwägt, wie ihn Bott wieder berufen und ihm den Erlöſer verheißen 
hat; dann überdenkt er die Erlöſung per verbi incarnati mysterium, 
durch das Muſterium der menſchwerdung des ewigen Wortes. „O 
füßefter geſus“, ruft er aus im Anblick des Menſchgewordenen, „je 
kleiner du dich gemacht haſt in deiner Menſchheit, umſo größer haſt 
du dich mir gezeigt in deiner Bütigkeit. Je armſeliger du für mich ge⸗ 
worden biſt, umſo teurer bift du mir.“ Er betrachtet nun die Geburt 
des Herrn in Armut mit ihren Beſchwerlichkeiten und Entbehrungen; er 
hört das Kindlein wimmern, ſieht es dürſten und ſaugen. Er denkt der 
ſchmerzhaften Beſchneidung und der Auferlegung des heilbringenden 
namens geſu. Er preift den Herrn geſus Chriftus, den Fürften der 
Aönige der Erde, und ſagt ihm Dank, daß er fo glorreich erſchienen 
it vor den Dreikönigen. „Großer und wunderbarer Bott, der du 
das All allein lenkſt und Großes im himmel wirkft, du haft dich nicht 
geſcheut, um ein Beiſpiel der Beringheit zu geben, vor ſoviel Königen 
und Großen arm und elend zu erfcheinen... Ich danke dir für die 
wunderbare Erleuchtung der heiden, der du in den dunklen Herzen 
der Orientalen ſo glorreich aufgeleuchtet, daß ſte dem vom himmel 
ihnen gewieſenen Zeichen durch fo weite Länderftrecken hin in un⸗ 
zweifelhaftem Glauben folgten... Ich fage dir Dank, geſus Chriftus, 
für die hohe Würde dieſes Tages, den du ausgezeichnet haft durch 
die drei Wunder...” Die Reinigung Mariens und geſu Darftellung 
im Tempel, feine Derfolgung und Flucht nach Ägypten und den grau⸗ 
ſamen Mord der heiligen Unſchuldigen Rinder, die herodes um des Na⸗ 
mens Jefu Willen getötet, ſchließlich noch die Auffindung geſu im 
Tempel betrachtet er; dann zieht des Erlöſers heiliges, demütig ver⸗ 
borgenes beben an ſeinem Geiſt vorüber. 

Es iſt wahr, weit ausführlicher und mit noch größerer Innigkeit 
verſenkt ſich Thomas darauf in das öffentliche beben und vor allem 
in das Leiden des herrn. Was konnte es für einen leidenden Men⸗ 
ſchen wie er auch lieberes geben. Dort fand er die Liebe in ihrer 
höchſten Dollendung. geſus am Rreuze hangend, „blau vor Schmerz, aber 
leuchtend vor Liebe“. Nichts ſtimmte fein Herz fo zur Jerknirſchung 
wie dieſes. Sein ganzes Sehnen ging dahin, daß der Erlöſer vom 
Rreuge herab „mit Schmerz und Liebe fein herz durchdringe und ver- 
wunde und es ganz mit dem ſeinen vereine und entzünde, auf daß 
alle Welt ihm zum Ekel werde und geſus der Sekreuzigte allein ihm 
über alles zuſage“. Aber wenn dem gottfel. Thomas die Wahl ge⸗ 
ſtellt würde, wie er geſus ſchauen wolle, ob in der Arippe liegend, 
ſitzend unter den behrern, dem Dolke predigend oder am kireuze hangend, 
dann fiel ihm die Entſcheidung doch ſchwer!. geſus gefällt ihm eben 
überall; auch dieſes zeigt, daß er im Wechſel des kirchlichen 
gahres das Leben geſu ftets neu mitlebte „Ich will nicht wählen“, 
ſpricht ſeine Seele, „ich will hierin nicht frei verfügen, will nicht meiner 


De quatuor modis videndi Jesum. »sermo« 11 Pohl III 130ff. 


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neigung folgen, noch von eigener Laune mich leiten laſſen. Ich will 
nur eines: auf alle Weiſe zufrieden ſein mit dem, was meinem herrn 
defus Chriftus gefällt. Er weiß das Innerſte meines Herzens zu 
durchforſchen und unſichtbar zu durchdringen. Er ſei mir alles in allem, 
wie meine Schwachheit es bedarf. Was ihm lieber iſt, das tue 
er frei; wie er ſich mir darſtellen will, fo zeige er ſich mir. Alles wird 
mir lieb ſein, wie er es tut. Ich habe ihn ja ganz in jeder einzelnen 
Weiſe, wenn ich es recht anſehe; und kein Wandel der Geftalt 
oder des Alters ändert den Slauben der Wahrheit: Chriftus 
iſt unteilbar, in all dieſen Weiſen wahrhaft anzabeten.“ 
50 zieht alſo das beben geſu an ihm vorüber im Chore, nicht nur 
im kiopfe, auch nicht nur im herzen: recordatio sancta renovata per 
singulos annos!. „Jahr für Jahr erneuert das heilige Gedächtnis“. 
Gange, will er, follen die Feſte nachwirken. „Immer fei dir wieder 
neu Chrifti heilige Geburt; nie gehe ohne Betrachtung ein fo ehrwürdiger 
Feſttag vorüber. Und wenn auch die äußere Feier mit der Zeit vorũbergeht, 
fo ſoll doch die fleißige Betrachtung nie aus dem Gemüte weichen?.“ 
Der Menſch bleibt ſich nie ganz derſelbe. Auch unſere Betrachtungen 
nehmen zu verſchiedenen Zeiten verſchiedenes Gepräge an. Als Thomas 
von fempen die „Reden und Betrachtungen“ niederſchrieb, da war 
er wohl eines fröhlicheren Gemütes, nicht ganz fo feierlich und zurück⸗ 
haltend wie damals, als er die „ZSebete und Betrachtungen“ auf» 
zeichnete. Reicher entfaltet ſich hier die fromme Phantaſie, ſtärker 
ſind die Affekte, wie ja die „Rede“ ohnehin ein Recht hat, anſchau⸗ 
licher und glutvoller zu ſein als die ſinnende „Betrachtung“. mit der 
Sehnfucht der Propheten hebt er hier an. Er ſpricht von der frommen 
Vorbereitung auf den Advent Chriſti. Es geziemt ſich, jetzt in dieſer 
heiligen Adventszeit der Prophetien über die Menſchwerdung geſu 
Chrifti beſonders zu gedenken. In dieſen Tagen muß man ſich große 
Mühe geben. Die hl. Gefungen, alles, was von Chriftus geſchrieben 
ſteht oder geſungen wird, bietet reichen Stoff zur Betrachtung, auch 
fehlt es nicht an Zeit dazu. Das Offizium iſt von den Vätern fo 
wohlgeorönet, und ſchon die bloße Winterszeit ſcheint zu fagen, 
bleibe jeder bei ſich und befchäftige ſich jeder jetzt Tag und Nacht mit 
defus. Befleiß dich alſo größerer Andacht in dieſer fo heiligen Advents 
zeit, beſonders aber vom Tage an, an dem man ſingt o sapientia. 
Da ſollſt du Herz und Seele mit größerem Derlangen zu Chriſtus er⸗ 
heben; denn er ift es ja, deſſen Ankunft die heilige Mutter, die kirche 
erſehnt. Und wie follen wir ihm „entgegengehen“, wie ihn „auf⸗ 
nehmen, den himmliſchen König? Siehe dein König kommt. Glaub 
an ihn, neig dich vor ihm, liebe ihn, ſagt uns Thomas, ſehn dich voll 
Glut danach, ihn zu empfangen! Schmück aus dein Semach, er will 
in dir wohnen und ſanft in dir ruh'n. Dann bricht die heilige Nacht 
an. Da hat er ein kapitel über „die Feſte der Seele“, davon fei [päter 
die Rede. In dieſer heiligen Nacht macht er ſich auf und „ſucht“ das 
defuskind. Sucht den herrn, ſolange er ſich finden läßt, ruft ihn an, 


ı sermo 6 Pohl III 94 13f. * Ebb. 26 ff. 


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folange er nahe ift! Auf, ihr gläubigen Chriften allefamt, eilt herbei 
zur Feier der Geburt des herrn! Sekommen ift die heilige Nacht, 
in der der Erlöſer geſus Chriſtus geboren werden wollte von der glor⸗ 
würdigen Jungfrau Maria. Christus natus est nobis, venite ado- 
remus, Chriſtus iſt uns geboren, kommt, laßt uns ihn anbeten! Wer 
könnte noch ſchlafen, wenn die Engel am Himmel fingen und die 
Stimme des Cobes in der Höhe erſchallt? Wer könnte zu Bett bleiben, 
wo alles ſehnlichſt verlangt, mit geſus zu jubeln! Nein, fie darf nicht 
düſter fein, dieſe Nacht: fie werde erleuchtet vom Licht von oben, und 
in der ganzen Rirdye ſollen Lichter brennen. Wie muß der gottſel. 
Thomas dieſe heilige Naht empfunden haben! Er ſingt ihr das Lied, 
das ſonſt nur der Oſternacht gilt: O vere beata nox: „O wahrhaft 
felige Nacht, die erfahren durfte Zeit und Stunde, da aus dem Schoße 
der Jungfrau Gottes Sohn hervortrat, umkleidet mit dem Körper un- 
ſerer Sterblichkeit.“ Dann macht er ſich auf und „beſucht fromm den 
geſusknaben“ und „weilt an feiner erhabenen Krippe“. Er möchte 
Weihnachten fo tief und innig begehen, als wäre es das allerletztemal 
im Geben und die Vorbereitung zum ewigen Feſte im himmel. 
Wie freudig iſt ihm dieſer Tag. Wie wird er Kind beim Kindlein in 
der ktrippe! Wie ſehr verlangte ihn, dem Kindlein „kleine Dienſte zu 
tun“! Bier will er bleiben bei Jefus und Maria und dem hl. goſeph. 
Sin Feuerchen will er anmachen und will es fleißig anblaſen. Den 
Tiſch will er decken, Waſſer herbeitragen, den Hof reinigen, die hütte 
fegen, Ritze und Öffnungen ſchließen, daß Wind und Wetter nicht 
hereinſchlagen. Die Krippe will er herrichten mit Heu und Stroh, 
Roſen und bilien ſammeln, Blumen und Gräſer herbeitragen, ſie zu 
ſchmücken. Die Fenſter will er auftun in der Frühe, daß der helle 
Tag hereinſchaut und die heiligen Engel herzufliegen und das Baus 
mit ſüßem Sang erfüllen. Sorgſam will er die Türe hüten, daß ja 
Herodes nicht hereinkommt. Den Hirten aber will er freudig öffnen 
und den Königen, wenn fie kommen, fröhlich entgegengehen. Hier 
will er fein Teſtament machen, hier einen ewigen Bund ſchließen. hier 
will er leben und ſterben, und alles ſei geſchehen. Hätte er's nur vorher 
gewußt, daß fie kämen! Bern hätte er dann Ochs und Efel geführt, 
den weiten Weg feiner herrin den Mantel getragen und dem hl. goſeph 
den Reiſeſack abgenommen; auch für Unterkunft hätte er geſorgt. 
Aber da es nun einmal nicht allen gegeben war, das ewige Wort in 
Mmenſchengeſtalt, das Rindlein leibhaftig in der Arippe zu ſehen, fo 
ſucht er es im Glauben zu ſchauen. Allen iſt es ja gepredigt, und 
wer glaubt und gerettet werden will und lauteren, reinen herzens 
herzutritt, erlangt Derzeihung aller feiner. Sünden und nach dieſer 
Sterblichkeit das ewige beben! Wie er fi damit fo richtig hinein- 
betrachtet hat in die „Sehnſucht, geſus zu ſehen und ihn zu küſſen“, 
da erfaßt ihn auch das ganze Derlangen nach dem Rindlein. Er „fleht 
die heilige Jungfrau an, daß fie uns ihren Sohn geſus zeige.“ Und 
geſus ſpricht zu ihm: „Schau mich im Geiſte, wie mich einſt die 
heiligen Propheten geſchaut haben, die vom Glauben erleuchtet 
verkündet haben, daß eine Jungfrau mich gebären werde. Wer an 


426 


mich glaubt, der ſieht mich, und wer mich liebt, der befigt mich. 
Glaubſt du alſo, fo wirft du mich ſehen, und liebſt du, fo wirft du 
mich beſitzen. Nichts ſoll zwiſchen dich und mich treten, was die Der- 
einigung hindert oder die Liebe mindert, die Freiheit benimmt, die 
Reinheit befleckt, das herzensinnere beunruhigt“. Wieder geht Thomas 
über zum „Suchen und Finden Jefu im Tempel“. Es folgt dann das 
tiefſinnige Bekenntnis „von den vier Arten geſus zu ſehen“. Es war 
von ihm ſchon die Rede!; mit ihm verläßt er den Weihnachtsfeſt⸗ 
kreis. Grippe und Tempel, und geht über in den großen Oſterkreis, 
Lehrtätigkeit, kreuz und herrlichkeit: 

Wir ſagten, Thomas ſei in keiner Weiſe Suſtematiker, auch nicht 
Suſtematiker der Liturgie. Das gilt nicht ganz für den dritten feiner 
sermones, In nativitate Christi. De Festis Animae« betitelt?. Nicht 
ganz unrichtig hat im Autograph der königlichen Bibliothek zu Brüſſel 
einer am Rande bemerkt — Pohl denkt an Sommalius: „Rede (bzw. 
Gebet) paſſend für jedes Felt“. Dieſer sermo behandelt nämlich grund⸗ 
ſätzlich das Derhältnis von Pribatandacht und Liturgie, wenigſtens 
ſoweit Thomas ſelber dabei in Betracht kommt: 

»Lux venit in mundum: das bicht kam in die Welt. Hilf mir, 
allmächtiger Dater, daß mir nach der Sehnſucht meines Herzens irgend 
etwas Liebes und Frommes über die Feier des heutigen Feſttages 
deines vielgeliebten Sohnes unſeres herrn geſus Chriſtus zur Be⸗ 
trachtung ſich einſtellt, das meine Trägheit zur Andacht und zur 
Dankfagung anregt. Erleuchte mein Herz mit dem unſichtbaren Lichte 
deiner Weisheit, der du dieſe hochheilige Nacht durch den Aufgang 
deines wahren Lichtes aufleuchten ließeft und dieſen hohen Feiertag 
mit feſtlichen Freuden zu begehen beſtimmt haft. Denn nichts wird 
mir wonnig und feſtlich ſein, wenn du nicht ſelber meinen Geiſt vor⸗ 
her erleuchtet haft, auf daß er in heiterer Ruhe vor allem Aufruhr 
der Lafter hingeriſſen werde in der Beſchauung des Feſtgeheimniſſes. 
Seliger Feiertag, wann auch der Beift Wonne verfpürt, und mit geiſt⸗ 
lichem Mahl die Seele, von dir geladen, reichlich erquickt wird. Denn 
ich habe nicht Feſttag, wenn es im herzen nicht Feſttag iſt. Aber 
gerade deswegen wird ja ſo oft äußerlich gefeiert, damit lieblicher 
und angenehmer innerlich Feiertag ſei. Denn die äußeren Feſte 
find die Erwecker der inneren Feſte und in etwa ein Dor- 
geſchmack der ewigen Freuden. Wenn alſo zu den äußeren Feiern 
mein innerer Menſch wohl harmoniert und ſich mitfreut, dann ſcheint 
es mir kein bloßes Simplex ⸗Feſt zu fein, ſondern Duplex; denn was 
äußerlich vollführt wird, wird innerlich heiliger beobachtet. Es gibt 
auch ein Duplex maius-Feſt und auch ein Sollemne. Das verſteht ein 
geiſtlicher, andächtiger Menſch gar wohl, der ſolches im Geilt und in 
der Wahrheit zu feiern pflegt. Denn ein geiſtlicher Menſch beurteilt 
alles. Und wie ſehr ein Feſt des Herzens vom andern verſchieden iſt 
und durch ſonderliche Seligkeit ſich auszeichnet, das weiß, durch ſüße 


Siehe oben 8. 423 f. Pohl II 76-83. Leider iſt dieſer lehrreiche »sermo« 
in der genannten Überſetzung, wie in ihrer Neuauflage (von 1907!) nicht enthalten; 
wir geben ihn ſchon deshalb nahezu ganz wieder. 


427 


Erfahrung ſattſam belehrt, die Seele, zu der Jefus kommen und am 
Feſttag in Bnaden fi kundtun wollte. Er iſt es ja, für den die 
Bauptfefte feierlich begangen werden. Glücklich die Seele, der 
er begegnet, der er gewährt, ihn fröhlich zu ſchauen! 

Ich vermeine aber, daß die Seele nicht immer mit gleicher Glut der 
Andacht zu Gott hingezogen, noch gleicherweiſe von ihrem Geliebten 
heimgeſucht wird. Und ſo laſſen ſich je nach den geringeren oder tie⸗ 
feren heimſuchungen nicht unpaſſend verſchiedene Feſtgrade aufftellen, 
fo zwar daß dann Dupler⸗Feſt in der Seele ift, wenn nach dem Pro⸗ 
pheten David Geiſt und Fleiſch gleichzeitig im lebendigen Gotte ſich 
freuen, wenn das herz ſolche Freude in ſich ergoſſen empfindet, daß 
es ſie nach außen durch Worte und Bewegungen kundtun muß und 
feine Cuft darin findet, Gott fromm zuzujubeln in humnen und Liedern. 
Dann aber wird Duplex maius gehalten, wenn im inneren Menſchen 
fo große Berauſchung und im äußeren fo fühlbares Entzücken iſt, 
daß die menſchliche Schwachheit ſolches vor Ciebesglut nicht zu faſſen 
und zu ertragen vermag. Es läßt ſich auch durch keinerlei Worte be⸗ 
zeichnend ausdrücken, was die Seele an ſolch einem Feſte in ſich vor⸗ 
gehen ſpürt, wann Gott ſie heimſucht. Mit Schweigen iſt es vielmehr 
zu bedecken, wenn einmal dergleichen von Gott zu verſpüren geſtattet 
wird... An dieſem Feſte werden die Altarflügel aufgetan und die 
Reliquien der heiligen zur Schau geſtellt. Denn ſolch einer liebenden 
Seele tun ſich die verborgenen Tiefen der Schrift auf und die Geheim- 
niſſe des himmliſchen Daterlandes werden ihr zu ſonderlichem Trofte 
enthüllt, der Zuſtand der Heiligen und der ewige Lohn im himmel. 
O großes und wonnigliches Feſt, nicht allen, ſondern nur wenigen 
zu feiern verftattet. Wie fern find ſolche Feiern den Liebhabern der 
Welt, die bloß Irdiſches verkoſten und bloß auf Äußeres [chauen.... 

Aber wann hat die Seele festum sollemne, Hoch feiertag? Daß 
es mir doch einer ſagen könnte und zuteil werden ließe! Wenn es 
ſich überhaupt ſagen läßt, was ſo tief und verborgen iſt, daß es mit 
allen vorausgehenden Berührungen der Seele keine Berührung mehr 
hat (ut ab omnibus praecedentibus motibus sit remotum). Wenn alfo 
die Seele in der Verzückung des Geiſtes aller gegenwärtiger Dinge 
und ihrer ſelbſt vergeſſend nur noch Gottes eingedenk iſt und von 
aller körperlichen Dorftellung frei hinübergegangen ift in den Abgrund 
des göttlichen Lichtes, Ewiges ſchauend: wer wollte leugnen, daß fie 
dann hochfeſt feiert, die fie von den Strahlen der ewigen Sonne er⸗ 
leuchtet über allem Geſchöpflichen ſteht, fo vornehm erhoben (tam ele- 
ganter suspensa). Das aber ſcheint alles mehr zur Glorie der 
ewigen Seligkeit zu gehören als zum Elend des gegenwär⸗ 
tigen bebens. getzt alſo haben wir eher den bloßen Namen und 
die Erinnerung von hochfeſten als deren Erfahrung. Denn feine volle 
Klarheit ift den heiligen im himmel vorbehalten. O Feſt über alle 
Feſte, wo Menſchen und Engel einmütig verfammelt Bott loben den 
Dreieinen und Einen. Wie feierlich fingen fie dort, wie ſüß jubeln fie, 
wo fie Bott immerfort gegenwärtig haben, ihn klar betrachten und 
voll Entzücken ſchauen. Wahrhaftig, denke ich dieſes gubels und 


428 


des ewigen Bochfeftes im himmel, dann mißfällt mir alle frohe Feier 
der gegenwärtigen Zeitlichkeit. Zu jener Hochfeier alſo, zu dieſem 
ewigen Feſttag, der in feiner Größe weder begriffen noch beſchrieben 
werden kann, ſoll unſere ganze Andachtsglut heftig verlangen und 
angeregt werden, ſo oft auf Erden Feſte feierlich begangen werden. 
Daher find alle unſere Feſte eher Dorfpiele jenes hijmmliſchen Feſtes 
als wahre Feſte zu nennen. Hier indeſſen wird im Lite des Glau- 
bens begonnen, dort aber im Glorienlichte alles vollendet. Denn 
dort herrſcht Engelslob und heiliger Seelen lieblicher Seſang. Dort 
freuen ſich alle einmütig in der Gegenwart ihres Schöpfers. Mit uns 
aber iſt es gut beftellt, wenn uns bisweilen ein klein wenig da- 
von zu verfpüren vergönnt wird.... O wie kurz und wenig iſt, 
was wir feſtlich begehen, wie unvollkommen und dunkel, was wir 
feiern! Solange wir nämlich die Finſternis unſerer Vergänglichkeit 
tragen, ſolange wir in unſerem ſterblichen Leibe leben, begreifen wir 
kaum etwas klar von dem Lichte der Unſterblichkeit und dem unum⸗ 
ſchriebenen Beift. Denn kaum eine Nacht und einen Tag und unſer 
Bochfeft iſt wieder vorüber. Denn unſere Schwachheit vermag nicht 
lange in Andacht zu verweilen. Und wenn nur der größere Teil der 
Jeit geiſtlichen Weiſen gewidmet wäre und weniger in Anſpruch ge⸗ 
nommen wäre von äußeren Beſuchen... Aber wir find nun einmal 
Pilger und Fremdlinge auf Erden, ... und Feſte zu feiern iſt mehr 
Sache der himmelsbürger als der vertriebenen Söhne Evas. Damit 
wir jedoch in unſerem Elend nicht erlägen und erdrückt würden und 
der himmliſchen Wohltaten vergäßen, hat Gottes Weisheit fürgeſorgt 
und die heilige Mutter die Kirche angeordnet, daß in Sehnſucht der 
Seele die Feſttage Chrifti und der Heiligen alljährlich feierlich begangen 
werden. Dadurch ſoll die Andacht geweckt, der Glaube erwärmt und 
die Liebe gemehrt werden. Denn umſo andächtiger wird einer die 
Feſte begehen, umſo würdiger Gott in ſeinen heiligen ehren, 
je mehr er voranſchreitet im Beifte und fein herz weitet in 
der Liebe zur Ewigkeit. Deshalb kam ja das Licht in die Welt, 
daß es uns den Weg zum himmel wieſe. Unſer herz wollte es zur 
biebe zu ihm entzünden und aus allem Irdiſchen herausziehen, uns 
das Licht der Weisheit geben und die Finfternis des Irrtums ver⸗ 
ſcheuchen, um uns zugleich mit ſich des Reiches teilhaft zu machen, 
zu Söhnen der Gnade und Benoffen der ewigen Herrlichkeit. O herr⸗ 
liches Licht, vom Dater erzeugt; o erhabene Weisheit Gottes, in dieſer 
nacht von der gungfrau geboren: laß mich dir fromm und würdig 
Dank fagen, laß mich deinem Namen kräftig pfallieren, ehrfürchtig 
mich neigen, demütig kniebeugen, ehrend anbeten, und mit den 
heiligen Engeln im himmel Gloria in ezcelsis hochfeſtlich dir 
fingen. Denn dir gebührt bob und Ehre, herr, der du zu unſerem 
Heile Menſch werden wollteſt. Amen.“ 

In ähnlich grundſätzlicher Art redet Thomas von der Liturgie bzw. 
feinem Verhalten ihr gegenüber auch anderen Orts. Bekannt iſt die 
Stelle der „Nachfolge Chriſti“ [3(4)10], es könne jeder Religioſe zwar 
täglich und ſtündlich durch die liebende Betrachtung des Geheimniſſes 


429 


der Menſchwerdung Chrifti und feines Geidens heilſam und ohne Bin- 
dernis geiſtig zur kkommunion kommen, und doch fei es gut, den Fron⸗ 
leichnam des Erlöſers an beſtimmten Tagen und zur feſtgeſetzten Zeit 
mit glühender Andacht auch ſakramental zu empfangen: wer ſich aber 
nicht anders vorbereite, als wenn das Feſt da iſt oder die Gewohn⸗ 
heit dazu zwingt, der werde oftmals unvorbereitet fein. Sanz aus- 
führlich verbreitet Thomas ſich über dieſen wichtigen Punkt der Dor- 
bereitung auf die Feſte und die ſakramentale Einigung mit geſus 
als ihren höhepunkt in ſeinem gewöhnlich de solitudine et silentio 
genannten „Brief an einen feines Amtes Enthobenen“ !. „Es geziemte 
ſich“, ſagt er dort, „ſehr für einen Religioſen, zu beſtimmten heiligen 
Jeiten des Jahres wie im Advent des herrn und in der Faſtenzeit 
und an gewiſſen anderen Tagen, nämlich an Freitagen, ſo ſtreng er 
es vermag von Geſprächen ſich zu enthalten. Außerdem ſollte er auf 
größere hut des herzens und Mundes zugleich bedacht ſein an den 
Digilien und den großen Feſten der heiligen, auf daß er fo mit 
gehöriger Ehrfurcht und würdiger, ſoweit das unſer Juſtand geſtattet, 
wohlvorbereitet auf die kommenden Feſte, am heiligen Tage das hoch⸗ 
heilige Sakrament des Leibes und Blutes unferes herrn mit großer 
Sehnſucht und reiner Freude empfange.“ Wie wird in Thomas’ Augen 
der Feiertag feierlich gerade durch den Empfang der heiligen Eucha- 
riftiel „Es ziemt ſich vor allem für jenen Tag, an dem wir Chriftus 
im Sakramente zu Gaſt in unſer Herz aufnehmen, heiligerer hut uns 
zu weihen und wenigſtens einen frohen Tag mit ihm zu verbringen, 
die wir ſo viele Tage und Stunden ſeiner Umarmung entriſſen werden. 
Es wäre nicht allzu verwunderlich, wenn dann eine fromme Seele 
ganz bei ihm wäre, wo doch auch er nicht nur halb, ſondern ganz 
zu ihr kommen wollte.“ 

Für Thomas gibt es naturgemäß eine fruchtbare Spannung, aber 
ebenſo naturgemäß keinen Riß zwiſchen PBrivatandacht und Viturgie. 
Er lebt das Kirchenjahr in Chor und ktirche mit. Aber er bereitet 
dieſes Erleben vorher perſönlich vor in feinen Übungen, iſt mit ganzer 
Seele dabei in feinem Dollzuge und läßt es nachher lange nad)» 
hallen in ſeinen Betrachtungen. Derſelbe Mann, der ſich den genannten 
Ausſpruch der Altväter zu eigen macht: „Denk, Gott und du allein 
wäret in der Welt, dann wirft du viele Ruhe haben“?, ſchreibt im 
ſelben Atem: „Hochverdienſtlich iſt es, den heiligen kanoniſchen Tag» 
zeiten beizuwohnen und das Cotteslob freudig zu verrichten mit vielen 
Brüdern in der heiligen Kirche“. Er kann fie nicht leiden, „die zu ſpät 
in die Kirche kommen und zu früh hinausgehen, die kurze Meſſen 
lieben und lange Eſſen üben“, und prägt die Formel: „Ein frommer 
Chor beſucher iſt einzig auf Bott und ſich bedacht, als wäre er ſchon 
entrückt und entzückt im himmliſchen Chore“’. Dabei iſt feine An⸗ 
dacht keineswegs verſtiegen und weltfern. Er will praktiſche Übung 
des bebens Jefu, nicht nur betrachtende Feier das ganze Jahr hin⸗ 
durch. Er weiß, daß geſchrieben ſteht: „Was ihr einem von meinen 


1 pPohl IV 437 ff. De disciplina claustralium Er f Pohl II 296 IE: Ebd. 
Kap. 8 298, 29 ff. * Ebd. 300 19 ff. 5 Ebd. 2 


430 


geringften Brüdern getan habt, habt ihr mir getan“. 50 übt er in 
feinem kiloſter Weihnacht: „Wer an Stelle eines ſchwachen kranken 
Bruders lieſt oder fingt, der ſpielt fröhlich Zither vor der Krippe des 
Herrn. Wer andächtig betet und von leckeren Speiſen ſich enthält und 
dem Eigengute entfagt, der bietet mit den drei Magiern drei koſtbare 
Gaben geſu in händen dar!.“ Wenn er in der Nacht zum Aufftehen 
geweckt wird, tut er die Augen auf und ſpricht zu ih: „Steh auf, 
ſteh auf, der du ſchläfſt, und erleuchten wird dich Chriſtus, der einen 
£ranz verſprochen hat, denen die wachen und beten.“ Wenn es dann 
das zweitemal klopft, ſpricht er alsbald: „Siehe geſus, der Bräutigam 
kommt, geh hinaus ihm entgegen! Wer zu ſpät kommt wird beſchämt 
und des Segens entbehren.“ Schlägt es zum Chore ab, betet er mit den 
Magiern, die dem Sterne folgen: „Das iſt das Zeichen des großen Königs; 
laßt uns gehen und ihm unfere Gaben bringen: Bold, Weihrauch und 
Myrrhe“. Er will, daß wir freudig fingen und eifrig im Chore mit⸗ 
tun. Aber er will keinen Überſchwang. Darüber hat er ein eigenes 
kapitel „Über die Diskretion, die bei aller geiſtlichen Übung einzu⸗ 
halten ift;”? aus ihm fei einiges entnommen als Abſchluß dieſes kleinen 
Verſuches, dem vieles beizufügen wäre. „Bott verlangt von dir nicht 
die Jerſtörung deiner körperlichen Befundheit, ſondern Beherrſchung 
deiner ſchlimmen Anlagen. Beute rennen und morgen müd daliegen, 
das heißt man nicht auf dem Wege Gottes Fortſchritte machen, 
ſondern ſich zu Grunde richten und den Fortfchritt verhindern. Beute 
ſo laut ſingen, daß man morgen ſich nicht mehr hören laſſen oder 
kaum den Mund aufmachen kann, das heißt man nicht Bott loben, ſon⸗ 
dern andere im Chore ſtören.“ Ift der Chor, bzw. die äußere liturgiſche 
Gemeinſchaft als ſolche auch nicht der letzte Quell des Lebens, fo ift 
er doch ſein großes Regulativ. Darum Thomas' Regel: „Halte dich an 
die gemeinſame Ordnung und meide alle Art von Sonderlichkeit!“ 

Spannung und Entſpannung drängt Thomas zuſammen in ſein 
„Gebet um glückliche Vollendung in den Tugenden.“ Er iſt Muſtiker 
und Liturgiker zugleich, daher die bezeichnende Bitte: „Laß es nicht 
zu, daß Satans Dorfpiegelung mich täuſche, laß mich nicht hingeriſſen 
werden durch falſche Wonne, laß mich nicht durch meine private An⸗ 
dacht heraustreten aus der Gemeinſchaft. aß mich aber auch nicht 
zuſammenbrechen durch maßloſes Mittun; ſondern gib, daß ich alles 
mit Diskretion vollbringe, ohne klugen Rat nichts anftrebe, mit Ehr⸗ 
furcht und Scheu in deiner Gegenwart rein und frei ohne alle beiden⸗ 
ſchaft und Anhänglichkeit an die vergänglichen Dinge einherſchreite. 
Gib mir einen demütigen und ſtillen Beift. Laß mich nie ausgegoſſen 
und maßlos fein... Laß mich alles Außere nach Ort und Zeit richtig 
vollbringen, daß es mir nicht zum Schaden für mein Inneres wird. 
Alles Mühen und Handeln für dich getan, ſoll mir neue hilfe und 
Führung ſein, nachher um ſo freier dir zu dienen.“ 


* Hortulus rosarum ap. 17 Pohl IV 42 7 ff. Hospitale pauperum Rap. 19 
Pohl IV 234 f.; der letzte Bebetsgedanke ſchon in der Jungfrauen Regel“ enthalten 
Rap. 8 Pl. 88 1060. De disciplina cl. Rap. 9 II 301 ff. Ebd. 8. 302 20 ff. 
Ebd. kap. 10 8. 303 ff. 


431 


Rleine Beiträge und Hinweiſe 


Liturgie und Dolksfeelforge. 


Ein beliebte Waffe, mit der die Gegner der liturgiſchen Bewegung kämpfen, ift 
die Behauptung, die Vertreter des liturgiſchen Apoſtolates wendeten fi nur an 
die Bebildeten, fie hätten dem Volke nichts zu bieten und zerriſſen infolgedeſſen die 
kirchliche 8emeinſchaft. Dieſer Dorwurf war von Anfang an unbegründet. Jahlreiche 
liturgiſche Wochen fanden ſtatt in öffentlicher Pfarrkirche unter Beteiligung aller 
Stände. Eine Reihe von Inſtruktionskurſen wurden eigens für weniger gebildete 
Dolkskreife gehalten. Der Epifkopat hat das liturgiſche Apoftolat gebilligt, gut« 
geheißen und mit Freuden begrüßt. Die berufenen Dolksfeelforger wurden bei vielen 
Gelegenheiten zur Mitarbeit eingeladen. Man denke nur an die liturgiſchen Aurfe für 
Seiſtliche vom 5.— 9. September 1921 in Maria-Laad), Ende Juli 1922 im Mliffions- 
haus St. Rupert bei Salzburg und in dieſem herbſt erft in der öſterreichiſchen haupt ⸗ 
ftadt, oder an die Diözeſanſunoden von Freiburg 1921 und Köln 1922, oder an die 
Aufſätze im Oberrheiniſchen Paſtoralblatt 1921 (3 u. 4) und im Kölner Paſtoralblatt 
1922 (7 u. 8), von den neueſten Tagungen zur Förderung liturgiſchen Lebens in 
Deutfchland und befonders in öſterreich — davon wird nächſtens einmal genauer 
berichtet — ſowie von den mannigfachen Anregungen in den „Stimmen der Zeit“ 
oder in unſerer und anderen Feitſchriften gar nicht zu reden. 

Am beſten werden Vorurteile widerlegt nicht durch Worte, ſondern durch Taten. 80 
iſt die herausgabe der „Liturgifhen Dolksbüchlein“ feitens der Abtei Maria 
ba ach, fo klein dieſe äußerlich find, eine Tat. Das hohe Lob, das den vier erften Bändchen 
ſeinerzeit in dieſer Zeitfchrift (1922 8. 301) zuteil wurde, gilt auch den ſoeben er- 
ſchienenen vier weiteren Bändchen. Nunmehr liegen neben der „hl. Taufe“ (1), dem 
„hl. Sakrament der Ehe“ (2), dem „Uerſehbüchlein“ (3) und dem „Begräbnis eines 
Erwachſenen“ (4) vor: „Mutter und Rind“, Gebete und Segnungen nach dem römi⸗ 
[hen Rituale (5); „Auf den Weg des Friedens“, ein Reiſebüchlein nach Brevier, Ri- 
tuale und Miffale (6); „Frohe und ernfte Tage“, ein hausbüchlein nach dem römiſchen 
Rituale (7); und „Die Chormeſſe“ (8). Dieſes letzte iſt im Gegenfag zu den ſonſt nur 
deutſch gehaltenen „Volksbüchlein“ deutſch und lateiniſch (ſ. oben 8. 394 Anm. 1). 
Die Ausftattung hat gegen früher gewonnen; das an dieſer Stelle feinerzeit bean- 
ſtand ete Chriſtusmonogramm z. B. iſt einer zarten 8emme des Guten Hirten gewichen. — 
In weit höherem Sinne als die Herausgabe der „Volksbüchlein“ muß aber als „Tat“ 
bezeichnet werden und zwar als eine bedeutungsvolle und gewiß ſegensreiche die 
eben erfolgte Deröffentlidhung eines umfangreichen, prächtigen Piturgiſchen Dolksbuches 
„Die betende Kirche““ herausgegeben durch die gleiche Abtei. Maria Laad) hat ſich 
hierdurch den Dank des kathol. Volkes und feiner Seelforger in hohem Maße verdient. 

Am liturgiſchen Dolksbudy und der Abfaſſung feines Textes haben ſich eine Reihe 
von Paacher Mönchen beteiligt. Abt ITdefons herwegen ſelbſt ſtellt ein Wort 
„zum Geleit“ an die Spitze, in dem er die tragenden Gedanken des Werkes hervor · 
hebt. „Unfer Buch will als Dolksbuch dem Wunſche vieler, in die Seſamtheit des 
liturgiſchen Bebetslebens Einblicke zu gewinnen, entgegenkommen ... licht ein wiſſen⸗ 
ſchaftlicher, ein praktiſcher Zweck war für uns maßgebend: wir erftreben mit dem 
vorliegenden Buche die Einführung der Släubigen ins religiös- kirchliche beben 
aus dem Geifte der Liturgie“. 

Freilich ein Dolksbudy in dem Sinne, wie etwa die Werke von Alban Stolz Dolks- 
ſchriften find, ift die Gabe der Mönche vom Laadher See nicht. Sonft hätten fie nicht 

ı kl. 320. Bartoniert heft 5 u. 6 je IM. —.40; Heft 7 M. —.50; Heft 8 M.1.—, geb. in Leinen M. 1.60. 
ſämtlich Freiburg 1924, Herder. 


* Abtei Marta Paach, Die betende Kirche. Ein liturgifches Volksbuch. Mit 24 Bildertafeln. 
Ger. (XVI u. 510 und 24 8.) Berlin [1924], St. Auguſtinus - Verlag. 


432 


beginnen dürfen mit einem Kapitel, das überfchrieben ift „Wefen und Bedeutung der 
biturgie“. Das klingt ftark an den Ton eines theologiſchen Gehrbuds an. Ein Dolkse 
ſchriftſteller hätte wohl mit der Taufe angefangen und hätte ſeinen Lefern gezeigt, 
wie wunderbar einfach und doch wie großartig poetiſch und dramatiſch und zugleich 
wie gedankentief und offenbarungsreich die betende Kirche uns ſelbſt in das Heiligtum 
der Liturgie einführt. So aber zeigt P. Ambrofius Stock, wie die Kirche der weiter 
lebende Chriftus iſt und wie in der Liturgie ſich Chrifti Erlöfungswerk täglich erneuert. 
„Die Piturgie iſt der Gottesdienft, den der muſtiſche Chriſtus dem himm⸗ 
liſchen Dater darbringt' (8. 25). Dieſe Begriffsbeſtimmung klingt [ehr einfach. 
Richtig verſtanden ſcheint fie mir aber die vollſtändigſte und tiefſte und damit die 
beſte zu ſein, die ich bisher geleſen habe. Sehr gut iſt auch der Hinweis auf die 
bedeutungsvolle Rolle, die die Pfarrei im liturgiſchen Leben ſpielt (S. 24). Dieſe 
Sätze allein müßten das törichte Berede vom JFerreißen der kirchlichen 8emeinſchaft 
durch die liturgiſche Bewegung zum Schweigen bringen. 

Es folgt dann ein apitel über das Kirchengebäude, feine liturgiſche Bedeu- 
tung und feine Stilgeſchichte. Die rein kunſtgeſchichtlichen Teile ſtammen aus der 
Feder des P. Adalbert Schippers. Die Ausführungen über die Stellung der Bau- 
ftile zur Citurgie hat P. Ambrofius Stock geſchrieben. Die folgenden Sätze über die 
Gotik werden den Derehrern des Hochmittelalters und feiner Bauten wenig Freude 
machen: „Weiter als die Botik konnte man ſich nicht vom liturgiſchen Semeinſchafts · 
ideal entfernen; größere Augeftändniffe dem einzelnen zu machen und dabei doch 
noch im Rahmen des katholiſchen Kirchenbegriffs zu bleiben, weiter den Innenraum 
als Raum zu verflüchtigen und gleichwohl noch einen katholiſchen Kultraum zu ſchaffen. 
war nicht möglich. Damit war auch einer Weiterentwicklung des gotiſchen Stils ein 
Fiel geſetzt. Eine Gefundung war nur auf dem Wege einer Ueuſchöpfung möglich. 
die auf die alten Bauprinzipien zurückgriff.“ Das geht etwas gegen die landläufigen 
Begriffe. Was er aber ſagen will, weiß der Derfaffer ſolid zu begründen. 

Bei der Würdigung der Bauſtile mußte der Altar und ſeine Stellung im Raum 
ſchon in die Betrachtung mit hereinbezogen werden. Über feine Ausftattung, über 
die liturgiſchen Gefäße und Aleidungsftücke, über die Kirchengeräte und ſonſtige 
Ausftattung des gottesdienftlihen Raumes verbreitet ſich P. Joannes Vollmar. 
Der bildenden Kunſt werden alſo über 100 Seiten des Werkes gewidmet. Dagegen 
muß es Befremden erregen, daß diejenige Kunſt, die mit der Liturgie inniger als 
alle anderen KRünfte verbunden iſt, nämlich die kirchenmuſik, in einer Anmerkung 
erledigt wird (ſ. N. 11), das iſt ein Mangel, für den wir uns tröſten laffen mũſſen 
durch das Derfpreden, in der 2. Auflage werde ein eigenes Kapitel über die litur⸗ 
giſche Tonkunſt handeln (ebd.). 5 

Den höhepunkt feiner Bedeutfamkeit erreicht das liturgiſche Dolksbud mit den 
drei Kapiteln über die Feier der heiligen Meffe von Abt JIdefons herwegen, 
über das Gebet der Kirche von P. Odo Caſel und über das Kirchenjahr von D. 
Simon Stricker. Das Rapitel über die Feier der heiligen Meffe behandelt zwar alles 
Weſentliche, aber mit einer ſolch gedrängten Kürze, daß der Wunſch auffteigt, der 
Derfaffer möchte in einer neuen Auflage mit Rückſicht auf die pädagogiſche und ſeel⸗ 
ſorgerliche Bedeutung gerade dieſes Kapitels feine gedankentiefen und form vollendeten 
Ausführungen in einigen Partien etwas erweitern. Ju dieſen Partien rechne ich den 
Abſchnitt, der überſchrieben iſt „Der Opfergang“. Die traditionelle ehre von den 
drei Hauptteilen der Euchariſtiefeier iſt hier verlaſſen. Der „Opfergang“ wird als 
eine Art Auftakt zur Opferhandlung aufgefaßt. In dem ſehr beherzigenswerten Nufſatz 
„Seelforgerlehren aus dem Luchariſtiſchen Kongreß in Amſterdam“ („Die Seelſorge“. 
Jahrg. 2, Heft 7) ſchreibt St. Stephan: „Wir dürfen nicht länger dulden, daß unfer 
Volk zum heiligen Meßopfer nur kommt, um zu beten, da es ſolches außerhalb der 
heiligen Meffe auch tun kann; auch nicht um bloß eine Pflicht zu erfüllen, wie man 
etwa Rirchenfteuer zahlt ..., fondern wir müſſen darauf drängen, daß es mit dem 
Driefter wirkliche Opferarbeit leiſtet“. Und dann: „Wir dürfen nicht länger 


2433 


zuſehen, daß ... ein Hauptteil, die ſogenannte Opferung, kaum zum Bewußtſein 
des Volkes kommt.“ Gerade bei dem Teil, den wir gewöhnlich „Opferung“ nennen, 
ſoll das Volk feine Opfer darbringen, die nachher in Chrifti Opfer verwandelt und 
dadurch Bott unendlich wahlgefällig werden. Da ſoll die Kirche nach dem Worte des 
hl. Auguftinus (de civ. Dei 10, 20) „lernen, ſich ſelber opfern“. Umſomehr muß 
diefe aktive Opfertätigkeit des Volkes betont werden, je ſeltener heute der ſumboliſche 
„Opfergang“ den Gläubigen zu äußerer Aktivität Gelegenheit und eine deutliche Er- 
innerung an die innere Erweckung der Opfergeſinnung bietet, und je mehr immer 
noch die Unfitte beſteht, die Opferung im &redogefang verſchwinden zu laſſen. 
In den beiden Schlußkapiteln behandeln die P. P. Thomas michels und Gregor 
Böckeler „Die Sakramente“ und „Die Sakramentalien“. Hier werden hauptſächlich 
die liturgiſchen Terte geboten und nur wenige kurze erklärende Bemerkungen ein ; 
geſtreut. Dieſe Kürze bedauert der Gefer namentlich in dem Kapitel über die Sakra- 
mente. Auffallenderweife wird 8. 415 und dann wieder 8. 473 ff. das heilige Offi- 
zium unter die Sakramentalien gezählt. 

Im Namen des katholifhen Dolkes und feiner Seelforger fei der Abtei Maria 
baach der wärmfte Dank für ihre herrliche Gabe ausgeſprochen. Möge das liturgiſche 
Volksbuch wirklich ein Buch in der hand des Dolkes werden und vielen Tauſenden 
Anleitung geben, mehr als bisher mit der kirche zu leben und zu beten und mit 
beiden händen zu ſchöpfen aus den Quellen des heiles! 

Gewiß werden auch die Seelſorger aus der „betenden Kirche“ viel Auen n 
und Belehrung gewinnen. Denn auch in der Ausbildung und Erziehung des Klerus 
könnte und follte die Liturgie eine mehr zentrale Stellung einnehmen. Dieſer Ge- 
danke hat die Konferenz der öſterreichiſchen Theologieprofeſſoren, die am 
2. und 3. Oktober im Miſſionshaus St. Gabriel bei Wien ftattfand, zur Aufftellung 
folgender Geitfäge! veranlaßt: 1. In Anbetracht der Bedeutung der liturgiſchen 
Bewegung für die religiöfe Dolkserneuerung und des ſtets mehr wachſen⸗ 
den Umfanges des liturgiſchen Stoffgebietes iſt es wünſchenswert, daß die bitur⸗ 
gik im Rahmen des theologiſchen Unterrichts als ein eigenes Pehrfach eingeführt 
werde. 2. Das Lehrfady der Liturgik ſoll ſich befaſſen: a. mit der hiſtoriſchen Entwick⸗ 
lung, b. mit dem Jdeengehalt, c. mit der paſtoralen Auswertung der Piturgie, d. mit 
den wichtigſten techniſch⸗praktiſchen Anleitungen, indes die Rubriziſtik nötigenfalls in 
geeigneter Weiſe außerhalb des liturgiſchen behrfaches gelehrt und geübt werden ſoll. 
3. Die Seminarleitungen mögen darauf hinwirken, daß die Alumnen zum vollen 
Derffändnis der Liturgie und zum Mitleben mit ihr angeleitet werden ſo⸗ 
wohl bei den Hhausbetrachtungen wie auch durch freie liturgiſche Stunden, Konferenzen, 
um ihnen Gelegenheit zu geben, ſich ſelbſt zu bilden, und um fie fähig zu machen, 
das Volk liturgiſch zu erziehen. 4. In Anſehung der modernen liturgiſchen 
Bewegung und ihrer Bedeutung für die religiöfe Dolkserneuerung erſcheint es höchſt 
wünſchenswert, daß ſich die biturgikdozenten zu einheitlicher Stoffbehandlung, zumal 
zu einheitlicher Anleitung zur ſeelſorgerlichen Auswertung der Liturgie zuſammen⸗ 
ſchließen, damit fo die liturgiſche Bewegung öſterreichs vom Mutterboden der 
Seminarien aus gleichmäßig aufblühe. 5. Für einen zweckentſprechenden liturgi⸗ 
[hen Unterricht find zumindeſt zwei Wochenſtunden durch zwei Semeſter erforderlich. 
möge unſer deutſcher Klerus vom öſterreichiſchen Dorbild lernen, aus dem GBeifte 
der Liturgie ſich ſelbſt zu erneuern und aus dem gleichen weitherzigen Geifte der 
biturgie den Lachwuchs in den Anabenkonvikten und Prieſterſeminarien zu erziehen! 
Dann wird es ſicher viel leichter möglich ſein, auch das große, ſehnſüchtig erwartete 
Werk zu vollbringen: unfer deutſches Dol k zu erneuern im Geifte der betenden opfern⸗ 
den und ſegnenden Kirche! 

P. Fidelis Böſer (Beuron). 


1 Nach der Salzburger „Ratholifhen Kirchenzeltung“ Nr. 42 (vom 16. Oktober 1924). 
Benediktinifhe Monatſchriſt VI (1924) 11— 12. 27 


434 


Don den iriſchen Glaubensboten. 
Di Tätigkeit der Miffionäre und anderer irifher »Peregrini« auf dem europäi- 


[hen Kontinent und die Rolle iriſcher heiliger in der Tradition des Volkes, in 


feinen Giedern, Ortsnamen und Bebräuden, das iſt der Gegenftand eines 150 Seiten 
ſtarken, in beſtem Druck erſchienenen Buches von P. b. Sougaud O. 8. B. Beide 
Teile ſtützen ſich auf ein fleißiges Quellenftudium und hiſtoriſche Unterlagen und 
halten ſich frei von der Aufnahme legendärer oder ſagenhafter Überlieferungen. Der 
gelehrte und gründliche Derfaffer ließ ſich nie verleiten durch bloße Phantaſte, und 
im Gegenſatz zu anderen, die dasſelbe Gebiet betraten, ließ er ſich auch nicht zu bob⸗ 
preiſungen hinreißen, die nicht durch das unbeſtreitbare Jeugnis verbürgter Geſchichte 
gerechtfertigt find. Und dies trotz feiner großen Liebe zum Volk und Stoff feiner Arbeit, 
die ſich unwillkürlich dem Peſer mitteilt. Nicht Phantafien ſondern Tatſachen zu geben, 
bildet das Leitmotiv der Abfaſſung, und dieſe Tatſachen verkünden beffer als Worte 
den Ruhm, den ſich die grüne Inſel, Irland, in nahezu 400 ertragreichen Jahren 
erworben hat. Der Feuereifer und die Begeiſterung dieſer Auserwählten ſpricht ſich 
aus in den beitworten, die ihnen Ariegsruf waren: „Aus Liebe zu Bott, für Jefus 
Chriftus; im Namen des Herrn; aus biebe zum Namen Chriſti!“ gene heilige Glut, 
jener göttliche Idealismus, welche der Gegenwart fo ganz verloren gingen, ließen 
ihre herzen aufleuchten in hehrer Leidenfhaft, die Opfer und Mühſal weder erfättigen 
noch dämpfen konnten. Sie fühlten ſich hinreichend belohnt, wenn fie die lacht des 
Beidentums dem Dichte der Lehre Chriſti weichen und den Garten Gottes in Rofen- 
büſchen aufblühen ſahen. Dieſer apoſtoliſche Eifer iſt Ausfluß jenes ſtarken monaſti⸗ 
[chen Geiſtes, der die leuchtenden Tage von Irlands völkiſchem Hochſtand kennzeichnet. 
Das Beiſpiel dieſer Männer wirkt fort im iriſchen Dolk von heute, das überall, wo 
England feine Flagge hißte, das Banner des Kreuzes wehen ließ. Wer heute den 
Spuren jener »Peregrini« (Bahnbrecher und Wanderlehrer aus fremdem Band) folgt 
in den Gändern von Marne und Moſel, Rhein und Donau bewäſſert und befruchtet: 
in Frankreich, Deutſchland, öſterreich und der Schweiz, wer dort beben und Wirken 
jener Berufenen an Ort und Stelle ftudiert, wird ihre Namen im Herzen und auf 
den Lippen des Volkes gefegnet finden, deſſen Ahnen fie Chriſti heil und Geben ge⸗ 
gebracht haben. Er wird Rirden und Kapellen, Städte und Burgen, Brunnen 
und Quellen ſchauen, die ihre Uamen tragen. Eine ganze Anzahl volkstümlicher 
kirchlicher Bräuche, Weihen und Rundgänge führen noch auf ſie zurück. Der neuen 
Jugend in den Kollegien und Seminarien, in den Ronvikten und Klöftern möge das 
Vorbild dieſer Heiligen und Glaubensboten zu urſprünglicher innerer Heiligkeit ver · 
helfen, der Dorausfegung zu allen geiſtigen Großtaten. Es möge ihr verhelfen zur 
Erweckung jener Jdeale, die leider nicht mehr im alten Lichte leuchten und die doch 
der Welt fo bitter not tun, wo wir einer Zukunft gegenüberſtehen voll dräuender 
Gefahren und ſchwerwiegender Aufgaben. 


Wir haben uns mit Abſicht im großen und ganzen an das Vorwort gehalten, | 


das P. Huguſtin 0. 8. F. C. aus Davos-Dorf als Geleitwort in freundſchaftlicher 
Befinnung dem Derfaffer und zum Dank für den Genuß, den er daraus zog, dem 
Buche mit auf den Weg gegeben hat. Seine Feder ift eine berufene und feine Mei⸗ 
nung teilen wir vollſtändig. Möchte ſich für das intereſſante kleine Werk, für das 
ſich hier in U. Collins ein gewandter Überſetzer ins Englifche gefunden hat, auch 
ein deutſcher ÜUberſetzer finden, der auch uns vertraut macht mit den gottbegnadeten 
Männern und Frauen, mit jenen heimatlofen »Peregrini«, die uns unfere Heimat 
erſt recht teuer gemacht haben. C. Stigler (Beuron). 


Gougaud D. ., O. 8. B., Saelic Pioneers of Christianity. The Work and 
Influence of Irish Monks and Saints in continental Europe translated from the 
French bu Collins. Silland Son Ptö. 50 Upper O'Connell Street, Dublin, 1923. 


4 


335 


Bücherſchau 


beben Fefu 


Reatz, Dr. Aug., Prof. der Theologie in 
Mainz, Jefus Chriftus. Sein Geben, feine 
Gehre und fein Werk. gr. 8° (VIII und 
354 8. mit Titelbild). Freiburg i. Br. 1924, 
Herder. Geheftet M. 5.50; gebunden in 
Leinwand M. 7.50 

es unterliegt keinem Zweifel: wir ka- 
tholiken haben eine große Miffion zu er- 
füllen an der heutigen Menſchheit, wir 
müſſen ihr den Heiland wiederſchenken, 
den wahren, ganzen geſus Chriſtus, wie 
er einſt gelebt hat und wie er heute noch 
in unſerer Mitte lebt und wirkt. Das iſt 
gewiß keine leichte Aufgabe; denn die 
modernen Menfchen wiſſen viel über geſus 
von Nazareth, foviel wie einft das Spät«- 
judentum über den Meffias wußte; darum 
erkennen ſie ihn nicht. 

Der Derfalfer des oben genannten Wer⸗ 
kes hat ſich hineingearbeitet in dieſes viele 
Wiſſen; er kennt die Chriſtus- Probleme 
und nimmt ſelbſtändig Stellung zu ihnen. 
Doch er bleibt nicht auf der Ebene der 
Probleme ftehen; denn der Buchſtabe tötet, 
und der Rampf um den Buchſtaben tötet 
noch die Toten. Die Probleme dienen ihm 
zum Anlaß, in den Geift Chriſti einzu- 
dringen, den Beift, den die bloßen Diel- 
wiſſer über Chriſtus nicht ſchauen dürfen. 
Von hier aus zeigt ſich klar, wie manch- 
mal ſchon die Frageſtellung der heutigen 
Wiſſenſchaft verkehrt iſt, wie bitter not 
es tut, ſich erſt einzufühlen in die Eigen 
art geſu. Das ift ja nötig gegenüber 
jedem Begenftand wiſſenſchaftlicher Unter 
fudgung; Chriſtus aber iſt eine Welt für 
ſich. Dann erft ift es möglich, von Er⸗ 
kenntnis zu Erkenntnis voranzuſchreiten. 


Einſicht fügt ih zu Einficht, bis ſchließlich 


die volle Wahrheit überzeugend vor der 
Seele ſteht. Schulmäßig ausgedrückt han ⸗ 
delt es ſich hier um ein geſchicktes Beltend- 
machen einer Fülle von Kongruenzbewei⸗ 
ſen, welche die vollgültigen Beweiſe erſt vor⸗ 
bereiten und ihnen zum durchſchlagenden 
Erfolge helfen. Die Beweiſe ſelbſt aber ent 
ſtammen geläutertem theologiſchem Wiſſen. 

Doch der Derfaffer müht ſich wie geſagt 


vor allem um den Geiſt Jeſu. So eröffnet 
er pofitive Erkenntniſſe, die auch den 
apologetiſch weniger Intereſſterten erfreuen 
werden. Das gilt ſchon vom erſten haupt- 
teil über Geben und Perſönlichkeit Jeſu, 
ebenfo vom dritten, der die meſſtaniſche 
Stiftung (Die neue Geſellſchaft; Der neue 
Beilsweg) behandelt, ganz beſonders aber 
vom zweiten: Die meſſtaniſche Derkündi- 
gung. Es wird uns Menfchen ja nie ge⸗ 
lingen, die unendlich reiche und tiefe Gei- 
ſteswelt geſu zu ergründen. Jeder ſchöpft, 
foviel fein eigenes Gefäß zu faſſen vermag. 
Der Derfaffer ſucht in die Tiefe der Be- 
dankenfülle Jefu vorzudringen, namentlich 
auch die Eigenart feiner Der kündigung 
aufzuzeigen. Wir erwähnen nur folgende 
Punkte: Das Neue am chriſtlichen Gottes- 
glauben; Die fürforgende Datergüte; Die 
göttliche Datergüte als fordernder und mit«- 
teilender Sotteswille; Das neue Gottes; 
vertrauen; Der Gottesreichsbegriff Jeſu: 
Die Dergeiftigung der eſchatologiſchen Er ⸗ 
wartungen (die Ausführungen hierüber 
und über die Barufie find beſonders be- 
merkenswert); Perſönlichkeit und Gemein- 
(haft im zukünftigen Gottesreidh,; Sünden- 
vergebung und Sündentilgung durch Fe= 
fus; geſus und die Myftik; Ewiger Lohn 
und ewige Strafe; Theonomie und Chrifto- 
nomie; Die Sozialethik Fefu; Schlußwort: 
Das Weſen des Chriſtentums und des 
Katholizismus. Die Sprache des Derfaffers 
iſt akademiſch vornehm. Beſonders iſt 
anzuerkennen, daß er die Klarheit als 
eine Weſenseigenſchaft der ſchönen Sprache 
(auch der deutſchen !) gelten läßt. 

Mit der Dornehmheit des Inhaltes und 
der Sprache ſteht die der Husftattung des 
Werkes durch den Verlag im Einklang. 

P. Gaurentius Rupp (Weingarten). 


Janvier, P. m. N., O. P., Das Leiden 
unſeres herrn geſu Chriſti u. die hrift- 
liche Moral. Uberſ. von P. Beda Pp uò wig 
O. 8. B. Band I. (XVI u. 244 8.) ſtirnach · 
Dillingen 1924, Schulbrüder⸗ Verlag. 

mit einigem Zögern ging ich an die bek⸗ 
türe dieſes Buches, einmal weil es eine 
Überfegung iſt und gute Überſetzungen 


27° 


436 


felten find und anderfeits, weil der Der- 
faſſer ein Franzoſe ift und die Uberſchweng⸗ 
lichkeit mancher franzöſiſcher aſzetiſcher 
Schriftſteller mir nicht zuſagt. Umſo glück- 
licher wurde ich enttäuſcht. Die lÜberfegung 
lieſt ſich ſo fließend, daß man nur äußerſt 
ſelten ans fremoͤſprachliche Original erin⸗ 
nert wird. Der Inhalt ſelbſt beruht auf 
den ſicheren Ergebniſſen der Theologie und 
ſchöpft vornehmlich aus dem Buch der 
Bücher ſelbſt. Daneben ermöglichen die 
klare Darſtellung, die überſichtliche Glie⸗ 
derung und der ſtreng logiſche Aufbau 
auch dem gewöhnlichen Gefer, dem Autor 
mit Peichtigkeit zu folgen. Mit dem bei- 
densproblem muß ſich jeder Erdgeborene 
einmal auseinanderſetzen, ob er will oder 
nicht. In dieſem Bändchen, dem noch ein 
zweites und drittes folgen ſoll, finden wir 
das genannte Problem durchs beiden des Er- 
löſers unſerem Derftändnis näher gerückt. 
Uicht blutrünſtige Einzelſchilderungen von 
Marterſzenen, ſondern liebevolles Einge- 
hen auf den tieferen Gehalt der Paſſton 
wird da geboten. Freilich dürfen wir das 
Buch nicht wie einen Roman in einem 
Juge leſen, ſondern müſſen die einzelnen 
Abſchnitte — am beſten in mäßigen Abftän- 
den - nachdenkend betrachten. Wer aus dem 
Werkchen Stoff für Predigten u. Vorträge 
ſchöpfen will, wird für die am Zchluß 
beigefügte „Gliederung“ ſehr dankbar fein. 

Abt Plazidus Blogger (Augsburg). 


Religion und Geben 


Rümmer, Franz, Wahres Geben. Ein 
Büchlein v. d. Gnade. kl. 8° (VIII u. 1128.) 
Paderborn 1924, Schöningh. Seb. IM. 2.40 

Ein herziges Büchlein, das umſomehr 
zu begrüßen ift, als unſere Zeit einen 
ſtarken Zug zur „Muſtik“ hat. beider be⸗ 
kommt der gewöhnliche Lefer felten die 
gewünſchte Aufklärung über dieſes viel⸗ 
gebrauchte und ſo oft mißdeutete Wort. 
Die darüber handelnden Werke find teil ⸗ 
weiſe zu umfangreich oder zu gelehrt, teil ⸗ 
weiſe füßlid und ſchwärmeriſch. Der Der- 
faffer hat es verftanden, mit Dermeidung 
all diefer Klippen den Gefer in die Seheiin · 
niſſe des chriſtlichen inneren Debens einzu» 
führen, deffen Mittelpunkt eben die Gnade 
iſt. Originelle Darſtellung, glückliche Be⸗ 
nützung der Hl. Schrift, gute Bekanntſchaft 


mit Dogmatik und Rirhenvätern zeichnen 


das Werkchen aus. Auch ſpricht die reiche 
erfahrung eines ehemaligen Diaſpora- Seel; 
ſorgers aus jeder Zeile. — Das Büchlein 
wird allen „Sottſuchern“ eine Freude fein. 
Den hochw. Mitbrüdern, namentlich den 
jüngeren Inhabern von kleinen Pfarreien, 
vermag es eine Anleitung zu werden, wie 
die langen Mußeftunden im Winter und 
in ländlicher Einfamkeit durch Vertiefung 
des theologiſchen Wiſſens und gründliches 
Studium der Kirchenväter für die Seelſorge 
nutzbringend verwertet werden können. 
Abt Plazidus Glogger (Augsburg). 


Wilms, P. ghieronymus, 0. Pr., Das 
Beten der muſtikerinnen. Dargeſtellt 
nach den Chroniken der Dominikanerin- 
nenklöſter zu Nöelhaufen, Dießenhofen, 
Engeltal, Kirchberg, Otenbach, Töß, Unter- 
linden und Weiler [Bücher für Seelen 
Rultur]. Zweite, verbefferte und erwei⸗ 
terte Aufl. 12° (X und 234 8.) Freiburg 
1923, Herder. Seb. M. 3.40 

Das Werk iſt in erfter Auflage „mit 
weitläufiger Einleitung und Anmerkungen 
im Derlag von 0. Harraſſowitz in Leipzig 
als 11. Heft der ‚Quellen und Forſchungen 
zur Geſchichte des Dominikanerordens in 
Deutſchland“ erſchienen“ (1916. gr. 8° XII 
u. 180 8.). Suchte P. Wilms dort, ſpeku · 
latibe Durchoͤringung mit hiſtoriſcher For- 
ſchung einend, zunächſt wiſſenſchaftlichen 
Awecken zu dienen, ſo hat er in dieſer 
„zweiten“ Nuflage den erbaulichen Cha⸗ 
rakter des Buches mehr herausgearbeitet. 
nach Aufzeihnungen großer chriſtlicher 
Beterinnen aus unferer deutſchen heimat 
iſt hier eine „Anleitung“ zuſammengeſtellt, 
die anregen ſoll, die Kunſt des Betens zu 
erlernen und die erlernte zu vervollkomm- 
nen. P. Wilms ſtellt den Inhalt der Ge⸗ 
betschroniken der im Titel genannten, in 
einer Einleitung näher gekennzeichneten 
acht Klöfter — das Klofter Weiler konnte 
in der Erſtauflage nicht mehr berückfichtigt 
werden — in fieben Kapiteln ſuſtematiſch 
zuſammen: Gebetsleben im allgemeinen, 
Chorgebet, Pri vatgebet, Sakramentenemp- 
fang, Betrachtung, Sammlung, außeror- 
dentliches Gebetsleben. 

Es iſt äußerft lehrreich, die Frömmigkeit 
dieſer Dominikanerinnen aus der erſten 
Hälfte des 14. Jahrhunderts näher kennen 


zu lernen. Neben vielem Gefunden wächſt 
freilich nicht wenig Ungeſundes empor. 
Der Derfaffer unterläßt es nicht, am ge⸗ 
eigneten Ort durch entſprechende Bemer- 
kung darauf aufmerkſam zu machen. War 
und iſt die Wiſſenſchaft für die Erſtauf 
lage dankbar, fo das Geben für dieſe 
Aweitauflage. Recht benutzt vermag fie 
reiche Anregung zu geben und zu gefunder 
Frömmigkeit zu erziehen. 


Kuhn, P. Dr. Albert, O. 8. B., Der ka⸗ 
tholiſche Mann. Religiöfe zeitgemäße Er⸗ 
wägungen für gebildete Gaien. 12° (316 8. 
mit Bilöfhmuck v. W. Sommer). Einfie- 
deln / Waldshut 1924, Benziger. 

Breit, Dr. ernſt, Frauenſpiegel. Ein 
Buch von der Mutter Gottes für die kathol. 
Frauen u. Jungfrauen, beſonders der kath. 
Braut zugeeignet. 12° (127 8.) Ebd. 

1. Mit Freuden wird der gebildete ka; 
thol. Mann nach P. Kuhns wirklich gehalt⸗ 
vollem Buche greifen. Er findet hier in 
fünf Abſchnitten behandelt: Die chriſtliche 
Gebensführung; Religiöſe Übungen; Die 
Forderungen der Zeit; Die Gefahren der 
Beit; Religiöfe Zweifel und Derſuchungen. 
Wie reichhaltig und zeitgemäß der Inhalt 
des Buches iſt, zeigen beiſpielsweiſe die 
kapitel des dritten Abſchnittes: Das Fa- 
milienleben und die Vereinstätigkeit; Fort- 
ſchritt und Bildung; Vater und Kind; 
Herr und Knecht; Die Mäßigkeit. Es iſt 
ein Buch, modern ⸗fortſchrittlich und zu⸗ 
gleich katholiſch- ewig. Es atmet die abge⸗ 
klärte, ruhig ſichere Art benediktiniſchen 
Weſens. Die Sprache iſt edel und einfach, 
die Ausftattung reich und anſprechend. 
Möge es das bebensbuch unſerer Männer⸗ 
und Jungmännerwelt werden! 

2. Das Büchlein von Breit will wie im 
Spiegel das Bild der Gottesmutter zeigen, 
wie das Evangelium es in ſchlichten Fügen 
zeichnet. Der Derfaffer ſchreibt mit Wärme 
und verfügt über eine edle Sprache. Es ift 
ihm gelungen, in elf Einzeldarftellungen 
das bibliſche Marienbild für die praktiſchen 
Bedürfniffe der Gegenwart auszubeuten. 
Sein Fiel iſt, dazu beizutragen, daß die 
chriſtliche Sdelfrau im höchſten und heilig · 
ſten Sinne dieſes Wortes geſchaffen werde, 
gleichviel ob in der Ehe oder im jungfräu⸗ 
lichen Geben. Wir empfehlen das [hön aus 
geſtattete Büchlein nicht bloß den Frauen 


437 


und Jungfrauen felbft, ſondern auch allen 
jenen, die für die Uerwirklichung des chriſt⸗ 
lichen Frauenideals ſich einzuſetzen berufen 
find. D. Benedikt Baur (Beuron). 


Meyer, P. Wendelin, O. F. M., Pauline 
von Mallinckrodt. Zu ihrem jugendlichen 
Seelenbilde nach Schlüters Aufzeichnungen 
bearbeitet. 8° (284 8. mit 5 Bildern) Mün- 
fter 1924, Aſchendorff. Geb. I. 4.— 

man begegnet in unferer Zeit nicht fel- 
ten außerhalb der Kirche ſtehenden, aber 
für Hohes und Edles empfänglichen Men- 
ſchen, die mit aufrichtiger Bewunderung 
zu Geſtalten wie dem hl. Franziskus oder 
der hl. Eliſabeth aufſchauen und deren Ge» 
ben und Wirken mit regem Intereſſe ftu- 
dieren. Sie wiſſen aber nicht oder wollen 
es nicht wiſſen, daß diefe heroiſchen Tugend» 
beiſpiele nur auf dem Boden der heiligen 
Rirche erwachſen und, von ihm genährt, ſich 
entfalten konnten. Es iſt darum ein ver⸗ 
dienſtliches Werk, das Gnadenwalten und 
Führen der göttlichen Dorfehung in einer 
von Diebe zur Kirche erfüllten und für 
deren Lehren empfänglichen Seele zu ver- 
folgen und aufzudecken. 

D. Wendelin Meyer hat ſich dieſe Auf- 
gabe geftellt und fiein hervorragender Weiſe 
gelöft, indem er uns aus dem Jugendleben 
der Stifterin der „Benoffenfchaft der Schwe⸗ 
ſtern der göttlichen Liebe“ zeigt, wie eine 
bedeutende Frau, deren Geiſt in fo vielen 
über drei Weltteile verbreiteten Ordens 
häuſern zum Segen der Menfchheit fortlebt, 
für das ihr von der Dorfehung zugedachte 
Werk vorbereitet wurde. Er nennt [ein 
Buch ein, vorklöſterliches Seelenbild“ Pau- 
linens von Mallinckrodt, das er aus dem 


Nachlaß und den Briefen des Münſteri⸗ 


(den Profeſſors Chriſtoph Bernhard SchTü- 
ter meiſterhaft zu zeichnen verſtanden hat. 
Pauline erſcheint uns bereits bei ihrem 
erften Juſammentreffen mit Schlüter als 
ein für ihr Alter ftaunenswert reifer, in 
unbedingter Glaubenstreue gefeſtigter Cha; 
rakter. Schlüter ſagt von ihr, fie ſei , nüch · 
ternen Derftandes, weitſichtig, großzügig 
und voll ſonniger Weltauffaſſung“ (8. 174) 
geweſen. „Eine Natur aus einem Buß“ (8. 
42). Der Umgang mit ihm, der ſich von da 
ab (1840) mündlich und ſchriftlich bis zur 
Gründung ihres Gebenswerkes fortſpann, 
vollendete die geiftige Ausbildung der mit 


438 


reihen Saben des Geiſtes und Herzens 
ausgeſtatteten, wahrhaft adeligen Jung» 
frau und wurde ihr zur Vorſchule für die 
künftige Erziehung hunderter von Ordens⸗ 
frauen. Aber auch auf Schlüter, der ſie 


alsbald erkannte und immer mehr ſchätzen 


lernte, übte fie ihrer ſeits gewaltigen Ein⸗ 
fluß. Es iſt erſtaunlich, wie im Laufe ihres 
Verkehrs die höchſten Lehren und tiefften 
Probleme des Glaubens erörtert und durch⸗ 
dacht wurden; aber auch wie der geſunde 
Derftand und die tiefgläubige Auffaffung 
Paulinens gleichſam inftinktiv das Rich⸗ 
tige zu treffen oder in demütiger Unter 
werfung ſich zu fügen und die Wahrheit 
ſich anzueignen wußte. Oft tauſchten Leh- 
rer und Schülerin die Rollen; denn Pau⸗ 
line beſaß das sentire cum ecclesia in 
hohem Maße: der Husſpruch der heiligen 
Kirche ſtand ihr über jeder noch ſo geiſt⸗ 
voll ſcheinenden behrmeinung. Fragen wie 
das Verhältnis von Glauben und Wiſſen, 
die heiligſte Dreifaltigkeit und Güntherſche 
Philoſophie, Gnade und Willensfreiheit, die 
Ablaßlehre u. a. wurden von den gleich⸗ 
geſtimmten und befreundeten Geiſtern 
Schlüter und Pauline eifrig erörtert. Der 
Derfaffer des intereſſanten Buches benützt 
fie zur Einteilung der Kapitel und verfteht 
fie aus eigenem theologiſchem Wiſſen zu 
ergänzen, zu vertiefen und klarzuſtellen. 
Die Eudariftie war von Jugend auf 
die Nahrung von Paulinens Glaubens- 
leben, und aus dieſem vom täglichen 
Empfang der hl. Rommunion genährten 
Slauben erwuchs ihre reine und feurige 
Gottes- und Nächftenliebe, ihre Liebe zu 
allen Geſchöpfen Gottes, zur Natur, die 
fie das große Weltgebetbuch nannte. Und 
die Liebe drängte zur Tat. Ihr ſehnlichſter 
Wunſch war, Gott in den Armen zu dienen. 
Mit der Pflege und Erziehung blinder Rin ⸗ 
der begann ſte; aber bald wuchs ihre 
Raritastätigkeit, dehnte ſich weit wie ihre 
biebe aus und fand erſt in der Gründung 
und Ausgeftaltung ihrer Ordensgenoffen- 
ſchaft eine ihrer würdige Lebensaufgabe. 
Wir können den Geift dieſes von der 
Derlagshandlung vornehm ausgeſtatteten 
Buches nicht beſſer kennzeichnen als mit 
den Worten des Verfaſſers (8. 24): „&läu- 
bige Seelen find ſchöne Seelen... In das 
Bolölicht des Glaubens getaucht, werfen 
fie das Sonnenlicht auch auf die Pfade 


der Mitmenſchen, ihnen dadurch den Weg 
erſchließend, der zum Frieden auf Erden 
und zur Pforte ewiger Freude führt.“ 

P. Sebaftian von Oer (Beuron). 


Kirchenrecht 


Geitner, Martin, Prälat, Hochſchulpro⸗ 
feſſor in Paſſau, Handbuch des katho⸗ 
liſchen Kirchenrechts. 4 Lieferung. Sa- 
kramente. 2. Aufl. kl. 8° (IV u. 367 8) 
Rgsbg. 1924, Röfel u. Puftet. IM. 4.25 

Bastien, Dom Pierre, O. 8. B., Direc- 
toire canonique d l’usage des Congré- 
gations d voeu simples. 3. verm. Aufl. 
(XVIu. 4168.) Bruges & Mareòsous 1923, 
Ch. Beyaert & Abbaye de Maredsous. 

1. Peit ner hat gleich nach Erſcheinen des 
Kode begonnen, die kanones des neuen 
Seſetzbuches in einem eigenen handͤbuche 
zu verarbeiten. Bis jetzt liegen vier Gie- 
ferungen vor, die vierte bereits in zweiter 
Auflage, ein Beweis für die Brauchbarkeit 
des Werkes. Dieſe vierte Lieferung han- 
delt von den Sakramenten (und Sakra- 
mentalien), bildet alfo eine Erklärung zu 
Ran. 731 —1153; jedoch ift zu bemerken, 
daß das Sakrament der Weihe in einem 
anderen Teil des „Handbuches“ behandelt 
iſt. Vielleicht würde es ſich empfehlen, bei 
einer Neuauflage es mit in dieſen Band 
aufzunehmen, damit alle Sakramente bei⸗ 
ſammen find, wie fie ja auch der Roder 
zuſammen behandelt. Den Sakramentalien 
find nur wenige Seiten, dem Ehefakrament 
dagegen iſt mehr als die Hälfte des Buches 
gewidmet, was bei der beſonderen Bedeu⸗ 
tung des Cherechts wohlverſtändlich iſt. 
Während ſich der Derfaffer ſonſt im großen 
und ganzen ziemlich genau an die Stoffe 
anorönung des Rodez hält, geht er bei 
Behandlung des Eherechts davon ab und 
hält ſich an die Anoronung, die er auch in 
feinem „Lehrbuch des Eherechts“ getroffen 
hat. Das muß m. E. als ein Nachteil und 
eine Erſchwerung in der handhabung des 
Buches bezeichnet werden; denn die Anſicht, 
die der Derfaffer im Vorwort zur erſten 
bieferung feines „Handbuches“ ausſpricht, 
daß in Deutſchland und öſterreich · Ungarn 
nur wenige Glückliche ſich des Beſitzes des 
Rode erfreuen können, trifft heute Raum 
mehr zu, wenigſtens nicht für die jüngere 
Generation des Klerus. Infolgedeſſen wird 


wohl jeder bei Rechtsfragen zunächſt nach 
dem Geſetzbuch ſelbſt greifen; und wäre 
dies nicht der Fall, ſollte er eben dazu an- 
geleitet werden. Bleiben nach Benutzung 
des Geſetzbuches noch Fragen ungelöft und 


greift man dann zu Handbüchern oder 


Kommentaren, dann iſt es ſicher unprak⸗ 
tiſch und umſtändlich, wenn man den Ra⸗ 
non an mehreren Stellen zuſammenſuchen 
muß, zumal wenn ein ausführliches Re⸗ 
giſter fehlt. Auch rein wiſſenſchaftlich hat 
die Stoffanorönung, wie fie Leitner bietet, 
ihre Mängel; befonders gilt dies bezüglich 
der Ehehinderniffe. Irrtum, Gewalt und 
Furcht zum Beiſpiel machen felbftver- 
ſtändlich nach wie vor je nach den Umſtän ; 
den die Ehe ungültig, gelten aber rechtlich 
nicht mehr als „Ehehindernis“, find alfo 
auch nicht mehr als ſolche zu bezeichnen, 
andernfalls wird der Begriff des Ehehinder- 
niſſes, der im Rodeg nun klar und ſcharf 
herausgearbeitet iſt, wieder verwiſcht und 
undeutlich. Überhaupt ift gerade der Ab- 
ſchnitt über die Ehe im Kodex fo lichtvoll 
und folgerichtig aufgebaut, daß ein wefent- 
liches Abweichen von dieſer Stoffanorönung 
die Wiſſenſchaftlicheit mindeſtens nicht 
fördert. — Im übrigen kann das Werk nur 
recht empfohlen werden, befonders für die 
praktiſchen Bedürfniffe des Seelſorgers, die 
es ja vor allem im Auge hat. 

2. Das bereits vor dem Erfcheinen des Co- 
dex iuris canonici von D. Bastien heraus- 
gegebene Directoire canonique — ins 
Deutſche überſetzt von P. Konrad Elfner 
O. 8. B. unter dem Titel „Kirchenrechtliches 
Handbuch für die religiõſen Genoffenfchaften 
mit einfachen Gelübden“ (Freiburg 1911) — 
iſt nunmehr in dritter Auflage erſchienen 
und zwar unter Berückſichtigung der Be⸗ 
ſtimmungen des neuen kirchlichen Gefeß- 
buches. Der Derfaffer hat die Anordnung 
des Stoffes genau wie in den früheren 
Auflagen beibehalten. Ob nicht auch er 
beſſer daran getan hätte, ſich an die Stoff- 
anordnung des Rodez zu halten? Für das 
Handhaben des kirchlichen Geſetzbuches 
ſelbſt wäre dies zweifellos vorteilhafter 
geweſen. Aber auch ſo behält das Werk 
ſeinen großen praktiſchen Wert. Und für 
die Praxis ift es vor allem beftimmt; es 
will nicht fo ſehr ein Dehrbuch für die Schule 
als vielmehr ein handbuch für das Geben 
fein. Für die Zuverläſſigkeit der Lehre 


439 


bürgt der Umftand, daß P. Bastien ſchon 
ſeit Jahren Konſultor der rõömiſchen „Aon« 
gregation für Ordensleute“, ferner der 
„Kardinalskommilfion für die authentiſche 
Interpretation des Roder“ und Profeſſor 
des kanoniſchen Rechts an der internatio- 
nalen Benediktiner-Univerfität 8. Anſelmo 
in Rom iſt. Man kann das Werk un⸗ 
bedenklich als das beſte kirchenrechtliche 
Handbuch für nichtklerikale Genoſſenſchaf⸗ 
ten mit einfachen Gelübden bezeichnen. 


Hafen, Dr. Joſef, Domvikar und Dozent 
für Kirchenrecht in Speyer, Die ktinder⸗ 
kommunion im neuen Rechtsbuche und 


in der ſeelſorglichen Praxis. 8° (VIII und 


125 8.) Limburg 1920, Steffen. 
Vielerorts hält man noch mit der Durch- 
führung der kirchlichen Vorſchriften be⸗ 
züglich der Frühkommunion der Kinder 
zurück, manchmal aus ſcheinbar wichtigſten 
Gründen. Da iſt vorliegende Schrift vor⸗ 
trefflich geeignet, etwaige Bedenken zu be⸗ 
ſeitigen und dem Kinde zu ſeinem Rechte 
zu verhelfen. Die kirchlichen Rechtsbeſtim⸗ 
mungen werden hier gediegen erläutert 
und überſichtlich wiedergegeben, wobei klar 
gezeigt wird, daß die grundſätzlichen For- 
derungen der unter Pius X. erlaſſenen 
Dekrete und des Kodez die gleichen find. 
Auf dieſem grundlegenden erften Teil baut 
der zweite auf, der die Ainderkommunion 
in der ſeelſorglichen Praꝑis behandelt. Dom 
pſuchologiſchen, pãdagogiſchen und paſto⸗ 
tralen Standpunkte aus wird das Für und 
Wider ſorgfältig abgewogen. Der Ver⸗ 
faſſer läßt ſich dabei nicht fo ſehr von ab- 
ſtrakten Erwägungen leiten; er bietet viel- 
mehr ein umfangreiches Tatſachenmaterial 
aus den verſchiedenartigſten Seelſorgs ver; 
hältniffen u. erweift damit, daß die behre der 
Kirche im Geben gut durchführbar ift und 
großen Segen ſtiftet. Die Erfahrung ſtimmt 
mit dem überein, was das Recht fordert. 
Vielleicht wäre 8. 56 in dem Abſchnitt 
über erweiterte Gebetsübung ein Wort an- 
gebracht über die Auffaffung der heiligen 
Kommunion als Beſtandteil des meß⸗ 
opfers und über Vorbereitung darauf im 
Anſchluß an die liturgiſchen Gebete des 
meßbuchs. — Die große Liebe des Der- 
faffers zum Kinde, feine Ehrfurcht und 
Hochachtung vor deſſen ftriktem Rechte auf 
die heilige Euchariſtie möchte man allen 


440 


wünſchen, die dafür zu ſorgen haben, daß 
das Rind ſich früh genug, in unverfehrter 
Unſchuld, dem Tiſch des herrn naht. 


Sindner, Dr. Dominikus, Die Anftel- 
lung der Bilfspriefter. Eine kirchenrechts⸗ 
geſchichtliche Unter ſuchung. [Münchener 
Studien zur hiſtor. Theologie, Heft 3.] gr. 8° 
(VIII u. 157 8.) Kempten 1924, Röſel & 
Puſtet. II. 3.30 

Größere Unterſuchungen auf dem Ge- 
biete der kirchlichen Rechtsgeſchichte ſind 
ſeit dem Erſcheinen des Kodez bis jetzt noch 
ſelten. 8o begrüßt man ſchon aus dieſem 
Grunde die Veröffentlichung Linöners. 
Aber auch ſonſt müßte man es tun; denn 
die Arbeit kann in jeder hinſicht als mufter- 
gültig bezeichnet werden. Sorgfältige 
Verarbeitung eines reichen Quellen - und 
biteraturmaterials, folide wiſſenſchaftliche 
methode, klare anſprechende Darſtellung 
verbinden ſich, um uns die geſchichtliche 
Entwicklung des heutigen biſchöflichen Er⸗ 
nennungsrechtes, wie es in Ran. 476, 8 3 
C. J. C.: »Non ad parochum, sed ad loci 
Ordinarium, audito parocho, competit 
ius nominandi vicarios cooperatores e 
clero saeculari« feſtgeſetzt ift, in ihren 
Grundzügen überzeugend zum Bewußtſein 
zu bringen. Während bis zum 9. Jahr- 
hundert die Anſtellung der hilfsprieſter 
ausſchließliches Recht des Biſchofs war, da 


mit der Weihe immer auch zugleich die 
Anftellung gegeben war, bahnte ſich vom 
9. Jahrhundert an beſonders unter dem 
Einfluß des Eigenkirchenweſens eine Än- 
derung in dieſer Beziehung an. Das Ende 
der Entwicklung war, daß ſeit dem 12. 
Jahrhundert die Anftellung der Hilfsprieſter 
nicht mehr in den händen des Biſchofs lag, 
fondern in der Regel Sache des Pfarrers 
war. Dieſes Recht, das ſich auf dem Wege 
der Gewohnheit in den einzelnen kirchlichen 
Gebieten gebildet hatte, erhob das Triden- 
tinum zum gemeinen Recht, jedoch ſo, daß 
die Pfarrer nur vom Biſchof approbierte 
Hilfsprieſter anftellen durften. Auf Grund 
dieſer Alaufel wird im 17. und 18. Jahr- 
hundert das pfarrliche Anſtellungsrecht in 
einzelnen Gebieten vom biſchöflichen ab⸗ 
gelöſt. Im 19. Jahrhundert aber kehrt 
unter dem Einfluß verſchiedener Faktoren 
das Unſtellungsrecht der Hilfspriefter über 
all wieder in die hände des Biſchofs zu⸗ 
rück. Was ſich ſo auf dem Wege der 
Gewohnheit gebildet hatte, legte nun der 
Roder im oben angegebenen Kanon ge⸗ 
ſetzlich feſt. Das Buch iſt nicht nur für 
Fachgelehrte in Kirchenrecht und Rirchen- 
geſchichte von Intereſſe, ſondern kann auch 
allgemein zu vertiefter Auffaffung des 
Amtes der Pfarrer und der hilfsprieſter 
beitragen. f 
P. Suſo Mayer (Beuron.) 


P. Hildebrand Bihlmeyer ift am 15. September in Gott verſchieden; er war ein 


vorbildlicher Mönch und Prieſter, ein fleißiger Gelehrter und Schriftſteller. Wir wer- 
den über ihn einen eigenen Kufſatz bringen. 

Johannes u. Martin. Ulach St. Gregor hat St. Benedikt auf dem Mons Cassinum 
ein Martins heiligtum und eines zum hl. Johannes errichtet. Darum vereint heute 
ein Relief beide heiligen in der dortigen Unterkirche gegenüber dem Hauptaltar. 
Zwei Patrone der Mönche, zwei Männer; beide voll Liebe zum Erlöfer und voll Herz 
für fein Dolk. Unſeren Vätern waren fie teuer. Sie ſollten es auch uns wieder fein: 
der heilige des November und der Rufer im Aövent = Dezember. 

Den Bezugspreis haben wir, um den Idealismus des Verlags und der Mit ⸗ 
arbeiter nicht zu ſehr zu belaſten, leider erhöhen müſſen. Wir werden aber zugleich 
Inhalt und Umfang erhöhen, beſſeres Papier, regelmäßig 80 Seiten, 2 Beilagen und 
gelegentlich Teztbilder bieten. Wir waren beſtrebt, den Preis noch niedrig zu halten 
und hoffen, daß unſere Geferfchaft ſich To erfreulich mehrt wie in dieſem Jahre. 

Ein Proſpekt des Grünewaldverlages über: Paul Rießler, Die 91. Schrift 
des Alten Bundes II. Band liegt dieſem Hefte bei. 


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Berausgegeben von der Erzabtei Beuron (Hohenzollern), 
für die Schriftleitung verantwortlich: P. Willibrord Derkade, 
gedrukt und verlegt vom Runſtverlag Beuron. 


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